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Unerträgliche Gewalt, und ein Strom Erinnerungen August 28, 2019, 9:16

Posted by Lila in Kibbutz, Kinder, Katzen, Kinder, Persönliches, Uncategorized.
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In den letzten Monaten wird Israel von immer neuen Fällen grauenhafter Gewalt gegen Kinder in Kindergärten erschüttert. Seit fast überall Kameras installiert sind (oder installiert wurden, nachdem Eltern das Verhalten ihrer Kinder seltsam vorkam), werden Vorfälle sichtbar, die früher nie aufgefallen wären.

Es fällt auf, daß es sich dabei überwiegend um schlecht oder gar nicht ausgebildete Frauen handelt, die private Einrichtungen betreiben. Obwohl es ein Gesetz gibt, das die regelmäßige Überwachung des Ministeriums für Bildung und Erziehung vorschreibt, gilt das nicht für Kleinkind-Aufbewahrungsanstalten unterhalb einer bestimmten Größe. Oft arbeitet dort eine Frau allein oder zwei, beide unausgebildet, überfordert, mit so viel Kindern, wie die Geldgier in die Einrichtung holt.

Ich habe jahrelang in Kinderhäusern des Kibbuz gearbeitet, und alle meine Kinder waren selbst im Kinderhaus. Zu meiner Zeit waren noch keine Besuche vom Amt üblich, die Kibbuz-Erziehung regulierte sich selbst. Erst als ich schon außerhalb arbeitete, änderte sich der Status der Kinderhäuser, und die Frau vom Amt kam regelmäßig. (Im Fall des Kibbuz-Kindergartens hatte das zur Folge, daß sie einen komplett überflüssigen, aber sehr teuren Metallzaun forderte, obwohl alle Kinderhäuser mitten im Kibbuz liegen – außerdem beförderte sie einige liebe alte Kibbuz-Traditionen in den Müll, und da die Kindergärtnerin zu der Zeit selbst von draußen kam, kämpfte sie auch nicht darum – bin ich heute noch sauer drüber, aber Schwamm drüber).

Wir waren immer zu viert, hatten oft noch eine Schülerin als Hilfe. Mindestens zwei im Team waren voll ausgebildet (vier Jahre Studium an der PH, Abschluß mindestens Dipl-Päd, oft dazu noch B.Ed. oder auch M.Ed. in Frühpädagogik), die anderen wurden oft zu kurzen Kursen geschickt (ich habe z.B, mal einen kurzen Kurs über musikalische Früherziehung gemacht, was ich später im Studium als zusätzlichen Kurs vertieft habe, obwohl es nicht zu meinem Fach gehörte, aber die Dozentin war DIE Koryphäe Israels zum Thema).

Im Kibbuz ist es auch so, daß ständig Leute in den Kindergarten zu Besuch kommen. Die Oma kommt vorbei, der Bruder, die Freundin der Kindergärtnerin, und es gibt die Situation mit dem hermetisch geschlossenen Raum nicht, in dem nur hilflose Kinder und eine überforderte Frau ohne Verständnis für die Bedürfnisse der Kinder sind.

Der Kibbuz sah alle pädagogischen Berufe als besonders wertvoll an und nicht jeder Bewerber, der vom Kibbuz zum Studium geschickt werden wollte, wurde auch unterstützt. Daß ich mit der ersten Bewerbung vom Kibbuz als Studentin angenommen und zum Studium geschickt wurde, war eine echte Ehre und es hat mich enorm motiviert.

Kindergärtnerin (ich benutze das Wort übrigens bewußt, da das hebräische Wort tatsächlich Gärtnerin ist, ganenet) galt damals, ich weiß nicht, wie es heute ist, als hoch respektierte, verantwortungsvolle Arbeit. Über jemanden zu sagen, „sie ist seit 20 Jahren Kindergärtnerin“ bedeutete Ehre.

Im Kibbuz gibt es einen Erziehungsausschuß, dem Männer und Frauen angehören, die regelmäßig alle Kinderhäuser besuchen und mit dem pädagogischen Team wichtige Entscheidung treffen. Zu meiner Zeit wußte jeder im Kibbuz, wer den Ausschuß gerade leitet, er galt als einer der wichtigsten überhaupt. (Mein Schwiegervater hat das eine Zeitlang gemacht). Für das „zarte Alter“ gibt es immer eine extra Verantwortliche, immer ausgebildete Pädagogin und meines Wissens bisher immer weiblich, die bei Problemen immer dabei ist.

Einmal alle sechs Wochen hatten wir Besuch von einer Kinderpsychologin „von draußen“, die auch in der pädagogischen Station der PH arbeitete. Eltern und Team konnten um die Beobachtung einzelner Kinder bitten, wenn sie das Gefühl hatten, sie brauchten Hilfe.

Regelmäßig kam die Tanzpädagogin und lud Kinder in ihr Zentrum ein (sie ist eine Kindheitsfreundin von Y.s jüngster Tante und war immer besonders nett zu unseren Kindern, die alle gerne in ihrem Zentrum war – das ich Kibbuzbesuchern immer noch gern zeige). Ebenso die Kunsttherapeutin, und, als er noch gesund war, der Logopäde des Kibbuz.

Mindestens einmal die Woche arbeiteten Eltern einen Tag lang mit, und oft kamen Großeltern, um mit den Kindern zu backen oder ihnen was vorzulesen.

Es ist kein Wunder, daß ich mich Hals über Kopf in diese Umgebung verliebt habe und mein Traum war, eigene Kinder dort aufwachsen zu sehen.

Und doch. Ich erinnere mich, daß eine der Kindergärtnerinnen, mit denen ich gearbeitet habe, zwar ausgebildete Pädagogin war, aber eigentlich keine Kinder mochte. Alles, was die Kinder taten, war ihr zum Tort. Das war kein großer Kindergarten (gan), sondern ein kleiner (ganon) mit 12 Kindern und einem Team von vier. Ich habe noch ihre nörgelnde Stimme im Ohr, die auch meiner Mutter sofort auffiel. Sie führte den Kindergarten ordentlich, die Kinder bekamen alle Aktivitäten geboten, die sie gern mochten, der Kibbuz-Kinderhaus-Tagesablauf wurde eingehalten, aber die Atmosphäre war mies, besonders im Vergleich zu anderen Kinderhäusern, wo Leute arbeiteten, die Spaß an der Arbeit und an den Kindern hatten. (Die erste Kindergärtnerin, mit der ich als Volunteer schon arbeitete, hat später Sonderpädagogik studiert und war eine der besten Pädagoginnen, die ich je getroffen habe).

Hat diese mißmutige Frau den Kindern Schaden zufügt? Ich weiß es nicht. Sie müssen gespürt haben, daß sie für Tränen, Wutanfälle oder Kinderstreit kein Verständnis hatte und einige der Kinder wirklich nicht mochte. Wie lange hat sie in der Erziehung gearbeitet? Drei Jahre? Vier? (Heute arbeitet sie längst in einem Bürojob außerhalb des Kibbuz, Personalleiterin irgendwo, hoffentlich mag sie die Leute dort lieber als die Kinder). Wie wichtig war ihre Rolle, verglichen mit den anderen Mitarbeiterinnen, die auch viel mit den Kindern zu tun hatten, und der Galaxie von Menschen, die um die Kinder kreisten?

Dann erinnere ich mich an eine im Kibbuz hoch angesehene Frau, sehr intelligent und theoretisch sehr beschlagen. Ich erinnere mich, wie ich als ungelernte junge Mutter in ihrem Kindergarten arbeitete (es war einer der drei Kindergärten fürs Vorschulalter, knapp unter 30 Kinder zwischen viereinhalb und sechs Jahren). Ich interessierte mich damals schon für Kinderkunst, und sie gab mir sehr gute Erklärungen dazu (ich habe das Thema später selbst studiert und eine Zeitlang auch unterrichtet – die Expertin für das Thema an der PH hätte mich gern als Nachfolgerin gesehen und ich  habe eine Rede auf sie gehalten, als sie pensioniert wurde). In vieler Hinsicht habe ich sie bewundert. In ihrem Kindergarten habe ich den Krieg von 1991 verbracht, und sie hat es bewundernswert geschafft, die ganz normale Routine trotz abgedichteter Fenster und Gasmasken weiterzuführen, als wäre nichts.

Aber sie konnte, wenn sie ärgerlich war oder ungeduldig, eine scharfe, schneidende Stimme bekommen. Ich erinnere mich bis heute an eine winzige Szene. Ein besonders sensibler Junge (heute selbst 3facher Vater) hatte irgendwas ausgefressen oder vergessen, weiß nicht mal mehr was. Er war auf dem Weg nach draußen, da rief sie ihn beim Namen. Er erfror  an Ort und Stelle, und ich sah sofort, daß er Angst hatte vor ihr. Die anderen Mitarbeiterinnen und ich haben nie darüber gesprochen, aber wir haben bestimmt alle gemerkt, daß ihr eine gewisse Wärme fehlte, die die Arbeit mit Kindern sehr erleichtert. Wir haben dann versucht, das auszugleichen.

Mit ihr habe ich eine Szene erlebt, die einem heute unglaublich vorkommt. Aber so war der Kibbuz damals bzw konnte er sein.

Eine Familie kam „aus der Stadt“ in den Kibbuz, weil der Sohn an Krebs erkrankt war. Die Mutter war Kibbuz-Tochter (bat kibbuz), und ihre Mutter lebte noch dort. Die größeren Kinder wurden von der Oma betreut, während Vater, Mutter und jüngster Sohn ins Ausland flogen, um dort eine besondere Behandlung für den Sohn zu bekommen. (Er ist heute ebenfalls verheiratet und Vater und ganz gesund). Es war eine schwierige Situation für die Familie, und der Kibbuz half. Ich mochte die Mutter und Oma besonders gern.

Die Tochter war bei uns im Kindergarten, bei der klugen-doch-kalten Kindergärtnerin. Sie war ein sehr intelligentes Mädchen und verkraftete die Situation eigentlich ganz gut. Die Eltern im Ausland, der kleine Bruder schwer krank, auf einmal in den Kibbuz und zur Oma versetzt, die ganz anders erzog als die Eltern.

Nach Monaten kamen die Eltern wieder, dem Sohn ging es viel besser. Die Mutter bat um ein Gespräch mit uns, dem Team des Kindergartens. Sie wollte hören, wie es ihrer Tochter ergangen war, und sie hatte auch eine Bitte.

Sie bat darum, zweimal die Woche die Tochter schon nach dem Mittagessen statt nach dem Mittagsschlaf nach Hause mitzunehmen, also um halb zwei statt um vier. (Vier Uhr nachmittags, wenn die Kinder nach Hause geholt werden, ist die wichtigste Stunde des Kibbuz-Tagesablaufs!) Sie wollte die beiden älteren Kinder abwechselnd jemals zweimal die Woche für ein paar Stunden one-on-one nach Hause holen.

Jeder normale Mensch würde sofort JA sagen, warum denn nicht? Aber unsere Kindergärtnerin wies dieses Ansinnen sofort, ohne nachzudenken und mit Empörung von sich. Ihre Argumente? Ihr kennt solche Situationen, eigentlich gab es keine. Sie hatte noch nie so eine Bitte erfüllt und wollte es darum auch diesmal nicht tun, das war eigentlich ihr einziger Grund. „Sowas hat es ja noch nie gegeben, damit fangen wir gar nicht erst an, wohin kämen wir denn, was sollen die anderen Eltern und Kinder denken“ und so weiter. Der heilige Tagesablauf war für sie in Stein gemeißelt. (Ja, ihre Eltern waren Jeckes, falls ihr das wissen wolltet).

Wir anderen Mitarbeiterinnen guckten uns ratlos an. Keine von uns verstand, warum die respektierte Chefin sich so anstellte. Wie es dann weiterging, weiß ich nicht mal mehr – ob die Mutter sich an die Vorsitzende des Erziehungsausschusses wandte, die sehr herzlich und lieb war, oder ob sie sich eine andere Idee einfallen ließ. Das Mädchen kam kurze Zeit später in die Schule, die ganze Familie blieb noch etwa 2 Jahre im Kibbuz und zog dann weg (wir zogen in ihr Haus und die Mutter, mit der ich mich gut verstand, kam noch ein paarmal zu Besuch).

Ja, da waren wir an die Grenzen dieser Frau gestoßen, die auch kurz darauf die Pädagogik verließ und seit vielen Jahren einen wichtigen Posten im Kibbuz erfolgreich erfüllt. Wenigstens war es im Kibbuz so, daß man nicht aus wirtschaftlichen Gründen in einem Job bleiben mußte, man konnte wechseln, Zusatzausbildungen machen, etwas ausprobieren.

Aber gehen wir eine Generation zurück. Mein Mann ist ja im Kinderhaus aufgewachsen, er hat nie auch nur eine Nacht im Elternhaus geschlafen, dort gab es kein Kinderzimmer und kein Bett für die Kinder. Er hat eigentlich nur schöne Erinnerungen, hing sehr an seinen Freunden aus der Gruppe (hängt immer noch an ihnen), und einige seiner früheren Betreuerinnen erzählten mir, wie besonders nett und schüchtern er als kleiner Junge war.

Besonders schön fand er immer den Shabat-Morgen. Jede Woche hatte ein anderer Elternteil dann die Verantwortung für die Kinder, machte das Frühstück und spielte bis 10 mit ihnen. Dann kamen die anderen Eltern und holten die Kinder ab. Y. erinnert sich bis heute an die besonderen Mahlzeiten, die jeder Erwachsene für die Kinder machte, an den einen Vater, der wild mit den Kindern tobte, und eine besonders nette Mutter, die die Kinder gern verwöhnte. Er hatte zu einer ganzen Welt von Menschen Beziehungen, und die bestanden noch lange.

Aber die Kindergärtnerin, die Kindergärtnerin. Vor der hatten alle Angst. Drei Jahre hat diese Frau über die Kinder geherrscht. Y. und seine beste Freundin haben manchmal nachts überlegt, wie man sie loswerden könnte, aber es fiel ihnen nichts ein. Sie hat die Kinder gedemütigt, besonders solche, die Probleme hatten, die Bettnässer, die Schüchternen, aber auch die Frechen. Ich habe sie nicht mehr kennengelernt, aber die ganze Gruppe erinnert sich mit Grauen an sie. Ja, die Eltern kamen zu Besuch und sie waren jeden Abend bei den Eltern. Ja, nachts wurden sie von wechselnden Nachtwachen betreut, tagsüber war das Team auch groß, aber die Kindergärtnerin hatte die pädagogische Verantwortung.

Y. ist keiner, der sich über seine Vergangenheit beklagt, auch die härtesten Geschichten erzählt er gleichmütig und meint, „ach, es war auch irgendwie interessant, und zu der Zeit ist mir nicht aufgefallen, daß es eigentlich ziemlich schlimm war“. Ich habe also nie viel über diese Kindergärtnerin erfahren. Aber alle Kinder der Gruppe haben sie als angsterregend in Erinnerung.

Wer weiß, was sie ihnen zugezischt hat, wenn es keiner hörte? was für Blicke sie ihnen zuwarf? Sie war es wohl nicht, die ihnen die Haare wusch, das erledigten die Mitarbeiterinnen (metaplot), und überhaupt wurden Kibbuzkinder von klein auf zu Selbständigkeit erzogen. Ob sie also Gelegenheit hatte, körperlich rauh mit den Kindern umzugehen, oder sie sogar zu Körperstrafen griff, das weiß ich nicht. Körperstrafen waren in der Kibbuz-Erziehung komplett tabu. Aber die Kinder waren dieser Frau ausgeliefert, und im Erziehungssystem damals waren die Eltern machtlos.

Eine Studienfreundin von mir hat ihre Magisterarbeit über die Beziehung von Müttern und Töchtern im Kibbuz zur Zeit der lina meshutefet, des „gemeinsamen Schlafens“ geschrieben, dh, die Zeit der Kinderhäuser und kinderbettlosen Elternhäuser. Sie hat mir mal erzählt, daß die Mädchen ihre Mütter als komplett machtlos erlebten und sich darum gar nicht erst um Hilfe an die Mütter wandten. Sie war übrigens mit Y.s Schwester in einer Jahrgangsstufe.

Oh nein, ich falle hier ins Kaninchenloch, das hatte ich gar nicht vor, als ich anfing zu schreiben.

Meine eigene Zeit im Kindergarten. Hatte ich Angst vor der Kindergärtnerin? Nein, sie war eigentlich ganz nett, obwohl unser katholischer Kleinstadtkindergarten so strikt geregelt war, daß mein Mann sich kaputtlacht, wenn ich davon erzähle (in der Kibbuzerziehung stand auch in den 60er Jahren schon freie Entfaltung höher im Kurs als Ordnung und Sauberkeit). Der Knicks, wenn ich mit meinem Körbchen in der Hand um neue Spielsachen bat, die in Schubladen sortiert waren. So war das damals. Die Kindergärtnerin ging auch rum beim Zeichnen und radierte aus, was nicht gut genug gemalt war. (Mein Igel! bis heute tut es mir leid, daß sie mir den Igel neu gemalt hat, ich fand ihn so schön.)

Überhaupt, daß immer ein Thema beim Malen vorgegeben war – Schneemänner, Marienkäfer. Ich weiß noch, wie froh ich war, im Kibbuz zu sehen, daß den Kindern das Material hingestellt wird, und sie können damit machen, was sie wollen. Diese ganze Besessenheit mit Basteln nach Vorlagen, sauber ausschneiden, was Nützliches machen, das gibt es in der Kibbuz-Erziehung nicht, so eine Erleichterung für mich, die nie gut nach Vorlagen gearbeitet hat. Das war aber bei uns im Kindergarten sehr wichtig.

Ich hatte Angst vor der Leiterin. Und so habe ich eines Tages meinen Freund Thomas, den ich wohl immer ziemlich rumkommandiert habe, der arme Kerl, überredet, wegzulaufen. Wir wollten den ganzen Tag im Wallgraben Abenteuer erleben, aber wir waren noch nicht weitgekommen, da hatte Fräulein Maria uns schon wieder eingefangen. Und die war streng. An Konsequenzen erinnere ich mich nicht mehr, aber an den schrecklichen Moment, als Fräulein Maria mit dem Fahrrad neben uns hielt, um uns zurückzubringen, erinnere ich mich genau. Ich weiß noch genau, wo das war.

Mein Bruder war später in einem anderen Kindergarten, wo ich es so toll fand, daß ich oft zu Besuch kam. Er selbst fand es stinklangweilig und haute oft ab.

Eigentlich sagt es alles, was man über meinen Bruder und mich wissen muß. Ich versuche einmal abzuhauen, werde sofort erwischt und mit Schimpf und Schande zurückgeführt. Mein Bruder macht über Monate hinweg dauernd Kindergarten blau und fängt statt dessen Kaulquappen im Wallgraben, und alle glauben seine Ausreden und lachen, als sie es rausfinden, warum er immer so dreckig wiederkommt bzw nie im Kindergarten ankommt.

Trotz der Strenge habe ich keine Angst im Kindergarten erlebt, nur Momente der Scham.

Ich frage mich aber heute, wie viel Gewalt Kindern wirklich geschieht. Von überforderten Betreuern, die den Eltern vorspielen, wie gern sie die Kinder haben, aber dann die Kinder auf die Bettchen knallen und ihnen zumurmeln: ich wünschte, du wärst tot, und die Kinder können es niemandem erzählen. Die Eltern merken erst, was los ist, wenn das Kind sich selbst immer wieder haut und sagt: jetzt schlafen, jetzt schlafen!, und dann kommt die Aussprache mit anderen Eltern, die Kameras, und die Aufnahmen.

Und wie viel Gewalt gibt es zuhause? Wenn die Kinder sich stundenlang gestritten haben, der Tag endlos scheint, niemand zuhört oder hilft, wenn die Freundinnen sagen, „du hast es gut, du arbeitest nicht“, wenn man das alte Leben zurückhaben will und sich fragt, warum man sich das überhaupt angetan hat, diese rebellische, nie zufriedene, immer fordernde Kinderschar. Ich hatte Glück mit meinem Partner, der nie Verantwortung auf mich abgeschoben hat, um seine Ruhe zu haben, Glück mit der Familie, die immer geholfen hat, Glück mit dem Kibbuz, der immer professionelle Hilfe und Unterstützung bot. Aber an Momente riesiger Frustration erinnere ich mich auch, wenn Geduld wie ein kostbarer Rohstoff in einem fernen Kontinent erschien, an den man einfach nicht kommen kann, wenn ich sie alle nicht mehr sehen oder hören wollte. Wie weit ist man dann entfernt davon, den Kindern mal so richtig Angst einzujagen, wie mein Vater es immer gemacht hat, wenn er ratlos war? Damit einfach mal Ruhe ist?

Wie gesagt, ich hatte Glück. Wenn ich am Anschlag war, konnte mein Mann oder meine Schwiegermutter oder die gute Esther helfen, ich hatte auch immer die Arbeit, und meine erprobte Methode gegen Frust jeder Art ist ein gutes Buch und Tür zu. Und die meiste Zeit hatte ich die Geduld und auch viel Spaß an den Kindern, und durch meine viele Arbeit mit Kindern auch Verständnis für ihre Bedürfnisse und Krisen, schon vor meinem Pädagogikstudium.

So habe ich im Kibbuz-Kinderhaus gelernt, daß man nie zu einem Kind sagt: böses Kind!, nie seinen Charakter in Zweifel zieht oder es verbal demütigt oder angreift. Die Formel der Zurechtweisung im Kibbuz heißt: hitbalbalt(a), du hast einen Fehler gemacht, du hast dich vertan. Das bedeutet: wenn du Noam mit dem Bauklotz auf den Kopf geschlagen hast, war das nicht, weil du ein böses Kind warst, sondern weil du für einen Moment vergessen hast, daß wir uns nicht gegenseitig hauen. Aber wenn du es nicht wieder tust, ist alles in Ordnung. Als ich diese Regel begriffen hatte, war ich sehr begeistert, und ich wünschte, in meiner Kindheit hätte es sie auch gegeben. Dann würde ich vielleicht nicht die Stimmen in meinem Kopf hören, die mir böse Dinge über mich selbst erzählen und ganz wie mein Vater klingen.

Oh, noch eine Erinnerung. Vor ein paar Monaten in Nahariya. Ich quatschte in meinem Lieblingsgeschäft, dem Woll-Laden, mit der Verkäuferin, mit der ich mich angefreundet habe (auch eine alte Kunstlehrerin). Die Tür stand offen. Auf der Straße gegenüber sahen wir eine Familie. Der Vater trat nach einem der Söhne, der Sohn weinte und humpelte. Wir beide schossen wie Hornissen aus der offenen Ladentür und schrien den Vater an, der sich um nichts kümmerte. Die Familie ging weiter. Wir riefen dem Jungen zu: du bist in Ordnung, dein Vater hat kein Recht, dich zu treten! auch wenn er sich ärgert, das darf er nicht! und dem Vater drohten wir, die Polizei zu rufen. Dann sahen wir uns hilflos an, während die Familie verschwand.

Ich kann Reportagen über die Gewalt in Kindergärten nicht sehen, ohne mich zu fragen, wie viel Gewalt auch zuhause geschieht, im Sportverein, überall. Ich fühle unbändigen Zorn auf die Menschen, die Kindern solchen Schaden zufügen, Verletzungen, an denen die Kinder immer zu tragen haben werden. Diese Kindergärtnerinnen sind in ganz Israel so verhaßt, daß einer von ihnen das Haus angezündet wurde, und sie sind in aller Augen das Ganz Andere, Monster, Seelenmörder.

Aber ich fühle auch, wie nah ich selbst in Momenten des Ärgers dran war, wie schmal der Grat überhaupt ist, wie unmöglich es ist, die eigenen Standards als Eltern immer einzuhalten. War ich wirklich so geduldig, wie meine Mutter mich immer lobt? Wenn ich die Kinder frage, erinnern die sich an Ungerechtigkeiten (die sich im Rückblick relativieren, wie Primus zugibt, die aber damals lebenswichtig schienen), aber Angst hatten sie nicht vor uns.

War ich gemein zu meinen Kindern, wenn sie in der Pubertät mit Präzision meine Schwächen bloßlegten, mich auslachten? Wo ziehen wir die Grenze, was ist verständliche elterliche Reaktion in einer Auseinandersetzung, wo fängt das Unvertretbare, das Böse an? Ist das jetzt zu persönlich? Aber wer hat Kinder und kennt diese Momente nicht, wenn man dringend Hilfe braucht, weil man an die Grenze zur Überforderung stößt? Wer hat noch nie gehört, daß aus dem Nachbarhaus oder vom Nachbartisch die Stimme der elterlichen Frustration klingt? Was tun wir dann, wie helfen wir? Wie nehmen wir auch Druck von den Eltern, die in der Öffentlichkeit die Kinder ruhig und brav halten wollen, was die Kinder natürlich spüren?

Das ganz große Tabu, Gewalt gegen Schwächere, Schutzbefohlene.

Gestern August 25, 2019, 7:00

Posted by Lila in Kinder.
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war Tertias 26. Geburtstag. Wir hatten einen schönen Tag. Unser Geschenk für sie (ein Toaster-Oven für ihre neue Wohnung, geniales kleines Ding, das ich im Kibbuz liebengelernt habe) war ein Volltreffer, und dann waren wir in einem Restaurant, das wir alle gern mögen (Gustino in Ramat Yishai), nur die Mädchen und wir. Irgendwie sind wir in eine Diskussion über Ex-Partner geraten, die so albern und lebhaft wurde, daß die Kellnerin nicht an sich halten konnte und zu grinsen anfing. Als wir sahen, wie sie sich lachend in die Küche flüchtete, gerieten wir in einen Kicheranfall, aus dem wir eine Weile nicht wieder rausfanden.

Ich hatte vorgestern einen längeren Eintrag zu Tertia geschrieben, der mir aber dann doch zu persönlich war, und so schlummert er jetzt im drafts folder. Aber ich kann allen Eltern, die gerade an Kindern in einer langen und schweren Pubertät laborieren, versichern, daß es möglich ist, diese Zeit zu überleben, und sogar mit dem erwachsenen Kind eine neue, reife, entspannte Beziehung aufzubauen.

Tertia, die von Gesundheitsproblemen geplagte Frühgeburt, die sich gegen jede Art Hätschelei wehrte, die ihre Unabhängigkeit und Distanz von uns mit Zähnen und Klauen verteidigte, die jeden von uns gemachten Fehler messerscharf in Erinnerung behielt und uns x-mal auftischte, die unsere Entscheidungen nie akzeptierte und wegen Kleinigkeiten wochenlange Feldzüge führen konnte, wow, diese Tertia ist heute, mit Primus, meine interessanteste Gesprächspartnerin. Sie sieht uns deutlich illusionsloser als wir sie, doch dafür bin ich dankbar. Es gibt so wenige Menschen, die einem knallhart die Wahrheit sagen, ohne daß die Beziehung daran Schaden nimmt, und daß ich gleich mehrere davon habe, ist ein Geschenk.

Das habe ich ihr auch beim traditionellen Geburtstagsprost gesagt.

Jetzt ist sie wieder in ihrem eigenen Leben, selbständig, aber nah genug, um etwa einmal die Woche bei uns vorbeizukommen. „Ich wollte Karma besuchen“, sagt sie dann, und Kater Karma, der sehr an ihr hängt, weicht nicht von ihrer Seite und sie himmeln sich gegenseitig an. (Alle Klagen, die Karma gegen uns führt, sind übrigens aus der Luft gegriffen!) Dann guckt sie sich um, womit sie mir helfen kann, und tut es. Und wir unterhalten uns, backen oder kochen zusammen, bis Y. nach Hause kommt und strahlt, wenn er sie sieht.

Ich freue mich schon aufs nächste Mal, weiß aber auch, daß ich das besser nicht zu deutlich zeige. „Nur kein Überschwang!“ steht auf ihrer glatten Stirn geschrieben, und ich halte mich daran.

 

Here comes trouble März 22, 2017, 21:11

Posted by Lila in Kinder.
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Es gab mal solche T-Shirts für kleine Jungens, und ich bedaure bis heute, daß ich für Secundus nie eins gekauft habe. Obwohl es bei ihm ja besser geheißen hätte: Trouble, come here, denn er konnte ja nie was dafür, daß es immer dort, wo er war, unruhig wurde.

Er und sein Trupp Freunde aus Babyhaus-Zeiten haben jedenfalls öfter für Unruhe gesorgt, auch wenn Secundus immer seinem Indianernamen aus dem Kindergarten treu blieb: „der Stille Ozean“ (daß er während der Indianerwoche Häuptling sein durfte, war einer der Höhepunkte seines jungen Lebens). Er war immer ruhig und still, und immer fand der Ärger ihn.

Als er in der Armee war, wußte ich: wenn er an der Südgrenze Wache schiebt, „erwärmt sich die Gegend“, wie die Armee es vornehm ausdrückt. Wenn er in Hebron ist, hören wir den Namen Hebron täglich in den Nachrichten. Und wenn er seinen Kurs abgeschlossen hat und damit zu den Ersten gehören wird, die in den Gazastreifen reinmüssen, falls es ernst wird – nun, dann wird es ernst, und Secundus steht tagelang mit der Nase am Zaun vorm Gazastreifen (wie gut, daß sie dann doch nicht reingegangen sind!).

Er kauft ein Flugticket nach München über Istanbul – wenige Tage vorher bricht dort ein Putsch aus (oder wird ein Putsch inszeniert“?), und es hing am Fädchen, ob aus dem Flug was wird. Kaum war er in München, wurde die Stadt von dem Amoklauf lahmgelegt, was Secundus und seine Freunde nicht davon abhielt, abends zu einer Party zu gehen, die aber leider etwas dünn besucht war.

So taten mir die Einwohner der schönen Stadt London beinahe leid, als Secundus vor zwei Monaten in den Flieger kletterte, um dort bei einer Security-Firma anzufangen.

 

 

Mein Beileid den Briten. Die Methoden, Autos und Messer, kennen wir alle leider nur zu gut. Was bei uns ausprobiert wird, taucht später auch in den Großstädten Europas auf. Ich weiß nicht, welche Erklärung schlimmer ist: daß es lauter Einzelfälle überschäumenden Hasses sind, oder Teile eines teuflischen Plans. Beides keine guten Aussichten.

Mir tut es leid um die Welt, leid um Europa, und wir sitzen alle in derselben Pamperlacke, sind alle auf der kw-Liste des Terrors. Wir ein bißchen früher, ihr ein bißchen später, aber der Terror hat sich gerade mal warmgelaufen, fürchte ich. Ein weiterer trauriger Tag.

Von Viren und Tieren März 8, 2017, 20:52

Posted by Lila in Katzen, Kinder.
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Der dritte Virus dieses Winters hat mich kalt erwischt, so lange nacheinander war ich schon lange nicht mehr krank. Nach wie vor bin ich stockheiser, mußte sogar zwei Vorträge absagen, andere habe ich aber gehalten, was mir natürlich hinterher leid tat. Ich krächze nach wie vor.

Ärgerlicher ist, daß Quarta vor ein paar Tagen unvermittelt von einer Straßenkatze angefallen und gebissen wurde. Der abgemagerte und ungesund aussehende junge Kater lungert bei uns in der Straße rum und hat immer ein Auge auf unseren Kompost. Er tut uns allen leid, und eigentlich ist er freundlich, aber beim Betteln um Futter sprang er Quarta unvermittelt ans Bein und biß kräftig durch – und zwar durch die Jeans hindurch. Quarta zeigte uns abends die Bißspuren eher nebenbei, denn sehr weh hatte es nicht getan, aber der Abdruck der vier Zähne war ein spektakulärer Anblick.

Primus (der gerade zu Besuch war und morgen fliegt – sagt nichts, fragt nichts…) und ich sahen uns nur an. Wir wußten, daß wir beide dasselbe denken. Tollwut! Wir wohnen in tollwutgefährdetem Gebiet. Obwohl Quarta und auch Y. meinten, wir spinnen, konnten wir Quarta überzeugen, zu unserem Hausarzt zu gehen. Der wurde auch gleich ganz ernst – im Moment geht hier in der Gegend wohl die Tollwut um. Er impfte Quarta gegen Tetanus und schickte uns zum Gesundheitsamt in Akko, wo eine Tollwutklinik ist.

Am nächsten Tag fuhr ich also mit Quarta nach Akko. Dort saßen sämtliche Kindergartenkinder aus Arab el Aramshe, wo wohl gerade Tollwut entdeckt wurde – und wegen Überlastung schickte die Ärztin uns nach Hause. Wir sollten am nächsten Tag wiederkommen.

Am nächsten Tag fuhr Y. mit Quarta zum Gesundheitsamt. Diesmal meinte die Ärztin, wir sollten erstmal versuchen, die Katze zu fangen, und nur wenn uns das bis Freitag nicht gelingt, würde sie Quarta gegen Tollwut impfen. Doch doch, es bliebe noch genug Zeit. Sie drückte Quarta die Telefonnummer des Tierfängers in die Hand, der mit Gesundheitsamt und der Tierärztin unseres Bezirks zusammenarbeitet.

Die ganze Zeit über war Quarta die Tollwut ganz egal, das einzige, was ihr im Kopf herumspukte, war der Purimball (heute abend) und ihr Purimkostüm. Dieses Jahr lautet das Motto in der Schule nämlich Arche Noah, und Quarta und ihr bester Freund gehen als Füchse. Während ich mir also Sorgen machte, wann sie denn nun diese Impfung kriegt und wie wir einen Straßenkater einfangen, den wir nur ein paarmal gesehen haben (und dem unsere Katerbrigade sofort den Standpunkt klarmachen würde, sollte er sich an unser Haus trauen), dachte Quarta nur an Fuchsohren und Röckchen und Make-up. Sie spielte sogar mit dem Gedanken, im Kostüm zu der nervigen Lehrerin zu gehen, die ihr den Katzenbiß und die darauf folgende Saga nicht geglaubt hatte, und so zu tun, als würde sie nun zu einer Art Wer-Fuchs.

Heute kam der arme Kater tatsächlich wieder in die Nähe. Wir lockten ihn mit Futter, Quarta rief den Katzenfänger, und mit schlechtem Gewissen ließen wir den armen Kerl fangen. Er wird nun zehn Tage in Quarantäne gehalten, kann sich füttern lassen und kriegt hoffentlich was gegen seine Flöhe, Läuse und Zecken. Nach zehn Tagen soll er freigelassen werden, wenn er gesund ist.

Quarta hat ihre Impfung immer noch nicht. Ich halte euch auf dem Laufenden. Sie ist vorhin zum Purimball abgezogen. Noch im letzten Moment habe ich ihr das Fellröckchen auf den Leib genäht, während sie sich ein wunderbares Fuchsgesicht schminkte. Als der Bus kam, ist sie barfuß mit den Schuhen in der Hand zur Haltestelle gerannt – hoffentlich hält der Schwanz, den ich mit viel Kunst und Sicherheitsnadeln an das Röckchen genäht habe. Wohlgemerkt, alles selbstgemacht, sogar für ihren Schulkameraden haben wir einen Teil des Kostüms übernommen.

Morgen fahren wir mit den Katzen zur Tierärztin, impfen lassen bzw Impfungen auffrischen, kastrieren und sterilisieren lassen. Ja, während meiner Blogpause hat mein berühmtes selektiv weiches Herz mich dazu verführt, ein Straßenkätzchen aufzunehmen, dessen manierlichen Bruder Milo Quarta adoptiert hatte. Unsere alten schwarzen Kater Leo (ohne Schwanz) und Luzifer (Snob und Kampfkater) haben das Geschwisterpaar gnädig aufgenommen, aber niemand außer mir kann die häßliche kleine Katze leiden, der ihres Bruders Charme gänzlich abgeht. Wie um allen zu zeigen, wie sie es mit uns meint, wurde Fräulein Fleck auf der Stelle schwanger, was man ihr erst ansah, als sie schon im Wochenbett lag und alles zu spät war.

Ein Wurf von vier weiblichen Kätzchen! Eins konnten wir abgeben, die anderen drei (Bonnie, Charlie und die schwarze Mia) blieben uns ebenfalls erhalten, sehr zu Y.s Grimm, der von Anfang an gegen Fräulein Flecks Aufnahme in den Kreis der Familie gewettert hatte. Er kann sie nicht leiden und sie ihn auch nicht.

So hatten wir auf einmal sieben Katzen. Sieben! Davon drei pechschwarz. Eines Tages schmuggelte sich ein fremder schwarzer Kater noch mit rein, der mir erst auffiel, als er mir auf den Schoß sprang und mir mitteilte, daß er mich adoptiert, weil ich ihm so feines Fressi-Fressi gegeben hatte.

Spontan habe ich ihm den Namen Karma gegeben, weil ich doch immer gedacht hatte, eine crazy cat lady werde ich nicht, und nun bin ich es doch, und Karma ist keine Hündin, sondern ein Kater.  Ein sehr lustiger und netter Kater, der sich allen anderen Katern im Haus willig unterordnet und klugerweise von Anfang an darauf bedacht war, Y. mit schmeichelnder Ehrerbietung zu begegnen.

So kamen wir zu acht Katzen. Es ist mir etwas peinlich, als Katzenportier werde ich nicht bezahlt, und sie machen auch viel Arbeit. Y. stöhnt, daß sie ihn nachts wecken und ihn aus jeder Ecke und jedem Regal ein Katzenkopf anguckt, aber ich habe trotzdem Spaß an meinen Katzen. Am liebsten würde ich ein Asyl für schwarze Katzen aufmachen, denn die sind hier nicht beliebt. Ich fühle mich wie die potnia theron, die Herrin der wilden Tiere, wenn ich so umkatzt und bemaunzt zum Futterplatz schreite, muß jedoch aufpassen, daß ich nicht über eines der Viehcher stolpere.

Aber wie soll ich zu etwas Vernünftigem kommen, wenn ich Fuchsschwänze nähen muß und Quarta dauernd zum Arzt muß und ALLE Katzen zur Tierärztin und ich selbst krächze wie der Rabe Abraxas? Das ist doch rundherum viel zu viel Tier.

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Heimatbesuch Februar 23, 2017, 20:04

Posted by Lila in Kinder.
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Primus kam heute für einen ganz kurzen kleinen Besuch. Es war so schön, als er plötzlich in der Tür stand. ich mußte ihn richtig boxen, um zu fühlen, daß er da ist. Zusammen gekocht, zusammen gegessen, zusammen Siedler von Catan gespielt. Dann habe ich mich kurz auf die Couch legen müssen (bin noch immer nicht fit, keine Ahnung, was das für ein fieser Möpp von einem Virus war!), und wie früher hatte ich meinen Spaß beim Zuhören.

Primus und Tertia sind ja nun beide Studeten, vergleichen ihre Klausuren und Vorlesungen, er erzählt von Buchhaltung, sie von Psychopathologie, und Quarta hat auch zu allem eine Meinung. Wie vor 20 Jahren wundere ich mich, wie schnell sie groß werden, eigene Ansichten und Talente haben. Ich würde ja gern sagen: spuckt mal nicht so große Töne, ich habe euch schon als Ultraschall gekannt!, aber das ist eben doch schon eine Weile her.

Nichts lehrt einen Menschen mehr Bescheidenheit als die Erziehung von Kindern. Wenn man sie aus dem Krankenhaus mit nach Hause nimmt, denkt man, so, jetzt geht die große Aufgabe los – Erziehung! Irgendwann erkennt man, daß man nicht viel dazugetan hat, außer für genügend Wasser, gute Erde und Schatten im Sommer zu sorgen. Aus dem kleinen Eichlein ist eine große Eiche geworden, aus der kleinen grünen Spitze eine Schwertlilie, und keines hätten wir zu Distel oder Gänseblümchen machen können. Wir hätten höchstens eine krumme Eiche, eine geknickte Schwertlilie herangezogen.

Ich ignoriere die Nachrichten wieder einmal bewußt, nicht mal die Wettervorhersage will ich hören. Welt, laß  mich in Ruhe, mach deinen Mist alleine, ich finde es alles schrecklich!, denke ich mir. Mal sehen, wann ich Zeit und Nerven habe, mich all den Hiobsbotschaften, falschen Hiobsbotschaften und der Wettervorhersage zu widmen.

Im Moment genieße ich wieder mal mein kleines Nest (auch wenn Secundus fehlt, der irgendwo in London arbeitet), und die erste Runde Siedler von Catan habe ICH gewonnen. Erstmals. Jawohl.

Jedes Jahr… September 1, 2014, 9:19

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… ein großer Tag. Am 1. September fängt die Schule wieder an. Ich kann mich nicht erinnern, ob das in Deutschland jedes Jahr so zelebriert wird – hier fangen am 1. September alle Nachrichtensendungen mit ausführlichen Berichten an (die Zeitungen auch), und jeder Politiker, der auf sich hält, muß irgendwo mit i-Dötzchen abgelichtet werden. Manchmal gibt es Aufregung, weil die Lehrer streiken. Ich werde nie vergessen, wie enttäuscht mein Secundus war, weil sein erster Schultag durch einen Lehrerstreik immer wieder rausgeschoben wurde. Da Lehrer hier sehr wenig verdienen (ich kann ein Lied davon singen) und immer weniger Lehrer gesicherte Arbeitsplätze haben, ist ihr Protest verständlich, aber er geht natürlich auf Kosten der Schwächsten, d.h., der Kinder.

Dieses Jahr war natürlich die große Frage, ob und wie man die Schule normal anfangen soll, wenn ein Großteil der Schulkinder auf dem Schulweg, aber auch in der Schule selbst der Gefahr von Raketen- und Mörserangriffen ausgesetzt ist. Auch die besten Schutzräume nützen nichts, wenn Hunderte von Kindern nur Sekunden haben, um sie zu erreichen – von der Fahrt im Schulbus ganz zu schweigen.

Man muß dazu wissen, daß die Hamas ihre Raketensalven in den letzten Jahren gern zwischen sieben und acht Uhr morgens abgefeuert hat, wenn sie wußte, daß Schulkinder unterwegs sind. Und die gelben Schulbusse waren schon oft Ziel von Anschlägen.

Nun, die Waffenruhe hat dieses Problem (vorerst?) gelöst. Die Bedeutung des 1. September und Präsenz der Frage „Schule oder nicht? wo und wie?“, die im Juli und August überall zu hören war, war auch für die Regierung groß. Hätte das Schuljahr nicht normal begonnen, wäre das wie ein Eingeständnis der Regierung gewesen, daß sie es nicht schafft, normales Leben in Israel zu ermöglichen. Aber nicht nur für Netanyahu, sondern für alle Israelis ist „Normalität“ ein hohes Gut. (Was ist Normalität? Was wir in Deutschland „normales Leben“ nennen würden, kennt man hier eigentlich nicht – aber israelische Normalität ist im Normalfall normal genug, damit sich Menschen normal entwickeln können…) Nach jedem Anschlag, nach jedem Krieg werden schnell und effizient Spuren beseitigt und Normalität wiederhergestellt.

So also auch jetzt. Der Bildungsminister, selbst Lehrer, Lehrerssohn und in Bildungsfragen kompetent und selbstbewußt, hat für die ersten zwei Wochen weniger Lernen und mehr Verarbeitung des Erlebten angekündigt. Die Lehrer sollen mit den Kindern die traumatischen Wochen des Kriegs, der ja fast ganz Israel betroffen hat, zum Thema machen. (Im Süden wächst ja eine Generation auf, die ein Leben ohne Raketen nicht kennt – DAS wäre doch mal ein Thema für einen Artikel in einer deutschen Zeitung…) Danach wird normal weitergelernt, in der Hoffnung, daß der Konflikt nicht noch einmal aufflammt.

Die enormen Kosten des Kriegs werden durch strike Budget-Kürzungen rausgeholt, und es wird wohl ein paar Jahre dauern, bis sich der Staat davon erholt hat. Der Streit „Steuern erhöhen oder nicht“ tobt in allen Medien – die einen sagen, irgendwoher muß das Geld ja kommen, die anderen sagen, wenn der Verbraucher noch mehr belastet wird, bricht er zusammen und ohne Kaufkraft der Verbraucher macht die Wirtschaft zu. Wenn Steuererhöhungen kommen, wen werden sie treffen? Na, uns natürlich, die ächzende Mittelschicht, die ihren Strom-, Wasser- und Mietkosten hinterherhechelt. Gehaltserhöhungen wird es nicht geben, denn auch die Betriebe sind betroffen – unter anderem sind internationale Kunden aus Empörung abgesprungen, oder internationale Partnerschaften sind auf Eis gelegt. Ich glaube nicht, daß Netanyahu die wirklich Reichen zur Kasse bitten wird.

Es kommen also schwierige Zeiten auf die Familien zu, und für die Kinder bedeutet es: weniger Ausflüge, weniger zusätzliche Aktivitäten, weniger Förderung, weniger Unterstützung für Hort und Betreuung. Der Bildungsminister hat viele Ideen, die meisten davon werden erstmal in die Schublade wandern. Da in den letzten Jahren das Bildungssystem für jeden neuen  Minister eine Art Experimentierfeld war, hat es vielleicht sogar gute Seiten, daß einige Ideen noch etwas länger simmern werden, bevor sie umgesetzt werden.

Ich weiß von Kollegen, daß der Minister seine Betonung des Themas „sinnvolles Lernen“ ernst meint. Was für eine Erleichterung nach all den fachfremden, eher aus der Wirtschaft kommenden Bildungsministern, die dem Fetisch Quantifizierung, Tests und dauernde Überprüfung abfragbaren Wissens hinterherliefen, so daß die Schüler praktisch nur noch auf Tests hin lernten. Das hat ein Ende, auch wenn viele Leute nicht verstehen warum und Angst haben, ohne ständige Überprüfung in Form von Multiple-Choice-Tests würden Kinder gar nichts lernen. Je mehr diese Tests eingerissen sind, desto weniger haben die Kinder gelernt, ist mein persönlicher Verdacht. „Sinnvolles Lernen“ bedeutet in erster Linie, daß man versteht, warum man lernt, und dann erst, was man lernt. Und Zusammenhänge kann man sowieso nicht in Tests abfragen, die brauchen auch manchmal Zeit, bis sie einem dämmern.

Quarta fängt heute die Oberstufe an – ihre letzten drei Jahre Schule. Für die Großen ist die Schule längst Vergangenheit. Ich hoffe, sie hat weiterhin Spaß an der Schule, auch wenn ihre Schule in vielem nicht mit der Kibbuz-Schule mithalten kann. Sie lernt gut und leicht und natürlich ist für sie Schule in erster Hinsicht Treffpunkt mit den Freundinnen… so ist das in dem Alter. Aber sie hat mit ihren Freundinnen auch den Sommer über fleißig Hausaufgaben gemacht und ist heute früh ganz vergnügt losgezogen. Die neue Klassenlehrerin ist nach Quartas Eindruck sehr nett, und die Klasse wird neu zusammengesetzt beim Übergang in die Oberstufe, je nach Schwerpunkten. Quarta hat Naturwissenschaften als Schwerpunkt gewählt. Es wird also viel Neues geben.

In Israel gibt es keine Schultüten, obwohl ich für meine natürlich bei der Einschulung welche gebastelt habe. Ich erinnere mich noch gut an die Schultüten für Primus´ ersten Schultag – eine große für ihn, zwei kleine für die kleinen Geschwister. Lang ist´s her. Aber ich bin froh, daß ich noch drei Jahre lang eine Schülerin zuhause habe. Es ist ein schöner Abschnitt im Leben, zumindest für mich als Mutter.

 

Quarta erzählt Juli 16, 2014, 21:06

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Quarta hat sich heute mit ihren Freundinnen aus der Jugendgruppe Maale Yosef getroffen, um die gespendeten Süßigkeiten, Snacks und Geschenke einzusammeln und abzugeben. In jedem Örtchen haben sich Unmengen von Sachen angesammelt – Quarta meinte, das ist nur ein kleiner Teil der gespendeten Geschenke. Es war die Idee und Iniative der Jugendlichen selbst. Sie haben alles organisiert, jedes Mädchen in ihrem Ort.

2014 07 17 presents for soldiers

Eigentlich sollten die Sachen ja an die Soldaten von kipat barzel gehen, aber seit Dror Hanin dabei umgekommen ist, ist klar, daß es viel zu riskant ist, in den Süden zu fahren und aufs freie Feld zu gehen. Und die Soldaten haben ja extra darum gebeten, das NICHT zu tun.

Doch wir haben ja hier die Basis Zarit ganz in der Nähe. Wir hören die Artillerie, wenn sie nach Raketenbeschuß auf uns zurückfeuert (immer genau auf den Abschußort), und Quartas Freundinnen aus Shomera und Zarit hören es noch viel besser.

 

2014 07 17 presents II

Schließlich entschlossen die Mädchen sich, diese Basis mit den Sachen zu beglücken. Einer der Väter stellte sich als Fahrer zur Verfügung, und sein Kombi war schnell picke-packe-voll.

2014 07 17

So fanden sich die Mädchen mit einer Gruppe Soldaten wieder, die sich unheimlich freuten. Sie haben einen nicht einfachen Dienst, die freien Wochenenden sind gestrichen, und jederzeit kann es neuen Beschuß geben, auf den sie angemessen beantworten müssen – nicht heftig genug, um eine Eskalation herbeizuführen, doch energisch genug, um vor weiterem Beschuß abzuschrecken. Außerdem besteht natürlich immer die Gefahr von eindringenden Terroristen und Entführungen – gerade in Zarit ist das ja schon vorgekommen.

2014 07 17 picture with soldiers smilies

 

Die Soldaten zeigten den Mädchen ihre Arbeitsplätze.

2014 07 17 on top of artillery with hearts

Quarta fragte etwas schüchtern, ob das denn nun die Dinger seien, die so schrecklichen Lärm machen, und vor denen sie Angst hat. Und die Soldaten erklärten ihr, daß die Geschosse ihr nichts tun und daß sie davor keine Angst zu haben braucht. Im Gegenteil, es ist gut, daß es die Artillerie dort gibt – sonst gäbe es wahrscheinlich viel mehr Beschuß aus dem Libanon.

Ich habe Quarta das auch schon gesagt, aber es klingt natürlich viel überzeugender, wenn es nicht mitten in der Nacht von einer Mutter kommt, während die Scheiben im Haus klirren, sondern von einem selbstsicheren jungen Mann in Uniform…

2014 07 17 inside artillery with stripes

 

Die Mädchen waren stolz, daß sie den Soldaten eine Freude gemacht hatten, und Quarta kam sehr vergnügt wieder.

Ja, und solche Bilder können natürlich einen in der Wolle gefärbten Pazifisten, für den jeder Soldat potentieller Mörder ist und Militär grundsätzlich übel, dazu bringen zu denken: ach, wie die armen Kinder in Israel indoktriniert werden! schlimm schlimm!

Ich hoffe aber, daß, wenn Ihr den Kontext zulaßt und versteht, das Ganze anders aussieht. Alle diese Mädchen haben ihre Väter, Brüder, Schwestern und Nachbarn in Uniform gesehen. Sie wissen alle, daß sie auch in drei Jahren eingezogen werden. Die Armee ist für sie Teil ihres Lebens, und zwar ein positiver. Wir sind ja unlängst zugezogen, aber Quartas Freundinnen sind hier großgeworden und erinnern sich deutlich an die Zustände vor 2006. Sie sind praktisch im Luftschutzraum großgeworden – immer wieder waren Angriffe. Auch ihre Eltern sind damit aufgewachsen. Ihre Väter haben teilweise im Libanonkrieg I, oft auch II gedient. In ihren Klassen sitzen libanesische Kinder, deren Väter Offiziere in der Südlibanesischen Armee gedient haben und die 2000 fliehen mußten.

Und so kommt es, daß Quarta und ihre Freundinnen sich Gedanken machen, wie man den Soldaten eine Freude machen kann, und das auch umsetzen. Quarta hat jetzt weniger Angst vor dem schrecklichen Geräusch der Artillerie, und wenn wir es noch einmal hören sollten, chalila, wird sie daran denken, was sie heute gesehen hat.

Ist es schlimm, so aufzuwachsen – mit echter Bedrohung und greifbarer Notwendigkeit, sich zu verteidigen? Ich glaube nicht, daß es schlimm ist, sonst wäre ich ja nicht hier. Es ist nun mal die Realität für Israelis, und als ich einen Israeli geheiratet habe (Irrsinn, ich weiß 🙂 ), da habe ich den Konflikt mitgeheiratet. Und meine Kinder haben ihn gewissermaßen in den agalul gelegt gekriegt. Solange er nicht gelöst ist, gehört er zu unserem Leben, und wir können nur dafür sorgen, daß unsere Kinder nicht darunter leiden, sondern gesund und selbstbewußt und angstfrei aufwachsen. Oh, und ohne Haß – man kann loyal zum eigenen Land sein, ohne Haß oder Häme anderen gegenüber zu empfinden.

Nachtschlaf Juli 15, 2014, 3:20

Posted by Lila in Kinder, Persönliches.
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Seit Jahren kämpfe ich mit Schlafstörungen. Gestern abend hatte mein Schlafdefizit solche Ausmaße angenommen, daß ich ganz früh schlafen ging und auch tatsächlich einschlafen konnte. Gegen elf Uhr kam Quarta ins SChlafzimmer, blaß und zitternd. Sie wollte uns ja eigentlich nicht wecken, aber sie hält es nicht länger aus. Ob wir nichts hören?

Tatsächlich war der Lärm der Artillerie so heftig, daß bei uns alle Glasscheiben schepperten. Kaum zu glauben, daß ich dasvon nicht aufgewacht bin. Y. versicherte Quarta, daß das nicht gefährlich ist für uns, aber Quarta meinte, wenn die Artillerie schießt, dann muß auch hier vorher eine Rakete gefallen sein. Und so war es auch. Zwei Raketen sind ganz bei uns in der Nähe niedergegangen – Quarta ist sicher, daß sie eine davon gehört hat. Alarm war aber nicht.

Das fand sie am verstörendsten – wenn man sich nicht darauf verlassen kann, daß bei Raketenangriffen die Sirene heult. Eine Stunde lag sie wach und hatte Angst, bis sie uns schließlich weckte. Ich ging dann mit ihr nach unten und machte es mir auf der Couch gemütlich. Aber ist doch nicht ganz dasselbe wie ein Bett. Sie schläft tief und fest, ich erweitere mein Schlafdefizit.

In den Zeitungen steht was von Waffenstillstand – das wird die Gruppen im Libanon, die auf uns feuern, nicht beeindrucken. Auch die Syrer nicht, die immer wieder die Golanhöhen beschießen. Und wie weit uns das mit der Hamas im Gazastreifen langfristig bringt, ist auch nicht klar. Sie nicht zu entwaffnen ist ungefähr so vorsorglich wie einen starken Raucher mit seinen gebunkerten Zigaretten allein zu lassen, damit er sich in Ruhe das Rauchen abgewöhnen kann. Solange die Hamas und Konsorten Waffen zur Verfügung haben, werden sie die irgendwann einsetzen. Aber erkär das mal einem Europäer.

Wenn ich mal wieder eine ganze Nacht durchschlafen kann – das wird schön.

Gelacht Mai 23, 2014, 22:57

Posted by Lila in Deutschland, Kinder, Uncategorized.
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In meiner Familie sind ja gräßliche deutsche Lieder und Geschichten ein running gag. Ob es das Häschen ist, das spazieren ging und dabei fast vom Mühlrad zermalmt wurde, oder der kleine Schelm im Hafersack, oder der blutige Zinken auf der Fahrt in die Ferne mit Sauerkraut und Speck… ganz zu schweigen vom Räuberbräutigam oder Blaubart oder den ausgestochenen Augen von Rapunzels Prinz oder Max und Moritz im Ofen oder Mahlwerk… meine Kinder und Y. können sich darüber sehr amüsieren, daß man sowas in Deutschland für kindertauglich hält. Mir selbst fällt erst jetzt auf, wie viel Gewalt und Tod in den Liedern steckt, die wir als Kinder im Auto gegrölt haben – wir lagen vor Madagaskar (…und täglich ging einer über Bord) oder der Herr Quintilius Varus (…und es war ein Moderduft wie von Blut und Leichen…).

Primus hat in seiner Zeit in Deutschland die folgende Karikatur entdeckt und sich zu eigen gemacht:

Wenn ich was auf Deutsch sage, ruft er in zackig-brachialem Ton: Staubsauger! Zahnbürste! SCHMETTERLING!!! und kringelt sich vor Lachen mit seinen Geschwistern über den Klang. (Ich schlage selbstverständlich zurück – das Hebräische klingt ja auch nicht gerade wie säuselnder Wohllaut… und für jemanden, der beide Sprachen nicht beherrscht, ist das Klangbild vermutlich ähnlich. Schachaf – dachaf – mechirat chissul!)

Vorgestern hielt mir Quarta ihr Telefon unter die Nase (ja, das Abendland geht selbstverständlich auch bei mir zuhause unter) und meinte: guck mal, da macht sich auch jemand über deutsche Kindergeschichten lustig!

Beide Mädchen fanden den Film milde lustig und wunderten sich, als ich sie fragte: ja kennt ihr denn die Geschichte nicht? Nö, meinten sie, ist das wirklich eine deutsche Kindergeschichte? Mama, du spinnst, das gibt es nicht.

Ich habe ja sämtliche Kinderbücher auf Deutsch aufbewahrt und holte mit einem Griff den Struwwelpeter raus, den wir wohl haben, den ich den Kindern aber nie vorgelesen habe. Inzwischen lachte ich so hysterisch, daß ich das Buch nur noch auf den Tisch legen und mit dem Finger auf den armen Konrad weisen konnte.

Die Mädchen schnappten nach Luft, schnappten sich das Buch und fingen auch an, unbändig zu lachen. Das brennende Paulinchen, der fliegende Robert, der Suppenkasper mit der Suppenschüssel auf dem Grab – die Kinder wollten nicht glauben, daß man sowas deutschen Kindern tatsächlich erzählt hat.

Hat man aber. Und nicht nur das – der Struwwelpeter ist auch auf Hebräisch übersetzt worden (Yehoshua ha-parua, der wilde Joshua). In der Kinderbücher-Sammlung unserer Hochschule habe ich die hebräische Erstausgabe selbst gesehen.

Ich habe irgendwann mal gelesen, daß der Autor die gräßichen Konsequenzen kindlichen Fehlverhaltens mit Absicht grotesk übertrieben hat. Das war mir als Kinder aber nicht klar. Mir jagte der Zappelphilipp den größten Schrecken ein – ich war sicher, daß er unter der Tischdecke bleiben muß – die kam mir vor wie zu einem Berg erstarrt. Und ich konnte das ganze Buch noch auswendig – ein Anfangsvers, und ich kann weiterrattern.

Vermutlich werden die Kinder ab jetzt nicht nur Aschenputtel! Schlafanzug! TEPPICHKLOPFER!!! rufen, sondern auch Suppenkasper! Wüterich! DAUMENLUTSCHER!!!!!

Nichts zu sagen März 2, 2014, 6:02

Posted by Lila in Bloggen, Kinder, Persönliches, Presseschau.
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Wenn ich in den letzten Wochen stiller war als sonst, hat das ganz banale Gründe. Ich bin mit Arbeit zugeschüttet, habe andere Sorgen und weiß nicht mehr, was ich zu den abstrusen Dingen sagen soll, die sich in der Welt abspielen. Oder in den deutschen Medien. Ich ärgere mich wohl, wenn ein dümmlich verleumderischer Artikel über Christen in Israel im SPon erscheint, aber wie froh bin ich, wenn Claudio Casula die passende Antwort gibt. Jedoch die Kommentare zum Artikel zeigen, wie erfolgreich die Indoktrination gegen Israel ist. Es vergeht einfach kaum ein Tag ohne anti-israelischen Artikel in deutschen Medien. Das Lügenfest nach der Schulz-Rede war ja auch ein Beispiel.

Davon wird mir nur noch übel. Alle Beschwörungen der Freundschaft beim Merkel-Besuch können darüber nicht hinwegtäuschen. Und ich kann dazu manchmal einfach nichts mehr sagen. Der Anti-Israel-Reflex funktioniert bei manchen Leuten eben sicherer als andere Gehirnfunktionen. Sehr traurig.

Ich gehe diesen Dingen manchmal bewußt aus dem Weg. Ich weiß nicht, ob es irgendwann mal historische Gerechtigkeit für Israel geben wird, eine Richtigstellung, damit den Leuten klar wird, daß die meisten ihrer Glaubenssätze über Israel einfach nur falsch sind. Ich sehe es nicht am Horizont. Eher eine Verschlimmerung. Es ist normal, gegen Israel zu sein, so wie man gegen Tierversuche, gegen Kinderpornographie und gegen Kernenergie ist. Manchmal fällt mir dazu einfach nichts mehr ein.

Manchem mag auch aufgefallen sein, daß ich, seit die Kinder älter sind, weniger aus dem privaten Leben erzähle. Sie gehen ihre eigenen Wege, und ich fühle mich nicht befugt, davon zu erzählen. Aber in ein paar Stunden fährt Tertia zum letzten Mal den langen, langen Weg in ihre Basis südlich von Beer Sheva. Und am Dienstag ist auch ihre Zeit bei der Armee abgelaufen.

Ich kann nicht fassen, daß drei meiner Kinder die Armee damit hinter sich haben. Tertia wird auch keinen Reservedienst machen müssen. Die Jungens haben ebenfalls im Moment keinen Reservedienst, weil die Armee Geld spart – was mich für die Jungens freut, für die Armee aber eher besorgt macht. Jedenfalls haben alle drei eine interessante Armeezeit gehabt. Secundus mit Abstand die schwierigste, Tertia mit Abstand die interessanteste. Keiner von ihnen hat sich verpflichtet oder eine Armee-Karriere angestrebt, obwohl sie die Chance gehabt hätten. Damit ist Y. immer noch der hochrangigste Offizier der Familie (auch in der weiteren – seine beiden Onkel sind ebenfalls Major). Aber wir hatten nie Ehrgeiz in der Hinsicht und sind zufrieden, daß sie viel gelernt haben, sich bewährt haben und auch neue Freunde kennengelernt haben.

Jedenfalls bin ich froh, daß ich Tertia heute zum letzten Mal in Uniform mit der schweren Tasche losziehen sehe. So gut ihr das beige steht – zwei Jahre sind genug.

 

Freude und Leid Februar 23, 2014, 13:23

Posted by Lila in Katzen, Kinder, Uncategorized.
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Am Wochenende hatten wir eine richtig große Familienfeier, mehrere Geburtstage zusammen und viele Gäste. Ich hatte alles richtig strategisch geplant und zwei Tage lang in der Küche gestanden. Nichts macht mich ja froher als um mich herum Leute zu sehen, die sich mit meinem Essen vollstopfen.

Die junge Generation hat ja inzwischen kleine Kinder bekommen, und zu meiner großen Freude fühlten die sich im Garten sehr wohl und buddelten fröhlich in der Erde herum. Daß der Garten (trotz fast regenloser Wintermonate) voller Unkraut ist, störte weder die Kleinen noch ihre Eltern und mich ehrlich gesagt auch nicht. Ich bemühe mich, jeden Tag eine halbe Stunde Garten einzuschieben, aber das klappt nicht immer.

In Y.s Familie ist es eigentlich üblich, sich zu einer festen Stunde zu treffen und auch relativ schnell wieder zu verschwinden – noch ein Überbleibsel aus Kibbuz-Zeiten, wo wir uns ohnehin jeden Freitagabend im Speisesaal und jeden Samstagabend bei der Oma trafen. Aber ich habe wegen der vielen jungen Familien und der langen Fahrtzeit flexible Zeiten angesagt. Ab mittags war offenes Haus, jeder kam, wann es seinen Kindern oder ihm selbst am besten paßte.

Ich hatte zwei Buffets vorbereitet, eins mit salzigen Sachen und eines mit Kuchen. Und weil wir endlich Platz genug haben, saßen überall die bereits erwähnten futternden Grüppchen. Zu meiner sehr großen Freude. Und zu meiner noch größeren war diesmal auch ein lieber Verwandter von mir dabei, der durch Zufall ausgerechnet an diesem Tag ein paar Stunden von einer Dienstreise abknapsen konnte.

Ja, das war ein schöner Tag und ich habe mir vorgenommen, daß wir jedes Jahr im Frühling so eine große Familien-Einladung machen.

Und das Leid. Ach, wer keine Haustiere hat, weiß nicht, wie man an so einem Tier hängen kann. So viele Menschen leiden in der Welt, daß man sich fast schämt, um ein Tier traurig zu sein – aber nur fast.

Achtzehn Jahre haben wir unsere Mini, treu und etwas barschen Charakters. Sie hat mehrere Umzüge gleichmütig verkraftet und jedes neue Revier ohne Anpassungsschwierigkeiten übernommen und beherrscht. Daß ihre Lieblingsmenschen einer nach dem anderen nur noch unregelmäßig auftauchten, noch dazu  in seltsam riechenden Uniformen, hat sie irritiert hingenommen, dann aber ihre Zuneigung auf mich übertragen.

In den letzten Jahren war sie immer in meiner Nähe. War ich in der Küche, dann saß sie auf dem Kratzbrett und guckte mir zu. War ich im Garten, saß sie unter der Bougainvillea und guckte mir zu. Saß ich am Schreibtisch, dann fläzte sie sich mit dem unfehlbaren Instinkt der wahren Katze genau über die Bücher, Artikel oder Blätter, die ich brauchte – oder über die Tastatur. Ja, sie hat sogar mehrmals Dokumente gedruckt, indem sie auf die entsprechende Taste gedrückt hat. Wenn ich Wäsche aufhänge, muß ich mich nicht umgucken, um zu wissen, daß sie hinter mir her stolziert.

Achtzehn Jahre. In dem Sommer, als wir sie adoptierten, kam Primus ins erste Schuljahr und ich fing mein Kunstpädagogik-Studium an. Heute ist Primus ein junger Riese von fast 24 Jahren, und ich unterrichte längst in den Sälen, in denen ich einst studiert habe. So vieles hat sich verändert, aber die bescheidene, manchmal etwas mürrische Tigerkatze, die den Katern im Haus von Anfang an zeigte, wer die Oberpfote hat, war immer dabei.

Wir haben über sie gelacht – wie jämmerlich sie uns anguckte, um zur Terrassentür rausgelassen zu werden, als hätte sie ihr Leben lang darauf gewartet. Und wie rasend schnell sie von der Terrasse nach vorne rannte, den Baum raufkletterte,  um auf den Balkon zu springen und dort ebenfalls mit sehr betrübtem Gesicht kläglich an der Tür zu kratzen, als hätte man sie ausgesperrt. Oft kamen wir die Treppe nicht so schnell hoch, wie die Katze vom „ach laßt mich doch raus“ zum „ach laßt mich doch rein“ wechselte.

Sie hat schon lange abgebaut, wurde magerer (obwohl wir für das ihr genehme Fressen pro Tag mehr ausgaben als für die anderen Katzen  in der Woche) und ruhiger, aber machte einen fitten und wachen Eindruck. In der letzten Woche aber ist sie ein Schatten ihrer selbst und es ist sehr traurig, sie so zu sehen. Der Tierarzt macht uns keine Hoffnungen mehr. Sie ist stoisch wie alle Katzen, aber wir haben den Eindruck, sie leidet. Heute abend fahren wir alle zusammen noch einmal mit Mini zum Tierarzt. Die Großen haben sich dafür freigenommen. Alle Optionen sind offen.

Aus einem Nest Februar 10, 2014, 18:43

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1.

Primus kam heute kurz nach Hause. Auf dem Weg sprang er schnell in die Buchhandlung. Die Buchhändlerin kennt ihn, Tertia und auch mich, obwohl ich keine hebräischen Bücher kaufe – aber irgendwie haben wir es an uns, daß Buchhändlerinnen uns in Erinnerung behalten. Primus und Tertia, meine Leseratten, sind Dauerkunden in der Buchhandlung, allerdings fast nie zusammen.

Heute also bezahlte Primus seinen Stapel Bücher, und die Buchhändlerin meinte: „am Freitag war deine Schwester hier und hat genau dieselben Bücher gekauft!“ Typisch meine Kinder. Tertia hat vier Bücher gekauft, Primus fünf – drei davon waren identisch. Was Primus allerdings mehr gewundert hat, ist, daß die Buchhändlerin ihn und Tertia als Geschwister kennt. Jetzt fachsimpeln sie am Telefon von ihren Büchern.

2.

Die Tage sind trocken und frisch, die Nächte aber richtig kalt. Freitagabend beschlossen die Mädchen, daß sie im Wohnzimmer schlafen, wo es schön warm ist. Auf einmal waren sie wieder wie früher, als sie klein waren, holten aus ihren kalten Zimmern Decken und Kissen, und richteten sich auf den Sofas ein. Sie legten sich so hin, daß sie mit den Köpfen nah beieinander waren und sich unterhalten konnten.

Als wir die Treppe hochgingen, hörte ich Wellen von Kichern, Quietschen und Flüstern. Ach, meine Mädchen, sie haben die halbe Nacht getuschelt und sind dann eingeschlafen, unter Bergen von Decken.

Ganz süß Februar 6, 2014, 16:43

Posted by Lila in Kinder, Land und Leute.
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ist er, meinte meine Tochter. Na ja, wie alte Leute eben sind, aber echt nett.

Shimon Peres ist damit wohl (wer weiß für wie lange) ins Guinness-Buch der Rekorde gekommen. Er hat 9000 Schüler gleichzeitig online unterrichtet, in Staatsbürgerkunde. Und meine Tochter war dabei. Sie hat keine Frage gestellt, aber sie meint, es war interessant.

Guinness official Marco Frigatti says Peres achieved the record Thursday morning when he taught the largest online civics class in the world.

Frigatti says Guinness liked the idea „because it combines civics, technology and a teacher who has seen the country from its origins to today.“

Das kann man wohl sagen. Und „von seinen Anfängen“ kann man auch recht weit fassen – niemand wäre überrascht, wenn sich herausstellte, daß Peres schon mit Jakob und Joseph durch Hebron getrottet ist.

Geburtstag August 24, 2013, 23:39

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Jeder Geburtstag eines meiner Kinder ist denkwürdig. Primus war der Erste, alles war neu und beglückend… und seine Geburt hat mich zur Mutter gemacht (keine Ahnung, was ich vorher war – ein verrücktes Huhn? dann bin ich jetzt eine verrückte Glucke, ist das ein Fortschritt?). Secundus´Geburt war leicht und geradezu angenehm und er selbst ein sehr pflegeleichtes Baby, das war die reinste Idylle. Quartas Geburt war die schwerste und letzte, und ich hatte danach wirklich das Gefühl: ich muß das nicht noch mal haben.

Aber Tertia? Mein Gott, Tertia. Eigentlich war ihr Geburtstag ja für Oktober vorgesehen. Ich weiß noch, wie ich im Kreißsaal lag, in einem abgeteilten Intensiv-Zimmerchen, und um jeden Tag betete. Ich wollte es unbedingt bis Goethes Geburtstag schaffen, doch da wurde nichts draus, sie kam vier Tage früher bzw mußte geholt werden. 1200 Gramm, mager wie ein Spatz, aber schon unglaublich niedlich wegen dieser riesigen Augen. Ich durfte erst zwei oder drei Tage nach der Geburt aufstehen und sie sehen. Das hilflose Gefühl, als ich über diesem offenen Wärmetisch stand, auf dem sie lag, an alle möglichen Apparate angeschlossen, werde ich nie vergessen. Sie hat es nicht leicht gehabt in ihren ersten Monaten, im ersten Jahr, und auch danach noch oft genug mit Asthmaanfällen im Krankenhaus gelegen. Wo alle uns kannten, weil wir so oft da waren. Ach, bis sie die vier Stunden Pause zwischen zwei Inhalationen schaffte! Wie lange dauerte das jedesmal.

Mein Schwiegervater, der ein sehr lieber Opa ist, erinnert sich noch, wie er uns mal im Krankenhaus besucht hat, als sie noch klein war, aber schon sprechen konnte. „Na, Tertia“, fragte er sie, „was würdest du denn gern essen?“, und Tertia antwortete, „Hühnchen zuhause“. Sie war nicht so oft zuhause in der Zeit. Primus war drei Jahre alt, als sie geboren wurde, Secundus anderthalb. Ja waren wir denn wahnsinnig? Wir waren es vermutlich, aber es fiel uns gar nicht auf. Ich weiß noch, wie ich mal bei Regen durch den Kibbuz lief, Tertia vor den Bauch gebunden, Secundus auf einer Hüfte und Primus im Wagen. Und eine ältere Frau fragte mich, wie ich es denn durchhalte, es muß ja so schwierig sein und so. Ich habe sie nur blöd angeguckt. Meistens kam es mir nicht schwierig vor, nur wenn Tertia krank war oder ich im Flugzeug mit allen drei Kindern allein war und sie alle drei gleichzeitig aufs Klo mußten bzw trockengelegt werden. Im Sinkflug.

Ach, meine Tertia. Von klein auf wußte sie immer genau, was sie wollte und was nicht. Es hat nie jemand fertiggebracht, sie von etwas zu überzeugen, das sie ablehnt. Ihr Motto war: ALLEIN! Sie wollte alles allein machen. Wenn sie ALLEIN morgens in den Kindergarten stapfte, schlich ich hinterher und die Kindergärtnerin lauerte hinter Büschen, wenn sie kam (waren ja ca. drei Fußminuten). Wehe, sie sah uns.

Sie ist auch öfter mal ausgebüxt. Wenn sie einen Ausflug machen wollte, zum Skulpturengarten z.B., dann ging sie einfach. Gott sei Dank haben nette Kibbuzniks sie immer wieder zurückgebracht, bevor ich vor Sorge wahnsinnig werden konnte. Wenn ich mich recht erinnere, haben sie aber vorher Tertia dahin mitgenommen, wo sie hinwollte.

Jetzt ist sie schon zwanzig Jahre alt! Eigentlich wollte ich ja mit ihr ins Krankenhaus Nahariya gehen, wo sie geboren wurde, und dort nochmal Danke sagen, vielleicht die Hebamme finden, die mich damals unterstützt hat und deren Namen Tertia trägt. Aber daraus wurde nichts, denn die Familie kam zu Besuch und Tertia ist nicht so sentimental wie ich. Sie ist charakterlich ganz und gar ihr Vater, mit viel Humor und Sinn fürs Lächerliche gesegnet, und einem sehr sachlichen, objektiven und oft auch kritischen Blick auf die Welt. Niemand kann meiner Tochter was vormachen.

Jedes Kind ist ein Geschenk und ein Wunder, da gibt es keine Unterschiede. Aber der Weg, den meine Tertia zurückgelegt hat, war besonders lang und steinig. Ihr ist gar nicht bewußt, daß sie in allerfrühstem Alter bereits Willenskraft bewiesen hat, die in keiner Relation zu ihrer Winzigkeit stand. Darum habe ich für dieses Kind von Anfang an eine Extraportion Respekt verspürt.

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.

Heinrich, der Wagen bricht Juni 27, 2013, 15:35

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Gestern saß ich mit einer lieben Freundin auf der Terrasse. Es war gemütlich, wir tranken Wasser mit Minz- und Verbene-Blättern kannenweise, und wir genossen die federleichte Brise. Überraschend ging die Terrassentür auf, und Secundus stand neben uns. Er begrüßte meine Freundin höflich und grinste mich an. „Mama, heute fängt mein Entlassungs-Urlaub an, und in drei Wochen ist meine Armeezeit vorbei,“ sagte er, und ich hatte auf einmal ganz verdammt feuchte Augen. Secundus haßt Gefühlsausbrüche, erst recht vor Zeugen, also sagte ich wie zum Scherz, „na, darf ich bei diesem freudigen Anlaß um eine Umarmung bitten?“, und er legte seine Arme um mich. Ich drückte ihn ganz fest, und er strich mir ganz leicht ein paarmal über den Rücken. Keine Ahnung, ob er gespürt hat, daß die eisernen Bänder um mein Herz sprangen und zerbrachen.

Das Leben ist immer lebensgefährlich, mütterliche Sorgen hören nicht auf, und ich finde ja immer was, womit ich mich verrücktmachen kann. Secundus wird nun von zuhause ausziehen und sein eigenes Leben anfangen, ich werde ihn seltener sehen, und wie bei Primus akzeptieren müssen, daß unser Nest für die Kinder nur der Abflughafen ist. Was ja gut und richtig ist. Meine Erleichterung gilt also nicht einer Illusion, daß ich ihn nun zurück unter meinen Flügel stopfen kann. Nein nein, er ist erwachsen und frei.

Nach wie vor besteht die Armee mit ihren Gefahren, unter anderem auch der Gefahr, Unrecht zu tun oder Macht zu mißbrauchen. Ich habe fünf Jahre damit gelebt, daß mindestens einer meiner Söhne Uniform trägt und andere schützt, statt selbst geschützt zu werden, und für die Zwecke des Lande Gesundheit und Leben einsetzt. Ich habe damit gelebt, daß sie an der vordersten Front eines häßlichen (und in meinen Augen gänzlich überflüssigen) Konflikts stehen, daß sie irrationalem Haß ausgesetzt sind und auch in Gefahr sind, selbst irrationalen Haß zu empfinden. Tertia hat noch ein Jahr vor sich, aber sie dient in einer Position ohne „Feindberührung“ und hat mit anderen Schwierigkeiten zu kämpfen, aber nicht mit Felsbrocken und Molotov-Cocktails, die nach ihr geschleudert werden. Die Jungen werden Reservedienst leisten und falls es, chalila, zu einem Krieg kommen sollte, werden sie natürlich dabeisein. Ich habe keine Illusionen. Aber fünf schwere Jahre, seit Primus 18 war und eingezogen wurde, können wir jetzt abhaken.

Schwierige Momente waren dabei. Wie wir Primus in Bisnam, wo er seine Grundausbildung gemacht hat, nach einem Familienbesuch zurücklassen – wie er mich umarmt und wir beide lächeln und optimistisches Zeug reden, obwohl wir beide wissen, daß er am liebsten mit nach Hause kommen würde, und wie ich ihn dann beim Wegfahren dastehen sehe – wie seine Schulter nach vorne sacken. Dann habe ich bis Beersheva meine Tränen  nicht stoppen können.

Wie letzten November Secundus mich anrief und informierte, daß er sein Telefon abgeben muß, weil sie in den Gazastreifen rein müssen, und ich auf dem Sofa vor dem Telefon campiert habe, bloggenderweise. „Aktion Wolkensäule“ hat mich um Jahre altern lassen.

Auch gute Momente gab es. Die Besuche in der Grundausbildung, Picknick auf dem Eltern-Parkplatz, Begrüßungen und Vorstellungen, „das ist mein Freund Segal,“ und man bietet sich gegenseitig Kuchen an. Die Zeremonie am Ende der Grundausbildung, vor der Klagemauer in Israel, als alle zusammen Ha-tikva sangen. Die Zeremonie am Ende der Sani-Ausbildung, bei beiden Söhnen, die stolzen Gesichter. Autofahrten, wenn die Jungens auf einmal viel erzählten, was sie zuhause nicht erzählen würden. Die Diskussionen mit ihrem Vater, wenn Desillusionierung über die Armee und tieferes Verständnis für moralische Dilemmata sich abwechselten.

Viele gute Erinnerungen haben damit zu tun, daß beide combat medics sind. Wie sie mir beide gleichzeitig Blut abnahmen, aus beiden Ellbogen, ich mit geschlossenen Augen, und mußte hinterher sagen, welcher Pieks weniger geschmerzt hat. (Das war einfach: beide legen einen venösen Zugang butterweich und vollkommen schmerzfrei, und beide können das auch mit einer Hand oder im Dunkeln.) Secundus, als er anerkennend über einen der verletzten Syrer sagte: „das war ein richtiger Kerl, wie der Schmerzen ausgehalten hat – da hatten wir großen Respekt“. Primus nach seinem ersten Einsatz, als er ein schwerverletztes kleines Mädchen nach einem Minen-Unfall behandelte und hinterher in den Medien verfolgte, wie sie sich erholte.

Ich bin froh, daß beide eine Aufgabe gewählt haben, in der sie Leben retten und nicht vernichten. Beide Söhne haben arabische Verletzte ebenso behandelt wie jüdische, und dafür bin ich dankbar. Sie haben viel gelernt, viel mitgemacht und viel erlebt, mir natürlich nur einen Bruchteil davon erzählt.

Nein, weder Secundus noch meine Freundin haben bemerkt, was das für ein Moment war, gestern auf der Terrasse.

יותר מזה אנחנו לא צריכים

Grinsend oder quietschend Mai 10, 2013, 10:14

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Tatsächlich, ich habe es die ganze Woche über geschafft, vor Tertia und Secundus geheimzuhalten, daß Primus zuhause ist. Quarta ging es sehr schlecht, die Woche war nicht einfach, und es war gut, daß mein Großer da war, während ich arbeiten mußte. Gestern aber war es endlich so weit. Primus hatte gekocht, seine Geschwister machten sich auf den Weg nach Hause. Secundus kam von Har Dov, Tertia von Nevatim. Sie kamen fast gleichzeitig an.

Secundus kam reingetigert, sah seinen großen Bruder, sagte: „hey, Primus, wie geht´s? was gibt es zu essen?“, und grinste ein bißchen. Sie klopften sich gegenseitig auf die Schultern und in den Nacken. Dann setzte Secundus sich hin und lud sich den Teller voll.

Tertia sah Primus von weitem, quietschte laut „Priiiiiimus!!!“, warf ihre Taschen von sich, sprang ihm an den Hals und jubelte. Quarta sprang sofort hinterher. Dann stellte sie ihm ganz viele Fragen hintereinander. Primus strahlte, die Arme voller Schwestern. Genauso hatte er sich die Reaktionen seiner Geschwister vorgestellt.

Schließlich saßen wir um den Tisch, alle vier, und ich. Gegen Abend kam auch der Vater nach Hause, womit wir komplett waren. Ich genieße jede Minute, in der ich alle Kinder zuhause habe.

Es ist für mich immer wieder unfaßbar, wie verschieden sie sind. Es relativiert auch die elterliche Illusion vom Einfluß der Erziehung.

Primus hat mich neulich danach gefragt, wie ich die Rolle der Erziehung sehe. Ich habe ihm gesagt, daß ich die alte Metapher vom Erzieher als Gärtner ganz passend finde. Der Gärtner kann seine Pflanzen vor Frost, Wühlmäusen und Dürre schützen, er kann ihnen im Rahmen des Möglichen optimale Bedingungen schenken, so daß sie sich entwickeln können. Falsche Behandlung kann Schäden hinterlassen, die Pflanze kann krumm wachsen oder dahinkümmern. Aber kein Gärtner der Welt kann aus einer Eiche ein Veilchen oder aus einer Mimose eine Prunkwinde machen.

In unserem familiären Garten jedenfalls sind vier vollkommen verschiedene Individuen herangewachsen. Klar, wie wohl in jeder anderen Familie auch – meine drei Geschwister und ich sind auch grundverschieden. Was müssen wohl Eltern von sieben oder zehn Kindern empfinden, wenn sie sehen, wie die Kinder großwerden und jedes ganz anders ist als die anderen?

Danke Februar 20, 2013, 21:04

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für die schönen Geschichten. Jeder, der mit dem kleinen Wassermann und der Witwe Schlotterbeck aufgewachsen ist, dem Müllerburschen Tonda, Thomas Vogelschreck und den Brüdern, die das Einhorn suchen – der wird wohl heute einen Moment innehalten und Abschied nehmen.

Kinderliteratur stiftet Identität. Primus hat mir erzählt, wie stark diese Brücke trägt, und wie viel näher er deutschen Gesprächspartnern sofortvorkommt, wenn er den Räuber Hotzenplotz erwähnt. „Den kennst du?“ „Na klar, mit dem bin ich aufgewachsen.“ Das habe ich meinen Kindern weitergegeben, sowohl Kinderliteratur meiner Generation als auch neuere Bücher.

Ich selbst hatte den kleinen Wassermann besonders gern, weil ich die Welt unter Wasser so zauberhaft fand. Der Wald der kleinen Hexe war schön, die Burg und das Örtchen Eulenstein, wo das kleine Gespenst spukt, natürlich ebenfalls, aber am liebsten war mir immer die Unterwasserwelt. Die wunderbaren Illustrationen haben bestimmt dazu beigetragen, daß ich mir diesen See so wunderbar vorgestellt habe. Wie froh bin ich, daß ich in langen Vorlese-Abenden den Zauber weitergegeben habe. Kinderliteratur, die man als Kind mit Liebe gelesen hat, bleibt einem immer lieb, weil beim Lesen die eigene Kindheit, das eigene kindliche Lese-Ich wieder hochsteigen.

Nicht jeder verdient sich so liebevolle, bewegte Nachrufe wie Otfried Preußler. Solange noch Kinder mit dem kleinen Wassermann den Mondaufgang beobachten, lebt er weiter.

 

Komisch leer Februar 12, 2013, 9:48

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ist das Haus. Primus ist wieder in Deutschland, sein Deutsch endgültig aufpolieren. Als er sich für den Sprachkurs Deutsch anmelden wollte, sah die Sekretärin ihn verständnislos an. Sie dachte, er will eine Fremdsprache lernen – Deutsch kann er doch. Nur wenn man gut hinhört, erkennt man, daß er die Silben sorgfältig betont und nichts wegnuschelt, wie die Eingeborenen das tun. Hebräisch gefärbte Ausdrücke benutzt er kaum noch. Aber um studierfähig zu sein, muß er am schriftlichen Ausdruck feilen.

Secundus ist unterwegs. Am Sonntag hatten sie einen „Kulturtag“ in Jerusalem, aber wie war es? Och, ziemlich langweilig. Wenn man dann genauer nachfragt, stellt sich raus, daß es eigentlich ganz interessant war. Alle sechs Monate haben sie so einen Kulturtag und gucken sich gemeinsam Museen, Ausstellungen oder Einrichtungen an, hören Vorträge oder sonst allerlei Dinge, die sie sonst bestimmt nicht sehen und hören würden.

Tertia beweist ihr Talent, in schwierigen Situationen mit Humor, aber auch mit Schärfe zu reagieren, wenn sie muß. Um Tertia muß ich mir keine Sorgen machen. Mußte ich eigentlich noch nie, aber habe ich natürlich trotzdem immer. Seit sie als winziges Kleinkind energisch darauf bestand, alles allein zu tun, ist ihr Drang nach Unabhängigkeit kaum zu bändigen. Daß sie bei der Armee keine Probleme hat, sich einzuordnen, liegt daran, daß die Aufgaben interessant sind, die Freundinnen nett und daß es immer Gründe gibt, abends über die Ereignisse des Tages ausgiebig zu lachen. Wir telefonieren oft, auch wenn sie mir nicht viel erzählen kann.

Nur Quarta ist noch jeden Tag zuhause. Ich koche viel zu viel, daran merke ich, daß ich die Großen vermisse. Ich lüfte jeden Tag ihre Zimmer und räume ihnen die Wäsche ein und lege den Soldatenkindern Süßigkeiten zwischen die T-shirts, die sie manchmal gar nicht finden. Ich weiß nicht, wann dieses Rad der Sorgetätigkeit ausschwingt. So viele Jahre war es mit viel Arbeit verbunden, die Kinder großzuziehen, und obwohl ich es genieße, mehr Zeit zum Lesen, Häkeln und Arbeiten zu haben, irritiert es mich doch, daß die Woche über so gar nichts Kindermäßiges zu tun ist. Mit Quarta bin ich nicht ausgelastet, und die Katzen wehren sich gegen zu viel Zuwendung – außer Leo natürlich, der verschmust ist wie eh und je.

Ich sage ja immer – ein Familienhaus ist wie ein Schiff, das erst ab einer gewissen Ladung gut im Wasser liegt. Die Woche über ist unser Schiffchen eindeutig unterbelastet. Ich warte immer auf den Donnerstag, wenn mit Wäsche, Hunger und Bedürfnissen aller Art Secundus und Tertia eintrudeln, sich Wochenendbesuch ansagt und die Zeit eigentlich ebensowenig reicht wie der Kuchen. Und ich bin gespannt, wann Secundus anfängt, Pläne für die Zeit danach zu schmieden. Der Sommer rückt näher.

Nicht vergessen Dezember 8, 2012, 12:47

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Glueckliche Abende so wie gestern. Draussen rauscht der Regen, seit zwei Tagen fast ununterbrochen, die Katzen kommen empoert und gekraenkt von ihren Ausfluegen wieder und schuetteln die Regenperlen vom Pelz. Auf dem Tisch brennen Kerzen – die Pyramide und der Adventskranz. Quarta lernt die Weihnachtsmaus auswendig, Tertia mit ihrem messerscharfen Gedaechtnis souffliert ihr.

Die Drei luemmeln sich auf Couch und Sessel, gucken alte Folgen von „Friends“, die hier en bloc ausgestrahlt werden, und kichern entzueckt, auch Secundus. Um zehn Uhr haben sie auf einmal Nachthunger, und ich stelle mich tatsaechlich noch mal in die Kueche und mache ihnen was im Wok, das moegen sie so gerne. Danach wollen sie Eis-Schokolade, kriegen sie auch.

Als die Maedchen ins Bett gehen, liegt Secundus noch auf der Couch und sieht Bundesliga. Quarta guckt auf die Tabelle der Bundesliga-Spiele und lacht sich kaputt, wie Moenchengladbach auf Hebraeisch aussieht – als haette jemand einfach mal wild auf die Tasten gehauen, MNSCHNGLDBCH. Ich wiederum lache, als ich die Liste der englischen Liga sehe und mir vorstelle, wie ein Israeli, der sein Englisch vergessen hat, Niyukassl aus dem Hebraeischen konstruiert. Secundus ist froh, als er uns los ist.

Bestimmt schlaeft er wieder auf der Couch ein. Mir soll’s recht sein. Er erzaehlt, er lacht, er ist vergnuegt, er hat Berge von Waesche mitgebracht. Er hat schwierige Erlebnisse – viele der Autounfaelle, zu denen er gerufen wird, enden mit Toten, sehr oft mit toten Kindern. Palaestinensische Kinder, von denen viele nicht angeschnallt waren. Das ist bitter fuer die Rettungskraefte, und sehr traurig zu hoeren. Aber es ist gut, dass er erzaehlt, und dass er, soweit ich es beurteilen kann, eine Balance haelt zwischen Empathie fuer die Menschen, die er behandelt, und professionellem Abstand.

Naechste Woche faengt sein Kurs an, eine Weiterbildung. Dann ist er erstmal in Rishon, aus den Gebieten weg. Danach in den Golanhoehen, genau da, wo sein grosser Bruder war (und wo regelmaessig Geschosse aus Syrien fallen). Aber nur noch eine Woche Hebron. Fast, fast, fast bin ich erleichtert – ohne boesen Blick natuerlich, tfu tfu tfu.

Ein Uhr nachts, im Regen November 24, 2012, 18:46

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Das habe ich vorgestern nacht geschrieben:

Wir sassen im Auto, auf einem Parkplatz neben dem Busbahnhof, und warteten auf den Bus. Wir sahen ihn nicht, aber auf einmal klopfte es an die Scheibe. Mager und mit Bartstoppeln grinste Secundus uns an. Wir ersparen ihm sonst Peinlichkeiten, aber diesmal konnte er dem Sandwich-hug, diesem Kindheitstrauma, nicht entgehen. Er liess es sich auch gefallen.

Wir hatten eine warme Mahlzeit fuer ihn mitgebracht, und waehrend wir fuhren, futterte er erstmal. Dann fing er an zu erzaehlen.

Am Mittwoch vor einer Woche sassen sie in Hebron abends vor dem Fernseher, das ganze medizinische Team, und sahen in den Nachrichten, dass Israel den militaerischen Kopf der Hamas getoetet hatte. Der Arzt sagte sofort: das wird wohl Folgen fuer uns haben – und so war es auch.

Der Arzt und das ganze Team feilen staendig an der Einsatzbereitschaft, und so gab es keine Verzoegerungen, als die Befehle kamen und die ganze Einheit nach Sueden verlegt wurde. Die mobile Erstversorgung (taagad) war laengst zusammengepackt und einsatzfertig. Sobald der Ersatz kam, zogen Secundus und seine Kollegen, in Richtung Sueden. Secundus sagt, die Soldaten, die nach Hebron gerufen wurden, waren richtig sauer und protestierten: warum sollte die Nahal in den Gazastreifen duerfen und sie nicht? Sie waren kurz davor, den Befehl zu verweigern.

Secundus‘ Truppe fuhr nicht direkt an den Gazastreifen, sondern zuerst in eine andere Basis, zu allen moeglien Vorbereitungen. Dort ging alles recht reibungslos zu, zumindest die Dinge, die geuebt worden waren. Manches kann man aber nicht ueben, und Y. meinte, „fuer sowas ist ein Krieg doch nuetzlich- jetzt sitzt wieder alles“, bemerkte aber auch mit Befriedigung, dass die Lehren sowohl aus Libanon II als auch aus Oferet Yezuka gezogen worden waren. Die Armee verbessert sich selbst staendig, jedem Fehler wird nachgeforscht, fuer alles gibt es Mechanismen, und was nicht wie geschmiert geht, wird eben korrigiert, bis es sitzt.

Und dann sassen sie in Bussen und fuhren in den Sueden. Dort sahen sie pausenlos Raketen aus dem Gazastreifen aufsteigen, die ueber ihre Koepfe hinwegflogen und von kipat barzel aufgefangen wurden. Secundus sagt, dass sie vor Ungeduld brannten, auch etwas zu tun. Er sagt, man denkt in solchen Situationen gar nicht an die Gefahr, sondern nur daran, dass dieser Beschuss gestoppt werden muss, und dass sie bereit sind, alles zu tun, damit das passiert.

Es kamen immer mehr und mehr Soldaten, aus vielen Infanterie-Einheiten, regulaer und Reserve. Die Zeit ging schnell herum mit Vorbereitungen und Kennenlernen der neu hinzugekommenen Reservisten. Manche davon waren erfahrene alte Hasen, die nichts aus der Ruhe bringen konnte, andere waren noch wie schwindlig vom schnellen Uebergang, den sie nicht erwartet hatten.

Secundus verstand sich besonders gut mit einem, der zu ihm sagte: heute frueh habe ich noch mit meiner Frau auf der Terrasse Tee getrunken, und jetzt bin ich unterwegs in den Gazastreifen…. Secundus half ihm, sich schnell wieder an die Routine zu gewoehnen, dafuer hatte der Reservist seine Erfahrungen von frueheren Kriegen. Er hat Secundus zum Abschied ein Geschenk gemacht. Er sitzt bestimmt jetzt mit seiner Frau bei einer Tasse Tee und muss sich vorkommen, als haette er das nur getraeumt.

So haben sie sich alle darauf eingestellt, dass sie rein muessen, haben sich schon die Gesichter mit Tarnfarben bemalt, die enorm schweren Westen und Taschen und alles andere aufgebuckelt, und sind losmarschiert. Erst ganz knapp vor dem Gazastreifen hiess es auf einmal: Pause. Und nach einer langen Pause dann: Einsatz um 24 Stunden verschoben.

Secundus sagt, das war ein sehr schwieriger Moment, denn die Spannung fiel in nichts zusammen, aber vollkommene Entwarnung gab es auch nicht. Und das wiederholte sich dann ein paarmal. Die Soldaten vertrieben sich die Zeit mit Uebungen, mit „shiftzurim“, also Basteleien und Verbesserung der Ausruestung, und sahen den Raketen weiter zu. Der Krieg spielte sich in der Luft ab, die Infanteristen warteten auf ihren Einsatz, aber irgendwann war klar, dass der nicht kommen wuerde.

Einige waren erleichtert, andere enttaeuscht, aber alle hatten das Gefuehl, dass das nicht die letzte Runde ist. Dass frueher oder spaeter eben doch  noch ein weiterer Krieg kommen wird. Und, wie ich es auch von interviewten Reservisten im Fernsehen gehoert habe, sie dann genauso hochmotiviert und gut vorbereitet kommen werden wie diesmal.

Secundus hat Benni Ganz diesmal nicht gesehen. Aber er hat viele andere Leute getroffen. Er sagt, die Atmosphaere war ruhig, trotz der Aktivitaeten und Vorbereeitung. Eine riesige Menge Menschen, von denen jeder genau weiss, was er zu tun hat. Er sagt, ausser ein paar technischen Ausfaellen ging alles wie am Schnuerchen. Jede Panne wurde sofort weitergemeldet. Da dachte ich: genauso haben es auch die vielen Soldaten erzaehlt, die ich im Fernsehen gesehen habe. Der Uebergang „von der Routine in den Ernstfall“, wie die Armee es nennt, was dann zu einer „Routine des Ernstfalls“ wird – das klappt nach Secundus‘ Erfahrungen reibungslos.

Irgendwann fanden sie sich dann in seiner alten Ausbildungs-Basis wieder, in der Naehe von Arad. Kurz vorher waren dort neue Rekruten eingetroffen – die kaempfenden Einheiten rekrutieren ja im November (Y. und auch Primus sind „Nov“-Soldaten, und ein typischer Soldatenspruch ist: „ad Nov haia tov“ – „bis November war alles okay“…). Sie wurden nach Hause geschickt, um Platz fuer Secundus und seine Freunde zu machen.

Eigentlich war geplant, sie uebers Wochenende dort zu behalten, und sie dann zurueck an ihre normalen Einsatzorte zu schicken – in Secundus‘ Fall Hebron, wo auch seine ganze persoenliche Ausruestung geblieben war. Dann trieben sie aber doch Busse auf, um die Soldaten wenigstens fuer einen Tag nach Hause zu schicken.

Secundus‘ Bus war ausdruecklich nur fuer Soldaten aus dem Norden bestimmt, aber trotzdem hielt der Busfahrer ueberall, wo jemand rauswollte. Darum dauerte die Fahrt viele Stunden. In Haifa warteten dann die Eltern der wirklich hoch im Norden wohnenden Soldaten, vermutlich alle mit warmem Essen und Suessigkeiten auf den Knien.

Er erzaehlte die ganze Zeit. Dann waren wir zuhause. Morgen abend muss er wieder ins sehr unruhige Hebron.

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Das Wochenende ist vorbei, er ist schon wieder unterwegs. Er hat praktisch das ganze Wochenende geschlafen, er war vollkommen erschoepft. Er hat nicht mal Musik gehoert, wie sonst immer, so kaputt war er. Darum fuer ihn:

eines von Secundus‘ Lieblingsliedern. Die grosse, in Israel sehr beliebte Glykeria singt mit Harel Moyal, dessen Fan Secundus ja schon seit vielen Jahren ist.

Ausserdem stell ich, wie neulich schon, einen Quatsch-Clip von tanzenden Soldaten ein – aber der hier ist neu. Das sind Soldaten, die auf den Einsatz im Gazastreifen warten.

Hatten die sonst nichts zu tun? Na ja, sie werden, wie Secundus, mit der Vorbereitung fertig gewesen sein, und irgendwie muss man sich ja die Wartezeit vertreiben. Jetzt sind sie alle wieder zuhause oder, wie Secundus, schon wieder im naechsten Einsatz. Aber die Laune war wohl ganz gut da unten, trotz allem.

Hoffen wir, dass die Waffenruhe haelt, dass Aegypten weitere Waffenlieferungen aufhaelt, und dass irgendwas passiert, um den giftigen Einfluss des Iran zurueckzudraengen.