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Lage im Norden August 31, 2019, 20:08

Posted by Lila in Land und Leute.
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Bisher merken wir von der Einsatzbereitschaft der Armee nichts, außer daß alle Nachrichtensendung mit den Worten anfangen, „Im Norden  herrscht erhöhte Einsatzbereitschaft, doch die Lage ist im Moment ruhig,“ als täte es ihnen leid, daß nichts weiter zu berichten ist.

Hisbollah veröffentlicht lächerliche Videos. Der neuste zeigt einen jungen Mann, der aussieht wie Nasrallahs Lieblingsenkel, in einer generischen Uniform, die im Libanon für IDF-Uniform gelten soll, wie er in gebrochenem Ivrit durchs Feldtelefon bittet, die Patrouillen auszusetzen, weil er Angst hat.

Wenn israelische Zivilisten nach wie vor ihr normales Leben leben, auch in Dörfern, die direkt an einer Grenze leben, unter der die Hisbollah unentwegt buddelt, an der nördlichen Grenze, die immer wieder angegriffen wird und der südlichen, wo fast täglich Grenzdurchbrüche stattfinden – wenn wir trotzdem hier weiter leben, wie kommt die Hisbollah dann auf die Idee, daß ausgerechnet die Soldaten Angst vor ihnen haben? Unfug.

Nasrallahs pausenlose Drohungen gehen uns auf die Nerven, aber viel mehr geht mir auf die Nerven, daß seine Waffenlieferanten und Strippenzieher im Iran nach wie vor als internationale Partner angesehen werden, daß die Welt Sanktionen pro forma unterstützt, aber hintenrum durchbricht, egal, ob die Atomwaffen, die dort gebaut werden, gegen Israel eingesetzt werden sollen oder nicht.

Wie im Falle Palästinenser ist die Doppelzüngigkeit der Welt überwältigend.

Im Falle Hisbollah hat die internationale Gemeinschaft Israel 2006 gezwungen, den Krieg abzubrechen, mit dem Versprechen, Israels Sicherheit zu gewährleisten, die Hisbollah nicht südlich vom Litani-Fluß sich festsetzen zu lassen, und ihre Bewaffnung zu verhindern.

Seitdem sind IDF-Soldaten auf israelischem Gebiet von Scharfschützen erschossen worden, Bomben platziert worden und mehrere Male israelisches Gebiet mit Raketen beschossen worden – allerdings Einzelfälle, die sich mit der Dichte der Angriffe vor 2006 nicht vergleichen lassen. In den Jahren seither war vielleicht vier oder fünf Mal Alarm, so gesehen hat der Krieg sein Ziel erreicht.

Aber auf UNIFIL ist kein Verlaß, die haben selbst Angst vor Hisbollah und werden auch von dieser Gruppe angegriffen – ich nehme an, das deutsche Fernsehen zeigt die Bilder nicht, werde mal nach dem Film fahnden. Bitte:

Wir haben keinerlei Ansprüche mehr an den Libanon. Die südlibanesische Pufferzone, die eingerichtet wurde, um den Beschuß auf Israel, der vor 1981 alltäglich war, wurde 2000 geräumt, aber das hat keinen Frieden gebracht. Natürlich nicht, denn die Hisbollah will keinen Frieden mit Israel. Als Erfüllungsgehilfe des Iran will die Hisbollah Israel auslöschen und macht kein Geheimnis daraus. Daß in Deutschland diese Organisation noch immer nicht als Terror-Organisation erkannt wurde, ist erschreckend, aber wenig überraschend.

All das hängt wie ein Damoklesschwert, das wir nicht runterholen können, über uns. Seit Jahren und Jahrzehnten.

Und weil dem so ist, weil im Norden jeder weiß, daß wir im Zielkreuz sind und der Rest des Landes auch, deswegen geht das Leben hier normal weiter. Man könnte sagen, daß hier Nicht-Normalität normal ist.

Der Streß, den die Menschen im Süden dauernd haben, wo ständig die Sirenen heulen und Menschen ein Leben ohne die tägliche Bedrohung nicht kennen, der herrschte hier auch jahrzehntelang, nur daß es hier Katyushas waren nicht nicht Qassams. Aber das ist schon ein paar Jahre her.

Irgendwann wird es hier zu einem richtigen Krieg kommen, aber der wird zwischen Israel und dem Iran stattfinden. Ich bin keine Expertin, aber ich glaube, weder Israel noch Hisbollah wollen jetzt eine Eskalation.

Israel will überhaupt nur in Ruhe gelassen werden. Wir haben keine Forderungen an Libanon oder Iran, außer, Israelis und Juden in aller Welt in Ruhe zu lassen. Keine Bombenattentate mehr auf jüdische Einrichtungen oder israelische Touristen, auf die Grenze oder Patrouillen, einfach nur Ruhe. Auch an den Iran haben wir keine Forderungen.

Aber sie wollen uns nicht in Ruhe lassen. Der Konflikt kocht immer wieder hoch. Dann wird wie beim Töpfchen der armen Frau das Feuer wieder schwächer und der Brei sinkt wieder.

Die Konvois von LKWs mit Armeefahrzeugen jedenfalls fahren jedesmal auf, wenn hier eine Eskalation droht. Mein Mann scherzte vorhin, als er die Bilder im Fernsehen sah (und da er mehr unterwegs ist als ich, sah er sie auch auf der Straße), daß es eine extra Einheit gibt, mit ausrangierten Artilleriegschossen und nicht mehr ganz taufrischen LKWs, die rausgeholt werden, um auf die Bevölkerung beruhigend zu wirken, aber auch anzudeuten, daß wir in erhöhter Alarmbereitschaft sind. Gleichzeitig beruhigen und alarmieren, das ist nicht ganz einfach, und Bibi versucht genau  dasselbe.

Ich habe, wie schon erwähnt, die Stahlläden geschlossen und unser Schutzraum ist gut ausgerüstet (mein Arbeitszimmer). Als Tertia hier war, die in ihrer Mini-Wohnung keinen Schutzraum hat, habe ich ihr aufgetragen, sich mit den Nachbarn kurzzuschließen. Könnte mir vorstellen, die junge Mutter mit post-natalen Depressionen und der alte Mann mit Hörgerät werden froh sein, noch jemanden im Schutzraum des Hauses dabeizuhaben. Tertia hat von ihrem Vater einen sehr kühlen und überlegten Kopf geerbt.

Bin ich also besorgt oder unbesorgt? Beides. Grundsätzlich besorgt, weil es ein häßliches Gefühl ist zu wissen, daß so viele Millionen Menschen uns hassen und tot sehen wollen. Grundsätzlich unbesorgt, weil wir so bereit wie möglich sind und ich mir das Leben nicht diktieren lassen will.

Außerdem, so viel Kritik ich an Bibis Politik habe (auch an seiner Außenpolitik, die noch sein Bestes ist), er hat sein Profil als „bitchonist“ (bitachon heißt Sicherheit) seit seiner Armeezeit, sein Bruder war eine heroische Figur und er selbst hat in einer Eliteeinheit gedient, deren Aktivitäten bis heute nur teilweise bekannt sind. Und es ist immer wieder zu beobachten, daß gerade Leute wie die früheren Shabak-Chefs und frühere Generalstabschefs (von denen in der Führungsriege von Blau-Weiß drei sitzen) eher vorsichtig sind, wenn es um Krieg geht.

Gerade Olmert, der viel lieber Friedens-PM gewesen wäre und den Palästinensern einen sehr großzügigen Plan vorgelegt hat, hat sich beim klar gegebenen casus belli im Sommer 2006 ziemlich schnell in den Krieg gestürzt. Gut, er hatte keine Wahl nach den Vorfällen an der Grenze, den toten und gekidnappten Soldaten und den Dörfern Shtula und Zarit, die stundenlang unter Feuer standen. Aber vielleicht wäre ein PM wie Bibi imstande gewesen, ein Ultimatum zu stellen? Ich weiß es nicht. Im Süden arbeitet Bibi mit den Ägyptern zusammen, leider haben die keinen Einfluß auf den Libanon und Iran. (Die Deutschen könnten schon welchen haben, aber sie tun nichts… außer in der UNO mit Iran gegen Israel zu stimmen oder sich bestenfalls zu enthalten).

Ein Faktor ist Trump. Doch der ist so unberechenbar, daß er im Moment auf Tauwetter mit dem Iran setzt. Bibi, der unser Fähnchen so eifrig an Trumps Mast gehämmert hat, wird vielleicht noch merken, daß es nicht die allerbeste Idee war. Es verschreckt amerikanische Demokraten (und Juden in den USA sind treue Wähler der Demokraten), es verschreckt praktisch alle anderen Demokratien der Welt, die Trump eher wie eine Figur aus einem Albtraum betrachten, und beides ist auf lange Dauer nicht sinnvoll.

Alles Gründe, weshalb ich Bibi gern als Oppositionsführer sähe. Es ist klar, daß Israel sich nicht leisten kann, einen US-Präsidenten zu vergrätzen, und trotzdem hat Bibi das Verhältnis mit Obama fast bis zum Bruchpunkt belastet. Dabei sollte das Bündnis überparteilich sein. Und wenn Trump jetzt auf schöne Bilder mit den Mullahs setzt, so wie mit seinem kleinen rocket man, dann können wir zusehen, wie er ihnen genauso zujubelt wie 2017 die schwedischen „Feministinnen“.….

Es wäre schön, wenn wir nicht allein stünden. Unsere Erfahrung in der Vergangenheit lehrt, egal wie eklatant die Angriffe auf Israel VOR der Auseinandersetzung sind, sie werden international nicht thematisiert. Also wirkt Israel als Angreifer und wird dementsprechend unter Druck gesetzt, nicht zu reagieren. Wir kennen das Muster.

Das alles besorgt mich.

Aber die momentane Lage besorgt mich nicht. Es ist ein Kapitel in einer Saga, die anfing, bevor ich nach Israel kam. Y. hat mir von Anfang an gesagt, als wir uns gerade kennenlernten, daß die Waffen im Libanon nicht wegen ihres ästhetischen oder symbolischen Werts angehäuft werden, sondern um eingesetzt zu werden, und zwar gegen uns. Ich habe mir das gemerkt, auch weil meine innere deutsche Stimme so stark war, die diese Worte stumm abgelehnt hat.

Ich habe jetzt Y. gefragt, was er denkt. Er sagt, keiner kann genau voraussagen, was Nasrallah tun wird, aber er hat einen Schlag gegen Israel so deutlich angedroht, daß er nicht mehr zurück kann. Israel hat ja in den letzten Monaten immer öfter und letzthin auch offen Hisbollah-Ziele in verschiedenen Ländern angegriffen – seit der bewaffneten Drohne auf israelischem Gebiet Februar 2017 haben sich die Spielregeln verändert. Nasrallah wird also vermutlich reagieren, ohne es auf einen richtigen Krieg anzulegen.

Aber Israel hat eine lange Liste von Hisbollah-Zielen, besonders im Südlibanon, wo die Hisbollah gar nicht sitzen darf, eine sogenannte „Ziele-Bank“, die Bibi und die Armee bei Gelegenheit gern abarbeiten würden.

2006 wurde Israel von der internationalen Gemeinschaft zurückgehalten, derselben, die dem Bündnis Hisbollah-Iran jahrzehntelang nicht in den Arm gefallen war. Das wäre auch diesmal nicht anders. Die Mahner, die gern mit Iran gegen Israel stimmen, würden sofort auf die Propaganda der Hisbollah aufspringen, wie sie auch die Propaganda der Hamas und der Türkei schlucken, ohne auch nur zu überprüfen, ob daran überhaupt was stimmt. Ich nehme an, daß Politik und IDF daraus die Lehre gezogen haben, die „Ziele-Bank“ schnell abzuarbeiten, um den richtigen Showdown so weit wie möglich herauszuzögern. Also der Hisbollah die Waffenlager und Labors kaputtmachen.

Kleines Problem: diese Waffenlager und Labors liegen in Wohngebieten, besonders im Beiruter Stadtteil Dachiya. Warum? Um genau die Bilder von 2006 zu produzieren, die dann europäische Demonstranten auf die Marktplätze treibt, die die Schuld bei Israel suchen statt bei denen, die die Bewohner von Dachiya Geisel genommen haben.

Deswegen hat IDF die Namen und Karten veröffentlicht, damit auch die Libanesen kapieren, wer sie in Gefahr bringt.

Wir erwarten also als worst case scenario einen mittelschweren Schlag der Hisbollah in der näheren Zukunft, einen schweren, aber kurzen Schlag Israels gegen Hisbollah, und dann, daß beide Seiten wieder von dem Baum runterklettern, auf den sie raufgeklettert sind.

Der richtige Showdown wird kommen, wenn der Iran Atomwaffen hat, wenn im Libanon eine neue Waffengeneration verfügbar ist, und wenn in den USA wieder ein eher pro-iranischer Präsident regiert.

Aber wie gesagt, es ist auch möglich, daß sich alles wieder in Luft auflöst und Nasrallah uns nur im Fernsehen ein bißchen anschreit.

Häusliches I August 30, 2019, 21:03

Posted by Lila in Land und Leute, Persönliches, Uncategorized.
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Ja, die Wahlen, ja, die Lage im Süden, und ja, die Lage im Norden auch. Irgendwann setz ich mich hin und schreibe was darüber, aber heute lieber nicht.

Ich achte gern auf kleine Unterschiede zwischen Israel und Deutschland. Manches fällt einem ja erst auf, wenn man weg ist und es nicht mehr automatisch wahrnimmt. So sind Läden und Cafes in Deutschland meist viel polierter und ordentlicher als in Israel. Ja, in den letzten Jahren haben auch hier die vielen neuen Einkaufszentren dieselbe Ästhetik wie überall sonst, aber in kleinen und alten Geschäften sieht man noch die offen verlegten Kabel und nicht ganz zu Ende abgehängten Decken, diese ganze husch-husch-schon-fertig-Bauweise, die israelische Handwerker wohl für die beste halten.

Allerdings, ich muß zugeben, daß sie sich allgemein in den letzten 15 Jahren verbessert haben, und in neuen Häusern kommen die krumm verlegten Fliesen, unsauber verputzten Ecken und farbbekleckerten Fußleisten nicht mehr vor, die mir früher so oft auffielen. (Wobei, klar, Kibbuz – da bekam manchmal Moishele oder Ruvkele das Werkzeug in die Hand gedrückt, mach mal, und lernte im Laufe der Arbeit).

Früher waren fast überall Terrazzo-Fliesen verlegt. Sie waren so charakteristisch für Israel, daß der Künstler Tsibi Geva ihnen ganze Serien widmete. Ich erinnere mich, als ich in den Kibbuz kam und dort lernen mußte, wie man Terrazzo am besten putzt.

Die Technik heißt sponga machen, keine Ahnung warum, denn einen Schwamm benutzt man nicht. Es ging so: man nimmt einen Eimer Wasser und schüttet ihn auf dem Boden aus. (Da Kibbuzniks keine kostbaren Teakmöbel hatten und man vorher sowieso durchgefegt und alle Stühle hochgestellt hatte, ging das). Dann nimmt man so einen Abzieher, na so ein Ding mit Gummilippe – ja, ich weiß nicht mal, wie das Ding auf deutsch heißt, denn aus Deutschland kannte ich nur Schrubber und Aufnehmer. Aber einen Schrubber besitze ich bis heute nicht, und für israelische Böden braucht man ihn auch nicht.

Auf Hebräisch heißt so ein Bodenwisch-Gummidings magav, aber nur in unserem Kibbuz heißt er magrof.

Also, man legt den Aufnehmer (smartut – so nennt man auch feige, träge Menschen) um den magrof und wischt damit in der Wassermasse rum, am besten in Richtung Ausgang. Damit wird der Schmutz entfernt.

Als nächstes zieht man mit dem magrof den Boden schön ordentlich ab. Der letzte Arbeitsgang ist dann mit dem gut ausgewrungenen, sauberen Aufnehmer. Damit putzt man den Boden blank.

Für Kindergarten, Altersheim, Wäscherei und all die andren Arbeitsplätze, die ich im Laufe der Jahre geputzt habe, war das eine sehr gute Methode. Viel Bodenfläche, zweimal am Tag so geputzt, immer frisch und sauber. Terrazzo nimmt keinen Schmutz an – nur gegen Säure ist er empfindlich, und wo das Glas Limonade mal hinfiel, das sieht man gegen das Licht jahrelang.

Mir kam diese Methode seltsam vor. Einfach so einen Eimer Wasser ins Haus kippen? Aber Judith und Lili, die mich im Kindergarten anlernten, beharrten darauf. Doch dann das Dilemma: Judith sagte, je heißer das Wasser, desto hygienischer. Lili dagegen fand kaltes Wasser sinnvoller, weil der Boden sonst in Streifen antrocknet. Außerdem ist es so schon heiß genug.

Gut, daß die beiden selten am selben Tag arbeiteten. An Judith-Tagen wurde eben heiß geputzt, an Lili-Tagen kalt.

Alle Kibbuzniks putzten so auch ihr Haus (ja, viele Männer habe ich Boden putzen gesehen), und ich habe mir sagen lassen, auch in der Stadt wurde so sponga gemacht, und bestimmt machen viele es noch immer so.

Jetzt habe ich sponga für die Jeckerei mal gegoogelt, und tatsächlich, es ist DIE Methode, in Israel Boden zu wischen. Das Wort squeegee hatte ich schon fast vergessen!

Inzwischen ist Terrazzo aber aus der Mode gekommen. Die meisten neuen Häuser und Wohnungen haben entweder Keramikfliesen als Bodenbelag, oder hochglänzenden Marmor, oder granit porzellan, keine Ahnung, ist das Feinsteinzeug? weiß es jemand?

Wir haben naturfarbenes, rauhes granit porzellan, fühlt sich barfuß wunderbar an, sieht auch schön aus, ist aber so unregelmäßig, daß es schwer zu putzen ist. Bei der sponga-Methode würden überall Pfützen stehenbleiben, ich gehe also mehrmals mit Aufnehmer und Abzieher drüber, so mittelnaß bis trocken.

Vielleicht sollte ich sogar mal einen Schrubber in Betracht ziehen? Ich weiß nicht mal, wie der auf Ivrit  heißt, vielleicht Bodenbürste? Am Ende kehre ich dann zu Omas Methoden zurück und rutsche mit der Bürste auf den Knien hier rum, um dieses verflixte Material sauberzukriegen? Die sponga-Methode hatte ihre Vorteile, es geht nämlich ruckzuck und fühlt sich prima an, weil „was naß ist, gilt als sauber“, wie der Merkspruch der Armee beim Putzen lautet 😀

Ja, das war eine Umgewöhnung.

(Ich hab noch mehr, aber das war jetzt erstmal genug 🙂 )

Unerträgliche Gewalt, und ein Strom Erinnerungen August 28, 2019, 9:16

Posted by Lila in Kibbutz, Kinder, Katzen, Kinder, Persönliches, Uncategorized.
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In den letzten Monaten wird Israel von immer neuen Fällen grauenhafter Gewalt gegen Kinder in Kindergärten erschüttert. Seit fast überall Kameras installiert sind (oder installiert wurden, nachdem Eltern das Verhalten ihrer Kinder seltsam vorkam), werden Vorfälle sichtbar, die früher nie aufgefallen wären.

Es fällt auf, daß es sich dabei überwiegend um schlecht oder gar nicht ausgebildete Frauen handelt, die private Einrichtungen betreiben. Obwohl es ein Gesetz gibt, das die regelmäßige Überwachung des Ministeriums für Bildung und Erziehung vorschreibt, gilt das nicht für Kleinkind-Aufbewahrungsanstalten unterhalb einer bestimmten Größe. Oft arbeitet dort eine Frau allein oder zwei, beide unausgebildet, überfordert, mit so viel Kindern, wie die Geldgier in die Einrichtung holt.

Ich habe jahrelang in Kinderhäusern des Kibbuz gearbeitet, und alle meine Kinder waren selbst im Kinderhaus. Zu meiner Zeit waren noch keine Besuche vom Amt üblich, die Kibbuz-Erziehung regulierte sich selbst. Erst als ich schon außerhalb arbeitete, änderte sich der Status der Kinderhäuser, und die Frau vom Amt kam regelmäßig. (Im Fall des Kibbuz-Kindergartens hatte das zur Folge, daß sie einen komplett überflüssigen, aber sehr teuren Metallzaun forderte, obwohl alle Kinderhäuser mitten im Kibbuz liegen – außerdem beförderte sie einige liebe alte Kibbuz-Traditionen in den Müll, und da die Kindergärtnerin zu der Zeit selbst von draußen kam, kämpfte sie auch nicht darum – bin ich heute noch sauer drüber, aber Schwamm drüber).

Wir waren immer zu viert, hatten oft noch eine Schülerin als Hilfe. Mindestens zwei im Team waren voll ausgebildet (vier Jahre Studium an der PH, Abschluß mindestens Dipl-Päd, oft dazu noch B.Ed. oder auch M.Ed. in Frühpädagogik), die anderen wurden oft zu kurzen Kursen geschickt (ich habe z.B, mal einen kurzen Kurs über musikalische Früherziehung gemacht, was ich später im Studium als zusätzlichen Kurs vertieft habe, obwohl es nicht zu meinem Fach gehörte, aber die Dozentin war DIE Koryphäe Israels zum Thema).

Im Kibbuz ist es auch so, daß ständig Leute in den Kindergarten zu Besuch kommen. Die Oma kommt vorbei, der Bruder, die Freundin der Kindergärtnerin, und es gibt die Situation mit dem hermetisch geschlossenen Raum nicht, in dem nur hilflose Kinder und eine überforderte Frau ohne Verständnis für die Bedürfnisse der Kinder sind.

Der Kibbuz sah alle pädagogischen Berufe als besonders wertvoll an und nicht jeder Bewerber, der vom Kibbuz zum Studium geschickt werden wollte, wurde auch unterstützt. Daß ich mit der ersten Bewerbung vom Kibbuz als Studentin angenommen und zum Studium geschickt wurde, war eine echte Ehre und es hat mich enorm motiviert.

Kindergärtnerin (ich benutze das Wort übrigens bewußt, da das hebräische Wort tatsächlich Gärtnerin ist, ganenet) galt damals, ich weiß nicht, wie es heute ist, als hoch respektierte, verantwortungsvolle Arbeit. Über jemanden zu sagen, „sie ist seit 20 Jahren Kindergärtnerin“ bedeutete Ehre.

Im Kibbuz gibt es einen Erziehungsausschuß, dem Männer und Frauen angehören, die regelmäßig alle Kinderhäuser besuchen und mit dem pädagogischen Team wichtige Entscheidung treffen. Zu meiner Zeit wußte jeder im Kibbuz, wer den Ausschuß gerade leitet, er galt als einer der wichtigsten überhaupt. (Mein Schwiegervater hat das eine Zeitlang gemacht). Für das „zarte Alter“ gibt es immer eine extra Verantwortliche, immer ausgebildete Pädagogin und meines Wissens bisher immer weiblich, die bei Problemen immer dabei ist.

Einmal alle sechs Wochen hatten wir Besuch von einer Kinderpsychologin „von draußen“, die auch in der pädagogischen Station der PH arbeitete. Eltern und Team konnten um die Beobachtung einzelner Kinder bitten, wenn sie das Gefühl hatten, sie brauchten Hilfe.

Regelmäßig kam die Tanzpädagogin und lud Kinder in ihr Zentrum ein (sie ist eine Kindheitsfreundin von Y.s jüngster Tante und war immer besonders nett zu unseren Kindern, die alle gerne in ihrem Zentrum war – das ich Kibbuzbesuchern immer noch gern zeige). Ebenso die Kunsttherapeutin, und, als er noch gesund war, der Logopäde des Kibbuz.

Mindestens einmal die Woche arbeiteten Eltern einen Tag lang mit, und oft kamen Großeltern, um mit den Kindern zu backen oder ihnen was vorzulesen.

Es ist kein Wunder, daß ich mich Hals über Kopf in diese Umgebung verliebt habe und mein Traum war, eigene Kinder dort aufwachsen zu sehen.

Und doch. Ich erinnere mich, daß eine der Kindergärtnerinnen, mit denen ich gearbeitet habe, zwar ausgebildete Pädagogin war, aber eigentlich keine Kinder mochte. Alles, was die Kinder taten, war ihr zum Tort. Das war kein großer Kindergarten (gan), sondern ein kleiner (ganon) mit 12 Kindern und einem Team von vier. Ich habe noch ihre nörgelnde Stimme im Ohr, die auch meiner Mutter sofort auffiel. Sie führte den Kindergarten ordentlich, die Kinder bekamen alle Aktivitäten geboten, die sie gern mochten, der Kibbuz-Kinderhaus-Tagesablauf wurde eingehalten, aber die Atmosphäre war mies, besonders im Vergleich zu anderen Kinderhäusern, wo Leute arbeiteten, die Spaß an der Arbeit und an den Kindern hatten. (Die erste Kindergärtnerin, mit der ich als Volunteer schon arbeitete, hat später Sonderpädagogik studiert und war eine der besten Pädagoginnen, die ich je getroffen habe).

Hat diese mißmutige Frau den Kindern Schaden zufügt? Ich weiß es nicht. Sie müssen gespürt haben, daß sie für Tränen, Wutanfälle oder Kinderstreit kein Verständnis hatte und einige der Kinder wirklich nicht mochte. Wie lange hat sie in der Erziehung gearbeitet? Drei Jahre? Vier? (Heute arbeitet sie längst in einem Bürojob außerhalb des Kibbuz, Personalleiterin irgendwo, hoffentlich mag sie die Leute dort lieber als die Kinder). Wie wichtig war ihre Rolle, verglichen mit den anderen Mitarbeiterinnen, die auch viel mit den Kindern zu tun hatten, und der Galaxie von Menschen, die um die Kinder kreisten?

Dann erinnere ich mich an eine im Kibbuz hoch angesehene Frau, sehr intelligent und theoretisch sehr beschlagen. Ich erinnere mich, wie ich als ungelernte junge Mutter in ihrem Kindergarten arbeitete (es war einer der drei Kindergärten fürs Vorschulalter, knapp unter 30 Kinder zwischen viereinhalb und sechs Jahren). Ich interessierte mich damals schon für Kinderkunst, und sie gab mir sehr gute Erklärungen dazu (ich habe das Thema später selbst studiert und eine Zeitlang auch unterrichtet – die Expertin für das Thema an der PH hätte mich gern als Nachfolgerin gesehen und ich  habe eine Rede auf sie gehalten, als sie pensioniert wurde). In vieler Hinsicht habe ich sie bewundert. In ihrem Kindergarten habe ich den Krieg von 1991 verbracht, und sie hat es bewundernswert geschafft, die ganz normale Routine trotz abgedichteter Fenster und Gasmasken weiterzuführen, als wäre nichts.

Aber sie konnte, wenn sie ärgerlich war oder ungeduldig, eine scharfe, schneidende Stimme bekommen. Ich erinnere mich bis heute an eine winzige Szene. Ein besonders sensibler Junge (heute selbst 3facher Vater) hatte irgendwas ausgefressen oder vergessen, weiß nicht mal mehr was. Er war auf dem Weg nach draußen, da rief sie ihn beim Namen. Er erfror  an Ort und Stelle, und ich sah sofort, daß er Angst hatte vor ihr. Die anderen Mitarbeiterinnen und ich haben nie darüber gesprochen, aber wir haben bestimmt alle gemerkt, daß ihr eine gewisse Wärme fehlte, die die Arbeit mit Kindern sehr erleichtert. Wir haben dann versucht, das auszugleichen.

Mit ihr habe ich eine Szene erlebt, die einem heute unglaublich vorkommt. Aber so war der Kibbuz damals bzw konnte er sein.

Eine Familie kam „aus der Stadt“ in den Kibbuz, weil der Sohn an Krebs erkrankt war. Die Mutter war Kibbuz-Tochter (bat kibbuz), und ihre Mutter lebte noch dort. Die größeren Kinder wurden von der Oma betreut, während Vater, Mutter und jüngster Sohn ins Ausland flogen, um dort eine besondere Behandlung für den Sohn zu bekommen. (Er ist heute ebenfalls verheiratet und Vater und ganz gesund). Es war eine schwierige Situation für die Familie, und der Kibbuz half. Ich mochte die Mutter und Oma besonders gern.

Die Tochter war bei uns im Kindergarten, bei der klugen-doch-kalten Kindergärtnerin. Sie war ein sehr intelligentes Mädchen und verkraftete die Situation eigentlich ganz gut. Die Eltern im Ausland, der kleine Bruder schwer krank, auf einmal in den Kibbuz und zur Oma versetzt, die ganz anders erzog als die Eltern.

Nach Monaten kamen die Eltern wieder, dem Sohn ging es viel besser. Die Mutter bat um ein Gespräch mit uns, dem Team des Kindergartens. Sie wollte hören, wie es ihrer Tochter ergangen war, und sie hatte auch eine Bitte.

Sie bat darum, zweimal die Woche die Tochter schon nach dem Mittagessen statt nach dem Mittagsschlaf nach Hause mitzunehmen, also um halb zwei statt um vier. (Vier Uhr nachmittags, wenn die Kinder nach Hause geholt werden, ist die wichtigste Stunde des Kibbuz-Tagesablaufs!) Sie wollte die beiden älteren Kinder abwechselnd jemals zweimal die Woche für ein paar Stunden one-on-one nach Hause holen.

Jeder normale Mensch würde sofort JA sagen, warum denn nicht? Aber unsere Kindergärtnerin wies dieses Ansinnen sofort, ohne nachzudenken und mit Empörung von sich. Ihre Argumente? Ihr kennt solche Situationen, eigentlich gab es keine. Sie hatte noch nie so eine Bitte erfüllt und wollte es darum auch diesmal nicht tun, das war eigentlich ihr einziger Grund. „Sowas hat es ja noch nie gegeben, damit fangen wir gar nicht erst an, wohin kämen wir denn, was sollen die anderen Eltern und Kinder denken“ und so weiter. Der heilige Tagesablauf war für sie in Stein gemeißelt. (Ja, ihre Eltern waren Jeckes, falls ihr das wissen wolltet).

Wir anderen Mitarbeiterinnen guckten uns ratlos an. Keine von uns verstand, warum die respektierte Chefin sich so anstellte. Wie es dann weiterging, weiß ich nicht mal mehr – ob die Mutter sich an die Vorsitzende des Erziehungsausschusses wandte, die sehr herzlich und lieb war, oder ob sie sich eine andere Idee einfallen ließ. Das Mädchen kam kurze Zeit später in die Schule, die ganze Familie blieb noch etwa 2 Jahre im Kibbuz und zog dann weg (wir zogen in ihr Haus und die Mutter, mit der ich mich gut verstand, kam noch ein paarmal zu Besuch).

Ja, da waren wir an die Grenzen dieser Frau gestoßen, die auch kurz darauf die Pädagogik verließ und seit vielen Jahren einen wichtigen Posten im Kibbuz erfolgreich erfüllt. Wenigstens war es im Kibbuz so, daß man nicht aus wirtschaftlichen Gründen in einem Job bleiben mußte, man konnte wechseln, Zusatzausbildungen machen, etwas ausprobieren.

Aber gehen wir eine Generation zurück. Mein Mann ist ja im Kinderhaus aufgewachsen, er hat nie auch nur eine Nacht im Elternhaus geschlafen, dort gab es kein Kinderzimmer und kein Bett für die Kinder. Er hat eigentlich nur schöne Erinnerungen, hing sehr an seinen Freunden aus der Gruppe (hängt immer noch an ihnen), und einige seiner früheren Betreuerinnen erzählten mir, wie besonders nett und schüchtern er als kleiner Junge war.

Besonders schön fand er immer den Shabat-Morgen. Jede Woche hatte ein anderer Elternteil dann die Verantwortung für die Kinder, machte das Frühstück und spielte bis 10 mit ihnen. Dann kamen die anderen Eltern und holten die Kinder ab. Y. erinnert sich bis heute an die besonderen Mahlzeiten, die jeder Erwachsene für die Kinder machte, an den einen Vater, der wild mit den Kindern tobte, und eine besonders nette Mutter, die die Kinder gern verwöhnte. Er hatte zu einer ganzen Welt von Menschen Beziehungen, und die bestanden noch lange.

Aber die Kindergärtnerin, die Kindergärtnerin. Vor der hatten alle Angst. Drei Jahre hat diese Frau über die Kinder geherrscht. Y. und seine beste Freundin haben manchmal nachts überlegt, wie man sie loswerden könnte, aber es fiel ihnen nichts ein. Sie hat die Kinder gedemütigt, besonders solche, die Probleme hatten, die Bettnässer, die Schüchternen, aber auch die Frechen. Ich habe sie nicht mehr kennengelernt, aber die ganze Gruppe erinnert sich mit Grauen an sie. Ja, die Eltern kamen zu Besuch und sie waren jeden Abend bei den Eltern. Ja, nachts wurden sie von wechselnden Nachtwachen betreut, tagsüber war das Team auch groß, aber die Kindergärtnerin hatte die pädagogische Verantwortung.

Y. ist keiner, der sich über seine Vergangenheit beklagt, auch die härtesten Geschichten erzählt er gleichmütig und meint, „ach, es war auch irgendwie interessant, und zu der Zeit ist mir nicht aufgefallen, daß es eigentlich ziemlich schlimm war“. Ich habe also nie viel über diese Kindergärtnerin erfahren. Aber alle Kinder der Gruppe haben sie als angsterregend in Erinnerung.

Wer weiß, was sie ihnen zugezischt hat, wenn es keiner hörte? was für Blicke sie ihnen zuwarf? Sie war es wohl nicht, die ihnen die Haare wusch, das erledigten die Mitarbeiterinnen (metaplot), und überhaupt wurden Kibbuzkinder von klein auf zu Selbständigkeit erzogen. Ob sie also Gelegenheit hatte, körperlich rauh mit den Kindern umzugehen, oder sie sogar zu Körperstrafen griff, das weiß ich nicht. Körperstrafen waren in der Kibbuz-Erziehung komplett tabu. Aber die Kinder waren dieser Frau ausgeliefert, und im Erziehungssystem damals waren die Eltern machtlos.

Eine Studienfreundin von mir hat ihre Magisterarbeit über die Beziehung von Müttern und Töchtern im Kibbuz zur Zeit der lina meshutefet, des „gemeinsamen Schlafens“ geschrieben, dh, die Zeit der Kinderhäuser und kinderbettlosen Elternhäuser. Sie hat mir mal erzählt, daß die Mädchen ihre Mütter als komplett machtlos erlebten und sich darum gar nicht erst um Hilfe an die Mütter wandten. Sie war übrigens mit Y.s Schwester in einer Jahrgangsstufe.

Oh nein, ich falle hier ins Kaninchenloch, das hatte ich gar nicht vor, als ich anfing zu schreiben.

Meine eigene Zeit im Kindergarten. Hatte ich Angst vor der Kindergärtnerin? Nein, sie war eigentlich ganz nett, obwohl unser katholischer Kleinstadtkindergarten so strikt geregelt war, daß mein Mann sich kaputtlacht, wenn ich davon erzähle (in der Kibbuzerziehung stand auch in den 60er Jahren schon freie Entfaltung höher im Kurs als Ordnung und Sauberkeit). Der Knicks, wenn ich mit meinem Körbchen in der Hand um neue Spielsachen bat, die in Schubladen sortiert waren. So war das damals. Die Kindergärtnerin ging auch rum beim Zeichnen und radierte aus, was nicht gut genug gemalt war. (Mein Igel! bis heute tut es mir leid, daß sie mir den Igel neu gemalt hat, ich fand ihn so schön.)

Überhaupt, daß immer ein Thema beim Malen vorgegeben war – Schneemänner, Marienkäfer. Ich weiß noch, wie froh ich war, im Kibbuz zu sehen, daß den Kindern das Material hingestellt wird, und sie können damit machen, was sie wollen. Diese ganze Besessenheit mit Basteln nach Vorlagen, sauber ausschneiden, was Nützliches machen, das gibt es in der Kibbuz-Erziehung nicht, so eine Erleichterung für mich, die nie gut nach Vorlagen gearbeitet hat. Das war aber bei uns im Kindergarten sehr wichtig.

Ich hatte Angst vor der Leiterin. Und so habe ich eines Tages meinen Freund Thomas, den ich wohl immer ziemlich rumkommandiert habe, der arme Kerl, überredet, wegzulaufen. Wir wollten den ganzen Tag im Wallgraben Abenteuer erleben, aber wir waren noch nicht weitgekommen, da hatte Fräulein Maria uns schon wieder eingefangen. Und die war streng. An Konsequenzen erinnere ich mich nicht mehr, aber an den schrecklichen Moment, als Fräulein Maria mit dem Fahrrad neben uns hielt, um uns zurückzubringen, erinnere ich mich genau. Ich weiß noch genau, wo das war.

Mein Bruder war später in einem anderen Kindergarten, wo ich es so toll fand, daß ich oft zu Besuch kam. Er selbst fand es stinklangweilig und haute oft ab.

Eigentlich sagt es alles, was man über meinen Bruder und mich wissen muß. Ich versuche einmal abzuhauen, werde sofort erwischt und mit Schimpf und Schande zurückgeführt. Mein Bruder macht über Monate hinweg dauernd Kindergarten blau und fängt statt dessen Kaulquappen im Wallgraben, und alle glauben seine Ausreden und lachen, als sie es rausfinden, warum er immer so dreckig wiederkommt bzw nie im Kindergarten ankommt.

Trotz der Strenge habe ich keine Angst im Kindergarten erlebt, nur Momente der Scham.

Ich frage mich aber heute, wie viel Gewalt Kindern wirklich geschieht. Von überforderten Betreuern, die den Eltern vorspielen, wie gern sie die Kinder haben, aber dann die Kinder auf die Bettchen knallen und ihnen zumurmeln: ich wünschte, du wärst tot, und die Kinder können es niemandem erzählen. Die Eltern merken erst, was los ist, wenn das Kind sich selbst immer wieder haut und sagt: jetzt schlafen, jetzt schlafen!, und dann kommt die Aussprache mit anderen Eltern, die Kameras, und die Aufnahmen.

Und wie viel Gewalt gibt es zuhause? Wenn die Kinder sich stundenlang gestritten haben, der Tag endlos scheint, niemand zuhört oder hilft, wenn die Freundinnen sagen, „du hast es gut, du arbeitest nicht“, wenn man das alte Leben zurückhaben will und sich fragt, warum man sich das überhaupt angetan hat, diese rebellische, nie zufriedene, immer fordernde Kinderschar. Ich hatte Glück mit meinem Partner, der nie Verantwortung auf mich abgeschoben hat, um seine Ruhe zu haben, Glück mit der Familie, die immer geholfen hat, Glück mit dem Kibbuz, der immer professionelle Hilfe und Unterstützung bot. Aber an Momente riesiger Frustration erinnere ich mich auch, wenn Geduld wie ein kostbarer Rohstoff in einem fernen Kontinent erschien, an den man einfach nicht kommen kann, wenn ich sie alle nicht mehr sehen oder hören wollte. Wie weit ist man dann entfernt davon, den Kindern mal so richtig Angst einzujagen, wie mein Vater es immer gemacht hat, wenn er ratlos war? Damit einfach mal Ruhe ist?

Wie gesagt, ich hatte Glück. Wenn ich am Anschlag war, konnte mein Mann oder meine Schwiegermutter oder die gute Esther helfen, ich hatte auch immer die Arbeit, und meine erprobte Methode gegen Frust jeder Art ist ein gutes Buch und Tür zu. Und die meiste Zeit hatte ich die Geduld und auch viel Spaß an den Kindern, und durch meine viele Arbeit mit Kindern auch Verständnis für ihre Bedürfnisse und Krisen, schon vor meinem Pädagogikstudium.

So habe ich im Kibbuz-Kinderhaus gelernt, daß man nie zu einem Kind sagt: böses Kind!, nie seinen Charakter in Zweifel zieht oder es verbal demütigt oder angreift. Die Formel der Zurechtweisung im Kibbuz heißt: hitbalbalt(a), du hast einen Fehler gemacht, du hast dich vertan. Das bedeutet: wenn du Noam mit dem Bauklotz auf den Kopf geschlagen hast, war das nicht, weil du ein böses Kind warst, sondern weil du für einen Moment vergessen hast, daß wir uns nicht gegenseitig hauen. Aber wenn du es nicht wieder tust, ist alles in Ordnung. Als ich diese Regel begriffen hatte, war ich sehr begeistert, und ich wünschte, in meiner Kindheit hätte es sie auch gegeben. Dann würde ich vielleicht nicht die Stimmen in meinem Kopf hören, die mir böse Dinge über mich selbst erzählen und ganz wie mein Vater klingen.

Oh, noch eine Erinnerung. Vor ein paar Monaten in Nahariya. Ich quatschte in meinem Lieblingsgeschäft, dem Woll-Laden, mit der Verkäuferin, mit der ich mich angefreundet habe (auch eine alte Kunstlehrerin). Die Tür stand offen. Auf der Straße gegenüber sahen wir eine Familie. Der Vater trat nach einem der Söhne, der Sohn weinte und humpelte. Wir beide schossen wie Hornissen aus der offenen Ladentür und schrien den Vater an, der sich um nichts kümmerte. Die Familie ging weiter. Wir riefen dem Jungen zu: du bist in Ordnung, dein Vater hat kein Recht, dich zu treten! auch wenn er sich ärgert, das darf er nicht! und dem Vater drohten wir, die Polizei zu rufen. Dann sahen wir uns hilflos an, während die Familie verschwand.

Ich kann Reportagen über die Gewalt in Kindergärten nicht sehen, ohne mich zu fragen, wie viel Gewalt auch zuhause geschieht, im Sportverein, überall. Ich fühle unbändigen Zorn auf die Menschen, die Kindern solchen Schaden zufügen, Verletzungen, an denen die Kinder immer zu tragen haben werden. Diese Kindergärtnerinnen sind in ganz Israel so verhaßt, daß einer von ihnen das Haus angezündet wurde, und sie sind in aller Augen das Ganz Andere, Monster, Seelenmörder.

Aber ich fühle auch, wie nah ich selbst in Momenten des Ärgers dran war, wie schmal der Grat überhaupt ist, wie unmöglich es ist, die eigenen Standards als Eltern immer einzuhalten. War ich wirklich so geduldig, wie meine Mutter mich immer lobt? Wenn ich die Kinder frage, erinnern die sich an Ungerechtigkeiten (die sich im Rückblick relativieren, wie Primus zugibt, die aber damals lebenswichtig schienen), aber Angst hatten sie nicht vor uns.

War ich gemein zu meinen Kindern, wenn sie in der Pubertät mit Präzision meine Schwächen bloßlegten, mich auslachten? Wo ziehen wir die Grenze, was ist verständliche elterliche Reaktion in einer Auseinandersetzung, wo fängt das Unvertretbare, das Böse an? Ist das jetzt zu persönlich? Aber wer hat Kinder und kennt diese Momente nicht, wenn man dringend Hilfe braucht, weil man an die Grenze zur Überforderung stößt? Wer hat noch nie gehört, daß aus dem Nachbarhaus oder vom Nachbartisch die Stimme der elterlichen Frustration klingt? Was tun wir dann, wie helfen wir? Wie nehmen wir auch Druck von den Eltern, die in der Öffentlichkeit die Kinder ruhig und brav halten wollen, was die Kinder natürlich spüren?

Das ganz große Tabu, Gewalt gegen Schwächere, Schutzbefohlene.

Sderot Live August 26, 2019, 15:01

Posted by Lila in Presseschau, Qassamticker (incl. Gradraketen).
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ist ein Musikfestival, das gegen Ende der langen Sommerferien stattfindet. Bekannte Musiker kommen dafür extra in die kleine Stadt im Süden. Viel ist sonst in Sderot nicht los, obwohl das dortige College (FH) sehr bekannt ist für seinen Fachbereich Film und Kino und jedes Jahr ein Filmfestival anbietet, das aber eher nichts für Kinder ist.

Ich nehme an, die Nachbarn aus Bet Chanoun im Gazastreifen wußten davon. Sie schossen jedenfalls ihre drei Raketen über die Stadt. Iron Dome, das extra dafür entwickelte Abwehrsystem, berechnete, daß eine der Raketen auf freiem Feld einschlagen würde, was auch geschah – sie löste dort einen Brand aus, der die Häuser am Stadtrand bedrohte.

Die beiden anderen Raketen wurden von Iron Dome über der Stadt abgefangen und gingen in Teilen nieder. Eines dieser Schrapnell-Teile setzte ein glücklicherweise unbewohntes Haus in Brand.

Die Bewohner von Sderot, die seit 2005 mit dem Beschuß kämpfen, der nie richtig aufhört, nur Pausen kennt, mal öfter, mal seltener auf sie niedergeht – die Bewohner von Sderot, deren Kinder zu Bettnässern werden und Therapie brauchen, weil sie vor Angst nicht aus dem Haus wollen – die Bewohner von Sderot, die überall die „migunit“ genannten Betonröhren und offenen Schutzhäuschen sehen, damit sie sich in Sicherheit bringen können, wenn der Alarm losgeht, weil man nur 15 Sekunden Vorwarnzeit hat – die Bewohner von Sderot begriffen sofort, was los war. Ein schöner Abend, in Stücke geschossen von den Nachbarn jenseits der Grenze.

Der Künstler Itay Levy muß seine Vorstellung absagen – er war schon hinter der Bühne. Die Leute liefen nach Hause. Keiner weiß in so einer Situation, ob das die erste Salve einer unruhigen Nacht ist, oder ob nichts darauf folgt.

In den letzten zwei Wochen haben sich hier die Angriffe gegen Israel gejagt, die Drohungen ebenfalls.

Iron Dome steht an der Grenze zum Gazastreifen, wo fast jede Nacht Bewaffnete versuchen, nach Israel einzudringen. Iron Dome steht auch auf den Golanhöhen, wo die Iraner wieder versucht haben, mit Sprengstoff gespickte Drohnen auf über die Grenze zu schicken. Auch bei uns in der Nähe steht vermutlich wieder eine Batterie, weil Nasrallah wieder gedroht hat, die Grenze zu Galiläa zu durchbrechen. Er schwört Vergeltung an Israel, weil im Libanon zwei Drohnen runtergefallen sind, die er als israelische ausgibt, obwohl es sehr nach iranischen aussieht. Aber interessiert ihn nicht und andere auch nicht- auch die Tagesschau meldete sie als israelische Drohnen.

Drei Terrorangriffe konnten nicht vereitelt werden. Ein Geschwisterpaar wurde von einem Terror-Fahrer niedergemäht, beide schwer verletzt.

Ein Student-Soldat wurde auf dem Weg zur Schule niedergefahren und zum Sterben liegengelassen. Er hatte gerade die erste Studienphase hinter sich gebracht und sollte nun zur Armee gehen – er hatte Bücher für seine Lehrer gekauft und starb mit David Grossmans neustem Roman im Arm, was den Schriftsteller (selbst verwaister Vater) sehr bewegte.

Und dann der Mord an Rina Shnerb, die mit Vater und Bruder zu einer Quelle wanderte, als die Terroristen einen ferngesteuerten Sprengsatz in die Luft gehen ließen. Der Vater, selbst schwer verletzt, rief Hilfe herbei und versuchte, die Blutungen seiner Kinder mit den Schaufäden seiner Tallit zu stillen.

Dazu die Brandsätze an Luftballons, die praktisch täglich in der Umgebung des Gazastreifens niedergehen und dort Naturschutzgebiete und Felder verwüstet haben. Hamas-Führer Sinwar hat die Grenze besucht und Israel von dort Tod und Vernichtung angedroht, der lächerliche Zwerg. Das tut er ja regelmäßig.

Wir wissen nicht, wie es weitergeht, das weiß man ja  nie. Ich habe mir abgewöhnt, deutsche Medien zu konsumieren, seit der letzten Hetzgeschichte des Spiegel Online gegen Israel habe ich mein Bookmark gelöscht und klicke keine Links mehr an. Das will ich mir einfach nicht antun. Aber bei der Tagesschau gucke ich noch auf die Homepage – dort stehen zwei Artikel, die Israel eindeutig als Aggressor darstellen.

Überschriften:

Israelische Kampfflugzeuge – Palästinenserposten im Libanon attackiert

und

Israel greift Syrien an – Bombardements gegen „Killerdrohnen“

Der Iran und die Hisbollah werden nicht erwähnt, mMn mit gutem Grund. Schließlich sind deutsche Medien außerstande, Israel anders als durch die palästinensische Linse zu sehen. Und in dem Konflikt sind die Rollen schon vergeben: Israel der böse Aggressor, Palästinenser arme Häschen. „Killerdrohnen“ klingt wie eine lächerliche Übertreibung, aber wie soll man eine Drohne anders nennen, die mit Sprengstoff über zivile Ziele geschickt wird? Meinetwegen Kampfdrohne. Die Anführungszeichen jedenfalls ziehen das ganze Szenario ins Lächerliche.

Israel greift an – grundlos. Und das ist der Eindruck, den deutsche Medien, wie ihr wißt, euch seit Jahren und Jahrzehnten vermitteln wollen.

Ich mache mir Luft bei Twitter, da ich die Informationen, die ich habe, weitergeben möchte. Wer wegläßt, unter welch unablässigem Druck Israel ständig steht, verzerrt die Realität. Aber für die Nicht-Twitterer sei es hier wiederholt: ihr werdet durch Weglassen von Informationen in eine Richtung manipuliert.

 

Gestern August 25, 2019, 7:00

Posted by Lila in Kinder.
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war Tertias 26. Geburtstag. Wir hatten einen schönen Tag. Unser Geschenk für sie (ein Toaster-Oven für ihre neue Wohnung, geniales kleines Ding, das ich im Kibbuz liebengelernt habe) war ein Volltreffer, und dann waren wir in einem Restaurant, das wir alle gern mögen (Gustino in Ramat Yishai), nur die Mädchen und wir. Irgendwie sind wir in eine Diskussion über Ex-Partner geraten, die so albern und lebhaft wurde, daß die Kellnerin nicht an sich halten konnte und zu grinsen anfing. Als wir sahen, wie sie sich lachend in die Küche flüchtete, gerieten wir in einen Kicheranfall, aus dem wir eine Weile nicht wieder rausfanden.

Ich hatte vorgestern einen längeren Eintrag zu Tertia geschrieben, der mir aber dann doch zu persönlich war, und so schlummert er jetzt im drafts folder. Aber ich kann allen Eltern, die gerade an Kindern in einer langen und schweren Pubertät laborieren, versichern, daß es möglich ist, diese Zeit zu überleben, und sogar mit dem erwachsenen Kind eine neue, reife, entspannte Beziehung aufzubauen.

Tertia, die von Gesundheitsproblemen geplagte Frühgeburt, die sich gegen jede Art Hätschelei wehrte, die ihre Unabhängigkeit und Distanz von uns mit Zähnen und Klauen verteidigte, die jeden von uns gemachten Fehler messerscharf in Erinnerung behielt und uns x-mal auftischte, die unsere Entscheidungen nie akzeptierte und wegen Kleinigkeiten wochenlange Feldzüge führen konnte, wow, diese Tertia ist heute, mit Primus, meine interessanteste Gesprächspartnerin. Sie sieht uns deutlich illusionsloser als wir sie, doch dafür bin ich dankbar. Es gibt so wenige Menschen, die einem knallhart die Wahrheit sagen, ohne daß die Beziehung daran Schaden nimmt, und daß ich gleich mehrere davon habe, ist ein Geschenk.

Das habe ich ihr auch beim traditionellen Geburtstagsprost gesagt.

Jetzt ist sie wieder in ihrem eigenen Leben, selbständig, aber nah genug, um etwa einmal die Woche bei uns vorbeizukommen. „Ich wollte Karma besuchen“, sagt sie dann, und Kater Karma, der sehr an ihr hängt, weicht nicht von ihrer Seite und sie himmeln sich gegenseitig an. (Alle Klagen, die Karma gegen uns führt, sind übrigens aus der Luft gegriffen!) Dann guckt sie sich um, womit sie mir helfen kann, und tut es. Und wir unterhalten uns, backen oder kochen zusammen, bis Y. nach Hause kommt und strahlt, wenn er sie sieht.

Ich freue mich schon aufs nächste Mal, weiß aber auch, daß ich das besser nicht zu deutlich zeige. „Nur kein Überschwang!“ steht auf ihrer glatten Stirn geschrieben, und ich halte mich daran.

 

Letzte Nacht August 25, 2019, 6:31

Posted by Lila in Land und Leute.
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war wohl wieder jet loss, wie der Rheinländer sagt. Iranische Truppen in Syrien, so IDF, waren drauf und dran, wieder eine bewaffnete Drohne in den israelischen Luftraum zu schicken. Woraufhin die Luftwaffe einen Präventivschlag gestartet hat, und der muß ziemlich heftig gewesen sein. Wir sind schon seit Jahren im Krieg mit dem Iran, es geht Runde um Runde, und irgendwann, befürchte ich, wird dieser Krieg nicht mehr so relativ klein zu halten sein, wie er es jetzt ist.

Wir haben weder eine gemeinsame Grenze mit dem Iran noch irgendwelche historischen Probleme. Bis zur Mullah-Revolution waren die Beziehungen sehr gut. So waren die Iraner die besten Kunden der Kibbuz-Firma, in der Y. seine Laufbahn begann, und durch diese geschäftlichen Beziehungen blühte die Firma richtig auf.

Die Iraner behaupten zwar, daß sie das „Unrecht“ an den Palästinensern rächen wollen, tun aber wenig für die Palästinenser, außer ihnen „militärische Berater“ aller Arten an den Hals zu schicken, die die Palästinenser noch tiefer in ihre unablässigen, unproduktiven Konfrontationen mit Israel verwickeln.

Die Mullahs haben Israel zum Todfeind erklärt und versprechen uns bei jeder Gelegenheit, uns von der Landkarte zu löschen (nein, kein „Übersetzungsfehler“, sie sagen es regelmäßig und in allen möglichen Variationen, es läßt sich nicht wegerklären oder leugnen, es sei denn, man hat ein Interesse daran, zu lügen). Daß der Iran Israel umzingelt und sich im Gazastreifen, im Libanon und jetzt in Syrien festsetzt, ist eine echte Gefahr für uns.

Wir wissen viel zu wenig über die wirklichen Vorgänge, um abschätzen zu können, aufgrund welcher Informationen IDF und Sicherheitskabinett welche Entscheidungen treffen. Wir können nur hoffen, daß Bibi das Augenmaß hat, gerade so zu reagieren, daß der Iran abgeschreckt wird, aber nicht zu harten Gegenmaßnahmen angeregt wird.

Ich bin bekanntlich absolut kein Fan von Bibi (dessen Regierungszeit Bereiche wie Pflege, Erziehung, Landwirtschaft und Tourismus bis an den Rand der Lebensfähigkeit ausgehungert hat), aber ich muß ihm lassen, daß er es trotz der extrem unruhigen Umgebung geschafft hat, uns eine größere Auseinandersetzung zu ersparen. Trotzdem habe ich Sorge, daß sie sich nicht ewig wird herauszögern lassen.

Schlüsselfigur dabei ist Rußland. Solange die Russen dem Iran in Syrien freie Hand lassen und ihn sogar unterstützen, können wir es nicht verhindern, daß Syrien zum Stützpunkt für zukünftige Angriffe auf Israel wird. Bei der Gegenwehr muß Bibi sich so weit wie möglich mit den Russen abstimmen, und an diesem Spielraum für Israel arbeitet Bibi (und im Wahlkampf setzt er darauf, daß wir das wissen, und betont seine internationale politische Erfahrung, auch seine Fähigkeit, mit Putin zu einer Art Verständnis zu kommen).

Mir ist dabei unwohl, weil ich immer noch an der Illusion festhalte, man müßte sich doch irgendwie einigen können, obwohl ich weiß, daß es mit dem Iran schlicht nicht möglich ist. Es gibt keinen Streitfall, über den man sich einigen könnte. Der Iran will Israel weghaben, fertig. Da gibt es nichts, was wir ihm bieten könnten im Austausch für Frieden.

Daß dieser kompromißlose Zerstörungswunsch auf die Chancen, eine pragmatische Einigung mit den Palästinensern zu finden, katastrophale Auswirkungen gehabt hat, liegt auf der Hand. Der Einfluß iranischer und iranisch gesponserter Gruppen ist überall fühlbar, und sie stacheln selbstverständlich den palästinensischen Rejektionismus an. Für den Iran sind die Palästinenser Bauern, die vorgeschoben und geopfert werden.

In den über 30!!! Jahren, die ich hier lebe, habe ich regelmäßig Wellen der Spannung miterlebt, die ansteigen, uns alle erfassen, und die irgendwann wieder abebben. Mal ohne daß irgendwas passiert ist, aber oft genug auch, nachdem sich die Spannung entlädt, in Form von Angriffen auf israelisches Gebiet und israelische Bürger, oder einer israelischen Offensive an einer der Grenzen.

Ich habe 1991 die Fenster abgeklebt und Winz-Primus in ein angeblich gasdichtes Zelt gelegt, neben das ich mich dann mit Gasmaske gesetzt habe. Ich habe im Laufe der Jahre hunderte Male vor dem Fernseher gesessen und gehört, wie die Namen von Terroropfern verlesen werden.

Mehrere Male war ich dabei, wenn „verdächtige Gegenstände“ gesprengt wurden, bin aus Gebäuden evakuiert worden und habe an vielen kleinen Gedenk-Ecken für Terroropfer gestanden. Ich habe Militärfahrzeuge sich sammeln gesehen, Alarm gehört, israelische Artillerie in Richtung Libanon bummern hören, Batterien von Iron Dome vor unserem Dorf gesehen. Habe Secundus´ Bild in der Zeitung gesehen nach einem Zwischenfall in Hebron.

Am schlimmsten für mich und unvergeßlich ist der Moment, als Secundus mich anrief und sagte: „Mama, wir müssen vermutlich nach Gaza rein und rufen vorher noch mal an, dann müssen wir die Telefone abgeben, mach dir keine Sorgen“, und ich sagte, „alles okay, paß auf dich auf, ich mach dir dein Lieblingsessen, wenn du wiederkommst“. Und ging dann in sein Zimmer und legte den Kopf auf seine T-Shirts und wollte die Welt anhalten, einfach anhalten. (Er mußte nicht rein, er kriegte sein Telefon wieder und auch sein Lieblingsessen, der goldene Junge.)

Dabei sind mir, tfu tfu tfu, wirklich traumatische Erlebnisse erspart geblieben. Meine junge Nachbarin Riki, die hier aufgewachsen ist, hat als Mädchen gesehen, wie ihre Nachbarin von einer Katyusha in Stücke gerissen wurde, und ist seitdem so traumatisiert, daß sie bei Alarm kaum imstande ist, ihre Kinder zu beruhigen und eine Art Normalität vorzutäuschen, das muß ihr Mann machen, sie kann es nicht. Ich kenne viele Familien, die Angehörige in Krieg und durch Terror verloren haben. Ich habe nur Angst-Momente mitgemacht, und auch die in einem für Israel komplett normalen Maße. ALLE haben das miterlebt, was ich miterlebt habe, und die meisten viel Schlimmeres.

Was mein Mann als 18jähriger Soldat in fünf Jahren Libanon mitgemacht hat, immer vorne im Krieg, unter dem Kommando von „Yaya“ (Yoram Yair), war bei der Schlacht am Awali-Fluß dabei, und wäre doch eigentlich lieber im Kibbuz in der Avocadoplantage gewesen. Auch er ist so traumatisiert, daß er vieles nicht mehr in Erinnerung rufen kann und die Filme Beaufort und Waltz with Bashir nicht zu Ende sehen konnten, weil sie die Erinnerungen zu nahe brachten, weil er das miterlebt hat. Sein Vater ist ebenfalls vom Krieg traumatisiert und war bei der Schlacht um den Hermon dabei. Sein kleiner Bruder bei Defensive Shield (als Reservist).

Alle seine Onkel und Tanten, Vettern und Cousinen, Freunde und Freundinnen, Neffen und Nichten haben Erinnerungen an den Krieg. Einer der Onkel ist so traumatisiert, daß er seit Jahrzehnten unfähig ist zu arbeiten und ein normales Leben zu führen, er lebt von einer IDF-Rente (er hat im Yom-Kippur-Krieg Tote aus Panzern geborgen). Einer der Neffen, vor dem Rückzug aus Südlibanon dort stationiert, war so traumatisiert, daß er über Jahre nur in seinem Zimmer gesessen und die Wand angeguckt hat, jetzt hat er sich endlich wieder bekrabbelt und ähnelt wieder dem Jungen, den wir kannten.

Das klingt jetzt alles sehr dramatisch, aber es für Israelis absolut normal. Und auch für andere Populationen im Nahen Osten. Die meisten können sich an Kriege und Bürgerkriege, an religiöse Unterdrückung und Vertreibung erinnern. Die ganze Weltgegend hier ist ständig in Unruhe und Bewegung (und nein, die meisten dieser Probleme haben mit uns nichts zu tun).

Es ist nun auch nicht so, als würden die ganz normale Traumata der Israelis auf eine Bevölkerung treffen, die auf in Generationen angesammelte Immunität und Selbstsicherheit zurückgreifen kann. Die Großeltern- und Großelterngenerationen sind auch alle traumatisiert. Gewaltsam aus Ägypten oder dem Irak vertrieben, zu Fuß durch die jemenitische Wüste geflohen, in russischen Gulags gesessen, vor dem Holocaust geflohen, das sind hier alles ganz „normale“ Familiengeschichten. Auch die Familien, die immer hier in der Gegend waren, haben Unterdrückung und Unruhe miterlebt, z.B. das grauenhafte Massaker an den Juden Hebrons, das sich gestern zum 90. Mal gejährt hat.

Daß die Israelis es trotzdem fertiggebracht haben, eine blühende Hi-Tech-Landschaft, exzellente medizinische Versorgung und eine interessante Tanz-Musik-Literatur-Szene hervorzubringen, wird mir immer ein Rätsel sein. Das Leben geht normal weiter, die Leute denken schon an die Feiertage und bei welcher Schwiegerfamilie sie wann sein müssen, auch an Tagen wie heute, obwohl bestimmt, wie ich, die meisten Leute Armeeradio im Hintergrund hören und sich überlegen, was als nächstes kommt.

Die meisten Leute hier sind auch weitaus stoischer als ich. Nur ich mit meiner deutschen Dünnhäutigkeit denke über die Dinge so, wie ich das hier hingeschrieben habe, weil ich den Unterschied zwischen „normal deutsch“ und „normal israelisch“ so deutlich fühle. Und es mir wehtut, denn die Leute hier haben das nicht verdient. Sie sind immer noch imstande, mit echtem Mitleid zu sagen, „die Armen“, wenn z.B. im Iran ein Erdbeben ist und Menschen verletzt werden.

„Nähern wir uns jetzt einem Krieg mit dem Iran, mit der Hisbollah im Norden und der Hamas im Süden?“, fragt der Journalist gerade den Minister Israel Katz, der darauf nur beruhigende Antworten hat. Er möchte, daß wir uns auf Bibi verlassen. „Verstehe die Botschaft“, sagt der Interviewer trocken.

Und ich mach mir jetzt einen zweiten Kaffee, gebe mich an die Arbeit und hoffe, daß alles gutgeht, daß die Iraner heute aufstehen und sagen: kommt, vergessen wir die Israelis, die Welt ist so groß, laßt uns lieber zusammenarbeiten und Frieden halten, wie schön wäre das.

 

 

Kommentar dazu aus Times of Israel

Weiter, weiter, weiter August 23, 2019, 13:09

Posted by Lila in Land und Leute, Muzika israelit.
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Mein liebster Radiosender ist Galey Zahal („Galatz„), der Armeesender, die haben nämlich wirklich immer interessante Leute vor dem Mikrophon, mit eigenen Meinungen. Um 13 Uhr fing die Sendung mit Nathan Datner und Odia Koren an. Kurze Ansage nach den Nachrichten, die ja heute wirklich schrecklich sind, dann Musik. Als die Sprecher wieder dran waren, sagte Datner (aus dem Gedächtnis zitiert): „wir hatten hier, während die Musik lief, einen richtigen Streit, sogar laut. Auch ich habe jahrelang gedacht, egal was ist, Anschlag, Tod und Leid, immer weitermachen, das ist der einzige Weg, das Leben muß weitergehen. Jetzt bin ich aber nicht mehr sicher. Nach den schweren Nachrichten von heute kommt mir unser Programm für heute komplett irrelevant vor, und ich möchte es nicht durchziehen“. Seine Kollegin sagte: „Man muß auch an die Familie denken, an die Menschen, die die Betroffenen kennen. Wie muß es für die sein, wenn sie hören, daß wir hier einfach so weitermachen.“ Die Verantwortliche für die Sendung, deutlich jünger als beide, meldete sich ebenfalls zu Wort und meinte, sie sieht nicht, was man sonst machen soll außer weiter senden.

Und da meinte Datner, „wir schließen jetzt das Programm, wir senden Musik, wir wollen nicht weitermachen und ich glaube, die Hörer verstehen das“, und seine Kollegin drückte ihr Beileid an die Familie aus. Beide klangen todtraurig.

Seitdem läuft traurige Musik, an der ja hier kein Mangel herrscht.

Ich war so dankbar für diesen Austausch, der so ehrlich war. Und ich habe auch weiter nachgedacht.

Es ist ja so in Israel, nach jedem Anschlag, egal wo, egal wie schwer, geht das Leben sofort weiter. Die Toten werden schnell beerdigt, die Leute von Zaka sorgen dafür, daß der Tatort so schnell wie möglich wieder zugänglich ist, und oft werden Einkaufszentren oder Geschäfte noch am selben Tag wieder eröffnet, Busse fahren wieder, man reißt sich zusammen und sagt: der Terror wird uns nicht davon abhalten, normal zu leben. Das Herz ist schwer, das Leben geht weiter.

Aber ich habe mir schon manchmal überlegt, eigentlich ist es unmöglich, denn man trägt das immer schwerer werdende Herz so durch die Jahre, und fast täglich, mindestens aber einmal die Woche, kommen neue Steine dazu. Wir müßten eigentlich innehalten und allesamt den Himmel anschreien und die Welt. Aber wer würde es hören?

Ich höre die Traurigkeit übrigens auch in der Stimme von Meir Banai, der die nächste Stunde bei Galatz aufmacht, auch er kann sein normales Programm nicht machen. „Das Leben führt uns hin, wo wir es nicht geplant haben. Ach, wann werden wir hier in Ruhe leben können?“ Und er legt das Lied auf, das David Grossman für seinen Sohn geschrieben hat, gesungen von Yehuda Poliker, „Wie kurz ist hier der Frühling“

 

 

Kaltes Entsetzen August 23, 2019, 12:20

Posted by Lila in Land und Leute.
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Eine Familie aus Lod macht einen Ausflug nach Dolev, wo eine idyllisch gelegene Quelle viele Besucher anzieht (seit dort vor 4 Jahren Danny Gonen ermordet wurde, wird die Quelle nach ihm benannt). Wie es genau passiert ist, wissen wir noch nicht – ob es ein ferngesteuerter Sprengsatz war oder ob jemand eine Handgranate auf die Familie geworfen wurde – jedenfalls wurden drei Familienmitglieder schwer verletzt. Der Vater war trotz seiner Verletzung noch bei Bewußtsein und rief den Rettungsdienst. Er und der 19jährige Sohn wurden mit Hubschraubern ins Krankenhaus gebracht und der Sohn dort sofort operiert. Die 17jährige war zu schwer verletzt, um transportiert zu werden. Eine Stunde haben die Rettungskräfte um ihr Leben gekämpft, jetzt hören wir, daß sie gestorben ist.

Vor zwei Wochen Dvir Soreks Ermordung. Die Auto-Attacke ist auch noch keine 2 Wochen her. Wie viele Anschlagsversuche gescheitert sind, wird nicht veröffentlicht. Dazu die vielen versuchten Grenzdurchbrüche Bewaffneter an der Grenze zum Gazastreifen.

Es fühlt sich nicht gut an. Die Hamas bejubelt den heutigen Anschlag. Wie man so etwas bejubeln kann, ist mir rätselhaft, aber die Hamas tickt anders.

Es tut mir so leid um die 17jährige, um die ganze Familie, um Danny und Dvir und all die anderen Opfer. Ihre Familien, die nie darüber wegkommen.

Dieser Terror führt zu nichts außer Leid und Trauer und Mißtrauen. Mit jedem neuen Anschlag wird der Abstand zu einer friedlichen Lösung größer.

Rina hieß das Mädchen. In zwei Stunden wird sie beerdigt, noch bevor der Shabat beginnt. Ihr Vater und Bruder werden nicht dabeisein können.

Ein Nachruf August 22, 2019, 12:17

Posted by Lila in Bloggen.
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Über Jahre hinweg war Willow meinem Blog treu. Wer hier länger mitgelesen hat, kannte seine Beiträge. Er hat mich oft in Diskussionen die Rolle des good cop übernehmen lassen, die mir bequemer ist, und hat sich für mich als bad cop ins Getümmel gestürzt. Wir haben uns über Jahre geschrieben, uns auch mit Familien kennengelernt. Ich habe ihn sehr gemocht und geschätzt.

Mein schönstes Erlebnis mit Willow war in Berlin. Ich war mit einer Studentengruppe da, also ohne auch nur eine Minute Freizeit, um liebe Menschen zu treffen. Außerdem sind die Willows keine Berliner. Ich raste also mit meinem Kollegen durch einen großen U-Bahnhof, um für alle Studenten und Kollegen Wochenkarten zu kaufen, als auf einmal jemand rief: LILA! Es war Willow mit Frau und Sohn. Sie begleiteten uns noch zu den Studenten in einem Cafe, und es war eine tolle Situation. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, sich so in Berlin über den Weg zu laufen?

Sein Verlust hat seine Familie schwer getroffen, natürlich, aber auch weiter entfernte Menschen wie mich. Seine Stimme, oft von einem gewissen Spaß am Streit geprägt, sein Witz und die große Warmherzigkeit, die dahinter lag, fehlt mir nicht nur im Internet.

Ich fühle mich vielen Kommentatoren, Bloggern und auch Twitterern nah. Es stellt sich durch das gegenseitige Lesen eine Art Nähe ein, die manche für eine Illusion ansehen, aber meine Erfahrung ist, daß Menschen, die im Internet sympathisch sind, das auch bei einer Begegnung sind. Ich habe ja nicht wenige von den hier Mitlesenden schon persönlich getroffen, und ich hoffe, die Sympathie war gegenseitig.

Meine und Willows Beziehung war herzlich, und wir haben uns mehrmals getroffen und immer verstanden. Er hatte einen großen Freundeskreis und war begabt für das Knüpfen von Beziehungen. Er war meinungsstark, konnte aber auch zuhören und lachen.

Er fehlt nun schon seit über einem Jahr.

Eine Antwort auf die tränenreichen Klagen August 22, 2019, 3:12

Posted by Lila in Presseschau.
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der demokratischen US-Kongressabgeordneten Rashida Tlaib, die zwar die Erlaubnis erhielt, ihre Großmutter zu besuchen, aber dann doch davon Abstand nahm. Dann hätte sie ja unter Umständen zur Kenntnis nehmen müssen, daß ihre Großmutter in einem wohlhabenden kleinen Ort ungestört lebt, daß es inzwischen deutlich weniger Checkpoints gibt, und daß es auch keine Apartheid dort gibt, außer natürlich gegen Juden, die diverse Straßen nicht benutzen dürfen.

Nein, Tlaib hat es vorgezogen, vor laufenden Kameras eine dramatische Klage abzuziehen. Darauf hat Shoshana Bryen ihr ein paar Wahrheiten in Erinnerung gerufen. (Nicht als würde ich erwarten, daß Tlaib das wirklich liest!)

Is it insensitive to point out that international Arab wars in 1948, 1956, 1967, 1973, 1982, terror wars (so-called intifadas) in 1989 and 2001, and rocket wars in 2006, 2009, and 2014 have all been started by Arab states or Palestinian leaders against the state of Israel with the intention of destroying it?

It really is harsh to point out that after Israel acquired the West Bank territory and, in the course, defending itself from the king’s weak-mindedness, Palestinian workers were permitted to travel to and work in Israel — and still are. Some 100,000 – 110,000 Palestinians currently work in Israel and another 30,000 work in West Bank communities. Is it callous to note that those checkpoints were the result of Palestinian terrorism that ended any hope of free or casual passage?

Ich persönlich hätte es ja klüger gefunden, sowohl Ilhan Omar als auch Rashida Tlaib einfach einreisen zu lassen, statt wie andere Staaten auch von dem Recht Gebrauch zu machen, Agitatoren dieser Art auszuschließen. (Die Liste der Organisationen, mit denen die beiden sich treffen wollten, spricht Bände). So haben sie die Gelegenheit, sich zu Märtyrerinnen hochzustilisieren.

Was irgendeinen amerikanischen Wähler bewegen könnte, einer dieser beiden Figuren die Stimme zu geben, wo sie doch (ganz ähnlich wie arabische Abgeordnete in der Knesset, oh nein, Hanin Zouabi!) wesentlich besorgter um das Schicksal der Palästinenser sind als um das ihrer Wähler – ich verstehe es nicht. Im Zeitalter Trump polarisieren sich wohl auch die amerikanischen Wähler, und muslimische Frauen mit Migrationshintergrund bringen wohl gerade wie beim Scrabble volle Punktzahl. Doch so lobenswert ich es finde, daß Vertreterinnen ansonsten marginalisierter Gruppen politisches Mitspracherecht haben, so unheimlich ist mir, wofür sie es dann in Anspruch nehmen.

Daß sie dann gleichzeitig Juden vorwerfen, sie wären nicht richtig loyal, weil doppelt loyal, das ist dann wohl der Gipfel des unreflektierten Widersinns.

Ihr angekündigter Besuch hier war eine Falle, und wir sind prompt reingetappt. Obwohl das vermutlich ein Fall ist, in dem jede Entscheidung falsch gewesen wäre.

Eigentlich wollte ich dieses überflüssige Drama gar nicht erwähnen, aber ich habe den Link zu Bryens Text bei Twitter gefunden und dann war es schon geschehen!

Und wenn ich schon mal dabei bin, kann ich auch gleich einen Artikel über das Dorf verlinken, in dem Tlaibs Großmutter ein nicht ganz so elendes Dasein führt, wie ihre Enkelin uns glauben machen will.

In fact, even the World Bank said in 2014 that the village is one of the richest in the region. The poverty rate in the village stood at 7.4 % in 2014, compared to the overall rate of 21% in the Palestinian Authority.

Bigman führt dann weiter aus, was das bedeutet, Wohlstand: alle Häuser sind in Privateigentum, Familien wie die Tlaibs fahren teure Autos, alle Häuser haben Satellitenschüsseln und die meisten mehr als 4 oder 5 Schlafzimmer, sind also geräumig.

Wie im Fall von Imshins Videos aus dem Gazastreifen ist das eine Seite der Medaille. Armut existiert bestimmt auch, wenn auch nicht so kraß wie oft dargestellt (und im Vergleich mit anderen arabischen Ländern geht es der PA blendend). Aber wie dramatisch das Bedürfnis danach ist, sich die Dornenkrone des Leids aufzusetzen, zeigt dieser Clip von Corey Gil-Shuster. (Springt gleich auf 4.00 vor, Coreys Einleitung ist viel zu lang! Aber er ist eben kein Profi.)

Im Rahmen seines Ask-Projekts befragt er Leute auf der Straße. Dabei stellt er Fragen, die ihm seine Zuschauer übermittelt haben. „Wie sehr leidest du unter der Besatzung?“ lautet die Frage diesmal. Alle leiden ganz fürchterlich. Aber wie sich das konkret ausdrückt, das Leiden, das weiß keiner überzeugend zu sagen. Und wohlgenährte Menschen in Kegelbahnen oder Einkaufszentren können nun mal nicht überzeugend genug die Opferpose einnehmen. Daß sie das nicht merken, zeigt auch, für wie blöd sie Ausländer halten, die ihnen solche Fragen stellen. Sie gehen davon aus, daß ein Westler diese Märtyrerpose einfach schluckt. Wie es die meisten ja auch tun. QED im Fall Tlaib, die tatsächlich von manchen ernstgenommen wird.

Schon wieder Alarm August 21, 2019, 20:28

Posted by Lila in Qassamticker (incl. Gradraketen).
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in Nahal Oz, am Gazastreifen. Das dritte Mal seit dem Wochenende, wenn ich richtig zähle. Was die Leute dort an der Grenze durchmachen, ist unbeschreiblich.

Ich habe vor ein paar Tagen in meinen alten Blog-Aufzeichnungen geblättert, die bei Wayback unvollständig erhalten sind. War selbst ein bißchen verblüfft, wie deutlich man meinen persönlichen „Rechtsruck“ erkennen kann – also eigentlich von ganz links in die Mitte. Aber auch interessant, wie das zustandegekommen ist. Hier ein Beispiel.

 

Donnerstag, 15.12.2005

Reichweite

Wenn man den ganzen Tag rumgewieselt ist, guckt man abends doch mal gern Nachrichten. Das ist in Israel nun mal so, irgendwas ist immer.

Tja, den ganzen Tag sind im Süden Qassam-Raketen gefallen. Niemand verletzt, und da die bösen Israelis (noch) nicht zur Vergeltung geschritten sind, läßt das die deutschen Online-Medien kalt, was ich vom journalistischen Standpunkt aus durchaus verstehe. Für die ausländischen Medien ist das ein Non-Event, doch für die Bewohner der südisraelischen Stadt Ashkelon ist es schon unangenehm, wenn vor ihrer Nase die Raketen in die Dünen knallen.

Sie haben ihre Reichweite deutlich verbessert, und man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, was hier los ist, wenn sie wieder pausenlos schießen und dabei Menschen zu Schaden kommen. Auch unsere cholerischen Freunde im Norden, die Hisbollah, arbeiten ja fleißig an der Reichweite ihrer Katyushas, damit sie damit bald auch bei uns effektvoll landen können.

Tja, und doch hat so eine Nachrichtensendung auch ihre humoristischen Seiten. (Mal wieder von meinem liebsten Gedankenspiel abgesehen: was hätten die Jülicher wohl gesagt, wäre die Zuckerfabrik unter Beschuß gekommen…?) Es wurde nämlich der Bürgermeister von Ashkelon interviewt, und der arme Mann wußte wirklich nicht, was er sagen sollte.

Soll er die Bedrohung runterspielen, damit seine Bevölkerung nicht in andere Gegenden umzieht? Dann würde er ja die Bedrohung durch die Palästinenser kleinreden, und das kann sich kein israelischer Politiker leisten. Außerdem, wenn man den Einschlagtrichter der Rakete sieht, hm, möchte man die nicht gern einem Menschen auf den Kopf fallen sehen. Ungefährlich sind die Dinger nicht, wir haben schon Opfer zu beklagen gehabt.

Ja, aber wenn der Bürgermeister nun über die Gefahren schäumt, denen seine Leute ausgesetzt sind? Dann macht er als Bürgermeister keinen sehr schlanken Fuß. Wer will dann noch in Ashkelon leben?

Der arme Mann laviert also ein bißchen rum, er kann ja nichts dafür, hm, ja, gefährlich ist das schon, keine Frage, aber die Stadt tut ihr Möglichstes…

Kann er denn seine Stadt nicht schützen?, fragt der Journalist. Also, ein Frühwarnsystem existiert noch nicht, das gibt der Bürgermeister zu. Daß der Zustand der Bunker katastrophal ist, wissen wir alle, wir kennen schließlich alle „unsere“ Bunker. Und bei Qassams bleibt auch nicht viel Zeit, um in einen Bunker zu rennen. Na ja, die Stadt tut was sie kann, was ohne Warnsystem und Schutzräume nicht sehr viel ist.

Tja, man schwankt hier zwischen Entsetzen und Lachen. Ich kann nur hoffen, daß das ein einmaliger Event war mit den Qassams, daß die Palästinenser in Gaza nach dem Abzug der verhaßten Siedler endlich anfangen, andere Industrien zu entwickeln als die Qassam-Herstellung, und daß uns das Lachen nicht total vergeht.

Ja, wenn ich damals gewußt hätte, daß 14 Jahre später immer noch Qassams und Schlimmeres dort fallen, daß eine ganze Generation traumatisiert aufwachsen würde, daß keine Regierung eine Lösung gefunden hat, weder mit Zurückhaltung und Verhandlungen, noch mit wie auch immer gestaffelten Reaktionen – dann hätte ich wohl nicht so doof gelacht.

 

Das war im März, einer heftigeren „Runde“. (Der „normale“ Beschuß schafft es ja nie in die internationalen Nachrichten, das läuft so nebenher.) Pfadfinder beschützen ein kleines Mädchen bei Alarm.

Ob ich dieses Selfie unter Feuer einer jungen Frau hier schon gepostet habe, weiß ich selbst nicht mehr. Sie hat es veröffentlicht, weil sie wollte, daß der Rest des Landes sieht, wie sich jeder einzelne Alarm anfühlt. Wohlgemerkt, sie kann sich an keine Zeit OHNE Alarme erinnern. Als ich mein dümmlich amüsiertes Stücklein veröffentlicht habe, muß sie noch klein gewesen sein. Vermutlich hat sie auch damals im Schutzraum gesessen, falls ihre Familie damals schon einen hatte. Seitdem unzählige Male, jedes Mal mit großer Angst.

Auch heute abend. Ich hoffe, sie war nicht allein.

 

Smotrich schon wieder August 21, 2019, 19:25

Posted by Lila in Land und Leute.
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LBezalel Smotrich ist einer der Politiker aus der zweiten Reihe, die durch die Umwälzungen in den rechten Parteien in die erste Reihe gespült wurden.

In Kürze: Naftali Bennet und Ayelet Shaked, die die altehrwürdige nationalreligiöse Partei vor ein paar Jahren triumphal übernommen hatten, setzten sich vor den letzten Wahlen von dieser Partei ab, um ihre eigene zu gründen – die Neue Rechte. Das wurde von den Wählern abgestraft, und diese neue Partei verpaßte den Einzug in die Knesset knapp. Über Bibis Manipulationen, die zu den Neuwahlen im September führten, schreibe ich ein andermal. Jedenfalls haben die Erschütterungen in den rechten Parteien dazu geführt, daß heutzutage ein Bezalel Smotrich Transportminister ist.

Seit seiner Ernennung platzt er dauernd mit seinen Meinungen raus, die weit rechts von Bibis Likud sind (die sich ja schließlich um einen liberalen Kern gebildet hat, was sie manchmal selbst vergißt). Mal phantasiert er von einem Halacha-Staat (also nach dem Religionsgesetz), mal erklärt er Bibi für schwach und wankelmütig (dafür mußte er allerdings nach Canossa), und heute meint er uns mitteilen zu müssen, daß die gemischten kämpfenden Truppen die Schlagkraft der Armee schwächen.

Bibi  hat sofort eindeutig geantwortet und auf die Erfolge dieser Einheiten verwiesen.

Mir fiel dabei eine Doku-Serie ein, die ich vor ein paar Monaten gespannt verfolgt habe. Ich war ja selbst nicht bei der Armee, und meine Töchter haben (was mir nicht leid tut) nicht in einer kämpfenden Einheit gekämpft. Für mich war es also sehr spannend, den Soldaten und Soldatinnen der Einheit „Löwen des Jordan“ ein paar Monate zu folgen.

Leider keine englischen Untertitel! Aber wer Ivrit kann, sollte mal reinschauen.

Man sieht deutlich, daß die Mädchen (im Durchschnitt) von der körperlichen Stärke her unterlegen sind und daß die Jungens teilweise nicht begeistert sind, mit ihnen zu dienen. Natürlich gibt es individuelle Mädchen, die deutlich stärker, schneller und widerstandsfähiger sind als einige der Jungen, und so entwickeln sich Konflikte.

Wenn ich die Serie mit Y. sah, der bei den knallharten Fallschirmjägern gedient hat (und das im Krieg in Feindesland), schüttelte der nur den Kopf, weil die körperlichen Anforderungen sich nicht mit seinen Erinnerungen messen können (heutzutage gibt es auch viel strengere Richtlinien, wie viel Schlaf die Soldaten bekommen müssen), deswegen habe ich sie lieber allein geguckt 😉 Nein, nein, es war sehr interessant, sie mit ihm und den Kindern zu sehen, von denen mir jeder was von seiner Erfahrung erzählen konnte. Ist ja für mich eine geschlossene Welt.

Jedenfalls war die Person, die mich am meisten beeindruckt hat, die junge Offizierin, die es schaffte, die gesamte Gruppe zusammenzuschweißen und zu motivieren. Sie fand immer die richtigen Worte. Ich wüßte gern, was aus ihnen allen geworden ist. (Ich sehe jetzt, daß es ein Follow-up gibt, wie schön, das guck ich jetzt an.) Die Serie hat sie nur die ersten paar Monate lang begleitet. Aber die Soldatinnen in diesen Einheiten sind so gut ausgebildet wie ihre Kollegen, und noch höher motiviert und entschlossen, sich zu beweisen.

Wenn sie Smotrichs Bemerkungen heute gehört oder gelesen haben, muß sich das wie eine Ohrfeige angefühlt haben. Ich habe mich darüber sehr geärgert und hoffe, wir sehen von diesem Mann nach den Wahlen nichts mehr.

Wiedergelesen August 21, 2019, 12:52

Posted by Lila in Literatur und Bücher.
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Batya Gur ist schon seit fast 15 Jahren tot, und wenn ich ihre Bücher lese, erinnere ich mich heftig an die 80er und 90er Jahre. Klar. Interessant, daß ihre Krimis im Original ganz sachliche Titel haben,  z.B. „Mord am Shabatmorgen“, „Tod im Fachbereich Literatur“, „Kommunale Schlafregelung“ (jeder Israeli weiß wohl, daß damit die Kinderhäuser in den Kibbuzim gemeint waren, wo die Kinder statt zuhause schliefen) und „Tod an der Bethlehem-Straße“. In er deutschen Übersetzung wird daraus „Denn am Sabbat sollst du ruhn“, „Am Anfang war das Wort“, „Du sollst nicht begehren“ und „Denn die Seele ist in deiner Hand“.

Es scheint, als ob noch der selige Ephraim Kishon mit seinen allerdings verballhornten biblischen Titeln noch irgendwo herumspukt. „Der seekranke Walfisch“, „Arche Noah Touristenklasse“, „Nicht so laut vor Jericho“ und wie die Bücher alle hießen, die bei meinen Eltern in einer langen Reihe im Regal standen – die ich als Kind alle gelesen habe, nicht begreifend, daß Kishon eigentlich die israelische Wirklichkeit recht getreu wiedergibt. So habe ich noch die Erklärung zum Wort „nu?“ in Erinnerung, die so vieles bedeuten kann, und hielt sie für komplett übertrieben. Bis ich nach Israel kam.

Batya Gurs Kriminalfälle geben dem Leser die Gelegenheit, auf den Spuren des sensiblen, melancholischen Kommissars Ochayon in geschlossene Welten einzudringen (ich habe das Gefühl, Gur steht zu Ochayon im selben Verhältnis wie Dorothy Sayers zu Lord Peter Wimsey… der ideale Mann). Mal die geschlossene Gesellschaft der alteingesessenen Freudianer Jerusalems, alles alte Jeckes, mal die intellektuelle Atmosphäre des Fachbereichs Literatur der Uni Jerusalem (wo manche Passagen tatsächlich an Sayers´ geniales „Gaudy Night“ erinnern), mal ein Kibbuz, wo die Maßstäbe des Erfolgs „von draußen“ nicht gelten.

Der Außenseiter wird dann widerwillig geduldet, weil er die Infektion mit dem Bösen ausräumen soll, wie ein Antibiotikum, doch dann stellt sich heraus, daß es keine Infektion von außen war, sondern innere Fäulnis dieser Welt, die eigentlich nicht mehr so bleibt, wie sie war, auch nachdem Ochayon den Fall löst. Weswegen er selbst von Buch zu Buch verlorener und melancholischer wird.

Für meine Faulheit, die mich dazu verführt, diese Bücher in deutscher Übersetzung zu lesen, werde ich auch genregerecht bestraft. Ich ahne und spüre das Hebräische hinter dem Deutschen, ärgere mich ordentlich, wenn eine Anspielung nicht verstanden oder ein Wort nicht richtig transskribiert wird, und das letzte Buch ist fast unlesbar, wie eine Rohübersetzung. Die hebräischen Verknappungen sind nicht einfach ins Deutsche zu übertragen, und wer es wortwörtlich versucht, der treibt den deutschen Leser in die Verzweiflung.

Dann die gräßliche Angewohnheit, den Buchstaben yud mit einem deutschen j zu transskribieren. Dabei ist das deutsche j ein Konsonant – Jahr, Joghurt, Jacke. Im Hebräischen dagegen wird es als Konsonant geschrieben, aber nur selten ausgesprochen. Meist wird es mit einem langen i vokalisiert (manchmal auch mit ey) und klingt wie ein Vokal.

Der Name Shai zum Beispiel, in Gurs Buch konsequent Schaj geschrieben, hat mich in den Wahnsinn geschrieben. SHAI! SHAI! habe ich jedesmal gemurmelt, wenn er auftauchte. Nur als Beispiel.

(Ich bin für einen speziellen Buchstaben besonders empfindlich, weil er in meinem eigenen, nicht deutschen Namen auftaucht und von Israelis deutlich richtiger ausgesprochen wird als von Deutschen.)

Gurs Bücher geben einen Einblick in bestimmte recht versnobte Szenen in Jerusalem, und die derben Orientalen, die sich dort auch herumtreiben, sind oft geradezu karikiert. Ochayons Dilemma ist natürlich, daß er wie jeder gute Held zwischen den Welten wandert, geradezu Fanny Price als Kettenraucher in Polizeiuniform – er ist marokkanischer Jude, hat aber Geschichte studiert und würde so gern seine Dissertation über das Zunft- und Gildenwesen in der Renaissance zu Ende schreiben. Gurs ashkenasische Arroganz den Orientalen gegenüber mißfällt mir (und sie hat auch den Kibbuz-Gedanken ziemlich in die falsche Kehle bekommen, das kann ich mir nicht verkneifen). Trotzdem sind ihre Bücher lesenswert, wenn man gern Krimis liest, bei denen man sich nicht vor Spannung und Lese-Angst gruseln muß.

(Es wundert mich ja immer beim Lesen dieses Genres, wie gelassen Menschen weiterleben, denen mal eben Bruder oder Freundin ermordet wurden – aber sonst würde die Geschichte nicht weiterkommen, also müssen sie ihre Rollen mehr oder weniger weiterspielen.)

Wo Batya Gur ist, ist auch Shulamit Lapid nicht weit, Yairs Mutter. (Ich muß mal zusammenstellen, was ich im Laufe der Jahre alles über die Lapids geschrieben habe… ) Statt eines Karrierepolizisten mit Charme und Autorität, dem sich alle Türen öffnen, hat sie eine Reporterin in einem Provinzblättchen zur Protagonistin und Rätselknackerin erkoren. Lisi Badichi ist, wie man am Namen sofort erkennt, orientalischer Abstammung. Lisi ist eigentlich Lisette (ihre Schwestern heißen Georgette und Chawazelet), und Namen Lisette, Georgette und Ninette sind eigentlich typisch für marokkanische Familien, nicht jemenitische, aber sei´s drum, vielleicht ist Lisis Mutter ja marokkanischer Abstammung?

Auch Lapid lästert ein bißchen über Lisis mangelnde Attraktivität (große Füße, großer Busen, schlechte Haltung) und ihre Vulgarität (greller Lippenstift, Plastikohrringe). Eigentlich, wo ich das jetzt so hinschreibe, nervt es mich sehr, daß in international sehr beliebten Büchern, von ashkenasischen, gebildeten Damen verpaßt, die meisten Orientalen schlecht wegkommen. Allerdings kommen bei Lapid alle schlecht weg, sie hat einen ziemlich bitteren Blick auf die Welt und die arme Lisi wird von den Männern in ihrem Leben angeschnauzt und gedemütigt, daß man sich beim Lesen darüber mehr entsetzt als über die diversen, auch hier dankenswert steril abgehandelten Morde.

Lisi bekommt von ihrer Familie wenig Anerkennung (ihre Mutter sähe sie lieber verheiratet und als Mutter, und ich gestehe, daß viele meiner israelischen Freundinnen mir von diesem Druck berichtet haben, nicht nur in orientalischen Familien) und im Beruf muß sie sich von Männern unterbuttern lassen, die dann ihre Verdienste sich selbst zuschreiben. Ich hoffe, daß Lisi in einem späteren Roman die Kurve kriegt und es den ganzen fiesen Kerlen mal zeigt.

Lisis Fälle folgen nicht dem Muster des Eindringens von Verbrechen und Aufklärer in eine geschlossene Welt, und das Milieu Beer Sheva spielt keine wirkliche Rolle, außer eben als Hintergrund. Wie gesagt, bin noch nicht weit genug in der Serie, vielleicht ändert sich auch das noch. Bei Gur spüre ich Jerusalem sehr deutlich, bei Lapid mehr ein generisches „israelische Peripherie aus Tel Aviver Perspektive“.

Ich habe den Verdacht, daß ich beide Schriftstellerinnen doch mal im Original lesen muß. Ich habe im Verdacht, daß Gur ein diffizileres Ivrit schreibt und darum manche Übersetzungen stolpern, während die Lapid-Übersetzungen flüssiger und lesbarer sind, vielleicht einem einfacheren Ivrit zu verdanken?

Laßt Euch trotz meiner Mäkeleien nicht davon abhalten, Gur und Lapid mal anzutesten, wenn ihr wie ich gern mit Büchern, die im weitesten Sinne Nachkömmlinge des klassischen Landhaus-Mords sind, die Realität für ein paar Stunden verdrängt.

Eigentlich müßte ich auch all meine Bücher von Oz und Yehoshua, Grossman und M. Shalev, Keret und Z. Shalev noch mal lesen. Die sind aber ernster und weniger dazu geeignet, sich ein schönes Stündchen auf der Couch zu machen.

Batya Gur in Serie, deutsch, mit Links zu Buchläden

Shulamit Lapid in Serie, deutsch

Vorfreude August 21, 2019, 9:03

Posted by Lila in Persönliches.
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Gleich fahre ich nach Nahariya, Wolle kaufen. Ich habe nämlich vor, einen Schmusehasen zu häkeln, für ein Baby, das demnächst zur Welt kommt. Seit ich das wunderbare Buch von Kerry Lord entdeckt habe, mit unglaublich schönen Tieren, habe ich schon mehrere Hasen und Elefanten und einen Fuchs gehäkelt.

Das ist Primus mit den ersten Tieren – da hatte ich das mit dem Gesicht-Aufsticken noch nicht so raus.

Das ist der Fuchs.

Ein kleines Häschen,

und noch eins.

Alle wollen Häschen, dabei möchte ich eigentlich das Erdferkel häkeln! Die Tiere werden so schön weich und schlenkerig, nicht so prall wie Amigurumi sonst gehäkelt wird.

Ich habe mir gleich noch ein anderes Buch von Kerry Lord gekauft, über Puppen, und wenn ich die Zeit hätte, würde ich nichts anderes tun als solche Sachen herzustellen.

Jetzt muß ich aber los. Die Wolle ruft.

Norden, Süden August 21, 2019, 8:02

Posted by Lila in Presseschau.
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O

 

 

Ich habe schon oft MEMRI-Clips verlinkt. MEMRI zeigt Material aus arabischen Fernsehsendern, das in westlichen Medien aus was auch immer für Gründen ignoriert wird. Vielleicht, weil sie keine Übersetzer haben?

Hier jedenfalls zwei Beispiele für die pausenlosen Drohungen, die aus allen Richtungen kommen. Yihiye Sinwar, Führer der Hamas:

Dieser „Marsch auf die Grenze“ geht seit anderthalb Jahren. Daß es sich dabei um friedliche Grenzproteste handelt, glauben wohl nur ausländische Journalisten.

Die Bewaffneten, die durch den Grenzzaun nach Israel eindringen, tun das sicher nicht, um ein Zigarettchen in einem Cafe in Sderot zu rauchen. Daß überhaupt so viele kräftige junge Männer lieber demonstrieren, mit Waffen rumlaufen und an der Grenze Drohungen brüllen, statt arbeiten zu gehen, sagt etwas über die Probleme im Gazastreifen aus.

(Falls Ihr mehr wissen wollt über die Lebensbedingungen im Gazastreifen sehen wollte, die nicht für alle so schlecht sind, wie viele glauben, empfehle ich Euch Imshin, die bei Twitter oft interessante Clips hochlädt – the Gaza you don’t see.)

Die Hamas will also Ashkelon erobern. Und im Norden träumen Hisbollah und der Libanon davon, Galiläa zu erobern.

Die Fiktion, daß Israel der aggressive, feindselige Faktor in einer Weltgegend guten Willens ist, kann man nicht aufrechterhalten, wenn man diese Worte hört. Es ist lächerlich, wenn Galiäa als „besetztes Gebiet“ bezeichnet wird, es zeigt aber auch, daß es eben nicht um 1967 geht (Folgen des Sechstagekriegs, Besatzung), sondern um 1948 (Existenz Israels). Wer Galiläa als besetzt ansieht, der will natürlich den Staat Israel zerschlagen. Eine Zweistaatenlösung ist das letzte, was die Terrororganisationen um uns herum wollen.

Das die Hisbollah in Deutschland nach wie vor nicht als Terrororganisation gilt, obwohl sie nachweislich Terroranschläge geplant und durchgeführt haben – daß die Hisbollah sich längst wieder an der Grenze zu Israel festgesetzt hat, obwohl sie nach 2006 dazu verpflichtet wurde, nördlich des Litani-Flusses zu bleiben – zeigt, daß außer uns niemand die Hisbollah als bedrohlich sehen will. Sonst würdet Ihr solche Bilder ja mal im Fernsehen sehen.

Oder einen Bericht über die „Motorrad-Parade“ in Aitaroun, wenige Kilometer von der israelischen Grenze entfernt, Dort haben letzte Woche wohl eine Menge Männer mit Testosteronüberschuß Israel mit Invasion „über und unter der Erde“ gedroht.

Nur zur Verdeutlichung, wo Aitaroun ist:

Es ist nicht ganz in unserer Nähe, der rote Stecknadelkopf rechts oben. Wir wohnen am blauen Pünktchen mehr links, näher am Meer. Unser voriger Wohnort, näher an der Grenze, ist am gelben Zeichen erkennbar (da hatte ich ja die Grenze immer vor Augen – jetzt gucke ich in Richtung Süden und das fühlt sich gleich viel weiter weg an).

Sie können mit ihren gigantischen Mopeds natürlich die Grenze nicht durchbrechen, und Israel sucht die Tunnel und  zerstört sie.

Die Anwohner hier hören den Lärm der schweren Maschinen schon seit Jahren, und sind natürlich immer noch besorgt, daß die Armee vielleicht nicht alle gefunden hat. Denn der Plan hinter diesen Tunneln ist diabolisch: eine kleine Truppe nach Israel einschleusen, in einen Ort eindringen, dort Zivilisten entweder umbringen oder in den Libanon verschleppen. So wie es mit Gilad Shalit an der Grenze zum Gazastreifen geschah.

Israel ist einerseits ein starkes Land, hochgerüstet und fähig, in ein iranisches Geheimarchiv einzudringen und es leerzuräumen. Aber israelische Bürger, besonders die in Grenznähe (und die Grenze ist nirgendwo richtig weit weg in Israel) fühlen sich auch immer unter den feindseligen Augen von Terrororganisationen, die an den Grenzen drumherum machen, was sie wollen.

Wer mehr wissen möchte, als die offiziellen Medien berichten, der sollte regelmäßig MEMRI gucken. (Vorsicht, fürchterliche Musik mit dem Promo, nichts für Schreckhafte!) Ich empfehle MEMRI ja schon seit Jahren, weil sie nichts interpretieren oder rein-interpretieren, sondern einfach die Berichte, Interviews und Reden bringen und übersetzen, die am Westen unbeachtet vorbeischwimmen.

Auch in unseren Medien wird nicht jede Nasrallah-Rede rezipiert, aber die wichtigen schon. Klar, es ist natürlich, daß wir da ein bißchen aufmerksamer sind. Denn wenn Hamas und Hisbollah ihre Drohungen wahrmachen, dann haben wir sie demnächst im Vorgarten stehen.

Veränderungen August 20, 2019, 21:51

Posted by Lila in Persönliches.
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Bei uns hat sich eigentlich nicht viel getan in meiner Blogpause. Quarta beendet ihren Wehrdienst im Oktober, und das wird eine Umstellung. Ich habe ja eine Weile gebraucht, bis ich mich daran gewöhnt habe, daß der Schulbus nicht mehr für mich unser Sträßchen runterbraust. Eine Weile habe ich noch automatisch gezuckt und gedacht: Mist, ich habe nichts gekocht!, aber irgendwann ist der Groschen gefallen. Und dann haben Y. und ich angefangen, so etwa ein Jahr nachdem alle Kinder die Woche über aus dem Haus waren, das so richtig zu genießen.

Ab Oktober also wird Quarta vermutlich noch eine Weile zuhause wohnen, und ich weiß noch nicht genau, wie wir uns wieder aneinander gewöhnen. Jetzt ist es schön, wenn sie am Wochenende kommt, aber Y. und ich haben den Schalter von „Eltern“ auf „Paar mit erwachsenen Kindern“ umgelegt. Mal sehen, wie das wird. Quarta ist ja auch erwachsen geworden. Sie erfüllt ihre Aufgaben mit beeindruckendem Fleiß und entwickelt echte Führungsqualitäten.

Primus lebt und studiert in Deutschland, Secundus war anderthalb Jahre lang im Ausland und studiert jetzt in Israel, Tertia arbeitet nach ihrem B.A. hier in der Nähe, wohnt allein, kommt oft zu Besuch und wird bestimmt weiterstudieren.

Schwiegereltern, Familie, Geschwister, tfu tfu tfu, alle gesund und vergnügt. Meine geliebten Nichten sind auch alle unterwegs in Erwachsenenleben, und in der erweiterten Familie sind viele Kinder geboren worden.

Vor zwei Wochen hatten wir ein Familientreffen im Schwimmbad des Kibbuz. Wir waren ein richtig großer Haufen mit vielen fröhlichen Kindern. Das habe ich sehr genossen. Wir haben gepicknickt, alle was mitgebracht, und da wir uns vorher  nicht abgestimmt hatten, gab es praktisch nur Pasta-Salate und Käsekuchen, aber in vielen Variationen! Das war lustig.

Es ist zehn Jahre her, daß wir ins Auge gefaßt haben, aus dem Kibbuz wegzugehen, und im Dezember können wir auf zehn Jahre Auszug aus dem Kibbuz zurückblicken. Ich habe manchmal Heimweh, aber mehr nach dem Kibbuz, wie ich ihn in Erinnerung habe, auch nach der Vergangenheit, als die Kinder noch klein waren…, als nach dem wirklich existierenden Kibbuz, wie er heute ist. Wir fahren gern und regelmäßig hin, und in vieler Hinsicht bleiben wir Kibbuzniks. Aber der Alltag ist schon einfacher, wenn einem nicht an jeder Ecke Ruchkele und Rivkele erklären, was sie von der Erziehung halten, die wir unseren Kindern gegeben haben.

Also alles harmonisch bei uns, bis auf die normalen Irritationen des Alltags.

Und was ich davon halte, daß wir innerhalb eines halben Jahres zweimal Wahlen haben und sich die Parteien- und Kandidatenlandschaft von einer Wahl zur anderen dramatisch geändert hat – das wollt ihr heute doch noch nicht wissen! Meine Gedanken über Bibi und Gantz, Lapid und Lieberman, Shaked und Horovitz, die werde ich noch zum Besten geben, und ihr könnt sie euch sowieso denken 😀

Eine Geschichte vom letzten Sommer August 20, 2019, 1:13

Posted by Lila in Deutschland, Persönliches.
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Wer hier länger mitliest, kennt die Geschichte von den Urgroßeltern meines Mannes, Henriette und Bernhard F. aus Essen. Letztes Jahr habe ich ihr Grab gesucht, das es in Essen noch geben müßte. Im Internet ist es eindeutig identifiziert.

Sie wurden allein begraben, ohne Gegenwart ihrer Töchter. Die eine schuftete in einem Kibbuz im Mandat Palästina, die andere war in Moskau. Sie starben allein und ich weiß nicht, wer sie begraben hat – die Gemeinde, vielleicht Verwandte oder Freunde (das werde ich aber, wenn möglich, noch herausfinden). Henriette und Bernhard jedenfalls haben und hatten, was viele ihrer Verwandten und Freunde nicht bekommen haben – Grabstätte, Grabstein und eingemeißelte Namen. Doch daß ihre Töchter das nicht wußten, kann man annehmen. Sie kehrten nicht nach Essen zurück, nur auf einen kurzen Besuch kam meine Schwieger-Oma, und der führte sie nicht auf den Friedhof.

Der Grabstein, das sah ich auf den Bildern im Internet, ist bei der Bombardierung der Stadt Essen beschädigt worden.

Nun lief ich also dort, wo der Friedhof gewesen sein sollte, an einem heißen Tag im letzten September dort herum. Und es war nicht irgendein Tag – es war ihr Todestag. Aber wo ich rumlief, waren keine Grabsteine, sondern Rasenflächen und ein Kinderspielplatz. Es war ein städtischer Park. Ich fühlte mich komplett verwirrt. Bis ich zwischen Bäumen und Sträuchern alte Grabmäler sah. Jüdische und christliche.

Ich bin lange dort rumgelaufen, sogar über einen Bauzaun geklettert, um doch noch einen Zugang zu dem alten Friedhof zu finden, der dort doch sein mußte. Mein Herz war so schwer, weil ich dachte: es darf nicht wahr sein, der Friedhof ist eingeebnet, und nicht einmal ein Grab hat man Henriette und Bernhard gelassen.

Fast hätte ich aufgegeben und hätte mich in die Bahn gesetzt. Statt dessen habe ich mich in ein Cafe gesetzt und beschlossen, ich finde raus, was mit dem Grab passiert ist. Und bin in die Synagoge gefahren, die schöne, große Synagoge in Essen.

Dort habe ich mir erstmal alles angesehen – das Gebäude ist beeindruckend, und die kleine Ausstellung oben ist sehr schön. (Ich habe von der Familie die Erlaubnis bekommen, eine Kopie von Urgroßmutter Henriettes Abschiedsbrief für diese Ausstellung zur Verfügung zu stellen.) Dann sah ich neben der Information eine kleine Schrift über diesen Friedhof – ein Teil existiert noch. Ich war so erleichtert, daß mir erstmal die doofen Tränen kamen. Die Mitarbeiter der Synagoge sind solche Tränen wohl gewöhnt, und ich lernte die „Frau mit dem Schlüssel“ kennen.

 

Denn der alte Friedhof, auf dem Y.s Urgroßeltern begraben liegen, ist unzerstört, aber stets abgeschlossen. Die Frau war sehr nett. Später stellte sich heraus, daß der Briefwechsel zwischen Y.s Oma und ihrer alten Heimatstadt noch vorhanden ist und der Name durchaus noch ein Begriff ist.

Leider schafften wir es so kurzfristig nicht, noch einen Termin für den Besuch des Grabs zu finden, der mir und ihr paßte. Es wird also bei meinem nächsten Besuch in Deutschland sein. Dann werde ich mit Grabkerzen und Steinen zurückkehren.

Wäre das Grab tatsächlich, wie viele andere, eingeebnet worden und darauf Schaukel und Klettergerüst gestellt worden – ich weiß nicht, mit welchen Gefühlen ich Essen verlassen hätte.

Grünflächen in der Stadt sind sehr wichtig, schöne Kinderspielplätze auch – aber muß man dafür auf Gräbern rumtrampeln?

Widersinnig August 19, 2019, 23:49

Posted by Lila in Bloggen.
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Als ich vor Ewigkeiten mit dem Bloggen aufgehört habe, war ein Grund dafür Zeitknappheit. Ich hatte das Gefühl, ich wende einfach zu viel Zeit auf meine kleine versunkene Stadt. Und die Zeit hatte ich nicht.

Trotzdem merke ich, daß ich eigentlich pausenlos schreibe. Es ist vermutlich gut, daß ich letzten Sommer die letzten Kisten mit meinem Namen drauf entsorgt habe, und zwar direkt in die Papiertonne – es waren meine gesammelten Tagebücher. Und ich habe mit dem Tagebuchschreiben am 7.7.1976 angefangen, ein schönes Datum, das ich auch jahrelang gefeiert habe. Die Papierschlange, die ich hinter mir her ziehe, ist einfach zu lang geworden, und darum habe ich ihren Anfang gekappt und in die Tonne geworfen. (Was mir fast leidtut – vor allem, wenn ich mir vorstelle, wie ein Mitarbeiter der Müllabfuhr mit roten Backen in einer Ecke sitzt und meine peinlichsten Abenteuer liest!)

Es dauerte nicht lange, und das Twittern ersetzte das Bloggen. Anfangs hier in Zwitsch und dort ein Zwatsch, und dann immer mehr, und natürlich ist so eine Buchstabenbeschränkung nur eine Empfehlung, denn man kann Zwitsch an Zwatsch kleben und sich Ärger, Frustration, Ratlosigkeit, aber auch gute Laune und nette Kleinigkeiten von der Seele schreiben.

Kein Dampfmaschinschen kann ohne Ventil auskommen, und meins ist nun mal das Schreiben.

Keine Ahnung, ob ich mich hier wieder warmschreiben kann, aber in die Tonne kloppen kann ich es auch nicht. Die ist nämlich voll.