jump to navigation

Der Papst im Nahen Osten… Mai 25, 2014, 14:11

Posted by Lila in Presseschau.
3 comments

… aber nur zu einer Stippvisite. Mal sehen, was er zu sagen hat.

Mein Lesetip zum Thema Christen in Israel: ein Artikel in der FAZ, der sich mit den sacht steigenden israelischen Christen beschäftigt, die freiwillig in der Armee dienen. Ich kenne sogar einen davon (und sehr viele Beduinen, die freiwillig dienen). Der Artikel läßt viele Leute zu Wort kommen. Ganz interessant. Hoffentlich lesen ihn viele und denken darüber nach, wie komplex die Realität ist, und wie wenig davon sich in Schlagworten wiedergeben läßt.

 

Zu oft, zu viel Mai 24, 2014, 22:32

Posted by Lila in Presseschau.
125 comments

Drei Tote im jüdischen Museum Brüssel, ein Schwerverletzter. Das war heute. Vor fünf Jahren war es in Washington, auch im jüdischen Museum, der Täter war Antisemit und Rassist. Vor zwei Jahren die jüdische Schule in Toulouse, der Täter war Islamist und Judenhasser. In Pforzheim wird ein jüdischer Schüle am Gymnasium massiv gemobbt. In Berlin wurden jüdische Schüler angegriffen und antisemitisch beschimpft. (Und erzähle mir keiner, das seien Lappalien – stellt Euch bitte vor, es wären Eure Kinder gewesen, das sollte reichen.)

In Berlin wird ein Rabbiner angegriffen und verletzt (die Leserbriefschreiber der ZEIT beschuldigen natürlich die israelische Politik), in Offenbach ebenfalls, insgesamt steigt in Deutschland die Zahl antisemitischer Angriffe. (Wikipedia listet ordentlich Angriffe gegen Juden in Deutschland auf – erschreckend.)

Erinnert sich jemand an Mumbai – an das Martyrium der jüdischen Familie? An den Bus in Burgas, wo israelische Touristen qualvoll verbrannten? An die Synagoge in Djerba, die zweimal Opfer von Anschlägen wurde?

Mir fallen so viele Beispiele ein, daß ich hiermit aufhöre. Bestimmt erinnern sich noch alle an das Hotel im Sinai, an den Flughafen in Nairobi, an die Botschaft in Buenos Aires, an… es sind zu viele, es ist zu viel.

Jüdische und israelische Ziele sind immer bedroht. Nicht umsonst wird man beim Betreten einer Synagoge oder eines jüdischen Museums in Deutschland gecheckt wie am Flughafen – oft gründlicher. Und immer wieder werden die Befürchtungen wahr.

Auf dem Hintergrund solcher Taten klingt es wie bitterer Zynismus, wenn jüdische oder israelische Befürchtungen kleingeredet oder als Hirngespinste abgetan werden. Natürlich wird der Terror nicht das Überleben des Staats Israel gefährden. Aber er kann das Überleben individueller Menschen gefährden, die jüdische oder israelische Einrichtungen besuchen, Juden oder Israelis sind. Und wenn man zufällig so ein Mensch ist oder sein könnte oder genügend davon kennt, dann nimmt man diese Befürchtungen ernst, auch wenn der deutsche Kommentator das lächerlich findet. (Wie putzig ist es dann, wenn ein solcher Kommentator eine Einladung nach Israel ablehnt – weil „zu gefährlich“…)

Sehr traurig, ich wünsche den Angehörigen der Opfer die Kraft, weiterzuleben, obwohl es außerhalb des menschlichen Fassungsvermögens liegt, wie das möglich sein kann.

 

Gelacht Mai 23, 2014, 22:57

Posted by Lila in Deutschland, Kinder, Uncategorized.
30 comments

In meiner Familie sind ja gräßliche deutsche Lieder und Geschichten ein running gag. Ob es das Häschen ist, das spazieren ging und dabei fast vom Mühlrad zermalmt wurde, oder der kleine Schelm im Hafersack, oder der blutige Zinken auf der Fahrt in die Ferne mit Sauerkraut und Speck… ganz zu schweigen vom Räuberbräutigam oder Blaubart oder den ausgestochenen Augen von Rapunzels Prinz oder Max und Moritz im Ofen oder Mahlwerk… meine Kinder und Y. können sich darüber sehr amüsieren, daß man sowas in Deutschland für kindertauglich hält. Mir selbst fällt erst jetzt auf, wie viel Gewalt und Tod in den Liedern steckt, die wir als Kinder im Auto gegrölt haben – wir lagen vor Madagaskar (…und täglich ging einer über Bord) oder der Herr Quintilius Varus (…und es war ein Moderduft wie von Blut und Leichen…).

Primus hat in seiner Zeit in Deutschland die folgende Karikatur entdeckt und sich zu eigen gemacht:

Wenn ich was auf Deutsch sage, ruft er in zackig-brachialem Ton: Staubsauger! Zahnbürste! SCHMETTERLING!!! und kringelt sich vor Lachen mit seinen Geschwistern über den Klang. (Ich schlage selbstverständlich zurück – das Hebräische klingt ja auch nicht gerade wie säuselnder Wohllaut… und für jemanden, der beide Sprachen nicht beherrscht, ist das Klangbild vermutlich ähnlich. Schachaf – dachaf – mechirat chissul!)

Vorgestern hielt mir Quarta ihr Telefon unter die Nase (ja, das Abendland geht selbstverständlich auch bei mir zuhause unter) und meinte: guck mal, da macht sich auch jemand über deutsche Kindergeschichten lustig!

Beide Mädchen fanden den Film milde lustig und wunderten sich, als ich sie fragte: ja kennt ihr denn die Geschichte nicht? Nö, meinten sie, ist das wirklich eine deutsche Kindergeschichte? Mama, du spinnst, das gibt es nicht.

Ich habe ja sämtliche Kinderbücher auf Deutsch aufbewahrt und holte mit einem Griff den Struwwelpeter raus, den wir wohl haben, den ich den Kindern aber nie vorgelesen habe. Inzwischen lachte ich so hysterisch, daß ich das Buch nur noch auf den Tisch legen und mit dem Finger auf den armen Konrad weisen konnte.

Die Mädchen schnappten nach Luft, schnappten sich das Buch und fingen auch an, unbändig zu lachen. Das brennende Paulinchen, der fliegende Robert, der Suppenkasper mit der Suppenschüssel auf dem Grab – die Kinder wollten nicht glauben, daß man sowas deutschen Kindern tatsächlich erzählt hat.

Hat man aber. Und nicht nur das – der Struwwelpeter ist auch auf Hebräisch übersetzt worden (Yehoshua ha-parua, der wilde Joshua). In der Kinderbücher-Sammlung unserer Hochschule habe ich die hebräische Erstausgabe selbst gesehen.

Ich habe irgendwann mal gelesen, daß der Autor die gräßichen Konsequenzen kindlichen Fehlverhaltens mit Absicht grotesk übertrieben hat. Das war mir als Kinder aber nicht klar. Mir jagte der Zappelphilipp den größten Schrecken ein – ich war sicher, daß er unter der Tischdecke bleiben muß – die kam mir vor wie zu einem Berg erstarrt. Und ich konnte das ganze Buch noch auswendig – ein Anfangsvers, und ich kann weiterrattern.

Vermutlich werden die Kinder ab jetzt nicht nur Aschenputtel! Schlafanzug! TEPPICHKLOPFER!!! rufen, sondern auch Suppenkasper! Wüterich! DAUMENLUTSCHER!!!!!

Versöhnlich Mai 22, 2014, 17:51

Posted by Lila in Persönliches, Uncategorized.
4 comments

International wurde die Versöhnung von Fatach und Hamas eher begrüßt – „Versöhnung“ ist einfach ein zu schönes Wort, um damit irgendwelche negativen Folgen zu verbinden. Wer dabei kritische Worte äußert, der findet sich schnell in der Rolle des Spielverderbers wieder. Aber das ist ja nichts Neues für Netanyahu und Israel, diese Spielverderber, Miesepeter, Miesmacher.

Und es ist auch nicht neu, daß die Hamas kein Interesse daran hat, in Israel etwas anderes zu sehen als einen Feind, der vernichtet werden muß. Mashal sagt das ganz deutlich und hat seit Jahren nie etwas anderes gesagt.

Hamas leader Khaled Meshaal said on Tuesday the Islamist group was close to mending rifts with rival President Mahmoud Abbas’s Palestine Liberation Organization, but vowed that resistance against Israel will continue.

Was „resistance“ genau bedeutet, wissen wir alle. In erster Linie Terror gegen Zivilisten.

Meshaal views the reconciliation as „opening new options“ for attaining the Palestinians‘ common goals.

„The reconciliation does not mean an end to our resistance against the invaders, resistance will continue as long as the occupation exists.“

Gemeinsame Ziele aller Palästinenser: die Vernichtung Israels, alles andere ist eine Scharade. Darin sind sich Hamas und Fatach einig, und dafür bündeln sie jetzt ihre Kräfte. Eindringlinge und Besatzung: damit sind nicht nur Siedler gemeint, sondern alle Israelis.

“When the Palestinians commemorate the Nakba, they also renew their commitment to resistance against the occupation, to their struggle for the Right of Return of the refugees and the liberation of their country,” Mashal added. “Politics and resistance are not at odds, the Palestinians will never accept a self-rule government, or a miniature state, they will continue to fight for independence.” 

Sie haben es so oft und so offen gesagt. Und doch finden sich jede Menge netter Leute, die diese Versöhnung ausdrücklich begrüßen.

Die Türkei hat die Versöhnung zwischen den rivalisierten Palästinenserorganisationen Al Fatah und Hamas begrüßt. Die Einheit der Palästinenser sei für einen nachhaltigen Frieden erforderlich, hieß es in der entsprechenden Erklärung des Außenministeriums.

Die iranische Außenamtssprecherin Marzieh Afkham hat die jüngste  zwischen den Palästinenserorganisationen  Fatah und Hamas begrüßt.

China begrüßt die Versöhnungsvereinbarung zwischen Hamas und Fatah. Dies sagte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums Qin Gang am Donnerstag in Beijing und gratulierte den beiden Parteien zu den erfolgreichen Verhandlungen. 

Mehrere EU-Außenminister unterstützen die Annäherung zwischen der moderaten Fatah von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und der islamistischen Hamas, die den Gaza-Streifen beherrscht. „Der Versöhnungsprozess ist extrem wichtig und positiv“, sagte die italienische Außenministerin Federica Mogherini dem „Spiegel“. „Ich unterstütze die Bemühungen“, erklärte auch ihr irischer Amtskollege Eamon Gilmore.

Der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Fouad Twal, begrüsst das Versöhnungsabkommen zwischen den palästinensischen Gruppen Fatah und Hamas. Die am 4. Mai unterzeichnete Einigung beende eine vierjährige Spaltung mit verheerenden Folgen, betonte Twal am 6. Mai in Jerusalem. Das Oberhaupt der Katholiken des westlichen Ritus im Heiligen Land stellte die Annäherung zwischen den beiden Parteien in den Zusammenhang der politischen Entwicklungen in den Nachbarländern, vor allem in Ägypten. Twal äusserte zugleich die Hoffnung, Hamas werde «für das Allgemeinwohl und das Wohl Israels» die moderatere Position der Fatah übernehmen.

Der [sic] Bundesregierung riskiert einen neuen Konflikt mit Israel. Anders als die Regierung in Tel Aviv würde es Berlin begrüßen, wenn sich die beiden rivalisierenden Palästinenserorganisationen Fatah und Hamas auf eine Regierung unabhängiger Fachleute einigen könnten. Die Chancen dafür stünden besser als in der Vergangenheit, weil die Hamas wegen des Verlusts wichtiger Verbündeter geschwächt sei, heißt es im Kanzleramt. 

Herzerfrischend, diese Einigkeit, nicht wahr? Die Ziele, die Mashal so deutlich und öffentlich erklärt, machen seinen Schulterschluß mit der Fatach nicht etwa weniger wünschenswert. Nicht einmal ein verbales  Zugeständnis wie die Anerkennung des Existenzrecht Israels oder aber eine Selbstbeschränkung auf friedliche Mittel werden von Mashal erwartet.

Worum macht sich Israel überhaupt Sorgen? Israel soll und muß jede Menge Zugeständnisse machen, sich für die Garantie seiner Sicherheit aber auf die internationale Gemeinschaft verlassen. Genau, eben die internationale Gemeinschaft, die die Überwindung des Kleinkriegs der Palästinenser im gemeinsamen Kampf gegen Israels Existenz als wichtigen Fortschritt begrüßt.

Ach was, ach was… Mai 22, 2014, 17:15

Posted by Lila in Presseschau.
28 comments

… alles nur halb so schlimm. Die wollen nur spielen.

Die Russen helfen dem iranischen Atomprogramm weiter auf die Beine. Aber kein Grund zur Sorge!

Der Westen befürchtete lange, dass Iran verbrauchte Brennstäbe des Kraftwerks zur Plutoniumgewinnung für Nuklearwaffen verwenden könne. Inzwischen hat sich Teheran jedoch verpflichtet, dieses Material nach Russland zurückzuschicken.

Na, wenn Rußland und der Iran das garantieren – dann kann man sich da auch drauf verlassen. Dumme, hysterische Israelis, die tatsächlich glauben, diese Versicherung reicht nicht!

(Ich hatte das Thema übrigens schon mal vor ein paar Monaten aufgegriffen. Die Meldung ist eigentlich nicht neu, ich weiß nicht, wieso sie jetzt erst im SPon landet.)

Ernüchternd Mai 12, 2014, 15:32

Posted by Lila in Persönliches, Uncategorized.
24 comments

Heute war bei uns im Institut ein hochinteressanter Studientag zum Thema Sammlung, Archiv, Erinnerung. Das ging über Kunst und Architektur und Museum hinaus, zur grundsätzlichen Frage unserer Reise durch die Zeit, und welche materiellen Dinge uns dabei begleiten oder nicht, aufbewahrt werden, irgendwie kategorisiert oder katalogisiert oder auch nur benannt werden oder nicht, anderen etwas mitteilen oder nicht. Grundfragen eines jeden Menschenlebens, das in Photoalben oder Milchzähnen oder Opas alter Taschenuhr einen Bogen zur Vergangenheit schlägt. Der Unterschied zwischen einer etruskischen Scherbe und meinen ersten Schuhen ist so gesehen gar nicht so groß.

Kurz, ich saß hinten drin, hörte zu, genoß es, mal auf den Stühlen zu sitzen, denen ich sonst gegenüberstehe, und notierte mir viele kleine Ideen, die durch mein müdes Hirnchen zogen. Ich war vergnügt. Bis ich auf die Idee kam, mir die Studenten mal genauer anzugucken.

Alle, aber wirklich alle hatten entweder ein Smartphone oder einen Laptop vor sich. Und keiner von ihnen suchte etwa die Webseiten auf, die vorne vorgestellt wurden. Nein, manche Studenten tippten SMS, andere blätterten durch Bildergalerien, wieder andere wischten nur so rum. Aber keiner von ihnen war konzentriert, keiner nahm auf, was die Künstler, Archivare und Architekturhistoriker vorne erzählten.

Klar, sie mußten ja nicht zuhören. Es wurde ja nur Anwesenheit kontrolliert. Es wird keinen Test zum Thema geben. Also kann die Zeit anders genutzt werden. Wir haben auch in der Schule Käsekästchen gespielt oder schöne Porträts von Lateinlehrer Doktor R.  mit seinen pfeffer-und-salzfarbenen Anzügen und Hosenträgern gemacht, hinter die er so unternehmungslustig die Daumen klemmte, wenn er uns den ACI erklärte. Ach, und es waren ja nicht alle, ein paar hörten auch zu und stellten gute Fragen.

Aber es war mehr als schülerhafter Leichtsinn, den ich da vor mir sah. Mir kam eine Assoziation, mit der ich mich unbeliebt machen werde, aber sei´s drum. Ich sehe sehr oft in den letzten Jahren kleine Kinder, die nie, aber wirklich nie ohne etwas zu essen oder zu trinken in der Hand anzutreffen sind. Sie haben Fläschchen, Kindertasse, Bamba oder Äpfelchen oder irgendwas ständig in Reichweite, für Notfälle den Nuckel. Man sieht sie nie mit leerem Mund. Das fiel mir oft schon peinlich auf. Für manche Mütter, ich muß da leider gerade mein Geschlecht ansprechen, ist ein leerer Kindermund ein Notsignal, und er muß sofort gestopft werden.

Daraus lernen die Kinder natürlich, daß jederzeit und niemals Mahl-Zeit ist. Wer den ganzen Tag mit kleinen Gurkenstückchen und Kinderbrezeln gefüttert wurde (von Alternativen wie Süß- und Knabberkram mal ganz abgesehen…), der sieht überhaupt nicht ein, warum er sich um sechs Uhr abends an einen Tisch setzen soll. So entsteht ein Familienleben, in dem alle immerzu irgendwas essen, aber fast nie alle um einen Tisch zu einer festen Zeit dasselbe.

Als verhärmte Mutter heranwachsender Menschen muß ich zugeben, daß man in Nullkommanichts in so einen permanten Mampfzustand reingerät, wenn man sieht, wie hungrig diese jungen Erwachsenen sind, wie ratzeputz leergefressen auch der vollste Kühlschrank bis zum Abend ist, und wie wenig interessiert sie daran sind, geregelte Mahlzeiten einzunehmen. An manchen Tagen stehe ich praktisch permanent in der Küche, um für Nachschub zu sorgen, weil ihnen einfach der Hunger aus den Augen schaut. Ach Mama, ist die Brokkoli-Quiche wirklich schon alle… ???

Ja, selbst wenn man sie mit halbwegs geregelten Mahlzeiten um den Familientisch herum erzogen hat, ist es nicht einfach, diese Sitten beizubehalten, wenn sie allesamt im Fress- und Flegelalter sind. Also warum schon mit der Dauerfresserei anfangen, wenn die Kinder noch klein und halbwegs erziehbar sind? Auch Stillen nach Bedarf bedeutet ja nicht, daß Bedarf rund um die Uhr besteht. Der Rhythmus, der sich da langsam herausbildet zwischen Stillzeiten und Stillpausen – der ist doch ein Indikator dafür, daß das Kind wächst und sich die Welt erobert. Bis es wieder Hunger hat und den auch mal spüren darf.

Ich sehe da, entschuldigt meine Kraßheit, eine Generation heranwachsen, die ständig futtert und meint, es ist hohe Not, wenn die nächste Bamba-Tüte nicht sofort und auf der Stelle um die Ecke kommt. Nicht jede Erziehungs-Konvention ist automatisch gut, aber die schöne Sitte, Nicht-Mahlzeit und Mahlzeit auseinanderzuhalten, hat unleugbare soziale und wohl auch gesundheitliche Vorteile. Ich möchte nicht alle jungen Mütter über einen Leisten schlagen, auch in meiner Babyhaus-Zeit habe ich schon Ansätze dazu gesehen, und natürlich sind nicht alle so. Aber der Trend geht eindeutig zur Dauer-Bespeisung der Kinder.

Und so wie die Erzeugnisse der stets erreichbaren sippy cup nicht mehr ohne ständige Nahrungszufuhr leben können – genauso kamen mir die Studenten vor. Oh, und das sind nicht nur junge Leute, wir haben auch Studenten in würdigeren Jahrgängen, und es kamen auch Gasthörer. Die Smartphone-Sucht-Trennlinie scheint so um die 40 zu verlaufen.

Die Vorstellung, einen Moment die weiche Brust der ständigen Reize, der ständigen Zerstreuung und der ständigen Verbundenheit mit allen „Freunden“ aus dem Mund zu nehmen, einen Moment den Vortragenden die Ehre anzutun, auch mal zuzuhören – das scheint eine Zumutung zu sein, die man nicht mehr aussprechen darf.

Ich habe spontan mein eigenes Telephon rausgenommen und die ganze Reihe photographiert, wie sie alle über ihre Smartphones gebeugt waren, als hinge ihr Leben daran. Ich werde die Gesichter verdecken, aber ich werde ihnen nächste Woche das Bild zeigen und ihnen sagen, was ich davon denke.

Die sozialen Netzwerke sind auch in einer Stunde noch aktiv. Aber die interessanten Menschen, die von Tel Aviv und Beer Sheva aus angereist gekommen sind, um uns von ihren Lebens-Obsessionen zu erzählen – die sind nur kurze Zeit da.

Und es ist noch mehr als nur der grundlegende Respekt vor einem Menschen, der einem was beibringen kann und extra von Tel Aviv aus gekommen ist, mit einem sorgsam ausgearbeiteten Vortrag. Es muß den Studenten selbst doch unheimlich sein, daß sie sich überhaupt nicht mehr konzentrieren können. Daß sie nichts mehr erleben können, ohne es sofort per Bild zu dokumentieren und in die Welt zu schicken. Ich sehe bei meinen Kindern ja auch, daß ein Ereignis, das nicht per Photo weitergezeigt wurde, nicht stattgefunden hat.

Ein Mensch, der es nicht mehr fertigbringt, auch einem Vortrag, der ihn nicht brennend interessiert, konzentriert 45 Minuten lang zuzuhören, der ist eigentlich weder studier- noch arbeitsweltfähig. 45 Minuten oder drei Stunden oder auch acht Stunden lang in eine Tätigkeit konzentriert einzutauchen – das ist eine Fähigkeit, die jeder Mensch braucht, der in irgendeiner Weise seine Talente entfalten will.

Ich weiß, ich weiß, ich predige den Bekehrten, und ich selbst kenne den Sirenengesang des Internets als ewiger Prokrastinationsmaschine auch nur zu gut. (Überhaupt ist einer der großen Vorteile einer Arbeitsweise wie meiner, mit mehreren Arbeitsplätzen, Arbeit zu Hause und Haushalt, daß ich endlos von einer Aufgabe zur anderen flüchten kann und dabei NIE auch nur eine vernünftig zu Ende machen kann, und mich dabei noch mit Streß und ständiger Tätigkeit brüsten kann! Ich will mich ja gar nicht als immun gegen Versuchungen hinstellen, bin ich bestimmt nicht.)

Aber der Anblick war nicht schön.

 

Nachtrag am 25.5.: Zum Weiterlesen für nervige Unken wie mich: ein Artikel im SPon über veränderte Lesegewohnheiten im Zeitalter von Online-Texten und E-readern. Meine eigene Erfahrung: ich bin froh, daß mein Kindle mich  nicht ins Internet verlockt. Ich lese auf ihm genauso intensiv wie ich Papierbücher lese. Bei Online-Texten kommt´s drauf an – sobald ich bei einem Text erstmal angebissen habe, lass ich ihn nicht mehr so schnell aus den Kiefern 😀

Netter Klops Mai 12, 2014, 9:48

Posted by Lila in Kunst.
5 comments

Habe ich nicht ein paar Klöpse der Studenten, die inzwischen verjährt sind und nachgereicht werden können?

„Als Brunelleschi wissen wollte, wie die alten Römer eine Kuppel bauten, fuhr er nach Rom und besuchte das Pentagon“.

😀

Süß, nicht wahr? Ich hatte noch mehr, weiß aber nicht mehr, wo ich die Sachen notiert habe….

Nur traurige Sachen Mai 11, 2014, 20:03

Posted by Lila in Persönliches.
3 comments

Über andere Themen als persönliche kann und will ich im Moment gar nicht bloggen – keine Ahnung, wann ich mal wieder dazu komme. Aber einen Nachruf schreiben, das möchte ich.

Wir haben nach unserem Weggang aus dem Kibbuz nicht zu allen Freunden den Kontakt aufrechterhalten. Es reichte oft, wenn man sich bei Besuchen im Kibbuz zufällig begegnet und hallo sagt und sich ein bißchen unterhält. Y. hat so tiefe Wurzeln im Kibbuz, daß er wirklich nicht mehr braucht.

Eine Frau, die wir beide sehr, sehr mögen, ist eine uralte freundliche Dame, Shlomit. Seit seiner Kindheit mag Y. sie gern. Sie war eine Freundin seiner Großmutter, er mag alle ihre Kinder, war mit dem jüngsten Sohn befreundet, ihre Enkel und unsere Kinder sind im selben Alter. Im Kibbuz sind es immer hundert Fäden, die einen verbinden. Sie war, als ich in den Kibbuz kam, für die Schwangeren-Bekleidung zuständig. Ich weiß noch genau, daß ich als Volunteer mit einer Schwangeren zusammenarbeitete, die mir erzählte, daß Shlomit (damals schon im Rentenalter und sehr rüstig) eifrig Schwangerschaftskleidung näht und auch sammelt, und daß jede schwangere Frau im Kibbuz zu ihr geht und sich dort Sachen ausleihen kann. Ja, eigentlich muß, um Shlomit nicht zu kränken.

Es dauerte ja gar nicht so lange, da war ich auch verheiratet und schwanger und ging zu Shlomit. Ich weiß noch genau, was ich mir bei ihr auslieh – bunte und geringelte T-shirts, zwei hübsche Kleider, eine Menge Hosen. Sie nähte auch aus normalen Jeans Schwangerschaftsjeans (das ging allerdings nicht rückgängig zu machen – solche Jeans wurden dann nach der Schwangerschaft Shlomits Vorräten gespendet). Es waren hübsche Sachen, und andere Mütter meinten schon mal im Dining room: „ach, das pinke mit dem weißen Kragen – ja, das hatte ich auch“.

Shlomit und ihre Kollegin machten von ihren Schwangeren Bilder und hängten sie an die Glastür. Mein Bild hing da noch viele, viele Jahre. Türkis und blau geringelt war das T-shirt auf dem Bild.

Ich mochte Shlomit gern, weil sie mich an meine eigene Oma erinnerte. Klein, wendig, mit einem Lächeln, das die Erderwärmung beschleunigt, immer adrett gekleidet – weiße Krägelchen sind ihr Markenzeichen. Viele Jahre schon kann sie ihre Schwangeren-Garderobe nicht mehr leiten, auch Babysachen nähen fällt ihr schwer – außerdem kaufen die jungen Mütter lieber ein als sich auszuleihen, was sie vorher an Lili, Lila und Bilha gesehen haben. Irgendwann wechselte Shlomit in die Alten-Werkstatt über, die meine Schwiegermutter seit vielen Jahren leitet, und webt dort schöne bunte Teppiche. Jeden Tag arbeitet sie ihre vier Stunden.

Y.s Verhältnis zu Shlomit ist tiefer, ich weiß nicht, wo es wurzelt. Shlomit mag ihn sehr, seit er ein kleiner Junge war, und er hängt an ihr. Wenn wir im Kibbuz sind, springt er oft zu Shlomit, manchmal komme ich mit. Sie sind etwas besonderes einer für den anderen. Sie ist eine Art Adoptiv-Oma für ihn. 99 Jahre ist sie alt. An ihren Wänden hängen Bilder – die Eltern sind im Holocaust umgekommen, die Geschwister lange tot, ihr Mann, der auch ein sehr netter Mensch war, ebenfalls. Sie ist ein Familienmensch, eine stolze und liebevolle Mutter und Oma.

Ihr jüngster Sohn war Mittelpunkt der ganzen Familie, jedes Wochenende kamen alle bei ihm und seiner Frau zusammen. Nein, nein, ich fasse es nicht, kann es überhaupt noch nicht begreifen. Gäbe es einen Pokal für den nettesten Mann im Kibbuz, Shlomits Sohn hätte ihn gewonnen. Konkurrenzlos. Groß und schlaksig, mit einem auch Mitte 50 jungenhaften Gesicht, immer lächelnd, immer eine ironische Bemerkung auf den Lippen. Obwohl er ein paar Jahre älter ist als Y., haben wir Jahre in derselben Nachbarschaft gewohnt, wir haben Kinder im selben Alter, und waren mehrere Jahre direkte Nachbarn. Seine Frau (Ex-Volunteer wie ich) hat viele Jahre als Erzieherin gearbeitet, alle meine Kinder sind durch ihre kompetenten, freundlichen, unsentimentalen und sehr klugen Hände gegangen. Später hat Quarta bei ihr reiten gelernt, als sie einen therapeutischen Reitstall aufmachte.

Von Shlomits Sohn und Schwiegertochter habe ich sehr viel gelernt in diesen Jahren junger Elternschaft. Wie oft haben wir bei ihnen gegessen oder sie bei uns, oder stundenlang auf der Schaukel vor dem Haus gesessen, während die Kinder zusammen spielten. Unsere Söhne sind gute Freunde, besonders Secundus ist mit dem jüngsten Sohn eng befreundet. Wie gesagt, es sind hundert Fäden der Erinnerung, die uns an diese Menschen binden. Zusammen gearbeitet, zusammen Kinder erzogen, schon in der dritten Generation.

Es ist keine zwei Wochen her, daß meine Freundin aus dem Kibbuz, mit der ich täglich telefoniere, mir mit bedrückter Stimme erzählte, daß dieser nette, vergnügte Mann im Krankenhaus ist, daß er Krebs hat, der in einem hoffnungslose Stadium entdeckt wurde, daß keiner ihn besuchen darf außer der Familie, und daß der jüngste Sohn, der gerade auf Reisen war, zurückgerufen wurde.

Und heute ist er begraben worden. Ich konnte nicht zur Beerdigung, aber Y. fuhr hin. Er sagt, es waren alle Menschen da, die jemals den Lebensweg des Toten gekreuzt haben. Aus der Armeezeit, Kindheitsfreunde, Mitarbeiter, Menschen, die man seit Jahrzehnten im Kibbuz nicht gesehen hatte. Y. sagt, es war wie ein Kibbuz-Familientreffen aller Generationen. Der Friedhof war voll, und obwohl Y. wußte, daß seine Mutter und Secundus auch bei der Beerdigung waren, sah er sie nicht.

Y. saß danach noch lange bei Shlomit. Die Familie erzählte ihm, daß sie oft gefragt hat, wo denn Y. ist und wann er kommt. Y. hat sehr an dem Sohn gehangen, noch aus der Kindheit, und daß er an Shlomit hängt, weiß ich. Sie ist fast blind, aber als er kam, sagte sie, „ich sehe dich“. Er sitzt jetzt mit der Familie und hört zu und kann doch nichts tun, außer Teilnahme zeigen. Man kann nichts tun. Secundus und die anderen Freunde versuchen, den verwaisten Sohn aufzufangen. Aber da stößt Freundschaft an ihre Grenzen.

Es ist für alle schrecklich, für die Frau, die in meinem Alter ist und jetzt als Witwe zurückbleibt, die mit allem allein fertigwerden muß – es ist schlimm für die Kinder, die alle Meilensteine ihres Lebens ohne den verschmitzten, humorvollen und warmherzigen Vater erleben werden. Aber wenn ich an die alte Mutter denke, sehe ich wirklich in den Abgrund. 99 Jahre alt zu werden – den Tod so vieler Weggefährten mitzuerleben – und dann den jüngsten Sohn zu begraben, das ist wirklich ein brutal schweres Schicksal.

 

Unabhängigkeitstag Mai 6, 2014, 9:28

Posted by Lila in Land und Leute, Persönliches.
55 comments

Die ekelhaft staubige Hitze des Sharav ist zwar „gebrochen“ und die Temperaturen bewegen sich im normalen Bereich, aber der Himmel ist seltsam grau und verhangen. Jetzt strömen die Massen in die Nationalparks und Wälder, mit Grillausrüstung und Salat und Pita. Wir leben in einem Nationalpark und werden darum heute nicht weit fahren. Im Kibbuz wird ein runder Geburtstag des Kibbuz gefeiert (er ist ja älter als der Staat), mal sehen, ob wir hinfahren, aber ich habe das Gefühl, wir sind alle noch melancholisch von gestern.

Weil die Luft so staubig und dreckig ist, haben wir gestern abend überhaupt kein Feuerwerk sehen können, nicht mal aus dem oberen Fenster, wo wir sonst eine ganz gute Sicht haben auf Shlomi und die Orte ganz im Norden, südlich von Rosh ha Niqra. Dieses Jahr waren es vierzehn Frauen, die die Fackeln angezündet haben – Tertia und ich haben uns das im Fernsehen angeguckt.

14 frauen

Eine ganz interessante Auswahl – Shahar Peer, die Tennisspielerin, Miriam Zohar, Holocaust-Überlebende und Schauspielerin, Carmela Menashe, Journalistin, die sich auf militärische Angelegenheiten spezialisiert hat und dabei zur Anwältin der einfachen Soldaten geworden ist… jede einzelne wirklich interessant und beeindruckend.

5 frauen

Hier sieht man nebeneinander die Schauspielerin, die Intel-Managerin, die ultra-orthodoxe Vorkämpferin für Akademisierung im ultra-orthodoxen Sektor, die moslemische Unternehmerin, die das Kunsthandwerk der Frauen ihres Dorfs bekannt gemacht hat, und eine Hochbegabung aus dem IT-Sektor. Wirklich ein Querschnitt durch die israelische Bevölkerung.

Miriam Peretz, eine Pädagogin, die zwei Söhne im Krieg verloren hat, war gewissermaßen das Bindeglied zwischen dem Gedenktag und dem Unabhängigkeitstag. Als die Namen ihrer Söhne genannt wurden, wischte sie sich die Tränen aus den Augen, aber als sie die Fackel anzündete, strahlte sie.

Ich mußte an ein Interview mit ihr denken, das ich vor ein oder zwei Jahren im Fernsehen gesehen habe – wie es zum zweiten Mal an der Tür klingelte, um den Tod eines Sohnes zu melden, und sie zu dem Offizier nur sagen konnte: wir haben schon gegeben. Sie wollte nicht glauben, daß auch der zweite Sohn gefallen war. Als der Interviewer sie dann fragte, wo ihre jüngeren Söhne nach dem Tod ihrer Brüder gedient haben, sagte sie: kämpfende Einheiten, natürlich. Wie sie das zulassen konnte? Und sie sagte: wenn wir es nicht tun, wer denn sonst?

Ja, mir ist nicht nach Feiern. Gestern auch der Todestag von Y.s Kindheitsfreund, der von einem Palästinenser aus den Gebieten auf gerader Strecke bei vollem Tageslicht so brutal angefahren wurde, daß er von seinem Fahrrad weit ins Feld flog. Der Fahrer beging Fahrerflucht und ließ Y.s Freund qualvoll allein im Feld sterben. Erst nach Stunden wurde er gefunden. Ich weiß nicht, ob es möglich sein wird, den Fahrer je vor Gericht zu stellen – ob die PA mit den israelischen Behörden kooperiert. Solche Fälle sind gar nicht selten.

Der Freund gehört zu einer Familie, die zwei gefallene Soldaten betrauert und eine als Kind gestorbene Schwester. Wie diese Familie mit dem Tod dieses Sohns fertigwird, weiß ich nicht. Es ist erst ein Jahr her.

Morgen geht es wieder zurück in den Alltag.

32 Jahre Mai 5, 2014, 17:58

Posted by Lila in Land und Leute, Persönliches.
15 comments

ist Y.s Freund Oded aus Kfar Yoshua schon tot, an dessen Grab wir heute wieder waren. Unterwegs kamen wir an mehreren Friedhöfen vorbei, die alle brechend voll waren. Vor den Friedhöfen standen lange, lange Schlangen parkender Autos.

Die Sirene erwischte uns unterwegs. Wir hielten an und standen an der Leitplanke, neben uns viele andere Autofahrer, alle mit gesenkten Köpfen, während die Sirene über uns niederging. Aber ein Großteil der Autofahrer donnerte weiter – wir waren an einer Kreuzung zwischen lauter arabischen Dörfern, vielleicht lag es daran, aber es gibt wohl auch genügend jüdische Israelis, denen die Sirene nichts bedeutet.

Odeds Mutter hat schon das erste Urenkelchen, er wäre Großonkel, wenn er noch lebte. Seine Geschwister sind alle mittleren Alters, er war der Jüngste und ist in der Erinnerung jung geblieben.

Sein Vater ist vor vier Jahren gestorben und in der Ecke des Friedhofs begraben, wo die ganze Familie liegt. Auf seinem Grab steht: verwaister Bruder und Vater (ich weiß nicht, wie ich das hebräische Wort shakul bzw das englische bereaved ausdrücken soll – im Deutschen verwitwen und verwaisen nur Witwen und Waisen, aber Eltern und Geschwister bleiben einfach nur zurück).

Wir waren auch in der Trauerfeier des Moshavs. Die Gemeindehalle war gepackt voll, wir standen im Vorraum. Kfar Yoshua ist, zusammen mit Nahalal, einer der ersten Moshavim Israels. Die Besiedlung des „emek“, des Tals, war ein zionistisches Projekt, das Lesern von Meir Shalevs Büchern wohlbekannt ist. Auch der Maler Eli Shamir hat mit seinen Bildern vom friedlichen Moshav zwischen Feldern dem Yizreel-Tal ein Gesicht gegeben.

In den Nachrufen auf die Gefallenen wurde fast bei allen betont: er liebte die Landarbeit….der Hof war alles für ihn…er bearbeitete die Erde… er sah sich als Landwirt. Die beiden Wörter avoda, Arbeit, und adama, Erde, zogen sich wie ein Leitmotiv durch.

Ein Text ging mir besonders ans Herz – eine Mutter, die im Holocaust ihre gesamte Familie verloren hatte und nur durch ein Wunder mit dem Leben davonkam. Ihr Leben bekam erst wieder Sinn, als ihr Sohn geboren wurde, dem sie den Namen ihres verlorenen Vaters gab. Der Sohn fiel im Krieg als ganz junger Mann. Das war so karg und knapp geschrieben, und hinter den Worten spürte ich einen solchen Abgrund an Schmerz und Weh, daß ich es nicht aushalten konnte und mich in einen Flur zurückzog.

Y., Tertia und ich hatten das Gefühl, daß eine Wolke der Trauer über dem Moshav hing. Über dem ganzen Tal. Über Israel.

Mir gingen die Angehörigen und Freunde der deutschen Soldaten durch den Kopf, und daß sich niemand mit ihnen so solidarisiert wie Israelis das wenigstens einmal im Jahr tun. Wie schrecklich muß es sein, einen geliebten Menschen so zu verlieren und nicht einmal den hohlen Trost der gesellschaftlichen Anerkennung und des Respekts zu bekommen, den die Angehörigen hier haben.

Es waren wieder viele Freunde da. Zweimal im Jahr kommen sie – zu Odeds Geburtstag im September und zum Gedenktag. Alle bringen was zu essen mit. Zuerst ist die Feierstunde im Gemeindehaus, dann eine kurze Zeremonie am Friedhof, zwischen all den Soldatengräbern, und dann ein kumsitz bei Odeds Eltern im Garten. Dort werden die Männer wieder jung, schlagen sich gegenseitig chapchot auf die Schultern und den Nacken, necken sich mit uralten Geschichten von damals, strunzen etwas mit ihren Söhnen und Töchtern bei der Armee – mehrere hatten Kinder in Uniform mitgebracht, darunter überraschend viele Nachlawim, als Nahal-Soldaten. Das war natürlich Anlaß, zu beklagen, wie tief runtergekommen diese Nachkommen von Fallschirmjägern sind, wenn sie schon zur Nahal gehen!…. was die Jugend wiederum bestreitet. Ich kenne das ja von zuhause, auch Secundus ist ja ein Nachlawi.

Odeds Geschwister, Mutter, Neffen, Nichten und jetzt auch Großnichte sitzen mit allen, kennen alle. Die frühere Unteroffizierin, die sich um die sozialen Belange aller gekümmert hat, hält bis heute den Kontakt und kommt immer treu mit. Im September, wenn der private Gedenktag ist, kommt auch immer der ehemalige Commander, Nir Barkat, der heute natürlich in Jerusalem Pflichten hatte. Bevor er die politische Karriere einschlug, kam er immer treu zu jedem Treffen.

Die Armee schickt zu jeder verwaisten Familie junge Soldaten aus den entsprechenden Einheiten, die an der Zeremonie teilnehmen, in Odeds Fall also ein junger Fallschirmjäger mit dunkelrotem Barett und den stolzen rotbraunen Stiefeln. Er wurde sofort ins Gespräch gezogen, wie lange er schon dabei ist und wie er es findet. Der junge Mann meinte, er und seine Freunde sind auch sehr miteinander verbunden (megubbashim) und halten zusammen, und Y. und seine Freunde meinten: tja, wir sind das jetzt schon 32 Jahre lang…

Es sagt etwas über Odeds Persönlichkeit, über die Fähigkeit seiner Familie, Beziehungen zu knüpfen und aufrechtzuerhalten, und auch über die Männer aus, die mit ihm gedient haben, wenn nach all den Jahren für sie alle der Gedenktag bedeutet: Kfar Yoshua. Manche kamen erst später, weil sie noch woanders auf den Friedhof mußten. andere riefen an. Aber der harte Kern, der kommt immer.

Es war heiß. Ich saß bei einem alten Olivenbaum, vor dem Oded und seine Geschwister photographiert wurden, als sie Kinder waren. Der Baum ist bestimmt älter als der Moshav, er hat vier Stämme und ist knorrig wie ein alter Schamane. Jetzt sitzt Odeds Nichte dort mit ihrem Baby. Das Leben geht weiter, der Baum wird weiter wachsen und uns alle überleben. Olivenbäume sind langlebig.

Gleich geht die Sonne unter, dann ist der Gedenktag vorbei, es wird gefeiert. Quarta geht auf eine Party, überall steigt Feuerwerk auf, im Fernsehen werden voll Begeisterung Fackeln entzündet „zu Ehren des Staats Israel!“, und morgen liegt das ganze Land unter einer Wolke von Grillduft.

 

Erev yom ha Zikaron Mai 4, 2014, 20:21

Posted by Lila in Land und Leute.
22 comments

Der Vorabend des Gedenktags für die Gefallenen ist heute abend. So kurz nach dem Holocaust-Gedenktag, es ist jedes Jahr so schwierig. Dazu überrollt uns gerade eine Hitzewelle, die heute die Temperaturen auf über 35 hochgetrieben hat – es ist jetzt kurz nach neun Uhr abends und immer noch über 30 Grad heiß. Morgen werden bestimmt auf den Friedhöfen Leute ohnmächtig.

Wir haben es nicht geschafft, wie geplant der Zeremonie im Kibbuz beizuwohnen. Dafür hat sich Quarta hier im Dorf an der Zeremonie beteiligt und einen Text vorgelesen. Einer der Gefallenen des Dorfs war der große Bruder eines ihrer Schulkameraden. Und wir wohnen ja im Haus, das ein weiterer Gefallener des Dorfs ausgebaut hat.

Hinterher haben wir die offizielle Zeremonie an der Westmauer (Klagemauer) in Jerusalem im Fernsehen gesehen, Peres hielt eine Rede, der Ramatkal. Den Kranz legte die Witwe des jungen Mannes nieder, der ganz in der Nähe, in Rosh ha Niqra, von einem libanesischen Soldaten erschossen wurde.

Im Fernsehen wurde auch die Witwe des Polizeioffiziers gezeigt, der zu Pessach ermordet wurde – seine Frau und die Kinder waren mit ihm im Auto, unterwegs zu Oma und Opa zum Seder-Abend, als ihnen ein Bewaffneter auflauerte und ins Auto schoß. Sterbend drückte der Vater noch aufs Gas, die verletzte Mutter steuerte das Auto weiter, sie und die Kinder überlebten. An diesem Tag gedenken wir auch der Opfer des Terrors.

Alles sehr schwierig, es geht immer weiter. Morgen abend um die Zeit kommt dann wieder dieser Umschwung zur Feier des Unabhängigkeitstags. Beide Feiertage erhalten durch diese Kopplung eine ganz besondere symbolische Kraft.

Ich hoffe immer noch, gemeinsam mit Peres, daß das eines Tages ein Ende haben wird, daß irgendwann der Konflikt beendet werden kann, daß irgendwann Israel anerkannt wird von den arabischen Staaten und Völkern, und in Ruhe leben kann. In sicheren Grenzen. Bisher ist das nicht so. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

Ein Nachruf Mai 2, 2014, 6:55

Posted by Lila in Land und Leute.
4 comments

Niemand war wohl überrascht, als er die Todesnachricht hörte – Assi Dayan zelebrierte seinen Niedergang und seine Selbstzerstörung vor den Augen des Publikums, gab Interviews, ließ Journalisten ganz nah heran, thematisierte seine Lebensthemen auch in seinen Werken. Mit nur 68 Jahren sah er aus und wirkte er wie ein Greis, eine Ruine.

Was kann einer erreichen, der als Sohn von Moshe Dayan geboren wird, immer um Anerkennung durch seinen Vater wirbt und in den Augen aller immer nur „der Sohn von…“ bleibt? Anerkennung durch seinen Vater war ihm wohl verwehrt. Aber als junger Mann geriet er mehr durch Zufall in die Welt des Films. Zuerst als Schauspieler, in „Er ging in den Feldern“ (hu halach ba-sadot), einem Film nach dem Drama von Moshe Shamir. Er spielte die Hauptrolle, Uri.

Ein zionistisches Projekt, eine Tragödie um Opfer für Land und Volk und Kibbuz und Moshav. Uris Geschichte ist die Geschichte der Generation meines Schwiegervaters, Sabras, die vor der Gründung des Staats geboren wurden und ihre Knochen wieder und wieder für ihn hinhielten.

„Er ging in den Feldern“ wurde zu einem Synonym für den israelischen Soldaten, so sehr, daß Yigael Tumarkin seine Kritik an Zionismus und Militär so nannte.

Aber Dayan führte auch Regie. Einer der legendären Filme über den israelischen Soldaten ist Dayans „Givat Halfon antwortet nicht“, über eine Gruppe Soldaten, die seit Jahren zusammen Reservedienst (miluim) machen.

Die Hauptdarsteller, die auch als Komiker-Trio Ha-gashash ha-chiver großen Erfolg hatten, haben die hebräische Sprache mit ihrem Witz bereichert, und die meisten Israelis kennen ihre Sprüche auswendig. Mein Mann behauptet, er kennt auch Givat Halfon auswendig. Und das miluim-Erlebnis, sehr vielen israelischen Männern wohlbekannt, ist dort wohl auf eine absurde Spitze getrieben, aber doch so, daß es deutlich erkennbar bleibt. Und jeder Typus dort kommt einem bekannt vor, wie sie reden, wie sie sich bewegen.

„Life according to Agfa“ ist sein bekanntester Film.

„Be-tippul“, „In Behandlung“ ist eine Serie, in der er Hauptdarsteller war – ein Psychotherapeut, der einmal wöchentlich seine Patienten behandelt.  Die Serie war wohl sehr erfolgreich (ich habe sie nicht gesehen, denn mit Serien fange ich nicht mal an…), auch international. Einen Psychologen spielt er auch in „Dr. Pomerantz“, einer schwarze Komödie.

Jeder Fernsehzuschauer wußte, daß Dayan drogenabhängig war, jeder kannte sein chaotisches Privatleben, drei Ehen, vier Kinder und brutale Ausbrüche von Wut und Gewalt, die ihn auch vor Gericht brachten. Yael Dayan, die Politikerin und Assis Schwester (die ihrem Vater unglaublich ähnlich sieht), und der Bruder Ehud, ein Künstler, sind ebenfalls begabt und intelligent, und haben es geschafft, jeder auf seine Art, aus dem Schatten des Vaters zu treten. Auch Assi hat sich als Regisseur und Schauspieler einen eigenen Namen erworben, der Mythos Dayan ist ja auch angekratzt worden im Laufe der Jahre – aber er selbst hat es vermutlich nicht so wahrgenommen, sich nicht frei vom Mythos Dayan gefühlt. Daß er eine israelische Ikone war und seine Metamorphosen leicht als Metapher für die israelische Gesellschaft gelesen werden konnten, hat ihn wohl eher gestört – weswegen er immer wieder versucht hat, diesen Status zu untergraben, seine Skandale so zu zelebrieren, daß jeder sie mitkriegt.

Die Konstante in seinem Leben war seine Mutter Ruth, die nun, an die hundert Jahre alt und vollkommen klar im Kopf, ihren Sohn begraben muß. Ruth hat es sogar fertiggebracht, gestern im Fernsehen ein paar Worte zu sagen, gefaßt und sehr traurig – sie hat sich die ganzen Jahre um ihn gekümmert. Es muß schrecklich sein, mit anzusehen, wie ein geliebter, hochbegabter, kreativer und hochproblematischer Mensch sich selbst systematisch zugrunde richtet. Und man kann nichts tun.

Nein, überrascht war niemand, aber es ist schade um ihn.