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Riesen-Chaos Juli 20, 2020, 20:23

Posted by Lila in Land und Leute.
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Was ist nur los hier? Vielleicht hat die ewiglange Hängepartie bis zur Regierungsbildung Netanyahu und seine Minster (aller Parteien) erschöpft? vielleicht haben sie alle geglaubt, die Corona-Krise ist vorbei, und sich anderen, „wichtigeren“ Dingen zugewandt? Es ist klar, daß die strikten Maßnahmen, die wir im Februar oder März hingenommen haben, weil sie Krise frisch war und alle hofften, sie ginge schnell vorbei, jetzt nicht mehr fassen können. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die versprochenen Gelder sind nur bei wenigen angekommen, und dementsprechend ist die Bereitschaft der Bevölkerung, sich wieder in einen strikten Lockdown einschließen zu lassen, sehr gering. Viele tragen Mundschutz (zumindest in meiner kleinen Welt ist die Zahl der Mundschutz-Verweigerer minimal), aber alle haben Angst, daß Geschäfte, Restaurants und Einrichtungen aller Art wieder geschlossen werden – auch pädagogische. Denn daß wir dann nicht entschädigt werden, sondern weiter hohe Abgaben zahlen müssen, während kein Geld mehr reinkommt, das haben wir jetzt begriffen.

Es ist bestimmt nicht einfach, die richtige Strategie zu fahren – aber die Regierung macht im Moment einfach alles falsch, fast wie aus Bock. Die Minister beharken sich, und absurde Vorschläge werden von Netanyahu vorgebracht, als würden sie alle Probleme lösen: alle Bürger kriegen eine einmalige Zahlung von 750 Shekel – das sind keine 200 Euro. Das Gießkannen-Prinzip, noch dazu sinnlos – das Geld soll schnell ausgegeben werden und „die Wirtschaft ankurbeln“. Inzwischen, nachdem die Kritik an der Idee einhellig war, wird die Idee ein bißchen modifiziert – wer viel verdient, soll das Geld nicht bekommen, wer sehr wenig verdient, noch ein bißchen mehr. Viel sinnvoller wäre es, an der Einkommens- oder Mehrwertsteuer zu schrauben, Strom- oder Wasserpreise zu senken o.ä., zumindest für ein paar Monate. Das würde auch viel Geld kosten, aber es wäre nicht nur ein einmaliges Bonbon.

Mir fällt dabei das Gedicht von Anna Louisa Karsch ein, die ein Geldgeschenk Friedrichs des Großen zurücksandte:

„Zwei Taler gibt kein großer König,
den sie erhöhen nicht mein Glück;
Nein, sie erniedern mich ein wenig,
Drum send‘ ich sie zurück.“

Als Beispiel für das typische Hin und Her – die Restaurants. Letzten Freitag hieß es: die Restaurants werden wieder geschlossen (obwohl keine Beweise vorliegen, daß sich dort viele Menschen angesteckt haben). Die Gastronomiebranche war entsetzt und empört – sie hatten gerade erst wieder aufgemacht, hatten schon Waren fürs Wochenende bestellt und waren überhaupt nicht auf eine so schnelle Schließung vorbereitet. Es gab spontane Demonstrationen und große Solidarität mit den Mitarbeitern. Da ruderte die Regierung schnell zurück – bis Dienstagnachmittag (also morgen) dürften die Restaurants offen bleiben, dann schließen, hieß es. Heute hat sich das wieder geändert – sie dürfen nur noch draußen bewirten. Oder drinnen. Ich weiß es nicht mehr. Die Entscheidung ist noch offen.  Aber Restaurantbesitzer sollen mit diesen sich ständig ändernden Informationen ein Geschäft führen, Angestellte entlassen oder wieder einstellen, Waren bestellen oder wegwerfen – alle hängen mit dem Ohr am Radio, um zu wissen, was erlaubt und was verboten ist. Das ist komplett verantwortungslos.

Auch die Sommer-Aktivitäten für Kinder (Sommerschulen, Sommercamps etc) stehen ständig in der Diskussion, vom anstehenden neuen Schuljahr ab 1. September ganz zu schweigen. Für die Eltern ist das eine Frage von Sein oder Nichtsein – wegen Corona fallen bekanntlich Oma und Opa aus, und wenn die Kinder in den langen Sommerferien nicht irgendwo betreut werden, können die Eltern nicht arbeiten. (Israelis haben deutlich weniger freie Tage als Deutsche, und die Sommerferien sind gefürchtet, weil sie von Ende Juni bis zum 1.9. dauern).

Für uns bedeutet das, daß die Kindergärtnerin uns jeden Morgen die neusten Anweisungen durchgibt. Noch ist klar, wir machen weiter, und ich glaube, das Letzte, woran Netanyahu sich jetzt wagen würde, wären die Sommer-Angebote für Kinder. Er weiß, daß die ohnehin schon mental und finanziell überlasteten Familien es nicht schaffen würden, wenn ein Elternteil ausfiele – von den Alleinerziehenden ganz zu schweigen.

Heute abend packten in Tel Aviv in einer Halle bekannte Künstler Pakete mit Lebensmitteln für die unbekannten Mitarbeiter der Entertainment-Industrie. Aviv Geffen erzählte, daß er täglich Anrufe von notleidenden Menschen erhält, deren Einkünfte weggebrochen sind, seitdem es keine Konzerte, Theater und andere kulturellen Angebote mehr gibt. Und staatliche Hilfe gibt es für Freelancer nicht, oder nur so gering, daß man davon nicht wirklich leben kann.

Wofür ist Geld da? Nicht nur eine abstrus aufgeblähte Regierung mit 36 Ministern samt Vize-Ministern – Netanyahu fordert alle möglichen Begünstigungen auch für die Zeit, in der Benny Gantz PM werden soll (na wenn wir das je erleben). Die Bewegung der Schwarzen Flaggen demonstiert gegen ihn, das Volk ist wütend, und unter Druck macht Netanyahu keine gute Figur.  Viele kompetente Leute hat er vergrault, viele wichtige Posten rein politisch mit Jasagern oder Opportunisten besetzt, und sein Privatkrieg gegen das Justizsystem hilft nicht. Bombastische Ankündigungen wie die „Annektion“ am 1.7. sind destruktiv und peinlich, denn am Ende wird nichts daraus (wie aus so vielen anderen Ankündigungen Netanyahus – wo ist der neue Ort auf Trumps Namen, wo die vielen neuen Siedlungen, die er angekündigt, aber nie gebaut hat? wo das Geld, das angeblich jeder kriegen sollte, der in unbezahlten Urlaub geschickt wurde?).

Wie es weitergehen wird? Hoffentlich reißen sich bald alle zusammen. Tova Lazaroff und Haviv Rettig Gur verlinke ich mal, wenn jemand aus berufenerem Munde als meinem verstehen möchte, wie Israel in dieses Chaos geraten ist. Ja, ich verstehe, daß es schwierig ist, diese Krise über Monate hinweg zu managen, während die anderen Herausforderungen ja nicht verschwinden. Aber muß es eine Kette von ad-hoc-Entscheidungen sein, die widerrufen werden, bevor sie noch bis zum letzten Radiohörer durchgedrungen sind?

Erleichtert Juli 12, 2020, 23:06

Posted by Lila in Kibbutz, Kinder, Katzen.
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Heute war ein Kindergarten-Tag ohne Kinder. Alle Kinderhäuser hatten die Anweisung, einen Putz-und-Desinfizier-Tag einzulegen. Ich weiß nicht, wie dieser Tag in anderen Kinderhäusern begangen wurde, bei uns war es eine Art Putzorgie, von der man normalerweise nur träumen kann. Wir haben den Kindergarten auseinandergenommen, gewienert und wieder zusammengesetzt. Eine 2-Liter-Flasche Chlorreiniger haben wir verputzt. Meine Methode, Legosteine und andere Spielsachen sauberzumachen (in ein großes Becken mit Reinigungsmittel legen, 2 Stunden in Ruhe lassen, dann abspülen und in der Sonne mit viel Schütteln trocknen lassen), kam zur glorreichen Anwendung, aber auch die Methode meiner Kollegin (Tuch in Spülmaschine legen, Spielzeug drauf, kurzer Spülgang) ist nicht schlecht, und sämtliche Dinosaurier, Spielfiguren etc sind durch unsere Hände gegangen.

Ich habe mich erboten, die Wäsche für den Kindergarten zu übernehmen, weil die Kolleginnen mit der bisherigen Wäscherei nicht zufrieden waren, und habe jetzt neun Säcke Textilien im Flur, die ich morgen in Angriff nehmen werde – Verkleidungen, Tücher, Stofftiere, aber auch Putzlappen und Handtücher.

Wir haben die ganze Zeit Musik gehört, eine Kollegin hat ein üppiges Frühstück vorbereitet, aber bis auf die Frühstückspause haben wir durchgearbeitet. Jetzt ist die Puppenecke umgebaut, die Wände sind abgewaschen, und mein besonderes Steckenpferd: sämtliche Tische, Stühle und Hocker habe ich umgedreht und auch von unten geputzt. Überflüssige Sachen haben wir entsorgt, und alle Arbeiten, für die man sonst nie Zeit hat, haben wir uns geteilt. So hat das Spaß gemacht.

Wir haben uns sämtliche Sorgen von der Seele geputzt, und ich war die letzte, die am Ende den Schlüssel umgedreht hat.

Vorhin kam dann die Entwarnung: bisher sind alle Tests negativ, und bis auf ein Kinderhaus, wo Angehörige der Kinder noch auf ein Ergebnis warten, kann das gesamte System am Dienstag wieder geöffnet werden. Da der Montag sowieso mein freier Tag ist, verliere ich also kaum Arbeitsstunden.  Mal gucken, wie wir die Kinder nach dieser Krise und Aufregung auffangen und schnell zur gewohnten Routine übergehen. Wir haben uns dazu heute schon Gedanken gemacht. Das besondere Sommerprogramm wollen wir nicht sofort wieder aufnehmen, sondern erstmal ein paar ganz ruhige Tage vergehen lassen. Und dann machen wir viel Kunst.

Hoffentlich ist bald nicht nur in meinem Umkreis, sondern im ganzen Land der Spuk vorbei. Leider steigen die Zahlen weiter an. Busfahren ist zum Albtraum geworden – nur noch 20 Fahrgäste pro Bus, man kann also Stunden damit verbringen, Busse vorbeifahren zu sehen, die einen nicht mitnehmen. Klimaanlagen dürfen nicht mehr benutzt werden, die Busse fahren mit offenen Fenstern, im israelischen Hochsommer kein Vergnügen. Maskenpflicht ist selbstverständlich. Inzwischen sieht man wirklich kaum noch Leute ohne Mundschutz. Sogar im Kibbuz, wo bis vor kurzem nur wenige Menschen mit Mundschutz rumliefen, sind inzwischen alle umgeschwenkt.

Sollte die Regierung tatsächlich kleine Freiberufler wie mich für Einkommens-Einbußen entschädigen, wäre das zu schön, um wahr zu sein. Bisher habe ich nichts bekommen, und das Ausfüllen der Anträge war wie ein Hürdenlauf: nur Gründe, warum ich keinerlei Anrecht habe. Und das, obwohl ich seit 32 Jahren fast ununterbrochen arbeite und bituach leumi bezahle (die Nationalversicherung, die u.a. Arbeitslose unterstützen soll). Im Februar bin ich in unbezahlten Urlaub geschickt worden und hatte bis Mai null Einkünfte. Aber wie mein Mann sagt: der Staat Israel ist gut im Nehmen, weitaus weniger gut im Geben. Wie gut, daß ich wieder arbeite. Sowohl die Arbeit mit den Kindern als auch die schlichte physische Arbeit wie heute tun mir gut. Und morgen unterrichte ich sogar wieder.

Ungern Juli 10, 2020, 18:40

Posted by Lila in Kibbutz, Kinder, Katzen.
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sieht man einen geschlossenen Kindergarten, sagt das alte Lied.

 

Gestern hatten wir noch einen besonderen Tag – den Pyjama-Tag. Ich bin zwar nicht im Nachthemd aufgekreuzt, aber ich hatte Erdmann, den Maulwurf dabei, außerdem das Buch vom kleinen Häwelmann. Ich war nicht sicher, ob die alte Geschichte bei Kindern ankommt, die nachmittags Fortnite spielen, aber sie nahmen großen Anteil und mochten besonders das Ende. Die Kinder sind Vorlesen gewöhnt, aber freies Erzählen ist nochmal was anderes.

Der Kindergarten war verdunkelt,  auf dem Boden lagen Picknick-Matten und Kissen, statt Frühstück gab es Abendessen, und obwohl zwei Kolleginnen fehlten, haben wir den Kindern einen schönen Tag gemacht.

Aber in der Nacht wurde bekannt, daß es im Kibbuz und seiner Umgebung noch mehr Menschen gibt, die sich mit dem Virus angesteckt haben, und jetzt ist alles zu. Auch der Kindergarten. Die düstere Prophezeiung einer Mutter ist also eingetroffen, leider, aber ich hoffe natürlich, daß es schnell vorbeigeht und wir wieder zurück an die Arbeit können. Ich bin wieder in unbezahltem Urlaub, und da ich knapp unter den zwei Monaten liege, die man braucht, um Arbeitslosenunterstützung zu bekommen, geht mein Einkommen wieder in den Keller. Mal gucken, ob ich einen anderen Job an Land ziehen kann, ein paar Übersetzungen oder so. Ich unterrichte nach wie vor einmal die Woche. Aber das füllt mich nicht wirklich aus. Vielleicht kann ich mir ja einen Ruck geben und trotz Hitze ein bißchen im Garten arbeiten….

Ich denke mit großer Sehnsucht an die Kinder, die netten Eltern und Kolleginnen, den ausgefüllten Tag und den Kinderlärm. Die Kinder hatten sich gerade wieder unbeschwert gefühlt, die Gruppen waren schon fast wieder vereinigt, und dann diese schnelle Entwicklung. Hoffentlich werden die Betroffenen (keine Ahnung, wer sie sind) bald wieder gesund, und hoffentlich nehmen die Kinder es nicht zu schwer, daß ihr Kindergarten nun geschlossen ist.

Näher und näher Juli 8, 2020, 20:51

Posted by Lila in Kibbutz, Kinder, Katzen.
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zu Dir, o Corona…. Inzwischen gibt es auch im Ort Corona-Fälle, im Umfeld eines meiner Kinder und auch im Kibbuz, in dem sich der Kindergarten befindet, wo ich arbeite (im Gegensatz zu diesem SPon-Artikel – danke an den tüchtigen Freund, der mich mit dem Link versorgte).

Da in einem Kibbuz alle eng vernetzt sind, weil sie zusammen arbeiten oder Kinder in derselben Klasse oder im selben Kinderhaus haben, weil sie zusammen Kultur machen, Nachbarn sind oder in einem Ausschuß sitzen oder eine die Zahnärztin des anderen ist… deswegen ist die Besorgnis groß. Familien mit gefährdeten Angehörigen behalten die Kinder zuhause. Die getrennten Gruppen sind zur Verwirrung der Kinder wieder eingeführt, nachdem wir sie neulich erst fast aufgehoben hatten. Wir arbeiten nur mit Mundschutz, machen vieles mit Handschuhen, desinfizieren ständig alles und meine Hände sind schuppig wie greise Alligatoren vom vielen Alko-Gel. Nach wie vor wird jedes Stückchen Apfel getrennt serviert, kein Kind berührt das Essen der anderen, und wir tragen beim Servieren Handschuhe.

Einer der Väter sagte vorgestern: „der ganze Kibbuz ist geschlossen, nur der Kindergarten ist offen!“ Ob er das anerkennend oder grimmig meinte, konnten wir nicht erkennen – Mundschutz allerseits.

Es sind ja Sommerferien, und vor einer Woche war die große Jahres-Abschluß-Feier, wie berichtet. Die Großen, die ab September in die erste Klasse (kita aleph) gehen sollen, sind noch im Kindergarten, denn wir bieten über die Sommermonate eine kaitana, also ein Sommerprogramm. Wir hatten schon den Seifenblasen-Tag, den Schmink-Tag, heute war Sport-Tag (ein Parcours im Kindergarten mit sechs Stationen, wir waren am Ende ALLE alle), morgen ist Pyjama-Tag. Die Kinder haben mich gefragt, ob ich im Schlafanzug komme, und ich hoffe nur, ich kann mir noch was leihen!

Den Pyjama-Tag habe ich übernommen, und es gibt Schattentheater, zwei Gutenachtgeschichten, eine Erklärung, wie man den großen Wagen findet, Kim-Spiele mit geschlossenen Augen und Wiegenlieder aus verschiedenen Ländern. Oh, und statt Frühstück Abendessen. Wer noch Ideen hat, kann sie gern bei mir loswerden 🙂 Aber bitte noch vor Mitternacht, ich gehe nämlich gleich selbst schlafen.

Zweimal die Woche mache ich Kunst, und das Programm sieht wirklich vergnüglich aus. Die Kinder kennen mich inzwischen alle, und meine Sammlung an Kunstwerken, die mir persönlich gewidmet wurden, wächst. Selbst die eher schüchternen Kinder und die, die jeden Personalwechsel sehr schwer nehmen, akzeptieren mich langsam. Ich mache da auch keinen Druck, ich warte immer, bis die Kinder zu mir kommen und mich z.B. zum Spielen einladen. Ich kann gut verstehen, daß sich nicht alle sofort auf eine neue Mitarbeiterin stürzen. Die leitende Kindergärtnerin ist die Haupt-Beziehungsperson, und sie arbeitet schon zehn Jahre dort. Auch zwei Mitarbeiterinnen sind schon viele Jahre dabei. Aber ich bin nun mal neu (wenn auch alt :-D).

Es ist nun, wo ich die Kinder schon besser kenne, interessant und auch etwas traurig zu sehen, wie sehr die Kinder den Streß der Erwachsenen mitkriegen. Obwohl wir uns bemühen, ehrliche, sachliche Informationen zu neuen Regeln etc zu geben, Fragen ebenso ehrlich zu beantworten und ansonsten mit guter Laune die Routine weiterführen, fällt den Kindern natürlich auf, daß die Situation die Erwachsenen bedrückt. Am Tisch wird diskutiert, wer in Isolation (bidud) ist und wer nicht, und „vor Corona“ bzw „nach Corona“ sind feste Zeitangaben. Im Spiel werden schon mal Isolations-Zimmer gebaut.

Was mögen sich die Kinder dabei denken, wenn es um Isolation oder Virus geht? Woran werden sie sich später erinnern? Werden sie alle für ihr Leben unter Bazillenfurcht leiden, Obst und Gemüse mit Klorix waschen und die Türklinken dreimal am Tag mit Desytol besprühen?

Wir bemühen uns sehr, als Team ganz ruhig zu bleiben, obwohl jede von uns natürlich auch private Sorgen hat. Die Kindergruppe ist deutlich kleiner, was die Arbeit oft erleichtert, aber dafür sind die Kinder und Eltern nervöser, die neuen Anweisungen prasseln schneller auf uns ein, und mit Desinfizieren könnten wir uns pausenlos dranhalten. Eine Mutter meinte heute düster, „jetzt werden ganz viele Kibbuzniks getestet, und ihr werdet sehen, was dann los ist“, aber meine Kolleginnen und ich sind uns einig, daß weder Gerüchte noch morbider Pessimismus in Hörweite der Kinder gehören.

Als eines der Kinder heute fragte: „und was, wenn der X Corona hat?“, sagten meine Kollegin am Tisch und ich gleichzeitig: „dann wünschen wir ihm schnelle Genesung“.

Die Zeiten sind merkwürdig. Zu Anfang gingen alle Veränderungen sehr schnell, jetzt scheint die Prä-Corona-Zeit sehr fern. Wie fern erst für Kinder, die ja gar nicht so viel Prä-Corona-Lebenszeit ansammeln konnten.

Ich bin so froh, daß ich diesen sehr besonderen und freundlichen Ort gefunden habe, zu dieser schwierigen Zeit, wo ich meine schwer erworbene Altersweisheit in bescheidener Form loswerden kann.

Corona, Corona, wer will es noch hören? Juli 2, 2020, 21:24

Posted by Lila in Persönliches.
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Mir tun alle Frauen leid, die mit dem edlen, goethisch klingenden Vornamen Corona geschlagen sind – falls es noch welche gibt – denn niemand kann das Wort mehr hören. Nachdem wir Anfang, Mitte Mai gedacht hatten, daß wir vielleicht das Schlimmste hinter uns haben, steigen die Zahlen jetzt irrsinniger an als im März oder April. Aber die Wirtschaft läuft wieder fast normal, d.h., wer Arbeit hat, der arbeitet.

Mir persönlich rückt dieses Virus immer näher auf den Pelz. Ich kenne mehr und mehr Leute, die mit Kranken in Berührung waren und sich nun in Isolation begeben müssen. Zweien davon bin ich sogar relativ nahegekommen in der letzten Zeit, also „nahe“ in Zeiten sozialer Distanz. Tun kann man nicht viel, außer den Hygiene-Ratschlägen Folge leisten, was ich natürlich genau wie alle Menschen meiner Umgebung tue.

Ein Wiedersehen mit meinen Schwiegereltern oder gar meiner Mutter scheint unendlich fern zu liegen. (Post aus dem Ausland habe ich seit vielen Monaten nur noch äußerst spärlich erhalten – meine Geburtstagsgeschenke sind vermutlich verlorengegangen, sonst wären sie doch schon hier, oder?) An Mundschutz bei Hitzewelle haben wir uns fast schon gewöhnt. Gegen das viele Putzen mit Desinfektionsmittel kann man kaum ancremen. Der innere Sorgen-Wasserstand steigt, doch er ist auch abstrakter geworden – aus Bildern und Geschichten sind Zahlen, Tendenzen und Theorien geworden.

Als ich heute in Nahariya an der Ampel stand und um mich herum fast nur noch Leute mit Mundschutz sah, merkte ich, wie sehr ich mich schon dran gewöhnt habe.  Die Gewöhnung befremdet mich mehr als der Anblick selbst. Täglich bekomme ich per Whatsapp vom Ortsvorsteher einerseits, der Vorgesetzten andererseits die neusten Anweisungen und Informationen zugeschickt. So schnell werden wir diese Geschichte wohl nicht los.