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Leseleid September 14, 2019, 0:46

Posted by Lila in Literatur und Bücher.
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Auf verschlungenen Wegen kam ich zu zwei Büchern, von denen wohl jemand annahm, daß sie mir sehr gut gefallen müßten. Es handelt sich um aufeinander aufbauende Krimis. Eine jüdische Polizistin ermittelt so erfolgreich in Berlin, daß sie ihre Karriere nahtlos in Tel Aviv fortsetzen kann. Ihr Hebräisch springt zwischen den Bänden von „nicht vorhanden“ auf „fließend samt Slang“, und das ist nicht das einzige Fragezeichen, das mir beim Lesen in den Sinn kam.

Es scheint dem Autor unmöglich zu sein, Juden oder jüdische Israelis vorkommen zu lassen, ohne sofort auch Palästinenser auftauchen zu lassen. Selbstverständlich sind alle sympathischen Protagonisten Vertreter der Friedensbewegung, Siedler hingegen automatisch unsympathisch.

Die unsympathische Siedlerin im ersten Roman ist zwar unverheiratet (tritt unter Mädchennamen auf und es wird im Lauf des Buchs klar, daß sie nicht verheiratet ist), doch trotzdem trägt sie eine Kopfbedeckung. Sie trägt sogar ein schwarzes Cape, doch der Autor scheint den Unterschied zwischen orthodox und ultra-orthodox nicht zu kennen und läßt sie am Ende als „streng religiöse, hart schuftende Landwirtin im Kibbuz“ auftreten. Mit schwarzem Cape? Jedem, der auch nur von ferne religiöse Kibbuzim mit Landwirtschaft und die Welt der Ultra-Orthodoxen kennt, ist klar, daß beim Griff in die Klischeekiste einiges falsch zusammengesetzt wurde.

Merke: religiöse Kibbuzim sind orthodox, schwarze Capes hingegen tragen manche ultra-orthodoxe Frauen. Not the same thing. Und eine unverheiratete religiöse Jüdin bedeckt ihr Haar nicht.

Daß eine solch religiöse Familie ihre Tochter Tamar nennen würde, ist ebenfalls schwer vorstellbar. Die biblischen Frauen dieses Namens posieren als Prostituierte oder fallen einer inzestuösen Vergewaltigung zum Opfer – beides keine guten Omen. Nicht-religiöse Israelis benutzen den Namen gern, weil sie die ursprüngliche Bedeutung, Palme, schön finden – aber eine so streng religiöse Familie wie beschrieben würde eine Tochter wohl eher Leah, Rachel oder Sarah nennen, nicht aber Tamar.

Die Art und Weise, wie Tamars böse Schwester, die frömmelnde Siedlerin aus dem religiösen Kibbuz, spricht, klingt ebenfalls vollkommen aus der Luft geholt. Sie benutzt keine der Redewendungen, an denen man Religiöse im Alltag erkennt. Dafür legt sie sich ein Gebetstuch um, wenn sie betet – was damit gemeint sein kann, ist rätselhaft, denn einen Tallit legen eigentlich nur Männer an (oder Angehörige kleiner Gruppen wie Women of the Wall).

Der unsympathische Siedler hat eine höchst ungewöhnliche Kippa auf – sie ist nämlich „grob gestrickt“, obwohl Kippot gehäkelt werden. Ja, es heißt auf Englisch knitted kippa, was alle Handarbeitsfans anprangern sollten – es müßte crocheted kippa heißen! Aber das Mißverständnis rührt daher, daß es im Hebräischen nur EIN Wort für Stricken und Häkeln gibt, nämlich lisrog, und man dazusagen muß, ob mit einer Nadel (masrega) oder zweien. Kipa sruga wurde also von jemandem als knitted kipa übersetzt, der keine feste Masche von zwei-rechts-zwei-links unterscheiden kann.

Ja, und diese Kippa ist nicht nur wundersamerweise auf Sockenstricknadeln entstanden, sondern noch dazu kariert! Und das ist praktisch unmöglich sauber mit korrekten Zunahmen zu häkeln. Es gibt Häkel-Kippot in allen möglichen Mustern, aber kariert? Hä? Wieso? Na damit der Mann leichter erkennbar ist.

Die ständige Betonung des „eine von uns“ ist ebenfalls merkwürdig und mir von jüdischen Freundinnen aus Deutschland nicht verbürgt, aber da werde ich noch mal nachfragen müssen. Ein Ausspruch aber wie „da Sie eine von uns sind, könnten Sie sogar relativ unbürokratisch in den israelischen Polizeidienst einsteigen“, kommt mir reichlich unwahrscheinlich vor. So nach dem Motto, in Israel stehen Juden alle Türen offen, nur weil sie jüdisch sind – doch jeder Neueinwanderer kann bezeugen, daß es nicht ganz so einfach ist. Auch hier in Israel man nicht einfach hoch oben in der Karriereleiter einsteigen, nur weil man eben jüdisch ist.

Dabei hat der Autor Scheu, einfach „Jude“ zu schreiben, sondern es heißt „jüdischen Glaubens“, was eine typisch deutsche Vermeidungsform ist.

Im zweiten Buch, das dann in Israel spielen soll, wird es noch merkwürdiger. Tzimmes wird als Nationalgericht bezeichnet – vielleicht kenne ich die verkehrten Leute, aber ich kenne niemanden, der Tzimmes ißt, geschweige denn es ein Nationalgericht nennen würde.

Einem Mann wird „arabischer Migrationshintergrund“ bescheinigt – das ist komplett deutscher Sprachgebrauch und da der Mann Palästinenser ist, auch Blödsinn. Ja, vielleicht waren seine Großeltern Migranten, aber kein Israeli würde diese Phrase benutzen.

Ich habe dem Buch auch mit Erstaunen entnommen, daß man im Hebräischen siezen und duzen kann, wenn mir auch nicht klar ist, wie das gehen soll – es gibt nur EINE Anredeform.

Gekocht wird in Tel Aviv wohl auf Ceranfeldern, auch wenn ich in Israel noch nie eins gesehen habe – die meisten Leute kochen auf Gas oder Induktion, die in Deutschland allgegenwärtigen Ceranfelder sind jedenfalls unüblich. Und wenn man einem Roman so verzweifelt Lokalkolorit geben möchte wie der Autor, dann sollte man auf solche Details achten.

Wo man von den Klippen in Rosh HaNikra 30 Meter in die Tiefe stürzen kann, ohne harmlos durch Büsche zu kollern oder aber  im Meer aufzuschlagen, ist ebenfalls nicht ganz klar. Eine junge, traditionell gekleidete Drusin wäre in Tel Aviv nicht etwa ideal getarnt, sondern würde eher auffallen als in Jeans.

Auch wundert sich der Autor, daß „weder die harten Jungs der Sajeret Matkal noch die der Jechidat Duvdevan“ zu einer Mordaufklärung hinzugezogen wurden, obwohl die gegen Terror kämpfen und der Mordkommission ihre Arbeit wohl kaum abnehmen können. Aber es klingt natürlich schön kernig. Und warum er nicht einfach „Einheit Duvdevan“ schreiben kann, weiß ich auch nicht.

Daß ein Jaakov konsequent Jakoov genannt wird, ist nur ein Detail. Ich habe auch nur ein paar aufgezählt, nämlich die, die einem einfach ins Auge springen. Ja, ich klinge pingelig, aber es nervt.

Stellt Euch vor, ihr lest ein Buch über Deutschland im Jahr 2018 oder 2019, und ganz nebenbei werden lauter Sachen geschildert, die ihr aus den USA kennt – ein Abfallwolf im Spülbecken, riesige, stromfressende Waschmaschinen und Trockner, und im Fernsehen läuft Baseball.

Oder ein Buch, in dem ein evangelischer Pfarrer mit seiner Gemeinde den Rosenkranz betet, der katholische sich hingegen mit Frau und Kindern an den Tisch setzt.

Oder wo der Bayer nach der Arbeit schnell ans Meer radelt, um sich zu entspannen, während der Ostfriese vom Balkon aus das Alpenglühen bewundert.

Da würdet ihr auch sagen: wie fundiert ist das Wissen des Autors eigentlich?

Warum ich beide Bücher bis zu Ende gelesen habe, frage ich mich selbst – vermutlich nur, um hier was darüber zu schreiben.

Wiedergelesen August 21, 2019, 12:52

Posted by Lila in Literatur und Bücher.
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Batya Gur ist schon seit fast 15 Jahren tot, und wenn ich ihre Bücher lese, erinnere ich mich heftig an die 80er und 90er Jahre. Klar. Interessant, daß ihre Krimis im Original ganz sachliche Titel haben,  z.B. „Mord am Shabatmorgen“, „Tod im Fachbereich Literatur“, „Kommunale Schlafregelung“ (jeder Israeli weiß wohl, daß damit die Kinderhäuser in den Kibbuzim gemeint waren, wo die Kinder statt zuhause schliefen) und „Tod an der Bethlehem-Straße“. In er deutschen Übersetzung wird daraus „Denn am Sabbat sollst du ruhn“, „Am Anfang war das Wort“, „Du sollst nicht begehren“ und „Denn die Seele ist in deiner Hand“.

Es scheint, als ob noch der selige Ephraim Kishon mit seinen allerdings verballhornten biblischen Titeln noch irgendwo herumspukt. „Der seekranke Walfisch“, „Arche Noah Touristenklasse“, „Nicht so laut vor Jericho“ und wie die Bücher alle hießen, die bei meinen Eltern in einer langen Reihe im Regal standen – die ich als Kind alle gelesen habe, nicht begreifend, daß Kishon eigentlich die israelische Wirklichkeit recht getreu wiedergibt. So habe ich noch die Erklärung zum Wort „nu?“ in Erinnerung, die so vieles bedeuten kann, und hielt sie für komplett übertrieben. Bis ich nach Israel kam.

Batya Gurs Kriminalfälle geben dem Leser die Gelegenheit, auf den Spuren des sensiblen, melancholischen Kommissars Ochayon in geschlossene Welten einzudringen (ich habe das Gefühl, Gur steht zu Ochayon im selben Verhältnis wie Dorothy Sayers zu Lord Peter Wimsey… der ideale Mann). Mal die geschlossene Gesellschaft der alteingesessenen Freudianer Jerusalems, alles alte Jeckes, mal die intellektuelle Atmosphäre des Fachbereichs Literatur der Uni Jerusalem (wo manche Passagen tatsächlich an Sayers´ geniales „Gaudy Night“ erinnern), mal ein Kibbuz, wo die Maßstäbe des Erfolgs „von draußen“ nicht gelten.

Der Außenseiter wird dann widerwillig geduldet, weil er die Infektion mit dem Bösen ausräumen soll, wie ein Antibiotikum, doch dann stellt sich heraus, daß es keine Infektion von außen war, sondern innere Fäulnis dieser Welt, die eigentlich nicht mehr so bleibt, wie sie war, auch nachdem Ochayon den Fall löst. Weswegen er selbst von Buch zu Buch verlorener und melancholischer wird.

Für meine Faulheit, die mich dazu verführt, diese Bücher in deutscher Übersetzung zu lesen, werde ich auch genregerecht bestraft. Ich ahne und spüre das Hebräische hinter dem Deutschen, ärgere mich ordentlich, wenn eine Anspielung nicht verstanden oder ein Wort nicht richtig transskribiert wird, und das letzte Buch ist fast unlesbar, wie eine Rohübersetzung. Die hebräischen Verknappungen sind nicht einfach ins Deutsche zu übertragen, und wer es wortwörtlich versucht, der treibt den deutschen Leser in die Verzweiflung.

Dann die gräßliche Angewohnheit, den Buchstaben yud mit einem deutschen j zu transskribieren. Dabei ist das deutsche j ein Konsonant – Jahr, Joghurt, Jacke. Im Hebräischen dagegen wird es als Konsonant geschrieben, aber nur selten ausgesprochen. Meist wird es mit einem langen i vokalisiert (manchmal auch mit ey) und klingt wie ein Vokal.

Der Name Shai zum Beispiel, in Gurs Buch konsequent Schaj geschrieben, hat mich in den Wahnsinn geschrieben. SHAI! SHAI! habe ich jedesmal gemurmelt, wenn er auftauchte. Nur als Beispiel.

(Ich bin für einen speziellen Buchstaben besonders empfindlich, weil er in meinem eigenen, nicht deutschen Namen auftaucht und von Israelis deutlich richtiger ausgesprochen wird als von Deutschen.)

Gurs Bücher geben einen Einblick in bestimmte recht versnobte Szenen in Jerusalem, und die derben Orientalen, die sich dort auch herumtreiben, sind oft geradezu karikiert. Ochayons Dilemma ist natürlich, daß er wie jeder gute Held zwischen den Welten wandert, geradezu Fanny Price als Kettenraucher in Polizeiuniform – er ist marokkanischer Jude, hat aber Geschichte studiert und würde so gern seine Dissertation über das Zunft- und Gildenwesen in der Renaissance zu Ende schreiben. Gurs ashkenasische Arroganz den Orientalen gegenüber mißfällt mir (und sie hat auch den Kibbuz-Gedanken ziemlich in die falsche Kehle bekommen, das kann ich mir nicht verkneifen). Trotzdem sind ihre Bücher lesenswert, wenn man gern Krimis liest, bei denen man sich nicht vor Spannung und Lese-Angst gruseln muß.

(Es wundert mich ja immer beim Lesen dieses Genres, wie gelassen Menschen weiterleben, denen mal eben Bruder oder Freundin ermordet wurden – aber sonst würde die Geschichte nicht weiterkommen, also müssen sie ihre Rollen mehr oder weniger weiterspielen.)

Wo Batya Gur ist, ist auch Shulamit Lapid nicht weit, Yairs Mutter. (Ich muß mal zusammenstellen, was ich im Laufe der Jahre alles über die Lapids geschrieben habe… ) Statt eines Karrierepolizisten mit Charme und Autorität, dem sich alle Türen öffnen, hat sie eine Reporterin in einem Provinzblättchen zur Protagonistin und Rätselknackerin erkoren. Lisi Badichi ist, wie man am Namen sofort erkennt, orientalischer Abstammung. Lisi ist eigentlich Lisette (ihre Schwestern heißen Georgette und Chawazelet), und Namen Lisette, Georgette und Ninette sind eigentlich typisch für marokkanische Familien, nicht jemenitische, aber sei´s drum, vielleicht ist Lisis Mutter ja marokkanischer Abstammung?

Auch Lapid lästert ein bißchen über Lisis mangelnde Attraktivität (große Füße, großer Busen, schlechte Haltung) und ihre Vulgarität (greller Lippenstift, Plastikohrringe). Eigentlich, wo ich das jetzt so hinschreibe, nervt es mich sehr, daß in international sehr beliebten Büchern, von ashkenasischen, gebildeten Damen verpaßt, die meisten Orientalen schlecht wegkommen. Allerdings kommen bei Lapid alle schlecht weg, sie hat einen ziemlich bitteren Blick auf die Welt und die arme Lisi wird von den Männern in ihrem Leben angeschnauzt und gedemütigt, daß man sich beim Lesen darüber mehr entsetzt als über die diversen, auch hier dankenswert steril abgehandelten Morde.

Lisi bekommt von ihrer Familie wenig Anerkennung (ihre Mutter sähe sie lieber verheiratet und als Mutter, und ich gestehe, daß viele meiner israelischen Freundinnen mir von diesem Druck berichtet haben, nicht nur in orientalischen Familien) und im Beruf muß sie sich von Männern unterbuttern lassen, die dann ihre Verdienste sich selbst zuschreiben. Ich hoffe, daß Lisi in einem späteren Roman die Kurve kriegt und es den ganzen fiesen Kerlen mal zeigt.

Lisis Fälle folgen nicht dem Muster des Eindringens von Verbrechen und Aufklärer in eine geschlossene Welt, und das Milieu Beer Sheva spielt keine wirkliche Rolle, außer eben als Hintergrund. Wie gesagt, bin noch nicht weit genug in der Serie, vielleicht ändert sich auch das noch. Bei Gur spüre ich Jerusalem sehr deutlich, bei Lapid mehr ein generisches „israelische Peripherie aus Tel Aviver Perspektive“.

Ich habe den Verdacht, daß ich beide Schriftstellerinnen doch mal im Original lesen muß. Ich habe im Verdacht, daß Gur ein diffizileres Ivrit schreibt und darum manche Übersetzungen stolpern, während die Lapid-Übersetzungen flüssiger und lesbarer sind, vielleicht einem einfacheren Ivrit zu verdanken?

Laßt Euch trotz meiner Mäkeleien nicht davon abhalten, Gur und Lapid mal anzutesten, wenn ihr wie ich gern mit Büchern, die im weitesten Sinne Nachkömmlinge des klassischen Landhaus-Mords sind, die Realität für ein paar Stunden verdrängt.

Eigentlich müßte ich auch all meine Bücher von Oz und Yehoshua, Grossman und M. Shalev, Keret und Z. Shalev noch mal lesen. Die sind aber ernster und weniger dazu geeignet, sich ein schönes Stündchen auf der Couch zu machen.

Batya Gur in Serie, deutsch, mit Links zu Buchläden

Shulamit Lapid in Serie, deutsch