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Ausbruch April 21, 2013, 20:19

Posted by Lila in Kunst.
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Was ist die Strafe für Lehrende wie mich, die in ihren Stunden zu drastischen Metaphern neigen, welche sie aber nach zwei Minuten schon wieder vergessen haben?

Sie kriegen sie nach einem halben Jahr von den Studierenden wieder aufs Butterbrot geschmiert, wenn nämlich diese einprägsame Metapher unzählige Hausarbeiten ziert.

Die Gotik, die wie der Ausbruch eines vorübergehenden ästhetischen Irreseins Europa heimsucht… die fällt jetzt wie ein Bumerang auf mich zurück. Recht geschieht´s mir.

 

(Übrigens war das aus reiner Begeisterung heraus gesagt — Ehrenretter der Gotik rennen bei mir offene Spitzbogenportale ein.)

Wochenende, regnerisch April 21, 2013, 9:39

Posted by Lila in Uncategorized.
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Regen, Segen, wie banal sich das reimt. Und ist trotzdem wahr. Auf Ivrit reimt sich der Segen-Regen wenigstens nicht: gishmey bracha. Das hatten wir die ganzen letzten Tage, vollkommen unerwartet, nachdem uns schon die ersten Hitzewellen genervt hatten. Seit Dienstag regnet es immer wieder, mal leicht, mal schwer, zwischendurch sind Pausen, damit das Wasser einsickern kann. Mein Garten jubelt förmlich vor Glück, und das Unkraut, dem ich ständig auf den Hacken bin, wuchert unbezwingbar. Keine Ahnung, wie ich da wieder Ordnung reinkriegen soll, aber es ist mir auch egal. Es ist zu schön, aus dem Fenster zu gucken und dicke Wolken zu sehen, oder Regenschleier vor Abendsonne, oder einen blankgeputzten Himmel und nasse Blätter, die in der Sonne glänzen.

Zu dieser friedlichen Idylle paßte unser Wochenende perfekt. Immer öfter kommt es vor, daß mein Schwager freitags anruft und brummt: „die Kinder wollen zu euch, paßt es euch?“ Na klar, wir lieben die Kinder und Schwager und Schwägerin auch, das paßt immer. Als wir noch im Kibbuz wohnten, waren sie auch jedes Wochenende bei uns, aber das war mehr Pflicht, weil mein Schwiegervater einfach eingeführt hatte, daß man sich am Shabat bei uns trifft. So wie früher bei ihm. Und noch früher bei seiner Mutter. Wir haben uns zwar immer gefreut, uns zu sehen, aber es ist doch viel schöner, zu hören „die Kinder WOLLEN zu euch“, als „na dann Shabat bei euch, wie immer“.

Weil es draußen so geregnet hat, konnten wir nicht raus. Die Nichten und der Neffe wissen genau, wo das Spielzeug zu finden ist, und liefen sofort die Treppe rauf. Und dann haben wir gespielt. Monopoly, Mensch ärger dich nicht, Memory. Nichts macht mehr Spaß, als gegen meine so süß kichernde Nichte zu verlieren – sie hat so eine Freude daran.

Ihr Bruder liebt Mancala,das Steinchen- oder Bohnenspiel, und hat von meinem Mann ein sehr schönes zum Geburtstag bekommen. Auch mein Mann hat das Spiel als Kind geliebt. Ich kannte es nicht, kann es aber sehr empfehlen. Sowohl Kinder als auch Erwachsene finden es interessant. Die Fassung für Erwachsene ist empfehlenswerter – viele Steine, so daß auch ein kluges Kind nicht sofort erkennt, daß es nur als erster Spieler anfangen muß, um zu gewinnen…

Mein Neffe liebt Secundus besonders, und als es dieses Jahr in seiner Klasse hieß, daß Päckchen für Soldaten gepackt werden (für den Unabhängigkeitstag), da erklärte er der Lehrerin, daß er seinen eigenen Soldaten hat und sein Päckchen selbst hinbringen wird. (Nur kämpfende Einheiten kriegen solche Päckchen, und auch längst nicht alle, aber Secundus bewahrt immer noch den Brief eines kleinen Jungen aus Jerusalem auf, der seinem ersten Päckchen vor drei Jahren beilag…)

Als die Sonne rauskam, wollte die kleinste Nichte, ein unbeschreiblich niedliches und energisches Kind von zweieinhalb Jahren, unbedingt raus. „Ums Haus rumlaufen“ ist ihre besondere Freude. Sie findet es toll, daß man an der fensterlosen Seite von Büschen verborgen wird und nicht zu sehen ist. An der Seite wohnt der Nachbar mit den vielen Tieren, und sie hat mit Jubeln den Hahn und die Tauben begrüßt, die sie dort sehen konnte. Dann fingen die Kinder an, ums Haus herum Verstecken zu spielen, während ihre erschöpften Eltern es sich auf der Couch gemütlich machten. Die großen Geschwister sind sehr lieb zu der Kleinen.

Ich hatte beim Aufräumen neulich noch einen ganzen Schwung meiner bunten Haargummis mit selbstgehäkelten Blümchen gefunden, mit denen ich vor ein paar Jahren die Welt beglückt habe. (Muß ich eigentlich wieder machen – zehn Minuten pro Blümchen, und immer ein nettes Geschenk….) Die habe ich der kleinsten Nichte geschenkt, und sie hat gejubelt vor Freude. Ihre Mutter mußte ihr Zöpfe machen und ALLE Blümchen mußten rein. Dann lief sie ganz glücklich herum und ließ sich bewundern.

Es war zu schön, die Kinder sind überhaupt nicht schwierig, und ich habe riesige Freude daran zu sehen, wie sie sich entwickeln.

Ja, das war gestern, da war das Haus voll mit großen und kleinen Kindern, und ich war glücklich. Jetzt bin ich wieder ganz allein. Sie sind alle weg. Nicht als ob es mir schwerfiele, allein zu sein – ich bin gern allein, gehe auch gern durchs Haus und bereite alles für den nächsten Besuch vor. Aber diese Stille. Ich laß sie ungern gehen. Tertia ging als Letzte, ich habe noch lang auf dem Balkon gestanden und ihr hinterhergeguckt. Jetzt warte ich wieder aufs nächste Wochenende.

In der Nacht April 21, 2013, 5:45

Posted by Lila in Qassamticker (incl. Gradraketen).
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Bei uns im Norden: gesegneter Regen. Im Süden: eine Qassam-Rakete, die in der Nähe eines Orts einschlug.

In der ganzen letzten Woche also drei Raketen-Zwischenfälle, zweimal aus dem Gazastreifen, einmal aus dem Sinai. Anderswo würde das nicht als Einhaltung des Waffenstillstands gelten, von israelischen Bürgern erwartet man eher, daß sie ein Auge zukneifen, wenn dreimal die Woche Raketen in ihrer Nähe niedergehen. Och, diese Dingerchen.

Ich rechne der US-Regierung ihre Unterstützung für das Iron-Dome-System sehr hoch an. Auch in Sderot wollen die Leute nur ruhig schlafen.

Marsch geblasen April 20, 2013, 16:11

Posted by Lila in Presseschau, Uncategorized.
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In der ZEIT kriegen wir unser Fett weg, wir Babyboomer. Unbestreitbar ist da was dran – meine Altersgruppe plus minus zehn Jahre beherrscht nicht nur in Deutschland, sondern auch in Israel die Welt. Obwohl ich durch meine eigenen Lebenentscheidungen (Geisteswissenschaft studieren, Ausländer heiraten, ins Ausland ziehen, vier Kinder kriegen) meinen Platz an der Tafel des Wohlstands und der Sicherheit geräumt habe, sehe ich an meinen Altersgenossen, wie das aussieht.

Es schmeckt ihnen, das Leben. Sie sind ausnahmslos erfolgreich im Beruf, tüchtig, und sie leben tatsächlich in einem Wohlstand, den vermutlich ihre Kinder nicht so leicht erreichen oder werden halten können (trotz Erbschaften). Auch wenn ich persönlich ausgestiegen bin, gehöre ich mental zu dieser Generation der Selbstzufriedenen, der Gewinner, sicher aufgewachsen, was kostet die Welt.

Meine Kindheitswelt habe ich in Erinnerung als unendlich optimistisch. Ein Verdiener pro Familie reichte für bescheidenen, aber sicheren Wohlstand, alle bauten oder kauften irgendwann, jedes Auto, das der Papa kaufte, war besser als das vorige. Ich erinnere mich nicht daran, daß in unserem Milieu jemand arbeitslos wurde, sich etwas nicht leisten konnte, Angst vor der Zukunft hatte. Die Großeltern hatten sich abgerackert, damit unsere Eltern studieren konnten, bei uns wurde das vorausgesetzt. Wir erwarteten nicht anders, als daß das so weitergehen würde. Daß die Welt unsere Ansprüche erfüllt, daß wir selbst sie erfüllen.

Wir, unsere Generation, legen schwere Lasten auf die schmalen Schultern der nachfolgenden Generation.

Vom Jahr 2015 an werden so viele Deutsche in Rente gehen, so wenige Junge ins Arbeitsleben eintreten wie nie zuvor. Mit der Zahl der Erwerbstätigen sinkt aber fast immer auch die Wirtschaftskraft eines Landes. „Wenn wir Deutschen es schaffen, trotz erheblich schrumpfender Bevölkerung wirtschaftlich zu wachsen, wären wir die Ersten, die diese Logik aushebelten“, sagt Steffen Kröhnert.

Selbst wenn die Wirtschaft weiter wachse, sagt Kröhnert, werde dies ein Scheinwachstum sein, weil der Wohlstand von steigenden Kosten aufgefressen werde. „Bis 2040 werden wir doppelt so viele Menschen über 80 haben – und mit ihnen Demenz- und Alzheimer-Patienten.“ Die meisten Immobilien würden an Wert verlieren, viele würden sogar unverkäuflich. Es bestehe die Gefahr eines „Asset Meltdown“: Die Älteren lösen massenhaft ihre Wertpapier-Depots auf, und weil es nicht mehr genug Junge gibt, die Aktien und Anleihen kaufen können, sinken die Kurse.

….

In deutschen Unternehmen sitzen Ältere, die großzügige Betriebsrenten kassieren werden – neben Jüngeren, denen jeglicher Anspruch verwehrt bleibt. Die Einstiegsgehälter sinken oder stagnieren, während die Einkommen der über 50-Jährigen weiter steigen. Inzwischen verdienen 50- bis 60-jährige Arbeitnehmer rund fünfzig Prozent mehr als ihre 20- bis 30-jährigen Kollegen. Unter den unter 35-Jährigen gibt es viermal so viele befristet Beschäftigte wie unter den über 50-Jährigen.

Früher waren es die Kinder, die eine Party schmissen, und die Eltern, die das Desaster beseitigten. Die Babyboomer haben es geschafft, das Verhältnis umzukehren.

Zu jeder Zeit ihres Lebens profitierten sie von gut finanzierten Staatsprogrammen: Als sie jung waren, wurden für sie die Universitäten ausgebaut, das Bafög wurde erfunden. Als Berufstätige freuten sie sich über massive Steuersenkungen. Als Ältere kommen sie in den Genuss eines historisch einmaligen Versorgungswesens. Zum Dank haben sie den Staat zurückgebaut, wo sie nur konnten.

Dabei dominieren wir das kulturelle Leben, den Alltag, die Medien.

Die Popkultur war immer auch ein Spiegel, in den die Jungen schauten, um sich selbst zu erkennen. Heute betrachten sich darin meist Menschen, die über 50 sind. Längst habe ich mich daran gewöhnt, dass der größte Popstar der Welt Madonna (54) heißt – und sie ihren Thron für Lady Gaga (27) nicht räumen wird. War früher James Dean (24) das globale Sexsymbol, ist es heute George Clooney (51). In den sechziger Jahren stieg die 26-jährige Ursula Andress als Bond-Girl aus den Fluten, ihre Nachfolgerin im Jahr 2002 hieß Halle Berry und war 36 Jahre alt.

„Wir haben uns daran gewöhnt, Frauen unter 30 als halbe Kinder zu betrachten und Männer in diesem Alter als Grünschnäbel“, schreibt der Kulturjournalist Claudius Seidl in seinem Buch Schöne junge Welt. „Man muss die 35 schon überschritten haben, wenn man überhaupt ernst genommen werden will, und mit welchem Alter die Jugend endet, war noch nie so ungewiss wie heute.“

Bräsig, selbstbewußt und ohne Rücksicht auf unsere Nachkommen, so sehen wir aus in diesem Artikel. Und wie eine subtile Quittung kommt mir dann, bei ganz anderem Thema,  diese Meldung vor:

Großtrend bleibt die Wiederkehr von Namen aus der Großväter- oder Urgroßvätergeneration: Anton (21), Emil (23) oder Karl (34) verbesserten ihre Ränge. Namen der Nachkriegsgeneration wie Uwe, Jürgen und Horst sind derzeit nicht gefragt, ebenso wenig die Spitzenreiter jüngerer Jahrzehnte wie Christian oder Sebastian.

Wer seine Kinder lieber Emma und Felix nennt als Stefan  und Sabine, der geht tatsächlich mindestens eine Generation in die Vergangenheit. Wenn erstmal Heinz und Günther, Erika und Elfriede ebenfalls ein Comeback machen und auf Spielplätzen zu hören sind, dann hat die junge Generation uns endgültig den Rücken zugekehrt. Dann sind die 60er und 70er Jahre wirklich nur ein opulenter Schlenker gewesen.

Gefangen April 20, 2013, 10:36

Posted by Lila in Presseschau.
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Natürlich habe auch ich die Jagd auf den 19jährigen Mörder und Terroristen in Boston mit Spannung verfolgt, und ich bin froh, daß er lebend gefangengenommen werden konnte. So kann er aussagen und es wird hoffentlich möglich, die Motive besser zu verstehen, eventuell sogar ähnlichen Tätern zuvorzukommen.

Aber ich kann mich nun mal nicht vom israelischen Blickwinkel auf solche Taten lösen. Bei uns sind solche Anschläge oft vorgekommen, und seit die Terroristen dank Zaun und guter Aufklärung mit Bombengürteln nicht mehr durchkommen, setzen sie schwere Steine gegen fahrende Autos und andere simple Waffen ein, die trotzdem Tod und Leid bringen können (die kleine Adele Biton liegt immer noch auf der Intensivstation – ob ihr Gehirnschaden reversibel ist…?) . Bevorzugt schicken sie Kinder und Jugendliche mit Zwillen und dicken Steinen vor.

Der Terror hat also nicht aufgehört, er hat sich nur andere Waffen gesucht. Ein weiterer Vorteil ist natürlich, daß Steine und Schleudern viel weniger Schlagzeilen machen als eine Bombe. Darum ist es außer innerhalb von Israel praktisch unbekannt, womit sich Israelis konfrontiert sehen – nicht nur in den Gebieten, sondern auch in Wadi Ara und Faradis sind Autos mit Steinen beworfen worden.

Terroristen, die Zivilbevölkerung in Angst und Schrecken versetzen und verletzen und töten wollen, fängt unsere Armee regelmäßig, ohne Live-Begleitung von Twitter, CNN und der halben Weltbevölkerung. Eine häßliche, ermüdende, schwierige Routine – Nichtstun würde nur mit weiteren Anschlägen beantwortet. Sobald irgendwo ein Checkpoint aufgehoben wird, häufen sich in der Nähe die Anschlagsversuche.

Aber was kommt dann? Befragung, Prozeß, und je nach Urteil Inhaftierung. Wie es auch dem mußmaßlichen Täter von Boston ergehen wird. Nur ein Kapitel werden die Amerikaner nicht erleben müssen. Den Druck von außen, einen überführten Terroristen aus politischen Gründen freizulassen.

„President Abbas stressed that the release of the prisoners is a priority that creates an appropriate climate for the possibility of moving the peace process forward,“ his spokesman Nabil Abu Rudeina told AFP.

In a public speech last week, Abbas said that the freeing of terrorists serving time in Israeli prisons was a „priority“ for his leadership.

„The Palestinian leadership gives priority to the prisoners issue and ending their suffering,“ Abbas said in a speech to a meeting of his Fatah party in Ramallah.

„We cannot be silent about their staying behind bars… (we) have demanded the freeing of all prisoners, especially those arrested before the Oslo accords, and sick, child and women prisoners,“ he said.

Wir können uns also darauf gefaßt machen, daß John Kerry diese Bedingungen an Israel weitergibt, als wären sie berechtigt – obwohl ihm bestimmt nicht einfiele, Terroristen aus amerikanischen Gefängnissen freipressen zu lassen.

Channel 10 News reported that Kerry is planning on offering Israel and the PA an outline which would see Israel releasing terrorists from its prisons and transferring areas from Area B, which is under joint PA-Israeli control under the Oslo Accords, to Area A which is under full PA control.

Kerry’s outline would have the PA undertaking a return to the negotiating table and promising not to file lawsuits against Israel with the International Criminal Court.

Wohlgemerkt – eine Verpflichtung der Palästinenser, endlich, nach fast hundert Jahren, auf den Terror zu verzichten, ist nicht vorgesehen.

Und wenn sie dann frei sind, was tun sie dann? Manche bleiben dem Terror fern, das schließe ich nicht aus. Andere halten große Reden

und lassen sich als Helden feiern, wie Samir Kuntar.

Und wieder andere machen weiter, was sie am besten können. Terror.

Ich stelle mir gerade vor, daß Netanyahu zu Kerry sagt: „wenn ihr den Mann aus Boston freilaßt, laß ich auch mit mir reden“. Aber sowas tut man ja in der Politik nicht. Man findet sich damit ab, daß das Leben und die körperliche Unversehrtheit amerikanischer Bürger ein schützenswertes Gut ist, unseres dagegen eine Münze, die in Verhandlungen eingesetzt wird.

Bändeweise April 20, 2013, 0:02

Posted by Lila in Persönliches, Uncategorized.
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Bei meinem Stöbern nach noch mehr, noch mehr, NOCH VIEL MEHR Kindle-Büchern entdecke ich ein Genre, das mich an meine Schulzeit erinnert, und zwar an die Spätphase, als die vielen Bände von der Berufsberatung kreisten – Studienfächer, Ausbildungsberufe, für jeden denkbaren Beruf gab es so ein Heftchen. Natürlich, da wir eine Mädchenklasse waren, lauter weibliche Berufe. In der Schülerbücherei war eine ganze Ecke mit diesen Büchlein gefüllt. Und jetzt sehe ich ganz viele Romane, die genau in diese Ecke passen würden.

Die Weißnäherin. Die Kübelmacherin. Die Sockenstrickerin. Die Kräuternonne. Die Imkerin. Die Handschuhmacherin. Manche dieser karg-vielversprechenden Titel werden mit geographischen Bezeichungen veredelt: Die Müllerin vom Westerwald. Die Salbenrührerin von der Norddeutschen Tiefebene. Die Korbflechterin von Hildesheim. Die Marmeladenköchin von Lüneburg. Die Waffelbäckerin vom Niederrhein. Die Spitzenklöpplerin von Domburg. Die Posamentiererin von Köln. Die Stillberaterin vom Bodensee.

Ich hätte geradezu Lust, für jedes dieser Bücher einen edlen, undeutlich mittelalterlich-renaissancehaften Umschlag zu entwerfen, auf dem eine hübsche junge Frau von Cranach, Tizian oder Holbein sinnig mittels Photoshop verfremdet und dann mit  Kräutern, Bienen, Marmeladen, Kübeln oder Waffeln kombiniert wird. Hätte ich nur mehr Zeit, würde ich außerdem glatt versuchen, sowas selbst zu schreiben. Aus den Beschreibungen der Bücher (und den Erinnerungen an meine Angelique-Lektüre vor 35 Jahren) konnte ich schon Anhaltspunkte für notwendige Handlungslemente entnehmen.

Die Heldin müßte natürlich schön, empanzipiert, temperamentvoll, rothaarig mit grünen Augen, magisch attraktiv, mit einem exotischen Namen begabt (ein Y muß drin sein)  und unglaublich talentiert sein. Mindestens einmal wird versucht, sie zu vergewaltigen, sie als Hexe anzuzeigen, sie gegen ihren Willen zu verheiraten oder sie an der Ausbildung ihres übermenschlichen Talents zu hindern. Je ein Krieg, eine Epidemie, ein Brand, ein Pogrom oder eine Naturkatastrophe müssen vorkommen – und ihr natürlich in die Schuhe geschoben werden.

Ich bin fasziniert von diesem Genre, das so üppig blüht und das mir gänzlich unbekannt ist. Oh, und nichts für ungut. Bestimmt gibt es auch in dieser Fülle gute Bücher. Ich weiß nur nicht, wie ich sie bei der Größe des Angebots finden könnte.

Ein kleines Ritual beim Nachhausekommen April 18, 2013, 22:13

Posted by Lila in Persönliches, Rat und Tat.
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hat Secundus. Seine Waffe ist natürlich nicht geladen, aber er muß sie immer bei sich tragen und ist dafür verantwortlich, daß sie nicht in falsche Hände fällt. Darum baut er sie auseinander, wenn er zuhause ist, und bringt die Einzelteile getrennt und jeweils durch abschließbare Türen gesichert unter. Wenn wir am Wochenende wegfahren, muß jedes Einzelteil hinter mindestens zwei abgeschlossenen Türen liegen. Er hat mehrere Verstecke, die nur er kennt. Selbst wenn ich gefragt würde, könnte ich nicht sagen, wo die verschiedenen Teile sind.

Vermutlich besitzen hier mehr Menschen als in Deutschland private Waffen, aber wesentlich weniger als in den USA. Wer eine Waffe kaufen möchte, braucht einen Waffenschein. Um den zu behalten, muß man regelmäßig Auffrisch-Kurse machen und ihn erneuern lassen. Dazu gehörten nicht nur Übungen am Schießstand, sondern auch Überprüfungen der mentalen Stabilität (muß Y. noch mal genauer danach fragen).

Y. hatte jahrelang ein kleines Dingelchen, das er nur selten bei sich trug, und das er ebenfalls ungeladen, gesichert, getrennt von der Munition… hinter Schloß und Riegel aufbewahrte. Irgendwann wurde ihm das Ganze zu aufwändig, er ging nach Yokneam auf die Polizeiwache und sagte, daß er die Waffe spenden möchte, er braucht sie nicht. Legte sie behutsam auf den Tisch und ging.

In Israel kommen, unberufen, eher selten Amokläufe vor. Was wohl vorkommt, sind Morde, meist sog. Beziehungsmorde, bei denen Wachleute ihre Dienstwaffe gegen ihre Partnerin wenden.  Oft stellt sich dann heraus, daß diese Leute nur eine oberflächliche, rein technische Ausbildung an der Waffe hatten. Wer hingegen drei Jahre lang ständig eine Waffe mit sich rumschleppt, sie dauernd ölen, auseinanderbauen, kontrollieren und verstauen muß, wem diese ganzen Rituale der Vorsicht in Fleisch und Blut übergegangen sind, der wird sie nicht leichtfertig benutzen. Denn er begreift die volle Verantwortung, die so eine Waffe bedeutet. So scheint es mir zumindest.

Wem im Bus in Israel mulmig wird, wenn er die kindlichen Hände sieht, die sich im Bus um ihre Waffen legen, der kann beruhigt sein. Diese Waffen sind nicht geladen. Unfälle kommen vor – Y. hat einen Freund durch die Kugel eines anderen Freunds verloren, und bei aller Vorsicht ist es immer möglich, daß ein Mensch sich falsch verhält. Ja, es gibt auch Fälle, in denen eine Waffe ungesichert im Haus herumlag und Kinder oder Jugendliche sie zur Hand nehmen. Aber im Großen und Ganzen verhalten sich Israelis sehr vorsichtig mit Waffen, und Soldaten kontrollieren x-mal, ob die Waffe auch wirklich sicher ist, bevor sie damit aus der Basis gehen.

In manchen arabischen Dörfern werden (die in meinen Augen) Unsitten wie in die Luft böllern zu Hochzeiten etc gepflegt, was nicht nur teuer, sondern auch sehr gefährlich ist. Aber auch dort gelten die Regeln mit Waffenschein und Überprüfung. Man kann nicht einfach in den Laden gehen und sich dort bewaffnen.

Ich weiß, daß in einer Gesellschaft wie der amerikanischen Waffen einen anderen Stellenwert haben als in Europa, und ich glaube nicht, daß man die mentale Einstellung zu Waffen ändern kann. Viele Amerikaner, das habe ich inzwischen verstanden, sehen in einer persönlichen Waffe den Garant ihrer Freiheit und Sicherheit. Erbe ihrer Prärie-Pionier-Vergangenheit. Gary Cooper eben in High Noon, wo ja selbst die naive Quäkerin schließlich begreift, daß gegen manchen Feind nur hilft, zu ziehen, bevor er zieht. Gegen Symbole und Mythen läßt sich mit Ratio nicht viel ausrichten. Auch wir haben unsere Mythen, an denen wir hängen (Freie Fahrt für freie Bürger….).

Ich würde den Menschen in den USA aber, angesichts der vielen Unfälle und des häufigen in meinen Augen leichtfertigen Umgangs mit Waffen (ich erinnere an den Vater, der den Laptop seiner Tochter als Disziplinmaßnahme durchlöcherte…), wünschen, daß sich ein professionellerer und ernsthafterer Umgang mit Waffen durchsetzte. Gerade wenn man Waffen einen so hohen Status einräumt, sollte man lernen, wie man mit ihnen umgeht, ohne andere zu gefährden. Und zwar so gründlich wie mein Secundus und seine Freunde, denen nie in den Sinn käme, eine Waffe einfach geladen irgendwo rumliegen zu lassen oder damit zu anderen Zwecken als militärisch genau vorgeschriebenen zu schießen.

Mein Senf zu der ganzen Waffendiskussion. Kam mir heute so in den Sinn, als ich sah, wie Secundus seine Waffe zerlegte und wie der Osterhase versteckte, bevor er noch seine Mutter, die er fast einen Monat nicht gesehen hatte, begrüßte.

Variatio delectat April 17, 2013, 19:31

Posted by Lila in Qassamticker (incl. Gradraketen).
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Die Grad-Raketen auf Eilat heute waren wohl die Arbeit einer salafistischen Gruppe. Wie nett, daß sie sich abwechseln. Es wäre ja öde, immer von denselben beschossen zu werden.

Gut, daß niemand zu Schaden gekommen ist.

Mein Beileid April 16, 2013, 22:45

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haben die Opfer des Anschlags in Boston. Solche Bomben mit vielen Metallteilen sind hier ja auch während der Terrorwelle täglich, manchmal zweimal täglich, hochgegangen – entsetzlich. Die Opfer sind für ihr Leben gezeichnet, und noch Jahre später tauchen aus ihrem Körper Schrapnellteilchen auf, die sich langsam den Weg durchs Gewebe gebahnt haben – anschaulich und unumwunden geschildert von Gila Weiss, deren Blog ich unregelmäßig gelesen habe, bevor er einschlief.

Unless the shrapnel is causing damage, doctors will leave it where it is. Unfortunately there appear to be some differences between “causing damage” as defined by doctors and “causing damage” as defined by the average layman. For instance, many doctors do not define shrapnel which makes one’s face numb in parts and lumpy to the touch as “causing damage”.

But enough of the bad stuff, now it is time for what makes shrapnel fun. After it goes in (not the fun part), it comes out! All by itself! What I have learned is that shrapnel often slowly but surely works its way up to the surface and is expelled from the body. Every day I check my body for objects which, like lounge lizards slinking out late at night from a singles event, are starting to emerge. I then do the following:

  1. I examine the item, and try to guess what it is. Metal? Glass? Plastic?
  2. I brush it gently with my fingers, to see if it will dislodge. If it does, and it isn’t really, really teensy-weensy and non-impressive, and if it doesn’t fall from my finger onto the floor and get lost, I put it into my “Official Machane Yehuda Bombing Shrapnel Collection Test-Tube”.
  3. If it doesn’t dislodge, I gently feel the area around the shrapnel to check for swelling, edges, etc. This gives me some indication as to the size of the piece, and whether it is going to require medical assistance to remove.
  4. Size and/or swelling be damned, I try to remove the item myself. I jiggle it a bit, push around it like you do with splinters and try to pull it out with my eyebrow tweezers.
  5. I smack myself on the hand and tell myself to stop playing with the shrapnel and to let it come out on its own. Bad BAD Gila!!!!!
  6. If my cooler friends are around (cooler being defined as anyone who find this whole process fascinating as opposed to disgusting”), I call them over, and show them. If no friends are present, I make a mental note to show them the next time I see them.
  7. I put a glop of iodine ointment on the area and cover it with gauze and tape. The combination of iodine ointment, gauze and tape is wonderful, and has become my standard medical treatment for just about everything.

Every day is a new adventure as I find all sorts of foreign objects emerging from my body

Von den seelischen Wunden will ich gar nicht sprechen, die auch körperlich Unverletzte davontragen. An das Leid der Angehörigen, die Menschen begraben müssen, kann man nicht denken, ohne daß einem die Augen brennen.

Wie krank muß jemand sein, einen Schnellkochtopf mit extra bösartigen Metallteilchen zu füllen, damit sie in die Körper von Menschen eindringen, dort Tod und Schmerzen anrichten, aus was immer für Gründen?

Wir wissen noch nicht, was für ein Mensch das war, ob er sich als Teil einer Bewegung verstand, ob er auf eigene Faust gehandelt hat, warum er die Läufer und Zuschauer bei diesem Marathon so gehaßt hat, was sie für ihn bedeuten.

Bei jeder Nachricht über solche Anschläge wende ich die Augen ab, mit Grauen und Mitleid, und es gibt ja dauernd solche Anschläge. Wenn es aber im Irak oder in Pakistan oder Somali geschieht, halten die Medien sich mehr zurück – vielleicht aus der zynischen Erwartung heraus, daß wir solche schlimmen Nachrichten besser „wegstecken“, wenn sie in Ländern passieren, wo wir niemanden kennen, vermutlich noch nie waren, wo die Menschen sowieso so „anders“ sind, so daß unser Empathiequotient in den einstelligen Zahlen liegt. Und es ist ja wirklich so, daß man nicht mit allen mitleiden kann, nicht jedes Unglück eines anderen mitempfinden kann wie das eigene, sonst wäre niemand von uns lebensfähig. Wie schon Dorothea Brooke in einer ihrer stärksten Szenen sagt: „If we had a keen vision and feeling of all ordinary human life, it would be like hearing the grass grow and the squirrel’s heart beat, and we should die of that roar which lies on the other side of silence.“

Für mich sind diese Nachrichten kaum erträglich, sie erinnern mich einfach zu sehr an diese Jahre, in der ein durchdringender Terror-Gestank über jeder Alltags-Routine lag, in der jede Nachrichtensendung neue Greuel, neue Namen, neue Schrecken brachte. Ich schäme mich dafür, daß ich diese Nachrichten nach kurzem Hochschnellen des Grauens wegschiebe – ich kann mir ungefähr denken, wie die Menschen in Ländern leben, in denen man jederzeit gewärtig sein muß, daß der nächste Passant sich neben einem in die Luft sprengt, und sie tun mir so leid.

Aber wenn es Boston ist, wo man liebe Menschen hat, der Marathon, wo man Läufer kennt (auf deren Mail man dann beklommen wartet), dann ist das Interesse groß, die Berichterstattung dramatisch und bildreich, und es ist unmöglich, die Nachricht wegzuschieben.

Kriege sind schlimm genug. Ich kann die Ostermarschierer und die ganze Friedensbewegung schon verstehen, wenn sie gegen die Perversität kämpfen, die darin liegt, einen ganzen Industriezweig und eine ganze professionelle Tötungs-Industrie zu betreiben, während wir gleichzeitig mit allen Mitteln für die Erhaltung und Verbesserung des Lebens kämpfen. Aber verglichen mit Terror ist Krieg geradezu zivilisiert. Krieg ist brutal und tötet Menschenleben, aber Krieg hat sich Regeln gegeben, Staaten müssen sich daran halten, Kriege sind beendbar. Sie sind Mittel zum Zweck. Häßliche und grauenhafte Mittel, aber nach jedem Krieg kommt der Friedensschluß, das Verhandeln, und dann zwei Generationen später ein Händedruck über Gräbern. Oder, wie Zuckmayer beschreibt, schon in der Generation der ehemaligen Feinde ein Gefühl der Schicksalsvebundenheit. Viele Jahre nach dem Krieg erzählt er:

Vor wenigen Jahren ging ich an einem Frühlingstag in Paris auf den Champs Elysees spazieren. Plötzlich stockte der Verkehr, die Leute blieben auf der Straße stehen, alle Männer nahmen die Hüte ab. Man hörte eine rhythmisch näherkommenden Trommelschlag und sah auf dem Fahrdamm einen Trupp von Zivilisten marschieren (…) Ich fragte einen Herrn neben mir, was das für ein Aufmarsch sei. „Les vieux combattants“, antwortete er mir, „de la grande guerre“. Er meinte natürlich den Krieg von 1914-18. Die alten Kriegsteilnehmer…

Auch ich nahm den Hut ab, hätte es auch getan, wenn die anderen es mir nicht vorgemacht hätten.

Voran ging ein Kahlkopf mit weißem Schnurrbart, der die Fahne trug. (…)

Ich hatte das Gefühl, ich müßte mitmarschieren, mich anschließen, zu jenem „Grabmal des unbekannten Soldaten“ hin (…). Ich hatte das Gefühl, ich müßte hingehen und sie umarmen, diese Groß- und Kleinbürger, Pesionäre und Handwerker, und müßte zu ihnen sagen: „Hier bin ich! der auf euch geschossen hat, dem ihr nach dem Leben trachten mußtet.“ Ich hatte das Gefühl, ich gehöre zu ihnen, mehr als zu allen anderen auf der Welt. Denn sie waren die „Feinde“. Ich mußte weinen.

Ich habe diesen Absatz ewig nicht mehr gelesen, aber sofort gefunden und endlich abgeschrieben(Als wär´s ein Stück von mir, 245).

Ja, Krieg ist schlimm, und vielleicht ist es nicht richtig zu sagen: Terror ist schlimmer. Aber man kann sich vorstellen, daß Soldaten einander respektieren und persönlich nichts Böses wünschen, daß sie einen Sinn dafür gewinnen oder wiedergewinnen oder bewahren, daß auch der „Feind“ eigentlich lieber zuhause wäre und auf der Terrasse säße. Mein Mann hat für den toten „Feind“, neben dem er in einem Hof irgendwo im Libanon geschlafen ist, ein Gedicht geschrieben und sehr stark empfunden, wie leicht es andersrum hätte sein können.

Rabin und König Hussein haben beide betont, daß es einen Frieden der ehemaligen Feinde gibt, der auf Respekt beruht. Ja, auch im Krieg gibt es Abgründe der Menschenverachtung, Leichenschändung und Brutalität. Nichts beschönigen! Aber trotz allem ist eben denkbar, daß ein Veteran dem anderen eines Tages Reverenz erweisen kann.

Aber der Terrorist? Ob Einzeltäter oder organisiert, US-Amerikaner oder Ausländer, es ist nicht vorstellbar, daß er die Menschen, denen der die Schrauben und Metallkugeln zudenkt, die er in den Schnellkochtopf füllt, je als Menschen sieht, als seine Spiegelbilder, als seine Brüder und Schwestern, vor denen er den Hut abnehmen kann.

Es ist die banalste Aussage der Welt und man muß sie eigentlich nicht wiederholen. Aber für mich ist Terror der Abschaum der Welt, und wer gegen Krieg protestiert, aber Terror rechtfertigt, irgendwie, der ist für mich ein Mensch ohne moralische Maßstäbe. Krieg kann man zumindest potentiell  eindämmen, regulieren, in Vertragwerke einbinden, beenden. Aber Terror? Unkontrollierbar, unmenschlich. Da gibt es keine Brücke mehr.

Dem Terror ins Gesicht sehen ist schwer und unerträglich. Es ist leichter, gegen die Rüstungsindustrie und die Armeen zu sein, denn die gucken unbewegt zu, wie die Menschheit Geld, Zeit und Kreativität an Drohnen und Kanonen wendet, um Interessen durchzusetzen, die man eigentlich genausogut in einem offenen Gespräch lösen könnte, wenn die Welt nicht so arm und der Mensch nicht so schlecht wäre. Aber zu erkennen, daß es blanken Haß gibt, daß diese Schrauben und Nägel auch für uns zubereitet sind – das geht weit darüber hinaus und ist erschreckend. Es fällt mir schwer, diesen Schrecken abzuschütteln.

Fahrerflucht April 15, 2013, 15:05

Posted by Lila in Persönliches, Presseschau, Uncategorized.
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Gerade las ich es mit Schrecken in Ynet: ein Radfahrer wurde in Katzir heute beim Radfahren angefahren und schwer verletzt. Der Fahrer, ein Palästinenser, ließ ihn am Straßenrand sterben und setzte sich in die Westbank ab (wo er sich der palästinensischen Polizei stellte, nachdem die sein blutbeflecktes Auto entdeckt hatte).

Und während ich noch über die Schrecken eines solchen Tods nachdachte, rief mich Y. an. Es ist Gabi. Gabi, der in der Familie von Y.s Kindheitsfreund Dror aufwuchs, Gabi, der als Waise im Kibbuz aufgenommen wurde und in der Gruppe von Y.s Schwester war. Gabi ist tot.

Und dann traf es mich mit Wucht. Drors Familie wird die Nachricht auf dem Friedhof bekommen haben. Es ist eine Familie, die zwei Gefallene zu beklagen hat. Drors Onkel fiel im Sechstagekrieg – seine Eltern (die ich beide im Altersheim gepflegt habe) haben sich nie davon erholt. Auch Drors Mutter Rachel hat den Tod ihres kleinen Bruders (der eigentlich ihr Halbbruder war) nie verwunden.

Für Rachel und ihre Mutter war es besonders hart, weil schon Rachels Vater gefallen war – noch vor dem Unabhängigkeitskrieg, 1946, in der „Nacht der Brücken„, einer Aktion der Palmach gegen die Briten (übrigens einer höchst umstrittenen Aktion). Hier ganz in der Nähe, an der Achziv-Brücke, wurde er bei einer Explosion getötet. Yizhak hießen beide Gefallenen. Rachels Mutter hatte ihren Sohn aus zweiter Ehe nach ihrem ersten Mann benannt.

(Der Grenzgänger, der mich im Kibbuz besucht hat, kann sich vielleicht noch daran erinnern, daß wir zusammen einen besonders netten einarmigen alten Herrn getroffen haben? Das war der Bruder des 1946 gefallen Yizhak.)

Rachel selbst lebt nicht mehr. Sie hat ihren Vater nie kennengelernt, ihren Bruder im Krieg verloren, war durch Kinderlähmung behindert und hatte als junge Mutter eine Tochter durch eine schwere Krankheit verloren (woran Y. sich noch deutlich erinnert). Sie hatte kein leichtes Leben. Und heute wird ihr geliebter Adoptivsohn begraben. Ich kann es kaum glauben. So ein netter Kerl war er, immer freundlich. Viele Jahre arbeitete er am Flughafen, war verantwortlich für die Sicherheitsüberprüfungen. Er brachte in die von Tod und Trauer überschattete Familie Fröhlichkeit und lebte sich im Kibbuz gut ein, wo er seine Schulzeit verbrachte und auch später noch oft zu Besuch war. Gabi, Dror und die jüngeren Schwestern verließen den Kibbuz, die Großeltern und Eltern blieben. Nur Drors Vater ist noch im Kibbuz, allein. Was für ein Schlag.

Gabi wird in Karkur begraben, in einer halben Stunde. Ich kann nicht dabeisein, leider. Y. fährt allein zu der Familie, die heute, am Gedenktag für ihre Toten, ein weiteres Mitglied begraben muß.

(Ob der palästinensische Fahrer Gabi mit Absicht umgefahren hat – das wird die Polizei herausfinden müssen, und ich will es ihm nicht unterstellen. Er hat ihn jedenfalls ohne Hilfe sterben lassen. Vielleicht wäre er noch zu retten gewesen.)

Ganz schwieriger Tag April 14, 2013, 18:20

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mal wieder. Heute abend fängt der Gedenktag für die Gefallenen an. (Den Vortag des Holocaust-Gedenktags haben wir in Berlin auf dem Friedhof Weißensee kurz begangen, die Sirene riß mich dann bei Schwiegervater aus dem Bett und ich taumelte ans Fenster – ich fühle bei der Sirene gern den Himmel über mir).

Heute abend also die Sirene, morgen noch einmal.

Seit Tagen schon liegt es in der Luft. Dieses Jahr ist keines meiner Kinder einer Familie „zugeordnet“, um dort die Armee zu vertreten – Secundus ist im Dienst, Tertia hat ein paar Tage frei. Diesmal haben wir keine Zeit, bis zum Kibbuz zu fahren, wo allein dieser Tag sich richtig „anfühlt“.

Wir werden wohl hier im Yishuv die Zeremonie mitmachen. Immerhin wohnen wir im Haus eines jungen Mannes, der nie älter als Mitte 30 werden wird – 1972 geboren, 2006 gefallen. Alles, was mir an diesem Haus gefällt, was gemütlich und pfiffig ist, hat er entworfen und selbst gebaut. Seine Familie ist vermutlich an seinem Grab, in seiner Geburtsstadt. Aber auch in diesem winzigen Nest mit nur 40 Häusern wird heute abend der Gedenktag begangen – vier Tote hat Granot zu beklagen.

Morgen dann werden wir Y. auf seinem jährlichen Weg an Odeds Grab begleiten.

Mehr als 23.000 Menschen sind im Laufe der Jahre gefallen und fehlen. Möge kein Name mehr hinzukommen, nicht im nächsten Jahr und überhaupt nicht mehr, nirgends.

Im Konzerthaus April 14, 2013, 6:31

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Wir hatten die Studenten auf diesen Abend vorbereitet, weil wir wußten, daß wir mit einer gemischten Gruppe zu tun haben. Manche spielen seit Jahren ein Instrument, kennen und lieben klassische Musik und freuen sich auf einen Abend mit Brahms und Mendelssohn besonders. Andere waren noch nie in einem solchen Konzert und sind nervös, haben Angst, sich zu langweilen oder sich danebenzubenehmen.

Ich hatte mir extra ein schönes Kleid mitgebracht, auch meine Kollegen, die Kibbuzniks, waren feiner angezogen als sonst üblich. Wir hatten vor dem Konzert den Studenten ein paar Stunden freie Zeit gegeben, mit genauen Angaben, wie sie zum Hotel und vom Hotel zum Konzerthaus kommen. Es ist ja nicht schwer zu finden. Wir hatten ihnen nicht gesagt, daß man vor einem Konzert Mäntel, Schals, Mützen, Handschuhe und große Taschen an der Garderobe abgibt – wir hatten ja nicht mit solcher Kälte gerechnet. Ein Teil der Studenten, die keine Zeit gehabt hatten, sich umzuziehen oder ihre Einkäufe ins Hotel zu bringen, erschienen also im Konzertsaal mit Sack und Pack und verbreiteten um sich herum Seminar-Atmosphäre. Meine Kollegen und ich sahen uns an: noch ein Punkt für die Liste „Dinge, die wir bei der nächsten Vorbereitung erwähnen oder beachten sollten“.

Wir hatten den Unerfahrenen empfohlen, erst dann zu klatschen, wenn das ganze Haus klatscht, und das klappte auch tadellos. Eben diese Erst-Konzert-Besucher zeigten sich sehr beeindruckt von der Husten-Räusper-Welle zwischen den Sätzen. „Willst du mir sagen, daß die sich das Husten verkneifen, bis eine Pause ist?,“ fragten sie. „Und wenn jemand sehr doll erkältet ist?“ „Dann geht man eben nicht ins Konzert, man will ja anderen nicht den Abend verderben,“ meinte ich. Diese Rücksichtnahme der Hustenden fiel allen sehr positiv auf, auch meine Kollegen wurden darauf angesprochen.

Das Konzerthaus ist ein perfekter klassizistischer Rahmen, ich war noch nie dort und hatte das Gebäude immer nur von außen bewundert. Meine sechs Studentinnen sahen sich alles an, erkannten Orpheus und mehrere olympische Götter, sie konnten das ikonographische Programm des Hauses „lesen“. Da war ich erfreut und auch ein bißchen stolz, denn manches haben sie bei mir gelernt, und in Israel gibt es einfach keine solchen Gebäude, wo sie ihr Wissen hätten erproben oder anwenden können. Es gefiel mir, wie sie sich umguckten und einander aufmerksam machten. „Guck mal, das müßte Apollo sein, ist ja auch logisch….“ Immerhin hatte ich in einer Vorbereitungsstunde viel über Schinkel gesprochen und ihnen auch Schinkel-Gartenstühle gezeigt – Schinkel war ja nicht nur Architekt und Maler, sondern auch Designer, der eine Umgebung bis in kleinste Einzelheiten planen konnte. Ich muß mal in meinen Büchern über Schinkel nachgucken, wie viel von diesem Programm wirklich auf ihn zurückgeht, und was hinzugefügt wurde. Auf jeden Fall ist der Saal stimmig, und meine Studentinnen erkannten das.

Ein Teil meines Stolzes ging dann kurzfristig baden, als ich eine Gruppe unserer Studenten in der Pause sah – sie saßen in einer Nische im Vorraum, auf den Boden gefläzt, drumherum ihren ganzen Kram, und verglichen ihre Einkäufe. Zwei vertilgten mitgebrachtes Fastfood. Ich wandte schnell den Blick ab, um nicht mal aufzunehmen, wer sich gerade danebenbenahm, und übergab das Problem einem Kollegen, der fragte: „was macht ihr denn da?“ „Wir haben die Frau da vorne gefragt, und die hat gemeint, draußen dürfte man essen“. Mein Kollege hat ihnen dann erklärt, daß zwischen dem diskreten Verzehr eines mitgebrachten Butterbrots und einem Picknick zwischen Schals und Mänteln und DM-Tüten ein Unterschied besteht, und sie erröteten.

Da fiel mir wieder ein, warum ich schon vor Jahren aufgehört habe, meine Kinder in Theateraufführungen für Kinder mitzunehmen. Die Mütter, die sofort die Bamba-Tüten hervorholen, bevor der Vorhang hochgeht, haben mich einfach zu sehr genervt, und ich wollte nicht, daß meine Kinder eine ähnliche Konditionierung abkriegen. Vielleicht ist es das Kino, wo man ja heutzutage einerweise überteuertes Popcorn in sich hineinstopft, das die Sitten verdirbt. Den konzert-geübten Studenten jedenfalls wäre das wohl nicht unterlaufen.

Am nächsten Tag jedenfalls beim Frühstück fragte der Kollege, dessen Tochter Cellistin in England ist, für wen dieses Konzert das erste dieser Art war. Ein großer Teil hob die Hand. Bevor ich noch meine Gesichtszüge unter Kontrolle bringen konnte, rief eine Studentin, „Lila, was guckst du so, in Israel gehört das eben nicht dazu….“ Aber ich konnte nicht lachen, sondern mußte einfach schnell eine Predigt anbringen. „Berlin ist voll von israelischen Musikern, klassischen und nicht-klassischen, und Israel ist voll von ausgezeichneten Orchestern und Musikern. Ich bin fast sicher, daß auch im Orchester von gestern abend ein Israeli saß. Fangt an, in Israel Konzerte zu besuchen, damit israelische Musiker nicht auswandern müssen!“

Jedoch mußte ich mir wie Anne Elliot eingestehen, daß ich auch in Israel viel zu selten ins Konzert gehe. Wir haben schon ewig kein Abo mehr, es ist einfach zu schwierig, sich von allem einfach loszueisen, vielleicht sind Karten auch zu teuer für unsere Studenten, oder sie fühlen sich deplaziert. Oder sie meinen, wie bei der Kunst, das ist eben nichts für sie, sondern nur für „feine Leute“. Immerhin, dann haben wir hoffentlich einen Schritt getan, damit sie sehen, daß man ein klassisches Konzert genießen kann. Na ja, ich habe es jedenfalls genossen.

Gute Nachrichten April 14, 2013, 6:25

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Während Yair Lapid, dem ein boshaftes Schicksal das Finanzministerium beschert hat, so daß er uns jetzt mit weiteren Leistungskürzungen und Steuererhöhungen  beglücken muß, gegen die er im Wahlkampf noch so gewettert hat…. während also Yesh Atid sich als ganz normale Partei erweist, setze ich meine Hoffnungen auf einen aus ihren Reihen. Der neue Erziehungsminister Shai Piron macht einen intelligenten Eindruck, aber das machten ja bis auf eine Ausnahme fast alle Bildungs-und Erziehungsminister der letzten Jahre. Erziehung und Bildung scheinen ihm auch wirklich am Herzen zu liegen, und er ist auf diesen Posten nicht aus machtpolitischen Erwägungen verschoben worden (in Israel gilt dieses Ministerium als sehr wichtig, nur Außen- und Finanzministerium haben höheres Prestige).

Seine Erklärung, daß Schulen, die die grundlegendsten Fächer (Englisch, Mathematik, Staatsbürgerkunde) nicht unterrichten, auch keine Subventionen mehr vom Staat erhalten, ist für mich ein Schritt in die richtige Richtung. Es steht ultra-orthodoxen Schulen frei, ihre Schüler für die aktive Teilnahme am Leben des Staats nicht vorzubereiten und sie dazu zu verurteilen, ohne echte Wahlmöglichkeit das für sie vorgezeichnete Leben weiterzuführen – aber bitte nicht auf unsere Kosten. Es macht einen frommen Juden nicht weniger fromm, wenn er imstande ist, sich sein Brot selbst zu verdienen, weil er eine solide Bildungsgrundlage auch in „säkularen“ Fächern hat.

Mathematik verdirbt nicht den Charakter, und Englisch ist eine Weltsprache, die auch viele ultra-orthodoxe Juden beherrschen, ohne deswegen gottlos zu werden. Und Staatsbürgerkunde ist ja wohl die geringste Reverenz, die man einem Staat erweisen kann, der einen von der Wiege bis zur Bahre unterstützt und ernährt. Wenigstens seine Gesetze und sein Selbstverständnis sollte man kennen, wenn schon nicht anerkennen. (Dazu kann und sollte man niemanden zwingen.)

In den letzten Wochen und Monaten haben die Medien sich mit dem Thema „Die ultra-orthodoxe Welt im Staat Israel“ recht intensiv auseinandergesetzt, ich habe nicht viel davon mitgekriegt, weil ich zum Fernsehen kaum Zeit habe. Aber einen Film über die Nahal Haredi, die Einheit ultra-orthodoxer Männer, habe ich gesehen, und habe vor Mitleid mit den Soldaten geweint, die von ihren Familien brutal geschnitten werden. Selbst zu ihren stolzesten Ereignissen, nach dem anstrengenden Marsch zur Erlangung des Baretts, kamen manche Familien nicht.

Sie wohnen in Soldatenheimen und einer ist für den anderen Familien-Ersatz. „Ich glaube schon, daß meine Mutter mich liebt, aber ich darf mich nicht in der Nachbarschaft sehen lassen, sonst schadet es auch meinen Geschwistern…“ meinte einer wehmütig, der seine Familie seit seiner Meldung zur Armee nicht mehr gesehen hat und vielleicht nie mehr sehen wird. Eine so konsequente Bestrafung für eine Entscheidung, die der Familie nicht paßt, finde ich unerträglich. Das Erziehungsziel scheint nur zu sein, die Söhne zu Klonen ihrer Eltern zu machen – nicht eigenständige Erwachsene aus ihnen zu machen, die auch abweichende Entscheidungen treffen können, die die Eltern dann aus Liebe mittragen. Manche Familien sind anders und akzeptieren die Entscheidung der Söhne. Dann kommen die Mütter mit riesigen Körben voller Essen auch für die anderen Soldaten, von denen sie wissen, daß niemand mit ihnen feiert.

Viele der jungen Männer, die sich entschlossen haben, zur Armee zu gehen, und damit bereits den ihnen vorgezeichneten Weg verlassen (Yeshiva, später Kollel, frühe Heirat, immer lernen, nie arbeiten, Leben von der Unterstützung des Staats und evt. der Arbeit ihrer Frauen, Erziehung ihrer zahlreichen Kinder für ebendieses Leben), tun das, weil sie Schwierigkeiten haben, sich auf das Lernen zu konzentrieren, weil sie in ihrer Welt als Versager gelten und nach einer Alternative suchen. Die Armee unterstützt sie in ihrem religiösen Leben – wer am Shabat raucht, der kann nicht in dieser Einheit bleiben.

Traurig fand ich die Aussage eines jungen Offiziers, der selbst nicht ultra-orthodox ist. Er sagte: „ich komme aus einem Haushalt, wo seit meiner Kindheit klar war, daß ich zur Armee gehe, und die Armee positiv gesehen wurde. Ich bin dafür gelobt und unterstützt worden. Viele der ultra-orthodoxen Soldaten, die ich trainiere, sind nie gelobt worden. Sie wurden immer als dumm bezeichnet. Für viele sind meine Worte des Lobs und der Unterstützung das erste Mal in ihrem Leben, daß sie angespornt und gelobt werden. Sie trauen sich gar nichts zu. Sie sind gewöhnt, wie eine Null behandelt zu werden.“ So stand er neben ihnen und lobte sie, und sie sahen ihn ganz überrascht an.

Ich glaube nicht, daß der Staat diese Lebensform noch unterstützen sollte. Wir können uns das auch einfach nicht leisten. Es muß auch nicht jeder zur Armee gehen – aber mindestens zwei Jahre der Allgemeinheit schenken, in Form von Zivildienst, das kann man schon verlangen, auch von arabischen Israelis. Warum nicht zwei Jahre lang Essen auf Rädern austeilen, mit gefährdeten Jugendlichen Tischtennis spielen und Bibel lesen, oder alte Menschen betreuen? Es gibt einfach keinen guten Grund, sich davon auszuschließen.

Irgendwann kurz nach den Wahlen muß es gewesen sein, eine Reportage in den Nachrichten. Der Journalist saß mit zwei jungen Männern zusammen, beide bereits verheiratet und Väter mehrerer Kinder, die in einem Kollel studieren, mit staatlicher Unterstützung (während säkulare Hochschulen natürlich horrende Studiengebühren verlangen). Der Journalist fragte sie: „warum könnt ihr von meinen Steuern umsonst euer Leben lang lernen und studieren, während meine Kinder ihre Ausbildung bezahlen müssen und danach arbeiten gehen?“ Einer der jungen Männer antwortete geschmeidig, „ein Jude ist des anderen Bürge“. „Sehr schön,“ sagte der Journalist, „was tut ihr denn für mich?“

Da war Stille. Einer der jungen Männer errötete und sagte leise, „ich kann schon verstehen, daß die Säkularen sich ärgern“. Er war aber ein Einzelfall, ansonsten waren die Ultra-Orthodoxen nicht mal zu einer Diskussion bereit. Ihr Lebensstil ist der einzig richtige, fertig.

Meir Porush, Politiker einer ultra-orthodoxen Partei, protestierte auch prompt gegen Pirons Erklärung. Sein Argument: daß an säkularen Schulen geraucht und getrunken wird. Nun, erstens kamen auch schon Skandale mit ultra-orthodoxen Schülern vor, die von ihren Schulen verschwinden und irgendwo rumlungern und sich betrinken, während sie von der Schule weiter als Schüler geführt werden und damit Geld für sie fällig wird. Und zweitens macht die Einführung von Mathestunden die Schulen noch nicht zu säkularen Schulen. Drittens sollten die Lehrer ohnehin ein Auge auf die Schüler haben, egal was im Lehrplan steht.

Die Argumente sind in meinen Augen schwach, der Wille, sich gegen Piron zu wehren und die staatliche Unterstützung weiter zu bekommen, dagegen sehr stark. Es ist eine Art Kulturkampf, dem wir uns langsam aber sicher nähern.

Auf dem Friedhof April 13, 2013, 18:18

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Am letzten Tag in Berlin fanden sich zwei Studentinnen vor einem Friedhof wieder und überlegten, ob sie sich den ansehen sollten. Während sie noch zögerten, wurden sie von zwei freundlichen Berlinerinnen angesprochen, die ihnen wohl ansahen, daß sie Touristinnen in Zeitdruck waren. Die Berlinerinnen erklärten unseren Studentinnen, daß der Friedhof auf jeden Fall lohnend ist, daß dort viele berühmte Menschen begraben sind – unter anderem Brecht. Woher sie denn kämen? Aus Israel. Auf dem Friedhof sei auch ein jüdischer Dramatiker begraben, George Tabori.

Die Namen Brecht und Tabori sagten den Studentinnen etwas, und sie betraten den Friedhof. Sie suchten Taboris Grab, fanden es aber nicht. Da sahen sie eine ältere Dame und baten sie auf Englisch um Hilfe. Die Dame fragte sie: „you are looking for George Tabori? where do you come from?“ Die Studentinnen erklärten, daß sie aus Israel kommen, und daß sie Taboris Werke zwar nicht kennen, aber seinen Namen, und daß sie wissen, wer er war. Und daß sie nun sein Grab besuchen wollen. Da sagte die Frau: „you can come with me – I´m his wife“.

Und so fanden sich die beiden Studentinnen mit Taboris Witwe vor seinem Grab wieder.

Die heldenhaften Österreicher April 13, 2013, 17:03

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überlegen, ob es für ihre Friedenstruppen in den Golanhöhen nicht zu riskant wird. Sie würden sie wohl gern abziehen.

„We have decided, as Austrians, to stay as long as we can, this is our mandate … (but) we have to decide every day if it’s possible,“ Foreign Minister Michael Spindelegger said.

„We will do so as long as is possible,“ he told Reuters after visiting Austria’s UN contingent on the Golan Heights, where he was briefed about the situation.

In the past three months, Japan and Croatia have both said they were withdrawing their troops from the United Nations Disengagement Observer Force (UNDOF).

Ein solcher Abzug ist natürlich ein deutliches Signal an Israels Feinde: keine Sorge. Wenn es heikel wird, lassen wir Israel allein, Versprechen hin, Versprechen her.

Inzwischen häufen sich die Zwischenfälle an der syrischen Grenze. Sehr ungemütlich für die armen Österreicher. Die Mehlspeisen sollen auch unter aller Kritik sein. Unzumutbare Zustände!

Unbeschreiblich müde April 10, 2013, 21:49

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Letzte Woche, in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, ging die Reise los – nachts um eins mit dem Zug zum Flughafen, irgendwann gegen Morgen der Flug, vormittags in Berlin…. und unser Programm war vollgestopft von Anfang bis Ende. In den ersten Tagen hielten wir die Studenten beisammen und in unserer Nähe, damit sie sich erstmal an Berlin gewöhnen, später dann ließen wir sie mehr und mehr von der Leine, aber sehr oft mit Aufgaben. Es gibt viele Geschichten zu erzählen – diese Exkursion war die bisher intensivste und auch anstrengendste, weil die Studenten jünger waren als bei den anderen Exkursionen und manche von ihnen noch nie außerhalb von Israel waren, noch nie eine Flugreise gemacht hatten und dementsprechend verwirrt und auch überfordert waren.

Die Tage fingen früh an, wir sind stundenlang gelaufen, die Verantwortung war schwer, und abends, wenn die Studenten durch die Berliner Nachtwelt zogen oder ins Bett fielen, saßen die Kolleegen und ich noch zusammen und feilten am Plan für den nächsten Tag. Übrigens waren wir ein ausgezeichnetes Team und obwohl wir nicht immer einer Meinung waren, waren die  Gespräche interessant und anregend. Unsere Gruppe war gemischt – Kunst, Geschichte, jüdische Philosophie, Literatur, Sonderpädagogik und Frühpädagogik. Alles zukünftige Lehrer. Von den Kollegen war einer Historiker, der andere Philosoph (jüdische Philosophie) und eben ich, Kunsthistorikerin. Den Studenten fiel es anfangs etwas schwer, den multidisziplinären Ansatz zu verstehen, mit dem manche überfordert waren. Die akademische Gewohnheit des Fach-Schubladen-Denkens ist ihnen so selbstverständlich, daß sie sich erstmal dran gewöhnen mußten, mit Wissen außerhalb ihres Fachs konfrontiert zu werden – was aber schon am zweiten Tag ganz einfach war.

Ich hatte nur zwei Stunden „Privatleben“ – mein Treffen mit Indica, und auch das mußte ich mir aus den Rippen schneiden. Gern hätte ich noch andere liebe Menschen gesehen, aber es war einfach kein Denken dran. Ich hab es nicht mal geschafft, sie anzurufen.

Sonntag ging der Tag für mich besonders früh los, weil zwei Studenten Geburtstag hatten und ich mich auf den Weg machte, um Kuchen für sie zu besorgen. Der ganze Tag war verplant, gegen Abend dann ging es zum Flughafen, wo ich eine Schrecksekunde hatte – mein verflixter Paß war nicht aufzufinden. Ganz ehrlich: ich dachte für ein paar Minuten, „jetzt bleibe ich einfach in Berlin und rufe Indica an und…“, aber dann fand ich ihn doch. Ein Nachtflug ist eine elende Sache, wenn man am anderen Tag nicht ausruhen kann. Ich konnte auch nicht schlafen, ich fliege ungern und wenn ich an die ganze Luft unter meinen Füßen denke, wird mir unbehaglich. (So geht es Y. auf dem Meer – er findet Wassermassen unter sich beklemmend, aber ich vertraue dem Wasser viel mehr als der Luft.) Aus dem Fenster konnte ich wunderschönes Wetterleuchten sehen, es muß über der Türkei gewesen sein, weit weg von uns.

Montag früh gegen drei landeten wir, gegen fünf waren wir mit dem Bus an der Hochschule, und es lohnte sich nicht für mich, nach Hause zu fahren. Y. erwartete mich und brachte mich mit einer Tasche, die er extra vorbereitet hatte, zum Haus seines Vaters (der nah an der Hochschule wohnt). Dort war ein Gästezimmer für mich vorbereitet – dankbarer bin ich nie in ein gemachtes Bett gefallen. Nach ein paar Stunden Schlaf und einem guten Frühstück war ich dann wieder im Dienst und hatte bis sieben Uhr abends volles Programm. Zu meiner Stunde kamen viele Studenten gar nicht, weil sie dachten, ich halte sie bestimmt nicht ab – aber eine der Studentinnen von der Berlin-Fahrt erschien.

Als ich gegen neun Uhr abends endlich zuhause war, war ich so müde, daß ich nicht mehr geradeaus gucken konnte. Den Dienstag habe ich verschlafen, und heute habe ich morgens unterrichtet, eine Besprechung abgesagt, und bin nach Hause gefahren, um weiter zu schlafen. Y. und Quarta meinen, so fertig haben sie mich noch nie erlebt. Die langen, intensiven Tage, die endlosen Fußmärsche durch die frische Luft (die ich genossen habe – ich fand das Wetter in Berlin perfekt, man muß sich nur warm genug anziehen), die Spannung der Verantwortung und ob auch alles reibungslos klappt – der unruhige Schlaf, immer in Angst, nicht rechtzeitig aufzuwachen, und in Sorge um die Lieben zuhause – das war alles ein bißchen viel.

Ich bin also noch nicht wieder in vollem Aktionsmodus. Morgen, hoffe ich, kann ich den Hebel umlegen und wieder summen und brummen. Dann kann ich vielleicht auch ein paar Geschichten erzählen. Und das nächste Mal fahre ich ganz privat nach Berlin, einfach nur so.

Im Norden, im Süden April 2, 2013, 20:39

Posted by Lila in Qassamticker (incl. Gradraketen).
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Aus dem Gazastreifen fliegen Mörser oder Qassams, so genau weiß man es noch nicht. Aus Syrien ebenfalls Mörsergranaten. Es war aber auch zu lange still, nicht wahr? Zehn Tage, oder wann war der letzte Beschuß? Ach nein, weniger. Aber in so kleinen Dosen, gegen die man nicht einschreiten kann, ohne daß die Weltgemeinschaft Gewalt schreit, dieselbe Weltgemeinschaft, die Tausenden toter Syrer nur ein bedauerndes Kopfschütteln nachschickt. Die langsame, schrittweise Erhöhung dieser Dosis der Gewalt gegen israelische Zivilisten haben wir schon mehrmals gesehen, und es ist praktisch unmöglich, den richtigen Zeitpunkt zu finden, um sie zu stoppen. Und auch dann ist es nur ein zeitweiliges Stoppen.

Der Tipp, der dann oft kommt, klingt in den Ohren der Beschossenen allerdings leicht irrsinnig: die besetzten Gebiete räumen, damit die Palästinenser zufriedener sind. Aber woher kommen denn die Mörsergranaten im Süden? Aus von Israel geräumten Gebieten. Oh ich wünschte, ich hätte den Optimismus noch, solche Tipps ernstzunehmen.

Die Wahrheit ist: wir können gar nicht viel machen. Wir können darauf setzen, daß die Hamas für Ruhe sorgt – wobei klar ist, daß die Hamas das nur tut, wenn es ihr paßt, und man nicht auf Dauer darauf bauen kann.

Wir waren in dem Film schon zu oft. Eigentlich hat Israel nie in einer anderen Realität gelebt. Mein Schwiegervater erzählte am Wochenende von dem endlosen Beschuß durch die Syrer von den Golanhöhen, wobei ein guter Freund von ihm schwer verletzt wurde. Bis heute lebt er mit der Behinderung. Mein Schwiegervater sagt, wer damals im Tal unterhalb der Golanhöhen lebte, war einfach eine Tontaube. Neunzehn Jahre lang.

Eine Besucherin aus Metulla hat ihre Kindheit unter den Katyushas verbracht.

Ich registriere die Anfänge, hoffe darauf, daß sie sich nicht weiter entwickeln. Wer länger hier mitliest, hat diesen Zyklus auch schon mitgemacht. Klein-klein fängt es an, weit unter der Aufmerksamkeitsschwelle der Weltöffentlichkeit.

Hoffen wir, daß es diesmal Einzelfälle sind, denen nichts nachfolgt, so wie bei dem Bus-Attentat in Tel Aviv im November, unberufen. Aber wie ungern fahre ich weg.

Kurze Nachrichten aus Israel April 2, 2013, 15:36

Posted by Lila in Presseschau, Qassamticker (incl. Gradraketen).
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In den Gefängnissen randalieren die palästinensischen Häftlinge – sie machen Israel für den Tod eines Gefangenen verantwortlich. Maisara Abu Hamdiyeh war (unter anderem) an der Planung des Attentats auf das Cafe Kafit in Jerusalem beteiligt, das 2004 beinahe zur Ausführung gekommen wäre. Er wurde zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt.

Im Februar wurde unheilbarer Speiseröhrenkrebs bei ihm diagnostiziert. Die bürokratische Prozedur seiner vorzeitigen Freilassung aus humanitären Gründen ging nicht schnell genug über die Bühne, und der Mann starb im Krankenhaus in Beer Sheva. Nun haben die palästinensischen Häftlinge einen neuen Märtyrer und wüten.

Palestinian Authority Minister of Prisoner Affairs Issa Qaraqe accused Israel of medical negligence and demanded an international investigation of Abu Hamdiyeh’s death.

Qaraqe described the death as a „heinous and dangerous crime that was deliberately committed as a result of medical negligence.

Aber ja, immer nur her mit dem internationalen Komittee, der Richter Goldstone ist doch nicht etwa schon in Ruhestand getreten?

Bestimmt erinnern sich noch Leser an die Qassam-Raketen, als Obama zu Besuch war? Eine der Raketen wurde nicht gefunden – bis heute früh. Als nach den Pessach-Ferien ein Kindergarten wieder geöffnet werden sollte, fand man die nur teilweise explodierte Rakete dort. Riesiges Glück gehabt. Nicht auszudenken….

Außerdem beschäftigt der arabische Paramedic, der hoffentlich der kleinen Adele Biton das Leben gerettet hat, die Medien weiter. Er wurde gestern bei der Mimouna-Feier im Ort der Bitons als Held gefeiert. Ich hoffe, daß die Kleine sich erholen kann.

Das sind drei Nachrichten, die vielleicht außerhalb von Israel nicht viel Widerhall finden, uns aber wichtig sind.

Knallharte Beweise April 1, 2013, 13:53

Posted by Lila in Persönliches.
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Wer noch nicht hier war an einem Sharav-Tag, der glaubt mir bestimmt nicht. Aber bitte, ich kann Beweise vorlegen.

 

Balkon Aussicht 2012 07 ??????????????????????

Der Blick vom Balkon in Richtung Nordosten – bei klarer Luft, bei Gewitter.

Balkon Aussicht klar 2012 12 OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Derselbe Blick – man erkennt, daß dort Berge liegen (auf denen die libanesische Grenze verläuft).

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

 

Und heute. Nein, es ist nicht nur die neue Blätterpracht meines treuen Ombus, der jeden Versuch meines Mannes, ihn vom Dach fernzuhalten, mit trotzigen neuen Zweiglein und Blättern beantwortet. Die Welt ist weg, ausradiert, in Staub gehüllt.

Meer Aussicht klar 2012 07 OLYMPUS DIGITAL CAMERA

 

Ebenfalls vom Balkon photographiert, aber in Richtung Nordwesten – in Richtung Meer. Das Meer reflektiert so stark, daß man es nur selten auf Bildern einfangen kann, aber man kann deutlich erkennen, daß auf dem Hügel gegenüber Goren liegt, nicht wahr? (Wo die Fabrik explodiert ist). Heute ist Goren weg, retuschiert, nicht mehr vorhanden.

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Noch nicht überzeugt? Das ist die Aussicht aus unserem Schlafzimmerfenster. An einem gewittrigen Tag, an einem klaren Tag. Auch in diese Richtung sehen wir Hügel oder was man hier Berge nennt.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

 

Aber nicht heute. Sie sind weg.

Ja, das sieht aus wie Nebel, aber es ist keiner. Es ist warmer, ekelhafter, staubiger Sand, den ich morgen von den Möbeln und Böden wischen kann, der sich auf die Fenster und Bücher und Kleider legt. Heute sitzt er in der Nase, den Augen und kitzelt. Dazu fegt ein aggressiver Wind, der mich nachts wachhält, und das Licht draußen ist braungelb, so daß normale Lampen lila wirken. Wir warten jetzt darauf, daß der Sharav „bricht“. Ich wünsche niemandem was Schlechtes, aber der Sharav kann meinetwegen auf Dauer brechen und nie mehr wiederkommen.

Unwiederbringlich April 1, 2013, 11:13

Posted by Lila in Presseschau.
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Eine uralte Synagoge in Damaskus ist zerstört, die Jobar-Synagoge. Die Existenz solcher Altertümer, 2000 Jahre alt, beweist, daß Juden im Nahen Osten heimisch waren, Hunderte von Jahren vor der Erfindung moderner Nationalstaaten. Daß ein Zeugnis dieser Geschichte jetzt dahin ist, tut mir weh, auch wenn ich diese Synagoge niemals hätte besuchen können. Die Altstadt von Aleppo ist auch so ein Verlust. Ich habe Angst, daß am Ende auch Dura Europos dran glauben muß – dabei war es immer mein Traum, da mal hinzufahren, Hauskirche, Synagoge und Mithräum anzusehen.

Auf iranischen und arabischen Seiten kreisen auch andere Interpretationen der Zerstörung – es waren natürlich verkleidete Zionisten, die ja überhaupt für die ganze Krise in Syrien zuständig sind. Ob jemand dieses Zeug glaubt?