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Keine Verletzten… Oktober 31, 2010, 11:51

Posted by Lila in Presseschau.
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… darum wird das keine großen Wellen machen. Wieder ein Attentat auf ein israelisches Auto in den besetzten Gebieten, in der Nähe von Bethlehem (nein, Primus ist nicht da, er ist in der Nähe von Beitar). Für die jüdischen Bewohner der besetzten Gebiete eine sehr unangenehme Situation. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann, chas-ve-chalila, wieder jemand zu Schaden kommt. Gegen Angriffe mit Schußwaffe kann man sich praktisch nicht schützen, das können spontane Akte sein, keine große Vorbereitung mit einem Netzwerk von Helfern wie bei Bomben, Sprenggürteln oder -fallen.

 

Mir tun die Menschen in Istanbul auch leid – so ein schreckliches Attentat. Wer tut sowas, wer verleiht seinen politischen Forderungen mit Mord Nachdruck? Einfach nur widerlich.

Einstaatenlösung Oktober 30, 2010, 21:08

Posted by Lila in Land und Leute.
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Wer will sie noch mal?

Die Betreiber des Palestine-Shop machen jedenfalls kein Geheimnis daraus, wie sie sich ihren Staat vorstellen (ich wüßte schon gern, wie die Yasser-T-Shirts sich so verkaufen…). Auch dieser schöne Wandbehang, in attraktiver Raketenform, zeigt in der Mitte ein islam-grünes Palästina, auf ewig ungeteilt.

 

Als ich meinem lieben Y. das Bild vom hübschen Anhänger zeigte und ihn fragte, was ihm das sagen will, grinste er und meinte: „all over the place…“ In der Tat.

Grenzerfahrungen, traumatisch Oktober 30, 2010, 17:57

Posted by Lila in Land und Leute, Uncategorized.
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Secundus war vorgestern für kurze Zeit zuhause, nur wenige Stunden. Da konnte er dann auch erzählen, was am Telefon nicht zu erzählen ist. Die furchtbaren Schreie der verletzten Sudanesen, die sich über die Grenze retten wollen und die von ägyptischen Soldaten (bzw deren Hilfstruppen, zumeist entlassenen Sträflingen) beschossen werden, nur wenige Meter von Israel entfernt. An der Grenze patrouillieren ständig Jeeps, die die Flüchtlinge aufnehmen und weiterleiten.

War es vielleicht dieser Vorfall, den Secundus mit angehört hat? Viel kann und will er nicht erzählen, aber die Grenze ist porös und unruhig, und die israelische Armee kann nichts tun, wenn auf der ägyptischen Seite Menschen erschossen oder festgenommen werden.

Das Schicksal der sudanesischen Flüchtlinge, die ausgerechnet im jüdischen Staat Zuflucht und Asyl suchen, ist der Welt anscheinend recht egal. Niemand möchte die Ägypter boykottieren, niemand protestiert, niemand hält Mahnwachen, organisiert sich. Es werden keine Anti-Ägypten-Wochen an Unis organisiert, und ägyptische Beiträge zu Filmfestivals und Buchmessen werden ohne Probleme akzeptiert. Niemand weigert sich, gegen ägyptische Sportler anzutreten, und niemand beschimpft Mubarak. Meine Güte, was sind schon ein paar tote Sudanesen?

Die israelische Regierung weiß nicht, was sie mit den Flüchtlingen anfangen soll. Sicherheitsrisiken bestehen – mit Leichtigkeit können sich Islamisten unter die Flüchtlinge mischen. Die Zahlen sind inzwischen so groß, daß sich die Flüchtlinge zu einem Problem auswachsen.

Die Flüchtlinge haben es keineswegs leicht in Israel.  Jedes demokratische und wohlhabende Land hat mit der Frage der Asylpolitik zu kämpfen, auch wir. Die Zahlen steigen anscheinend rapide an. Mitleid allein reicht nicht. Was soll und kann Israel tun, um diesen Menschen tatsächlich zu helfen?

Diese Flüchtlinge haben inzwischen sogar ihre eigene Facebook-Seite…

 

(Die UNO, die seit Jahrzehnten per UNRWA palästinensische Flüchtlinge alimentiert und ihren Flüchtlingsstatus damit zementiert, hat für andere Flüchtlinge, inklusive Sudanesen, ebenfalls ein Hilfswerk auf die Beine gestellt – ein Vergleich der beiden Organisationen schlagwortartig hier, ganz interessant auch die Gegenüberstellung hier.)

Grenzerfahrungen, positiv Oktober 26, 2010, 10:06

Posted by Lila in Kinder, Land und Leute.
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Gestern rief Secundus mich an, um mir zu erzählen, wo er ist und was er dort tut. Die Teilnehmer des Sani-Kurses machen zwischendurch immer wieder wochenweise Dienst in Orten, die besonderen Schutz brauchen – in Israel sind das viele. Secundus ist also im Moment in einem winzigen Moshav an der Grenze zum Sinai – die Grenze zu Ägypten ist da relativ undicht, und Drogenschmuggel, Waffenschmuggel, Eindringen von Bewaffneten aller Art, aber auch von Flüchtlingen aus dem Sudan sind dort Alltag. Während die ägyptischen Grenzsoldaten auf die Sudanesen schießen, haben Secundus und seine Kollegen strikte Anweisung, die Flüchtlinge gut zu behandeln, aufzunehmen und sofort die dafür Verantwortlichen anzurufen, die sich um die Flüchtlinge kümmern. Wir im Norden wissen zwar, daß ein stetiger Strom von Flüchtlingen Ägypten durchquert, um sich in den Staat der Juden zu retten, aber wir haben damit normalerweise keine Berührung. Secundus sieht jetzt aus nächster Nähe, wie elend diese Flüchtlinge sind und wie viele von ihnen es nach Israel schaffen.

Er bewacht nicht nur die Grenze und den Moshav, sondern auch eine ganze Ansammlung von Kindergärten und Schulen, in die die Kinder aus der ganzen Umgebung kommen. Das macht ihm besonderen Spaß. Die Kinder sagen den Soldaten guten Morgen, und Secundus dreht den ganzen Tag seine Runde um den ganzen Bereich mit Kinderhäusern und Klassen. Er guckt den Kindern zu, wenn sie draußen spielen, und vergleicht mit seinen Erinnerungen an Kindheit und Kindergarten. Und er sieht, wie die Menschen in diesem Grenzgebiet wesentlich wachsamer sind als wir hier oben an unserer verpennten Grenze. Aus Ägypten kommen dauernd Eindringlinge, und alle sind eigentich jederzeit bereit, die Anweisungen zu befolgen, die für den Fall eines terroristischen Überfalls gelten. Die meisten verhinderten Zwischenfälle, wie wir alle wissen, werden nie medial berichtet.

Secundus hat auch Spaß mit den vielen Arbeitern aus Thailand, die dort tagsüber in den vielen Gewächshäusern arbeiten und mit denen man abends Fußball spielen kann. Er sagt, sie sind sehr nett und überhaupt macht der kleine Moshav einen sehr freundlichen Eindruck. Oh, und sie kriegen tolles Essen, schwärmt er, lauter leckere Sachen und viele Süßigkeiten. Auch Araber arbeiten in dem Moshav, und sie sind manchmal genervt, wenn sie von einer Ladung neuer Soldaten kontrolliert werden, obwohl sie schon seit Jahren dort arbeiten. Secundus sagt, die Soldaten kriegen von den dauernd dort stationierten älteren Kollegen genaue Anweisungen, wie sie sich zu verhalten haben.

Ich weiß noch, als Primus diese Art Wachdienste in der Nähe von Ariel gemacht hat, in einer kleinen Siedlung. Da hat er Siedler beschützt. Secundus beschützt nun Menschen, die keine Siedler sind (in den Augen vieler Feinde Israels natürlich gibt es keinen Unterschied, für die bin ich auch Siedlerin – wenn man davon ausgeht, daß der Staat Israel ohnehin illegal ist…).

 

Überall, wo Israelis allzu nah an der Grenze wohnen und sich Angreifer aller Art wunde Punkte suchen, leben Menschen in alltäglicher Gefahr und passen sich ihr an. Sie bringen die Kinder in von Soldaten bewachte Kindergärten, das ist Alltag. Schon seltsam, wie normal das alles ist. Keiner findet was dabei, wir eigentlich auch nicht. Die ganze Welt lebt prima damit, daß es jede Menge Menschen gibt, die in jedem Israeli ein legitimes Angriffsziel sehen, und daß Israelis dauernd in der Defensive leben müssen. Oder daß der Staat Israel nach Kräften diese Angreifer beschwichtigen und ihnen entgegenkommen muß.

Secundus hat jedenfalls, wie auch Primus, das Gefühl, daß er etwas Sinnvolles tut, weil er Zivilisten schützt, und zwar vor konkreten Gefahren. Nächste Woche geht es zurück nach Tsrifin, zu Pharmakologieunterricht und Kanülen und Verbandwickeln und dem Leben mitten in Israel.  Ich bin froh, daß Secundus da unten so zufrieden ist. Er sagt, der Negev ist sehr schön und interessant und er würde gern dort leben.

Stilleben Oktober 22, 2010, 23:00

Posted by Lila in Kinder, Uncategorized.
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So sah es heute früh in Primus´ Zimmer aus. Ein Buch von Stieg Larsson, eines von Murakami, Rei in der Tube, Stiefel, Crocs, Gewehr, Shampoo Kef. Damit fährt er übermorgen wieder zurück zur Armee.

Im Museum Oktober 22, 2010, 22:25

Posted by Lila in Kunst, Uncategorized.
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Unser Hochzeitstag begann am frühen Morgen – ich öffnete wie jeden Tag Fenster und Rolläden, und die ekelhafte Hitze und der Sand waren so übel, daß ich mir dachte: das muß ich mal all denen zeigen, die denken, fast das ganze Jahr lang heiß und sonnig, das ist toll. Bitte sehr. So sieht es am frühen Morgen aus, wenn im Osten die Sonnenstrahlen kaum durch den Staub dringen, und im Westen unsere ganze Aussicht verschwunden ist.

Im Laufe des Tages wurde es so heiß, daß die Klimaanlage im Auto nicht mehr damit fertigwurde. Draußen ging es auf 42 Grad hoch, und das in den Jerusalemer Bergen! Wir tranken Mengen von Wasser und ich war froh, daß ich meine Dose mit Prickly Heat dabei hatte. Das ist wirklich ein Wundermittel bei Hitze, es erfrischt wirklich, zumindest für einige Zeit.

Tatsächlich, das renovierte Museum ist eine Reise nach Jerusalem wert. Wir waren einen halben Tag lang beschäftigt und hätten noch lange weiterstöbern können. Es ist eine ziemlich verwegene Reise durch diverse Zeiten und Gebiete.

Was hat mir gefallen? Wir sind ziemlich chronologisch vorgegangen. Griechische Vasen und römische Skulpturen gefallen mir immer, Y. zieht es mehr zu den Ägyptern. Die Aphrodite aus Bet Shean, ein eleganter Sarg für eine elegante Katze. Ich fand den Saal sehr gelungen, in dem frühe Kirche und Synagoge zu sehen waren, besonders die Mosaikböden waren so schön. Am schönsten der aus Kissufim.

Erstaunlich, wie einheitlich die Kunst im römischen Reich war – auf den ersten Blick. Dann fallen einem östliche Einflüsse auf, und ich habe mir hinterher sofort notiert, womit ich die Sachen vergleichen will, die ich gesehen habe. Die Tiere – sehen die nicht aus wie in San Clemente…?  Gut, daß ich mir den Katalog gekauft habe! Ich hätte am liebsten alle Bücher aufgekauft.  Oh, der Raum mit dem Glas war so interessant, Glas ist ein wunderbares Material.

Die ganze klassische Abteilung hat mir also gut gefallen, ebenso die islamische. Wunderschöne Miniaturen aus dem Buch Shachname – Keramik mit kufischen Inschriften –  ein herrlicher Michrab aus Isfahan – alles klar präsentiert, und mit genügend Luft und Platz drumherum.  Das alles ist in der archäologischen Abteilung. Erstaunlich viele Funde aus Israel – egal wo man hier die Schüpp ansetzt, man findet etwas.

Einfach phantastisch ist die gesamte jüdische Abteilung, kein Wunder. Das absolute Highlight des Besuchs war für mich, vollkommen unerwartet, der runde, dunkle Raum mit den Handschriften. Ich liebe mittelalterliche illuminierte Manuskripte und plane seit Jahren, ein Proseminar zum Thema anzubieten – leider hält niemand außer mir das für eine gute Idee.  Aber daß sie mich so umhauen würden, das hätte ich nicht erwartet.

Mir sind tatsächlich vor lauter Ergriffenheit die Tränen gekommen, so wunderbar haben mich diese Manuskripte berührt. Ich sah die Schreiber und Maler vor mir, wie sie in hingebungsvoller Arbeit über Jahre hinweg auf ihren unbequemen Bänken sitzen, ihre Augen überanstrengen, in unendlicher Disziplin jedes Häkchen und Pünktchen richtig setzen, um das heilige Wort nur ja richtig zu überliefern – und das alles auf den Häuten von ganzen Kuh- oder Schafherden. Der Mensch ist schon ein seltsames Wesen – zu der gemeinsten Bosheit und Brutalität fähig, gleichzeitig aber auch bereit, Leben und Gesundheit für einen heiligen Text dranzugeben. Die Schönheit dieser Bücher strahlte geradezu aus den Vitrinen und traf mich mitten in mein armes Herz. Selbst Y., der aller religiös inspirierten Kunst mit mildem Desinteresse gegenübersteht, mußte zugeben, daß diese Bücher gut gemacht sind.

Ja, dann die Abteilung mit den Kleidern, dem Schmuck. Die Synagogen – da war noch einiges an Arbeit im Gange, Arbeiter standen auf Leitern und klebten Buchstaben auf die Türen über den Synagogen.  Da wäre eine Führung wohl interessant.

Ein besonders eindrucksvoller Raum enthielt nicht nur traditionelle jüdische Kunst zu Festen und Jahreskreis, sondern auch zwei moderne Video-Arbeiten. Sie waren sehr gut präsentiert, in einer Art H, also zwei offene Buchten, die man betreten kann. Beide Videos werden auf dieselbe Wand projiziert, nur eben jeweils von der anderen Seite.

Auf der einen Seite des H sieht man eine Arbeit von Doron Salomons zum Thema Unabhängigkeitstag – schnell und immer schneller geschnitten Bilder von der Staatsgründung, Paraden, wilden Festen, Horatänzern, grillenden und feiernden Menschenmengen, alles, was zu diesem Tag in Israel gehört. Gegen Ende wird einem richtig schwindlig und man möchte rufen: aufhören mit der Feierei!

Auf der anderen Seite eine Arbeit von Yael Bartana, die ich in meinem Kurs über Kunst und Holocaust zeige – sie war auch in Berlin zu sehen bei der großen Ausstellung vor zwei Jahren im Gropiusbau. Trembling time.  Sie spielt mit der Minute, die es dauert, wenn am Gedenktag (für den Holocaust, für die Gefallenen) die Sirene heult. Sie filmt eine belebte Straße von oben, in einem Tunnel, die herankommenden Autos halten langsam an, die Türen öffnen sich, die Menschen steigen aus, hören der Sirene zu, steigen wieder ein, das Leben geht weiter. Eigentlich erstaunlich, daß die Israelis, die sich sonst gar nicht gern was vorgeben oder sagen lassen, und denen Geschwindigkeit so wichtig ist, diese Minute einfach ehren.  Sechs Minuten dauert Trembling time, auf den ersten Blick ereignet sich gar nichts, aber Bartana hat dieses Innehalten sehr genau eingefangen. Die Lichter der Autos, die Schatten.

Überhaupt ist die Abteilung für israelische Kunst geradezu überwältigend gut. Von den Klassikern wie Reuven Rubin und Nachum Gutmann über die Abstrakten („Streichmatzky“), von denen mir Arie Aroch der Liebste ist (ansonsten, verratet es meinen alten Lehrern nicht, kann ich mit den Hohepriestern der „Neuen Horizonte“ nicht viel anfangen), Raffi Lavie, Ori Reisman, und die jungen Genies – der sanfte Gal Weinstein mit seinem Nahalal-Teppich, Yehudit Sasportas, Sigalit Landaus Installation mit den Melonen im Toten Meer (von der nur der Video übrig ist – auf den Boden projiziert)…

Ich habe ja durch meine jahrelange Tätigkeit an einem Brennpunkt israelischer Kunst und auch mein Studium wirklich viel Berührung mit israelischer Kunst. Einige meiner Lehrer waren wirkliche Größen, Michael Sgan Cohen, Yehezkel Yardeni, Dani Zak, Dalia Meiri, Ami Levy, der Photograph Gilad Ophir. Ich habe bei Galeriebesuchen und Ausstellungseröffnungen auch noch Leah Nikel gehört und gesehen, später Philipp Rantzer, Deganit Brest, Yehudit Sasportas, Smadar Eliasaf, Tumarkin, Tsibi Geva, Ezra Orion (von dem ich weniger begeistert war, ehrlich gesagt), neulich Tamar Getter… und habe mich immer wieder mit israelischer Kunst auseinandergesetzt. Es ist wirklich ein Privileg, beruflich mit Kunst zu tun zu haben und jeden Galeriebesuch als Arbeit zu deklarieren.

Während ich von Arbeit zu Arbeit ging, feuerten meine Synapsen wie wild, leider wortlos, aber irgendwann wird hoffentlich aus den vielen Assoziationen auch mal Konkretes rauskommen. Israelische Kunst stellt sich quer, verweigert sich, fordert heraus, ist immer umstritten. Sie bezieht Kraft aus dem Zionismus, untergräbt ihn, stellt ihn in Frage, schlägt sich mit der Frage herum: was ist das Land? was der Staat? was tun wir? was sollten wir tun? warum tun wir, was wir tun? Adam, adama, Mensch, Erde. Aber auch jüdische Identität, Text, Symbole, Gitter, Verletzungen und Narben – alles taucht in den Arbeiten auf.

Ich war ja neulich in der ausgezeichneten Ausstellung über Sammeln und Sammlungen in Haifa, und in meinem Kopf traten die Motten von Carlos Amorales (Black Cloud) mit Hirsts Schmetterlingen zusammen… diese Räume mit den schwarzen Motten waren in Jerusalem in der Ausstellung Still Moving. Auch die Ausstellung über Fenster war gut. Ich habe das Thema mal unterrichtet, allerdings mehr von Alberti über C.D. Friedrich bis Matisse, da waren mir die zeitgenössischen Arbeiten in Jerusalem sehr willkommen.

Die Alten Meister, die ich immer so gern sehe, sind in Jerusalem eher spärlich vertreten, und wenn, dann meist Bilder mit jüdischen Motiven bzw Motiven aus der Hebräischen Bibel. Poussins reichlich bombastische Zerstörung Jerusalems ist ein Beispiel (interessant: ich vergleiche im Unterricht gern die Darstellungen von Kaulbach und Roberts – nächstes Mal nehme ich vielleicht den Poussin noch dazu) . Eine Ausnahme bildet Rembrandts Petrus im Gefängnis, mir das liebste Bild in der Abteilung, auch wenn er kleinteiliger gemalt ist als mir sonst bei Rembrandt lieb – aber wie er so verloren im Licht sitzt und neben ihm die Schlüssel so beinahe aufdringlich glänzen, das hat mich berührt.  Außerdem natürlich eine kleine Ruysdaelsche Landschaft, die mich freundlich grüßte.

Auch die Abteilung Klassische Moderne ist kein wirklicher Schwerpunkt. Als Sammlung einer Familie höchst eindrucksvoll, aber als Abteilung in einem Museum hält das kleine Hecht-Museum in Haifa damit glatt mit. Ein paar allzu pastellig-grelle Pointillisten, eine Nymphee-Version, die etwas hingehuscht aussieht (sorry aber ich habe schon bessere Monets gesehen), ein wunderschöner, knalliger Derain, mehrere Delaunays, auch von Sonia Delaunay, und für mich automatisch der Blickfang: Cezanne. Es mag daran liegen, daß ich mit einer Reproduktion von Cezannes Mühle im Wohnzimmer meiner Eltern aufgewachsen bin – auch eine Feininger-Reproduktion hing damals bei uns, und auch der kleine, aber leuchtende Feininger gestern gefiel mir. Aber insgesamt, so lieb mir das 19. und 20. Jahrhundert sind, ist die Sammlung in Jerusalem dünner als die in Tel Aviv oder meinetwegen auch Wuppertal. Wo war ich neulich noch in einer sehr guten Sammlung? Es wird mir einfallen, es muß mir einfallen…

Ich habe in Jerusalem gute Ausstellungen gesehen, zu Pont Aven und dann die Sammlung Merzbacher, wo ich zweimal drin war – aber die Sammlung im Haus ist nicht genug.

Ein weiteres Highlight für mich war der von Yinka Shonibare gestaltete Raum zu den vier Elementen, die ja ein Lieblingsthema von mir sind. Als ich Shonibares Arbeit von weitem sah, erkannte ich ihn sofort: er hatte in Berlin, in der Friedrichswerderschen Kirche, einige meiner Studenten in große Verwirrung gestürzt mit seinen kopflosen Figuren in grellen Stoffen.  Shonibare hat in einem großen Saal vier Bereiche geschaffen, jeder davon ist einem Element gewidmet. Er aus den Sammlungen und Magazinen des Museums herausgegriffen und arrangiert, was ihm passend schien, und die Assoziationen stellen sich ein, während man die einzelnen Werke ansieht und dann die ganze Plattform des jeweiligen Elements.

Das gefiel auch Y., denn diese Installation regt zum Denken an und hat auch einen gewissen Humor. Wir sind lange in diesem Saal herumgegangen und haben uns zugemurmelt, was wir sehen und verstehen. Es ist doch schön, wenn man sich so gut kennt und ein Brumm und Knurr schon reicht, damit man gemeinsam lächeln oder den Kopf wiegen kann. Y. ist überhaupt immer witzig, besonders vor Kunstwerken, die ihm nicht gefallen und bei denen er gern zynisch wird.

Die Photographien-Sammlung ist wunderbar, dafür allein lohnt sich die Reise. Dann ganz oben eine Sammlung von Graphiken – darunter Zeichnungen und Skizzen von Werken, die unten vollendet hängen. Und Klees Angelus Novus. Er wurde vom Ehepaar Scholem gestiftet – ich wr eine Zeitlang im Nebenhaus in der Abarbanel street in Rehavia zu Gast und habe die alte Frau Scholem noch gesehen. Scholems hatten den Angelus Novus natürlich von Walter Benjamin, und jeder kennt wohl den Engel der Geschichte, der vom Wind aus dem Paradies geblasen wird… und es war ein wundersamer Moment, als ich ihm so von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand.

Ja, es war ein langer Tag, aber wir sind durch alle Abteilungen getrappt, durch manche schneller, durch manche langsamer. Zwischendurch haben wir gerastet, haben was gegessen und getrunken, immer auf der Hut vor dem visual overload, wenn man gar nichts mehr sieht. So lang wie der Tag war, ist auch dieser Eintrag geworden…. dann waren die Straßen verstopft, weil der Rabin-Gedenktag auf dem Herzl-Berg begangen wurde, und der Heimweg dauerte ewig.

Als wir nach Hause kamen, hatten die Mädchen unser Schlaf- und Badezimmer schön geschmückt, mit gemalten Glückwünschen. Das war wirklich lieb. Ich weiß nicht, was andere Leute an ihrem Hochzeitstag so tun, aber für mich war das tatsächlich ein idealer Tag. Danke an meinen lieben Mann, der zwar auch gern Kunst sieht, dem es aber zwei Stunden bestimmt auch getan hätten. Nächstes Jahr werde ich vielleicht mal gucken, ob es irgendwo eine Ausstellung von Maschinen gibt… wo ich dann beweisen kann, daß ich schon so viel von industriellen Rührwerken verstehe wie Y. von Installationen und Druckgraphik.

(Ich kann im Moment keine Bilder hier bei WordPress reinstellen, drum die vielen Links…)

Schöner Tag, ekelhafter Tag Oktober 20, 2010, 7:09

Posted by Lila in Persönliches, Uncategorized.
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Draußen ist es glühend heiß, sandig und windig. Als ich wie jeden Morgen um halb sechs Rolläden und Fenster öffnen ging, prallte ich entsetzt zurück. Ein heftiger, heißer Windstoß voll Sand – draußen keine Sicht – und die dumpfe Erinnerung an die Wettervorhersage: Sharav bis Ende der Woche, ach du liebe Güte. Ich hasse Sharav. Die Wäsche trocknet so schnell, daß sie bretthart wird. Auf allen Möbeln und Büchern liegt der Staub fingerdick. Die Augen brennen, die Lippen springen auf, die Haut im Gesicht rötet sich, und egal wie viel man trinkt, man ist den ganzen Tag brennend durstig. Ein absolut ekelhafter Tag steht uns bevor.

Heute ist unser 21. Hochzeitstag. Tatsächlich, 21 Jahre hält mein armer Y. es mit mir aus, der diplomierten drama queen. Er behauptet, er leidet nicht mal. Er bereut auch nichts. Zur Feier des Tages hat er sich frei genommen, und wir fahren nach Jerusalem, das renovierte Museum angucken. Nur wir zwei. Ein richtig schöner Tag liegt vor mir.

Ein Deal? Oktober 20, 2010, 6:57

Posted by Lila in Presseschau.
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Schon vor fast einem Jahr lag es in der Luft: wir lassen Marwan Barghouti frei, die Hamas Gilad Shalit. Das Problemchen dabei: die Hamas stellt sich Barghouti als Kirsche auf dem Sahnehäubchen auf der massiven Torte vor. Tausende von Gefangengen, Dutzende von ihnen Terroristen der übelsten Sorte, und Marwan Barghouti obendrein.  Daß Carter uns diese Verbrecherbande als Friedensspartner ans Herz legt, sagt viel über ihn aus.  Er kann anscheinend nicht lesen und hören, denn die Hamas schreibt und sagt klipp und klar, daß sie nicht an Verhandlungen oder Frieden mit Israel interessiert sind, sondern an der Vernichtung Israels.

 

Ich hoffe, der deutsche Unterhändler hat gute Nerven. Ich weiß nicht, was wir verkraften können – Shalit aufgeben oder ihn gegen eine solche Menge tatendurstiger Verbrecher auszutauschen. Beides riecht nach Defaitismus. Beides werden wir bereuen. Ich weiß wirklich keinen Ausweg.

Hochzeit Oktober 19, 2010, 14:37

Posted by Lila in Land und Leute, Uncategorized.
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Die jüngere Generation in Y.s Familie ist fast samt und sonders unter der Haube. Gestern abend heiratete eine besonders liebe Cousine aus dem Familienzweig des verlorenen Vaters meiner Schwiegermutter – der Zweig, den meine Schwiegermutter erst als erwachsene Frau wiederfand. Da wir alle uns erst im Juli beim Familientreffen gesehen hatten und seitdem per Email in Verbindung sind, außerdem unser gemeinsames Projekt „Familienstammbaum“ eifrig weitertreiben und jeder von uns in verschiedene Richtungen weiterbohrt, hatten wir Gesprächsstoff genug.

Ich kann wirklich nicht dankbar genug dafür sein, wie liebevoll mich Y.s Familie in all ihren Zweigen aufgenommen hat – die Familie meines Schwiegervaters, die wir sehr oft sehen, die mütterliche Seite meiner Schwiegermutter und auch die väterliche. Mit allen ist der Kontakt sehr herzlich, alle freuen sich wirklich, uns zu sehen. Ich habe das Glück, daß kein einziges Familienereignis für mich eine Prüfung oder Strafe ist oder etwas, das man nun mal hinter sich zu bringen hat, weder hier noch in Deutschland. Es gibt auch keine Familienkräche oder Dilemmas nach dem Motto „die oder ich“. Alles ganz friedfertige Menschen, was für ein Glück.

Wir hatten alle zusammen einen großen Tisch, und es war sehr gemütlich und auch interessant. Die älteste Verwandte, Tante Ruthi, erzählte mir sehr aufgeregt, daß sie Ende der Woche nach Deutschland fliegt, mit ihrer Enkelin. Ja, in ihre Heimatstadt Schwetzingen. Dort werden fünf Stolpersteine zum Andenken an ihre Familie enthüllt, vor dem Haus, in dem sie geboren ist, aus dem sie abgeholt wurde mit ihrer gesamten Familie. Nur sie hat überlebt. Sie hat mir auch zum ersten Mal erzählt, wie schwer es für sie und ihren Mann (ebenfalls Überlebender) mit dem ersten Kind war. Ihr ältester Sohn, der neben ihr saß und sich wie immer rührend um sie kümmerte, war für sie zuerst mehr eine Last, aber er war auch ihr Weg zurück ins Leben.

So saßen wir im Trubel und sprachen über traurige Dinge, da tauchte auf einmal eine junge Frau auf und näherte sich strahlend und aufgeregt der Tante. Sie stellte sich höflich vor – sie war eine frühere Schülerin des längst verstorbenen Mannes der Tante, Shmuel Gogol. Er hatte ja sein Überleben in Auschwitz hauptsächlich seinem Können auf der Mundharmonika zu verdanken und gründete nach dem Krieg in Ramat Gan sein Mundharmonika-Orchester, das ihn bekannt gemacht hat. Bei seiner Beerdigung, sagte Y., standen die Mundharmonika-Kinder lange am Grab und weinten um ihn. Diese junge Frau war eines von ihnen gewesen und die Tante erinnerte sich an sie.

Sie setzte sich zu uns und beide ergingen sich in Erinnerungen an den verstorbenen Mann. Die junge Frau geht jedes Jahr zum Holocaust-Gedenktag in ihre alte Schule, wo sie den Schülern von Gogol erzählt.  Sie sagt, sie spielt immer noch auf ihrer Mundharmonika, aber nicht mehr öffentlich, außer am Holocaust-Gedenktag. Und es war für sie eine große Freude und Aufregung, als sie hörte, daß die Braut, mit der sie befreundet ist, eine Verwandte von Gogols ist. Als sie das hörte, nahm sie sich vor, die Witwe anzusprechen. Die Witwe freute sich natürlich auch, daß ihr Mann nicht vergessen ist.

Ja, es war ein schöner Abend. Meine beiden Mädchen und ich trugen wie auf Verabredung schicke schwarze Kleider, ich zog nach langer Zeit auf halbhohen Absätzen mal wieder richtig hohe Schuhe an – und wurde prompt mit einem Bohlenfußboden belohnt, in dessen Zwischenräume meine Absätze genau reinpaßten. Ich hatte ganz vergessen, daß hohe Absätze eine besondere Form der Aufmerksamkeit erfodern. Immerhin, es war warm genug, daß wir alle in diesem Festgarten (in Israel heiratet man entweder in Festhallen oder Festgärten) in Sommerkleidern saßen und es auch um Mitternacht noch warm war, viel zu warm für meinen Geschmack. Aber der Festgarten war freundlich, ein altes Anwesen mit alten Bäumen, kein synthetisches Pseudo-Hollywood (was ich nicht ausstehen kann….), und die Stimmung war gut.

Der Bräutigam kommt aus einer marokkanischen Familie, die in einem Moshav mit überwiegend marokkanischen Israelis lebt – es gab also viel marokkanische Musik, zu der viele Leute tanzten. Ich saß am Polen-und-Jeckes-Tisch, der höflich zuguckte. Y. und die Mädchen gingen tanzen, ich verzichtete absatzhalber.  Wir kamen erst spät nach Hause.

Ich werde mal die Zeitungen abgrasen, ob ich was finde über die Zeremonie in Schwetzingen. Falls ich durch Zufall dort Leser habe, die hingehen – das wäre natürlich toll.  Ich habe nach meiner Berlin-Reise erfahren, daß es Deutsche gibt, die diese Stolpersteine als Ohrfeige und Demütigung empfinden, als Sich-Suhlen in der Täterrolle.  Oder als Alibi, als ein Sich-Freikaufen. Ich kann sogar nachvollziehen, wie man mißtrauisch werden kann solchen Gesten oder Symbolen gegenüber. Ich persönlich finde aber, wenn eine Frau wie die Tante leise sagt, „das machen die Deutschen gut, daß sie die Erinnerung wachhalten…“, dann ist das Projekt mehr als gerechtfertigt.

Vorgestern, gestern, heute Oktober 18, 2010, 11:21

Posted by Lila in Persönliches, Uncategorized.
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Vorgestern, am Shabat, hatte ich mal alle Viere zuhause, ach war das schön. Irgendwie hatten die Jungens Kanülen mitgehen lassen (nicht verraten), damit Secundus das Anlegen eines venösen Zugangs üben konnte. Primus hat es ihm sehr gut erklärt. Secundus, der sonst keine Bewunderung für Familienmitglieder außer Kater Luzifer äußert,  meinte anerkennend, Primus erklärt besser als seine Ausbilder. Und tatsächlich hat er daraufhin Primus und mir tadellos die Venen in der Ellenbogenbeuge geöffnet, mit sicherer Hand und ohne langes Suchen. Man sieht den Einstich nicht mal.  Da war er sehr stolz. Ich bin erstaunt, wie sicher Primus inzwischen ist und wie viel er weiß – Secundus kann tatsächlich viel von ihm lernen.  Nächstes Mal lasse ich ihn auch am Handrücken versuchen.

Auf Wunsch der Söhne sind wir dann alle zusammen Bowling spielen gegangen, wie früher, als sie noch jünger waren. Wir haben im Kirion eine Bowlingbahn entdeckt – gar nicht weit weg. Es hat Spaß gemacht, und tatsächlich habe ich mich gut geschlagen, eine Runde gewonnen und zwei Runden als Zweite beendet. Tja, der dümmste Buur hat die dicksten Zuckerrüben.

Hinterher waren wir in einem unserer Stamm-Restaurants in Nahariya essen. Das war auch sehr nett. Doch Secundus mußte noch am selben Abend die Bahn nehmen und zurückfahren, er hatte nur bis zum Abend des Shabat frei. Diese Woche macht er weiter im Sani-Kurs, die Woche drauf haben sie Training an der Grenze zum Gazastreifen. Es ist ja bescheuert, aber ich mache mir einfach Sorgen, die Hamas ist immer auf der Suche nach einer Gelegenheit zu einem weiteren Kidnapping, und je ruhiger und routinemäßiger alles abläuft, desto gefährlicher. Es ist mir fast peinlich, zuzugeben, daß ich mir Sorgen mache, denn die ganze Zeit sind da unten ja Soldaten im Einsatz, und ich denke mir nur: och, wird schon nichts passieren. Sobald es mein eigener ist, steigt der Sorgenpegel. Ach, wie egoistisch von mir, wie schäbig.

Gestern früh mußte auch Primus wieder in den regulären Dienst, sein Kurs in Givat Haviva, den er sehr genossen hat, ist vorbei. Jetzt ist er wieder in der verschlafenen Basis in den Golanhöhen, bald dann wieder in den besetzten Gebieten, in der Nähe von Hebron. Tfu tfu tfu. Zwischen Siedlern und Palästinensern können die Soldaten es niemandem Recht machen. Primus leistet oft Sani-Dienste an den Checkpoints. Das macht er ganz gern. Der Junge übernimmt gern Verantwortung.

Gestern hat das Semester wieder angefangen, ich war optimal vorbereitet und es lief alles glatt.

Rosh haShana haben wir hinter uns, den 1.1.11 noch vor uns, aber zwischen diese beiden Neuanfänge schiebt sich jedes Jahr der Beginn des akademischen Jahrs.  Der Berg Arbeit, den ich in den Semesterferien abtragen mußte, liegt hinter mir und sieht im Nachhinein nicht sooo schlimm aus, alle Stunden sind vorbereitet, alle Materialien liegen bereit, die Webseiten für die Kurse sind gut gefüllt.

Ich fühle mich wieder wie im vierten Schuljahr, wenn zu Schuljahrsbeginn ordentliche Taschen und Kladden einen Wohlgeruch der Heiligkeit und guten Vorsätze verbreiteten. Ich war als Kind leider nie so ordentlich wie Birgit oder Gabi, bei denen Ordnung und Adrettheit das ganze Schuljahr durch anhielten, sondern geriet immer irgendwie ins Hintertreffen. Keine unserer tüchtigen Lehrerinnen hat damals daran gedacht, uns auch Techniken des ordentlichen Arbeitens beizubringen, wie das hier selbstverständlich ist und bestimmt auch heute in Deutschland. Quartas neue Klassenlehrerin jedenfalls achtet sehr darauf, daß die Kinder ihre Lernmaterialien nach einem einfachen, aber logischen System abheften und kennzeichnen, so daß sie alles leicht wiederfinden.

Ich habe das erst in der Oberstufe gelernt, dafür gründlich. Und es bewährt sich. Ein ordentlicher Semesterbeginn bedeutet hoffentlich einen ordentlichen Verlauf und Abschluß.

Einer der Studenten übrigens brachte mich in Verwirrung. Als ich die Anwesenheitsliste durchging, stieß ich auf einmal auf einen bekannten Namen. Ich sah ihn an aber erkannte ihn nicht sofort – er ist so groß geworden und hat lange Haare. Er grinste aber und sagte, „ja, ich bin´s“. Ein Junge aus dem Kibbuz! Der große Bruder von Secundus´ bestem Freund! Der Sohn der besten Kindergärtnerin, die wir je hatten, die alle meine Kinder im Alter von 2 bis 4 Jahren betreut hat! Da hab ich mich sehr gefreut und die Freude warf mich für einen Moment aus dem professionellen Modus.

In der Pause kam dann eine Studentin und richtete mir Grüße von ihrer Mutter aus, einer früheren Kollegin aus einem Nachbarkibbuz. Auch das war eine schöne Überraschung, denn ich erinnere mich noch gut, wie diese Studentin als junges Mädchen mit einem Gehirntumor kämpfte, wie sie elend und abgeschlagen mit rasiertem, narbenbedecktem Kopf am Arbeitsplatz ihrer Mutter dabeisaß. (Das war mein vielleicht liebster Arbeitsplatz, die Tagesstätte für alte Menschen mit sehr gutem Kursangebot – ich habe dort jahrelang Kunstgeschichte unterrichtet und hatte nie ein besseres Publikum).  Was für eine Freude, dieses Mädchen nun strahlend schön und gesund als Studentin zu sehen!

Und heute ist der 18. Oktober. Genau vor einem Jahr waren meine Mutter und mein Bruder hier zu Besuch, und wir fuhren alle zusammen in Richtung Norden. Y. und ich hatten uns schon lange mit dem Gedanken getragen, den Kibbuz zu verlassen, der sich ja so verändert hat und der eigentlich alles verloren bzw von sich geworfen hat, was uns das Leben dort so schön machte. Y. wollte schon lange weg, mir fiel der Gedanke viel schwerer. Aber bei der Fahrt in den Norden und beim gemeinsamen Prüfen unserer Optionen fiel in mir die Entscheidung, und auch die Kinder sahen auf einmal viele Vorteile.  Besonders Nahariya als nächste größere Stadt gefiel uns allen sofort.

Auf einmal schien alles ganz einfach. Noch am selben Abend rief ich den Sekretär des Kibbuz an, einen persönlichen Freund, und wir begannen den Prozeß des Kibbuz-Verlassens, der immer noch nicht gänzlich abgeschlossen ist. Wir suchten ein Haus und fanden das, in dem wir jetzt wohnen, und alles ging ganz glatt und einfach. Zwei Monate nachdem mein innerer Entschluß gefallen war, packten wir schon unseren Kram und zogen um. Manchmal kann ich es immer noch nicht glauben, denn wir waren ja so lange im Kibbuz und werden von der Mentalität her wohl immer Kibbuzniks bleiben. (Eine aussterbende Art, auch im Kibbuz).

Ich habe die Jahre im Kibbuz genossen und bin so froh,  noch miterlebt zu haben, wie der Kibbuz früher funktionierte. Ich bin froh, daß meine Kinder eine Kibbuz-Kindheit hatten, daß sie in diesem geborgenen kleinen Kosmos großwurden, in dem sie sich frei bewegen konnten, in denen jeder sie kannte und in dem alles klar geregelt war.

Quarta trauert ihren vielen Freunden und der Nachmittagsbetreuung nach, den Reitstunden und der Unabhängigkeit,  die wir ihr hier nicht bieten können. So gut sie sich hier eingelebt hat, sie würde sofort wieder zurück in den Kibbuz gehen und ist manchmal böse mit uns, daß wir sie rausgerissen haben. Auch Primus und Secundus wären gern näher bei ihren Freunden, aber sie lernen ja auch immer neue Leute kennen, und darunter sind auch welche aus der Gegend hier. Secundus hat nach wie vor ein Zimmerchen im Kibbuz, für das wir recht viel Geld bezahlen, aber beide Söhne nutzen es und es ist ihnen wichtig. Da meine liebe Schwiegermutter noch im Kibbuz lebt und auch der nicht weniger liebe Schwager, haben sie auch immer Anlaufstellen, wenn sie im Kibbuz sind. Und wir fahren eben ziemlich oft hin und her. Es geht schon irgendwie.

Tertia hat der Wechsel sehr gutgetan, sie ist viel glücklicher hier, liebt die Gegend, die neue Schule und die neuen Freundinnen und Freunde. Sie ist vollkommen begeistert vom Leben außerhalb vom Kibbuz, und wenn sie ihre Freundinnen im Kibbuz besuchen geht, kommt sie immer kopfschüttelnd zurück. „Mama, das ist mir früher nie aufgefallen, aber im Kibbuz leben sie wirklich „im Film“. So eine kleine Welt! Und das Getratsche! Und jeder weiß alles vom anderen! Und jeder verurteilt den anderen! Neee, das ist nichts für mich, bin ich froh, daß wir raus sind!“ Aber sie ist die einzige von den Kindern, die den Umzug rundherum positiv sieht, die anderen haben eher gemischte Gefühle. Sie akzeptieren aber, daß es für uns aus vielerlei Gründen die einzig mögliche Entscheidung war, und zum letzten möglichen Zeitpunkt.

Aber ich bemerke, wie ich bestimmt schon erwähnt habe, wie groß die Anstrengung der Anpassung war, als ich mich in den Kibbuz verpflanzt habe. Ich habe es gern getan und mit Begeisterung, aber einfach war es nicht. Von der Anonymität der Großstadt, vom Studentenleben und von der Unabhängigkeit des Lebens allein war ich auf einmal in einer Welt gelandet, in der jeder es für sein gutes Recht hielt, seine Nase in meine Angelegenheiten zu stecken. Im Nu waren wir eine Familie – was immer mein Traum war und was mich sehr glücklich machte und noch macht, aber eine Umstellung war es doch. Und statt weiter zu studieren, habe ich jahrelang im Kibbuz gearbeitet, entweder in diversen Kinderhäusern (nur als Hilfskraft — weil ich ja keine pädagogische Ausbildung hatte! weil ich ja nicht an der Kibbuz-PH studiert hatte – wo ich heute unterrichte….) oder später in der Altenpflege und nach Tertias Geburt in der Wäscherei.

Es war eine wunderbare Erfahrung und diese Jahre haben mich sehr geprägt, auch unser Familienleben.  Wenn ich jetzt daran zurückdenke, wie wir damals gelebt haben – eine versunkene Lebensform. Abends holte meine Schwiegermutter Primus und mich ab, und wir gingen zusammen im Dining Room essen. In unserem Häuschen war gar kein Platz für eine Familienmahlzeit.

Tagsüber war Primus im Babyhaus, ich arbeitete im Kleinkindergarten nebenan, und wenn er mich brauchte, sprang ich rüber und stillte ihn. Wir waren immer mit den anderen Familien zusammen, jeden Nachmittag hatte ich entweder andere Mütter und Kinder zu Besuch oder ging zu ihnen. Wir schlenderten nach 16 Uhr, wenn die Kinder abgeholt wurden, gemeinsam mal hierhin, mal dorthin. Die Kinder konnten überall spielen. Wir waren oft im Pferdestall, bei den Schafen, bei den landwirtschaftlichen Maschinen, auf dem Feld, im Wäldchen hinter dem Kibbuz. Wir waren oft bei Y.s Oma, seinen Tanten oder seiner Mutter. Alles war zu Fuß erreichbar, mein Arbeitsplatz, Y.s, die Kinderhäuser. Es war ein Gefühl, als wären diese Orte nur eine Erweiterung des Zuhause. Keine Tür abschließen, alles konnte im Garten stehenbleiben, Diebstahl gab es nicht, über jede Wiese konnte man gehen.

Das waren schöne, kostbare Jahre. Wäre ich karrierebewußter, dann hätte ich sie mir nie und nimmer leisten dürfen. Daß mich heute jüngere Leute links und rechts überholen, auch wenn sie weniger wissen und können als ich, ist leicht zu erklären: sie nutzen ihre Zeit besser als ich. Mir tut es nicht leid, denn diese Jahre als junge Familie im Kibbuz, nach den Spielregeln des Kibbuz, waren wunderschön.  Aber der Kibbuz hat sich verändert, wir haben uns verändert, und obwohl weder Y. noch ich wirklich Karriere machen oder machen wollen, könnten wir im Kibbuz keine Arbeit finden, die uns befriedigt. Schon lange nicht mehr.

Und so leben wir heute wie die Stadtleute, die wir früher immer bemitleidet haben.  Aber bedauern? Nein, wir sind froh, daß wir diesen Schritt gemacht haben.

Weltumspannend Oktober 16, 2010, 18:37

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ist inzwischen unser Stammbaum, den ich im Sommer angefangen habe. Ich habe Kontakt zu Verwandten aufgenommen, die ich sonst nie kennengerlent hätte, und habe viel über meine und Y.s Familien erfahren, was ich vorher nicht wußte.  Heute habe ich die folgende Nachricht von der Seite, auf der das ganze Werk untergebracht ist, bekommen:

 

ABC added his first cousin’s wife’s sister’s husband’s brother’s ex-wife’s uncle’s wife’s fourth cousin once removed’s husband’s mother’s husband, XYZ, to the tree.

 

His first cousin’s wife’s sister’s husband’s brother’s ex-wife’s uncle’s wife’s fourth cousin once removed’s husband’s mother’s husband? Ach du liebe Güte, da komme nicht mal ich hinterher, wo ich doch so gern Familienbande aufdrösele…

Chaos Oktober 15, 2010, 18:26

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Ein anderes Wort finde ich nicht für den gestrigen Tag. Bei Primus´ Gelöbnis vor fast zwei Jahren waren  gute Sicht und Ordnung selbstverständlich.  Luftabwehr ist ja eine kleine Truppe, und alle hatten reichlich Platz auf dem Bereich vor der Klagemauer. Wir konnten Primus die ganze Zeit sehen und hören. Nahal dagegen, das ist ein riesenhafter Verein, ich glaube, das ganze Land war auf den Beinen. Es war drängend voll, überhaupt war die ganze Stadt verstopft. Noch dazu ist das Wetter von herbstlich-frisch auf sharav-heiß-staubig gewechselt, und das mit solcher Heftigkeit, daß mein Kreislauf protestiert.

Alles dauerte Stunden – die Fahrt nach Jerusalem, die Suche nach einem Parkplatz, die Suche nach Secundus, die Suche nach einem Plätzchen, auf dem man auch was sieht… Das war zwecklos, und wir konnten nur die Leinwände anstarren, auf denen die Aufnahmen eines hektischen, nicht sehr kompetenten Kameramanns zu sehen war. Quarta: „Mama, warum filmt der denn immer nur den Boden?“ Ein paar Armeefritzen hielten Reden, wie man sie schon dutzende Male gehört hat (Quarta: „Mama, der buddelt aber“ – „buddeln“ ist der Schüler-Ausdruck für langweiliges pointenloses Gerede).

Hinter uns ließen sich Touristen aus Kanada und Rußland mit Soldaten photographieren, vor uns standen andere Eltern. Alle zischten einander an: ihr steht mir im Weg! ich seh nichts! Y. und ich guckten uns nur an und da wir keine Schlägerei anfangen wollten, zogen wir uns auf den Fuß einer Treppe zurück. Primus hielt Quarta auf den Schultern, und so sah sie als einzige was. Aber nicht Secundus, der war mitten im Gewimmel der grünen Barette nicht auffindbar. Er bekam wohl Bibel und Gewehr ausgehändigt, aber gesehen haben wir davon nichts. Der einzig schöne Moment war das Singen der HaTikva.

Wir haben massenhaft Bekannte getroffen, „ach seid ihr auch hier?“, es dauerte eine weitere Ewigkeit, bis wir, Secundus und Secundus´ Ausrüstung an einem Ort versammelt waren, bis wir das Auto wiedergefunden hatten, und als wir schließlich aus Jerusalem raus waren, ging es wacker auf zehn Uhr zu. Da waren wir schon fast zwölf Stunden unterwegs. Aber die Jungens unterhielten sich prächtig, indem sie Erlebnisse aus der Sani-Ausbildung verglichen. Am unterhaltsamsten sind wohl die Stunden über Hygiene und Gesundheitspflege, denn da werden Gruselgeschichten wie aus dem Struwwelpeter erzählt, um den zukünftigen Sanis eindrücklichst klarzumachen, wie wichtig ihre Aufgabe ist. Sie kontrollieren ja Wasserqualität und Einhaltung der Hygienevorschriften in allen Armeelagern.

Im Chor konnten Primus und Secundus die Geschichten aufsagen. So die Moritat von Dudu, dem Koch, der sich nach dem Gang zur Toilette die Hände nicht wusch und Salat zubereitete. „Und jedes einzelne Salatblatt war mit Dudus Colibakterien verseucht!“ Oder die von Daniel, der ein Steak zu oft auftaute und wieder aufwärmte. „Und als man ihn fand, waren die Wände des Zelts von Erbrochenem und Durchfall bespritzt!“ Und natürlich die Geschichte von dem dehydrierten Kameraden in der Wüste. „Und sein letztes Wort war: WASSER!“

So verging wenigstens die Rückfahrt schnell. Natürlich lernt Secundus jetzt Leute kennen, die Primus längst kennt, und er verliert auch seine Scheu vor Nadeln – anders geht es nicht, denn die Sanis üben aneinander „Fang die Vene“. Secundus hat sich, wie sein Vater,  nie gern pieksen lassen, im Gegensatz zu Primus, der mehr auf mich kommt. Ich würden den Jungens gern meine Arme zur Verfügung stellen, sie können mir venöse Zugänge legen, so viel sie wollen, aber natürlich brauchen sie dafür auch die entsprechenden Kanülen.  Secundus ließ sich von Primus erzählen, wie man das Gelernte dann anwendet, denn Primus hat ja schon recht viel Erfahrung, auch wenn er uns vieles davon nicht erzählen darf.

Puh, das war ein anstrengender Tag. Das drückend heiße Wetter laugt uns förmlich aus. Dabei hatte ich mich schon so gefreut, als es kühler wurde. Außerdem finde ich Ansammlungen von so vielen Menschen zunehmend schrecklicher, je älter ich werde.

Wie vollgestopft ist das Land besiedelt! Ein einziges Ruhrgebiet. Überall Lampen, Häuser, Kreuzungen, Straßen, Parkhäuser, Einkaufszentren, Fabriken, Bürogebäude, riesige Werbeflächen, Eisenbahnlinien und Haltestellen. Der Weg hoch von Tel Aviv bis weit hinter Haifa ist auch nachts taghell beleuchtet, und kein einsames Fleckchen in Sicht. Eigentlich ist auch der Norden schon ziemlich dicht besiedelt. Erst wenn wir in das kleine Sträßchen zu unserem Moshav einbiegen, wo die Straßenbeleuchtung aufhört und man erstmal durchs Gestrüpp muß, habe ich das Gefühl, „endlich allein“. Natürlich auch nur eine Illusion, denn auch hier sind wir von Nachbarn umgeben. Was für die Kinder ja auch gut so ist.

Tatsächlich bekomme ich mit zunehmendem Alter einsiedlerische Anwandlungen. Meinen Kindheitstraum von einem Häuschen im Wald wie bei Brüderchen und Schwesterchen habe ich nie vergessen. Ich habe als Kind nie verstanden, warum Schwesterchen den König heiratet – bestimmt hat es immer Sehnsucht nach dem Häuschen im Wald gehabt, denn was ist ein Schloß, verglichen mit so einem Häuschen!

 

Ach ja, ob Osten oder Westen, zu Hause ist´s am besten…

Morgen Oktober 13, 2010, 9:33

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sind wir in Jerusalem. Secundus legt um 18:30 sein Gelöbnis ab. Für Rungholts Hardcore-Fans: das wird live übertragen.  Morgen sind sie dran, die „Nachlauim“, mein Junge mittendrin. Primus will auch kommen, direkt von seinem Kurs, in Uniform. Vielleicht schaffe ich es dann endlich, mal beide Jungens in Uniform aufs Bild zu kriegen. Mir wären nach wie vor Spielhöschen lieber, aber das bleibt unter uns!!!

Köpfe einziehen! Oktober 13, 2010, 8:12

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Ahmedinijad besucht heute die israelisch-libanesische Grenze undwill (angeblich) einen Stein rüberschmeißen. Na, er soll bloß aufpassen, daß er nicht etwa eine unserer Katzen erwischt.

 

Was haben wir diesem Giftzwerg eigentlich getan?

Und nun das Wetter Oktober 11, 2010, 23:06

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Es wird ja öde, aber es muß raus. Ich genieße die klaren Herbsttage, die nach einem staubigen Zwischenspiel wieder eingekehrt sind, mit allen Sinnen. Vor drei Tagen fiel hier der Yore, also der erste Regen nach dem Sommer. Wie hab ich auf den gewartet! Wir gingen gerade einkaufen, und es fing an zu tröpfeln, als wir auf dem Parkplatz das Auto beluden. Um uns herum erstarrten die Wochenend-Shopper genau wie wir und hielten die Hände auf, ein leicht idiotisches Lächeln auf den Gesichtern. Ja Mensch, von diesem Himmel kann auch Wasser runterkommen, das haben wir ja schon fast wieder vergessen! Welch ein Glück!

 

Dann ging es richtig los. Der Himmel wurde gritzegrau und es pläästerte nur so runter. Wir fuhren langsam in Richtung Norden. Da sah ich in einer Nebenstraße, die auf ein Dörfchen zuführt, einen Soldaten mit riesiger Tasche durch den Regen rennen. Ich sagte nur zum Fahrer: Y., dreh um, wir müssen den Jungen mitnehmen. Er wendete den Wagen klaglos und fuhr in die Nebenstraße rein. Dort fanden wir den Soldaten in einer Bushaltestelle, er hatte Schutz vor den Wassermassen gesucht. Wir boten ihm an, ihn nach Hause zu fahren. Er guckte etwas überrascht, meinte aber, er hat schon seinen Vater angerufen, aber danke. Ganz bestimmt? Bestimmt.

 

Da konnte ich den Regen wieder genießen. Als wir nach Hause kamen, war er schon fast vorbei. Luzifer stakste ums Haus und begutachtete die Pfützen.

 

 

Ich schloß mich ihm an und schnappte mir schnell die Kamera. Wer weiß, wann es das nächste Mal regnet?

 

Das rauschende Bächlein, in das sich unsere Straße verwandelt hatte, war schon verschwunden.

In Richtung Meer konnte man wenigstens noch Wolken sehen.

 

Das ist in Richtung Kabri – die Wolke steht ziemlich genau über Tertias Schule.

Dann klarte es langsam auf.

 

Luzifer schloß seine Inspektion der nassen Erde gründlich ab.

 

Und seitdem ist die Luft so klar, daß man jedes Fenster in Nesher sehen kann, jedes Lämpchen auf jedem Schiff auf dem Meer, und jeden Stern am Himmel. Zu meinem Entzücken ist der Weg unter unserem Haus nach wie vor unbeleuchtet, so daß wir richtig gut Sterne erkennen können. Ich wache manchmal nachts auf und kriege so große Sehnsucht nach den Sternen, daß ich rausgehe auf die Terrasse und einfach nur hochgucke. Das geht immer noch barfuß und leichtbekleidet, die Nächte sind frisch, aber nicht kalt.

 

Dann warte ich oft, bis der Morgen anbricht, das geht ja hier leider sehr schnell. Die Dämmerung ist sehr schön, meine schröddelige alte Kamera kann natürlich nichts davon einfangen als das Bekenntnis, daß ich sie gesehen habe und sie gern mitgeteilt hätte.  Der frühe Morgen ist eine wunderschöne Tageszeit – ich habe dabei immer das Gefühl, der liebe Gott gibt uns eine neue Chance…

 

Und seit dem Regen ist es wirklich eine Freude, zu sehen, wie rein die Luft ist. Ich habe als Kind bei meinen Cousinen mal ein Buch gelesen über eine sehr schmutzige Stadt, die mit Seifenblasen vom Himmel gereinigt wurde – das war im prä-ökologischen Zeitalter und hat mich sehr beeindruckt. Eine ähnlich gründliche Wäsche hat die staubige Luft hier hinter sich. Die getrockneten Tropfen sind geradezu Dreckpladdern. Aber die Luft ist sauber.

Und das war unsere Aussicht heute. Das Meer war so blitzeblau, daß ich in Akko am liebsten gejauchzt hätte und aus dem Bus gesprungen wäre. Leider hatte ich keine Kamera dabei, aber zuhause habe ich sofort angefangen, Bilder zu machen.

 

Es ist ja Quatsch, ich mache Hunderte von dilettantischen  Aufnahmen von immer derselben Aussicht, aber jedes Bild erinnert mich an die Luft an dem Tag, an das Licht und die Temperatur und mein Gefühl dabei. Heute war mein Gefühl: Mensch, ist das schön hier, und: hurra, der Herbst kommt, und: endlich Luft, endlich Kühle, vielleicht brauch ich ja sogar mal ne Strickjacke, in zwei, drei Wochen?

Das war dann am späten Nachmittag,

 

und das der Sonnenuntergang. Leider haben wir keine freie Sicht auf die Sonne, wenn sie untergeht, so wie im alten Haus, als wir den Sonnenuntergang jeden Abend frei Haus geliefert bekamen. Da müssen wir jetzt schon entweder eine Dachterrasse einplanen (das ginge eigentlich) oder aber ein paar Schritte laufen.

 

Trotzdem, ich klage nicht.  Nein nein, ich genieße jede Minute auf diesem wunderschönen Fleckchen Erde.

Heute im Bus Oktober 11, 2010, 19:17

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Ich fahre immer mit dem öffentlichen Nahverkehr, den ich schätze, aber bis in unser Örtchen fährt die große Busgesellschaft Egged gar nicht. Für so abgelegene Örtchen gibt es die kleine Firma Nativ Express, die kleinere oder etwas olle Busse haben und auch seltener fahren als die großen Linien von Egged.

 

Seltsamerweise haben mich heute überall Leute angesprochen, angefangen mit einem jungen Mädchen, das von einer aggressiven Psalmenbüchlein-Verkäuferin beschimpft wurde und das bei mir Trost suchte (und auch fand), über eine ältere Dame, die mich „Süßkind“ nannte, bis zu einer spanischen Touristin, die mit ihrem Vater auf dem Weg von Nahariya nach Rosh HaNiqra war, die Höhlen angucken.

 

Der Bus von Nahariya nach Rosh HaNiqra ist so ein etwas klappriger Nativ-Express-Bus, der durch die Pampas kurvt, Leute wie mich in den abgelegenen Örtchen absetzt, in denen sie wohnen, und schließlich den Berg zur libanesischen Grenze hochkeucht, wo man dann die Zahnradbahn in die Höhlen nehmen kann. Dies war der Plan der spanischen Touristen, und die junge Frau war besorgt, daß sie die Höhlen nicht findet. Wir unterhielten uns auf Englisch, ich zeichnete ihr eine Skizze („raxbal“ schrieb sie neben die gezeichnete Zahnradbahn, hebräisch rachbal), sie erzählte mir von ihrem Verlobten und fragte nach meinen Kindern. Und so kamen wir richtig ins Quasseln.

 

Als ich in Manot aussteigen mußte, bat ich den Busfahrer, ihnen in Rosh haNiqra zu helfen. „Klar mache ich das“, meinte er freundlich lächelnd, und ich fragte ihn spontan, „sag mal, wieso sind eigentlich die Busfahrer bei Egged immer muffelig, und bei Nativ Express immer so nett?“ (das sind sie nämlich wirklich – auffallend freundlich und vergnügt). Da feixte der Busfahrer und meinte, „willst du das wirklich wissen? am Ende hältst du mich für nen Rassisten“.

 

Da mußte ich lachen, denn natürlich war der Busfahrer Araber, und auch die anderen Nativ-Express-Fahrer sind Araber. Die Egged-Busfahrer, die ich kenne, sind tatsächlich überwiegend Juden. Tja, ich weiß es nicht, ich habe auch schon nette Egged-Busfahrer erlebt, aber sehr, sehr selten. Dagegen sind arabische Busfahrer und auch Sammeltaxifahrer oft sehr freundlich und gefällig. Von meinem bevorzugten Taxifahrer, dem jungen Drusen, habe ich ja schon erzählt. Der ist so nett, daß ich Kaffee mit ihm trinken gehen würde, auf der Stelle.

 

Eine Erklärung habe ich dafür nicht.

Doppelbedeutungen Oktober 10, 2010, 15:17

Posted by Lila in Land und Leute.
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gibt es im Hebräischen viel seltener als im Deutschen. Manchmal trifft man aber doch eine.

Neulich im Supermarkt in Yarka (wo der ganze Norden einkauft). Ich gehe die Reihen mit Gläsern auf und ab und frage schließlich eine Verkäuferin: „wo sind denn hier die Kapern (tzalafim)?“ Die Verkäuferin, eine junge Araberin, guckt mich verschreckt an. „Tzalafim? welche tzalafim?“ Erst in dem Moment fiel mir ein, daß tzalafim ja auch Scharfschützen heißt…

Entschuldigung Oktober 10, 2010, 9:46

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Ich hätte schon was zu sagen, kann es aber im Moment nicht – ich bin so im Streß, daß ich Y. versprechen mußte, mich auf keine Diskussionen hier einzulassen.

 

Zum Thema Siedlungen habe ich außerdem im Laufe der Jahre so enorm viel geschrieben, daß es vermutlich das Beste wäre, einfach eine Blütenlese zusammenzustellen… aber auch dazu habe ich im Moment keine Zeit.

 

In drei, vier Tagen legen sich hoffentlich die Wellen etwas, bis dahin stecke ich aber bis über beide Ohren in Papierbergen und gucke nicht mehr hier rein, außer um eventuelle Kommentare freizuschalten.

Zwei Lesetips Oktober 4, 2010, 7:45

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bevor ich mich dem täglichen Wechselspiel von Hausarbeit (tun) und Hausarbeiten (nachgucken) widme. Beide verdanke ich einem morgendlichen Streifzug durchs Blogland, und sie passen irgendwie gut zusammen.

Lozowick weist auf Abu Toamehs Artikel über Arafat hin, und auf die von ihm praktizierte Doppeltaktik, einerseits basset-äugig und publikumswirksam vom Piessprosses zu faseln, andererseits eine blutige Terrorkampagne zu entfesseln, nachdem Barak sich dem geforderten israelischen Selbstmord verweigerte. Abu Toame hat nämlich getan, was europäische Journalisten nicht können (Arabisch ist aber auch ne schwere Sprache!) oder nicht wollen, und einfach mal zugehört, wenn Hamaspolitiker Reden halten. Mahmoud Zahar hat nämlich neulich ein paar aufschlußreiche Tatsachen über die Intifada II zugegeben, die wir natürlich lange schon wußten, die aber bisher niemals zugegeben wurden.

This is the first time that a Hamas leader openly admits that his movement carried out terror attacks against Israel on instructions from the Palestinian Authority leader. Arafat is believed to have issued the orders to Hamas after the botched Camp David summit, which was hosted by President Bill Clinton.

Sadly, some Israelis, Americans and Europeans refused back then to open their eyes to the reality – that Arafat was fooling them. They even turned a blind eye when it was revealed back then that Arafat was funding the armed wing of Fatah, the Aqsa Martyrs Brigades, whose members carried out dozens of terror attacks in the past 10 years.

Da drängt sich die Frage auf: haben wir aus der Vergangenheit gelernt? Nun, wir schon, ob es die Arafat-Apologeten in Europa auch tun, ist eine andere Frage.

Bei Heplev dann (mit dem ich heute wieder mal verlinkst-du-mich-verlink-ich-dich spiele und das ganz ohne Absicht) der Hinweis auf Heumanns knochentrockenen und präzise beobachtete Zehn Gründe gegen den Frieden.  Was nicht bedeutet, daß Israel grundsätzlich gegen Frieden ist – das Gegenteil ist der Fall, wir haben uns abgestrampelt wie die Doofen, sobald jemand uns mit einem Versprechen für Frieden gewedelt hat. Und wenn man Avi und Ora Israeli fragt, was ihr Herzenswunsch ist, werden sie nach wie vor sagen: Gesundheit und Frieden, halevai. Aber sie wissen auch, daß unsere Einflußnahme auf beides eher illusorisch ist.

Warum also Gründe gegen den Frieden? Wir haben die verschiedenen Lektionen gelernt, die uns eindrücklich eingehämmert wurden (Konzessionen führen zu Gewalt, Verträge werden nicht eingehandelt, Versprechen sind Lügen, wenn wir es nicht selbst tun, tut es keiner), und wir haben uns mit dem deprimierenden Status quo arrangiert. Ungern, aber es geht doch, und es geht sogar ganz gut. Die Stimmung ist resigniert, denn wer lebt schon gern als Paria?, aber entschlossen. Wir gürten unsere Lenden für die Auseinandersetzung mit dem Iran, die kommen wird, auch wenn viele das nicht wahrhaben wollen.

Wer verstehen möchte, wie Israel heute tickt, sollte Heumann gründlich lesen. Wer wissen möchte, warum, dem empfehle ich Abu Toameh.

Lesebefehl Oktober 3, 2010, 13:24

Posted by Lila in Bloggen.
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Husch, husch, seid ihr noch nicht bei Lozowick? Es geht genau ums Thema Land und Siedlungen. Wie Lozowick stehe auch ich auf der anderen Seite der politischen Landkarte, was Siedlungen angeht, und ich bewundere immer wieder, wie bedacht und klug er an die Sachen herangeht. Absolut lesenswert.  Ich teile seine traurige Einschätzung, daß kein Anzeichen für eine Anerkennung Israels durch die Palästinenser erkennbar ist, auf keiner Ebene.

Im Gegensatz zur Situation vor zehn Jahren sehe ich auch eine zunehmende Radikalisierung unter den jungen Arabern in Israel – bei den älteren hört man schon mal differenzierte Töne. Aber meine Studenten sind absolut anti-israelisch eingestellt, sie wollen Israel in einen palästinensischen Staat umwandeln und halten es nur für eine Frage der Zeit. Nein, nicht alle Studenten, aber doch sehr viele. Sie glauben die Ideologie des „wir waren schon immer hier, die Juden haben unser Land als Entschädigung für einen imaginären Holocaust geschenkt bekommen“ und sind nicht bereit, andere Versionen der historischen Wahrheit auch nur zur Kenntnis zu nehmen.

Ich möchte zu Lozowicks Gedanken bei der Lektüre eines Buchs über sich wandelnde Landschaften in der Gegend von Ramallah hinzufügen, daß ganz ähnliche Prozesse sich in ganz Israel abspielen. Wir zersiedeln das ganze Land. Die Gegend um unseren alten Kibbuz herum war mal das Ende der Welt – heute ist sie mit dem Highway Nr. 6 mit Beersheva verbunden und demnächst auch mit Shlomi, wenn die Straße weitergebaut wird. Naturschutzgebiete werden durch Neubaugebiete zerstört, und ich heuchle sogar, wenn ich darüber klage – auch wir wohnen in so einem Eckchen Natur. Es ist also nicht nur der unbezweifelbare energische Wille der Siedlerbewegung, Fakten zu schaffen, sondern überhaupt eine globale rasante Entwicklung, in der die Natur zurückgedrängt wird.

Die arabischen Orte wuchern übrigens noch ungehinderter als die jüdischen, weil die Behörden dort nur in extremen Fällen illegales Bauen verfolgen. Meist überläßt man das dem lokalen Bürgermeister, und  weil die Araber in den Dörfern nicht in Wohnungen, sondern nur in Einfamilienhäusern wohnen (ohne eigenes Haus wird nicht geheiratet) und ihre Häuser meist riesig sind, wachsen die Orte rasant.

Wir sind vorgestern durch mehrere arabische Dörfer gefahren und haben einfach nur gestaunt, wie riesig die Häuser sind und wie jedesmal neue Häuser aus dem Boden sprießen. Immerhin werden in arabischen Dörfern nicht diese karnickelstallartigen Massensiedlungen gebaut wie in jüdischen Orten, wo mit dem Grund und Boden gegeizt wird. Die Häuser sehen besser aus, auch wenn die meisten keine Gärten haben, aber sie verschlingen natürlich viel mehr Grund und Boden als die typischen mit dem Förmchen hingesetzten Cottage-Siedlungen der jüdischen Wohngebiete.

Wie hat sich das verschlafene Yokneam geändert, seit ich als Volunteer dort hinkam! Hi-Tech-Firmen, Einkaufszentren, und neue Wohnsiedlungen, daß man die alten Hügel nicht mehr wiedererkennt, auf denen wir früher Lupinen gepflückt haben. Freunde von uns haben dort vor zehn Jahren ein Häuschen mit wunderschönem Ausblick gekauft – inzwischen sind dort ein Gemeindezentrum, ein Einkaufszentrum und eine ganze neue Siedlung entstanden, letzteres in den Monaten, in denen wir nicht in Yokneam waren. Wir haben uns verblüfft angeguckt, als wir letzte Woche da waren. Nicht jedes Bauprojekt hat also politische Hintergründe – obwohl in den besetzten Gebieten natürlich sehr viele welche haben. Durch den fortwährenden Terror ist dort eine Trotzhaltung entstanden, die nicht immer so verbreitet war. Die Aggression ist gegenseitig.

Und jetzt ab zu Lozowick, wer noch nicht da war.