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In einer Zeitkapsel März 1, 2024, 21:17

Posted by Lila in Persönliches.
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Der 6. Oktober war mein letzter Arbeitstag im Kindergarten. Ich wurde nett verabschiedet, eine junge Kollegin, die mich ersetzen sollte, war schon eingearbeitet, und ich hatte schon eine andere, weniger körperlich anstrengende Arbeit angefangen. Es war ein Freitag, und wie immer bereitete ich, nachdem alle schon gegangen waren, den Kindergarten für Sonntag vor – deckte schon die Tabletts mit Frühstücksgeschirr und räumte alles auf. Ich bin immer gern die Erste, die morgens kommt, und die Letzte, die mittags geht. Und ich erinnere mich noch genau, wie ich zum letzten Mal die Tür abschloß. Es war abgemacht, dass ich weiterhin freitags, der sowieso ein kürzerer Tag ist, aushelfe.

Aus alledem wurde natürlich nichts, denn am Samstag brach der Krieg aus. Der Kindergarten wurde geschlossen, der Kibbuz evakuiert, und ich war die einzige aus dem Team, die Arbeit hatte. Ich blieb in Kontakt mit den Kolleginnen, wir whatsappen uns und haben uns ein paarmal in Nahariya in einem Cafe getroffen. Die Kindergärtnerin, eine junge und hochmotivierte Frau, wohnte mit ihrer Familie bis vor zwei Wochen weiter südlich, ist aber jetzt in den Kibbuz zurückgezogen. Der Kindergarten ist wieder eröffnet worden, aber in einem anderen Gebäude, das sicherer ist.

Ich hatte auch versprochen, die Geburtstagsgeschenke für die Kinder herzustellen. Im Jahr davor hatte ich für jedes Kind ein Gänschen gehäkelt, eine kleine Handpuppe, über die die Kinder sich sehr gefreut hatten. Ga-Ga! Ga-Ga! haben sie gerufen, wenn sie ihre Gans auspacken durften. Für dieses Jahr war unser Plan, jedem Kind drei Fische zu malen, auf Stöckchen zu kleben, und ihnen die mit dem Text eines beliebten Lieds zu schenken. Drei Fische, die durchs Meer schwimmen, höchst originell, aber wie Kinderlieder eben so sind.

Am Tag des Kriegsausbruchs, als das Ausmaß der Katastrophe klar war, aber noch nicht, was danach kommt, habe ich mir meinen Aquarellkasten geschnappt, mir im Internet tropische Fische angeguckt und die buntesten, fröhlichsten Fische gemalt, die man sich vorstellen kann. Dieses Projekt hat mich die ganze erste, sehr stressige Zeit des Kriegs begleitet. Ich habe mehr gemalt, als wir eigentlich brauchten, es waren am Ende fast 80 Fische. Dann habe ich sie ausgeschnitten und aufbewahrt.

Zwischendurch hatten wir ein Treffen mit den Kindern, die in einem anderen Kibbuz aufgenommen worden waren, weiter südlich. Dort war es friedlich und schön, und die Kinder haben sich gefreut, mich zu sehen. Ich war so froh, dass sie sich noch an uns alle erinnerten und sich sofort auf meinen Schoß setzten.

Auch an ein paar Zoom-Treffen mit den Eltern habe ich teilgenommen, und meine Tipps, welche kreativen Sachen man mit Kindern im Schutzraum machen kann, wurden dankbar aufgenommen. Eine der Mütter erzählte mir später, dass sie tatsächlich eine Wand leergeräumt hat, damit die Kinder sie bemalen dürfen, wenn sie Alarm haben.

Heute nachmittag bin ich in den leeren Kindergarten gefahren, um die Fische zu laminieren und auf Stöckchen zu kleben, denn am Dienstag ist der erste Geburtstag der zurückgekehrten Gruppe.

Ein paar Schränke und die große Spielküche fehlten, denn die sind wohl in das neue, raketensichere Gebäude gebracht worden. An der großen Tafel hing noch das Plakat zum Laubhüttenfest, mit Papierketten und Granatäpfeln. Auf dem Boden im Bad lagen noch die Packungen mit Pampers, jedes mit Namen. Und in der Küche – die Tabletts mit dem Frühstücksgeschirr, das ich am 6. Oktober vorbereitet hatte.

Es war so ein trauriger Anblick, das ich keine Fotos machen konnte, nur von den Fischen. Unser Leben ist stehengeblieben, für uns ist immer noch am 7. Oktober.