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Ein Treffen Januar 9, 2024, 22:27

Posted by Lila in Persönliches, Uncategorized.
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Heute vormittag saßen wir wieder zusammen, das Team vom Kindergarten Charuv. Seit dem 6. Oktober das erste Mal, dass wir wieder vollzählig waren. Großes Hallo zur Begrüßung, und alle gucken auf die Uhr: so, jetzt müßten wir eigentlich in den Sandkasten!, und dann erzählten alle, was sie nun machen. Der Kibbuz ist noch immer fast leer, aber langsam kehren einige Familien wieder. Bis dort wieder Kindergärten aufmachen, wird es noch eine Weile dauern. Die meisten Familien haben ihre Kinder in weiter südlich gelegenen Kindergärten angemeldet, in Lochamey Ha-Gettaot or Regba, näher an Akko als an Nahariya.

Sowohl Familien als auch Teile unseres Teams wohnen inzwischen auch woanders. Eine Kollegin war erstmal einen Monat im Ausland, dann wieder zuhause, dann wieder unterwegs. Sie kam braungebrannt und mit neuer Haarfarbe. Ich bin die einzige, die nahtlos weiter arbeitet, die anderen leben von Arbeitslosenunterstützung. Eine junge Kollegin hat morgen ein Vorstellungsgespräch.

Eine andere junge Kollegin, die den Krieg von 2006 in traumatischer Erinnerung hat, ist wieder bei ihren Eltern eingezogen und nimmt Medikamente gegen Panik und Angst. Sie würde gern zu ihren Tanten nach Frankreich fahren, aber die haben sie gewarnt – keine guten Zeiten für Juden in Paris.

Wir tauschen uns aus, wie wir den 7.10. erlebt haben. Die Kindergärtnerin saß den ganzen Tag mit einer der Mütter zusammen, die aus Kibbuz Beeri stammt, und zusammen weinten sie um die Familienmitglieder, die sich in verzweifelten Hilferufen per Whatsapp meldeten und irgendwann verstummten. Das war das Schlimmste, was sie je erlebt hat. Später ist die Geschichte dieser Großfamilie durch alle Medien gegangen, aber als es geschah, saßen zwei Frauen zusammen auf dem Sofa, während auf der Terrasse kleine Kinder spielten, und niemand konnte den Familienmitgliedern in Beeri helfen.

Wir erinnerten uns an den Vater, der Lokalpolitiker ist und uns schon im Juni warnte, dass es im Spätsommer losgeht. Das Szenario, das wir im Süden gesehen haben, hat er uns für August oder September prophezeit. Die Familie ist mit Sack und Pack ins Ausland gezogen, er kann es sich leisten.

Die Kindergärtnerin ist in Kontakt mit allen Familien, auch denen der Gruppe, die wir im August verabschiedet haben, und wir haben mit Erstaunen gehört, dass unser zartestes Blümchen, das so viel Aufmerksamkeit gebraucht hat, jetzt vergnügt allein spielt, dass die Krabbelkinder alle laufen und sie sich alle gut eingelebt haben in ihren neuen Kindergärten. Die Leiterin der Erziehung im evakuierten Kibbuz würde gern am 1.2. wieder öffnen und uns alle dabeihaben, aber sie glaubt auch nicht, dass die Kinder noch einmal zurück wechseln werden, nachdem sie sich nun eingewöhnt haben. Nichts ist sicher.

Die Zukunft wurde noch unsicherer, weil wir ständig vom Rappeln der Telefone unterbrochen wurden. „Alarm in Yiftach“, „jetzt auch in Dishon“, so ging es ununterbrochen. Zwischendurch auch Nachrichten über IAF-Angriffe im Libanon. Es fühlte sich schon ganz schön krisenhaft an.

Dann die Diskussion, wo es denn jetzt sicher sei. Ist Tivon sicher? Haifa? die Krayot-Städte? (Kiriyat Bialik, Kiriyat Yam, Kiriyat Motzkin) Nein, zu nah an den Raffinerien der Bucht von Haifa, und Tivon auch zu nah an der Luftwaffenbasis Ramat David. Da hat Nasrallah schon 2006 drauf gezielt, und er wird es wieder versuchen.

Was ist mit den Golanhöhen? Beschuß aus Syrien. Tel Aviv ist sowieso nicht sicher. Sollten die Gebiete den Aufstand proben, ist auch Jerusalem nicht sicher, außerdem sind beide großen Städte Ziel für Raketen. Wo könnte es sicher sein? Im Negev? Nein, die Houthis. Ich zitierte wieder meinen Mann, dass es da am sichersten und unsichersten ist, wo man sich gerade befindet. Die reiselustige Kollegin meinte, Thailand sei schon sehr gemütlich, und darum fliegt sie nächste Woche hin.

Beim Abschied haben wir uns alle in den Arm genommen und auf die Uhr geguckt und gesagt: so, wer geht jetzt in die Küche und bereitet die Tabletts fürs Mittagessen vor, und wer übernimmt den Mittags-Stuhlkreis?

Ich werde nicht wieder in die Früherziehung zurückgehen, zumindest nicht in absehbarer Zeit, denn das Unterrichten macht Spaß und meine Woche ist pickepackevoll. Aber ich werde mich immer gern daran erinnern, an das schöne Gefühl, wenn sich morgens kleine Ärmchen nach mir ausstreckten. Die Beratungen darüber, wie man einem kleinen Jungen helfen kann, dessen Eltern durch eine schwierige Trennung gehen, oder dem kleinen Mädchen, in dessen Familie gesundheitliche Probleme nicht viel Aufmerksamkeit für die Jüngste übrigließen. Es war schön, wenn wir am Freitag den Shabat singend in Empfang nehmen konnten, mit unserem selbstgebackenen Challah und den zwei Kerzen.

Der 6.10. war mein letzter Arbeitstag dort, ich hatte gekündigt und die Kollegin, die mich ersetzen sollte, war schon eingearbeitet. Einen Tag später ist diese ganze Welt, die im Nachhinein so idyllisch war, versunken.

Beschäftigt Dezember 22, 2023, 8:18

Posted by Lila in Uncategorized.
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Vieles geht mir im Kopf rum, das ich gern hinschreiben würde, aber im Moment ist gerade eine Welle der Geschäftigkeit angerollt, und der Tag ist zu kurz für alles, was ich tun muß oder möchte.

Danke danke danke an alle, die mitlesen und mir damit helfen, die eigenen Gedanken zu sortieren. Ich habe auch viele private Unterhaltungen, bei denen ich denke: das müßte ich eigentlich bloggen. Vieles wandert dann erstmal halbgar in den drafts folder. Sollte ich am Wochenende etwas Zeit haben, werde ich dann mal abstauben, was sich da angesammelt hat.

Aber es tut mir gut, daß ich wieder mehr zu tun habe. Am 6.10. war mein letzter Tag im Kindergarten, bis dahin hatte ich monatelang Arbeitstage von 6.45 (Kindergartentag fängt an) bis 16.00 (Kindergarten macht zu), und dann von 16.30 bis 22.00 (Sprachschule). Einmal die Woche war FH statt Kindergarten. Freitags war der Kindergarten nur bis 12.30 offen, also weder Mittagessen noch Mittagsschlaf, aber eben trotzdem kein freier Tag. Das war mir in meinem würdigen Alter zu viel, aber verzichten wollte ich auf nichts und habe die Entscheidung über Monate rausgezögert. Schließlich war klar, daß ich im Kindergarten zwar sehr viel Spaß habe, aber ich nicht wirklich selbst einen Kindergarten übernehmen möchte und mein eigentliches Forte nun mal das Unterrichten ist. Darum habe ich schweren Herzens gekündigt, aber die Option offengehalten, daß ich freitags zu Besuch kommen und mit den Kindern eine Kunst-Aktivität machen kann.

Der 6.10. war ein Freitag, wir haben mit den Kindern Kabbalat Shabat gemacht, also gesungen und Challah gegessen und Kerzen angezündet…. und dann ging ich mit Geschenken bepackt zurück nach Hause mit einem Gefühl der Leere, aber auch voller Pläne. Nächste Woche, dachte ich, sortiere ich meine Woche neu, nächste Woche… aber vorher ein ruhiger Shabat.

Dieser Shabat ist schon morgens um 6.32 mit Quartas Anruf zerbrochen, und schon abends war klar, daß der Kindergarten geschlossen wird, der ganze Kibbuz wurde schnell evakuiert und mehrere Kolleginnen aus Nahariya zogen ebenfalls weiter südlich.

Mit einem Mal war meine gesamte Woche weg. Mit dem Schock über den 7.10., der nicht abgeklungen ist, mit der anfänglichen Angst vor einer Eskalation an allen Fronten gleichzeitig, mit der Sorge um die Zukunft, um die Kinder, um die Freunde, war es schwer, keine Ablenkung mehr zu haben.

Jetzt ist eine Art neuer Routine entstanden. Ich bin dankbar dafür, denn Arbeit hilft. Menschen treffen, sich austauschen, aus dem Haus gehen, das alles hilft. Wenn ich Familien aus dem Kindergarten treffe, erzählen mir die Mütter, wo die Kinder jetzt in den Kindergarten gehen, in Kibbuzim weiter südlich, in der Gegend von Akko. Manche sind schon wieder zurückgekehrt in den Norden, alle arrangieren sich mit der neuen Situation. Aber ich denke an die alte Routine, und ich trauere um die alten Gewißheiten.

Die Gedanken an die Toten, an die Soldaten und ihre Familien, an die Geiseln und ihre Familien, an die Evakuierten und die Menschen, die ihr Zuhause verloren haben – begleiten mich täglich, den ganzen Tag.

Von Zerstörung und Aufbau Dezember 3, 2023, 23:26

Posted by Lila in Land und Leute, Uncategorized.
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Es kann mich nicht freuen, wie es jetzt im Gazastreifen aussieht und noch aussehen wird. Ich gebe es zu, ich war genau wie fast ganz Israel in dem seligen Irrtum befangen, ein besseres Leben würde aus den Bewohnern dort friedlichere Menschen machen. Und wenn es hieß, „die Hamas ist nicht unser Problem, unser Problem sind der Jihad und andere Gruppen, aber Hamas übernimmt langsam Verantwortung für die Menschen und ist mehr an Arbeitsgenehmigungen als an Terror interessiert“ – dann habe ich das gern geglaubt. Weil ich es glauben wollte.

Ich habe zwar das krasse Wohlstandsgefälle im Gazastreifen kritisch gesehen, aber trotzdem gehofft, daß sich das irgendwann mal osmotisch verteilt und zu einem guten Leben für die Allermeisten entwickelt. Wie es in so vielen Gesellschaften passiert ist. Heute komme ich mir mit diesem Glauben vor wie der größte Idiot der Welt, aber bis zum 6.10. hätten die meisten Israelis gesagt: ja, so sieht es aus. Weil wir an das Gute im Menschen glauben wollen.

Wäre ich nun konsequent, dürfte ich mich nicht über andere ärgern, die ihre eigenen Wünsche und Ambitionen (Friede, Freude, Gerechtigkeit) den Palästinensern unterstellen und mir in den Ohren liegen damit, daß der ganze Terror nur aus Sehnsucht nach 2staatenlösung stattfindet. So doof war ich nun doch wieder nicht, und ich habe schon begriffen, wie brutal und vernichtend der Terror ist. Ich habe ihn ja nun oft genug gesehen, eine endlose Kette blutiger, verstörender Vorfälle, und ich weiß auch, daß hier jede Woche Dutzende Anschläge vereitelt werden. Ihr hört ja nur von einem Bruchteil der Dinge, die wir kennen. Es ist keine Meldung wert, und wenn, dann unter der Überschrift „Israel greift an“.

Aber ich hätte immer gern einen zufriedenen, friedlichen Nachbarn im Süden gesehen. Einen Nachbarn, der endlich seinen Haß vergißt und hinter sich lässt, in zehn, zwanzig Jahren vielleicht?, und endlich in Gaza wirklich ankommt, ohne Illusionen auf eine Rückkehr in ein Land, das sie seit Generationen nicht mehr kennen.

Einen Nachbarn, der Tourismus für sich entdeckt, vielleicht High-Tech, intelligente Landwirtschaft, so daß das gute Leben für viele möglich wird. #TheGazaYouDontSee war deswegen so ein guter Hashtag, weil er einerseits die Idiotie der Leute aufzeigte, die wirklich glaubten, Gaza sieht aus wie ein einziger Trümmerhaufen. Gaza sah ähnlich aus wie Städte in Israel.

Aber andererseits waren es einfach sehr fröhliche Clips. Die Leute in den Clips, besonders die Kinder, hatten Spaß. Beim Einkaufen, beim Spielen. Die jungen Leute hatten Spaß, wenn sie mit ihren schicken Autos die Straße am Meer entlanggebrettert sind.

Vor fast zehn Jahren liefen alle möglichen Variationen von „Happy“ durchs Netz, und als ich es mir jetzt noch einmal angeguckt habe, habe ich gestaunt, an wie viele Gesichter ich mich noch erinnere. Das sind keine Bilder aus richtig dickem Wohlstand so wie bei #TheGazaYouDontSee, aber fröhliche Gesichter. Und ich sehe solche Gesichter jeden Tag im Bus und auf der Straße. Das sind keine Fremden.

Und das gönne ich jedem, Spaß und alltägliche Freuden und tanzen und lachen… Die ganzen idiotischen Vorwürfe, mit denen mich Trolle auf Twitter ständig überziehen, ich würde Völkermord o.ä. gutheißen, sind voll daneben. Das ist den Trollen natürlich egal, und für die schreibe ich auch nicht. Sie schreiben das einfach bei allen hin, die ihnen pro-israelisch vorkommen. Während palästinensische Politiker uns auf allen Kanälen den Genozid androhen, klagen ihre Sympathisanten, Israel würde Genozid an ihnen vollziehen. Klassische Projektion.

Welcher vernünftige Israeli, und ich kenne eigentlich nur solche, würde nicht lieber in Frieden mit seinen Nachbarn leben, als in Sorge zu leben, daß dort ein haßerfülltes Regime jederzeit noch einmal eine Leute über die Grenze schickt, um zu morden? Welches Interesse hätten wir daran, einen Konflikt zu schüren, der sowieso schon viel zu lange dauert?

Wen freut es, wenn Häuser, in denen Familien gelebt haben, zerstört werden? Natürlich bin ich erleichtert, wenn die Waffenlager unschädlich gemacht werden, und ich glaube auch nicht, daß die Bevölkerung von Gaza davon nichts gewußt hat. Der Vater, der seiner Tochter Waffen unter die Matratze geschoben hat, wußte, was er tat. Trotzdem tut es mir um das Mädchen leid, das von seiner Umgebung nur als Schutzschild mißbraucht wird, und an dessen wahre Interessen niemand denkt.

Dieses Kind hat ein Recht auf ein Zuhause ohne Waffen, ohne Bedrohung, die von seinen Angehörigen heraufbeschworen wird, die sich nicht abfinden will mit dem Lebensrecht eines legal gegründeten, demokratischen, wehrhaften aber friedensliebenden Nachbarstaats.

Und wenn ich die zerstörten Häuser sehe, weiß ich, daß sie aus gutem Grund beschossen wurden, denke aber trotzdem: wie schön wäre es, wenn das einfach nur Wohnhäuser wären, von Familien, die sich ihren Wohlstand erarbeitet haben und ihn nun zusammen genießen. Und ich wünsche mir so, Gaza hätte nicht die Hamas gewählt, hätte nicht den Weg von Unversöhnlichkeit und Haß und Terror gewählt.

Ich sehe den Happy-Clip an und frage mich, wo die tanzenden Kinder jetzt sind, und die Studentin mit dem offenen Haar, und die tanzenden jungen Männer. Und ich kann nicht anders als mich zu fragen – waren sie beteiligt am 7.10.? Fanden sie es gut? Haben sie auf die Toten gespuckt? Aber auch: sind sie vielleicht innerlich wütend auf die Hamas? wurden sie von Hamas verfolgt und eingeschüchtert, weil sie nicht angepaßt genug waren, und halten darum den Mund? Sitzen sie jetzt auf den Trümmern ihrer Existenz, und wenn ein Al-Jazeera-Korrespondent ankommt und sie interviewen will, reden sie sich den Frust von der Seele – was der Korrespondent natürlich abwürgen muß.

Nein, ich sehe nicht gern Zerstörung, nicht von Häusern, nicht von Leben. Das alles hat Hamas über uns gebracht, aber auch über ihre eigenen Bürger. Kaltschnäuzig erklären die Hamas-Anführer, daß sie es jederzeit wieder tun würden, jederzeit wieder israelische Bürger abschlachten wollen, und damit Krieg und Zerstörung über ihre eigenen Bürger bringen werden.

Auf die Frage, warum sie nicht für Infrastruktur und Ernährung ihrer Bürger sorgen, sie sind ja schließlich die Regierung, erwidern sie, daß sie dafür nicht verantwortlich sind. Das hat die UN zu verantworten.

Gleichzeitig stehlen sie von den Gütern, die Israel durchläßt, die UNRWA, die EU, die USA und andere spenden. Je mehr Elend im Gazastreifen, desto besser für sie. Sie wissen, daß die öffentliche Meinung allein Israel dafür verantwortlich erklärt.

Zerstörung wohin man sieht. Eine zerstörte, verhetzte Jugend, die im Kindergarten Geiselnahmen drillt, statt mit Klötzchen und kinetischem Sand zu spielen.

Ich sehe keinen Ausweg. Die Zerstörung wird weitergehen. Israel hat daran kein Interesse. Unser Interesse ist eine friedliche, blühende Nachbarschaft, die sich endlich auf die wichtigen Dinge im Leben konzentrieren kann. Landwirtschaft, Umweltschutz, Erziehung, Gesundheitswesen, Artenschutz, Wasseraufbereitung, aber auch Literatur, Tanz, Kunst, Forschung und der schlichte Genuß des alltäglichen Lebens.

Ich persönlich sehe mit Grausen, wie die Zerstörung immer weiter geht und alles mit sich reißt.

Freude, Freude, Freude Juni 30, 2020, 21:31

Posted by Lila in Kibbutz, Kinder, Katzen, Uncategorized.
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Im Moment geht es mir so gut wie seit langem nicht mehr. (Abgesehen davon, daß ich meine Familie und Freunde in Deutschland und Israel vermisse, aber davon reden wir heute mal besser nicht.) Ich habe in allen Bereichen meines Lebens Freude. Langsam kommen wieder Aufträge, ich unterrichte den Sommer über weiter per Zoom und habe auch schon einen Vortrag so richtig vor Publikum gehalten, oder waren es zwei? Unterrichten macht einfach Spaß. Ich kann immer noch nicht glauben, daß ich tatsächlich dafür bezahlt werde, Leuten was zu erzählen, über die Dinge, die mich brennend interessieren. Verrücktes Konzept!

Im Kindergarten habe ich ebenfalls riesige Freude. Ich fange jeden Morgen als Erste an und oft bin ich noch mit den ersten eintreffenden Kindern allein. Wie sehr mir der Umgang mit Kindern gefehlt hat, wußte ich selbst nicht – ich genieße den Lärm und die vielen Fragen und die Begeisterung der Kinder. Es ist so ein wichtiges Alter.

Heute war eine große Feier – das Schuljahr ist zu Ende, jetzt fangen die Sommerferien an. Die reguläre Kindergärtnerin ist ab morgen in Urlaub, sie wird von einer jüngeren Kollegin ersetzt, und zu dritt planen wir ein Programm für kreative Sommerferien. Das Team hat nämlich entdeckt, daß ich ausgebildete Kunstlehrerin bin (und eines meiner Diplome ist sogar für Kunst in der Früherziehung) und richtige Lehrpläne schreiben kann – mit dem Umsetzen geht es erst in den nächsten Tagen los. Ich war zwar bis jetzt höchst zufrieden mit einer Rolle im Hintergrund, aber eine etwas professionellere Aufgabe ist auch schön. Und ich habe riesige Lust dazu, wieder Kunst mit Kindern zu machen.

Ich habe meinen Zwiespalt zwischen Pädagogik und Kunst ja nie wirklich auflösen können und kann es immer noch nicht. Darum paßt es mir so gut, die Woche zu unterteilen.

Die Abschlußfeier heute war schön, aber auch merkwürdig, weil die Eltern ausgeschlossen waren. Die Kindergärtnerin hat trotzdem eine komplette Feier durchgezogen, es war wahnsinnig viel Arbeit, und eine der Kolleginnen hat alles gefilmt. Die Eltern konnten per Zoom zugucken, wie ihre Kinder tanzen und singen. Sie hatten einen sehr schönen Videoclip aufgenommen, in dem alle Elternpaare vorkamen und in Gebärdensprache ein schönes Lied begleiteten. Das war für die Kinder ein Höhepunkt. Zu diesem Lied:

 

 

Die beiden letzten Lieder und Tänze waren dann draußen vor dem Kindergarten – die Eltern standen mit Mundschutz hinter einem Flatterband. Einer der Väter hatte eine Drohne dressiert, die alles von oben filmte, und die Kinder waren begeistert.

 

Die Atmosphäre in einem Kibbuz ist selbst unter Corona-Bedingungen so freundlich, so offen, ich kann es nicht beschreiben. Die Eltern arbeiten teils im Kibbuz, teils draußen, viele sind auch selbst keine Kibbuzniks, sondern haben sich ein Haus im Neubaugebiet des Kibbuz gebaut. Aber die Entscheidung, die Kinder in einem Kibbuz großzuziehen, sagt schon aus, daß das Familienleben der höchste Wert ist. Und die Kindergärtnerinnen sagen beiden, sie haben an keinem anderen Arbeitsplatz so viel Respekt von Eltern und Kindern erfahren wie in einem Kibbuz-Kindergarten. Sie sind aber auch, jede auf ihre Art, sehr gute, engagierte Pädagoginnen, denen nichts entgeht. Die Eltern verlassen sich auf den Kindergarten, und nach allem, was ich bisher mitbekommen habe, können sie das auch.

Irgendwas ist immer noch dran an so einem Kibbuz-Leben, auch wenn die Außenwelt natürlich eindringt, was ja auch in vieler Hinsicht gut ist.

 

Ich habe wenig Zeit für die Nachrichten, kriege wohl mit, daß die Corona-Wellen weiter rollen, nicht nur bei uns, und daß Netanyahu sich aus Trumps nie richtig vorgestelltem Plan die Rosinen rauspicken will, die sauren Äpfel hingegen liegenlassen will. Ich habe keine Zeit oder Lust, tiefer in die Materie einzudringen – mein Eindruck ist, daß Trumps Plan nicht grundlegend verschieden ist von den unzähligen früheren, die alle auf Gebietstausch  und -ausgleich hinauslaufen, außerdem die Gründung eines Staats Palästina. Waren frühere Pläne oft zugunsten der Palästinenser gewichtet, hat Trumps Vorschlag wohl eine Schlagseite in Richtung Israel. Daß Netanyahu daraus noch schnell unilaterale Schritte machen will, zeigt vielleicht, daß auch er nicht an einen Wahlsieg Trumps im November glaubt – dann wäre nämlich Zeit geblieben, den Plan erstmal vernünftig durchzuarbeiten. Aber jetzt soll alles husch-husch über die Bühne gehen. Ich halte das für einen Fehler, auch wenn es sicherheitspolitische Gründe dafür gibt. Unter einem Präsident Biden geht es dann wieder in die andere Richtung, und nichts ist gewonnen, dafür aber viel verloren.

Inzwischen habe ich von Bibi die Nase so voll, daß ich nicht mal Lust habe, mehr zu diesem Thema zu sagen oder zu lesen. Ich hoffe, es kommt noch was dazwischen.

Ich bin eine miserable Prophetin März 27, 2020, 3:13

Posted by Lila in Land und Leute, Uncategorized.
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Ich hätte eher geglaubt, daß Benny Gantz mit der arabischen Joint List koaliert oder daß jemand im Likud einen Aufstand macht (obwohl das in den letzten Monaten unwahrscheinlich wurde, weil Bibi alle Konkurrenten matt gesetzt hat), als daß er bei Netanyahu unterkriecht. Die letzten Wochen waren extrem unübersichtlich – nachdem wieder mal keine Partei einen echten Sieg feiern konnte (manche es aber trotzdem taten, wohl in dem Wunsch, eine so-gut-wie-Niederlage zu kaschieren), schaffte Gantz sich eine Mehrheit, und zwar durch die Unterstützung der Joint List. Diese Liste ist problematisch, nicht weil es Araber sind (die es in anderen Parteien auch gibt), sondern weil sie aus vier Mini-Parteien besteht, von denen mindestens zwei extreme anti-israelische Ansichten vertreten und keine Absicht haben, irgendwelche echte Verantwortung zu übernehmen.

Aus Knesset-technischen Gründen war Gantz´ Taktik, Bibi aus dem Sessel zu heben, davon abhängig, den geschäftsführenden (also nicht neu gewählten) Sprecher der Knesset auszutauschen und durch ein Blau-Weiß-Mitglied zu ersetzen. Der Sprecher wehrte sich dagegen und trat schließlich nach einem unwürdigen Spektakel ab. Benny Gantz hat diese Rolle jetzt übernommen, nur für kurze Zeit, bis die neue Koalition steht. Dadurch, daß Gantz jetzt auf einmal bereit ist, mit Netanyahu zusammenzuarbeiten (was er sich vor einem Jahr schon hätte überlegen können), hat dieser eine breite Koalition von rechten und ultra-orthodoxen Parteien. Gantz´ Parteienbündnis Blau-Weiß ist damit zerbrochen. Gantz und Ashkenazi gehen mit Bibi, Bogie und Yair Lapid gehen in die Opposition (sie haben beide bereits als Minister unter Bibi gedient und wissen wohl, warum ihnen die Opposition lieber ist).

Eigentlich sollte ich zufrieden sein, denn in der Albtraumsituation mit Corona-Virus, landesweitem Hausarrest und echten Ängsten braucht das Land eine Regierung, die breit aufgestellt ist, nicht bei jeder Abstimmung um ihre Mehrheit bangen muß, und die sich um die unabsehbaren sozialen, wirtschaftlichen und menschlichen Folgen dieser Pandemie kümmert. Es war auch klar, daß Gantz schon mehrmals beinahe klein beigegeben hätte, und daß nur äußerster Druck von Lapid ihn auf der Anti-Bibi-Linie hielt. Sie haben wohl vor dem Zusammenschluß, den ich grundsätzlich begrüßenswert fand, doch nicht bis zu Ende durchdiskutiert, wie weit sie bereit sind, auf Macht zu verzichten, um Bibi nicht zu stützen. Oder Gantz hat Lapid getäuscht. Oder er hat sich in sich selbst getäuscht. Auf jeden Fall enttäuschend.

Hätte Gantz seine Potemkinsche Mehrheit dazu benutzt, Bibi echte Zugeständnisse abzuringen, hätte man noch sagen können, das Wahlergebnis wird doch noch irgendwie anerkannt. Aber Gantz hat versucht, mit allen Tricks, die zwar rechtlich, aber unschön sind, Bibi zu ersetzen, um dann unvermittelt und überraschend doch bei Bibi unterzukriechen. Er kann bis morgen früh beteuern, daß er es wegen des Virus getan hat und dies eine Notstandsregierung ist, aber er hat potentielle Verbündete brüskiert – von Lieberman, der ihn unterstützt hat, bis zur Joint List. Es hat noch niemandem gutgetan, auf Liebermans schwarze Liste zu kommen, wie Bibi bezeugen kann.

Jetzt können Gantz und Ashkenazi mit den Überresten ihrer bis heute Abend starken Partei als Juniorpartner von Bibi mit Posten versorgt werden. Die Kräfteverhältnisse, die Blau-Weiß herausgefordert und in Frage gestellt haben, sind wiederhergestellt. Und wird Bibi tatsächlich den Sessel für Gantz räumen? wie wird Gantz dastehen, wenn Bibis Prozeß anfängt, nachdem er anderthalb Jahre lang beteuert hat, mit einem PM unter Anklage niemals zusammenzuarbeiten?

Wer Gantz gewählt hat, hat das nicht etwa getan, weil Blau-Weiß eine inhaltliche Alternative zu Bibi geboten hätte. In vielen Punkten sind die beiden Parteien fast deckungsgleich. Wer Gantz gewählt hat, hat das getan, um ein weiteres Mal Bibi zu verhindern. In allen drei Wahlen war die Alternative entweder „rak Bibi“ (nur Bibi) oder eben „rak lo Bibi“ (alles nur nicht Bibi). Gantz hat nicht ein einziges Mal gesagt: „unter bestimmten Umständen könnte es natürlich auch nötig sein, mit Bibi zu koalieren, um das Land regierbar zu machen“ oder so. Nein, er hat immer gesagt: alles nur nicht Bibi.

Er hat also, wie Lapid ganz richtig gesagt hat, die Stimmen der rak-lo-Bibi-Wähler genommen und sie Bibi zugeschlagen. Die Wähler werden ihm das vermutlich nicht verzeihen. Lapid selbst hat auch an Glanz verloren, er hat Zugeständnisse an Gantz gemacht, obwohl er schon länger in der Politik Erfahrung hat und eigentlich gern selbst PM-Kandidat geworden wäre. Falls Gantz nicht elend untergeht, ist durchaus möglich, daß die beiden mal gegeneinander antreten werden.

Für uns Mitte-links-Israelis ist wieder eine Hoffnung den Bach runter, Bibi ersetzt zu sehen. Nicht als würde ich Bibis Verdienste nicht anerkennen – ich bin weit davon entfernt, und so eitel auch seine Corona-Auftritte im Fernsehen sind, so vernünftig ist insgesamt die Reaktion der Regierung auf die Bedrohung, auch wenn das von Bibi brutal kurzgehaltene Gesundheitssystem jetzt, wie in anderen Ländern auch, unter der Last zusammenbrechen könnte. Die Maxime, daß sich Medizin rentieren muß, läßt sich nur aufrechterhalten, wenn möglichst viele Leute möglichst gesund sind. Aber Maßnahmen wie Schließung der Grenzen, Beschränkung der Bewegungsfreiheit der Bürger etc waren gut erklärt und wurden auch zum bestmöglichen Zeitpunkt umgesetzt, zumindest aus heutiger Sicht betrachtet (später werden wir das vielleicht anders sehen). Bibi hat Israel aus vielen Konflikten rausgehalten, dem Iran gegenüber nicht schlecht gepokert, hat außenpolitisch viele Erfolge gefeiert. Ja, er hat Israels Flagge so fest an Trumps Mast genagelt, daß wir es noch bereuen werden (falls wir es nicht schon bereuen), er hat sich auch mit problematischen Herrschern eingelassen, und er hat Israel gefährlich abhängig von China gemacht – zB der Hafen in Haifa, direkt neben dem Hafen der Marine, erbaut und geleitet von Chinesen. Also ein gemischtes Resumee, besonders innenpolitisch eher negativ.

Ich sage immer: Bibi ist sehr gut in den Angelegenheiten, die ihn interessieren. Er ist ein sehr guter Wahlkämpfer und Redner, der sich im Scheinwerferlicht sonnt. Er ist gut in außenpolitischen Manövern und spektakulären Aktionen, mit denen Israel sein Überleben sichern muß. Dinge, die ihn nicht interessieren, wie Landwirtschaft, Gesundheit, Erziehung, Kultur, Tourismus etc werden vernachlässigt. Als Ressorts werden sie Politikern zugeworfen wie Fleischbrocken ins Krokodilgehege, egal, wer es aufschnappt. Auf Kritik reagiert er allergisch und emotional – man sieht ihn überhaupt nur emotional, wenn es um ihn selbst geht. Aber er ist ohne Zweifel der überragende israelische Politiker seiner Generation. Ich anerkenne das alles.

Wie wasserdicht die Anklagen gegen ihn sind, wird sich noch herausstellen, darum sage ich dazu nichts – bis seine Schuld bewiesen ist, hat auch er das Recht auf die Unschuldsvermutung. Viele der Vorwürfe gegen ihn, die nicht justiziabel sind, sind aber so peinlich, daß es für mich schon fast mehr keinen Unterschied macht, was beim Prozeß rauskommen wird – die fordernde Haltung den Millionärsfreunden gegenüber, die Sara eine Kette schenken, nur um zu hören, daß zu dem Set aber noch Armband und Ohrringe gehören. Bibi ist reich genug, um seiner Frau selbst Schmuck zu schenken. Bei solchen Geschichten erröte ich beim Lesen. Mit diesen Kleinlichkeiten im Hinterkopf kann ich Bibi nicht als großen Politiker sehen, denn dazu würde auch menschliche Größe gehören. Gantz weiß das alles.

Wir kennen Bibi mit seinen Vor- und Nachteilen, aber Gantz kennen wir nicht. Er war nicht schlecht als Ramatkal, alles wissen wir sowieso nicht, aber was er wirklich denkt und glaubt, wissen wir nicht. Das israelische Wahlvolk hat ihm dreimal enormes Vertrauen geschenkt. Er hat die Stimmen eingesammelt, die zu Herzogs Zeiten bei der Arbeiterpartei eingingen (wie die sich selbst systematisch ruiniert hat, steht auf einem anderen Blatt). Er hat das Mandat bekommen, Bibi abzulösen. Aber nicht, Bibis Ranzen zu tragen. Er wird dafür zahlen, ich weiß nicht, ob ihm das ganz klar ist.

Ich zweifle auch an seiner Intelligenz, denn selbst ein harmloser Mensch wie ich ist imstande, bei Bibi ein Muster festzustellen. Er lächelt am breitesten, wenn er dabei ist, jemanden zu demontieren. Alle Politiker, die sich von Bibi haben umarmen lassen, waren danach irgendwann beschädigt, entmachtet, blamiert, ausmanövriert oder einfach weg. Konkurrenten in seiner eigenen Partei hat er mit herzlichen Worten kaltgestellt, Bedrohungen aus anderen Parteien in seine Regierung genommen und dort scheitern lassen. Außer Bibi gibt es nur noch einen Mann in der israelischen Politik, der ähnlich giftig auf seine Bundesgenossen wirkt – Bibis Spiegelbild, Ehud Barak. Wer sich von Barak umarmen ließ, konnte gleich entscheiden, welchen VHS-Kurs er nach dem baldigen Ende der politischen Karriere belegen sollte.

Ich glaube nicht, daß Gantz überleben wird, wo Zipi Livni untergegangen ist. Auch Lapids Karriere hat einen Bibi-förmigen Knick. Nicht als ob Bibi nicht auch Schäden genommen hätte – er hat keinen überragenden Sieg mehr erringen können, aus vielen Gründen, aber u.a. auch, weil sich frühere Weggenossen von ihm abwandten und Stimmen mitnahmen.

Es ist ein Elend. Eine große Koalition zweier gleichberechtigter Partner hätte man noch irgendwie hinnehmen können. Aber ein Gantz, der unter einer ganzen Reihe von Koalitionsparteien auch mal Bibis Tasche halten darf, ist wirklich eine absolute Ohrfeige für seine Wähler. Ich war nie ein großer Lapid-Fan, obwohl ich die Regierung, an der damals beteiligt war, mochte – er hat exzellente Leute mitgebracht, und einen besseren Bildungsminister als Shai Piron hatten wir seitdem nicht mehr. Aber Lapid weiß, wie es sich anfühlt, von Bibi ausgetrickst zu werden – der hat ihm damals das Finanziministerium aufs Auge gedrückt. Das Angebot konnte Laipd nach einem „wo ist das Geld, Bibi?“-Wahlkampf nicht ausschlagen, aber er machte keine gute Figur – als Außenminister hätte er wohl deutlich mehr Punkte sammeln können, aber daran hatte Bibi kein Interesse. Doch Lapids Rede heute war gut, und ich mußte ihm leider Punkt um Punkt zustimmen.

Jetzt ist also Gantz dran. Entweder er wird Verteidigungsminister, wofür er qualifiziert ist, aber dann wird er wieder in die alte Rolle rutschen, die er als Ramatkal innehatte (Generalstabschef), nämlich Bibis Idee umzusetzen. Es wird ihm schwerfallen, dort Profil zu entwickeln (wie ihm Lieberman und Bogie Yaalon bestimmt erzählt haben, die haben es beide hinter sich).

Es ist auch möglich, daß Bibi ihn zum Außenminister macht. Ich weiß nicht, wie gut sein Englisch ist, aber seinen hebräischen Reden nach zu urteilen, brilliert nicht gerade mit Beredsamkeit (was in meinen Augen kein Nachteil ist). Bibi macht seine Außenpolitik am liebsten selbst.

Egal was Gantz von Bibis Gnaden nun wird, ich glaube nicht, daß er gedeihen wird.

Immerhin, wir haben eine Regierung, und das ist eine Erleichterung. Aber auf dem Weg dahin sind so viele Wortbrüche und Tricksereien begangen worden, daß ich mich nicht freuen kann.

(Über den Vermittler, der wohl die ganze Zeit Draht sowohl zu Bibi als auch Gantz hatte, in der JPost)

Schnell verändert März 21, 2020, 9:28

Posted by Lila in Persönliches, Uncategorized.
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hat sich die Welt für uns alle.

Ich habe im Laufe der Jahre hier in Israel viele, zu viele Krisen hinter mich gebracht. Bedrohungen und Beschuß, Terror und Krieg, und die schlimmsten Momente waren für mich persönlich die, die mit Söhnen und Armee zu tun hatten – lieber nicht daran denken. Aber es war immer so: ich erlebe einen Ausnahmezustand, richte mich auf Raketen aus dem Libanon ein oder Bombengürtel im Supermarkt oder Messer zwischen den Rippen in Jerusalem – und meine deutsche Familie, mein Freundeskreis, meine deutschsprachigen Leser leben in einer Welt der Gewißheiten und Sicherheiten. Auch einzelne Anschläge, die es ja gegeben hat, konnten das Grundgefühl nicht erschüttern. Sicherheitsstreben, Wohlstand, Autonomie, Bildung und gesicherte Zukunft für die Kinder, das waren die Säulen, auf denen das Leben aller ruhte. Die Welten berührten sich höchstens mal, wenn wir vor einem Besuch gemeinsam überlegten, ob man im Moment nach Israel kommen kann – oder doch lieber nicht.

Und auf einmal sind wir alle in einer Krise zusammen. Und zwar global. Die Bilder aus Madrid sind sofort verständlich, die ganze Welt durchläuft mit zeitlichem Abstand dieselben Phasen, und wir finden uns in einer Art Hausarrest, bevor wir es überhaupt verstanden haben. Heute vor einer Woche habe ich meinen letzten Vortrag gehalten, Teil I einer auf drei Teile angepeilten Reihe über Impressionismus und Post-Impressionismus, und habe mich wie immer von meinem Publikum (lauter Kibbuzniks) verabschiedet: und in der nächsten Woche, wenn wir uns wiedersehen, sehen wir uns das genauer an. Seitdem haben alle Einrichtungen, bei denen ich arbeite, abgesagt und zugemacht. (Da ich Freelancerin bin und nicht mehr fest bei einer Einrichtung angestellt bin, bricht damit für mich auch mein Einkommen weg, und staatliche Hilfe gibt es für Leute wie mich nicht.)

Für mich persönlich ist das nicht schlimm – ich bin gern zuhause und benutze die Zeit, lang aufgeschobene Projekte in Angriff zu nehmen (und mit lang aufgeschoben meine ich – seit wir im Juli 2016 hier eingezogen sind!). Ich habe keine kleinen Kinder im Haus, die bespaßt werden müssen – nur meine Quarta, die seit gestern auch zuhause ist, weil vorgestern das Restaurant, in dem sie mit viel Fleiß und Spaß gearbeitet hat, zugemacht hat. (Sie hat schon eine neue Arbeit in Aussicht, sie ist ungemein tüchtig.) Und Quarta mal ein bißchen zu verhätscheln, das mache ich gern. Sie und ihre Freunde treffen sich nach wie vor regelmäßig bei uns auf dem Balkon, mir paßt das gut. Sie halten schön Abstand und sind überhaupt sehr nett.

Wir haben auch das große Glück, daß der gute Hausvater bei einer Firma arbeitet, die Alco-Gel, desinfizierende Tücher und ähnlich wichtige Dinge herstellt. Egal was zugemacht wird – seine Firma wird weiter arbeiten, und das ist eine große Erleichterung.

Wir alle teilen unsere Sorge – die alternden Familienmitglieder, die geliebten Menschen mit Vorerkrankung, die Familien und Menschen, die wir kennen und nicht kennen. Ich weiß nicht, was bei anderen Menschen im Whatsapp los ist, aber bei mir erweist sich Whatsapp als nützliches Medium, um in Kontakt zu bleiben, und zwar in erster Linie mit Freunden Familie.

Ich weiß ebensowenig wie der Rest der Welt, wie lange es dauern wird, bis die Corona-Kurve abflacht, bis wirksame Medikamente oder gar eine Impfung verfügbar sind, und wann die Welt wieder „normal“ wird. Im Moment ist das gar nicht vorstellbar, obwohl es schnell gehen wird und wir irgendwann zwischen peinlich berührt und nostalgisch auf diese Monate Anfang 2020 zurückblicken werden. Vielleicht wird mal irgendwann jemand fragen, „sag mal, Oma, wie war das eigentlich damals, habt ihr wirklich Angst gehabt?“, und ich werde sagen, „ma pitom, wie kommst du darauf? Es war nur merkwürdig, und Venedig war menschenleer, und nur Menschen, die Corona schon hinter sich hatten, fuhren hin, und alle haben sie beneidet“.

Doch ich hoffe, daß wir aus diesem Moment globaler Sorge mehr übrigbleibt als Scherze, was die Leute nun mit dem gehorteten Klopapier anfangen sollten – das wird im Laufe der Zeit schon seiner Bestimmung zugeführt werden. In dieser Krise sehen wir unsere Spezies in ihrer Schwäche (Menschen, die sich um Klopapier raufen und Einkaufswagen voll Nudeln und Konservendosen nach Hause schleppen) und ihrer Stärke (wie sie auf den Balkons stehen und symbolisch den sonst übersehenen Rettungs-, Pflege- und medizinischen Arbeitskräften applaudieren – obwohl sie das vielleicht auch wieder vergessen werden, wenn die mal mehr Geld fordern werden?).

 

Ein paar Tage später

Inzwischen sind wir alle zu Experten geworden, lesen Artikel und hören Virologen zu. Fake news aller Arten kreisen, Verschwörungstheoretiker bauen die wildesten Theorien, und ich bin bestimmt nicht die einzige, die jetzt mit dem Vergrößerungsglas durchs Haus geht und das Treibgut jahrzehntelangen Familienlebens sichtet – wobei die Mülltonnen sich recht schnell füllen.

Noch fühlt die Bedrohung sich eher abstrakt an, obwohl es schon mehrere Bekannte gibt, die erkrankt sind, nicht schwer, Gott sei Dank.

Ich kann mich schlecht vom Radio losreißen, höre meist im Hintergrund was. Vorträge und Unterrichtsreihen sind bis Ende 2012 zumindest in Rohform vorbereitet, so richtig zum Schreiben komme ich nicht, ich hole mir die mangelnde Bewegung im Haus, und wenn der Regen nicht wiederkommt, auch im Garten.

Quarta hat angefangen, bei Y. in der Firma zu arbeiten, die brauchen im Moment neue Kräfte. Morgens ziehen die beiden zusammen los, nach einem sehr frühen kleinen Frühstück noch in der Dunkelheit. Wann haben wir das letzte Mal unter der Woche gemeinsam gefrühstückt? Ich verwöhne die beiden so gut ich kann, dahinter steht auch Angst. Quarta arbeitet mit Mundschutz, doch mein Mann natürlich nicht. Er sorgt nur dafür, daß alle anderen einen Mundschutz tragen.

Ich denke an die Familien mit kleinen Kindern, an Selbständige, die keinen Partner mit festem Einkommen haben, und an die Kranken und ihre Angehörigen… ein Mensch, der in dieser Situation nicht fühlt, wie ähnlich wir uns unter allen kulturellen Schichten sind, wie wir einer für den anderen Verantwortung übernehmen müssen, nun, der wird es nie kapieren.

Entschuldigt, ich habe einfach im Laufe der letzten zehn Tage hier reingeschrieben, was mir durch den Kopf ging (habe auch viel bei Twitter gelassen).

Da ich nun seit 2 Wochen nicht mehr vorm Haus war und demzufolge auch nicht geschminkt, freuen sich wenigstens meine Wimpern über diese Pause im normalen Leben.

Spuren Februar 7, 2020, 19:57

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Ich höre gerade eine Sendung, die ich sehr schätze, „Kulturagent“. Heute interviewt Kobi Meidan den Musiker Ilan Virtzberg.

Er spricht ihn auf das große Trauma seines Lebens an. Als Virtzberg 17 Jahre alt war, nahm sein Vater sich das Leben. Die ganze Familie war zuhause, als der Vater sich erschoß. Virtzberg erzählt, daß das große Trauma im Leben seines Vaters sich beim Todesmarsch von Auschwitz aus ereignete. Damals war der Vater ein Junge, und er mußte weitergehen, auch nachdem sein Vater neben ihm erschossen wurde. Er ist gewissermaßen weitergegangen, die ganzen Jahre, hat eine Familie gegründet, gearbeitet, bis er nicht mehr konnte und nicht mehr weiterleben konnte.

Der Großvater in Auschwitz ermordet – der Vater ein Überlebender, der letztendlich nicht überleben konnte – der Sohn ein Künstler, der mit diesem vererbten Trauma weiterlebt. Ich weiß nicht, ob er Kinder hat, aber wenn, dann leben auch sie mit den Wunden und Narben weiter.

 

Der Kommentar meines Mannes zum Trump-Vorschlag Januar 30, 2020, 18:54

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„Trump hat Bibi in eine Lage gebracht, die Bibi eigentlich nicht paßt. Bibi ist zwar groß im Deklarieren und Ankündigen, aber eigentlich tut er lieber nichts und wartet ab, wie sich die Dinge entwickeln. Er ist eher ein Zögerer als ein Beweger. Jetzt steht er aber unter Druck, weil Trump ihn den Plan mit einigen Bonbons schon im Voraus angenehm gemacht hat – rein symbolische Akte wie der Umzug der Botschaft und die Erklärung zu den Golanhöhen. Bibi kann also nicht einfach sagen: ein Staat Palästina – nicht während meiner Regierungszeit, auch wenn er es vielleicht gern würde.

Israel hat eigentlich kein wirkliches Interesse an einer Annektion von Gebieten, in denen wir sowieso die Sicherheit unter Kontrolle haben. Warum die Lage aufrühren? Auch Bibi hat daran eigentlich kein Interesse, aber die Parteien rechts von ihm fordern es.

Auch der Gebietstausch mit den Palästinensern würde Israel schwerfallen. Auf der Trump-Karte sollen Gebiete im Westnegev abgetreten werden, und das Wadi-Ara-Dreieck, im Austausch gegen Siedlungsgebiete im Shomron. Und jüdische Orte, die dann von Palästina umgeben sind? Lauter problematische Punkte, die Bibi nicht begrüßen kann, auch wenn er Trump über den Klee lobt.

Der Plan ist mehr lose-lose als win-win. Es kann sein, daß ich mich in Trump täusche, aber er hat in diesem Plan genügend „Honigfallen“ verborgen, für beide Seiten,  damit sich beide Seiten eigentlich zu Verhandlungen an den Tisch setzen müssen. Mein Eindruck ist, daß er mit diesen Lockversprechen Bewegung in die Sache bringen will. Bibi könnte es zwar als positiv darstellen und tut das schon, aber er möchte nicht in die Geschichtsbücher eingehen als der PM, der der Schaffung eines palästinensischen Staats zustimmt.

Die Palästinenser haben viel zu schnell reagiert, und das war ein Fehler. Sie hätten sagen sollen: danke für den Vorschlag, wir studieren jetzt erstmal den Plan und melden uns mit unseren Anmerkungen in vier Wochen. Sie haben Trump vor den Kopf gestoßen, und wenn er wiedergewählt wird, werden sie das noch bereuen. Er hat ihnen die Gelegenheit geboten, noch einmal einen Vorschlag abzulehnen, der viele Vorteile für sie hat. Abu Dis z.B. ist ihnen noch nicht angeboten, und Israel ist auch nicht begeistert davon. Sie haben sich weiter in ihrer Rolle als ewige Nein-Sager verschanzt, womit vorgezeichnet ist, daß in Zukunft entweder für sie unvorteilhaftere Pläne kommen, oder gar keine mehr. Und dann sitzen sie da mit ihrem Nein und ihrem Widerstand, aber einen Staat haben sie immer noch nicht.

Trump hat Abbas eingeladenund wollte, daß er am Plan mitarbeitet. Sogar das hat er abgelehnt. Er hat sein NEIN zu allen Vorschlägen Trumps schon heraustrompetet, als es den Plan noch gar nicht gab.

Nachdem die Palästinenser so oft die Möglichkeiten ausgeschlagen haben, einen Staat zu bekommen, gelangt der Rest der Welt vielleicht irgendwann zu dem Schluß, daß sie ihn anscheinend doch nicht sooo dringend brauchen? Sie haben schon die Unterstützung der arabischen Welt verloren, und obwohl die Europäer bestimmt die Letzten sein werden, die noch auf der Straße stehen und rufen: Palestine will be free from the river to the sea!, werden sie es vielleicht irgendwann auch satt haben und sich anderen Themen zuwenden. Schließlich geht es den Palästinensern ja nicht soo schlecht, zumindest im Vergleich mit anderen arabischen Staaten. Und es gibt so viele Probleme auf der Welt.

Trump hat diese Runde gewonnen. Er hat von allen vorherigen Vorschlägen Ideen übernommen und sowohl Bibi als auch Abbas in eine Situation gebracht, in der sie Farbe bekennen müssen. Verläuft die Sache im Sande, dann ist das auch nicht anders als bei den Vorschlägen von Clinton und Obama, Olmert oder dem Mifkad. Klappt es aber, könnte er den Friedensnobelpreis bekommen. Der ist schon für weniger vergeben worden.

Bibi lobt den Plan und tut so, als wäre er sein eigenes Traumszenario, denkt aber bestimmt schon darüber nach, wie er die Umsetzung verzögern kann. Abbas macht ihm das sehr leicht mit seiner kompletten Verweigerung. Bibi kann nun einfach sagen: also wir würden ja gerne, aber allein kann man nun mal nicht Frieden schließen… wie schade.

Mir fällt dazu ein Sprichwort ein. „Die Hunde bellen, doch die Karawane zieht weiter“. Trump hat gewisssermaßen gesagt: hier zieht eine Karawane, schließt euch an, wenn ihr wollt! Doch die Palästinenser bellen die Karawane an, die zieht weiter., und aus der Ferne hört man noch das Bellen. “

 

Also sprach mein Mann. Und es ist schade, daß er nicht mal vom deutschen Fernsehen interviewt wird. Finde ich jedenfalls.

 

Stürmische Tage Januar 10, 2020, 0:32

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Die letzten Tage waren von der Sorte, die man im Rückblick nie auseinandersortiert kriegt. So eine Art Zeitsuppe, in der alles so zusammenkocht, das man es nicht auseinanderklamüsern kann.

Nach der Tötung Soleimanis – das Warten auf eine Reaktion. In ihren Drohungen erwähnen die Mullahs natürlich immer wieder Israel. Im Falle einer Eskalation sind wir dran, meinen sie. Logisch. Das sagen sie seit 1979, und daß der Angriff nicht schon längst gekommen ist, liegt nur daran, daß die Atomwaffen noch nicht fertig sind. In der Zwischenzeit behelfen sich die Iraner mit Unterstützung von Terrororganisationen wie Hamas und Hisbollah, die im Laufe der Jahre Israel immer wieder angegriffen haben. Doch alle wissen, daß Das Große Ding nur eine Frage der Zeit ist, und um noch eine Küchenmetapher zu bemühen – dieses Bewußtsein simmert meist so vor sich hin, und von Zeit zu Zeit kocht es richtig hoch und man starrt gebannt drauf – wird die Situation überkochen?

Während wir auf den nächsten Schachzug der Iraner warteten, die am Zuge waren, kündigte sich hier ein Riesen-Unwetter an. Meine Befürchtungen, der israelische Winter könnte sich in der Woche, die ich nicht hier war, erledigt haben, waren unbegründet. Alle bereiteten sich auf die Regenmassen vor – aber wenn es richtig schüttet, ist praktisch nichts zu machen. In den Städten bricht die Kanalisation zusammen, denn sie ist auf Jahrhundert-Unwetter nicht vorbereitet, besonders in älteren Stadtteilen nicht. Auf dem Land fließt das Wasser eher ab, aber da es hier vielfach nur eine knappe, magere Erdkrume über Fels gibt, sickert nicht viel weg, und die Wassermassen können nicht schnell genug abfließen.

Dieser Jahrhundertsturm kam in mehreren Wellen. Die erste Welle erreichte Tel Aviv, wo jeden Winter in den ärmeren Vierteln im Süden der Stadt Landunter herrscht. Das ganze Land verfolgte mit Entsetzen, wie ein junges Paar im Aufzug steckenblieb. Sie wollten nach ihrem Auto sehen. Doch das Wasser stieg so schnell, die Rettungskräfte kamen so spät, daß beide im Aufzug ertranken, während die Nachbarn verzweifelt versuchten, sie zu befreien. Dank Whatsapp erlebt man sowas heutzutage fast zeitgleich mit, weiß aber nicht, was man glauben kann und was nicht. Aber diese Geschichte ist passiert, und die Anteilnahme war groß.

Die Iraner schickten Katyushas, nur um ein bißchen grimmig zu wirken, und schossen Raketen auf zwei amerikanische Stützpunkte im Irak. Kurz darauf stürzte eine ukrainische Passagiermaschine ab, und ich saß schlaflos vor dem Laptop, wollte arbeiten und guckte statt dessen Videos dieses Absturzes an. Daß die Maschine schon in der Luft brannte, kam mir gleich komisch vor – inzwischen gehen auch die Kanadier davon aus, daß es eine Abwehrrakete der Iraner gewesen sein muß, die die Maschine traf. Statt einer Erklärung und Bitte um Entschuldigung vertuschen und lügen die Iraner auf Teufel komm raus, was die Angehörigen wahnsinnig machen muß.

Während sich all diese Dinge ereignen, regnet es ununterbrochen. Vor unserem Haus bilden sich reißende Sturzbäche, der Garten steht im Wasser und aus den Gullys sprudelt das Wasser nur so. Naharyia wird überschwemmt, wie jedes Jahr. Es ist nämlich so, daß die Hauptstraße Nahariyas, der Gaaton, um ein kleines Bächlein herumgebaut ist, das friedlich in der Mitte fließt und im Sommer meist ganz ausgetrocknet ist.

Wo der Gaaton zu Ende ist (die Straße heißt nach dem Fluß), da ist das Meer – und wenn der Gaaton zu viel Zufluß aus den Bergen und Wadis kriegt, kann er nicht abfließen, staut sich, und die Hauptstraße wird überschwemmt. Jeden Winter schimpfen die Einwohner darüber, daß noch niemand eine Lösung dafür gefunden hat.

Dann geht das Wasser zurück, ich gehe normal zur Arbeit, und schon als ich mit dem Bus aus Nahariya zurückkomme, geht der Regen wieder los.

Was sich dann in unserem verschlafenen Städtchen ereignet, ist beispiellos. Nicht nur der Gaaton steht unter Wasser, sondern die ganze Stadt. Trotz aller Warnungen fahren Menschen mit ihren Autos rein oder versuchen, zu Fuß die Straßen zu überqueren. Unsere Moshav-Whatsappgruppe läuft heiß. Die Gerüchte laufen um – eine Familie ertrunken, nein, ein Baby ertrunken, nein, ein Schulkind mitgerissen. Schließlich kommt es in den Nachrichten – ein Mann, der eine Familie in einem Auto in Not sah, kam ihnen zu Hilfe, und wurde selbst mitgeschwemmt. Er konnte nur tot geborgen werden. Die Familie hat überlebt. Er wurde heute beerdigt.

Sechs Tote – sechs Menschen, die dieser Sturm insgesamt das Leben gekostet hat.

Während es immer weiter regnete, waren wir in unserem Moshav von aller Welt abgeschnitten. Es gibt nur eine Zugangsstraße, und die war überschwemmt. Der kleine Feldweg in Richtung Miliya war auch schwer zu befahren, wie Y. es nach Hause geschafft hat, verstehe ich selbst nicht. Er hat drei Stunden dafür gebraucht, und alle Kenntnis der Schleichwege, die er im Laufe seines Lebens gesammelt hat. Quarta konnte nicht zur Arbeit, ich konnte Gott sei Dank zuhause arbeiten, konnte mich aber nicht konzentrieren. Statt dessen habe ich, wie immer, wenn es politisch wieder brenzlig wird, Projekte im Haus vorgenommen.

Es waren komplett irreale Tage. Sonst, wenn die Rhetorik aus Teheran bedrohlich klingt und Trump Aktionen plant, die wer weiß was auslösen können, sind hier die Nerven gespannt und alle reden nur davon. Und wenn nicht davon, dann von den politischen Molekularbewegungen vor den Wahlen und Bibis Kämpfen mit der Justiz. Doch diesmal sprachen alle nur vom Wetter. Kann man nach Regba fahren? Habt ihr gesehen, wie die Armee die Schulkinder mit LKWs nach Hause gebracht hat? Wißt ihr, daß das Einkaufszentrum zu ist, weil das Parkdeck überschwemmt ist und der Strom ausgefallen? Welche Läden sind betroffen? Wie geht es meinem Friseur, der netten Verkäuferin aus der Boutique für religiöse Frauen, mit der ich immer plaudere, wenn ich dort lange Röcke kaufe, und wie dem Mann mit der Kippa, bei dem ich immer meine Wolle kaufe?

Heute abend, während alle Welt über die iranischen Versuche, den Flugzeugabschuß zu vertuschen, sprach, waren in unseren Nachrichten, in diesem nachrichtenkranken Land!, die ersten 15 Minuten nur Wetter. Der See Genezareth ist um 23 cm gestiegen!

Ganz Israel verfolgt ja den Pegelstand des See Genezareth, und insgesamt respektieren sie Wasser sehr und lieben es. Ich habe ja schon öfter erzählt, wie mein Mann auf einer Reise den Mekong bestaunte. Er traf dort andere Israelis, die genau wie er den ganzen Tag nur das Wasser anstarrten und murmelten: so viel Wasser, soo viel Wasser. Mein Mann gerät bei jedem kleinen Bach in Deutschland, der auch im Sommer fließt, vor Freude außer sich.

Es mischten sich also Schrecken über die Unglücksfälle mit Sorge um die Überschwemmten und die Geschädigten mit absoluter Euphorie, einmal im Leben SO VIEL WASSER im Land zu sehen.

Und der Schnee auf dem Berg Hermon wird irgendwann auch in den See Genezareth fließen.

Ich hoffe, daß die nächsten Tage ruhiger sind, daß ich meinen Stapel halb oder schlecht erledigter Arbeit abtragen kann, und daß die Iraner … nein, das kann ich nicht mal hoffen. Sie werden ihre Rache nehmen, weil ja ihre kostbare „Ehre“ in Frage gestellt wurde. Lügen ist nicht gegen ihre Ehre, Unschuldige ermorden ebenfalls nicht (mehr darüber hier), aber blamiert zu werden! Und so wird es weitergehen.

Zurück Dezember 28, 2019, 23:06

Posted by Lila in Persönliches, Uncategorized.
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Wieder dieses Zwischendrin-Gefühl. Ich habe zwar während meiner Woche Urlaub verfolgt, was sich in Israel ereignet, aber es dringt, wenn ich hier bin, alles ganz anders zu mir vor. Schon im Flugzeug, als ich die Israelis um mich herum über Bibi diskutieren hörte, und welche Chancen er im März hat, und wie sie das finden, kam das Gefühl langsam zurück, Israel und alles was dranhängt.

Im Flugzeug saß ich mitten in einer Gruppe junger Aktivisten, die zu einem Treffen mit Palästinensern kamen. Ein älteres israelisches Ehepaar erzählte ihnen lautstark und naiv in gebrochenem Englisch, wie toll sie es in Tel Aviv finden werden und wie warmherzig die Israelis doch sind („itz will be nice for you!“), was die jungen Männer nicht interessierte. Ich saß dazwischen, verstand beide Seiten (sprachlich), hätte sie am liebsten alle für die Dauer des Flugs auf leise gestellt.

In Deutschland fiel mir auf, daß deutlich weniger geschmückt war als noch im Jahr zuvor – ob aus Klimaschutzgründen oder warum sonst so wenig Schwibbögen und Hausbeleuchtungen waren, weiß ich nicht. Daß die elenden Santa-Claus-Kletterpuppen inzwischen wohl ausgestorben sind, kann niemand bedauern.

Während wir weg waren, fand hier der israelische Winter statt. Tertia meint, es hat jeden Tag in Strömen geregnet („das hätte dir gefallen, Mama“). Sie hat Haus und Katzen gehütetet, und vom großen Wohnzimmerfenster aus beobachtet, wie sich über Haifa und Akko große Gewitter entluden („das wäre was für dich gewesen, Mama“). Jetzt kann ich nur hoffen, daß es bis Ende März weiterregnet, wir brauchen das Wasser, und bisher war nicht viel mit Regen.  Bei jedem Deutschlandbesuch staune ich über Ellbach, Rur und Inde. So viel Wasser, das einfach durchs Land fließt, so viele Bäche und Flüsse, die auch im Sommer Wasser führen. Das ist nicht selbstverständlich.

Der Pegel des Sees Genezareth und Bibis Zukunft – die israelischen Obsessionen haben mich wieder, und bald ist 2019 vorbei. Das Jahr war freundlich zu mir und uns, ich lasse es nicht gern ziehen.

 

Redewendungen mit Tieren Dezember 15, 2019, 13:30

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Eine davon habe ich gerade verwendet, darum schreibe ich sie hier mal hin 🙂

Wenn jemand ein leicht eskalationsfähiges Thema anschneidet, die Büchse der Pandora oder eine Büchse Würmer aufmacht, dann nennt man das auf Hebräisch „die Bären aus dem Wald holen“ (le-hozie et ha-dubim min-ha-yaar – dov ist Bär, dubim die Mehrzahl: Bären, yaar heißt Wald und die Vorsible ha– ist das Prädikat, wie the). Wer die Bären aus dem Wald holt, kriegt Ärger, den er nie gehabt hätte, wenn er sie in Ruhe gelassen hätte.

Dov ist übrigens auch ein beliebter traditioneller Vorname, gern abgekürzt in Dubi. Dubi ist auch ein Teddybär. Dov koala, dov grizzly, dov nemalim (Ameisenbär), alles wie im Deutschen.

Da das Kinderwort für Popel (gibt es dafür überhaupt ein Erwachsenenwort?) ebenfalls dubi ist, kann man die Redewendung auch abwandeln und sagen: er holt die dubim aus der Nase.

Wenn man unterstreichen möchte, daß an einer Geschichte nun rein gar nichts dran ist, sagt man: lo dubim ve lo yaar – weder Bären noch Wald. Sprich, wenn es weder Bären noch Wald gibt, dann kann man auch diese nicht aus jenem holen.

 

Netanyahu hat mit seiner inzwischen vielzitierten Formel zu den Vorwürfen gegen ihn die Bären in Ruhe gelassen und statt dessen griffig gesagt: „da wird nichts draus, weil nichts ist“ – lo yehihe klum ki eyn klum.  Klum heißt nichts. Lo heißt nein und nichts.

(Hier kann man bei Minute 7 hören, wie Bibi nur die ersten Worte sagen muß, und das Publikum den Rest hinterherbrüllt. Bibis Neuschöpfung, mit der er jetzt jede Kritik als Nichts abschmettern kann).

Eine ähnliche Redewendung, die zweimal das lo wiederholt, ist lo haya ve-lo nivra, das war nicht und existiert nicht (wurde nicht erschaffen). Das sagt man, wenn man etwas abstreitet, und kann dann noch hinterherschieben: sheker ve-kasav (weiches s), Lüge und Märchen. Das Hebräische mag solche emphatischen Verdoppelungen, scheint mir! Busha ve-cherpa, Schimpf und Schande!  Noch so ein Doppel-Idiom.

 

Eine nicht-tierische Redewendung, wenn jemand eine überflüssige Frage stellt und sich damit Ärger einhandelt, nennt man auch she´elat kitbag. She´ela ist die Frage, und kitbag die große, wurstförmige, enorm schwere Tasche, die Soldaten mit sich rumschleppen.

Neue Rekruten bekommen ihre Ausrüstug, darunter auch kitbagim

Die Redewendung stammt natürlich aus der Armee. Ein mythologischer Rekrut stellt dem Offizier, der gerade alle zum 30-km-Marsch beordert hat, die unschuldige Frage: „mit oder ohne kitbag?“ Daraufhin heißt es natürlich: „MIT!“ Hätte der Rekrut den Mund gehalten, wäre dem Offizier gar nicht die Idee gekommen, die kitbags mitschleppen zu lassen. Also lieber rosh katan (kleiner Kopf, war neulich dran 😉 )  und nicht extra nachfragen.

 

 

Ist euch was aufgefallen? Dezember 14, 2019, 10:42

Posted by Lila in Presseschau, Uncategorized.
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Na? Nein, ist euch nicht aufgefallen? Meine Lebensqualität hat sich entschieden verbessert, seit ich den Spiegel Online konsequent meide. Seit dieser Geschichte über die Juden, die sie als Fremde castete, habe ich das Ding kein einziges Mal aufgerufen, sogar nicht, als die mich neulich mal nebenbei erwähnt haben (und für kurze Zeit mein ruhiges kleines Blögchen ganz hohe Zugriffszahlen hatte) (was mir früher Beklemmungen verursacht hat, aber durch das Stahlbad Twitter bin ich so abgehärtet, daß mich das heutzutage nicht mehr stört).

Aber worüber ärgere ich mich statt dessen? Wie man einen Wackelzahn immer stupst, so brauche ich wohl meinen täglichen Ärger über Nahost-Berichterstattung in deutschen Medien. Dann weiß ich wieder, woher die Meinungen kommen, die ich mir bei jedem Deutschlandbesuch anhören muß, und die so felsenfest sind, weil sie nur auf Teilwissen beruhen. Nichts, was das Weltbild erschüttern könnte, wird berichtet. Und es herrscht kein Mangel an Medien, die mir zeigen, wie konsequent alles, was Israels Entscheidungen, Mentalität und Handlungen verständlich erscheinen ließe, ausgeblendet wird.

Wenn es um Juden geht, ist es nicht besser. Ich würde inzwischen allen internationalen Definitionen des Antisemitismus (oder anti-jüdischen Ressentiments, ich gehe eigentlich außerhalb von Twitter sehr vorsichtig mit dem Wort um, weil es ein sehr, sehr schwerwiegender Vorwurf ist) ein Kriterium hinzufügen, nämlich: wer Antisemitismus nur in Keulenform kennt, der ist Antisemit. Genauer: wer den Vorwurf des Antisemitismus für schwerwiegender hält als Antisemitismus selbst, ja wer außerstande ist, Antisemitismus zu erkennen, außer als ungerechtfertigten Vorwurf, der hat einen blinden Fleck. Und dieser blinde Fleck ist antisemitismusförmig.

Ein Beispiel.

Ich habe leider meine Übersetzung von Sara Gibbs´ verzweifelter Anklage gegen Labour nicht vor den Wahlen fertiggekriegt – bin im zweiten Drittel, aber noch ist der Artikel nur auf Englisch verfügbar. Gibbs schickt Definitionen und Erklärungen voraus, aber im letzten Drittel kommen die Beispiele für offenen Antisemitismus in der Labour – die Geschichte von Luciana Berger, und Corbyns unglaublich kaltschnäuzige Reaktion darauf. Gibbs gibt ein Beispiel nach dem anderen, alle belegt, alle leicht zu finden.

Unsere Freunde von Hamas und Hisbollah:

Die zynische Behauptung, für den „Friedensprozeß“ sei es notwendig, mit Terroristen zu sprechen, ist unglaubwürdig – Hamas und Hisbollah wollen keinen Frieden, sprechen nicht von Frieden und sind nicht daran interessiert. Corbyn sympathisiert mit ihnen und ihren Verbündeten. Ihr Zielt ist nicht, Frieden mit Israel zu haben, sondern Israel zu vernichten. Und selbst wenn man meint, man sollte mit ihnen reden, dann braucht man sie immer noch nicht „Freunde“ zu nennen.

Auch einen verurteilten Mörder und Terroristen wie Barghouti zu unterstützen geht über „Engagement für den Frieden“ hinaus. Corbyn stellt ihn als unschuldiges Opfer israelischer Brutalität dar, als Gefangenen des Gewissens. Er wäscht damit eindeutig Terror rein.

Das sind nur ein paar Blüten von Corbyns Nahost-politischen Ansichten. Doch es reicht ihm nicht, den jüdischen Staat zu untergraben, er entfesselt eine Hexenjagd gegen britische Juden und jüdische Labour-Mitglieder, die ihresgleichen sucht und verstörend ist.

„They don´t understand English irony either“ – dieser Satz macht jüdische Briten zu Außenseitern, zu Anderen, zu inneren Feinden. Diese Ausgrenzung, die ganz nebenbei in einer Tirade gegen Kritiker untergebracht wird, ist einfach nur widerlich und ein Symptom für ein tiefliegendes Problem. Corbyn möchte diesen kritischen Juden Lehren erteilen. Die Phantasie von den harten Lehren, die man den Juden zwischen die Zähne schieben möchte – was könnte offener antisemitisch sein?

Ken Livingstone bringt wieder den alten Vorwurf in Stellung, daß Antisemitismus-Verbote die Meinungsfreiheit beschneiden (und erzählt gleichzeitig Lügen über israelische Gesetze, die es nie gegeben hat). Er wiederholt auch die Behauptung, daß Hitler den Zionismus unterstützt habe. (Ob deutsche Journalisten wohl so hartnäckig nachfragen würden?)

Louise Ellman erhebt ihre Vorwürfe nicht leichtfertig.

Jüdische Labour-Mitglieder werden gemobbt und in die Ecke gedrängt. Für jüdische Linke ist es unerträglich, sie können nicht mehr Labour wählen, haben aber keine andere politische Heimat, und die offene anti-jüdische Stimmung durchdringt alle Schichten und Diskurse. Es ist die alte jüdische Erfahrung, wenn aus Nachbarn auf einmal offene Antisemiten werden. Hört Luciana Berger einfach zu. BITTE.

Diese Entwicklung geht seit Jahren, das Internet bietet mehr Belege, als ich aufzählen kann, ohne alle zu ermüden – lest Gibbs, und spürt ihre Verzweiflung, und informiert euch. Es ist wichtig, denn wenn morgen ein Corbyn in Deutschland auftritt, der die richtigen Klischees von sich gibt über Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und Umverteilung, dann kann er gegen Juden und jüdischen Einfluß und israelischen Militarismus loslegen, bis auf einmal erschreckend viele mit solchen Ansichten ans Licht kommen. Wenn die Schamschranke fällt, haben auf einmal alle was gegen die Juden zu sagen, und die Verschwörungstheorien blühen. Auf einmal sind dann Juden für alles Unglück dieser Welt verantwortlich, sogar für den Terror, der Juden tötet, und für die Shoah. Alles 100mal gesehen, alles von Labour-Aktivisten gehört, in derbster Form, und auch in Deutschland. Aus antisemitischem Morast wird dann ein Hochwasser, und wenn es zur Flutwelle wird, kann man nur hoffen, daß sich alle Juden in Sicherheit gebracht haben.

Das gehört zu jüdischen Ur-Erfahrungen seit Jahrhunderten, wie aus einer Umgebung, in der sie sich heimisch fühlen konnten, auf einmal eine feindselige Umwelt wird, in der täglich Juden bespuckt, beschimpft, getreten und diskriminiert werden. Luciana Berger mußte schließlich mit Personenschutz rumlaufen, und das fanden viele Labour-Aktivisten okay. Die Juden bringen es ja schließlich selbst über sich, wenn sie angegriffen werden – der alte Mythos von „sein Blut über unser Haupt“, mit dem christlicher Anti-Judaismus sich das Gewissen rein putzte, klingt da immer durch.

Kurz, niemand kann behaupten, daß der Antisemitismusvorwurf gegen Labour ein reines Wahrnehmungsproblem ist, dh, eine Ansichtssache, die aus einem anderen Blickwinkel betrachtet anders aussieht. Nicht wahr?

Doch, natürlich.

Am Ende eines Artikels über Corbyn nach seiner Niederlage werden zwei ganze Sätze dem Antisemitismusvorwurf gewidmet. Ich habe die Schlüsselworte, die diesen Vorwurf entkräften, während sie ihn erwähnen, gefettet.

Er gilt als umstritten. Unter anderem wird ihm vorgeworfen, antisemitische Tendenzen in der Labour-Partei nicht entschieden genug bekämpft zu haben. Auch gegen ihn selbst gab es Antisemitismusvorwürfe, vor allem wegen seiner als einseitig wahrgenommenen Unterstützung palästinensischer Interessen im Nahostkonflikt.

Okay? Er ist nicht umstritten, er gilt als umstritten. Damit wird die Kontroverse abgeschwächt.

Es wird ihm vorgeworfen, im Passiv – wer wirft ihm das vor? Durch den Passiv impliziert der Text diese Frage. Wer steckt hinter dem Vorwurf? Nun, wer wohl?

Und seine „Unterstützung palästinensischer Interessen im Nahostkonflikt“ war nicht etwa einseitig, sondern wurde so wahrgenommen. Noch ein Passiv, noch einmal die Frage: wer nimmt das so wahr? Hm?

Ja, durch den zweimal verwendeten Passiv suggeriert der Text einen Akteur, der nicht klar zutage tritt, den aber die Leser, wenn sie so gesinnt sind, sofort erkennen können: die unsichtbare jüdische Hand, die durch Medien und Finanzwelt an allen Strippen zieht, die mittels Antisemitismusvorwurf Menschen zu Umstrittenen macht.

Für die Tagesschau wird somit der Antisemitismusvorwurf schwerwiegender als der offen praktizierte Antisemitismus Corbyns und der Corbynisten. Die Erfahrungen und Erkenntnisse von Ellman, Gibbs, Berger und vielen anderen jüdischen Labour-Mitgliedern werden auf ein bloßes Wahrnehmungsproblem reduziert. Sie werden nicht einmal erwähnt, nicht ernstgenommen.

Ist mein Verdacht ganz unbegründet, daß ein Politiker vom rechten Spektrum nicht so leicht davongekommen wäre? Ich habe es schon öfter von selbstbewußten Linken gehört, daß sie ja gar nicht antisemitisch sein KÖNNEN, weil per definitionem Antisemitismus rechts ist. Corbyns Verteidiger sehen das genauso. So definiert man sich die Welt zurecht. Als wären Linke gegen Rassismus oder Frauenfeindlichkeit oder Vorurteile immun. Ich wünschte, es wäre so! Aber es stimmt nicht – hinter dem guten linken Gewissen, immer auf der richtigen Seite zu sein, blühen Vorurteile aller Arten. Nicht mehr und nicht weniger als bei anderen Menschen auch. Jeder Mensch muß durchlüften. Und Journalisten sollten positive Selbstwahrnehmung nicht mit der Realität verwechseln und Linke nicht nachsichtiger als Rechte behandeln, wenn es um Ressentiments aller Art geht.

(Ich will gar nicht davon anfangen, daß Parteinahme für Hamas und Hisbollah selbstverständlich palästinensischen Interessen nicht nützen, sondern die Unterstützung für Terroristen jede positive Entwicklung für nicht-terroristische Palästinenser verhindert, und das seit Jahrzehnten. Wer palästinensische Interessen wirklich unterstützen will, sollte sich zuerst gegen die Terrorgruppen wenden, die die Palästinenser als Geiseln genommen haben, in einem Endloskrieg gegen Israels Existenz.)

Es ist ein absoluter Skandal, echten, greifbaren Antisemitismus aufzuribbeln und ihn in ein „es wird wahrgenommen, es wird vorgeworfen“ umzustricken. Es zeigt, daß es in der Tagesschau-Redaktion Leute gibt, die Antisemitismus entweder nicht erkennen (damit haben sie selbst ein Wahrnehmungsproblem) oder aber ihrem Publikum keine echte Auseinandersetzung damit zumuten mögen. Ich weiß nicht, was schlimmer ist.

Über doppelte Maßstäbe Dezember 6, 2019, 17:12

Posted by Lila in Persönliches, Uncategorized.
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Youtube hat mir eine Doku-Serie vorgeschlagen, und aus Neugier habe ich die erste und zweite Episode angeguckt. (Ich bin gerade in einer adventlichen Häkelwelle und habe erstmal nur zugehört, dann wollte ich aber auch die Bilder sehen.) Es geht um Kinder der nomadischen ethnischen Minderheiten in Großbritannien und Irland, British travelers und Irish travellers.

Diese Kinder werden gemobbt, diskriminiert und ausgegrenzt. Ihre Familien werden gegängelt, von Stellplätzen vertrieben, leben teilweise ohne Strom und Wasser.

Auf einmal fallen mir Erinnerungen aus meiner Kindheit ein. Ich muß sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein, als wir in Finnland eine Gruppe „Zigeuner“ (meine Eltern benutzten das Wort damals, wir wußten gar nicht, daß es andere gibt) sahen. Die Frauen beeindruckten mich sehr.  Sie trugen wunderschöne Samtröcke, sahen geheimnisvoll aus, und ich weiß nicht mehr, was mein Vater mir über sie erzählte, aber es muß positiv gewesen sein. Ich habe danach noch lange mit meinen Filzstiften finnische Kale-Frauen in langen, prächtigen Samtröcken gemalt.

Natürlich Mond Mond Mond von Ursula Wölfel, ein Buch,  das ich immer noch empfehlenswert finde, auch wenn es natürlich noch veraltete Bezeichnungen wie Zigeuner benutzt. Ich sehe gerade, was ich gar nicht wußte – das Buch ist verfilmt worden, aber die Serie werde ich mir nicht angucken, weil ich so starke innere Bilder von diesem Buch und allen Personen darin habe. Das Schöne beim Lesen war, daß ich meine eigene Welt, die Welt der Gadsche, auf einmal mit den Augen der Mädchen im Wagen sah. (Wenn die Kinder in der britischen Doku-Serie Gorga sagen, ist vermutlich dasselbe gemeint: country people, Seßhafte, wir.)

Das fürchterliche Verbrechen an der Familie des Panelon ist diskret und intensiv zugleich beschrieben. Als Kind wußte ich nicht, wer die bösen lachenden Männer beim brennenden Wagen waren, heute weiß ich es natürlich.

Mein dritter emotionaler Anknüpfungspunkt ist der Film Into the West, den ich im Studium gesehen habe. Der Kurs hieß „Kindheit im Kino“, oh, und ich habe eine Hausarbeit über Pünktchen und Anton geschrieben (und dabei gleich mal mit Erich Kästners Müttern abgerechnet – ich finde Antons Mutter einfach furchtbar, alle Mütter bei Kästner scheren sich um niemand als ihre eigenen Küken! jawohl!) .

Ein weiterer Berührungspunkt ist der Friedhof meiner Heimatstadt. Neben dem Grab meines Stiefvaters, zu dem ich immer mindestens zweimal gehe, wenn ich in Deutschland bin, ist eine ganze Reihe Gräber einer fahrenden Gemeinschaft, ich weiß nicht, ob Roma oder Sinti. Sie sind sehr prächtig, mit Madonnenstatuen und Marmorbögen, und das prächtigste Grab ist das des „Zigeunerkönigs“, wie uns eine Nachbarin verriet. Meine Mutter trifft die Angehörigen regelmäßig auf dem Friedhof und hat sie im Laufe der Jahre kennengelernt.

Fremde Welten, sehr interessant, so nah an unserer eigenen und doch so schwer zu verstehen.

Und was passiert mir immer, wenn ich so eine Serie sehe? Unbewußt kommen die Gedanken hoch. Irland. In Irland ist Israel negativ konnotiert wie kaum in einem anderen europäischen Land. Irische Zeitungen und Politiker sind so pro-palästinensisch, daß der israelische Standpunkt im Diskurs kaum vorkommt.  Aber wieso kritisieren eigentlich die Iren mit solcher Hingabe Israel, wenn sie selbst die travellers so miserabel behandeln, ohne daß es dafür irgendwelche Begründungen gibt außer Haß und Vorurteilen? Die travellers haben nie Terror in irische Städte getragen, es gibt bei ihnen keine Haßprediger und keinen Wunsch, Irland abzuschaffen und zu ersetzen. Israel hat für die meisten der Maßnahmen, die zB irische Journalisten anprangern, gute Gründe.

Es ist mir ein Rätsel, wie ein Land, in dem ein solches soziales Problem wie die Ausgrenzung und Diskriminierung einer kulturellen und ethnischen Minderheit über Jahrzehnte, ja Jahrhunderte andauert, sich anmaßt, über ein anderes Land so harsch zu urteilen. Tja, die alte Sache mit dem Splitter und dem Balken.

Doch egal, bei mir geht inzwischen alles durch diesen Filter, manchmal würde ich das gern abstellen. Ich wünsche den gypsy kids jedenfalls eine glückliche Zukunft, ohne Mobbing-Erfahrungen, Ablehnung und Schulwechsel deswegen. Vielleicht bekommen sie dann eine positivere Vorstellung von Erziehung und Schulbildung, ohne ihre eigene Kultur aufzugeben. Denn mit elf von der Schule abzugehen – das ist heutzutage nicht genug.

Ich werde jetzt weiter gucken und meine Häkelnadel läuft wieder warm. Weihnachten kommt jedes Jahr so überraschend 🙂

Redensarten Dezember 6, 2019, 1:04

Posted by Lila in Ivrit, Uncategorized.
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Wie meine treuen Leser wissen, versuche ich beim Hebräisch-Sprechen sinnloserweise, aber desto eifriger, die Spuren meines Akzents zu verwischen. Dazu kommt echter Spaß an der knappen und trockenen Art, mit der das Hebräische Anerkennung oder Verachtung ausdrückt, oder auch bestimmte Haltungen. Darum bin ich bekennender Fan des hebräischen Slang. (Ich muß es auch sein, sonst würde ich meinen Mann nicht verstehen).

Auch beim Slang gibt es wechselnde Moden. Vielleicht sogar noch schneller als in der Mode, wo man doch in den Zeitungen sehen kann, daß man dieses Vierteljahr unbedingt nieten- oder fellbesetzte Schlüppchen tragen muß (die man dann im Februar wegwerfen kann). Keiner sagt also mehr chaval al ha zeman oder sof haderech, genauso wie niemand mehr dufte oder oberprima oder affengeil sagt (falls das je jemand getan hat).

Dabei war das wegwerfend dahingesagte, überaus anerkennende chaval al ha-zeman wirklich nützlich. Enigmatischerweise heißt es nämlich wörtlich „schade um die Zeit“. Ein Beispiel. „Wie war die Party?“ „schade um die Zeit!“ bedeutete eben nicht „wäre ich mal zuhause geblieben und hätte eine belehrende Sendung mit Dr. Avshalom Kor geguckt*“, sondern „wow, die war so gut, daß es Zeitverschwendung wäre, sie dir zu beschreiben, weil du es sowieso nicht begreifen würdest!“

Chaval al ha-zeman war jahrelang in aller Munde. Als ich hörte, wie Grundschulkinder es in „chablaz“ abkürzten, war mir klar, daß das letzte Stündlein dieses Ausdrucks gekommen war. Heute sagt es kaum noch jemand, außer ein paar Omas und Opas, die meinen, dann finden die Enkelkinder sie toll.

 

Sof ha-derech war auch eine Zeitlang populär. Es bedeutet wörtlich „Ende der Straße“ und klingt damit wie das englische „end of the road“, aber es ist ein böser false friend, denn es ist keineswegs ein Endpunkt, sondern so wie ein ganz toller Preis am Ende der Straße, ein Höhepunkt. Danach kann nichts Besseres mehr kommen. Inzwischen ist auch diese Redensart an ihrer letzten Haltestelle angekommen, und ich habe lange nicht mehr gehört, daß jemand sof ha-derech sagt.

 

Statt dessen ist ein neues Modewort dran – alle sagen metoraf.  Wahnsinnig. Wenn ich für jedes einzelne Mal, daß ich jemanden metoraf sagen höre, einen halben Shekel kriegte, wäre ich nach wenigen Wochen im Besitze eines hübschen Teleskops mit allem Drum und Dran. Einfach Wahnsinn.

Teruf und shigaon sind Synonyme, so wie Wahnsinn und das alte WortTollheit. Shigaon kann man auch sagen, und man sagt immer noch über Leute, daß sie meshugge sind (meshuga bei Männern, meshugaat bei Frauen), aber das klingt nicht gerade wie eine Empfehlung.

Es sei denn natürlich, man ist Sarit Chadad und kann damit kokettieren, daß alle einen für ein bißchen meshugaat halten. (Eyal Golan singt ein Lied namens Metoraf, sehe ich gerade, aber es ist so fürchterlich, daß ich es nur verlinke, für Leute, die wirklich hart im Nehmen sind.)

Wie war der Film? Metoraf. Der Urlaub? Metoraf. Der Berufsverkehr? Natürlich auch metoraf. Je nach Gesichtsausdruck und Gestik versteht man schon, auf welche Art und Weise metoraf. Ich habe von dem Wort die Nase voll und warte aufs nächste.

 

Abgesehen von diesen wechselnden Superlativen, die so oft benutzt werden, daß sie gar nichts mehr bedeuten, hat das Hebräische aber die Kunst der Verknappung perfektioniert. Ein Grund, weshalb es so leicht ist, mit wenig Ivrit schon schöne Unterhaltungen zu führen, ist diese Verdichtung ganzer Sätze in ein Wort.

(Da das Hebräische Präfixe und Suffixe an das Verb hängt, spart man das ganze ich, du, er, sie…… sowie auch mein, dein, sein, ihr, und Hilfsverben werden nur in einer Art Konjunktiv benutzt. Das spart ganz schön bei der Wortzählung. Deutsch: ich bin gegangen, drei Wörter. Hebräisch: halachti, ein Wort.)

 

Noch ein paar Beispiele für knappe idioms, die ich schätze.

Ein sechel, ein bayot – kein Verstand, keine Probleme, das sagt mein Mann manchmal.  Hingeschrieben sieht es nicht so witzig aus, wie es klingt, wenn mein Mann damit eine Situation zusammenfaßt.

 

Katonti sagt man, wenn man ausdrücken will, daß man klein (katan) unwürdig ist. Wenn man zum Beispiel einer Koryphäe widerspricht, sagt man, „also katonti, aber vielleicht sollte man es auch mal von der oder der Seite betrachten?“ Mit dem katonti (ich Wurm) kommt man dann gleich der Kritik zuvor, daß man ja keine Ahnung hat. Eine recht elegante Art, sich als Underdog zu positionieren und die Kritik doch anzubringen.

Natürlich kann man mit katonti auch eine Niederlage einräumen, wenn die Koryphäe einem nämlich geantwortet hat und vom eigenen Argument nichts mehr übrigbleibt. Dann kann man mit katonti zugeben, daß die andere Seite die besseren Argumente hat.

Rosh katan (wörtlich: kleiner Kopf) benutzt man für Leute, die sich keinen Kopf machen, also die Leute im Team, die keine Verantwortung übernehmen und keine Meinung haben. „Da spiele ich rosh katan“ sagt man, wenn man eine Aufgabe nur irgendwie hinter sich bringen will und keine Lust hat, die Leitung zu übernehmen, Ideen einzubringen oder sich wirklich nützlich zu machen.

Higdil bzw higdila rosh, er bzw sie hat den Kopf vergrößert, sagt man dagegen anerkennend über Leute, die vom rosh katan zum rosh gadol (großen Kopf) geworden sind.

 

Titchadesh sagt man zu Männern, titchadshi zu Frauen, die sich gerade was Neues gekauft haben, die Frisur, Augenbrauen oder Schuhe haben überholen lassen. Chadash heißt neu, und wörtlich heißt das Wort: erneure dich! Sinngemäß: Glückwünsche zum Kauf. Man kriegt es im Laden hinterhergerufen, wenn man bezahlt hat, aber auch von aufmerksamen Freunden und Kollegen, denen auffällt, daß man irgendwie anders aussieht. Es ist ein diplomatisches Wort, weil es nichts darüber sagt, ob die Veränderung zum Guten oder Schlechten ist.

 

Dai heißt genug, hör auf.  Die Steigerungsform ist dai kvar, enough already!,  und es ist für europäische Ohren deutlich gewöhnungsbedürftig, wenn man hört, wie Eltern dem Kind, das sich bockig auf dem Boden wälzt, sagen: dai!  Aber sie wünschen ihm keineswegs den Tod, sondern finden nur, genug geweint und gewälzt.

In den letzten Jahren hat sich außerdem eingebürgert, dai als Ausdruck der Ungläubigkeit zu benutzen, besonders Frauen tun das oft (und machen eine Handbewegung dabei, so ein Abwinken). Hör auf! dai! Kann doch nicht sein!  Gibts nicht!  Ich finde kein deutsches Wort, das dai ersetzen könnte.

 

Über das berühmte nu hat Kishon eigentlich schon alles gesagt, was zu sagen ist. Es ist in den letzten Jahren etwas aus der Mode gekommen, weil es altväterlich-jiddisch klingt, aber trotzdem versteht es jeder. Nuuu….? fragt man Frauen am Ende der Schwangerschaft, nu kvar! ruft man trödelnden Kindern zu (wirds bald! der Schlachtruf meines Vaters) und ganz knapp NU?, wenn man schnell eine Antwort haben möchte.  Mit ironischen Augenbrauen bedeutet nu auch: das habe ich dir gleich gesagt, und nuuuuu kann man quengeln, wenn man ganz dringend was haben oder wissen will. Nu tov, na gut, jetzt könnt ihr mit dieser Liste schon zwei Wochen in Israel über die Runden kommen und werdet für Euer Hebräisch bewundert.

 

* Geständnis: ich habe Avshalom Kors Sendungen über die hebräische Sprache schon genossen, als ich nur wenig davon verstanden habe. Y. hat sie mir nämlich empfohlen. Und heutzutage gehört seine Radiosendung am frühen Morgen zu meinen und Y.s Morgenritualen. Wenn wir nämlich zusammen zur Arbeit fahren, was zweimal die Woche passiert, hören wir sie im Auto, trinken dazu Kaffee und das ist lehrreich und gemütlich zugleich. Vor einem Jahr habe ich Kor persönlich getroffen, bei einer akademischen Veranstaltung, war aber zu schüchtern, ihm zu sagen, daß ich mit seinen Sendungen vor 32 Jahren praktisch Ivrit gelernt habe.

 

 

(Beim Rumstöbern, um sicherzugehen, daß ich nicht irgendwas fürchterlich mißverstanden habe, habe ich diesen Blog-Eintrag gefunden – leider auf Ivrit, über die Verknappung und Ellipse in der hebräischen Umgangssprache. Falls jemand Interesse hat.)

Von Asche und Erde Dezember 2, 2019, 20:28

Posted by Lila in Deutschland, Uncategorized.
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Bisher hatte ich nicht von ihnen gehört, war vielleicht besser so. Das Zentrum für politische Schönheit rühmt sich seiner Aktionen – politische Aktionen, die sich als konzeptuelle Kunst ausgeben, meinetwegen.

Als ich heute früh über ihre neuste Aktion las, erstarrte ich innerlich so eiskalt, daß ich nicht reagieren konnte, es auch nicht wollte.

Eine Gedenkstätte mit der „Asche der Ermordeten Hitlerdeutschlands“ haben die Aktionskünstler des „Zentrums für politische Schönheit“ (ZPS) nach eigenen Angaben am Montag in Berlin gegenüber dem Reichstag errichtet.

Dazu habe man, so die Aktivisten in einer Pressemitteilung am Montag, „Knochenkohle, sedimentierte Asche und menschliche Fragmente“ unter anderem aus der Nähe von Auschwitz zusammengetragen und in einer Säule sichtbar gemacht. Es handele sich um Überreste der Opfer, die von den Nationalsozialisten überall hinterlassen worden seien. An 23 Orten in Deutschland, Polen und der Ukraine seien von den Aktivisten Proben entnommen worden. Laboruntersuchungen hätten „in über 70 Prozent Hinweise auf menschliche Überreste“ ergeben.

Die Gedenkstätte im Berliner Regierungsviertel sei, so die Aktivisten, ab sofort zugänglich, „offiziell“ aber nur bis Samstag genehmigt, hieß. An diesem Tag soll es dort einen „zivilgesellschaftlichen Zapfenstreich gegen die AfD“ geben.

Ich bin noch immer so entsetzt und zornig, daß ich es schwierig finde, zu schreiben.

Sogar eine Karte zeigt an, wo z.B. solche Erde entnommen wurde.

Auch wozu sie dienen soll, wird erläutert.

Es werden also die Leichenteile der brutal Ermordeten, denen das Grab verweigert wurde, jetzt zum Zapfenstreich gegen die AfD eingesetzt? Wie weit kann man tote Juden noch instrumentalisieren?  Bürgerrechte, Menschenwürde, Haare, Schuhe und Goldzähne wurden ihnen genommen, die Kinder entrissen, die Arbeitskraft ausgenutzt, sie wurden brutal gedemütigt und entwürdigt, bevor sie ermordet wurden – und sie haben keine Gräber. Die Erde, in der ihre Asche ruht, ist für Juden aus aller Welt ein Ort, an dem sie der Toten gedenken.

Leichen toter Juden, denen man alles genommen hatte, wurden noch geschändet, indem man Experimente mit ihrer Haut und anderen Körperteilen machte.

Das alles ist bekannt.

Wie wichtig die Totenruhe für Juden ist, habe ich mehrmal erläutert. Jüdische Friedhöfe werden nicht eingeebnet, Gräber bleiben für die Ewigkeit, Kremation ist unüblich.

Als Y.s Oma starb, begruben wir sie im Kibbuz. Sie war die Älteste von vielen Geschwistern, alle im Warschauer Ghetto gestorben, bis auf die Jüngste. Y.s Großtante konnte sich durch die Kanalisation retten und wurde von einer polnischen katholischen Familie gerettet. Sie stand also am Grab ihrer ältesten Schwester und sagte leise: „wenigstens hat sie ein Grab“. Denn weder ihre Eltern noch Geschwister, noch die vielen Vettern und Kusinen, über die sie in Yad VaShem Zeugnis ablegte, hatten ein Grab.

Nach einigen Stunden sah ich, daß bei Twitter kritische Nachfragen kommen.

Und jetzt seht Euch diese Antwort an. Wo waren die Opfer des Holocaust, bevor diese selbstzufriedenen, kaltschnäuzigen, gewissenlosen „Künstler“ sich daran erinnert haben, daß man ja mit ihnen den Aufmerksamkeitsfaktor für eine Aktion in die Höhe treiben könnte?

Gab es tatsächlich kein Gedenken?

Gedenken, an dem das Zentrum für politische Schönheit nicht beteiligt ist, von dem es nichts weiß und auch nicht wissen will, gilt nicht.

Ich habe mich dann natürlich in die Diskussion eingemischt, was ich schon heute früh hätte tun sollen.

Immerhin bekam ich nur eine dummdreiste Antwort, was mir den Glauben an die Menschheit wiedergab. Die meisten waren entsetzt oder zumindest skeptisch. Bei Facebook geben sich einige Kommentatoren tatsächlich beeindruckt.

Einen Moment des Innehaltens, ob man tatsächlich bis zum Gebrauch von Leichenteilen den Holocaust für die eigenen politischen Zwecke mißbrauchen darf, scheint es bei diesem Zentrum nicht zu geben – sie haben den Holocaust schon mehrmals für sich vereinnahmt, wie die Wikipedia-Seite zeigt. Die Frage, ob es Nachkommen der Täter zusteht, sich Knochen und Asche der Opfer anzueignen, um sie als Waffen in einem innenpolitischen Rundumschlag gegen Konservative, Faschisten, Nazis, Rechte und AfD (ist ja alles irgendwie dasselbe) (Sarkasmus-Flagge gehißt) einzusetzen, scheint ihnen nicht gekommen zu sein. Auch jetzt sehe ich keinen Ansatz von Einsicht.

Es ist dieselbe Mentalität. Wir bestimmen, wo die Juden leben, wie sie leben, ob sie leben, wann und wie sie sterben. Nicht mal über ihre Knochensplitter haben sie Autonomie.

Und was, wenn diese „Künstler“ gar nicht in der Erde gescharrt haben, sondern einfach im Gartencenter Kompost gekauft haben und den jetzt in einer Säule zur Schau stellen?

Auch das würde nichts an der Dreistigkeit ändern, mit der sich an Leid und Trauer anderer vergriffen wird. Es würde mich nicht wundern, wenn das von A bis Z nur eine einzige morbide Show ist, unter dem Mäntelchen der politischen Korrektheit und selbstgerechten Arroganz. Verstören wollen sie – aber warum die Opfer verstören, warum nicht die Täter?

Eine Aktion, die paßgenau mit der wachsenden Judenfeindlichkeit in Europa zusammengeht, dem Unwillen, der jüdischen Perspektive auch nur einen Gedanken zu schenken. Corbyn, der sechs Gelegenheiten verstreichen läßt, sich gegen Antisemitismus auszusprechen. Umfragen, die bezeugen, wie übel Europäer es den Juden nehmen, zu viel über den Holocaust zu reden (den doch das komische Zentrum gerade erst aufgedeckt hat!). Ich bin entsetzt, hoffe aber, daß sich Protest dagegen regt.

FR gibt die Meldung unkommentiert weiter, ebenso die Welt. Sehr guter Kommentar: Aschfahl  

Die SZ findet es natürlich gut.

Doch, die Aktion ist gelungen. Das ZPS kann sich, trotz eventueller Vorwürfe der Pietätlosigkeit, darauf berufen, dass es Opfern des Holocausts und Widerstandskämpfern wie dem 1944 ermordeten Salmen Gradowski, zu Lebzeiten noch gelang, Notizen zu hinterlassen, in denen sie die Nachwelt instruierten, nach ihrer Asche zu suchen und mit ihr das Gedenken an die Millionen Ermordeten wachzuhalten. Die Frage wäre heute wohl eher, ob die Nachfahren jüdischer Holocaust-Opfer Anstoß daran nehmen könnten, dass die Überreste ihrer Vorfahren hier, eingegossen in von innen beleuchtetem Klarsichtharz, auch deutlich an eine katholische Reliquienmonstranz erinnern? Vielleicht ist das Haarspalterei.

Haarspalterei, wie man sie von Juden ja kennt.

Pfui Teufel.

Ein weiteres Twitter-Bonbon:

Die Vorstellung, daß jüdische Leichenteile mehr bedeuten könnten als ideologisch-aktivistische Manövriermasse, die man von Ort zu Ort schafft, scheint manchen Leuten sehr fern zu liegen. Da hat einer die moralische Selbstgerechtigkeit mit Spaten gefressen.

Weitere Stimmen dazu: Ruhrbarone und Ramona Ambs. Auch sehr lesenswert: Enno Lenze. 

Und jetzt? November 21, 2019, 8:22

Posted by Lila in Land und Leute, Uncategorized.
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Die Frist, in der Benny Gantz eine Koalition hätte zusammenbasteln können, ist abgelaufen. Nachdem Bibi mehrmals damit gescheitert ist, war ziemlich klar, daß auch Gantz es nicht schaffen würde. Das Schaf kann entweder mit dem Kohlkopf oder dem Wolf koalieren, aber nicht mit beiden. Gantz steht dort, wo die Fäden sich kreuzen – zwischen Links und Rechts (Metaphern, die nicht wirklich auf Israel passen), zwischen säkular und religiös. Er könnte mit Links uns säkular koalieren (Meretz plus Baraks Partei, Avoda plus Gesher), mit Rechts und säkular (Liberman), und auch mit den religiösen Parteien könnte er vielleicht einen Kompromiß finden (sowohl modern-orthodox und säkular a la Bennet und Shaked, als auch Haredim). Aber die Zahlen reichen nicht, und Libermann wird weder mit den Ultra-Orthodoxen noch Meretz in einer Regierung sitzen.

Und solange nicht klar ist, ob es zu einer Anklageerhebung gegen Netanyahu kommt, werden weder Liberman noch Gantz mit ihm eine Koalition eingehen. Das sind Wahlversprechen, die diesmal eingehalten werden – keiner möchte als Netanyahus Partner auftreten, wenn der als Angeklagter vor Gericht sitzt. Selbst Amir Peretz ist nicht umgekippt.

Das hatten wir also alles schon, es war auch eigentlich schon am Wahlabend klar. Ja es war schon letztes Jahr klar, als Liberman die Regierung verließ und Netanyahu Neuwahlen ausrufen mußte, weil er keine neue, stabile Koalition finden konnte. Im April dasselbe Spiel, kein eindeutiges Wahlergerebnis, und im September noch einmal.

Man kann die Schuld bei allen möglichen Parteien und Personen suchen, aber es ist ziemlich klar, daß das Problem in den ungeklärten Vorwürfen gegen Netanyahu liegt. Wenn Mandelblit heute veröffentlichte, daß die Vorwürfe gegen ihn unbegründet sind, hätte er sofort Koalitionspartner. Und wenn es zur Anklage kommt, selbst wegen „minderer“ Vergehen, und er vom Fenster weg wäre, dann würde ein anderer die Likud-Partei übernehmen und der Weg zu einer Koalition wäre ebenfalls frei.

Nicht jeder sieht es so, aber ich glaube, Netanyahu würde bei Wahlen im März 2020 weiter an Unterstützung verlieren. Den Nimbus des Zauberers jedenfalls hat er schon vor einem Jahr eingebüßt, und sein Abstieg in Etappen ist deutlich erkennbar.

Aber noch sind drei Wochen bis zur Entscheidung zu Neuwahlen. In diesen drei Wochen liegt das Mandat nun bei der Knesset. Israel war noch nie in dieser Lage, daß zwei Kandidaten mit der Regierungsbildung gescheitert sind, aber jetzt ist es theoretisch möglich, daß jeder beliebige Abgeordnete eine Koalition auf die Beine stellt und damit zum Präsident geht.

Ich weiß nicht, ob jemand diese Chance ergreift – aber ich hoffe es, denn ein drittes Mal Neuwahlen wäre eine Katastrophe. Die Wähler haben zweimal das Ihre getan, und die Politiker müssen nun daraus was machen. Um uns herum organisieren sich der Iran und seine Satelliten zum Angriff, innenpolitisch fehlen Budgets, Entscheidungen, klare Linien. Neue Minister führen eifrig Neuerungen ein (Verkehrsminister Smutrich z.B. macht interessante Experimente mit Mitfahrer-Spuren, die aber ein bißchen auf die Schnelle zusammengenäht wirken), Budgets sind nicht endgültig abgesegnet (weswegen z.B. die Feuerwehr in einigen Kommunen keine neuen Leute einstellen kann), es ist einfach unmöglich, so weiterzumachen.

Ich hoffe also, daß sich im Likud-Block ein Rebell findet und sich von Netanyahu absetzt. So wie es Ariel Sharon mit Kadima getan hat – er hat damals viele gute Leute mitgenommen. Hat Gideon Saar das Format Sharons? Nein, hat er nicht, Sharon, so umstritten er war, flößte auch eine Art Vertrauen ein, daß er weiß, was er tut. Saar ist jünger, eher ein Schreibtischtyp, aber sehr klug und auch beliebt. Netanyahu mißtraut ihm seit Jahren, und ich halte es für möglich, daß er damit Recht hat und Saar tatsächlich eine Schar um sich sammelt, die jetzt hinter den Kulissen an einer Koalition von 61 Stimmen feilt.

Vor Netanyahu haben viele Angst, außerdem verdient er Anerkennung für seine Arbeit, sogar von Leuten wie uns, die seine Bilanz höchst kritisch sehen (wie er die Außenpolitik an sich gerissen hat, damit das Außenministerium total ausgebootet hat… und wie alle Themen, die nicht mit dem Iran oder Erdgas zu tun haben, vernachlässigt wurden…). Es ist also nicht sehr wahrscheinlich, daß tatsächlich in seiner Partei, die es sich jahrelang in seinem Windschatten bequem gemacht hat, nun ein Königsmörder aufsteht.

Es ist theoretisch auch möglich, daß Blau-Weiß in seine Einzelteile zerbricht. Ich tippe, daß das spätestens in einem neuen Wahlkampf kommt – Lapid wird mehr in Richtung Links tendieren, Yaalon und Hendel mehr in Richtung Neue Rechte (Bennet). Gantz wird am Ende allein dastehen. Ich habe schon in der Vergangenheit falschgelegen, und vielleicht ist es reiner Zweckpessimismus oder Aberglaube, aber ich bin ziemlich sicher, daß Gantz sich nicht wird durchsetzen können. Er wird zwischen seinen Partei“freunden“ aufgerieben, weil sie eine reine Zweckgemeinschaft eingegangen sind und eigentlich zu unterschiedlich sind. Erfolg und Macht hätten sie zusammenkitten können, aber das hat ja nicht geklappt. Wenn ein starker, seit Jahren aktiver und erfolgreicher Politiker wie Netanyahu von Mißerfolg schwer angenagt wird, wie soll das dann ein unerfahrener Neuling wie Gantz verkraften?

Würde aber eine Blau-Weiß-Einzelpartei eine Koalition zusammenkriegen? Wohl kaum. Ashkenazi ist umstritten, Bogie zu trocken und nicht charismatisch genug, Lapid würde nie genügend Wähler auf seine Seite bringen und ist durch seine frühere Zusammenarbeit mit Netanyahu schon zu sehr als reiner Karrierist gefärbt. Gantz wäre vielleicht ganz froh, Lapid loszuwerden…

Pardon, ich habe diese Gedanken bereits mehrmals durchgekaut, leider hat sich nichts verändert 😦

Wenige Stunden später:

Und da ist er – Gideon Saar hat sich aus der Deckung begeben.

saar

Er tut das erstmal in Form eines Vorschlags – Netanyahu hat bereits erklärt, Urwahlen seien unnötig, aber da die letzte Urwahl schon vier Jahr her ist, hat die Idee, jetzt noch mal welche abzuhalten, etwas für sich.

Ich frage mich, was er tun wird, wenn auf diesen Vorstoß Netanyahu und seine Leute die Idee von Urwahlen abschmettern, wie sie zweifellos tun werden. Ob er dann versuchen wird, mit dem Mandat der Knesset selbst 61 Unterschriften zusammenzukriegen. Die Zeit ist eigentlich reif dafür. Und wenn Saar es schaffen sollte, diesen gordischen Knoten zu durchschlagen, den seit einem Jahr keiner entwirren kann, hätte er sich etabliert. Aber ich greife vor. Bisher ist es nur eine Idee.

Noch ein Durchgang November 12, 2019, 14:13

Posted by Lila in Land und Leute, Qassamticker (incl. Gradraketen), Uncategorized.
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Ihr seid es leid, wir sind es leid, die Israelis im Süden haben es bestimmt noch viel leider.

Ich habe meinen Kassam-Ticker hier sehr vernachlässigt, was ich jetzt ein bißchen bedaure – aber wer mir auf Twitter gefolgt ist, hat mitgekriegt, wie oft in den letzten Monaten im Süden die Alarmsirenen und -lautsprecher losgegangen sind, wie viele Raketen Iron Dome abgeschossen hat, wie viele auf freiem Feld gefallen sind. Die israelische Reaktion war immer sehr gedämpft. Die Hamas hatte Zeit, ihre Gebäude zu räumen, bevor IDF dann entweder das leere Gebäude oder eine Düne beschoß.

Dabei wußten alle Beteiligten, daß es nicht die Hamas war, die hinter dem Raketenbeschuß stand. Aber Israel mischt sich nie in innere Streitigkeiten ein. Auch wenn Anti-Assad-Rebellen die Golanhöhen beschießen, liegt für Israel die Verantwortung dafür bei Assad, und ebenso ist die Hamas dafür verantwortlich, dafür zu sorgen, daß aus ihrem Gebiet nicht geschossen wird. Eine Regierung kann nicht einfach sagen: tja, über diese Leute haben wir leider keine Kontrolle, laßt uns in Ruhe, die schießen eben. Das funktioniert in keinem Land. Die Regierung trägt die Verantwortung. Wenn also der Islamische Jihad Israel beschießt, obwohl die Hamas ausdrücklich Ruhe versprochen hatte, dann schießt Israel nicht auf den Islamischen Jihad, sondern auf die Hamas. Als Zeichen dafür, indirekt, daß Israel die Hamas als Hausherren dort akzeptiert. Natürlich auch in der Hoffnung, daß die Hamas sich von dem Raketenbeschuß irgendwann mal offen distanziert und sagt: liebe Jihadisten, wir wollen diese Raketenschießerei nicht mehr, sie bringt uns nur Ärger.

Über Monate hinweg häuften sich die Vorfälle. Ein Musikfestival in Sderot wurde beschossen – mehrere Privathäuser wurden getroffen – eine äthiopischstämmige Familie wurde nur gerettet, weil die Mutter alle Kinder rechtzeitig in den Schutzraum brachte – seit einem Jahr kann man sich nie sicher fühlen (eigentlich viel länger, denn die ersten Raketen flogen noch vor der Räumung – es sind mehr als 15 Jahre).

Gleichzeitig fliegen seit März 2018 ständig Drachen oder Ballons mit Brand- und Sprengsätzen über die Grenze und richten dort Schaden an, auf Feldern, in Naturschutzgebieten und auch oft in der Nähe von Ortschaften.

Es war also klar, daß irgendwann Israel reagieren muß. (Übrigens: wäre Bibi tatsächlich so ein Hardliner, wäre das schon viel eher und schärfer passiert.) Israel weiß, wer der Strippenzieher im Islamischen Jihad ist, der auch von der Hamas keine Befehle annahm und immer wieder Vereinbarungen brach. Und heute früh ist dieser Mann, hm, wie nennt man das auf Deutsch? Auf Hebräisch nennt man es chissul, Ausschaltung, oder sikul memukad, gezieltes Aus-dem-Verkehr-Ziehen, also nennen wir es liquidieren? Sowohl im Gazastreifen als auch in der Nähe von Damaskus wurden Köpfe des Jihad von IAF-Flugzeugen angegriffen und getötet.

Ja, da kann man in deutschen Medien die Köpfe schütteln und sagen: das ist ja wie im Krieg! Ist es auch, und für die Zivilisten in Kfar Aza, Kerem Shalom, Sderot und Mefalsim fühlt es sich schon lange wie Krieg an. Die Kinder dort erinnern sich nicht mehr an eine Zeit ohne „Code Rot“. Natürlich – da der ständige Beschuß in deutschen Medien nicht vorkommt, denken Leser dort vielleicht, daß Israel unvermittelt und zu aggressiv vorgegangen ist. Aber irgendwann muß man dann mal was tun. Wer alternative Ideen hat, die Israel noch nicht ausprobiert hat, der kann sie gern in den Kommentaren aufschreiben.

Das Kalkül hinter: diesen Liquidierungen den Jihad so schwächen, daß er sich von der Hamas in die Pflicht nehmen läßt. Denn interessanterweise spielt im Gazastreifen die Hamas die Rolle des vernünftigen Erwachsenen. Okay, ein einäugiger König, aber immerhin. Auch die ägyptischen Vermittlungsbemühungen haben die Hamas vielleicht beeinflußt.

Es hängt also nun alles von der Hamas ab. Die empört sich zwar gegen Israel, läßt den Jihad auch ordentlich Raketen abfeuern (150 seit heute früh), tut aber sonst nichts. Wenn die Hamas sich an die Seite des Jihad stellt und selbst anfängt, Israel anzugreifen, dann haben wir eine Eskalation wie lange nicht mehr. Wenn die Hamas es schafft, den Jihad kaltzustellen und sich lieber Wirtschaft und Infrastruktur widmet, haben wir eine Grundlage für eine dauerhafte De-Eskalation.

Wer immer up to date sein will, sollte mal bei Rotter.net reingucken. Dort werden die wichtigsten englischsprachigen Medien verlinkt – von der linken Haaretz über Times of Israel bis zu den eher konservativen Jerusalem Post und Arutz 7. Die Seite sieht zwar nach nichts aus, ist aber übersichtlich und man kann sich jederzeit informieren, und zwar aus mehreren Blickwinkeln.

Wer wissen möchte, wie oft die Alarme kommen, kann sich sowas wie Red Alert aufs Telefönchen holen. Wobei man sagen muß: nicht jeder gemeldete Alarm ist auch eine Rakete. Israel ist in so viele Warngebiete eingeteilt, och nee, es ist schon wieder am rappeln, Alumim, Nahal Oz, Beeri!, daß ein Alarm mehrere Gebiete betreffen kann. Dann löst eine Rakete drei oder vier Alarme aus.

Twitter ist auch eine gute Informationsquelle. Vor allem, wenn ihr mir folgt 🙂 Lauter Filmchen von Unvorsichtigen, die lieber filmen und hochladen, statt sittsam in die Schutzräume zu gehen.

Ich folge im Internet den Nachrichten von Kan11 – bin zu dem Schluß gekommen, daß das die besten Nachrichten in Israel sind, sachlicher als Platzhirsch 12. Und sie senden einfach einen Livestream, was ich sehr nett finde. Aber Hebräisch sollte man schon können, sonst hat man wenig davon. Auch immer interessant für Hebräischversteher: das Armeeradio, Galey Zahal (Galatz) oder Galey Zahal al galgalim (Galgalatz).

Es ist schwierig, sich in solchen Zeiten einen kühlen Kopf zu bewahren. Auf die Angaben der Armee muß ich mich verlassen, ich kann sie nicht überprüfen. Und auch darauf, daß Verteidigungsminister Netanyahu dem Premierminister Netanyahu richtig geraten hat (seit 11 Uhr früh ist der Job auf Naftali Bennett übergegangen), daß politische Erwägungen keine Rolle gespielt haben und nicht auf dem Rücken der Bürger Ego-Spielchen ausgetragen werden.

Benny Gantz, der davon was versteht, hat Netanyahu jedenfalls Unterstützung ausgesprochen. Wenn er es für gerechtfertigt hält, dann muß ich annehmen, daß die Entscheidungen von Bibi und IDF angemessen und richtig waren. Leicht fällt das nie, besonders nach einem Jahr der politischen Spielchen. Und eigentlich ist Bibi ja nur Übergangs-PM. Als solcher in einen, chalila, Krieg einzusteigen, wäre ziemlich gewagt. Wie Bibi sehr wohl weiß – er hat es bisher geschafft, uns ohne größere Auseinandersetzung durch Phasen heftiger Aggression von außen zu manövrieren.

Aber so ist es nun wieder. Red Alert grummelt regelmäßig, alle Nachrichtensender haben Leute vor Ort, und seit die Alarme auch Tel Aviv erreicht haben, nehmen alle die Lage ernst. Ich hoffe sehr, niemand weiter kommt zu Schaden (das kleine Mädchen, das heute früh vor Schreck ohnmächtig wurde, hat immer noch Herzrhythmusstörungen und liegt auf der Intensivstation – höre ich gerade), und eine weitere Eskalation bleibt aus.

Plonter September 27, 2019, 14:20

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Die Medien hier nennen das Patt zwischen Likud und Blau-Weiß „ha-plonter ha-politi“, die politische Zwickmühle. Ein hübsches jiddisches Wort für einen Albtraum. Ich weiß nicht, niemand weiß, wie lange es noch so weitergehen soll. Israel ist weltanschaulich und politisch nicht einfach in zwei sauber voneinander zu trennende Lager geteilt, das ist kein Land. Es gibt viele verschiedene Gruppen, und manche sehr verschiedene Gruppen haben gemeinsame Interessen und können miteinander Politik machen.

Das israelische Wahlsystem ist auf Koalitionen ausgelegt. Hier wird nicht der Premierminister gewählt, sondern eine Partei. Die 120 Sitze in der Knesset werden nach Parteienstärke verteilt, und die Partei, die die besten Aussichten hat, eine Regierung zu bilden, wird vom Präsidenten damit beauftragt. Nicht immer ist das die Partei mit den meisten Sitzen.

Vor zehn Jahren hatte Zipi Livni mehr Stimmen als Netanyahu, aber da die ultra-orthodoxen Parteien nur mit Netanyahu koalieren wollten, hatte sie keine Chance, eine Regierung zu bilden. Diesmal ist es ähnlich.

In der Vergangenheit gab es mehrmals sog. Regierungen der nationalen Einheit, was man in Deutschland Große Koalitionen nennen würde. Ich weiß, daß das in deutschen Ohren fürchterlich klingt, weil Große Koalitionen oft für Stillstand stehen. Vergeßt aber die Assoziationen aus Deutschland, in Israel läuft es anders, und es hat schon überraschend glatte Zusammenarbeit unerwarteter Partner gegeben. Da sich die Parteienlandschaft auch dauernd ändert (Blau-Weiß z.B. ist eine ganz neue Partei, ein Zusammenschluß von drei ebenfalls neuen Parteien, von der nur eine, Yair Lapids Yesh Atid, parlamentarische Erfahrung hat), sind Bündnisse über Parteigrenzen hinweg eher möglich.

Diesmal wäre eine Koalition von Likud und Blauweiß eigentlich eine gute Idee. Likuds Regierungserfahrung und Blau-Weiß´ neue Ideen und kompetente Leute hätten viele gern zusammen in einer Regierung gesehen, auch ich. Es wäre zwar theoretisch möglich, eine Regierung mit einer sehr schmalen Mehrheit zu bilden, aber wie schnell das in die Binsen gehen kann, haben wir oft genug gesehen. Wenn ein Regierungschef nur 61 oder 62 Stimmen in der Knesset hat, wird jede kontroverse Abstimmung zur Zitterpartie. So sind hier schon mehrere Regierungen zerbrochen.

Lieberman z.B. hat Netanyahus Entscheidung, nicht gegen den Raketenbeschuß aus dem Gazastreifen härter durchzugreifen (was nur zu einer weiteren „Runde“ dort geführt hätte, aber vermutlich den Menschen in Sderot auch nicht geholfen hätte), nicht mitgetragen, ist aus der Koalition ausgeschieden, und die Regierung ist kurz danach ganz in die Brüche gegangen. Die Wahlen im April 2019 waren das Ergebnis.

Lieberman wollte im April nicht wieder in eine Koalition mit Bibi einsteigen, und der, aus Angst, der Präsident könnte als nächsten Gantz mit der Koalitionsbildung beauftragen, löste schnell die Knesset auf. So kam es zu den Wahlen im September.

Doch das Patt besteht weiter.

Oh seufz, hier habe ich es aufgegeben, ihr könnt in jeder Zeitung lesen, wie unmöglich eigentlich eine Regierungsbildung ist. Jede Partei ist auf einen Baum geklettert, von dem sie kaum runterklettern kann. Amir Peretz hat sogar die kläglichen Überreste seines einst prächtigen Schnäuzers abrasiert, damit man im von den Lippen ablesen kann:

Orli (von der Gesher-Partei) und er werden NIE mit Netanyahu in einer Regierung sitzen (er hätte wohl besser „nie wieder“ gesagt, denn beide haben schon in solchen Regierungen gesessen).

Lieberman will nicht mit den Ultra-Orthodoxen sitzen und diese nicht mit ihm. Er wird auch nicht mit Blau-Weiß koalieren, wenn die von der Arabischen Liste gestützt wird, und die Arabische Liste hat Gantz´ Kandidatur nur zu Teilen unterstützt. (Daß es allerdings eine solche Empfehlung gab, ist ein erster großer Schritt für die arabischen Parteien – zumindest drei von ihnen. Bisher haben sie sich aus lauter Antizionismus selbst von der politischen Verantwortung isoliert, mit dem Ergebnis, daß arabische Bürger ebenfalls entweder nicht gewählt oder aber zionistische Parteien gewählt haben, in denen es auch arabische Politiker gibt – oder andere, für die das Wohlergehen der arabischen Bürger Priorität hat.)

So hat jede Partei ihr Blümlein Rührmichnichtan, an das sie auf gar keinen Fall näher rankommen will.

Doch der wahre Knackpunkt liegt bei Bibi. Blauweiß und Likud könnten sich sehr wohl verständigen. Sie haben eine große Schnittmenge – so wie ich es sehe, ist die Schnitt- größer als die Differenzmenge. Gantz und Bibi haben gut zusammengearbeitet, als Gantz unter Bibi Ramatkal war (Generalstabschef), und auch zwischen Bibi und Bogie (Moshe Yaalon), ebenfalls früherer Ramatkal und Verteidigungsminister, lief es eine ganze Weile recht glatt.

Mit Yair Lapid kann er weniger gut, aber ich selbst habe die kurze Koalition von Lapid und Netanyahu genossen, weil wir endlich wieder einen guten Bildungsminister hatten – Shai Piron aus Lapids Partei. Gut, das hat nicht lange gehalten.

(Ich erwähne hier nur Personalfragen, denn inhaltlich ist die Übereinstimmung so groß, daß Gantz vermeidet, genau zu sagen, WAS er denn anders machen würde als Bibi…)

Aber jetzt will keiner links von Likud mehr mit Bibi zusammensitzen. Obwohl es möglich ist, daß sich mehrere der Vorwürfe gegen Netanyahu am Ende in Luft auflösen, ist es eher unwahrscheinlich, daß das mit ALLEN Vorwürfen geschieht. Ich bin keine Juristin, ich bin auch gern bereit zu glauben, daß manche Journalisten übereifrig sind und uns als riesige Skandale verkaufen, was in Wirklichkeit kleinere Wellenringe sind – der Fall Effi Naveh war so eine Geschichte. Damals habe ich noch Nachrichten auf Kanal 12 geguckt (wegen solcher Sachen habe ich damit aufgehört), und wow, was haben die für ein Geraune und Getue veranstaltet, man hätte denken können, die ungenannte Person im Brennpunkt eines Skandals würde die Grundfesten des Staats erschüttern. Dabei war es ein häßlicher und wichtiger, aber nicht weltbewegender Skandal in der juristischen Welt.

Ich schließe also nicht aus, daß auch aus den Vorwürfen gegen Netanyahu am Ende nicht viel bei rauskommt. Ja ich kann sogar verstehen, daß Bibi sich wahnsinnig darüber ärgert, wenn Geschichten über ihn aufgeblasen werden. Am liebsten würde er einfach weitermachen, weil er sich für den besten aller möglichen israelischen Premierminister hält, und die Vorwürfe gegen ihn sind nur ein paar kleine Hundeköttel, über die er hinwegschreiten möchte auf seinem Weg zum israelischen Pantheon.

Aber leider steht es weder Netanyahu noch Kanal 12 noch auch mir zu, die Vorwürfe einzuordnen und ein Urteil zu sprechen. Das wird die Justiz tun.

Außerdem verstoßen einige der ans Licht gekommenen Geschichten eindeutig gegen Verhaltensnormen, auch wenn sie nicht per se justiziabel sind. Wenn auch nur ein Zehntel der Geschichten darüber stimmt, wie dreist sich Bibi und Sarah um Geschenke und Freebies aller Arten bei ihren Millionärsfreunden angestellt haben, dann möchten viele Israelis sich nicht mehr von diesem hedonistischen Paar vertreten sehen. Und die Aussagen von Milchen oder Miriam Adelson sind einfach nur peinlich beim Lesen. Irgendjemand muß sich die Netanyahus mal zur Brust nehmen und ihnen erklären, daß man sich  nicht so verhält, nein, das macht man nicht.

Viele Israelis (besonders aus der Gegend um Tivon, Saras Heimatstadt) glauben, daß sie es ist, von der dieses Verhalten ausgeht, und Aussagen vieler ehemaliger Mitarbeiter scheinen das zu untermauern. Aber sie ist nicht gewählt, sondern Bibi, und er trägt die Verantwortung dafür. Mir ist es zu einfach: Sara ist die Verrückte und Bibi ein super Staatsmann.

Bibi lacht Gantz aus, weil dessen Telefon angeblich von den Iranern angezapft wurde – „wie soll ein Mann, der nicht mal auf sein Telefon aufpassen kann, auf Israel aufpassen“, tönt er. Aber wie soll ein Mann, der die Ausgaben in seinem eigenen Amt und Haushalt, das Verhalten seiner Familie (incl. Yairs berüchtigte Twitter-Anfälle), das Verhältnis zu reichen und berühmten „Freunden“ nicht unter Kontrolle hat, Israel würdig vertreten? Geht doch alles nicht zusammen.

Es gibt viele Leute hier in Israel, für die ist Bibi einfach der König und er darf alles. Meine Friseurin ist eine reizende junge Frau und ich mag sie sehr, aber wenn sie anfängt über Bibi zu reden, mach ich einfach die Ohren zu. Oder versuche es. Also, Bibi wird ja von den Medien übelst verleumdet. Daß Bibi selbst die Dinge über Journalisten, Justiz, Polizei und sogar den Präsidenten gesagt hat, die viele gesetzestreue Israelis die Palme hochtreiben, weiß meine Friseurin nicht, weil sie keine Nachrichten guckt und keine Zeitung liest. Ihre Eltern haben ihr irgendwann gesagt, daß Likud Zuhause bedeutet und ihr Mann, selbst Polizist, stört sich nicht an Bibis Ausfällen.

Ich selbst habe ja eine gestufte Meinung zu Bibi. Im grünen Bereich sind (trotz einiger Abstriche – Trumps Pudel…) sein außenpolitisches Geschick und sein Unwille, in eine riesige militärische Auseinandersetzung einzusteigen. Im gelben Bereich sein mangelndes Interesse an sozialen Themen und seine Art, wichtige Ministerien und Themen rein als Einflußgebiete, also machtpolitisch, zu behandeln – darüber klage ich ja oft, wie sehr Landwirtschaft, Bildung, Pflege, Gesundheitswesen etc vernachlässigt worden sind, wie sehr diese Themen einfach von einem zum anderen geschoben wurden. Aber das hat er wohl mit vielen anderen Politikern gemeinsam.

Eindeutig im roten Bereich aber sind für mich die Vorwürfe gegen ihn, die erst ausgeräumt werden müssen, bevor ein Mandat hat.

Was Netanyahu einst über Olmert sagte: daß ein Mann, er bis zum Halskragen in juristischen Verwicklungen steckt, ein Land nicht führen kann, all das trifft jetzt Wort für Wort auf ihn zu.

Und darum wäre die einzige Möglichkeit, diesen Plonter dauerhaft aufzulösen – um eine funktionsfähige Regierung auf die Beine zu stellen, die nicht beim ersten Konflikt an den Nähten zerreißt – eine Koalition von Likud und Blau-Weiß, aber ohne Netanyahu. Dahin führen zwei Wege.

Erstens ist es denkbar, theoretisch, daß ein paar Likudniks, denen Netanyahus Festhalten an der Macht um jeden Preis schon lange gegen den Strich geht, sich gegen ihn auflehnen. Entweder Urwahlen fordern oder aber die Fraktion spalten – wie unter Sharon geschehen, der einen Teil der Likudniks mitnahm. Allerdings ist die Likudpartei normalerweise sehr loyal ihren Köpfen gegenüber, und da Bibi viele blinde Anhänger hat wie meine Friseurin, wäre das eine gefährliche Strategie. Ich glaube nicht, daß sie es tun würden – Netanyahu hat ja mit Absicht keinen Nachfolger herangezogen und er traut niemandem, nicht mal den größten Schmeichlern.

Zweitens wäre es theoretisch denkbar, daß Netanyahu selbst einsehen könnte, daß ER es ist, der Israel zum zweiten Mal an die Wahlurne getrieben hat und dafür gesorgt hat, daß wir seit einem Jahr keine funktionierende Regierung haben. Er könnte ein Einsehen haben, eine schöne Rede halten wie einst Olmert, von allen Ämtern zurücktreten, sich von der Politik zurückziehen und mit seinen Rechtsanwälten den Kampf um seine Unschuld und seinen guten Namen aufnehmen.

Aber Bibi wäre nicht Bibi, wenn er das täte.

Er möchte nicht nur die Macht in Händen halten, weil er andere für unfähig hält, dieses Amt zu erfüllen – weil er es für sein Recht hält, Israels König zu sein – weil er echte Sorge hat, daß niemand den Eiertanz zwischen Putin und Trump, Assad und Rouhani zu vollziehen – sondern auch, weil er eine politische Machtposition braucht. Sein Plan war, sich mit einer Mehrheit von 61 Stimmen eine Immunität zu besorgen, an der die Vorwürfe zerschellen müßten.  Dann hätte Generalstaatsanwalt Mandelblit (den übrigens Bibi in sein Amt gehoben hat, weil er dachte, Mandelblit würde es ihm irgendwie danken….) keine Handhabe gegen ihn gehabt.

Doch Mandelblit, früherer Kabinettssekretär Bibis, ist fest entschlossen, ihn vor Gericht zu bringen, wenn nötig. Und ich muß sagen, daß Bibis absolute Entschlossenheit, das zu verhindern, bei juristischen Laien wie mir eher den Eindruck erwecken, daß er etwas zu verbergen, etwas zu befürchten hat.

Hier ein bißchen mehr über Mandelblit. Man kann nicht anders als ihn respektieren. Er steht unter Druck von allen Seiten, Bibisten und Anti-Bibisten.

Bibi trifft also in der heutigen Situation lauter Leute wieder, denen er mal sehr verbunden war, ja die er gefördert hat, die aber irgendwann im Krach von ihm geschieden sind. Lieberman, Ayelet Shaked (die der Likud viele Mandate hätte bringen können, wenn Netanyahu sie nur mit auf die Liste genommen hätte), Barak (der es zwar nicht in die Knesset geschafft hat, dessen Manöver im Wahlkampf aber viel Aufmerksamkeit bekamen und dessen Partei ein Dorn in Netanyahus Seite ist), Rivlin, den er politisch beiseitegedrängt hat…

Barak ist der einzige, der Netanyahu mal übergeordnet war – er war sein Commander in der Armee und hat ihn auch mal bei den Wahlen geschlagen. Alle anderen haben ihre Karrieren unter Netanyahu begonnen. Vielleicht kein Wunder, daß er niemandem traut. Er weiß, daß sie alle schon darauf warten, ihre Karrieren ohne ihn fortzusetzen. Aber so ist das nun mal in einer Demokratie. Die Queen hat diese Probleme nicht (dafür hat sie andere).

Was soll also jetzt passieren? Keine Konstellation ergibt stabile 61 Sitze.

Aber dritte Wahlen, die darf es einfach nicht geben.

Netanyahu und die israelischen Medien September 19, 2019, 17:17

Posted by Lila in Land und Leute, Presseschau, Uncategorized.
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Netanyahu bringt immer wieder die Klage vor, daß „die Medien“ gegen ihn seien und überhaupt ganz und gar links unterwandert. Ich halte diese Klage für unbegründet. Im Gegenteil gefällt mir bei den israelischen Medien eine Vielfalt der Meinungen, zu fast allen Themen, wenn kommentiert wird. Und es gibt auch Journalisten, bei denen man merkt, daß sie ihre Meinungen nicht nach Schema X aus der Schublade nehmen, sondern eine professionelle Distanz bewahren. Insgesamt ist es ziemlich leicht zu erkennen, ob ein Journalist berichtet oder kommentiert.

Was Zeitungen angeht – ich empfehle gern die Übersicht englischer Artikel, immer aktuell, von Rotter.net. Dort geht es von eher „rechten“ (nationalreligiös geprägten) Medien wie Arutz 7 und der anglo-sächsischen Jerusalem Post über die „Mitte“ (Ynet, Times of Israel) bis zur „linken“ (säkular-urbanen) Haaretz. Wobei für Haaretz auch eher konservative und für JPost auch eher linke Journalisten schreiben. Wenn man zu einem Thema Artikel und Kommentare mehrerer Zeitungen liest, hat man automatisch mehrere Gesichtspunkte. Und das sollte man ja sowieso tun. Also, diese Seite kann ich wirklich empfehlen, denn man hat ganz bequem die Links zusammen, auch wenn sie optisch etwas rustikal wirkt.

Wer kein Ivrit versteht, der hat es schwerer, sich ein Urteil über die israelischen Fernsehsender zu machen – die englischsprachige Berichterstattung kenn ich gar nicht mehr, und sie ist auch eher marginal.

Insgesamt gibt es hier drei große Fernsehsender, deren politische Berichterstattung und Nachrichtensendungen um die Zuschauer konkurrieren. Die ganze Fernsehlandschaft in Israel hat mehrere große Umwälzungen mitgemacht, ich beziehe mich auf die aktuell beliebten Sender.

Kan11 ist der Sender, den ich am liebsten sehe. Es ist der öffentlich-rechtliche Sender und hat viele gute Sendungen im Angebot, die ich manchmal im Internet angucke, wenn ich sie verpaßt habe. Seine Optik ist eher schlicht, man kann jederzeit live im Internet zugucken, und es gibt dort nicht wenige Kipa-Träger, von denen einige offen konservativ sind (Erel Segal), andere neutral und kompetent. Die Expertin für militärische Themen, Carmela Menashe, ist mir bei dem Thema am liebsten.

Bei Mako kann man die Nachrichten von Kanal 12 sehen, Nachfolger des ersten privaten Kanals in Israel, Kanal 2. Ich glaube, Kanal 12 ist am beliebtesten, die Journalisten sind am bekanntesten und insgesamt haben einige von ihnen ausgesprochene Kritik an Netanyahu geäußert, weswegen sie oft als Beispiel für das „abgekartete Spiel“ der Medien zitiert werden. Aber sie fassen auch linke Politiker nicht mit Samthandschuhen an. Allerdings ist einer ihrer deutlichsten Kommentatoren, Amnon Abromovitch, auch deutlichster Kritiker Netanyahus.

Kanal 13 ist Nachfolger des früheren Kanal 10 und ich sehe ihn seltener (sehe überhaupt praktisch nur Nachrichten und dann Kan11, weil die im Internet senden), aber auch dort ist das Meinungsspektrum gemischt.

Wer sich nur von Haaretz und Kanal 12 ernährt, hört allerdings mehr Kritik an Netanyahu als Lob, aber es reicht, einmal Segal und Liebeskind auf Kan11 zuzuhören, oder aber im Radio Kobi Ariel und Irit Linur, und schon hat man auch andere Stimmen.

Insgesamt finde ich Netanyahus Kritik unberechtigt, obwohl ich verstehen kann, daß es ihn ärgert, wenn seine verschiedenen Eskapaden von Satiresendungen auf die Schippe genommen werden.

Vor zwei Jahren, Eretz Nehederet (Ein wunderbares Land) – was wie Klamauk aussieht, hat einen ziemlich scharfen Text, der ein paar von Bibis typischen Reaktionen auf Vorwürfe zitiert.

Aber vor zehn Jahren hat dieselbe Sendung nicht nur Bibi, sondern ebenso Peretz und Olmert aufs Korn genommen.

Und daß es Bibi nicht wirklich stört, wenn er brilliant kopiert wird, weil er weiß, daß er das auch für sich nutzen kann, sieht man an seinem Auftritt sowohl bei Eretz Nehederet

als auch bei Lior Shlain, wo er ebenfalls regelmäßig durch den Kakao gezogen wird.

Netanyahus Umgang mit diesen Satiresendungen ist nicht ungeschickt, und er macht das eigentlich ganz souverän.

Viel problematischer ist, daß er keine Interviews gibt, nur kurz vor den Wahlen. Auch bei Pressekonferenzen wimmelt er die Journalisten gern ab. Und wenn er Journalisten verärgert, dann machen sie sich irgendwann Luft.

Ein Teil der Vorwürfe gegen Netanyahu haben auch mit den Medien zu tun – nämlich, daß er sich positive Berichterstattung einer beliebten News-Seite im Internet verschafft haben soll (der sog. Fall 4000). Darüber wird natürlich relativ viel berichtet, weil es die Journalisten selbst interessiert.

Es ist möglich, daß er vorverurteilt wird, bzw daß sich hinterher vor Gericht Vorwürfe in Luft auflösen, weil sein Verhalten nicht gegen Gesetze verstieß – trotzdem ist vieles davon diskussionswürdig. Und anderen Politikern ging es nicht besser, wenn sie unter Verdacht gerieten. Sie stießen öffentliche Diskussionen an. Die israelische Justiz verfolgt, soweit ich es beurteilen kann, scharf, besonders Politiker.

Es wird ihn auch geärgert haben, daß eine Aufnahme in miserabler Qualität gesendet wurde, wo man hört, wie seine Frau am Telefon einen Redakteur anblafft, weil sie sich nicht positiv genug dargestellt sah. Ich kann sogar verstehen, daß es sie nervt, als Psychologin mit M.A., immer wieder als Ex-Stewardess erwähnt zu werden, aber die Aufnahme ist peinlich. Vielleicht wäre sie in einem anderen Fall nicht veröffentlicht worden, aber Sara Netanyahu ist beliebte Zielscheibe von Journalisten, die sich an Bibi selbst nicht drantrauen. Daß sie zu dem Thema mehrere Interviews gegeben hat, in denen sie sich über die Berichterstattung beschwert, hat leider nicht geholfen – da hält es die Familie Windsor mit „never explain, never complain“ wohl besser.

Selbst ihre Versuche, die Vorwürfe über einen luxuriösen Lebenswandel zu entkräften, indem sie einem bekannten Innenarchitekten zeigt, wie schlicht der amtliche Wohnsitz des Premierministers ist, wie in die Jahre gekommen, wurde zum Bumerang – jeder weiß, daß die Netanyahus eine Villa in Caesarea haben, und ihre Klagen über ausgefranste Teppiche, wie peinlich, wenn die Obamas kommen!, kam irgendwie nicht so rüber, wie sie es geplant hatte.

Eigentlich wurde nur Leah Rabin ähnlich angegriffen wie sie – Sonia Peres war praktisch unbekannt, Aliza Olmert als Malerin und Sozialarbeiterin eher respektiert als kritisiert, und überhaupt war vor den Netanyahus keine politische Familie so im Rampenlicht. Bei seinen Reden merkt man Netanyahu an, daß das seine Achillesferse ist – die Kritik an seiner Frau und seinen Söhnen empfindet er als unfair, weil diese nicht gewählt wurden und sich nicht aussuchen konnten, allgemein bekannt zu sein. Die Söhne kennen es gar nicht anders.

Avner, der jüngere Sohn, wurde von Demonstranten so persönlich angegangen, daß er sich vor Gericht dagegen wehrte. Er macht einen sensiblen Eindruck und scheint eher darunter zu leiden, daß seine Familie so bekannt ist. Ein Journalist erzählte, daß Avner ihm sagte, er würde nie Politiker werden wollen, weil das für die Familie unzumutbar ist – und typisch, daß dieser Journalist das nicht für sich behielt.

Der ältere Sohn dagegen, Yair, twittert und schießt bei der Verteidigung seines Vaters manchmal übers Ziel hinaus. Damit hat er sich in die öffentliche Arena begeben, und da er als engster Ratgeber seines Vaters gilt, ohne gewählt zu sein oder eine offizielle Funktion zu haben, ist er damit heute wohl der umstrittenste Netanyahu.

Wenn Netanyahu den Medien vorwirft, daß sie sich die Zähne an seiner Familie wetzen, dann entgegnen die Medien, daß er es war, der im amerikanischen Stil seine Familie erst in Szene gesetzt hat. (Außerdem kommen er und seine Frau aus bekannten Familien der ashkenasischen Oberschicht). Trotzdem kann ich verstehen, daß er deswegen grollt.

Aber was die Berichterstattung und Kommentare zu seiner Politik angeht, finde ich die Medien insgesamt fair. Zu allen Fernseh-Diskussionen werden auch mehr oder weniger eloquente Likud-Politiker eingeladen, die Netanyahus Standpunkt erklären. Daß ein Tribunal von linken Kommentatoren und Politikern den Stab über ihn bricht, ohne daß lebhaft widersprochen wird, ist jedenfalls nicht die Regel.

Man muß außerdem mehr als nur eine Quelle lesen oder hören. Das ist ja bei jedem Thema so.

 

Wahltag September 17, 2019, 20:57

Posted by Lila in Land und Leute, Persönliches, Uncategorized.
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Wir sind im Deja-vu. Genau dieselben Phrasen, Versprechungen und gegenseitigen Vorwürfe haben wir im April schon gehört. In einer halben Stunde werden die Wahllokale geschlossen und die ersten Hochrechnungen (midgam) werden veröffentlicht. Nach der Peinlichkeit im April, als aufgrund von Hochrechnungen beide Kandidaten ihren Wahlsieg feierten, werden sie diesmal wohl vorsichtiger sein.

Von dem ganzen hektischen Irrsinn um die Wahlen haben wir heute wenig mitgekriegt, weil für die Familie ein Trauertag war. Wir standen traurig auf dem Friedhof im Kibbuz, um einen Jahrestag zu begehen. Heute genau vor einem Jahr haben wir auf tragische Art und Weise eine nahe und sehr geliebte Verwandte verloren. Und so war heute die ganze große Familie versammelt.

Nach dem Besuch des Grabs kam das gemeinsame Essen im Haus meines Schwagers, der noch im Kibbuz wohnt. Ich habe immer große Freude daran, wie der Tisch aussieht, auf dem wir alle mitgebrachten Sachen aufbauen. In Y.s Familie essen alle so wie ich – viel Gemüse, Hülsenfrüchte, Qinoa, Salate, Obst, alles frisch, alles leicht. Ein nicht geringer Anteil der Familie ißt wenig oder gar kein Fleisch, und ein Anteil der Jugend ißt vegan.

Alkohol wird bei diesen Treffen nie getrunken, anders als in der deutschen Familie, wo Wein, Sekt und Prosecco fließen, und zu Weihnachten auch die Feuerzangenbowle….

Nicht auszudenken, wenn ich in eine Familie eingeheiratet hätte, für die eine gute Mahlzeit aus Fleisch, Wurst und Sättigungsbeilage besteht! Gegen ein Gläschen Wein allerdings hätte ich nichts einzuwenden.

Die Familie, die nach der Shoah winzig war, hat sich inzwischen deutlich vergrößert. Alle Vettern, Cousinen, Nichten und Neffen im fortpflanzungsfähigen Alter sind glücklich verbandelt, und viele von ihnen haben energiegeladene Kinder aller Altersstufen, die froh sind, wenn sie im Kibbuz auf der Wiese toben können. Nichts hebt die Stimmung mehr als den Kindern zuzugucken. Tertia hat mit den Älteren Taki gespielt, ein Kartenspiel, und die Stimmung entspannte sich.

Irgendwann fingen dann alle an, von den Wahlen zu sprechen. Alle hatten gewählt. Die geborenen Kibbuzniks stellten fest, daß sie in den letzten Jahren sacht in Richtung Mitte abwanderten (obwohl es immer noch Meretz-Wähler in der Familie gibt ). Man erinnerte sich an die Mapam-Partei, der die Großeltern und eigentlich alle Kibbuzniks selbstverständlich angehörten. Aus Mapam wurde nach dem Zusammenschluß mit Ratz Meretz (alles Abkürzungen), und jetzt hat sich Meretz mit Baraks Partei zusammengeschlossen und das Ganze heißt „Demokratisches Lager“.

Die Eingeheirateten, die teilweise aus konservativeren Häusern kamen, hatten eine ähnliche Wanderung in Richtung Mitte hinter sich. Sonst diskutieren wir solche langsamen Wandlungen politischer Standpunkte eher selten, aber am Wahltag kam die Sprache ganz natürlich darauf. So haben also die meisten Blau-Weiß, einige auch Demokratisches Lager oder Arbeitspartei-Gesher gewählt. Es war eine sehr interessante Diskussion, die sich ähnlich bestimmt in vielen Familien abgespielt hat, egal was sie wählen.

Die öffentlichen Verkehrsmittel sind heute nämlich umsonst und gearbeitet wird nicht, so daß viele Leute zusammen Ausflüge gemacht haben oder Familientreffen wie wir.

Jetzt sitzen wir vor dem Fernseher und warten auf die Hochrechnungen der drei großen Fernsehsender. Es geht um viel. Netanyahu kämpft um mehr als seine politische Karriere. Ohne den Rang als Premierminister gibt es keine Möglichkeit, seinen Vorladungen und Anhörungen eventuell auszuweichen. Aber bei aller Anerkennung für sein Geschick im Eiertanz des Nahen Ostens, für seine Entschlossenheit bei der Verteidigung gegen den vom Iran inszenierten Schattenkrieg, für seinen Verdienst bei der Verbesserung von Israels internationalem Einfluß in vielen früher unerreichbaren Ländern (für die wir mit Verlust anderer Freundschaften zahlen….) – wir alle können und wollen ihn nicht mehr sehen.

Ich bin dafür, daß ein Premierminister nicht öfter als zweimal gewählt werden darf. Ein andermal schreibe ich mal mehr darüber, warum ich bei der Anerkennung seiner Verdienste Netanyahu trotzdem für destruktiv halte. Aber jetzt gucken wir die Hochrechnungen. Das wird eine lange Nacht. Immerhin haben wir gut gegessen. Haltet uns die Daumen.