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Gedanken zum Ramon-Urteil Januar 31, 2007, 18:12

Posted by Lila in Land und Leute.
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Ich habe mir schon seit einiger Zeit Gedanken zum Prozeß gegen Ramon gemacht, der mal ein ziemlicher Hoffnungsträger der Arbeiterpartei war, wenn auch nie besonders beliebt. Heute ist er also schuldig gesprochen worden – einstimmig.
Immerhin war er Justizminister, ein wichtiges Amt – das noch dazu bekleckert ist von seinen Vorgängern, weswegen seine reine Weste umso wichtiger war. Noch einen Justizminister mit schmutziger Weste ertragen wir nicht. Vielleicht wäre ein Amtsträger in einem anderen Posten eher mit einem zwangsweisen Zungenkuß davongekommen – ich bin sicher, das war nicht das erste Mal, daß sowas vorgekommen ist. Aber ein Justizminister kann sich das nicht leisten. Noch dazu ein Justizminister, nach dessen Hacken sowieso aus politischen Gründen (Stichwort Ernennung Richter fürs Höchste Gericht) viele Leute schnappen.

Dann kommt der Zeitpunkt hinzu – am Tag, als im Norden Raketen auf Dörfer fielen und eine Grenzpatrouille brutal überfallen wurde, mit zwei verschleppten Soldaten – als die Menschen in den Bunkern saßen und ein kleiner Junge in Zarit aus seinem Kinderzimmerfenster fallende Raketen filmen konnte – an einem Tag wie dem 12.7. wirkt Ramons Verhalten besonders frivol, ein Schlag ins Gesicht. DAS also machen unsere Entscheidungsträger, während wir in einen Krieg schlittern?

Dan Halutz verkaufte an dem Tag seine Akten – der Skandal mit Moshe Katzav war soeben ins Rollen gekommen, und die Entführung von Gilad Shalit ebenfalls wenige Tage her. Die Armee erlebt Pannen, die Politiker suhlen sich jeder in seinem Schlammpfützchen, das israelische Publikum hat geradezu apokalyptische Gefühle… die allgemeine Atmosphäre jedenfalls war nicht so, daß Ramons Fauxpas (den er auch gar nicht als solchen empfand) einfach so verziehen würde.

Haim Ramon läßt sich mit der Unbekannten Soldatin photographieren – man beachte das Fernsehbild im Hintergrund. Als er mit ihr allein ist, küßt er sie. 

Selbst wenn Ramons Erklärung, daß die Soldatin mit ihm „geflirtet“ hat, stimmte – es ist noch lange kein Grund, sie auf diese Art und Weise zu küssen. Die Richter  haben gar keine Wahl als klar und deutlich zu sagen, daß sich das nicht schickt und es eine Verletzung des Rechts darstellt – junge Frauen haben das Recht, nicht von jedem mächtigen Mann geküßt zu werden, dem sie gefallen. Pech für die mächtigen Männer, denen es jahrhundertelang so gut ging.

Es kann sein, daß das Urteil anders ausgefallen wäre, wenn der Skandal um Katzav die Nerven nicht so geschärft hätte. In beiden Fällen haben die Angeklagten nach Kräften versucht, die Klägerinnen auf die billigste Art und Weise anzuschwärzen – nach dem uralten Motto „Flittchen haben sich selbst zuzuschreiben, wie sie behandelt werden wollen, she asked for trouble“. Daß dieser weitverbreitete Irrtum durch eindeutige Gerichtsurteile bekämpft werden muß, ist eigentlich ein Armutszeugnis. Gestern wurden Bürger auf der Straße gefragt, was sie dazu denken, ob Ramon schuldig ist oder nicht. Alle Frauen meinten, schuldig – die älteren zögernder als die jüngeren. Bei den Männern war es geteilt, gar nicht wenige meinten, „das ist die eben selbst schuld“.  Frauen, die sich gegen Unrecht zur Wehr setzen, müssen nach wie vor damit rechnen, stigmatisiert zu werden – wie Lukretia, der nur der Dolch bleibt.  So ein Urteil also soll von Opfern als Ermutigung verstanden werden, sich gegen Unrecht zu wehren, und zwar auf dem Rechtsweg.

Aber das Argument, „dann kann man ja nirgends mehr harmlos flirten“ zieht wohl nicht. Die meisten Frauen, und vermutlich auch Männer, wissen ganz genau, wann in einer Beziehung mit Machtgefälle die Grenze überschritten wird. Im Zweifelsfalle, um das Einmaleins des Guten Tons zu zitieren, sollte der Mann die Zurückhaltung zur Richtschnur seines Handelns wählen.  Dann kann ihm nicht passieren, daß er, arm und ahnungslos, angeklagt wird, nur weil er dachte, it was the natural outcome of a lengthy flirtation that H. conducted with him. 

Ich weiß auch nicht wieso, Januar 30, 2007, 0:16

Posted by Lila in Land und Leute.
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irgendwie kullern mir heute abend die lustigsten Zeitungsenten vor die Füße, dabei wollte ich nur ein letztes Mal meine Stunde für morgen flöhen!

Das hab ich in den Nachrichten gesehen, gestern abend, und finde es nun voller Begeisterung in einer libanesischen Zeitung, illustriert mit einer Aufnahme von Kampfflugzeugen. Adrenalin!!!

8 injured from toxic gases of Israeli balloons

Sunday, 28 January, 2007 @ 1:29 AM

Beirut- Eight people were hospitalized Saturday after inhaling toxic gases from poisonous balloons dropped by Israeli warplanes over Upper Nabatiyeh in southern Lebanon, the National News Agency reported.

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NNA said among those who were rushed to hospital suffering from nausea and fatigue were a Lebanese staff sergeant, a recruit and An Nahar reporter Rana Jouni.

The agency said Israeli warplanes dropped at least 10 poisonous balloons with Hebrew markings over Upper Nabatiyeh at about 9 am Saturday.

Pfui Teufel, die Israelis wieder! Gummistiefel her, Transparent schnappen, auf zur Mahnwache! Haben kein Schamgefühl, die Kerle.

Aber komisch sehen die Luftballons schon aus. Hebräischer Aufdruck „ha-ir“, „Die Stadt“, hm, sieht ja aus wie das Logo von…

An Israeli promotional campaign involving balloons caused panic among Lebanese civilians Saturday when the wind carried them over the border into southern Lebanon.

The Lebanese media reported that some civilians were hospitalized after inhaling the gas in the balloons.

However, the photographs published on the Web site of Hezbollah’s TV station Al-Manar show green balloons from a promotional campaign for Ha’ir, a Schocken group newspaper.

Ah. Walla.

Gucken wir mal, Januar 30, 2007, 0:06

Posted by Lila in Bloggen, Land und Leute.
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ob die Focus-Redakteurin die falsche Angabe korrigiert.

Rund 20 Prozent der israelischen Staatsbürger sind Araber. Schon in ihren Pässen ist vermerkt, dass sie nicht zur jüdischen Volksgruppe gehören, und sie brauchen auch keinen Militärdienst abzuleisten.

Die Überschrift lautet: Der Vorzeige-Araber. Damit macht sie klar, daß die Ernennung eines moslemischen Arabers zum Minister eigentlich nur ein Feigenblatt ist. Der Vorwurf des Rassimus klingt heftigst durch.

Damit ich mich nicht lächerlich mache, habe ich alle Pässe der Familie durchgeblättert. Allesamt Israelis, einer davon Jude. Den Eintrag „Jude“ gibt es nicht. Bei allen steht „Israeli“. Mal gucken, ob die Dame auf die Email reagiert und den Satz rausnimmt. Das „schon“ ist besonders nett.

Leute, die noch nie hier waren und keine Ahnung haben, regen sich auch gern furchtbar auf, daß es extra Schulen für Araber gibt – wobei arabische Eltern frei wählen können, wohin sie ihre Kinder schicken. (Hab ja schon hundertmal erzählt, daß unsere Schule gemischt ist). Irgendwie kommt den Leuten nicht in den Sinn, daß Araber in Israel vielleicht daran interessiert sind, ihre Identität und Sprache und Kultur zu bewahren? Es gibt arabische PHs und allgemeine – die Araber können sich aussuchen, welche Lehrer-Ausbildung sie machen wollen. Aber so wie es Katholiken gibt, die ihre Kinder gern in eine Schule schicken wollen, die ihre eigene Weltanschauung widerspiegelt, so machen das auch die verschiedenen ethnischen Gruppen hier. Alles eine Frage der freien Wahl, nicht des Zwangs.

Aber Hauptsache, die Richtung in so einem Artikel stimmt, nicht wahr? Wann war eigentlich der erste Moslem in Deutschland Minister? Ist mir entfallen.

Was will mir das sagen? Januar 29, 2007, 22:00

Posted by Lila in Land und Leute.
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Aus Haaretz.

Jetzt geht natürlich das große Raten und Beraten los, wie reagieren? Wir stecken Qassams ohne Ende ein, täglich vereitelte Anschläge (von denen auch in unseren Medien nicht viel kommt, ich habe aber andere Kanäle und weiß manches, was ich nicht erzählen kann – klingt gut, was!), und so steht jetzt Peretz die Entscheidung bevor, was zu tun. Tu wat, Jung! rufen die einen, übereil nichts, Jung!, die anderen. Er sieht überfordert aus.

Dann die Beiträge zum Thema Holocaust und Antisemitismus, dabei zwei wirklich lesenswerte Beiträge. Einer gibt ein bißchen Hintergrund, auch zur Durban-Konferenz, die ich zu den ganz großen Traumata meines Lebens zähle – in den Tagen dieser Konferenz wurde mir dumpf klar, daß wir keine Chance haben, und es hat ein paar Jahre gedauert, bis das von dumpf zu klar durchgesickert ist. (Hier eine alles anderes als objektive Sammlung von Links, und hier eine ebenfalls nicht objektive Seite zum Thema.)

Dina Porat befaßt sich mit der Frage, wie weit der Begriff Antisemitismus, aber auch Rassismus und Xenophobie, eigentlich theoretische definiert und abgesteckt ist. Jedes Sextänerschen weiß ja heutzutage, daß man ohne vernünftige Begriffsdefinitionen nicht arbeiten und erst recht nicht kommunizieren kann. Erstaunlicherweise ist der Begriff Antisemitismus jahrzehntelang eher vermieden oder als vages Schlagwort eingesetzt worden. Porats Nachzeichnen der Diskussion und auch der Diskussionsvermeidung finde ich hochinteressant.

For almost 50 years, from the end of the Second World War until the early 1990s, anti-Semitism is not mentioned and is certainly not defined in the documents, conventions or summaries of European and international conferences.

Schon erstaunlich.

Auch interessant die aktuelle Meldung, eine klare Steigerung der antisemitischen Gewalttaten in Europa, wen wundert es? Ein Jahr nach dem Mord an Ilan Halimi kann sich einem auch ein stoischer Magen dabei umdrehen.

Was wird passieren, wenn Israel jetzt irgendeine Art von Schlag gegen die Infrastruktur des Terrors losläßt, der wir den heutigen Anschlag verdanken? Ach ja, wir eskalieren die Lage unverantwortlicherweise. Wenn Peretz noch eine Runde still hält? Dann bleibt es still, bis zum nächsten Anschlag, oder bis eine Qassam-Rakete ihr Ziel findet.

Ob mich das nicht ermüdet? Doch, aber leider hat die Realität kein Knöpfchen zum Ausschalten.

Das Wort, das niemand hören will Januar 29, 2007, 16:45

Posted by Lila in Land und Leute.
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Es sprach sich in Nullkommanichts rum, pigua, pigua, pigua, Anschlag in Eilat. In Eilat??? Da passiert sowas doch nicht. Kann nicht sein, es muß wohl doch eine Gasexplosion gewesen sein. Alle natürlich sofort mit dem Kopf im Internet, hm, keiner weiß was, also weiterarbeiten. Nein, es kann doch kein Anschlag gewesen sein, eine Gasexplosion ist wahrscheinlicher, warten wir es eben ab.

Trotzdem stellt sich heraus, es war ein Anschlag. Und die Hamas, wohlgemerkt Regierungspartei!, meint beifällig, das ist der richtige Weg, eine innnerpalästinensische Einigung herbeizuführen. Und daß es die natürliche Folge der Taten Israels ist (wobei sich im Moment unsere Aktivität mehr darauf beschränkt, Qassams zu zählen, gestern drei, und zu seufzen – die Einwohner von Sderot werden übrigens auf Evakuierungen vorbereitet, wie provokant von uns).

Das sind ja nette Aussichten, wenn sie nun Anschläge in israelischen Bäckereien als Mittel zur Bildung einer Hamas-Fatach-Regierung einsetzen. Wenn sie ihre Aggressionen entweder aneinander oder an uns auslassen müssen, dann sollte vielleicht einer ihrer Geldgeber mal erwägen, ihnen einen De-Eskalations-Workshop zu finanzieren. Statt zuzulassen, daß sie sich mit Waffen ohne Ende eindecken.

(Und daß dieser Bradley Burston mir mit seinem Kommentar zuvorgekommen ist, nehme ich aber übel!)

Ungeklärtes Phänomen Januar 29, 2007, 9:44

Posted by Lila in Kibbutz, Kinder, Katzen.
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Ist das nur in meinem Bekanntenkreis so? Ein Paar heiratet, kriegt Kinder, zieht in sein Traumhaus, und nachdem das letzte Bäumchen im Garten gepflanzt ist, zieht einer der Partner aus.

Unglaublich, wie häufig man Ehen oder Langzeit-Beziehungen scheitern sieht, und zwar gerade dann, wenn sie einen Punkt erreicht haben, an dem man denken sollte: jetzt ist die Zeit gekommen, wieder ein bißchen in die Beziehung zu investieren. Das tun die Leute dann auch – nur eben in Beziehungen mit neuen Menschen.

Seltsam, seltsam. Vielleicht können wir Menschen den Hals nicht vollkriegen? Oder vielleicht leiden viele Menschen in ihrer Ehe, gestehen es sich aber nicht ein, solange noch der Alltagsstreß mit kleinen Kindern und im weniger-als-Traumhaus ihre Sinne betäubt? Ich weiß es nicht. Aber ich sehe es sehr, sehr ungern, wenn Familien zerbrechen (auch wenn aufgrund der Struktur des Kibbuz solche Trennungen in 90% der Fälle zivilisiert und fair vor sich gehen). Lo aleinu, lo aleinu.

Ein kleiner Blick Januar 28, 2007, 14:04

Posted by Lila in Land und Leute.
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in einen Teil meiner Welt. Ich war bei dem Treffen als Kiebitz dabei, wegen deutscher Sprachkenntnisse, wurde aber nicht gebraucht. Israelische Studentinnen reflektieren über den Krieg und seine Folgen.  (Ich finde den Turm übrigens scheußlich, so schön die Aussicht ist).

Kleine Nachricht Januar 28, 2007, 13:27

Posted by Lila in Land und Leute.
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Wo nun die wandelnde, schreiende Peinlichkeit Katsav „zeitweise beurlaubt“ ist, ist die Nummer zwei des Staats, die Sprecherin der Knesset, Dalia Itzik, nachgerückt. Ich erinnere mich an Dalia Itzik als junge Parlamentarierin, die gegen Autounfälle kämpfte (sie hatte selbst mal einen schweren und hat sich danach dieses Thema erkoren, was ich sehr gut fand) und eine würdevolle Hochsteckfrisur trug. Inzwischen sind sowohl ihre Frisur als auch ihre politische Linie ziemlich bergab gegangen – ja ja, bei Frauen achtet man nun mal auf die Frisur, aber ich habe auch schon über Olmerts überkämmte Glatze gelästert! (Er hat sich übrigens die elende Schmachtlocke ENDlich abschneiden lassen – ein Hoffnungsschimmer für den Nahen Osten!). Itzik hat sich in den letzten Jahren eigentlich mehr durch innerparteiliche Manöver als durch inhaltliche Schwerpunkte ausgezeichnet – schade eigentlich, denn sie hat bestimmt was zu sagen. Sie ist von der Arbeiterpartei zu Kadima gewechselt, und das zu einem Zeitpunkt, als abzusehen war, daß die Jobchancen bei Kadima besser stehen als bei ihren alten Genossen. Beliebt ist sie nicht, eben Lehrerin!, aber vielleicht läuft sie ja noch zu einer besseren Form auf.

Ihr Vertreter ist ein drusischer Abgeordneter. Und laut Jerusalem Post wird er nun als ranghöchster Israeli die Präsidentin vertreten, wenn sie im Ausland herumschwirrt – was sie sich nicht nehmen lassen wird. Auch wenn es nur ein rein repräsentativer Akt ist und Majallie Whbee nicht gerade großen Einfluß auf unsre Geschicke nehmen kann – es ist doch schön und ein Zeichen für die israelische Demokratie, daß ein Mitglied einer Minderheit offizielles Staatsoberhaupt sein kann. Und noch dazu ein Druse.

Über Meinungen Januar 28, 2007, 1:38

Posted by Lila in Bloggen, Land und Leute.
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Ich bin auf Umwegen auf diese nicht ganz neue, doch immer noch aktuelle Buchbesprechung gestoßen, die leider meine Fragen recht deutlich beantwortet.  Mir scheint, das dazu passende Buch ist so pessimistisch, eine Aufsatzsammlung  verschiedenster Autoren, daß ich mir das lieber nicht antue, es zu lesen. Es mag auch sein, wie wohl manche Rezensenten fanden, daß man sich im Aufspüren neuer und alter Formen des Antisemitismus in einen Rausch des Pessimismus und des Verfolgungswahns steigern kann – der mag nicht immer angemessen sein, der mag zum Perpetuum mobile werden… aber seltsam ist es schon…

Die Denkformen des alt-neuen Antisemitismus, der weit über normale Kritik herausgeht und Israel, stellvertretend für die Juden, das Lebensrecht abspricht, sind viel weiter verbreitet, als ich mir in meinen prä-bloggerischen Tagen vorgestellt hätte – oder vor den Tagen des Internet, als meine mediale Welt aus der Jerusalem Post (die Wochenendausgabe – immer gute Rezepte drin), der ZEIT (von der Postfrau stets mißmutig in mein viel zu kleines Fach gestopft) und den für die Yekkes geschriebenen deutschen Israel-Nachrichten (die es unglaublicherweise immer noch gibt!) bestand. Seitdem ich mich virtuell ein bißchen tummeln kann, sehe und lese ich manches, und zwar en masse!, was ich mir nicht hätte träumen lassen.

In allen Foren tauchen zum Beispiel Leute auf, denen unbekannt ist (oder die abstreiten), daß Juden eine Beziehung zum Land der Juden haben, die die Gründung des Staats Israel als illegitim bezeichnen, die Israel als Aggressoren (und zwar alleinige) und Expansionisten sehen – Leute, denen die grundlegendsten Tatsachen nicht bekannt sind und die das ideologische Zeug daherplappern, was in palästinensischen Schulbüchern und Medienkampagnen verbreitet wird. Dabei ist das Erschreckende daran weniger die Unwissenheit oder wissentliche Verdrehung von Tatsachen – das kann schon mal passsieren, wer weiß schon alle Einzelheiten von anderleuts Geschichte? (Wie wenig wußte ich über die Revolte der Holländer, trotz Schillers Egmont, bevor ich mich ins Thema eingelesen habe! Und die Niederlande sind doch so nah.) Nein, die mit Eifer verbreiteten falschen Tatsachen sind es nicht, die mich verstören. Auch nicht, daß es so viele sind – allzuoft die Mehrheit. Es ist der Ton, der Ton.

Das erste, was mich erschreckt, ist die Sicherheit, mit der die Verfechter der Illegimität Israels argumentieren. Keine Spur eines Zweifels scheint sie je beschlichen zu haben, die Meinung steht bombenfest, man dringt gar nicht durch. Aber auch das würde ich noch ertragen – es gibt ja auch wirklich genügend Leute, deren pro-israelische Haltung nie durch den Schatten eines Zweifels an der Klugheit israelischer Maßnahmen, der Weitsichtigkeit israelischer Regierungen getrübt wurde. Außerdem kenne ich ja von mir selbst, daß es eine Weile dauert, bis man sich in einer Diskussion geschlagen gibt – und manchmal läßt man sich einfach aus rhetorisch-dynamischen Gründen nicht anmerken, daß einem ein Argument durchaus zu denken gibt. Ja manchmal merkt man es selbst erst nach der Diskussion, daß sich da etwas festgehakt hat. Das ist also auch nicht das Besorgniserregende.

Es ist die geballte Ladung Haß, die Israel entgegenschlägt, die mich erschreckt. Diese ganz besondere Häme und Gehässigkeit, auf die ich mit ungläubigem Staunen immer und überall treffe, und die sich in den letzten Jahren in Deutschland immer erschreckender äußern, werfen die Frage auf, ob nicht wirklich dumpfere Gefühle der Ab- und Aufrechnung dahinterstecken – ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, ähnlich boshafte Töne schon mal gegen Portugal oder Irland gehört zu haben. Die persönlichen Angriffe in schlicht ungezogen bösartigem Ton, die ich dabei einstecke, unabhängig davon, was ich sage oder nicht – von Leuten, denen es reicht zu wissen, daß ich Israelin bin – die unterstreichen den besonderen Charakter, den Israel in den Augen der Meisten wohl hat, und ich sehe als Schwäche meinerseits an, wenn mich das trifft. Sollen sie doch denken, was sie wollen. Aber trotzdem – man braucht eine Weile, um es einzustecken und zu sagen, „na gut, wer austeilt, muß auch einstecken können“.

Vieles davon gelangt gar nicht auf diese Seiten – ich habe mehr oder weniger geschafft, hier einen Ton durchzusetzen, der auch bei sachlichen Meinungsverschiedenheiten respektvoll bleibt, anders kann ich es nicht. (Außerdem rennt bei mir jeder, der den Palästinensern Rechte zugesteht, offene Türen ein, weiß Gott, auch wenn er das nicht glaubt.) Ich reagiere meist nicht auf diese Dinge, die per Backlink oder Email ihren Weg zu mir finden, auch wenn manchmal Leute partout versuchen, mich in eine Auseinandersetzung zu ziehen, die woanders tobt. Aber als Ausdruck eines Hasses, der sich von sachlichen Auseinandersetzungen längst gelöst und verselbständigt hat, erschreckt dieser Ton mich zutiefst. Und das Gefühl, das ich zu Anfang meiner Zeit in Israel als typische Paranoia abgetan habe – nämlich das Gefühl, daß wir uns nur auf uns selbst verlassen können und wenige Freunde in der Welt haben – das Gefühl überkommt auch mich immer öfter.  Ich habe das Gefühl, es ist so viel zu erklären, das uns ohnehin niemand glaubt – und die emotionale Wucht des Ressentiments ist so groß und unüberwindbar, wo soll man da anfangen?

Dann wieder denke ich mir, ich übertreibe. Schließlich geben die meisten Leute zum Nahostkonflikt angelesenes Zeug von sich und er ist ihnen nicht wirklich wichtig. Es ist so, als würde ich mich zur Lage in Somalia  oder Ceylon äußern – auf welches authentische Wissen kann ich mich da berufen? Bin ich sicher, daß ich alle Tatsachen am Schnürchen habe? Wohl kaum. Und wenn mich Leid und Krieg und Konflikt in anderen Weltgegenden auch bedrückt und ich oft daran denke, verschließe ich doch oft genug die Augen davor – so wie es eben auch deutsche Fernsehzuschauer machen, wenn sie sehen, daß hier unten schon wieder die Hölle los ist. „Diese Nahost-Barbaren, können die sich denn nicht einigen? die werden schon alle genügend Dreck am Stecken haben“, und fertig mit der Reflektion. Es wäre unfair von mir, das zu verurteilen, wir alle machen solche Kurztouren durch anderleuts Probleme, sonst könnten wir gar nicht mehr leben, unseren Alltag bewältigen, Kraft für anderes aufbringen.

Und dann denke ich wieder an die Menschen, die ja gar nicht so wenige sind, die unglaublich viel Energie in einen Konflikt stecken, der ja gar nicht ihrer ist. Die nachlesen, diskutieren, sich informieren, bei mir mitlesen, eifrig mit mir streiten und meine Ansichten nicht automatisch gelten lassen – die nachfragen, nachlesen, Informationen nachreichen, korrigieren und am Ball bleiben – die ich auch in anderen Blogs  antreffe. Und dann denke ich mir, Respekt, denn sie müßten sich nicht so weit auf diese Materie einlassen, tun es aber doch. Und wer nach gründlichem Nachdenken und Erwägen aller Tatsachen, ohne Ressentiments gegen Juden oder Araber, ohne Vorurteile gegen die eine oder andere Seite, ohne schöngeistige  Idealisierung, egal ob a la Leon Uris oder Annemarie Schimmel — wer also nach bestem Wissen und Gewissen seine Meinung gebildet hat, der hat meinen Respekt. Auch wenn seine Meinung ganz anders sein kann als meine. So wie ich auch die Ansichten von Malik, Nasrin oder Walid respektiere, die nicht aus Haß geboren sind, sondern aus einer anderen Lebenswirklichkeit, die auch ihr Recht will. (Und ich sehe Malik, Nasrin und Walid ebenso ungern aufgrund ihrer Herkunft mißtrauisch beäugt wie Avi, Motti und Yael.  Oder Petra, Christiane und Hermann-Josef.)

Aber das ist nicht eine Frage der Meinungen – sondern des Wegs, wie man zu dieser Meinung kommt, und der Art, wie man diese Meinung ausdrückt.  Wenn ich mir ansehe, wie husch-husch manche Meinungen sich anscheinend bilden, nur flüchtig um einen Kern halbwahrer und halbgarer Tatsachen gewickelt – und wenn ich mir anhöre, wie pampig-aggressiv und verächtlich sie geäußert werden – dann kommen die Beklemmungen eben wieder.  Manchmal sehne ich mich danach, das alles nicht zu wissen. Nein, das Buch über neuen und alten Judenhaß werde ich bestimmt nicht lesen, das hielte ich glaube ich nicht aus. Vielleicht, wenn die Zeiten besser sind und ich nur sagen kann, „war das schrecklich damals, als wir so verhaßt waren“. Aber noch nicht jetzt.

Offene Fragen Januar 27, 2007, 11:23

Posted by Lila in Land und Leute.
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Im Gazastreifen wird gekämpft, Zivilisten sterben, darunter ein zweijähriges Kind, insgesamt 14 Menschen. Davon haben vielleicht noch nicht alle gehört, das Medienecho (überprüft an ein paar deutschen Zeitungen im Internet, nichts Umfassendes) ist eher verhalten. Auf vielen Titelseiten findet sich die Meldung gar nicht (auf der Süddeutschen, Kölner Stadtanzeiger…) oder nur klein, oder unter Betonung der Aspekte „Machtkampf„, „Streit“ oder „Zusammenstöße“ – manche Titelzeilen erwähnen die Toten nicht einmal. Sollte es wirklich so sein, daß Tote nur dann zur Kenntnis genommen werden, wenn sie durch israelische Kugeln oder Raketen ums Leben kommen? Immerhin 14 Tote. Ich frage mich, wie die Schlagzeilen wohl ausgesehen hätten, wenn sie durch „Zusammenstöße“ mit uns ums Leben gekommen wären – wenn die Armee zum Beispiel mal auf den Qassam-Beschuß reagierte und Truppen in die Abschußgebiete schickte, was sie ja schon oft genug getan hat (und zwar jedesmal mit wenig Erfolg, darum halte ich es für richtig, daß sie es nicht macht).

Und Kinder? Wenn man in Gebieten kämpft, in denen sich Zivilisten drängen, dann kommen Zivilisten zu Schaden. Das ist schlimm und sollte vermieden werden, so gut es geht. Zu oft hat sich unsere Armee in solche Auseinandersetzungen ziehen lassen, aber daß die Palästinenser keine Probleme damit haben, zeigt sich leider immer wieder. Eine Granate auf ein Wohnhaus gefeuert, in dem eine Familie sitzt? Die Spielregeln der Palästinenser untereinander sind hart. Die Spielregeln der Medien anscheinend auch. Ist es weniger schade um ein zweijähriges Kind, wenn es nicht durch israelische Kugeln ums Leben gekommen ist, sondern „nur“ durch interne Kämpfe der Palästinenser untereinander?

Ein paar Stunden später: Die Opferzahlen stehen inzwischen bei 17. SPon findet das keiner Erwähnung wert, nicht mal in der Politik-Sparte. Kann mir das mal jemand erklären?

So ist das im Kibbuz Januar 26, 2007, 1:45

Posted by Lila in Kibbutz, Kinder, Katzen.
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Wir sind ja stolz darauf, daß bei uns keiner die Tür abschließt, und Sicherheitstüren hat überhaupt niemand. Selbst seitdem hier ein paar Einbrüche und Autodiebstahle vorgekommen sind, bleiben die Türen offen, und wir haben nicht mal für alle Familienmitglieder Schlüssel, und überhaupt, wir schließen nicht ab. Falls wunderliche Menschen die Tür abgeschlossen haben, weiß doch jeder, daß der Schlüssel entweder unter der Matte oder im Gummibaum ruht. Es kann jeder überall reingehen. Das hat aber manchmal Nachteile.

Nachdem einem furchtbar anstrengenden halben Tag fiel ich zuhause auf die Couch und schlief ein. Ach, war das schön. Das Telefon dudelte – ach was, wird schon nicht so wichtig sein. Dann klingelte es an der Tür. Und noch mal. Und dann muß jemand den Finger auf die Klingel gelegt haben. Oh nein, ist was passiert? Verstört tappe ich in Richtung Tür – und sehe mich der kleinen MusiklehrerinRochkele gegenüber, die schon mitten im Wohnzimmer steht.

Ja, sie wollte nur fragen, ob Tertia am Klavierkonzert teilnimmt. Tertia will aber nicht, wie ich der Klavierlehrerin schon gesagt habe. Rochkele, die sämtliche Musikstunden der Kibbuzkinder überwacht und schon Y. mit sanfter Gewalt unterrichtet hat, ist hartnäckig. Wieso denn nicht, und ob ich ihr nicht gut zureden kann. (Dabei guckt sie sich neugierig und intensiv um – gut, daß die Wohnung gut in Form ist und ich mir vor dem Einschlafen nur die Schuhe ausgezogen hatte!) Tertia ist gutem Zureden ungefähr so aufgeschlossen wie ein kleiner, blanker Kieselstein. Ich werde es aber versuchen. Die Musiklehrerin schießt noch ein paar neugierige Blicke umher und verschwindet.

Mein schönes Schläfchen! Ich rufe Y. an, halb amüsiert, halb verärgert. Der geht in die Luft. „Rochkele??? Vor einer halben Stunde hat sie mit mir gesprochen und ich hab ihr dasselbe gesagt! Und da steht sie einfach bei uns im Wohnzimmer???“ Und als die Kinder nach Hause kommen, lachen sie. Mit allen außer Quarta und den Katzen hat Rochkele über das Konzert gesprochen, und alle haben ihr dasselbe gesagt. Sie hätte mich nicht auch noch fragen müssen. Vermutlich wollte sie einfach nur mal unser Wohnzimmer sehen.

Auf die Gefahr hin, Januar 26, 2007, 1:39

Posted by Lila in Land und Leute.
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mich zu wiederholen. Zwei Qassams heute. Nach wie vor Glück: sie sind im freien Feld gefallen. Waffenstillstand demzufolge noch intakt. Auch ich erwähne übrigens bei weitem nicht alle, die ich in der Zeitung sehe – ich käme ja zu nichts anderem mehr.

Nein, nicht als ob wir immer die schneeweißen Bählämmchen wären, aber wir sind eben ständig in Zugzwang, können eigentlich nur verlieren. Wer bemerkt diese Raketen überhaupt? Wer wird sich an sie erinnern, wenn irgendwann chas-ve-chalila was passiert und Israel reagiert? Wir sehen uns in der Süddeutschen wieder….

Ekelhaft Januar 23, 2007, 18:25

Posted by Lila in Land und Leute.
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Ich habe mich bisher zu den Vorwürfen gegen unseren Präsidenten relativ still verhalten, einfach weil es so ekelhaft ist und ich ja nicht zu allem meinen Senf dazugeben muß.  Und ich habe einfach mal abgewartet, was bei den ganzen Ermittlungen rauskam. Pfui Teufel, kann man da nur sagen. Ich weiß noch, als Katsav gewählt wurde, waren alle verblüfft: dieser unauffällige Mann statt Peres? Dabei gab es doch genügend Leute, die Peres gern auf sichere Repräsentationspflichten abgeschoben hätte, und Peres wollte es selbst. Aber Peres gewinnt nun mal keine Wahlen, nicht mal zum Kassenführer des Kaninchenzüchtervereins Bat Yam würde er durchkommen. So wurde Katsav Präsident. Er war nicht brillant-peinlich wie Äiser, er war nicht der Gentleman aus der großen Welt wie Herzog, er war halt Katsav. Und bereitete sich, das war absehbar, auf eine weitere Karriere im Likud vor.

Tja, nun wird die schärfste mögliche Klage gegen ihn wohl erhoben werden: Vergewaltigung. Ich habe beim Putzen Radio gehört, daher wußte ich es sofort, als der Beschluß fiel. Allerdings habe ich nicht gemerkt, daß Quarta still in ihrem Zimmer saß und mit ihren rosa Ponies spielte, und alles mit anhörte. Sie kam sofort angeschossen und fragte, „Mama, hat der Präsident jemanden umgebracht?“ Ich habe es ihr also kindgemäß erklärt, mit Betonung darauf, daß sie sehen kann, wie Polizei und Recht die Frauen schützen, und daß keiner eine Frau oder ein Mädchen, oder auch einen Jungen, fies anfassen darf. Sie versteht auf ihre Art und Weise, wovon die Rede ist. „Mama, warum will er so viele Kinder von so vielen Frauen? Oder sind sie geimpft, damit sie keine Babies kriegen?“ Und dann meinte sie, „Mama, wenn ich seine Frau wäre, dann würde ich ihm bestimmt kein Küßchen mehr geben wollen. Ist ja eklig, wenn er andere Frauen geküßt hat.“

Ja, von allen Seiten ist die Sache eklig, und ich ärgere mich, daß dieser Präsident, statt uns würdig bei nichtssagenden oder vielsagenden Anlässen zu vertreten, nun Themen in unsere Wohnzimmer trägt, die ich eigentlich lieber auf meine Art und Weise aufbringen würde.  Nettes Beispiel, das er uns gibt.

Allerdings gebe ich Yoel Marcus recht, daß wir in der Selbstgeißelung unserer Gesellschaft vielleicht zu weit gehen – es sind unter den vielen Anklagen, die über den Köpfen unserer Politiker schweben, auch einige Lappalien, aufgepustete Luftballons, gut, daß es ein Justizsystem gibt. Es funktioniert ja auch. Wir sollten uns also nicht geißeln, sondern uns drauf konzentrieren, selbst die Normen einzuhalten, die wir von anderen erwarten, und Verstöße gegen diese Normen durch Entzug von Wählerstimmen zu sanktionieren, damit den Politikern klar ist, was die Voraussetzung dafür ist, in Israel Einfluß zu haben.

Aber trotzdem – ich finde es unerträglich, daß kaum jemand bereit ist, für seine Verfehlungen einzustehen und seinen Hut zu nehmen. Würdeloser als ein angeklagter Präsident ist ein angeklagter Präsident, der seine Rolle weiterspielt. Pfui Teufel, kann man da nur sagen, und sich mit Grausen abwenden.

Übrigens: ich habe so ein Brummen im Magen, das klingt wie „Rubinstein, Rubinstein“. Mal sehen, wann sein Name in den Ring geworfen wird. Ich fände ihn nicht schlecht, er war der beste Erziehungsminister, den wir in langen Jahren hatten.  Natürlich wäre eigentlich eine Frau „dran“. Ist Colette Avital stark genug, sich den Posten zu schnappen? Sie könnte das auch gut machen.  Ach, eigentlich egal wer es wird, Hauptsache, ich brauche das widerliche Gesicht von diesem heuchelnden, wie Popel an seinem Stuhl klebenden Kerl nicht mehr zu sehen.

Aus Haaretz Januar 22, 2007, 20:59

Posted by Lila in Land und Leute.
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Gestern: zwei Qassams, drei Mörsergranaten. Heute: bisher fünf Qassam-Raketen. Für einen Waffenstillstand keine schlechte Bilanz, würde ich sagen. (Pardon wenn ich zynisch werde).

Eine tragische Geschichte Januar 22, 2007, 20:53

Posted by Lila in Land und Leute.
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Es ist eine typische Nahost-Geschichte, so traurig, daß man sich ihr kaum aussetzen mag. Ich versuche es aber trotzdem.

Ein kleines Mädchen, Abir (eine Abir, die ich kenne, hat mir mal gesagt, ihr Name bedeutet „Duft der Rose“), zehn Jahre alt. Abirs Vater ist in einer Initiative aktiv, „Kämpfer für den Frieden„, in der sich ehemalige Kämpfer beider Seiten, Israelis und Palästinenser, für Frieden und Dialog einsetzen. Abirs Vater wird in Gesprächen mit seinen früheren Gegnern gefilmt, mit der Familie, „ich werde meine Kinder zum Frieden erziehen“, meint er. Das ist ein paar Jahre her, Abir war noch kleiner.

Und dann: letzte Woche. Abir ist in der Schule, Pause, sie steht am Eingang der Schule, in einem kleinen Ort in der Nähe von Jerusalem. Unruhen, Steine fliegen, Gummigeschosse und Schockgranaten werden abgefeuert. Das kleine Mädchen wird am Kopf getroffen, ins Krankenhaus eingeliefert, stirbt. Wer das Bild des kleinen Kopfs auf dem Krankenhauskissen gesehen hat, wird es so schnell nicht vergessen.

Abirs Vater und alle Bewohner von Anata sind sich einig: Abir ist von einem Gummigeschoss getroffen worden. Es wäre nicht das erste Mal, daß diese „nicht-tödlichen“ Waffen töten. Die Wut ist groß, Abir ist ein weiteres Opfer in einer unerträglich langen Reihe von Unschuldigen, Unbeteiligten, Kindern und Jugendlichen, die sterben müssen, weil sie in einer Gegend leben, in der Gummigeschosse an Schultoren herumfliegen.

Die Grenzpolizei streitet das ab. Sie haben nicht auf Abir geschossen, haben sie nicht einmal gesehen, es kann nicht sein, sie haben nur auf gewalttätige Demonstranten geschossen, die mit Steinen geworfen haben. Gummigeschosse und Steine – nicht-tödliche Waffen, die töten können.

Abirs Leiche wird nach Jerusalem gebracht, wird obduziert. Der Pathologe, der sie obduziert, ist Jude, doch neben ihm steht ein von der Familie beauftragter arabischer Pathologe, der kontrollieren soll, daß keine Tatsachen vertuscht werden. Das Ergebnis steht noch nicht fest, noch sind nicht alle CT-Aufnahmen ausgewertet. Doch laut vorläufigem Befund kann es kein Gummigeschoss gewesen sein, sondern eher ein stumpfer, großer Gegenstand. „Ein Stein“, meinen die einen, „eine Schockgranate“, meinen die anderen.

Die eine Seite sagt: „Israel lügt und vertuscht, das haben sie immer getan, wir glauben ihnen nicht, egal was sie sagen, Israelis töten Kinder“. Die andere Seite sagt: „die Araber versuchen immer wieder, uns Todesfälle in die Schuhe zu schieben, die sie selbst verursacht haben, wir glauben ihnen nicht, egal was sie sagen, Araber opfern ihre Kinder und ermorden unsere“. Jede Seite kann Kronzeugen für ihre Version aufrufen, jede Seite kann Präzendenzfälle ohne Ende zitieren, Namen. Keiner hat Zweifel an seiner Version (die Medien, wie ein kurzer Gang durch Google zeigt, haben ebenfalls keinerlei Zweifel, obwohl das Ergebnis noch gar nicht feststeht, doch auch Palestine News Network berichtet, daß im Hadassah-Hospital versucht wurde, ihr Leben zu retten). In der Mitte liegt ein stilles kleines Mädchen, Opfer dieses Konflikts, egal, wie sie nun gestorben ist.

Ach, möge sie die letzte sein, es ist nicht mehr auszuhalten. Ich werde berichten, wenn das Ergebnis feststeht, egal wie es aussieht.

Ohne Worte Januar 22, 2007, 20:17

Posted by Lila in Kibbutz, Kinder, Katzen.
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Seit mehreren Tagen, fast schon eine Woche lang, kämpft die junge Frau, von der ich neulich erzählt habe, um ihr Leben. Dabei ging es ihr eigentlich schon besser, sie war sogar eine Zeitlang zuhause, ja machte sogar Pläne, redete von Arbeit, sah vielleicht sogar ein Studium am Horizont. Dann brach sie wieder zusammen, mußte operiert werden, liegt jetzt beatmet und bewußtlos auf der Intensivstation.  Hoffen, hoffen, hoffen.

Gabi Januar 22, 2007, 2:15

Posted by Lila in Uncategorized.
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ist es. Übrigens ist das die Abkürzung für Gavriel, falls sich jemand wundert, mit diesem Namen so ein Gesicht zu sehen.

Eine viel zu lange Antwort an Loco… Januar 22, 2007, 1:35

Posted by Lila in Land und Leute.
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…auf die Frage:

Wie sieht eigentlich das Zusammenleben der verschiedenen Gruppen innerhalb Israels aus? Der letzte Roman von Batya Gur, den ich las, zeichnete da ein eher grausiges Bild, zwischen nordafrikanischen, westeuropäischen, osteuropäischen, arabischen, jemenitischen, … Juden schien demnach quasi Krieg zu herrschen…

Ashkenasische und sphardische Juden unterscheiden sich vielfach, es ist ein hochinteressantes und komplexes historisches Gebäude, in das man sich begibt, wenn man diesen Unterschieden nachgeht. Ich halte es für eine unzulässige Vereinfachung, wenn man orientalische Juden in Israel (aus dem Maghreb o.ä. eingewandert) als „Spharadim“ bezeichnet. In Israel sagen wir meist „misrachiim“, also östliche Juden (wobei früher in Deutschland natürlich Ostjuden alles war, das östlich der Oder herkam…). Eine ziemliche Sprachverwirrung!

Grausig würde ich die Situation auch nicht nennen, eher schon problematisch oder vielschichtig. Es steht gerade heute (auf Englisch, schade!) in Haaretz ein Artikel über gemischte Ehen und ihre Auswirkung auf soziale Mobilität und Bildung. Recht interessant, aber bestimmt nicht das letzte Wort zum Thema.

Es stimmt, daß es in Diskotheken oft zu Messerstecherein zwischen Neueinwanderern aus osteuropäischen Staaten bzw Äthiopien oder Misrachiim kommt – da herrscht oft brutales Faustrecht zwischen Jugendbanden, aber das ist nicht repräsentativ für den Rest der Gesellschaft. Natürlich sagen wir oft in typisch israelisch-zynischer Manier, „wir können uns gar nicht leisten, die Probleme mit den Arabern zu lösen, denn dann bricht hier als erstes der Bürgerkrieg aus“, aber das bezieht sich auf die Spannungen zwischen Nationalreligiösen-Orthodoxen-Nichtreligiösen ebenso wie auf die Spannungen zwischen Tel Aviv und Peripherie, Arm und Reich oder Likudniks und Linke. Es ist so wie zwischen Rheinländern und Westfalen: man kann zwar partout mit diesen Westfalen nicht auskommen… aber wir ertragen sie dann doch in Geduld. (Spaß, Spaß! einige meiner besten Freunde sind… nein, gelogen…)

Die israelische Gesellschaft ist nun einmal so heterogen, wie sich Deutsche auch heute noch kaum vorstellen können – denn die Fremden sind in Deutschland in der Regel als Fremde erkennbar, aber der Großteil der Bevölkerung ist viel homogener als hier. Dazu kommen die härtere wirtschaftliche und außenpolitische Lage – und es weht ein heftigeres Windchen als in Deutschland. Allerdings in mancher Hinsicht, wie schon oft erwähnt, auch ein herzlicheres, freundlicheres, solidarischeres Windchen.

Allgemein wird angenommen, daß in der israelischen Gesellschaft die europäischen Juden, also die Ashkenasim, die Oberschicht stellen, gebildeter sind. Das stimmt meiner Erfahrung nach nur ganz bedingt. Erstens kamen auch aus Europa durchaus nicht nur die Vettern von Einstein und Yehudi Menuhin, sondern auch ganz schlichte Bauern oder Kleinbürger, die sich seit Generationen am Existenzminimum durchhangelten. Und zweitens kamen aus arabischen Ländern hochgebildete, französisch sozialisierte Menschen, die baß erstaunt auf sandalentragende Kibbuzniks starrten. Die Stereotypen von der Maurerkette, die die Steine mit einem höflichen „bitte sehr, Herr Professor“ von einem zum anderen reicht, ist zwar durchaus lebenwahr, spiegelt aber nicht die ganze Wahrheit über die ashkenasischen Juden wieder.

Viele von ihnen kamen bitterarm, von der Shoah zerbrochen und alles andere als mit der Nase in der Luft nach Israel. Oft wird, wenn man die Maabarot anguckt, vergessen, daß auch europäische Juden darin untergebracht wurden. So meine Schwiegermutter, als sie als Mädchen mit ihrer (grausam dezimierten) Familie nach dem Holocaust nach Israel kam. Mein Schwiegervater dagegen, einer yekkischen Familie entstammend, die vor dem Holocaust nach Israel kam und bereits die typische salopp-stolz Sabra-Identität entwickelt hatte, gehört zu der ashkenasischen Oberklasse. In dieser Ehe trafen also zwei Ashkenasen aus vollkommen verschiedenen Welten aufeinander – nicht weniger drastisch als in einer anderen „gemischten“ Ehe.

Ich habe in diese ashkenasische Welt eingeheiratet, Kibbuznik noch dazu!, und habe deshalb vielleicht nicht genug Empathie für Leute, die sich wirklich diskriminiert fühlen wegen ihrer Hautfarbe oder Aussprache oder Kultur. So erzählte mir eine sehr liebe Freundin aus einem jemenitischen Haushalt, daß sie in der Schule als „Frenk“ (ganz böses Wort) geneckt wurde, weil sie chet und ain tief in der Kehle rollte, die orientalische Aussprache also. Heute dagegen gilt das als schön – und doch gibt es bestimmt noch Leute, die sich deswegen schämen oder schief angeguckt werden. (Dabei hört man geradezu die grammatikalisch vorgeschriebene Reibung mancher Vokale in der orientalischen Aussprache!)

Orientalische Musik war früher eine kleine ethnische Ecke, ist heute der Mainstream. Keine Hochzeit, keine Bar-Mitzva-Feier, auf der nicht durch orientalische Musik der Auftakt zum fröhlichen Teil des Abends gegeben wird, und auch die polnischen Tanten der Braut fangen an, das Becken kreisen zu lassen und die Oberweite zu schütteln. Wir waren schon auf urkomischen Events dieser Art, aber orientalische Musik muß sein! auch wenn niemand sich dazu bewegen kann. Und die israelische populäre Musik ist von vielen Stilen beeinflußt – aber ganz bestimmt vom orientalischen. Wo hab ich noch mal dieses wunderschöne Lied von Ofra Haza, der jemenitischen Seele Israels, gespeichert? Hier klicken. Mein Gott, singt sie schön (und wie schade, daß sie so viel kommerziellen Schrott gemacht hat…). Es gibt niemanden mehr, glaube ich, der sich davon nicht repräsentiert fühlen würde – früher konnte man vielleicht auf orientalische Musik herabsehen, aber heute?

Israelische Küche ist nicht mehr nur Kneidlach und Kreplach und gefilte Fisch, sondern viel eher Burghul, Taboule, Chumus, Falafel und andere aus arabischen Ländern stammende Köstlichkeiten – mediterran-orientalisch eben. Es gibt sogar ein Kinderlied zu dem Thema, „aber wir, wir haben Falafel…“.

Orientalische Feste wie Maimouna werden heute auch von Ashkenasim gefeiert. Ob solche Folklore aber die wirkliche soziale Lage orientalischer Juden widerspiegelt??? Ich weiß es nicht. Misrachiim klagen oft über Diskriminierung, oft mit sehr viel aufgestautem Ärger.

Ich bin im Laufe der Jahre mißtrauischer geworden, wenn ich die Klage über Diskriminierung höre – ob von Frauen, Minderheiten, oder sonstwie auf den ersten Blick Benachteiligten. Als Frau und Angehörige einer Minderheit kann ich heute ehrlich sagen, daß ich meinen Teil dazu beigetragen habe, wenn ich diskriminiert wurde – und ich gucke heute auch, wie die Dynamik zwischen der starken und der schwachen Gruppe läuft. Das ist viel komplizierter, als ich früher glaubte. Manche Formen der Diskrimierung nämlich kann allein der Diskriminierte selbst aufheben – die andere Seite ist da machtlos.

Ein konkretes Beispiel aus unserer Familie: Y.s Schwester hat einen irakischen Juden geheiratet, einen Mann, der so stolz ist und sich so von uns Kibbuzniks abschottet, daß er eigentlich uns diskriminiert. Aus lauter Sorge, unter all den snobistischen Ashkenasim der Famiilie seiner Frau schief angeguckt zu werden, kommt er zu keinem Familienfest mit. Die Yekkes-Oma hat ihn immer eingeschüchtert, hat er mir mal erzählt. Dabei sieht niemand auf ihn herab, im Gegenteil. Würde er nur den Versuch machen, wären sofort alle Türen offen. Aber ich kann ihm ja auch nicht zureden wie einem kranken Gaul, das wäre ja auch herablassend, wenn ich ihm nun dauernd sagen würde, wie tüchtig und so ich ihn finde. Er fühlt sich von oben herab angesehen, und nichts, was ich machen kann, kann das ändern, verstehst du? Das ist sein Ding, aus dieser wahrgenommenen Diskriminierung auszubrechen.

Er erzählt zum Beispiel immer voller Bitterkeit, wie sehr seine Familie in der Maabara gedemütigt wurde, wie sie bei der Flucht aus dem Irak alles verloren, wie sie bei Null anfangen mußten. Meine liebliche, taktvolle Schwiegermutter hört sich das an, ohne jedesmal zu sagen, „mein lieber Schwiegersohn, ich erinnere mich an dieses Lager nur allzugut… und auch wir hatten nichts“, denn das wäre für ihn nicht gültig. Er fühlt sich diskriminiert, weil seine Familie dunkle Haut hat. Für ihn gilt die Erfahrung meiner Schwiegermutter weniger, eben weil sie „weiß“ ist. Da macht sich das für ihn fest – und aus seiner Perspektive zu Recht. Man will ja auch keine pain olympics ausrufen.

So habe ich auch schon eine tunesische Jüdin mit großer Bitterkeit sagen hören, „auch wir hatten unsere Shoah, auch wir sind verfolgt und ermordet worde, vertrieben worden und haben alles verloren – aber im Land gedenkt man nur der Shoah der Ashkenasim“. Und bei einem Interview mit entfesselt-zornigen Jugendlichen orientalischer Herkunft meinten einige lauthals, für sie Yom ha Shoah, der Gedenktag, gleichgültig – es ist nicht ihre Shoah. (Nur als Kuriosität: es sind gern solche orientalischen und jungen Leute, die sich durch Bemerkungen über Deutsche hervortun – was ich von Überlebenden noch nie gehört habe….)

Das sind also emotionale Wunden und uralte Rechnungen, die man nicht auflösen kann, sondern nur versuchen sollte zu verstehen, in der Hoffnung, daß sich im Laufe der Generationen die Positionen annähern. (Mein Schwager liebt und bewundert unsere gemeinsame Schwiegermutter persönlich nämlich sehr – er kann nur aus seiner Position als „die sehen alle auf mich herab!!“ nicht mehr raus).

Wie sieht es aber praktisch mit der Chancengleichheit aus? Ich bin keine Soziologin und kann nur erzählen, was sich vor meiner Nase abspielt.

Ich sehe an der Uni VIEL, bei weitem VIEL mehr orientalisch und arabisch aussehende Studenten als typische junge Ashkenasim. Vielleicht ist Haifa ja nicht landestypisch, ich weiß es nicht, aber niemand kann mir erzählen, daß orientalische oder arabische junge Menschen keinen Zugang zu Bildung hätten. Sie haben, und sie nehmen ihn wahr, genauso wie junge Frauen ihn heute wahrnehmen. Sie sind da, sie sind begabt, sie sind ehrgeizig. Natürlich spielt in der Wahl der Studienfächer, wie auch in Deutschland (wer erinnert sich an die Studie???), das Elternhaus eine große Rolle. Erst-Akademiker in der Familie studieren eher BWL oder Ingenieurswissenschaften, also „verwertbare“ Fächer, während Mediziner und Juristen gern aus ebensolchen Dynastien kommen, und Kulturwissenschaftler tendenziell eher aus Akademiker-Elternhäusern kommen. Wobei Ausnahmen die Regel bestätigen.

Das bedeutet: relativ wenige Misrahiim oder auch AraberInnen studieren Kunstgeschichte, da laufen viele (hübsche!) Russinnen rum. Doch sehr viele studieren Kunst und Kunstpädagogik, wo es um persönliche Ausdruckskraft geht, und einige der besten studentischen Arbeiten, die ich je gesehen habe, stammen von ihnen.

Und in den höheren Etagen der Uni, wie viele Ashkenasim und wie viele Misrahiim haben wir? Hm, wie viele Frauen und wie viele Männer? Die Vorherrschaft der weißhäutigen Männer mit den –ovitch, –berg und -mann-Nachnamen besteht noch, doch es ist abzusehen, daß diese Bastion geschleift wird.

Frauen sind in Haifa an der Uni auch in hohen Posten sehr viel mehr vertreten als an deutschen Unis, so weit ich das sehe, und die jüngere Generation von Dozenten und hoher Administration ist gemischt – man weiß ja bei den meisten jungen Israelis gar nicht mehr, welcher Herkunft sie sind. Ich kenne viel mehr gemischte als „ungemischte“ Familien. Aber die Zukunft gehört, trotz Haaretz-Artikel, denen, die sich nicht mehr einem Lager zuzählen, sondern zuerstmal eine israeische Mentalität haben. Wenn ich an die jungen wissenschaftlichen MitarbeiterInnen denke – dann sind die Zeiten der ashkenasischen Elite zumindest in Haifa vorbei. Allein daß ich nachdenken muß, um die Leute „zuzuordnen“, zeigt schon, daß es gar keine Rolle mehr spielt, aus welcher „edah“, aus welcher ethnischen Gruppe jemand stammt.

Sagen wir so: für mich, die ich aus der sowieso privilegierten Gruppe komme (denn trotz Frau und Minderheitenstatus sehe ich mich mein Leben lang als privilegiert), spielt das keine Rolle. Ich räume gern ein, daß es für eine jemenitische oder drusische oder äthiopische Frau, die an der Uni unterrichtet, eine große Rolle spielen mag, und mir einfach das Feingefühl dafür fehlt.

Mein Schwager, um zu ihm zurückzukehren, diskriminiert sich in gewisser Hinsicht selbst. So hat er vier Töchter – und leidet darunter, daß die überwiegend orientalischen Menschen seiner Umgebung deswegen auf ihn herabsehen. Das ist aber seine Entscheidung, er könnte diese sozialen Maßstäbe auch zurückweisen und einfach stolz sein auf seine vier rundherum gelungenen und feinen Mädchen. Er selbst, indem er sich diesem Urteil unterwirft, führt eine Diskriminierung fort, die seinen Mädchen sonst nirgendwo entgegenschlagen wird. Ja nicht mehr die uralte Masche mit dem Familiennamen zieht mehr, denn in Israel kann längst jeder Ehepartner seinen Namen behalten, so daß auch diese Ausrede, wieso Jungens „wertvoller“ sind als Mädchen, wegfällt.

Aber die Mädchen wachsen mit einem Gefühl der Minderwertigkeit auf, so fein sie sind und so stolz ich mit meinen tollen Nichten strunze und so sehr die gesamte ashkenasische Familie sich über die orientalischen Verwandten ärgert, die Mädchen für zweite Klasse halten… sie wachsen damit auf, und werden sich eines Tages vielleicht darüber ärgern, aber ihr Vater konnte die Werte, nach denen er erzogen wurde, einfach noch nicht über Bord werfen. Damit trägt er eine Art Diskriminierung weiter, ohne es zu wollen, und ohne daß es die Ashkenasim verhindern können oder sonst jemand. Wenn diese Mädchen (hoffentlich passiert es nicht, tfu tfu tfu!) eines Tages für sich selbst nur eine „zweite Wahl“ eingehen, beruflich Kompromisse schließen, sich wenig zutrauen oder sich mit einer subalternen Position zufriedengeben, dann hat das nicht etwa Wurzeln darin, daß sie orientalisch aussehen oder einen typischen Misrahi-Namen tragen – das ist eben viel komplexer.

Dasselbe gilt für arabische Mädchen – die ja oft ähnlich hinter Brüdern zurückstehen müssen, wie in Deutschland bis vor ein paar Jahrzehnten auch noch (wollen wir mal nicht so tun, als hätten wir Westler das Rad schon vor ewig langer Zeit erfunden – wer kennt nicht die Geschwisterscharen, wo alle Jungens studiert haben und die Mädchen nur eine kleine Ausbildung gemacht haben, „denn sie heiraten ja doch“?). Und wiederum – es geht hier nicht kurz und nicht schlicht – ich erinnere mich an die Jahre an der PH, an den festlichen Tag der Diplomverleihung an die Beduinen-LehrerInnen. (Daß es einen extra Lehrgang für beduinische Lehrer gab, war nicht etwa mit Rassismus zu erklären, sondern aus dem erklärten Willen dieser kleinen Minderheit, die eigene Identität zu bewahren, weiterzugeben – und die Chance wahrzunehmen, während des Wehrdiensts ein Studium, das extra auf sie zugeschnitten ist, zu bewältigen. Die Mädchen natürlich ohne Uniform.)

Da strömten die Sippschaften in die Festhalle, mein altes Büro war ja direkt daneben. Ich habe mich bei solchen Gelegenheiten, obwohl ich mit den Beduinen nichts zu tun hatte, gern dazugestellt und gratuliert, weil der Stolz, der aus den elterlichen Gesichtern strahlte, mir so wohltat. Und eben besonders der Stolz auf die Mädchen. Sie ist Lehrerin, sie hat was gelernt, womit sie ihrer sozialen und ethnischen Gruppe dient, etwas, womit sie die weibliche Sphäre nicht verläßt – die Rolle der Lehrerin als Erweiterung der Mutterrolle ist ja auch in Europa Hebel für die Verbreitung der Mädchenbildung und schließlich der weiblichen Karriere geworden. Wenn man das gesehen hat und sich mitgefreut hat, wie stolz die Familien auf die Töchter sind, dann hat man große Hoffnungen, daß für jede solche junge Lehrerin später motivierte junge Schülerinnen in die Hochschulen strömen. Das kann kein Establishment ihnen abnehmen, den Schritt hinaus zu wagen, sich anzustrengen – es muß möglich sein, es ist auch möglich.

Und daß die Beduinen diskriminiert sind, viel schlimmer als die Misrahiim, steht wohl außer Frage. Als Minderheit in einer Minderheit haben sie wirklich in die Schüssel gegriffen. Sie sind ärmer als die Drusen und Christen, verstehen sich nicht mit den Moslems, dienen in der Armee (wenn sie wollen – und es wollen immer weniger), und ich schäme mich, daß ihre Dörfer fast immer Soldatenfriedhöfe haben – aber nur selten vernünftige Bürgersteige (worauf ein arabischer Freund nur zynisch sagt: dann frag mal unseren Bürgermeister, wo das Geld hin ist? und wieso er keine Kommunalsteuern eintreibt, wie die jüdischen Bürgermeister? – das ist jedesmal ein Faß Würmer, das man da aufmacht!).

Es wird ebenfalls oft über die Misrahiim gesagt, daß sie aufgrund ihrer Erfahrungen mit Arabern entweder „die Araber besser kennen, macht euch keine Illusionen!“ oder „mit den Arabern einfach besser auskommen, das lernt ihr eben nie“. Viele Misrahiim wählen eher konservativ, was mich immer verblüfft, denn die führenden Politiker des Likud sind nicht orientalischer als die Avoda – aber sie mißtrauen Arabern oft mehr als Ashkenasim das tun. So ist Meretz geradezu berüchigt für ihre rein ashkanisch-kibbuznikim-Wählerschaft, und Meretz-Aktivisten versuchen das zu kompensieren, indem sie sich sozial in orientalischen Brennpunkten engagieren – das israelische Gegenstück zu den sog. „Gutmenschen“ (wobei ich von Piet gelernt habe, diesen Ausdruck nicht mehr leichtfertig zu benutzen! daher die Anführungszeichen!) – auf Ivrit „yafei nefesh“, schöne Seelen genannt. (Ich bin so eine schöne Seele, denke dabei stets an das Fräulein von Klettenberg und sage, „es sei“).

Es wird oft gesagt, weil die Misrahiim selbst sich diskriminiert fühlen, diskriminieren sie wiederum die Araber. Ich weiß nicht, wieviel davon wahr ist. Viele haben aufgrund ihrer miesen Erfahrungen, ihrer Flucht aus arabischen Ländern, ein gespaltenes Verhältnis zu Arabern. Andererseits, wie schon erzählt, haben marokkanische Israelis vor der marokkanischen Vertretung Kerzen angezündet, als König Hassan starb. Sie haben mit Tränen in den Augen von ihm gesprochen, „der gute König“. Irgendwie erhalten sich viele Israelis der Einwanderer-Generation eine sentimentale Bindung ans Land der Herkunft, sind stolz auf die Kultur, die sie mitgebracht haben, und fachsimpeln miteinander. So hat mir eine Freundin, deren Mutter aus Ägypten stammt, genau erklärt, wie sich Juden aus Alexandria von denen aus Kairo unterscheiden. Ihr Vater ist übrigens ein Shoah-Überlebender aus Ungarn.

Vielleicht ist es ja, und damit schließe ich diesen ausfransenden Teppich an Erinnerungen, Assoziationen und Fragen, einfach Teil der menschlichen Natur, daß wir uns gern der Einzig Wahren Gruppe zugehörig fühlen. Ich habe noch im Ohr, mit welch grenzenloser Arroganz eine englische Voluntärin mal sagte, „mit meinem britischen Pass fühle ich mich wie eine Diplomatin!“ (wo können die hin, wo wir mit unserem Läppchen nicht hinkönnen?), wie stolz ein Bayer mal meinte, „bei uns in Bayern, da ist es so schön, wir müssen gar nicht verreisen“ (mei und fei bitte frei hinzufügen), und so sind wir wohl alle. So wie wir nun mal sind, das ist das Einzig Wahre, eigentlich. Gut, die Spanier sind edel und die Italiener fromm, aber würden wir SO sein wollen? Die Moslems sind fanatisch, die Protestanten freudlos, die Katholiken Heuchler und die Juden störrisch, beneidenswert, wer frei davon!

(Oder, in der Frauensprache: Wer mehr Kinder als ich hat, ist verrückt, wer weniger hat, ebenfalls! Wer länger gestillt hat als ich, ist pervers, wer kürzer gestillt hat, lieblos! Alle anderen sind entweder magersüchtig oder fett! Alle anderen Hausfrauen sind entweder putzwütig oder schlampig! Kurz: alle machen es verkehrt, ich weiß auch nicht wieso nur ich es immer richtig mache!)

Es ist eine Errungenschaft der Zivilisation, diesem primitiven Gefühl der naturgegebenen Überlegenheit Zügel anzulegen, Minderheiten und Fremde zu schützen, und es ist eine Errungenschaft des zivilisierten Menschen, sich fremde Kultur mit Liebe und Verständnis zu eigen zu machen – Sprachen zu lernen, Literatur zu lesen, Musik zu hören. Doch wo die Zivilisation nur ein bißchen wacklig wird, da springt der primitive Ich-ich-ich-bin-Normalmeter-Mensch wieder raus und zieht sein Messer, wenn jemand am Nebentisch Russisch spricht. Oder Arabisch. Oder Deutsch. Oder Hebräisch.

So gesehen hat Batya Gur recht. Aber ansonsten? Krieg herrscht hier nicht.

Unfreiwillig lachen Januar 21, 2007, 23:11

Posted by Lila in Land und Leute.
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mußte ich bei diesem Item. Tatsächlich, nach nur 24 Jahren Haft sollen diese zwei brandgefährlichen Terroristen freigelassen werden: Mohnhaupt und Klar. Huuuh, da muß Deutschland aber zittern!

Das nächste Mal, wenn mal wieder nonchalant verlangt wird, wir sollten die Terroristen, die bei uns einsitzen, mal eben schnell freilassen, werde ich mich daran erinnern. Wir haben als humanitäre Gesten schon Hunderte freigelassen! Da geht es überhaupt nur dreistellig zur Sache. Wir haben hier mit Terrororganisationen in Ausmaßen zu tun, von denen die RAFler nur träumen konnten. Und bei uns kehren die Terroristen zu ihrem Handwerk zurück – ungehindert.

Oh Mann, und ich dachte, Mohnhaupt und Klar sind schon längst irgendwo im Ruhestand… Aber da ticken die deutschen Uhren wohl anders.

Default-PS für Empörte: Ich möchte die naive Hoffnung teilen, daß die Terrorganisationen, so wir denn die Westbank räumen, an Zulauf verlieren. Leider machen mir Gaza und Libanon wenig Mut in der Richtung. Daß wir auf die Dauer nicht alle einsperren können, die uns nach dem Leben trachten und vernichten wollen, ist auch klar – es sind zu viele… und es führt zu nichts, sie in Gefängnisse zu stecken, wo sie dann erst ihre Ausbildung zum professionellen Terroristen machen und nie mehr ins zivile Leben zurückfinden. Ich wünschte, wir könnten uns wirklich nach Sharons Vision einfach mal für zwei Generationen voneinander trennen. Leider ist es für eine praktikable Trennung ein bißchen eng hier. Das nur nebenbei…  denn eigentlich wollte ich nur sagen: Terroristen, die einen selbst nicht bedrohen, läßt man ganz leicht frei.

Morgendlicher Blick Januar 21, 2007, 9:01

Posted by Lila in Land und Leute.
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auf die Nachrichten, ehe ich ans Tageswerk gehe. (Quarta ist wieder krank, armes Häschen, bleibt zuhause – ich arbeite heute zuhause, es geht also. Erst gegen 17:00 muß ich raus – ich bin gebeten worden, nicht zum ersten Mal, den Kibbuz auf einem regionalen Treffen offiziell zu vertreten, zusammen mit den maskirim. Was will mir das sagen? Daß ich mich fein anziehen muß.)

So so, Gabi Ashkenazi wird es also. Da ich schon dumme Witze über seinen Namen gelesen habe (man sollte Haaretz-Talkbacks NIE lesen und ich tu das sonst auch NIE!), hier noch mal zum Mitschreiben: wie Vladimir Ashkenazi wird auch Gabi Ashkenazi „Aschkenasi“ ausgesprochen, das z ist einfach die englische Schreibung für den hebräischen Buchstaben zain, das stimmhafte s. Ashkenas heißt Deutschland, d.h., Ashkenasim sind Juden aus deutschsprachigen Ländern (gewissermaßen das Gegenteil der Spharadim, die aus Spharad, also Spanien, kommen – die beiden großen jüdischen Zentren Europas – heute werden orientalische Juden oft als Spharadim bezeichnet, was aber nicht ganz exakt ist). Hat also mit Nazis nichts zu tun, so gern das manche Haaretz-Leser auch hätten. Was sie nicht hindern wird, trotzdem weiter damit rumzublödeln. Übrigens benutze ich das Wort „Nazis“ auch nicht, ich schreibe immer NS, ich finde diese Abkürzung dumm und irgendwie zu heimelig, zu salopp, verharmlosend. Sie hat sich im Englischen eingebürgert, weiß auch nicht, wieso. Ich benutze sie auch im Englischen nicht.

Und wieder mal ein politischer Horizont für die Palästinenser. Sollte mich freuen, wenn Abu Mazen auf diese Weise die Leute hinter sich und hinter einer pragmatischen Lösung versammeln sollte, jedoch bin ich mir nicht sicher, daß das geschehen wird – mild ausgedrückt. Aber eine inner-palästinensische Diskussion darüber, was für eine Art Staat sie wollen und was sie dafür tun können, damit er auch mal Wirklichkeit wird, von der ewigen Israel-vernichten-Rhetorik mal endlich losgelöst…, wäre schon mal ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Aber wer weiß, was daraus wird? Wie viele Initiativen habe ich schon gesehen, die als Tiger losgesprungen und nicht mal als Bettvorleger gelandet sind. Und diese sieht nicht sehr tigerhaft aus, eher zaghaft.

Wenn man diese traurige Geschichte gelesen hat, eine Annäherung zwischen einer jungen Jordanierin und einer jungen Israelin, und wie bald da jede Verständigung dahin ist…. dann kommen einem allerdings Zweifel, ob wir es je schaffen werden, als ganz normaler Staat hier akzeptiert zu werden. Und wenn man diese nicht weniger traurige gelesen hat, dann weiß man auch, warum wir den Staat Israel brauchen.  Don machte sich neulich Gedanken über die verschiedenen Arten der Realitätsverweigerung, die von Israel und ihren Nachbarn praktiziert werden – irgendwie passen die drei Texte ganz gut zusammen als es-ist-nicht-grau-genug-draußen-mach-mich-elend-Lektüre.  Nein nein, ich hab´s ja gern grau und man muß wissen, wie es um einen herum aussieht.

Ich hoffe, Gabi Ashkenazi wird´s wirklich, und er schafft es, die Armee in Form zu bringen, ehe die nächste Welle von Aggression über uns kommt, während die Welt uns zur Mäßigung mahnt.  (Übrigens zeigt WordPress mir jetzt an, ob auf meine Links geklickt wird, und auf welche. Ha. Könnte ich mir eigentlich viel Mühe sparen! Dabei ist es mit Firefox doch gar kein Problem, Links zu öffnen, ohne daß es beim Lesen stört. Trotzdem verlinke ich weiter. Jawohl.)