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Der Moralphilosoph vom Bosporus Februar 28, 2013, 15:29

Posted by Lila in Presseschau.
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Zionismus, Antisemitismus, Faschismus und Islamophobie sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Also sprach Erdogan.

Wohlgemerkt, auf einer Veranstaltung der Allianz der Zivilisationen

Die Allianz der Zivilisationen, engl. Alliance of Civilizations (AoC), ist eine UN-Initiative unter Ban Ki-moon von Recep Tayyip Erdoğan und José Luis Rodríguez Zapatero mit dem Ziel, gemeinsame Handlungsansätze über verschiedene Gesellschaften und Kulturen hinweg zu verschmelzen, um Extremismus zu bekämpfen und kulturelle, religiöse und soziale Barrieren zu überwinden, hauptsächlich zwischen der westlichen und der vorherrschend muslimischen Welt.

So steht es in der österreichischen Presse:

Ein Anliegen war Erdogan auch der Umgang mit Religionen, insbesondere mit dem Islam. Letzerer sei eine friedliche Religion. Auch stieß sich der Premier an der Interpretation des Krieges in Mali als „religiöser Gewalt“. Das sei vollkommen falsch. Generell sei jeder Versuch, Hass gegen Religionen zu schüren, zu ächten. „Darum sollten wir, ebenso wie Faschismus, Zionismus und Antisemitismus, auch Islamophobie als Verbrechen gegen die Menschlichkeit betrachten“, sagte Erdogan.

Applaus vom österreichischen Bundespräsdidenten gab es für Veranstaltung auch:

Abschließend sicherte Fischer der UNAOC und ihren Zielen „vollste Unterstützung“ von österreichischer Seite zu und gratulierte Qatari Nassir Abdulaziz al-Nasser, der im Rahmen des diesjährigen Forums das Amt von dem Portugiesen Jorge Sampaio als Hoher Repräsentant der UNAOC übernehmen wird.

Ban Ki Moon wird höflich geklatscht haben.

Ich muß ehrlich sagen, mich befremdet es, wenn einerseits immer darauf bestanden wird, daß der Islam eine Religion des Friedens ist, aber andererseits jeden Abend in den Nachrichten zu sehen ist, daß jemand laut Allahu Akbar schreit, wenn er eine Rakete oder ein Gewehr abgefeuert hat. Und wie Kämpfer mit dem Bismillah um die Stirn gewickelt in den Kampf ziehen, und schon Kinder damit geschmückt werden. Dann setzt sich auch bei mir die Assoziation von Islam mit Gewalt fest, obwohl ich aus eigener Anschauung weiß, daß das nur bestimmte Gruppen sind. Aber diese Gruppen repräsentieren den Islam, wenn die anderen still bleiben.

Wie wäre es denn, ihr hehren Kämpfer für Menschenrechte und Überwindung der Barrieren, wenn ihr euch mal dagegen wehren würdet, wie eure Religion des Friedens von Bewaffneten aller Art instrumentalisiert wird? Denn das ist die Wurzel des Eindrucks, der sich bei Nicht-Moslems festsetzt – und nicht die vielen friedlichen, aber gänzlich stillen Moslems.

Jedoch, es ist ja viel einfacher, den Zionismus als Feind auszumachen.

Normal, ne Februar 27, 2013, 16:50

Posted by Lila in Presseschau.
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Hier mal ein Böller, da mal einer. In den unendlichen Weiten dieses Lands stören solche Lappalien keinen großen Geist.

Immerhin, den syrischen Verletzten geht es wieder besser, bis auf einen sind sie auf eigenen Wunsch und ohne die syrischen Behörden zu unterrichten (zu ihrer eigenen Sicherheit) nach Syrien zurückgekehrt.

Ein Barbar in Oxford Februar 25, 2013, 18:12

Posted by Lila in Presseschau.
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Der Oxford-Professor George Galloway macht sich hastig von dannen, als ihm aufgeht, daß man ihm zumutet, einem Israeli zuzuhören. Einem Israeli! Das ist ja der Gipfel!

Laut Ynet stimmt die Universität Oxford nun demnächst ab, ob sie sich dem Boykott-Aufruf gegen Israel anschließt. Wohlgemerkt – kein anderes Land, nur Israel wird so geehrt. Jedoch scheint der Mann bisher in der Minderheit zu sein. Daß es einen inoffiziellen akademischen Boykott schon länger gibt, haben mir allerdings Kollegen schon vor langer Zeit erzählt.

Gibt es ähnliche Szenen auch mit Angehörigen anderer Staaten? weigern sich in Oxford Akademiker, auch nur in einem Raum zu bleiben mit einem Menschen, der einem Staat angehört, dessen Politik man nicht goutiert?

Ich nenne dieses Verhalten barbarisch, ohne damit Barbaren kränken zu wollen (bin ja selbst streng genommen Barbarin). Die Zivilisation, der ich angehöre, folgt bestimmten Spielregeln. Dazu gehört, im öffentlichen Raum, ganz besonders im akademischen, jedem Menschen respektvoll zu begegnen. Der Chinese, der mit Primus lernt, ist nicht schuld daran, daß in China Menschen exekutiert werden. Der Mann aus Nazareth, mit dem ich mich gern unterhalte, ist nicht schuld daran, daß ein Mann aus seiner Stadt einem jungen Mädchen Säure ins Gesicht geschüttet hat. Meine kanadische Freundin hat die St. Louis nicht zurückgeschickt.

Es ist doch selbstverständlich, in jedem Menschen zuallererst den Menschen zu sehen, der dasselbe Recht hat wie ich selbst, als Individuum respektiert zu werden. Nicht nur als Vertreter einer Gruppe, mit der ich vielleicht eine Rechnung offen habe.

Wenn es dann um Meinungen geht, kann man zum Schluß kommen, daß man die Meinung des anderen nicht teilt, sie ablehnt, und man kann einen Menschen auch meiden, wenn die Unterschiede zu kraß sind.

Aber aufstehen und gehen, nur weil jemand Israeli ist? weil man das Recht Israels, zu existieren, ablehnt, und auch das Recht eines Israelis, zu anderen Menschen zu sprechen? Und das noch aussprechen, als wäre es ein guter Grund? Und dann wie eine beleidige Diva davonsegeln? Einfach nur ekelhaft.

Ich könnte, wenn ich es nur drauf anlegte, glatt eine Serie aufmachen. Barbaren in Berlin, in Edinburgh. Aber es widert mich an.

Durchwachsen Februar 25, 2013, 9:22

Posted by Lila in Persönliches, Uncategorized.
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Meine Mutter war eine Woche lang zu Besuch. Da sie von rastlosem Tätigkeitsdrang besessen ist, hat sie in dieser Zeit unseren Garten und die ganze Umgebung des Hauses picobello in Ordnung gebracht. Dabei hat sie leider auch gesehen, was ich lieber vor ihren Augen verborgen hätte – die Unsitte der Nachbarn, Schrott und Gerümpel über die Böschung zu entsorgen. Da entsteht eine Art wilder Müllkippe, gegen die die Behörden bisher gar nichts tun. Wir finden es schrecklich, meine Mutter noch viel mehr.

Idan Raichel, Träume von anderen

Natürlich war ausgerechnet zum Besuch meiner sonnenhungrigen Mutter das Wetter bewölkt und kühl, und da unser Haus über keine vernünftige Heizung verfügt, sondern wir uns mit Radiatoren behelfen (weil ich die heiße Luft der Klimaanlage als Heizung vollkommen unbefriedigend finde) hat sie gefroren. Dann brach das Auto wieder zusammen, aber so richtig dramatisch, und auch ein neuer Motor hat es nicht richtig geheilt. Wir hatten also ein paar aufregende Fahrten, fanden uns plötzlich in einer Qualmwolke wieder und erhielten übergroße Aufmerksamkeit von anderen Verkehrsteilnehmern, die uns mitteilten, daß unser Auto qualmt.

Ethnix, Gott existiert

Meine kleine Quarta ist jetzt vierzehn, kann das sein? Die Jahre sind aber schnell vergangen, war sie nicht neulich noch im Kindergarten? Ihren Älteren begegnet sie mit einer Mischung aus Nachsicht und Ungeduld, und meine Mutter wies mich daraufhin, daß ich selbst mit 14 kein bißchen anders war, eher schlimmer.

Arkadi Duchin, Wer liebt dich mehr als ich

Es ist immer schön, wenn meine Mutter hier ist. Jeden Abend wird Romme gespielt, die Kinder erzählen ihr, was sie uns nicht erzählen würden, und sie interessiert sich für alles, was wir so tun. Telefon ist doch nicht genug.

Ich lasse sie ungern gehen und falle immer hinterher in ein Loch, wie auch nach jedem Besuch in Deutschland. Klar, SO weit ist es nicht, und heutzutage auch wesentlich bezahlbarer als vor ein paar Jahren, aber es ist eben doch eine andere Welt. Morgens wird es früher hell, zur Freude meiner morgenmunteren Mutter, jedoch abends wird es auch sehr schnell und früh dunkel. Das Wetter ist anders, die Sonnenstrahlen fühlen sich anders an, die Leute sprechen Hebräisch und obwohl man dasselbe kaufen kann wie in Deutschland, ist es alles teurer. Meine Mutter findet aber das Angebot an Obst, Gemüse, Gewürzen und exotischen Zutaten größer als in den Läden, in denen sie einkauft. Und sie kennt Israel und die Israelis ganz gut.

Shlomo Artzi und Shalom Hanoch, Ich sehe dich

Nachdem wir sie bis zur letzten möglichen Schwelle am Flughafen begleitet hatten, fuhren wir in Richtung Kibbuz. Dort war ein Kindergeburtstag, auf dem wir eingeladen waren. Ich war lange nicht mehr im Kibbuz, und es war wirklich ein so seltsames Gefühl. Wir liefen mit den Mädchen die wohlbekannten Pfade entlang, und die Wucht der Erinnerungen war fast zu viel für mich. Nein, wir bereuen nicht, aus dem Kibbuz weggegangen zu sein, aber wir standen vor dem Dining Room – wo Y.s Großvater eines Tages tot vom Fahrrad fiel, als Y. so alt war wie Quarta jetzt. Wo wir uns kennengelernt haben, wo wir jedes Jahr Pessach gefeiert haben, wo wir zu Purim getanzt haben, wo ich mit den Kindern jeden Tag hingegangen bin, um ihnen vor der Brotmaschine Knäppchen rauszusuchen, die beim Zahnen halfen, wo wir jeden Abend mit meiner Schwiegermutter zusammensaßen, Primus in seinem Stühlchen…

Tislam, Geh, geliebtes Mädchen

Auch die Mädchen begrüßten jede Ecke und staunten, wie klein ihnen jetzt alles vorkommt. „Weißt du noch – hier haben wir gespielt, die Mauer haben wir bemalt, hier haben wir uns immer runtergerollt, hier hat der P. gewohnt und hier bin ich mal doll hingefallen…“

Meine Schwiegereltern, an denen ich sehr hänge, waren krank und selbst mein unverwüstlicher Schwiegervater hatte vor zwei Wochen eine sehr erschreckende Episode, aus der er etwas erschüttert hervorgegangen ist. Y. war zu seinem Krankenlager geeilt. Er hatte seinen Vater noch nie so gesehen. Jetzt geht es ihm wieder gut, aber er muß vorsichtig sein.

Arik Einstein, Liebe

Auch meine Schwiegermutter hat dieses Jahr, zum ersten Mal in den letzten Jahrzehnten, zu Purim nicht für alle Kinder Kostüme genäht und das von ihr liebevoll, kreativ und ordentlich aufgebaute Kostüm-Magazin einfach offengelassen, mit einem Zettel an der Tür, daß sie gesundheitlich nicht auf der Höhe ist und darum bittet, daß sich die chaverim selbst bedienen. Besonders die Soldaten, die sich jedes Jahr abenteuerlich herausputzen, wollte sie nicht enttäuschen. Eine Soldatin hat ihr ein bißchen geholfen, aber meine Schwiegermutter lachte selbst, als sie uns erzählte, wie diese ihr erklärte, wie sie auf die Ordnung achtete, nur keine Sorge!, und gleichzeitig ein Kostüm unordentlich zusammenwurschtelte und ins Regal stopfte. Ins falsche.

Wenn es meiner Schwiegermutter wieder besser geht, wird sie als erstes ihre geliebte Kostümsammlung wieder in Ordnung bringen, soviel ist klar. Leider können wir ihr dabei nicht helfen.

Ivri Lider, Immer Liebe

Auf dem Rückweg in den hohen Norden dachten wir darüber nach, wie wir ihr besser zur Seite stehen können. Ich erinnere mich an die Zeiten, als ich Hilfe brauchte. Da war meine Schwiegermutter immer für mich da. Wenn ich krank war, kam sie mittags und brachte mir vom Dining Room Essen mit. Wenn ich liegen mußte oder nicht heben durfte, weil ich Probleme in der Schwangerschaft hatte, kam sie abends und half mir, die Kinder zu baden und ins Bett zu bringen. Sie hat mich beim Stillen unterstützt und bei Erziehungsproblemen und hat ihre Ideen nie aufgedrängt, sondern sich immer fragen lassen. Sie hat nie schlechte Laune und unendliche Geduld für Kinder, Kranke und Ratsuchende. Und jetzt braucht sie Hilfe, und ich bin so weit weg.

Shalom Hanoch und Arik Einstein, Jeder möchte Sänger sein… 

Meine Schwiegereltern sind, wie meine Mutter, eine wichtige Konstante in meinem Leben. Ich bin immer wieder dankbar, daß es bei uns keine Schwieger-Stänkereien gibt. Meine Mutter hat Y. ins Herz geschlossen und er sie – das war von Anfang an so. Und ich hänge an seinen Eltern. Sein Vater hat mir bei der Hochzeit versprochen: du hast keinen Vater in Israel, deswegen werde ich dein Vater sein. Und das hat er auch gehalten. Ich habe in den Jahren seither meinen Stiefvater verloren, der uns nunmehr seit 13 Jahren schmerzlich fehlt, und im letzten Sommer meinen Vater, der wenig Präsenz in meinem Leben hatte. Eigentlich hat er seine Vaterrolle nach der Scheidung abgelegt und hat sehr große Distanz zu uns gehalten. Um so dankbarer bin ich für meinen Schwiegervater, mit seiner unbedingten Zuverlässigkeit.

Man heiratet ja eine ganze Familie mit, und wenn ich sehe, wie viele Konflikte es in anderen Familien gibt, bin ich froh, daß uns das erspart bleibt. Mißverständnisse gibt es immer, jeder hat seinen eigenen Stil, aber Klatschereien hinterrücks und Gegeneinander-Ausspielen gibt es auf keiner Seite.

Rami Fortis und Shlomi Bracha, Sand

Tja, und der Kibbuz. Wir bedauern nicht, weggegangen zu sein – aber wie der Kibbuz sich verändert hat, das bedauern wir. Ich natürlich auch, ich bin aus Liebe in den Kibbuz gekommen, aber besonders Y. Er denkt an die Ideen, die seine Großeltern dazu bewegt haben, ihr Leben ganz dem Kibbuz zu verschreiben und alle anderen Interessen dem Kibbuz unterzuordnen, und vergleicht es mit dem Heute… unvermeidliche Veränderungen, ja, aber im Vergleich mit anderen Kibbuzim seltsam zögerlich und kompliziert umgesetzt. Andere Kibbuzim haben energisch und konsequent auf Privatisierung gesetzt, manche sind noch ganz Kibbuz – aber unser alter Kibbuz praktiziert eine Zwischenform, immer noch, und stagniert damit.

„Waaas“, sagte ja der Sekretär, als wir ihm erklärten, daß wir gehen wollen, „ausgerechnet jetzt, wo doch in vier Monaten schon die neue Wohnsiedlung gebaut wird, wo ihr ein Haus kaufen könntet!“ Ja ja, es sind mehr als drei Jahre vergangen, doch von der neuen Wohnsiedlung ist noch keine Spur zu sehen. Dabei warten viele Familien darauf, endlich mehr Platz zu haben. Wären wir noch im Kibbuz, säßen wir noch in der kleinen Wohnung, die großen Kinder hätten ihre eigenen Winz-Wohnungen, für die wir Miete zahlen müßten. Meine Freundinnen klagen darüber, daß sie ihre Soldatenkinder praktisch  nicht sehen. Klar, Secundus wäre das lieber als mit uns Abend zu essen, aber Primus und Tertia waren froh, noch bei uns zu wohnen. Und Secundus kann jederzeit zu seinen Freunden fahren und tut das auch. Aber er hat auch neue Freunde durch die Armee.

Jetzt liegt aber schon eine deutlich spürbare Isolationsschicht von Zeit und innerem Abstand zwischen uns und dem Kibbuz. Wir kennen nicht mehr jeden, der dort rumläuft, und wenn wir jemanden treffen, werden wir wie Fremde begrüßt. Das tut einerseits so gut, weil es bedeutet, daß wir aus der täglichen Klatsch-und-Tratsch-Maschine endgültig raus sind, aber besonders für Y., für den der Kibbuz Teil seiner Familiengeschichte und persönlichen Identität ist, fühlt es sich auch merkwürdig an. Sein Leben lang hat er auf die Frage, wie er heißt, immer gesagt „Y. aus Kibbuz X.“, und einen Ersatz dafür gibt es nicht. Und doch fühlen wir uns froh, wenn wir wegfahren. Sagen wir es so: er bedauert, sich freuen zu müssen, nicht mehr Teil des Kibbuz zu sein.

Mashina, Was soll ich jetzt mit Politik

Wir haben die ganze Rückfahrt über Musik gehört und sind unseren Gedanken nachgegangen, und die Musik stell ich einfach mal rein. Ich weiß, das meiste kennen die Leser schon, aber mir ist danach. Diesen Eintrag habe ich die letzten zwei Tage so on and off vor mich hin geschrieben. Jetzt komm ich langsam aus dem Loch wieder raus, muß ja. Quarta zieht zurück in ihr Zimmer, das sie für meine Mutter geräumt hatte, und wenn ich meine Mutter vermisse, gehe ich in den Garten und bestaune dort ihr Werk und spreche den von ihr eingesäten Blumensamen gut zu, daß sie doch bitte gedeihen sollen.

Die spinnen, die Israelis, Februar 21, 2013, 23:01

Posted by Lila in Land und Leute, Uncategorized.
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und das ist gut so.

Endlich mal ein Artikel im SPon, der die Klischees beiseite läßt und eine Seite des Lands zeigt, die ich wiedererkenne. Junge, gebildete, eher säkulare Israelis, deren Ideenreichtum von der schwierigen Situation des Lands nicht erstickt, sondern verstärkt wird. Mein Schwager arbeitet in der Hi-Tech-Branche, und viele andere, die ich kenne, ebenfalls.

Auch in anderen Branchen ist der durchschnittliche Israeli wenig dogmatisch, sehr offen, und die Hierarchien sind überall flach. Es ist tatsächlich so, daß die Armee (nicht in jedem Falle, leider, aber in sehr vielen) die Menschen nicht verdummt, sondern herausfordert. Eine Freundin von mir hat mir mal gesagt: in der Armee sind alle jung, und sie haben das Gefühl, sie schmeißen den Laden.

Ja, viele Erfindungen und Entwicklungen kommen aus Israel. Biotechnologie, Medizintechnologie, alles, was mit Computern zu tun hat, Ideen für die Landwirtschaft – viele Menschen frickeln gern herum, aber Israelis frickeln nicht nur gern, sie sind risikofreudig.  Beides zusammen ist wohl nötig, um kreative Schübe auszulösen.

Ich habe das Buch zum Thema nicht gelesen (und bei der Suche danach jede Menge ähnlicher Bücher gefunden – es reicht, high tech oder hi tech und Israel in die Amazon-Suchmaske zu geben…), leider habe ich keine Zeit dafür, und ich bin auch vielleicht nicht das richtige Publikum dafür. Denn die High-Tech-Begeisterung hat natürlich auch ihre Schattenseiten, und nicht jede gute Idee ist auch auf Dauer tragbar. Ich denke auch oft, wenn ich sehe, welche Gehälter (nicht nur in Israel) Leute nach Hause tragen, die Internet-Anwendungen entwickeln, in denen ich nur puren Luxus sehen kann – und welche Hungerlöhne Alten-und Krankenpflege oder Erziehung (besonders von kleinen Kindern) einbringt – dann frage ich mich schon, ob unsere Maßstäbe wirklich die richtigen sind.  Ich falle nicht sofort automatisch vor Ehrfurcht auf die Knie, wenn jemand mit einer guten High-Tech-Idee Millionen gemacht hat. Auch Low-Tech braucht die Welt, und es sind auch schon Leute mit Blödsinn reich geworden – bevor die Welt gemerkt hat, daß es eigentlich Blödsinn war.

„Irgendwas mit High-Tech“ oder „irgendwas mit Medien“ oder „irgendwas mit Design“ sind jedenfalls die drei Zauberworte für junge Leute, die entweder hohes, mittleres oder unsicheres Einkommen anstreben, und die kreativ sind. Mich beeindruckt naturgemäß Kreativität in Bereichen, zu denen ich unmittelbaren Zugang habe, mehr als ICQ – ob es um Medizin oder Kunst oder Tanz oder Animation geht. Israelis sind in jedem Bereich kreativ, übrigens auch in der Auslegung von Verkehrsregeln und im Erfinden von Schimpfworten (wer abgehoben-zerstreut über den Dingen schwebt, ist ein astronaut, wessen Intellekt nur flackernd in die Gänge kommt, ein flureszent).

Her morning elegance von Oren Lavie

Inbal Pinto (ein altes Programm, aber ich habe es auf der Bühne gesehen – unvergeßlich)

Es ist gut, mal einen Artikel zu lesen, der davon absieht, Israel durch die immergleiche Brille des Nahostkonflikts zu betrachten. Ohne diesen Drang nach ständiger Verbesserung der Welt in kleinen, schlauen Schritten kann man die israelische Mentalität nicht richtig verstehen. Und den leben sie nicht nur in der Welt des High-Tech aus, sondern überall.

Danke Februar 20, 2013, 21:04

Posted by Lila in Kinder, Persönliches, Uncategorized.
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für die schönen Geschichten. Jeder, der mit dem kleinen Wassermann und der Witwe Schlotterbeck aufgewachsen ist, dem Müllerburschen Tonda, Thomas Vogelschreck und den Brüdern, die das Einhorn suchen – der wird wohl heute einen Moment innehalten und Abschied nehmen.

Kinderliteratur stiftet Identität. Primus hat mir erzählt, wie stark diese Brücke trägt, und wie viel näher er deutschen Gesprächspartnern sofortvorkommt, wenn er den Räuber Hotzenplotz erwähnt. „Den kennst du?“ „Na klar, mit dem bin ich aufgewachsen.“ Das habe ich meinen Kindern weitergegeben, sowohl Kinderliteratur meiner Generation als auch neuere Bücher.

Ich selbst hatte den kleinen Wassermann besonders gern, weil ich die Welt unter Wasser so zauberhaft fand. Der Wald der kleinen Hexe war schön, die Burg und das Örtchen Eulenstein, wo das kleine Gespenst spukt, natürlich ebenfalls, aber am liebsten war mir immer die Unterwasserwelt. Die wunderbaren Illustrationen haben bestimmt dazu beigetragen, daß ich mir diesen See so wunderbar vorgestellt habe. Wie froh bin ich, daß ich in langen Vorlese-Abenden den Zauber weitergegeben habe. Kinderliteratur, die man als Kind mit Liebe gelesen hat, bleibt einem immer lieb, weil beim Lesen die eigene Kindheit, das eigene kindliche Lese-Ich wieder hochsteigen.

Nicht jeder verdient sich so liebevolle, bewegte Nachrufe wie Otfried Preußler. Solange noch Kinder mit dem kleinen Wassermann den Mondaufgang beobachten, lebt er weiter.

 

Aus alten Zeiten Februar 20, 2013, 19:11

Posted by Lila in Persönliches, Uncategorized.
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I.

Neulich war ich zu einem Vortrag eingeladen, über ein Thema, das ich lange nicht mehr angepackt hatte. Es war ein bißchen leichtsinnig, zuzusagen, aber es hat Spaß gemacht, wieder in das Thema einzutauchen. Eine große Runde von Studenten und Lehrern in der Fortbildung, murkeliges Licht, Bilder. Ich war mitten im Schwung, als die Tür aufging und eine Frau reinkam. Ich erkannte sie sofort. Sie ging leise und vorsichtig zu einem freien Stuhl, und man konnte sehen, wie unangenehm es ihr war, zu spät zu kommen. Sie hörte gespannt zu und kam nach dem Vortrag sofort nach vorne geschossen.

Sie entschuldigte sich für ihr Zuspätkommen. Inzwischen knipste jemand das Licht an, und ich grinste sie an. „Schämst du dich nicht, mich nicht zu erkennen? Bin wohl doch sehr alt geworden. Du hast dich aber überhaupt nicht verändert.“ „Lila!“ Und dann fielen wir uns in die Arme und freuten uns. Irgendwann im mittleren Pleistozän waren wir zusammen Studentinnen, saßen immer zusammen, hielten uns den Platz frei und halfen uns gegenseitig. Sie ist deutlich jünger als ich, Araberin, Christin aus einem Dorf in unserer Gegend, wo sie als Kunstlehrerin arbeitet, eine Galerie ins Leben gerufen hat und sich vielfältig engagiert. Wir haben uns so gefreut, uns wiederzusehen, und wollen uns mal treffen.

Ein verrückter Moment, als sie mich erkannte und aus der Lehrerin-Studentin in respektvoller Haltung die alte Freundin wurde.

 

II.

Gestern lief ich auf dem Campus rum, ganz in Gedanken beim nächsten Tagesordnungspunkt, da kam mir ein bekanntes Gesicht entgegen. Ich grüßte, das Gesicht grüßte auch, dann erstarrten wir beide und riefen: Lila! Doris ! Es war die liebste Kindergärtnerin, die meine Kinder je hatten.

Bevor Dina in Secundus´Kleinkindergarten anfing (also einer kleinen Gruppe von Kindern knapp unter Kindergartenalter – war immer das schönste Haus, zum arbeiten als auch für die Kinder), waren in den Kinderhäusern des Kibbuz nur Kibbuz-Frauen als ausgebildete oder angelernte Kräfte. Ich erinnere mich noch, als das erste Kind „von außen“ aufgenommen wurde, dessen Mutter Chefsekretärin in einer Fabrik des Kibbuz war, und die dafür bezahlte, daß ihr Sohn neben Primus die Wege des Kibbuz entlangkriechen durfte. Und der nächste Schritt war dann eine Kindergärtnerin „von draußen“, die den Kibbuz nicht kennt. Noch dazu eine, die selbst nicht Kibbuznikit ist. Wie soll das gut gehen?

Doris war jung, hübsch, energiegeladen und voll neuer Ideen. Die Kinder liebten sie von Anfang an. Ich bewahre bis heute eine Cassette auf, die sie für Secundus mal aufgenommen hat, als der krank war. Da singen sie und die anderen Kinder Lieder, die man vorher im Kibbuz nicht kannte. Sie brachte auch Sitten „von draußen“ mit. Nicht wenige Kibbuzmütter zerrissen sich das Maul über sie. Sie hat ja nicht mal eigene Kinder! Sie hat einen B.Ed., nicht nur das Kindergärtnerinnen-Diplom! und sie möchte den M.Ed. auch noch machen! Damals war, was heute Standard ist, die Ausnahme.

Doris übernahm nach einem Jahr den großen Kindergarten. Sie lebte sich schnell in den Kibbuz ein und kannte bald alle. Eine ältere Frau des Kibbuz erzählte mir mal voll Bitterkeit, daß jetzt ja nur Leute „von draußen“ in der Erziehung arbeiten, und daß sie mal gehört hat, wie ein Kind auf einen alten Mann zeigte und fragte, „wer ist das?“, und die Kindergärtnerin konnte nicht sagen „das ist Joske, der die schöne Rutsche gebaut hat“, sondern nur „das ist ein chaver kibbutz„. Ich kann schon verstehen, daß die alte Frau das geschmerzt hat, aber bei Doris wäre das nie vorgekommen. Sie brachte einerseits frische Luft mit, andererseits pflegte sie die kibbuz-spezifischen Traditionen gern weiter. Ich sehe sie noch in einer Gruppe von Kindern, alle verkleidet, als Stier herumpeesen.

Sie war Secundus´ und Tertias Kindergärtnerin. Meine Kinder sind ja so nah beieinander altersmäßig, daß erst Primus und Secundus, und dann Secundus und Tertia zusammen im Kindergarten waren. Ich mochte sie sehr. Wenn ich dort ausgeholfen habe, habe ich ihre Energie immer bewundert. Sie hat eine laute, aber nie aggressive Stimme. Sie ist immer vergnügt.

Wie lange war sie bei uns im Kibbuz? Ich weiß es nicht. Viele Jahre. Als sie wegging, war sie verheiratet, hatte zwei Kinder und viel Erfahrung.

Und jetzt ist sie Fachleiterin für Frühpädagogik und begleitet junge Kindergärtnerinnen bei ihren ersten Schritten in diesem verantwortungsvollen Beruf. Ihre Kinder sind auch schon recht groß. Als ich ihr erzählte, daß Secundus und Tertia bei der Armee sind, staunte sie – das geht ja wirklich so schnell. (Die Kinder, die ich als Volunteer betreut habe, sind schon verheiratet und selbst Eltern!) Ich habe beide Kinder sofort angerufen und ihnen von der Begegnung erzählt, und beide sagten sofort: die war ja so nett, die Doris! die war überhaupt die Netteste!

Das war eine schöne, herzliche Begegnung. Und: sie hat mich sofort erkannt 😀

 

Total geärgert Februar 20, 2013, 17:50

Posted by Lila in Persönliches.
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Einzelheiten mag ich nicht erzählen, aber wenn so ein neuer Besen daherkommt und besonders energisch fegt, und meint, er fegt besonders gut, wenn es doch eigentlich nur ein Besen ist… dann gucken sich die alten, struppigen Besen nur vielsagend an. So ein alter struppiger Besen war ich heute.

Schade um ein Projekt, das ich selbst vor vielen Jahren mit aus der Taufe gehoben habe und in dem ich mich nun herzlich unwohl fühle. Mal gucken, wie ich einen Kompromiß finde. Oder ob ich einfach aufgebe.

Asaf Avidan Februar 18, 2013, 16:53

Posted by Lila in Muzika israelit.
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in einem Remix des deutschen DJ Wankelmut – diese Fassung mochte Asaf anfangs nicht, sagt er selbst, aber dann hat er akzeptiert, daß er damit für ein internationales Publikum interessant wurde.

Er hat eine Stimme, wie ich sie noch nie vorher bei jemandem gehört habe. Das ist die originale, viel intimere Fassung.

Ich kannte ihn natürlich überhaupt nicht, aber ein Porträt im Fernsehen hat meiner Unwissenheit abgeholfen. Leider nur auf Hebräisch, aber das verstehen ja manche Leser… dort wird auch erzählt, daß er seine Karriere als Synchronsprecher für Kinderfilme angefangen hat. Die Reportage ist von Ilan Lukacz, der sich im Laufe der Jahre zu einem ganz interessanten Journalisten entwickelt hat.

Asaf Avidan ist ein Einzelgänger, sensibler Junge, einer, der bei der Armee fast zugrundegegangen wäre, und später Krebs hatte. Er hat einiges durchgemacht und das merkt man seiner Musik an. Schön, daß auch solche unangepaßten Talente Erfolg haben. Wobei Wankelmut ihm dabei geholfen hat, auch wenn er den Remix gemacht hat, ohne Asaf zu fragen. Asaf meint, er hat davon gelernt, daß er sein Werk loslassen muß, wie ein Kind, das man in die Welt schickt.

Es wird interessant, ihm in zwanzig Jahren zuzuhören.

 

Nachfrage Februar 18, 2013, 6:43

Posted by Lila in Presseschau.
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Beim Überfliegen der Morgennachrichten fängt Y. an zu lachen. Was ihn so amüsiert? In Europa erfreut sich koscheres Fleisch einer überraschenden Nachfrage...

Abschied Februar 17, 2013, 22:01

Posted by Lila in Muzika israelit.
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Weit sehen, klar sehen

Shmulik Kraus war nie einer meiner Lieblingssänger, aber natürlich ein israelisches Urgestein. Er war sehr krank, die ganzen letzten Jahre waren wohl sehr schwer.

Wie sich das Rad dreht.

Mit Josie Katz – schlechte Klangqualität, aber ein goldener Klassiker. Shuv – gib mir einen Moment, mich wieder an dich zu gewöhnen.

Heute ist er gestorben.

Hab’s getan Februar 17, 2013, 12:51

Posted by Lila in Bloggen.
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Ich habe einen Paypal-Button angebracht. Eigentlich wollte ich das nie, aber viele ehrenwerte Blogger haben einen, und ich zwinge ja keinen. Aber wir haben im Moment eine solche Holperstrecke – ich nenne es Unglück im Glück, denn ich kann mich über mein Leben nicht beschweren, aber… Und nun ist das Auto auch noch kaputt 😦

Der Button ist mehr zu meiner eigenen Beruhigung, wenn ich kostbare Arbeitzeit (oder Schlafzeit, die mir dann fehlt) beim Bloggen verschwende. Ich weiß, wir sind alle pleite, und ich lese im Internet auch viel, ohne zu bezahlen.

Na ja. Wenn es mir zu unangenehm wird, nehm ich ihn wieder raus. Aber einen Versuch ist es doch wert. Oder hat jemand eine bessere Idee?

Musik, Musik Februar 16, 2013, 12:26

Posted by Lila in Muzika israelit, Uncategorized.
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Ishai Swissa ist der Sohn von Meir Swissa und der Enkel von Yaffa Yarkoni (mit deren Musik Generationen von Israelis aufgewachsen sind). Er hat ein Lied seiner berühmten Oma neu interepretiert.

Das Lied heißt Kol haYonim, Alle Tauben, und den Text gibt´s hier auf Ivrit.

Alle Tauben werden ins Morgenrot fliegen

Alle Möwen zum Meer zurückkehren

Alle Nachtigallen werden ihr Lied erklingen lassen

Und die Raben werden in ihren Nestern schweigen

Statt Gewehr mit Bajonett

stecken wir dir eine Blume in den Gewehrlauf

statt Gürtel mit Handgranaten

lacht dich eine rote Anemone an

Alle Tauben werden ins Morgenrot fliegen…

Statt Felduniform und Helm

tragen wir Talit und Brot

statt Blei und Stahl

hängen wir dir einen Sack voll Lieder um

Alle Tauben werden ins Morgenrot fliegen…

Statt Jeep und Panzer

zieht ein Traktor seine Furchen

statt zischender Kampfflieger

singt ein Junge dir ein neues Lied

Alle Tauben werden ins Morgenrot fliegen

Alle Möwen zum Meer zurückkehren

Alle Nachtigallen werden ihr Lied erklingen lassen

Und die Raben bleiben für immer stumm.

Y.s Eltern hatten nicht viele Schallplatten, sie haben lieber selbst gesungen, aber eine Platte gab es, die Y. als Kind liebte: Yaffa Yarkoni. Das Lied vom dummen Bären Jumbo war sein Lieblingslied. Meine liebe Schwiegermutter singt es noch schöner.

Zu Meir Swissa, der im israelischen Film und Fernsehen auf komische Marokkaner abonniert ist: er hat mit seiner ashkenasischen Schwiegermutter kleine Szenen für Kinder gespielt, zum Beispiel zu Purim. Im Film „Die Band“ spielt er Gidi Govs bebrillten, ungeschickten, kaugummi-kauenden Sidekick. Beide zahlen es den Stars der Truppe heim, daß sie von ihnen nicht akzeptiert werden.

Und jetzt hat er auch schon einen erwachsenen Sohn. Ein großer Sänger ist er meiner Meinung nach nicht, aber er bringt ein Lied seiner Großmutter, das man lange nicht mehr gehört hat (und das eigentlich in meine Sammlung von Liedern über Krieg und Frieden gehört hätte….), zurück ins Radio.

Guten Appetit Februar 14, 2013, 22:46

Posted by Lila in Persönliches.
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So so, Pferde waren in der Lasagne. Gut, daß ich keine tiefgekühlten Fertiggerichte esse. Gut, Malauach kauf ich tiefgekühlt, und Erbsen, und Blätterteig, leider auch Heidelbeeren, weil es die frisch nicht oft genug gibt und Johannisbeeren gar nicht — aber wer kauft denn Gerichte mit Fleisch fix und fertig aus der Kühltruhe? Die Leser von Frag Mutti, bevor sie Frag Mutti entdecken?

Klar, das Problem ist ja nicht, daß Pferdefleisch drin war, sondern daß nicht drin war, was draufstand. Das verstehe ich schon. Aber trotzdem würden die meisten, die ich kenne, Pferdefleisch nicht essen, auch wenn auf der Packung deutlich stünde: Rassige Stute in Sahnesauce oder Frisches Fohlenragout oder Hengsthackbraten oder Röhrbein mit roten Rüben.

Vielleicht kann ich mir diesen Skandal mal irgendwann zunutze machen, wenn ich wieder mal Leuten erklären muß, warum auch sonst im Koscheren lässige Israelis bei Meeeresfrüchten und Schwein die rote Linie ziehen. (Nicht alle – es gibt bestimmt auch welche, die sowas essen oder neugierig sind). So appetitlich christlichen Mitteleuropäern das vorkommen mag – Juden oder Moslems würden ebensowenig Nuffnuffs Eisbein wie Schimmelchens Sprunggelenk essen. Das sind so kulturell erworbene Ekelgefühle.

Und ich esse schon so lange kein Fleisch mehr, daß ich gar nicht verstehen kann, wie jemanden das überhaupt lockt.

Na ja, mach ich mich halt unbeliebt 🙂

Das meiner Meinung nach Bemerkenswerteste Februar 14, 2013, 15:18

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an dieser ganzen Geschichte um den vielleicht mehrmals umgedrehten Spion Ben Zygier, Ben Alon,  Ben Allen oder Benjamin Burrows ist für mich die deutliche Parteinahme für freie Informationen, wie sie linke Politiker in der Knesset forderten.

Sowohl Sima Vaknin (die oberste Zensorin) als auch Tamir Pardo (der Chef des Mossad) unterstützen diese Forderung. Es sieht danach aus, als würde sich in Sachen Militärzensur etwas tun. Denn hätte schon vor zwei Jahren veröffentlicht werden können, was wir jetzt wissen (oder noch nicht sicher, aber was vermutet wird), dann hätte der australische Reporter Trevor Bormann gar keinen reißerischen Bericht voll nachgestellter Szenen, Horrobilder und animierter Pässe machen können. So wie über Anat Kam jederzeit bekannt war, wo sie ist, was sie tut, und wessen sie verdächtigt wird.

Dann hätten alle lesen können, daß ein Mann im Gefängnis Selbstmord begangen hat, der für den Mossad gearbeitet hat. Ein australischer Jude, der sich wohl zunutze machen konnte, daß man in Australien einmal im Jahr den Namen wechseln kann und dann einen neuen Paß bekommt. (Muß man den alten nicht abgeben oder vernichten? Merkwürdig). Er hat für Israel in Australien spioniert und sich damit dort unbeliebt gemacht. Dann hat er für Israel im Iran oder Libanon spioniert, und irgendetwas muß vorgefallen sein, denn er hat sich in Israel strafbar gemacht. Er war Jurist und hat sein Referendariat bei einer der besten Kanzleien Israels gemacht, wo Justizminister Neeman Partner ist, und als er festgenommen wurde, wurde er von drei bekannten Rechtsanwälten vertreten. Seine Familie wurde sofort informiert.

Er hat sich auch von Avigdor Feldmann, dem Rolf Bossi Israels, dessen Gesicht jedes Kind in Israel aus den Nachrichten kennt, beraten lassen. Einen Tag vor seinem Tod. Feldmann hat ihm nichts angesehen – vielleicht war es als Reaktion auf die Unterredung mit Feldmann, daß Ben Selbstmord begangen hat? Er ist nicht der erste und vermutlich leider nicht der letzte, der trotz intensiver Überwachung schafft, seinem Leben ein Ende zu setzen.

Der Verdacht, daß er ermordet worden ist, wird natürlich in den Medien groß herausgestellt. Jedoch ist nach seinem Tod alles regulär abgelaufen, eine Untersuchung wurde eingeleitet. Ich glaube nicht, daß eine israelische Richterin ihre Unterschrift unter eine gefälschte und getrickste Untersuchung setzen würde. Jedoch muß untersucht werden, ob der Mann nicht in den Selbstmord getrieben wurde, und was der Anklage eigentlich zugrunde lag. Er selbst hat ja vehement abgestritten, überhaupt etwas mit Spionage zu tun zu haben.

Daß die Ergebnisse solcher Untersuchungen nicht vollkommen veröffentlicht werden können, ist eigentlich selbstverständlich und es wird in anderen Ländern nicht anders gehandhabt. Allein schon, um andere operierende Agenten nicht zu gefährden. Hätte der Mossad wirklich einen gerade eingewanderten jungen Mann angeheuert? Schwer zu sagen. Wußte er genau, was er tat? Ich erinnere mich an Meir Dagans Aussage, wie schwer es ist, einen Menschen loszuschicken und ihm vorher zu sagen: wenn was schiefgeht – bist du allein.

Auch wenn SPon-Leser Israel für einen finsteren Unrechtsstaat halten, glaube ich, daß das Justizsystem in Israel gut funktioniert. Es ist langsam, es ist überlastet, aber es funktioniert. Noch kein Richter hat sich gescheut, Minister oder Präsidenten oder einflußreiche Leute zu verurteilen oder zu kritisieren. Schon so mancher hat sich im Knast wiedergefunden, bevor der Abdruck seines Hinterns noch aus dem gepolsterten Ledersessel geschwunden war, in dem er vorher jahrelang behaglich saß.

Bemerkenswert aber ist, daß Tamir Pardo selbst dafür eintritt, den Mossad „transparenter“ zu machen.

Yedioth Ahronoth quoted Mossad Director Tamir Pardo as saying in closed conversations on Wednesday that „It is unthinkable that someone will dare to try and restrict the right of Knesset members to act or infringe upon their immunity.

„If someone would have asked me, I would say that they should not dare to hurt (the MKs‘) independence and work,“ Pardo reportedly told various sources.

According to the sources, the Mossad chief added, „We live in a democratic state, and we all have our roles. We have our role, the courts have their role, and the lawmakers have theirs.“

Nicht alles kann verraten werden – auch der australische Geheimdienst hat nicht an die große Glocke gehängt, als er den israelischen Spion enttarnte oder zu enttarnen glaubte. Der australische Außenminister hat sogar gelogen – was bisher nicht viel Wirbel gemacht hat, obwohl die Reportage seiner Lüge Glauben schenkte und daraus Sprengkraft bezog.

Nachdem Canberra zunächst noch angegeben hatte, von der Inhaftierung nichts gewusst zu haben, musste sie dies nun relativieren. Am Donnerstag erklärte Außenminister Bob Carr, Australien sei im Februar 2010 über die Causa Zygier unterrichtet worden. Israel habe die Sicherheit des Inhaftierten garantiert. Auch der Tod des Mannes sei am 16. Dezember mitgeteilt worden.

Die pathetischen Worte „wir fordern von den Israelis Aufklärung“ müssen also ein bißchen runtergekühlt werden. Ebenso die Darstellung des „Prisoner X“ als Australier. Er hat Aliya gemacht, in der IDF gedient, er war Israeli. Er war auch Australier, aber er war kein Ausländer oder Tourist.

Aber Pardo hat Recht mit seiner Aussage. Er hat seine Aufgabe, die Knesset, Gerichte und Medien eine andere, und auch wir als Bürger haben eine Aufgabe. Fragen stellen und wissen wollen gehört dazu – auch wenn es nicht auf alle Fragen eine Antwort gibt. Aber dann wollen wir wissen, ob die entsprechenden Behörden eine Antwort bekommen haben.

Sima Vaknin wich noch überraschender von der Steinzeit-Fossilien-Linie ab, die sonst alle israelischen Journalisten zwingt, dauernd zu sagen, „ausländischen Quellen zufolge…“.

Sie verteidigt zwar in diesem Falle die Informationsbeschränkung.

Vaknin revealed that the case involving ‚Prisoner X,‘ who has been identified as Ben Zygier, was examined by judges „from the district to the Supreme Court and by other people who do not take freedom of expression or state security lightly, and they were all convinced that issuing a gag order on this case was the right thing to do,“ the censor claimed. „This was an unusual gag order.“

Aber sie unterstützt auch uns´Zehava von Meretz und deren hartnäckige Fragen nach Offenlegung des Falls.

„I identify with (MK) Zahava Gal-On, who said ‚I am exercising my right to raise difficult questions,'“ Chief IDF Censor Brig. Gen. Sima Vaknin told Army Radio Thursday morning,

und sie sagt:

„To those who ask me I say that in the modern world it is almost impossible to conceal things. In this age, in the democratic state in which we live, it is not right to conceal many things; only the core should be concealed. This is how the IDF censorship and all the organizations I work with operate,“ she told Army Radio.

Falls eine grundlegende Überholung der Militärzensur ansteht, würde ich mich freuen. Denn eine solche Zensur besteht, um Schaden vom Staat abzuwenden (nicht vergessen: wir leben nicht mit Friedensverträgen rundherum, sondern mit manchen Staaten in nie beendetem Kriegszustand, und wir brauchen eine Militärzensur leider, bis sich diese Lage ändert). In Fällen, wo sie dem Staat schadet, weil sie erklärbare Vorfälle in düstere Mysterien verwandelt, muß man mal innehalten und sagen: einen Moment. Unsere Informationspolitik muß angepaßt werden. Man kann heute keine Informationen mehr einfach unterdrücken.
Ich glaube nicht, daß die Videobänder freigegeben werden sollen, auf denen man sieht, wie Ben Zygien zu Tode gekommen ist – das ist Material für Ermittler, nicht für die Abendnachrichten. Ich kann mich nicht erinnern, daß in ähnlichen Fällen solche Aufnahmen veröffentlicht wurden – weder von Dudu Topas noch von anderen Inhaftierten in anderen Ländern. Auch die Hinterbliebenen weiter zu bedrängen finde ich unnötig.
Einige der offenen Fragen werden in diesem Op-Ed von Ron Ben Yishai gestellt.
The Israeli public also has an interest in knowing whether Zygier was a criminal who compromised our vital security interests or whether the system trampled over a man who made aliyah from Australia with the best intentions in mind. These questions demand an answer, even in the midst of the justified covert war the security establishment is conducting.
Die Ehre dieses Mannes zu retten ist ein gutes Ziel. So viele Unklarheiten auszuräumen, wie man ausräumen kann, ohne andere zu gefährden, ist ebenfalls notwendig. Ich glaube nicht, daß wir alles erfahren werden, und wer in Deutschland glaubt, daß er alles weiß über die Aktivitäten des BND, der soll sich bei Wind die Michelmütze festhalten, damit sie nicht wegweht.
Aber die israelische Informationspolitik endlich von re-aktiv auf aktiv umzustellen, wie es in der Sicherheitspolitik schon immer gehandhabt wird – das ist mehr als an der Zeit. Und das ist die große Lehre aus diesem Fall.
Update: in australischen Zeitungen heißt es, nach der Mabhou-Geschichte hat Zygier im Austausch für Schutz Informationen über den Gebrauch falscher Pässe durch den Mossad weitergegeben.  Ich denke mir, über so etwa wird er mit Feldman gesprochen haben können.

Remedia Februar 14, 2013, 11:07

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An die Geschichte kann ich mich noch sehr gut erinnern: es ist fast zehn Jahre her, als eine Reihe rätselhafter Erkrankungen von Babies das Land erschütterte. Mehrere Kinder starben. Was sie gemeinsam hatten: sie alle wurden mit Soja-Milch von Remedia, einer damals reputierlichen Firma, ernährt. (Als mein Frühchen Tertia nicht mehr gestillt werden wollte, empfahl mir eine Freundin, ausgebildete Krankenschwester und Leiterin einer Babyklinik, Remedia als besten Muttermilchersatz auf dem Markt. Ich habe allerdings nicht die Soja-Formel genommen, sondern die normale Milch.)

Es stellte sich heraus, daß Vitamin B1 fehlte. Wie genau der Mangel dieses Vitamins das Gehirn der sich entwickelnden Babies unwiderruflich schädigt, weiß ich nicht mehr genau. Viele der damals erkrankten Kinder sind seitdem schwer hirngeschädigt.

Jetzt ist der Prozeß zu Ende gegangen. Nur der Ernährungstechniker, der für die Qualitätsprüfung zuständig war, ist belangt worden – die Manager, die sich auf ihn verlassen hatten, hatten keine Schuld, laut Gericht. Das Strafmaß für den Techniker ist noch nicht bekannt.

Doch wo kam das tödliche Pulver her? Es kam aus Deutschland, von der Firma Humana. Dort sind vor ein paar Jahren ohne großen Wirbel die Verantwortlichen zu Geldbußen verurteilt worden.

Weiter hieß es in der Begründung: „Die Hauptschuld an dem tragischen Ergebnis trägt die Firma Humana.“ Sie [die Richterin] sprach von einer „Reihe von schweren Versäumnissen“ des deutschen Unternehmens. Humana habe damals einseitig entschieden, den Anteil von Vitamin B1 in der Sojamilch zu verringern. Remedia sei in diese Entscheidung nicht eingeweiht gewesen. Auf der Verpackung sei die angemessene Menge des Vitamins angeben worden, das Milchpulver selbst habe jedoch viel zu wenig davon enthalten.

Die Richterin äußerte Bedauern darüber, dass ein Verfahren der Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen vier ehemalige Mitarbeiter von Humana vor gut vier Jahren gegen Zahlung von Geldbußen eingestellt wurde. „Der Staat Israel hat sich nicht darum bemüht, die verantwortlichen Repräsentanten von Humana vor Gericht zu bringen und es wurde kein Auslieferungsantrag gestellt“, hieß es weiter.

Ein Versäumnis des Staats Israel, vielleicht, um das Verhältnis zu Deutschland nicht zu belasten? Hätte der deutsche Staat die Verantwortlichen härter bestrafen sollen? Ich bin keine Juristin, ich weiß es nicht. Es hätte die Kinder auch nicht geheilt oder zurück ins Leben gebracht. Vielleicht ist es auch schwer zu entscheiden, wer damals die Entscheidung getroffen hat, den B1-Anteil zu senken. Die Eltern sind entsetzt und empört, daß nur ein Mitarbeiter verurteilt wurde. Einer der Väter sagte, „wer Geld stiehlt, kommt auf Jahre ins Gefängnis, aber wer drei Babies tötet, geht frei aus“.

Es scheint eine Geschichte zu sein, die in Deutschland eher regional als landesweit aufgegriffen wird. Bei uns in den Nachrichten und Zeitungen, ja. Bei der FAZ auf der ersten Seite, ja. Immerhin, die Neue Westfälische Zeitung erwähnt das Urteil, das Westfalen-Blatt,  SPon auch, wenn auch nicht auf der ersten Seite.

Aber sonst und spätestens ab morgen herrscht Stille um die Kinder und ihre Familien. Sehr traurig.

Richtig so Februar 14, 2013, 10:23

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Es steht leider nicht dabei, welche Strafen die vier Grenzschützer bekommen haben, die einen offensichtlich geistig behinderten Palästinenser eingeschüchtert, gedemütigt und gequält haben. Die Bilder waren schlimm, schlimm, schlimm, und ich hoffe sehr, die Familie dieses jungen Mannes und er selbst wissen, daß sie Rechte haben, und daß die Soldaten bestraft worden sind. Die Grenzschützer haben sich von der abscheulichsten, unmenschlichsten Seite gezeigt.

Ich kann gar nicht sagen, wie entsetzt ich war und bin, jedesmal, wenn solche Filme oder Bilder durch die Presse gehen. Für mich einer der wichtigsten Gründe, FÜR eine Abtretung der Gebiete und eine größtmögliche Trennung zu sein. Wir können uns einfach nicht leisten, über Generationen hinweg Autorität über ein anderes Volk auszuüben. Das korrumpiert moralisch. Diese Korruption drückt sich auch in den hart bekämpften, aber immer wieder berichteten Mißhandlungen und Demütigungen junger Soldaten durch ältere (Stichwort zubo).

Der Gedanke, daß dieser Konflikt in unserer Generation anscheinend nicht zu lösen ist und wir gezwungen sein werden, unsere Jugend in Situationen zu schicken, in denen solche abscheulichen Verfehlungen möglich werden, ist quälend. Eine Mehrzahl Israelis will das nicht mehr oder hat es nie gewollt.

Gegen Terroristen und Gewalttäter muß man vorgehen, in den Wegen, die Gesetz, Recht, Armee, Staat vorgeben. Aber einen Wehrlosen zum Spaß zu demütigen – mein Gott, wenn das meine Söhne wären, die sich so verhalten haben, ich weiß nicht, was ich tun würde.

Schlagzeilen Februar 14, 2013, 7:21

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sind zu erwarten, Artikel in der deutschen Presse und empörte Leserkommentare.

Mit Bulldozern geht die israelische Armee gegen illegal errichtete Häuser in der Westbank, äh, in Judäa, äh, in den umstrittenen Gebieten vor.

Die Einwohner protestieren, aber es nützt ihnen nichts.

Ach so, hm, aus den Schlagzeilen wird wohl doch nichts werden. Es sind ja jüdische Siedler, deren ohne Genehmigung errichtete Siedlung abgerissen wird (wie es ziemlich regelmäßig geschieht). Da werden wir wohl doch auf Gelegenheiten warten, wenn Palästinenser ein Protestcamp errichten.

Und fast hätte ich es vergessen: auch wenn die Hamas ungenehmigte Häuser abreißt, bleiben die Schlagzeilen aus. Merke: es müssen schon israelische Bulldozer und arabische Häuser sein, in jeder anderen Konstellation ist es einfach uninteressant für die Süddeutsche und ihre Kollegen.

Heute um 10.05 Februar 14, 2013, 7:08

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ist wieder eine landesweite Übung. Sie wird überall angekündigt, damit niemand einen Schrecken kriegt, wenn auf einmal die Sirenen losheulen.

Anderthalb Minuten Alarm, und alle müssen in die Schutzräume. Besonders wichtig wird das in Schulen und öffentlichen Einrichtungen genommen. Die Kinder sind das schon gewöhnt. Mindestens einmal im Jahr kommt so ein Probe-Alarm, neulich war es auch mal eine Erdbeben-Übung.

Hoffen wir, daß wir solche Dinge nie „in echt“ erleben werden. Vor einem Jahr oder so hatte ich die Ankündigung mal nicht mitgekriegt und saß im Sammeltaxi in Akko, als die Sirene losging. Das war wohl eine lokale Sache, anderswo war kein Alarm, und deswegen wußte ich es wohl auch nicht, und auch sonst niemand im Taxi. War das vielleicht ein doofes Gefühl. Alle guckten natürlich sofort auf ihre Telefone. Ach so, he he, nur ne Übung. Klar.

Heute bin ich vorbereitet, wie alle anderen auch. Quarta freut sich, der Alarm liegt gerade in einer höchst lästigen Unterrichtsstunde.

(Bild bei Israel Matzav gefunden)

Eine Begegnung Februar 13, 2013, 18:53

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Seit mehreren  Jahren halte ich regelmäßig Vorträge oder Vortragsreihen „nebenbei“. Meistens sind es Einrichtungen für Pensionäre, Museen oder andere kulturelle Einrichtungen. Das Publikum ist immer relativ alt und sehr gebildet. Ich habe sehr großen Spaß an diesen Vorträgen. Die Menschen kommen freiwillig, sie lieben Kunst und wissen sehr viel und wollen immer noch mehr wissen.

Heute also war ich bei einer solchen Veranstaltung. Nach meinem Vortrag ist eine Pause bis zum nächsten Vortrag. Ich kenne das Publikum seit vielen Jahren. Zufällig war auch Y. dabei, der meinen Vortrag hören wollte. Wir bewegten uns nach draußen, und auf einmal hielt mich eine meiner Hörerinnen auf. „Komm doch mal, hier ist jemand, der dich was fragen will…“ Neben ihr saß eine zierliche alte Frau, die mich anlächelte und in stark deutsch gefärbtem Hebräisch fragte, aus welcher Stadt in Deutschland ich denn käme. Das hätte sie immer schon interessiert, aber sie wollte nicht lästig sein.

Natürlich antwortete ich, und so kamen wir ins Gespräch. Ich fragte sie, woher sie denn ist. Aus N. im Harz, meinte sie. Sie fragte mich, wie viele Jahre ich schon in Israel bin, und ich sagte, 25 Jahre. Und fragte, wann sie denn ins Land gekommen ist.

Solche Gesprächen können in verschiedene Richtungen gehen. In die unverbindliche, wie hübsch es ja im Harz sein soll, und shalom. Oder in die schmerzhaft-persönliche Richtung. Ich habe von Anfang an, seit ich hier lebe, darauf geachtet, welche Richtung mein Gegenüber ansteuert. Und normalerweise ist es so – wenn jemand, wie diese alte Dame mit dem feinen Gesicht mit mir sprechen möchte, dann hat sie das Bedürfnis, mir etwas zu sagen. Weil ich Deutsche bin. (Y., der neben mir stand, hat mir das hinterher gesagt – daß er seit Jahrzehnten beobachtet, wie alte Jeckes mich geradezu suchen, um mir etwas zu sagen, und daß ich dem Gesagten nie ausweiche.)

Die Frage, seit wann sie denn in Israel ist, bedeutet auch: ich will es wirklich wissen, wie sie von N. nach Nordisrael geraten ist. Die Antwort war 1947. Ich verstand sofort und fragte, ob sie jemals nach N. zurückgekehrt ist, aber sie sagte: „nach den Lagern und alledem bin ich nur einmal zurückgekommen, aber alles war kaputt und ich war allein, und dann bin ich nach Israel gekommen und nie mehr nach Deutschland gefahren“.

Y.s Oma kam ja aus Essen, wo schon relativ früh die vertriebenen und verfolgten und ihrer Familie beraubten Juden eingeladen wurden und gute Kontakte entstanden. Sie war früh genug aus Deutschland weggegangen. Sie war sogar mal bei einer Veranstaltung der NSDAP in ihrer Gegend, um sich die Leute mal anzugucken, und fuhr kurz danach gen Haifa. Trotz der entsetzlichen Schicksale ihrer Familie hat sie sich ein differenziertes und recht positives Deutschen-Bild bewahrt. Weswegen sie mich ja auch so freundlich aufnahm in die Familie. Für Menschen, die das ganze Ausmaß der deutschen Todesindustrie am eigenen Leib erlebt haben, die jahrelang in Todesangst vor Deutschen gelebt haben, ist das viel schwieriger.

Trotzdem war diese Dame sehr freundlich, lächelte und fragte mich vieles. Wie Y.s Oma fiel auch sie nach einer Weile ins Deutsche. Das initiiere ich nie, ich bleibe immer beim Hebräischen. Aber sie erzählte mir, daß ihr das Hebräische so schwer fällt, und daß sie es nicht so gut spricht wie ich, und daß sie zuhause mit den Kindern Deutsch gesprochen hat. Ihr Sohn fährt inzwischen oft auf Geschäftsreise nach Deutschland.

Ich fragte sie, ob sie ihre Lebensgeschichte aufgeschrieben hat – die Kindheit eines jüdischen Mädchens im Harz, ich würde das sofort lesen wollen. Sie hat es wohl angefangen, und über die Kindheit konnte sie auch schreiben, aber als dann die Verfolgung losging… sie kann darüber weder schreiben noch sprechen, und ihre Kinder wollten es auch nicht hören. Es kam extra eine Frau von Yad Vashem, um ihr zu helfen, aber sie kann es einfach nicht in Worte fassen.

Die Kinder werden damit gar nicht fertig, was sie erlebt hat, aber die Enkel, die stellen viele Fragen und wollen alles wissen. Vielleicht für die Enkel…

Nach einer Pause sagten Y. und ich gleichzeitig, wie wichtig es ist, alles, was sie in Worte fassen kann, zu erzählen, zu diktieren oder aufzuschreiben. Für die Enkel und Urenkel, aber auch für die Menschen, die heute in der Stadt leben und in dem Land, in dem sie sich mal zuhause gefühlt hat.

Ich fragte sie nach ihren Eltern. Sie sagte leise, „Auschwitz“, aber ich wollte mehr wissen – den Beruf. Sie hatten ein Geschäft. Sie erzählte vom Geschäft des Vaters, von der Stadt, wo sie als Mädchen gespielt hat, und fiel endgültig ins Deutsche.

Als wir uns verabschiedet hatten, waren Y. und ich sehr berührt und traurig. Y. sprach aus, was ich schon oben gesagt habe – daß er immer wieder gesehen hat, wie sehr manche, viele dieser alten Menschen, die in ihrer Jugend Deutsche waren und dann von den Deutschen aus dem Deutschsein vertrieben wurden und es doch nie ganz vergessen konnten – wie sehr sie das Bedürfnis haben, gerade mir als Deutscher diese Bindung zu zeigen. Nicht weil sie mir etwas vorwerfen, nicht passiv-aggressiv, sondern weil sie möchten, daß jemand zuhört. Und zwar jemand aus Deutschland.

In gewisser Hinsicht sind diese Menschen immer noch Flüchtlinge. Sie  haben die Hölle überlebt, ein neues Leben aufgebaut, Familien gegründet, ihr Leben nicht in Haß und Rachefantasien vergeudet, sondern gearbeitet und geliebt und gelernt und das Land Israel mit aufgebaut. Sie sind höflich, sprechen deutlich und mit Diphtongen, die sonst niemand benutzt, und übersetzen deutsche Redewendungen ins Hebräische. Und sie haben trotz allem die innere Heimat Deutschland nicht verloren. Sie würden ins heutige Deutschland nicht zurückkehren wollen und fühlen sich nicht mehr als Deutsche. Aber sie erinnern sich an Deutschland als Heimat. Und aus dieser Heimat, die sie geliebt haben, sind sie vertrieben worden.

Mir fällt wieder die Nachbarin meines Schwiegervaters im Kibbuz ein, die ich bis zu ihrem Tod gepflegt habe – sie hat am Ende nur noch Deutsch verstanden und gesprochen. Ihre Kinder schenkten mir nach ihrem Tod die Hamstervorräte an Lakritz, die sie sich aus Deutschland schicken ließ und die in ihrer Küche lagerten. Eine andere Familie schenkte mir die Schubert-Schallplatten, ein alter Herr schenkte mir seinen alten Zupfgeigenhansel, und sehr viele boten mir deutsche Bücher an. Diese tüchtigen Kibbuzniks mit ihrem ausgefüllten Kibbuz-Leben hatten alle eine kleine Stelle, in der Lakritz, Schubert oder Heine sie an die verlorene Heimat erinnerten.

Ich möchte für jeden dieser Überlebenden, natürlich nicht nur die Jeckes, aber mit ihnen habe ich nun einmal den stärksten Draht, eine Flagge heben oder eine Glocke läuten und uns alle daran erinnern, daß diese Menschen leben, gelebt haben, und daß wir in Deutschland in ihren Spuren gehen. Wir können nichts rückgängig machen, wiedergutmachen. Es gibt keine Ausreden, keine Beschönigung, keine Rechtfertigung, und es ist auch noch gar nicht lange her. In den Albträumen, Ängsten und Sehnsüchten der Kinder und Enkel kehrt Deutschland immer wieder.

Mit Kollegen bereite ich ja im Moment wieder eine Reise mit Studenten vor, nach Berlin. Bei Gelegenheit möchte ich auch davon erzählen. Aber ich kann gar nicht ausdrücken, wie froh ich bin, daß ich hier bin und denen zuhören kann, die in ihrem Leben einen Riß tragen, und der Riß heißt Deutschland. Ich gebe diese Geschichten an Euch weiter.