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Secundus erzählt Dezember 31, 2011, 23:11

Posted by Lila in Kinder.
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War das schön, als er nach drei Wochen zur Tür reinkam! Mager wie ein Straßenkater, braungebrannt, und sogar die Stoppeln auf dem Kopf mehr strubbelig als struppig, mit einem riesigen Seemannssack voll dreckiger Klamotten und erwartungsvollem Grinsen. Er hat einen ganzen Adventskalender-Nikolaus voll Süßigkeiten gekriegt, Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke und den schokoladigsten Kuchen aller Zeiten und sein Lieblingsessen.

Heute abend feiert er im Kibbuz, morgen früh muß er wieder zurück.

Beim Packen, heute abend, sang er Nathan Goshens Lied vor sich hin, „ich fühle mich schuldig, wenn ich mich zudecke, weil mir kalt ist“, und ich verbesserte ihn. „Du sollst singen: mir ist nie kalt, mir ist jede Nacht schön warm, weil meine Eltern mir ne dicke Decke geschenkt haben, und meine Mutter kann ruhig schlafen!“ Er feixte und sagte, „ach Mama, da fällt mir was ein, was ich dir noch nicht erzählt habe. Hör mal gut zu.

Wir waren doch die ganzen letzten Wochen immer im Gelände, und da haben wir nicht so schöne, solide Zelte wie in der Basis. Sondern so enge, ömmelige, zugige Dinger. Na, wir haben in jedes Zelt neun Soldaten gepackt, in ein Zelt die ganze Ausrüstung, und eines wir zehn Commander. Tagsüber konnten wir sehen, daß unser Zelt ganz viele kleine Löcher hat, da kam die Sonne so durch, aber wir haben uns gedacht, na gut, es wird schon nicht regnen, und Hauptsache, die anderen Zelte sind dicht. Ich hab das Bett neben dem Eingang gekriegt, wir lagen eng an eng, das Zelt war so klein, und ich dachte, toll, ich hab den besten Platz. Und dann hab ich über mir die Zeltdecke angeguckt, und da war ein faustgroßes Loch (er zeigt mir begeistert seine Faust). Genau über mir.

Irgendwann in der Nacht bin ich aufgewacht, weil ich patschnaß war. Aber alles war naß, Mama, einfach alles, der Schlafsack, meine Klamotten, die Waffe, die Stiefel. Alles total naß. Ich hab erstmal die Ausrüstung gerettet und ins Zelt mit den anderen Sachen getan. Es muß schon ganz schön lange auf mich drauf geregnet haben, aber ich war so müde, daß ich es nicht gemerkt habe. Es war auch kalt, in der Wüste wird es ganz schön kalt nachts. Na ja, ich hatte keine Wahl, ich habe einfach naß weitergeschlafen. Morgens hab ich eine trockene Uniform angezogen, aber die Stiefel waren naß. Seitdem schlaf ich im Zelt mit der Ausrüstung. He he, ich bin der einzige, der ein Zelt für sich hat, wie cool ist das?“

Er meint auch, die frischen Soldaten haben es schwerer als er mit seinen wahnsinnig langen anderthalb Jahren Erfahrung. An Schmerzen bei den langen Märschen gewöhnt man sich, ihm tut ein Muskel seit Monaten weh, „also man gewöhnt sich nicht richtig dran, aber man lernt, auch mit Schmerzen 40 km zu laufen, und an die Kälte gewöhnt man sich auch“.

Ist es ein Wunder, daß ich ihn, wenn ich ihn hier habe, nach Strich und Faden verwöhne und verhätschele?

Musik für einen ruhigen Abend Dezember 31, 2011, 17:54

Posted by Lila in Muzika israelit, Uncategorized.
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Wer außer mir hat heute abend noch einen stillen Abend?

Diese Lieder drehen sich um persönliche Probleme, um die eigene, private Welt, um das eigene Ich, das seziert wird, um schwierige Liebe, um das eigene komplizierte Verhältnis zur der Welt. Das ist ein Aspekt des Lebens in Israel, den man von außen vielleicht weniger wahrnimmt.

Die Musik steht und fällt  mit den Texten. Manche sind sprachlich sehr einfach, andere dagegen setzen die Möglichkeiten der hebräischen Sprache sehr bewußt ein. Ich hab mich bemüht, Clips mit englischen Untertiteln zu finden.

Natürlich kann man jetzt sagen, gut, daß sind die jungen Künstler in ihrer Tel Aviver Blase, die sich das leisten können. Aber auch diese Blase ist durchlässig für die Probleme, mit denen sich Israel rumschlägt.

Harel Skaat

Aya Korem

Eviatar Banai

Avigail Rose

Efrat Gosh

Natan Goshen

Karolina (von Banot Nehama)

Mosh ben Ari

Keren Peles

Jahresrückblick 2011 Dezember 31, 2011, 17:38

Posted by Lila in Kunst, Persönliches, Uncategorized.
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Hm, bei den meisten Jahresrückblicken, die ich bisher gelesen habe, kommt 2011 eher schlecht weg. Bei mir ist das nicht so eindeutig. Ich kann über das letzte Jahr nicht klagen, und wenn was schieflief, dann war ich es wirklich selbst schuld. Das Jahr und alle Menschen, die mir über den Weg gelaufen sind, waren eigentlich sehr gut zu mir. Daß ich es manchmal nicht adäquat wiedergeben konnte, lag an mir.

Meine Arbeit. Ich liebe meine Arbeit, ich unterrichte gern, ich mag die Studenten und sie mögen mich. Immer, wenn ich früheren Studenten über den Weg laufe, werde ich herzlich begrüßt und höre, „wir vermissen dich“, „du warst unsere Lieblings-Dozentin“, „wir haben neulich im Kurs Didaktik über deine Stunden gesprochen, als positives Beispiel“, lauter nette Dinge. Da ich diese Studenten nicht mehr bewerten muß, freue ich mich einfach nur darüber. Ich kenne meine beruflichen Schwächen ganz genau (fragt mal die Sekretärin, wie schwierig es ist, mich dazu zu bringen, ein zehn Seiten langes Formular auszufüllen!), aber ich weiß, daß ich gut unterrichte. Natürlich nicht jede einzelne Stunde – manchmal ist es rätselhafterweise so, daß kein Funke überspringt. Das kommt vor. Aber selten. Meist genieße ich die Stunden, und die Studenten hören zu und beteiligen sich.

Das Schöne ist ja, daß ich Kunststudenten unterrichte. Die sehen einfach selbst, was ich ihnen erzählen könnte. Ich bringe ihnen eigentlich nur die Kunstwerke, aber das Hingucken, das können sie einfach. So zum Beispiel am Donnerstag, Thema karolingische Buchmalerei. Die Manuskripte der karolingischen Zeit (Karl der Große, also 9. Jahrhundert – Karl war ja so rücksichtsvoll, sich genau im Jahr 800 krönen zu lassen, so daß man sich das Datum sehr leicht merken kann!) kommen aus verschiedenen Skriptorien, die jeweils verschiedene Stilmerkmale haben.

Ich zeigte ihnen erst Bilder aus der Ada-Gruppe – ich habe das Motiv des Autorenporträts gewählt, damit die Bilder besser vergleichbar sind, hier also ein Autorenporträt aus einem Manuskript der Ada-Gruppe:

und dann ein Autorenporträt aus einem Manuskript der zeitgleichen Palastschule:

Ich brauchte gar nichts zu sagen, die Studenten riefen spontan aus: „oh, das ist ja ganz anders, ein total anderer Stil, die Palastschule ist ja viel klassischer, guckt mal die Luftperspektive und die vielen Nuancen, viel mehr Sicherheit in der Zeichnung der Möbel, keine Umrißlinien, der Heiligenschein ist natürlich byzantinisch, die Ada-Schule sieht viel mehr aus wie Lindisfarne…“, und ich stand nur vorne und freute mich. Ich bemühe mich immer, daß der enge Stundenplan nicht auf Kosten des Verständnisses geht, und daß immer noch Zeit ist für die spontane Reaktion auf ein Kunstwerk.

Ja, die Arbeit macht Spaß, und ich ziehe auch langsam wieder mehr Nebenjobs an Land. Ich habe im Laufe der Zeit doch ziemlich viel Erfahrung gesammelt in meinem Metier. Zwar fühle ich mich immer noch wie eine Hochstaplerin und warte immer noch darauf, daß mitten im Vortrag jemand aufsteht und sagt: „ha, das ist ja bloß die Lila, und sie hat echt keine Ahnung“, aber ich habe von vielen gehört, daß es ihnen ähnlich geht. Und ich glaube, ich wäre die erste, die bei so einem Zwischenfall sagen würde: „ganz richtig, aber ich bemühe mich echt, so zu tun als ob“.

Der ganze bürokratische Buckel, den meine Arbeit mitschleppt, der ist mir wirklich eine Last, und ich bin dankbar für die Geduld und Freundlichkeit der Sekretärin und der Chefin, die verstehen, daß ab einer gewissen Textmenge auf Hebräisch bei mir die neuronale Blockade einsetzt (oder wie auch immer das heißt) und ich Hilfe brauche. Die bekomme ich auch, und das weiß ich sehr zu schätzen.

Ja, Arbeit, da kann ich nicht klagen. Das Jahr war gut und intensiv und mit vielen schönen Momenten, wie am Donnerstag.

Ehe und Familie – ebenfalls kein Grund zur Klage. Mein Mann ist ja in meinen Augen perfekt, einen besseren Mann kann es überhaupt nicht geben, und je länger ich ihn kenne, desto bewußter wird mir das. Um uns herum sind im Laufe der Jahre einige Ehe zerbrochen und andere in Apathie und Nebeneinander-her-leben gemündet, und wenn man erstmal auf die 50 zumarschiert, nimmt man nicht mehr als selbstverständlich hin, daß der Ehemann noch immer da ist, noch immer interessant und interessiert ist, daß er lächelt, wenn er nach Hause kommt, und ich auch. Ich renne die Treppen runter, wenn ich ihn kommen höre, und er stürmt die Treppen hoch. Wir freuen uns einfach, wenn wir wieder zusammen sind. Ein riesiges, riesiges Geschenk. Da gibt es keine Relativierungen, kein Ja aaaber… einfach nur Freude und Dankbarkeit und stille Hoffnung, daß es so bleibt.

Kinder – da sag ich nichts. Soweit einer Glucke der Kamm schwellen kann, schwillt er mir, wenn ich meine Küken angucke, die ja gar nicht mehr flaumig sind.

Nein nein, das Jahr hat nur Gutes gebracht. Tertia hat das Abitur gemacht, Quarta hat die Grundschule abgeschlossen und ist in ihrer neuen Schule in einer Klasse für begabte Schüler, wo sie exzellente Noten schreibt und einen riesigen Schwarm von Freundinnen um sich versammelt hat (und auch schon ein paar Anbeter…), Primus hat die Armee hinter sich und Secundus ist Commander einer kleinen Gruppe Soldaten, die er durch die Grundausbildung begleitet. Ich mach mir stets Sorgen, aber sie geben keinen Anlaß zur Sorge. Das sind zwei verschiedene Dinge.

Der Umzug war ebenfalls positiv. Zwei Jahre sind wir nun aus dem Kibbuz schon weg – Heiligabend 2009 sind wir ausgezogen, nachdem im Oktober 2009 der Entschluß gefallen war. Anderthalb Jahre waren wir in Manot, und dem schönen Haus trauere ich schon manchmal nach. Aber mehr Platz haben wir hier, und ich habe den häßlichen Boden, die abgewetzten Bäder und die etwas seltsame Optik des Hauses von draußen (besonders den froschäugigen Eingang und die von Kabeln entstellte Rückseite) dafür in Kauf genommen.

Ich genieße die Nähe zu Nahariya wirklich, diese kleine Stadt mag ich immer lieber. Nahariya ist von einer reizenden Schäbigkeit – eine kleine weiße Stadt, die langsam ergraut. Ich mag die Hauptstraße mit ihren drolligen Schildern.

Ich habe im Sommer einen schönen Monat in Deutschland verbracht, mit Menschen, die mir wichtig sind und deren Leben mir wichtig ist. Die Blogpause hat mir gutgetan und meinen Blog auf ein Format zurechtgestutzt, das mir bequem ist.  Ich lebe in Frieden mit den Menschen um mich herum. Hm, nein, das letzte Jahr ist gut zu mir gewesen.  Ich kann nur  hoffen, daß das nächste ebenso nachsichtig mit mir umgeht, und mit allen anderen auch. Tfu tfu tfu.

Frohes Neues Jahr, liebe Leser.

Ein Quietscher Dezember 30, 2011, 9:52

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Gestern auf dem Heimweg bekam Tertia eine SMS. Beim Lesen stöhnte sie erst, „WAS? ich werde erst am 3. März eingezogen??!!“, und da wußten wir, daß die SMS von der Armee kam. Dann quietschte sie, „und ich komme zum psychologischen Diiiienst!“. Das Kind hat Glück gehabt. Keine Ahnung, wie man die Abteilung und die Funktion auf Deutsch nennt, aber es ist eine richtig gute, verantwortungsvolle Arbeit mit Aufstiegsmöglichkeiten. Außerdem eine gute Vorbereitung für das Leben nach der Armee. Wir sind froh.

Walfang in der Schweiz Dezember 28, 2011, 20:18

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Was ich zu den Krawallmachern in Bet Shemesh und anderswo denke, muß ich wohl nicht extra sagen. Aber eines macht mich wahnsinnig an den vielen Kommentaren (zB die seitenweisen Leserkommentare nach Gisela Dachs´ sachlichem Artikel in der Zeit): Leute, lernt endlich, daß Ultra-Orthodoxe  nichts mit Siedlungspolitik, Nationalismus und so weiter zu tun haben! Die meisten deutschen Leserbriefschreiber verwechseln schlicht Nationalreligiöse mit Ultra-Orthodoxen. Und wenn es um den religiösen Fanatismus der Ultra-Orthodoxen geht, fangen sie an, von Palästinensern, Rassismus und Apartheid zu faseln. Wie Pavlovsche Hunde, denen zum Thema Israel einfach nichts Palästinenserloses einfällt.

Also noch einmal: die Ultra-Orthodoxen (Haredim), die im Moment gerade die sprichwörtliche von den Medien durchs Dorf getriebene Sau darstellen, sind absolut nicht identisch mit den Siedlern, von denen viele orthodox sind. Orthodoxe Juden und ultra-orthodoxe Juden – das sind zwei vollkommen verschiedene Gruppen. Es ist keinesfalls so, daß die ultra-orthodoxen einfach eine Steigerung der Orthodoxen darstellen.

Ultra-Orthodoxe sind ebenfalls keine homogene Masse. Es gibt viele verschiedene Strömungen. Manche Ultra-Orthodoxen sind gegen den Staat Israel und einige von ihnen sympathisieren offen mit Ahmedinijad. Auch Arafat hatte so ein paar haredische Freunde, die Brüderküsse mit ihm tauschten und ihm wünschten, er würde den gotteslästerlichen Staat Israel schon zerstört haben.

Neturei Karta

Andere Ultra-Orthodoxe sind dem Staat gegenüber positiv eingestellt, oder er ist ihnen egal. Viele von ihnen sind selbst gegen die Extremen und Fanatiker, die sich in Bet Shemesh und manchen anderen Städten unangenehm bemerkbar machen.  Und auch in Bet Shemesh muß man unterscheiden, wie dieser Bewohner mittels Karte klarmacht.

Nachdem letzten Freitagabend eine Reportage über die Stadt Bet Shemesh gesendet wurde,  ging gewissermaßen ein Aufschrei durch Israel.

Die Probleme in Bet Shemesh waren lange bekannt, sehr lange. Ich erinnere mich sogar noch Reportagen aus der Anfangszeit der ultraorthodoxen Übernahme der Stadt. Wir wußten schon lange, daß dort besonders die Schülerinnen einer Grundschule für Mädchen Zielscheibe für ultra-orthodoxen Zorn sind, weil sie eben als „normal fromme“ Mädchen immer noch einen Zacken weniger keusch gekleidet sind, als diesen vorschwebt. Und dagegen protestieren sie, indem sie siebenjährige Mädchen in langen Röcken als Nutte und Shickse beschimpfen. Wie die kleine Naama.

Naama

Wie gesagt, ich habe diese Geschichte schon länger still verfolgt. Freitagabend dann ging ein kollektiver Aufschrei durch Israel, man hörte förmlich die Luft vibrieren. Freitagabend sehen natürlich nur säkulare oder sehr lässig fromme Menschen fern, deswegen wurde die Reportage mehrmals im Laufe der Woche wiederholt, in Ausschnitten natürlich. Sie konzentrierte sich auf eine Familie in Bet Shemesh, fromme, aus den USA eingewanderte Juden, die aber eben nicht ultraorthodox sind. Die Tochter der Familie, Naama, weint vor Angst und klammert sich an ihre Mutter, wenn sie in die Schule muß. Denn auf dem kurzen Schulweg lauern Ultra-Orthodoxe den Mädchen und ihren Müttern auf, bespucken sie, beschimpfen sie aufs Übelste, und machen den Mädchen den Weg zur Hölle.

Viele haben Bet Shemesh schon verlassen, weil sie den Kampf mit den Haredim nicht auf dem Rücken ihrer Kinder ausfechten möchten. Andere passen sich aus Angst an, auch wenn die zunehmende religiöse Radikalisierung ihnen gar nicht recht ist. Und manche finden es richtig gut, was dort abgeht.

Shai Gals Reportage in Ulpan Shishi

So wurde in der Reportage ein Fanatiker interviewt, der in die Kamera zischte: „na klar spuck ich ne Siebenjährige an, wenn sie unkeusch und provozierend gekleidet ist. Die Rabbanim haben uns die Macht gegeben, unsere Maßstäbe auf der Straße durchzusetzen. Die kranke säkulare Bevölkerung hat viel zu viel Einfluß. Wir sind gesund, ihr seid krank. Ihr behandelt eure Frauen wie Schweine, wir behandeln unsere Frauen wie Königinnen. Aber wir bestimmen, wie eine Frau auf der Straße aufzutreten hat. Macht euch drauf gefaßt, wir werden uns durchsetzen“.

Der Gegensatz zwischen dem vor Angst wimmernden Mädchen und dem bösartig zischenden Fanatiker war fernsehmäßig einfach nicht besser auf den Punkt zu bringen. Und damit war das Faß übergelaufen, das sich schon vorher über Jahre hinweg gefüllt hatte. Die nach Geschlechtern getrennten Busse, um die es in Jerusalem und Bet Shemesh schon lange Ärger gibt, die Bestimmungen, daß eine Frau in der Nähe einer Synagoge auf die andere Straßenseite zu wechseln hat, weil sie sonst die Männer beim Gebet stört oder ablenkt -das wußten wir alle schon lange, aber weil es eben nur in bestimmten Orten der Fall ist, haben die meisten Leute das nicht sehr ernstgenommen.

Jetzt war aber  gewissermaßen das Maß voll. Sofort meldeten sich Ultra-Orthodoxe zu Wort, die gegen solchen Fanatismus sind und ihn als unjüdisch brandmarken. Die arme kleine Naama, die sich vor Männern in schwarzen Klamotten fürchtet, muß nun mit einem steten Andrang ultra-orthodoxer Besucher fertigwerden, die mit ihr Chanukka-Kerzen entzünden und ihr Geschenke mitbringen (darunter der Minister der Shas-Partei, der Rabbi Amasalem, der als orientalischer Jude sowieso die Dinge lockerer sieht als die ashkenasischen Haredim).

Ich habe ja schon öfter meine Schwäche für Arie Deri bekannt, den ich seit seiner Zusammenarbeit mit Rabin für einen äußerst intelligenten, undogmatischen und interessanten Politiker halte, trotz Korruptionsaffäre.  Nun, er wehrte sich mit einer Vehemenz gegen die Fanatiker von Bet Shemesh, die ich bei wenigen säkularen Kommentatoren gesehen habe. Als Haredi spricht er ihre Sprache und er sagte ausdrücklich, daß er in dieser gewaltsamen Kampagne der Beschämung und Beschimpfung eine Gotteslästerung sieht, die Gott nicht verzeihen wird. Er sagte, es ist weit schlimmer, einen Menschen zu beschämen, einzuschüchtern oder ihm die Entscheidungsfreiheit zu nehmen, als sich „unzüchtig“ zu kleiden. Er betonte ausdrücklich, daß die meisten Ultra-Orthodoxen nicht mit diesen Leuten in einen Topf zu werfen sind.

Und wer meint, alle Ultra-Orthodoxen sind Parasiten, der sollte sich ebenfalls vor ungerechten Anschuldigungen hüten. Viele Ultra-Orthodoxe arbeiten zwar nicht, aber für Männer wie die von Zaka habe ich höchste Hochachtung, und viele von ihnen engagieren sich in ihren Gemeinden und tun in ihrer Welt und auf ihre Weise Gutes. Aber sie halten sich vom modernen Staat und vom modernen Leben fern. Allerdings schicken sie Abgeordnete in die Knesset, die dort als Zünglein an der Waage ihre Rolle spielen und teilweise auch ausnutzen. Und viele von ihnen verachten den Staat zwar, nehmen aber trotzdem staatliche Unterstützung in vielerlei Form in Anspruch. Das ärgert Säkulare natürlich.

Das muß man also bedenken, wenn Berechnungen angestellt werden, nach denen alle Ultra-Orthodoxen fanatische Standpunkte vertreten und bald ganz Israel eine Spielwiese für Bet-Shemesh-Fanatiker wird. Wohl kaum.

Und damit nun zu den Siedlern und Orthodoxen, denen viele deutsche Leserbriefschreiber den Aufruhr in Bet Shemesh in die Schuhe schieben.

Liebe Leute, viele Siedler sind säkular, viele halten die Traditionen, ohne deswegen orthodox zu sein, und viele sind orthodox. Sie bezeichnen sich als dati-leumi, nationalreligiös, als politische Standortbezeichnung. Religiös sind die meisten von ihnen modern orthodox, sie verbinden also das aktive Leben in der modernen Gesellschaft mit einer orthodoxen Beachtung der religiösen Vorschriften.

Die Männer sind normal gekleidet, also nicht in schwarze Anzüge, Kaftan oder schwarze Hüte, sondern so wie alle anderen israelischen Männer auch. Irgendwo zwischen schlampig, sportlich und leger. Sie tragen aber meist eine gehäkelte Kippa (keine schwarze oder weiße aus Samt), und bei manchen sieht man die Strippen ihres kleinen Tallit rausgucken. Auch hier sind die meisten eben nicht fanatisch, sondern sie haben ihre Überzeugungen, die sie eloquent vertreten. Daß diese Überzeugungen dem Mainstream westlicher Medien nicht entsprechen, nun, das spricht noch nicht gegen sie. Sie arbeiten, dienen in der Armee (oft in besonders anspruchsvollen Einheiten), zahlen Steuern und beteiligen sich aktiv am öffentlichen Leben.

Einem Mann wie Arie Eldad, hervorragender Mediziner, Knesset-Abgeordneter und ein Mann von beißendem Witz,  höre ich ausgesprochen gern zu. Eldar und Yossi Sarid, der nicht weniger beißend witzige Meretz-Politiker, würde ich zu gern mal in einem Streitgespräch hören… das wäre ein Vergnügen.

Die Extremisten dieser Gruppe, die sogenannte hilltop youth, die auch langsam in die Jahre kommt, sind ganz anders als die Schreihälse von Bet Shemesh, und die beunruhigenden Fälle von jüdischem Terrorismus gehen meist auf ihr Konto. Die Polizeit hat sie auf dem Kieker, und sie haben sich dem Staat, den sie als verräterisch betrachten, tief entfremdet. Natürlich sind sie trotzdem gefährlich. Aber ich würde niemals allen Nationalreligiösen die Taten der Fanatiker vorwerfen.

Während sich Ultra-Orthodoxe in die Ghettotracht vergangener Jahrhunderte kleiden und dem modernen Straßenbild nicht entsprechen (was ihr gutes Recht ist), sehen viele nationalreligiöse Juden ein bißchen freakig aus. Ultra-orthodoxe Juden kann man sehr grob in arm und reich unterteilen – manche ultra-orthodoxen Familien, die ich auf dem Flughafen sehe, scheinen aus einer gepflegten Traumwelt zu kommen, von der die gehetzten, mit Einkaufstaschen bepackten Ultra-Orthodoxen in Jerusalem eine Welt trennt. Nationalreligiöse Juden kleiden sich teilweise schick und modisch, die Frauen haben meist Hüte auf… oder sie sind jung, tragen Sandalen, die jungen Frauen haben lange, schön gebundene Tücher auf dem Kopf und tragen lange, weite Röcke.

Ultra-orthodoxe Männer haben immer Bärte und Schläfenlocken, orthodoxe haben manchmal einen Rauschebart, und nicht alle haben Schläfenlocken.

Die Familie Bogner ist eine ganz typische Familie von Anglos, Siedlern, nationalreligiösen modernen Orthodoxen. Die Familie Fogel ist ein weiteres typisches Beispiel. Die traditionelle starke Stellung der jüdischen Frau sieht man bei ihnen nicht nur innerhalb der Familien, sondern auch nach außen hin. Gerade die Siedlerbewegung hat ein paar der bekanntesten öffentlich wirksamen Frauen in Israel hervorgebracht, von denen keine so leicht unterbuttern läßt – von Geula Cohen über Daniella Weiss bis Nadia Matar.

Eine bekannte Autorin wie die orthodoxe Naomi Ragen gehört zu den ersten und lautstärksten Kritikerinnen der ultra-orthodoxen Geschlechtertrennung – lange bevor die Medien das Thema entdeckten.

Es ist unmöglich, die einen mit den anderen zu verwechseln – wenn man denn überhaupt weiß, wovon man redet. Die vielen Kommentatoren, die mit einer Vehemenz ihren gänzlich unangebrachten Zorn über eine angebliche Siedlungspolitik der Ultra-Orthodoxen zum Ausdruck bringen, wirken für Informierte ungefähr so komisch, als würde ein Bericht über eine Sitzung des EKD in Deutschland hier in Israel mit Gift und Galle über Papst und Zölibat begrüßt, oder eine Reportage über die Schweiz mit einer automatischen Verdammung des Schweizer Walfangs. Wirklich, es ist ja nett, daß Leute ihre Meinungen haben, aber wie wäre es mal mit ein bißchen Sachkenntnis?

Und sie sind wieder da… Dezember 28, 2011, 17:35

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… zumindest die Mädchen.

(Da, die kleine Air-Berlin-Maschine, damit sind sie gestern in Tel Aviv gelandet.)

Ausblick Dezember 26, 2011, 17:44

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Der Winter ist ja überhaupt so schön. Und jetzt, wo die Bäume vor unserem Haus teilweise kahl sind, sieht man das Meer. Es ist gar nicht weit. Man sieht´s vom Balkon und auch vom Küchenfenster aus. Morgen mach ich ein Bild. Es ist ja albern, daß ich mich so drüber freue, aber ich finde, Berge (sulam tsor, „die Leiter nach Tyros„) und Meer und Wald sind so schön anzusehen. Und ich seh sie alle beim Pötteschrubben. Ich hab´s doch sehr gut.

Da ist er, der kahle Baum, der uns sonst die Sicht aufs Meer fast ganz verstellt.

 

 

Gestern abend Dezember 26, 2011, 13:56

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Weil Secundus bald Geburtstag hat, sind wir gestern losgezogen, ein bißchen Geschenke für ihn zu kaufen. Der Junge ist ja wirklich so bescheiden und hat sich eigentlich nur sufganiyot gewünscht. Wir sind also zu einem Laden gefahren, in dem es alles zu kaufen gibt, was Soldaten so brauchen – so ähnlich wie ein Ausstatter für Weltreisende, aber mit ein paar zusätzlichen Sachen in oliv…

Dort haben wir für Secundus eine Taschenlampe gekauft, die man sich auf den Kopf schnallen kann, und ein Leatherman-Messer. Ich wäre ja mit einem mittelprächtigen Modell zufrieden gewesen, aber der Vater griff nach dem fabelhaften Alleskönner-Zaubermesser, mit dem man vermutlich ein Haus bauen kann. Y.s Augen leuchteten richtig. Er liebt alles, was Werkzeug ist und metallisch glänzt und gut in der Hand liegt. Er hat die Auswahl richtig genossen.

Ich weiß, daß Secundus sich sehr freuen wird (und ich höre schon Primus klagen, daß ER nie einen Leatherman gekriegt hat!). Dann haben wir noch eine schöne Weltkarte für sein Zimmer gekauft, auch da hat die Auswahl großen Spaß gemacht. Verratet ihm nichts, aber er wird einen schönen Geburtstag haben. Das hat mein Herz etwas getröstet. Weihnachten hat er verpaßt, am Geburtstag selbst wird er auch nicht hier sein, aber wenn er kommt, kriegt er einen schönen Geburtstagstisch.

Nichts ist besser, um Rest-Trübsal aus dem Kopf zu blasen, als Seewind. Y. weiß, daß nichts mich schneller aufmuntert als ein Besuch am Strand. Es war schon dunkel, und da die ganzen letzten Tage sehr windig waren, gingen die Wellen riesig hoch. Selten sehen wir das Meer sonst so wild und aufgewühlt.

Wir standen nah an den Felsen von Rosh ha Niqra im Dunkeln. Links sahen wir die großen gelborangen Lichterhaufen von Nahariya und dann Haifa, das sich an der südlichen Seite der Bucht ziemlich weit ins Meer zieht. Nach rechts Dunkelheit, nur ein paar Lichter auf den hell leuchtenden Felsen von Rosh ha Niqra. Wir stellten uns vor, wie jetzt das Meer in den Grotten wüten muß – an solchen Tagen wühlt sich das Wasser immer weiter in den Fels.

Wir ließen uns vom Wind ordentlich durchpusten. Kalt war es nicht – ein T-shirt und eine leichte Strickjacke reichten mir, der Wind war frisch, aber nicht  unangenehm. Und das Meer war laut. Nicht nur die enormen Brecher am Strand machten riesiges Getöse, sondern das Meer brüllte richtig bis weit draußen. Wolkenfetzen im Wind, dazwischen Sterne – ein schöner Abend. Y., der nicht so ein Meer-Fan ist wie ich, dachte mitleidig an die Besatzung des satil, das in dieser Gegend immer kreuzt – ich wünsche ihnen sehr, daß für sie so ein Abend nichts Besonderes ist und sie sich wohlfühlen auf ihrem kleinen Schiffchen.

Ja, das war doch ein schöner Abend. Es war dann nicht ganz so schön, in ein leeres Haus zurückzukehren, aber die Katzen geben sich alle Mühe, uns zu beschäftigen. Sie halten sich alle drei ganz nah bei uns, haben ständig Sonderwünsche und drängeln sich gegenseitig von unserem Bett und Schoß. Mal sehen, was sie sagen, wenn sie die Kinder wiedersehen. Die Mädchen kommen morgen wieder, Primus ein paar Tage später. Sie sind sehr glücklich bei meiner Mutter und würden gern noch länger bleiben.

Sehnsucht nach Weihnachten Dezember 24, 2011, 14:17

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hat mein Secundus, der gerade mit seinen Soldaten in einem Zelt irgendwo im Negev die Zeit mit Wacheschieben und Schießübungen verbringt. Er rief mich extra an, was sonst nur selten vorkommt, um mir einzuschärfen, auch ja bei meiner Mutter alle guten Weihnachtswünsche anzubringen, und ihr zu erklären, daß er nicht aus Gleichgültigkeit nicht mitgekommen ist. An Geschenken liegt ihm nichts (er ist wirklich von spartanischer Bescheidenheit und hat sich auch zu seinem 20. Geburtstag in vier Tagen nur eine Taschenlampe und sufganiyot gewünscht), aber seine Sehnsucht nach Familie und Fest und der guten Küche meiner Mutter war nicht zu überhören. Er fragte nach allen, auch den entferntesten Familienmitgliedern, trug mir Grüße für alle auf und meinte dann ein bißchen traurig, „was würd ich nicht für ein deutsches Brötchen geben… oder Omas Lammlachs… wenn alle so um den Tisch sitzen…“

Wir tun beide so, als hätte er riesigen Spaß bei der Armee, aber ehrlich gesagt…  heute klang es gar nicht danach.

Ein Wort mit X… Dezember 24, 2011, 11:53

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… war wohl nix. Ich dachte, wenn die Kinder weg sind, legen wir hier los und erledigen alles, wozu wir sonst nie kommen. Die Liste unserer Projekte in Haus und Behörden ist so lang wie die Tausendfüßler, die unseren Garten bevölkern, und ungefähr genauso ansehnlich. Bisher haben wir nichts davon getan. Wir waren zusammen essen, wir haben uns auf dem Sofa gelümmelt, wir spielen mit den Katzen, die uns auf Schritt und Tritt folgen, wir gucken uns den Garten an, statt Unkraut zu jäten, und die Sterne haben wir auch angeguckt.

Aber was soll´s. Y. meint, auch das sind Sachen, zu denen wir sonst nie kommen. Zweisamkeit genießen ist auch mal richtig schön. Frohe Weihnachten allerseits.

Gestern auf unserem Campus Dezember 23, 2011, 10:15

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herrschte ein mittelgroßes Spektakel. Erst hörte ich die Musik.

(Text: Wir glauben, glauben, daß wir uns auf niemand verlassen können als auf unseren Vater, unseren Vater im Himmel)

Auf dem Rasen tanzten die Studenten in der Sonne. Ich dachte, na, wieder eine „Aktive Pause“, wie das in der Schule heißt, aber dann sah ich ein Bild von Santa Claus und einen Weihnachtsbaum. Obwohl ich nicht viel Zeit hatte, guckte ich mir das näher an. Da schnappte sich eine Vertreterin der Studenten-Organisation ein Mikrophon und verkündete, daß jetzt die Geschenke verlost werden.

Außerdem wünschte sie allen Juden, Christen und Moslems ein schönes Fest und freute sich, daß nun auch bei uns auf dem Campus das „Fest der Feste“ gefeiert wird. Oh, das Fest der Feste, chag ha-chagim, das kenn ich aus Haifa, aus dem Wadi Nisnas. Im Moment liegt zwar kein islamisches Fest richtig nahe, aber da ich annehme, daß bei uns Ashura nicht gefeiert wird (weil es hier soweit ich weiß keine Schiiten gibt), muß es sich wohl auf Id el Adha beziehen, das im November gefeiert wurde. Chanukka und Weihnachten liegen dieses Jahr ja ganz zeitgleich.

In der Studenten-Organisation, Studentenschaft und im Kollegium arbeiten Moslems, Christen und Juden zusammen, und ich fand die Idee nett, daß so einer dem anderen ein frohes Fest wünscht. Auch wenn die Ausführung, laute Musik und eine Verlosung, ein bißchen dünn war.

Mir wären natürlich ein paar informative Veranstaltungen zum Thema lieber gewesen – ich bin gar nicht sicher, ob die meisten jüdischen Studenten wissen, wo die Melodie zu Maoz Tzur herkommt. Und daß dieser verflixte Santa Claus die Bedeutung des Weihnachtsfestes inzwischen so überdeckt hat, daß es abscheuliche Kinderfilme über Weihnachten gibt, in denen außer dem Zwang zum Glauben an Unfug nichts Glaubenswertes vorkommt, bedeutet ja nicht, daß man das auf einem akademischen Campus mitmachen sollte. Hm, hätte ich die Zeit, würde ich tatsächlich mal darüber nachdenken, diesen Tag nächstes Jahr ein bißchen gründlicher zu gestalten. So wie wir es vor ein paar Jahren an der Grundschule mal gemacht haben, ein paar andere Mütter und ich.

Aber dann ging die Musik noch einmal los, und ich mußte ein paar Sachen erledigen. Maoz Tzur oder ein schönes Weihnachtslied wären mir ja lieber gewesen. Was singt man eigentlich zu Id el Adha?

 

 

Und ein kleiner Bonus zu diesem Eintrag – für alle Chanukka-Interessierten:

Das sind verschiedene beliebte Chanukka-Kinderlieder in der Fassung von Chani Nachmias und dem unvergessenen Uzi Chitman. Wir hatten zwar für die Kinder die Videocassetten nicht, abermehrere  Musikcassetten mit ihren Einspielungen aller bekannten Kinderlieder hatten wir, daran erinnere ich mich noch. Tatsächlich weiß ich noch genau, bei welchem Lied Primus den Kampf gegen das Einschlafen aufzugeben pflegte…

Außerdem habe ich in den Jahren, als die Kinder klein waren, jedes Jahr entweder den tanzenden Kreisel mit drei anderen Müttern zum Besten gegeben (wir haben immer die Fassung von Mati Caspi genommen, die Choreographie haben die südamerikanischen Mütter übernommen), oder Chana Selda, die ihren Mann zum Wahnsinn bringt – ich habe mich immer gern zum Jecken gemacht, wenn die Kinder nur ihren Spaß haben (das sah etwa so aus).  Ja, das waren schöne Zeiten. Chanukka ist überhaupt ein schönes Fest.

Y. als kleiner Junge mit Schwester und Eltern zu Chanukka im Kindergarten

Y. mit seinen Töchtern zu Chanukka im Kindergarten

Außerdem wiederhole ich meine Empfehlung des Weihnukka-Katalogs. Das war ein wirklich gutes Weihnachtsgeschenk…

Sendung über Kibbutzim, donnerstags Arutz 1 Dezember 16, 2011, 20:10

Posted by Lila in Kibbutz, Kinder, Katzen, Land und Leute, Muzika israelit.
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Wer sich dafür interessiert und in Israel lebt, dem kann ich die Doku-Serie im Channel 1 über Kibbuzim empfehlen. Wer Modi Baron, wie ich, nur als Fußballreporter kennt, wird vielleicht nicht erwarten, wie interessant die Interviews mit Zeitzeugen ausfallen. Baron fischt nicht nach Zitaten, Schlagworten und Überschriften, sondern dringt tatsächlich in das Lebensgefühl der Pioniere ein.

Außerdem hat er hochkarätige Forscher zum Thema befragt – von denen alle selbst Kibbuzniks sind und teilweise führende Positionen im Kibbuz eingenommen haben. So hat eine von mir heillos bewunderte Historikerin (mit der ich in Berlin war – ich glaube, sie ist die eindrucksvollste Persönlichkeit, die ich je kennenlernen durfte) in ihrem Kibbuz die Privatisierung so klug und behutsam durchgeführt, daß er seitdem einen großen Aufschwung genommen hat. Sie weiß also wirklich, wovon sie spricht, wenn sie vom Kibbuz redet. Außerdem ist sie oh so eine wunderbare Frau.

Nicht nur kenne ich einen Teil der dort Interviewten – der Inhalt ist einfach hochinteressante Kulturgeschichte. Ich empfinde es als Privileg, daß ich das aufscheinende Abendrot beim Untergang dieser Lebensform, die Israel sehr geprägt hat, noch miterleben durfte.

Mein Mann, als Produkt dieser Lebensform, sieht die Erziehung, die er bekommen hat, mit zwiespältigen Gefühlen. So gut viele der Werte waren, auf denen die Kibbuz-Erziehung aufbaut (Fleiß, Ehrlichkeit, Mut, Bescheidenheit…), so fröhlich die Feste waren und so solide die Bildung und Ausbildung in viele verschiedene Richtungen… so groß war auch der ständige Druck der Gemeinschaft. Was Amos Oz mal den Kieselstein-Effekt genannt hat – die reiben sich ja auch aneinander, bis sie glatt sind. Nur daß Menschen eben doch keine Kieselsteine sind und ihren Charakter gerade den Ecken verdanken, an denen sich dann die anderen reiben. Außerdem hoffe ich für die Kieselsteine, daß sie weniger empfindlich sind gegen Reibungsschmerzen als wir Menschen.

Die Erziehung zur Gemeinschaftlichkeit jedenfalls hat aus meinem Mann den eigenwilligsten Individualisten gemacht, den ich kenne. Er hat positive Erinnerungen an Freundschaften und gemeinsame Aktivitäten und Arbeit und das selbstverständliche Bewußtsein, dazuzugehören – aber auch schwierige Erinnerungen. Er muß seine Eltern und Geschwister sehr vermißt haben, die er nur selten sah und die an seinem Alltag keinen direkten Anteil hatten. Er hatte keine private Ecke für sich, keine Rückzugszonen. Und er mochte noch nie, wenn andere ihm erzählten, was er zu denken hat. Die Shomer-haZair-Vorträge fand er langweilig und vorhersehbar.

Trotzdem berühren die Bilder, Töne und Lieder auch ihn. Quarta hat mit uns geguckt – ich finde es wichtig, daß sie außer den Erinnerungen an den Kibbuz, so wie sie ihn erlebt hat, auch ein bißchen Hintergrund kennenlernt. Die Rolle der Kibbuzim in der Geschichte Israels ist ein spannendes Kapitel. Rahel Rabins Geschichten von der extrem schwierigen Anfangszeit in Kibbuz Manara, die Berichte von Holocaust-Überlebenden, die mit Arroganz empfangen wurden, bis sie sich anpaßten – man schwankt beim Zusehen zwischen Bewunderung und Zorn. Und der Holocaust hat den potentiellen Nachwuchs-Kibbuzniks in Europa vernichtet – der Strom der Neueinwanderer, die nach entsprechender Vorbereitung (hachshara) in Kibbuzim landete, versiegte.

Kibbuzniks haben mit Selbstverständlichkeit viele Aufgaben erfüllt – den jüdischen Yishuv in den Araberaufständen 1936 verteidigt, dabei aber oft ausgezeichnete Beziehungen zu arabischen Nachbarn aufgebaut, die Grenzen besiedelt, die Wüste grün gemacht, Neueinwanderer aufgenommen, neue Technologien entwickelt, in britischen Brigaden gegen NS-Deutschland gekämpft, bei der illegalen Einwanderung tatkräftig mitgeholfen… Auch heute noch nehmen Kibbuzim Jugendliche aus problematischen Verhältnissen auf, adoptieren „einsame Soldaten“ und integrieren Gruppen von Behinderten oder anderen Außenseitern.

Also, gucken. Auch die Musik war interessant. Besonders der Abspann:

Ich kannte das Lied nicht, aber Y. hat es natürlich als Kind gesungen. Ich sage ja immer, es gibt kein hebräisches Lied, das er nicht im Kopf hat. Trotzdem hab ich ein bißchen nachrecherchiert, was das für ein Lied ist und woher es kommt. Das war ganz interessant.

Auf dieser Seite kann den Komponisten, Daniel Sambursky, hören, wie er es vorsingt – und zwar mit deutschem Text. Ob es auf Deutsch je irgendwo gesungen wurde, weiß ich nicht. Aber Sambursky war Königsberger Jude (bestimmt kannte er Max Fürst und andere Königsberger Zionisten, mit denen Y.s Oma befreundet war), studierte Musik und wanderte als junger Mann ins damalige britische Mandatsgebiet Palästina aus. Dort schrieb er Musik im Stil der Lieder der Jugendbewegung, auch geschult an Arbeiterliedern im Stil Hanns Eislers. Darum kam es mir gleich so bekannt vor. Ob außerhalb von Kibbuzim solche Lieder gesungen wurden, weiß ich nicht – in Jugendbewegungen vielleicht.

Beim Rumgoogeln (Recherche mag man das kaum nennen) fand ich übrigens heraus, daß der Text von Yizhak Shenhar geschrieben wurde, dessen Stiefsohn mein ehemaliger Chef war – dem ich die Privatbriefe seiner Familie übersetzt habe.

Durch die moderne Interpretation, die aus diesem energischen Ruf nach Freiheit (in einer Gruppe, in der es wenig individuelle Freiheit gab…) und Fortschritt ein melancholisches, aus Pionierzeiten herüberwehendes Echo macht, fand ich dieses Lied einen sehr passenden Abschluß für die Sendung. Ich bin sonst nicht sehr für Echo-Effekte, aber hier paßt er.

Endlich! Dezember 16, 2011, 1:03

Posted by Lila in Presseschau.
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Im Gazastreifen ist heute, wie EoZ meldet, eine riesige Ladung Hilfsgüter angekommen. 220 LKWs voll, darunter viele Baumaterialien. Wer war so gütig? Nun, Israel natürlich. Wie jeden Tag.

Es macht mich immer wahnsinnig, in deutschen Medien von den lächerlichen sogenannten Hilfsgütern zu lesen, die angeblich auf den paar baufälligen alten Booten waren, wo sich doch größtenteils Journalisten und „Aktivisten“ tummelten. Dabei wird nie erwähnt, daß Israel täglich Hilfsgüter in den Gazastreifen schickt. Die paar abgelaufenen Medikamente, die die Mavi Marmara geladen hatte, hätte Israel ohne weiteres auch per LKW in den Gazastreifen befördert, wenn die „Aktivisten“ es nur gewollt hätten. Aber ihr Abenteuer als Märtyrer der (nicht existierenden) Besatzung Gazas war ihnen wohl doch wichtiger.

Die Webcam am Grenzübergang Kerem Shalom läuft wohl nicht mehr, aber die Seite des Außenministeriums hat mehr Informationen, wo genau aufgeschlüsselt wird, wie viele Hilfsgüter pro Woche rübergehen. Natürlich wird das keinen Wähler der Linken oder Friedensaktivisten beeindrucken – der geht sowieso davon aus, daß Israel lügt.  Aber ich sage nur: wenn Israel auch nur eine einzige Kiste Hilfsgüter an den Gazastreifen liefert, während von dort mehrmals täglich Raketen auf israelische Zivilisten abgefeuert werden, dann hat Israel mehr Menschlichkeit im kleinen Finger als diese ganzen Schwätzer, die selbst keinen Finger krumm machen für andere.

Oder wißt ihr sonst noch ein Land, das, während seine Bürger in Schutzräume und Betonröhren flüchten, Zement und Kies an die Angreifer liefert? Unter Gefährdung der LKW-Fahrer übrigens.

Komisch, daß diese regelmäßigen Lieferungen nie erwähnt werden, wenn es um den Gazastreifen und Hilfsgüter geht, nicht wahr? Obwohl sie regelmäßig einmal pro Woche stattfinden. Ein kurzer Google-Streifzug zeigt, daß es die Kombination Hilfsgüter und Gaza nicht ohne stürmende Israelis und Flotte gibt. Zumindest nicht in deutschen Medien.

Und doch schwören viele deutsche Freunde, daß sie von ihren Medien umfassend, ausgewogen und fair informiert werden.

Keine Überraschungen Dezember 16, 2011, 0:17

Posted by Lila in Presseschau.
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Ein schwedischer Professor hat einen Artikel veröffentlicht, in dem er darlegt, warum seiner Meinung nach der norwegische Massenmörder Breivik als Marionette Israels gehandelt hat. (Ynet, schwedische Zeitung) Der Mann ist übrigens sog. Friedensforscher, da wird er ja genau wissen, wer schuld daran ist, wenn irgendwo Unfrieden herrscht. Wie praktisch übrigens, daß es überall immer dieselben sind – das macht die Forschungsarbeit so viel leichter.

“We have discussed the right-wing extremist Israeli and Judeo-Christian side of Breivik’s network, Israel’s interest in disciplining Norway, and Israel’s celebration of bomb attacks. In this respect, Breivik’s attack appears to resemble a new king David Hotel attack: July 22nd,” he said.

Vielleicht würde er für seine Thesen auch in Deutschland Zustimmung bei bestimmten Leuten finden, und andere würden raunen… ja man weiß ja nie… der Mossad…

 Israel’s interest in disciplining Norway

Und für sowas würde Bibi einen durchgedrehten Massenmörder auf eine Insel schicken, um dort in einem Ferienlager unter Jugendlichen ein Blutbad anzurichten. Liegt nahe, nicht wahr?

Es gibt wirklich bald keinen Klumpen Dreck mehr, der nicht irgendwann gegen Israel geschleudert wurde. Nichts kann einen da mehr überraschen.

 

Ganz viel geschafft Dezember 16, 2011, 0:05

Posted by Lila in Land und Leute.
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Erst war ich mit Y. und Tertia, die von der Arbeit kamen und mit denen ich mich in der Mitte des Wegs traf, im Aroma eine Kleinigkeit essen, zur Stärkung. Dann haben wir einen Schuhladen geplündert – nee, ist das schön, daß die Schuhmode endlich wieder den weiblichen Fuß in eine elegante Mandelform verwandeln möchte, statt sie in klobige Werkzeugkisten, kakerlakenjagd-taugliche Winkelmaße, landsknecht-inspirierte Kuhmaul-Schuhe, postmoderne Mischformen aus Sportschuh-Glitzersandalen bzw Gesundheitssandalen-auf-Risenplateaus oder schnabelförmige Haremspantöffelchen zu stecken. Ich mit meinem konservativen Geschmack fand nichts davon schön. Na ja, gut, meine Schuh-manischen Zeiten sind vorbei, aber von Zeit zu Zeit muß man doch mal… Tertia hat sich auch zwei Paar Stiefel gekauft.

Im Schuhladen war furchtbar laute Musik. Ich meinte mitleidig zu dem sehr freundlichen jungen Verkäufer, der mir geduldig alle Modelle angeschleppt hatte, die mir gefielen: „wie haltet ihr das nur aus, den ganzen Tag in dem Lärm?“  Und er meinte:“ wieso, ohne Musik kann ich nicht arbeiten. Ich  mach auch zuhause sofort Musik an. Aber…“ und er grinste, „… das kann ich auch, weil ich allein lebe. Ich habe mir mit 21 meine eigene Wohnung gekauft, von meinem eigenen Geld, und bin ausgezogen!“ Da staunte ich und fragte ihn, wie das denn möglich ist, mit Armee und allem.

Er zögerte einen winzigen Moment und sagte dann: „ich war nicht bei der Armee, ich bin Christ“. Und ich sagte sofort: „oh, wie schön, ich bin auch Christin!“, und wir strahlten uns an. Und dann fragte er streng: „hast du denn auch schon für Weihnachten geschmückt?“ „Aber natürlich, das mach ich immer am 1. Dezember“, meinte ich. Da holte er sein Smartphone raus und zeigte mir Bilder von seiner Wohnung, die seine Mutter ihm wunderbar geschmückt hat. Die habe ich auch sehr bewundert. Wir haben uns herzlich verabschiedet, als ich mit meinen Tüten abzog.

Ich habe von Zeit zu Zeit so kleine Begegnungen, die mich daran erinnern, daß diese komplizierte Sache, die sich Identität nennt oder instinktive Zugehörigkeit, weitaus mehr Facetten hat als nur Deutschland oder Israel. Wobei mir einfällt, daß ich heute auf dem Campus einen Stand mit sehr schönen Sachen sah, alles Handarbeit, viele davon gefilzt. Aus Märchenwolle. Nun sage ich: zeigt mir aus Märchenwolle gefilzte Engel, und ich zeige euch die Deutschen in der Nähe.

Ich fragte also die jungen Leute, wo die Filzsachen herkommen, und sie sagten, die kommen aus einem benachbarten Dorf für Behinderte. Und eine junge Frau meinte auf englisch, sie hat noch mehr gefilzte Sachen zur Auswahl. Und ich guck sie nur an und sage: wir können doch deutsch sprechen, oder? Ja, sie ist als Volunteer freiwillig für ein Jahr nach Israel gekommen, um mit Behinderten zu arbeiten. Ich mußte los und wollte sie auch nicht sofort ausquetschen, und inzwischen wirke ich alt und würdevoll genug, um ihrerseits keine Nachfragen aufkommen zu lassen, und so war es nur eine kurze Begegnung. Aber nett war es doch, oder? Mal wieder ein bißchen Deutsch sprechen. Geht doch noch (am Telefon fällt es mir aber sehr viel schwerer).

Doch zurück zu unserem Feierabend. Aroma, Schuhladen. Dann waren wir im Einkaufsparadies Yarka, dem Drusendorf, wo das berühmte My-Baby lockt. Tatsächlich sind in unserer Großfamilie in den letzten Wochen sage und schreibe drei Babies angekommen, die wir alle morgen erstmal sehen werden. Ach, wie viele überflüssige, grellfarbige, vibrierende, wippende, schaukelnde und sonst motorisierte und beschallte Spielsachen gibt es! Bei vielem konnten wir uns nur ansehen und denken: gut, daß wir das Zeug nicht mehr im Haus haben müssen. Mit Grausen erinnern wir uns an ein Zoospielzeug, von einer sadistisch veranlagten Bekannten geschenkt, daß schrille Tierschreie ausstieß (seltsam, daß die Batterien so schnell leer wurden und nie mehr zu ersetzen waren…)

Aber ich kann mich an Badetüchern, Söckchen, kuschlig-puschligen Decken und vor allem Schlafanzügen nicht sattsehen. Für mich ist der Inbegriff des Babyalters ein frisch gebadetes Engelchen in Schlafanzug mit Füßchen, das einen glücklich anlächelt, bevor es in ununterbrochene Nachtruhe versinkt – also eine Art Utopie.  Wir haben uns ordentlich ausgetobt. Ich habe ein paar sentimentale Momente vor der Schnödderpumpe verbracht – gibt es sowas noch? ich habe damals immer aus dem Krankenhaus massenweise die genialen Einmal-Schnöddergläser mitgehen lassen… bzw geschenkt gekriegt, weil Tertia doch solche Atemwegsprobleme hatte…

Y. hat keinerlei Sehnsucht nach Babyzeiten irgendeiner Art. Wir waren gerade in der Kleiderabteilung, als neben uns ein religiöser Juden in Bärenformat stand. Wir hörten, wie er in sein Telefon jubelte: „hier gibt es so süße Babysachen, das glaubst du gar nicht“, während die (selbstverständlich arabischen) Verkäuferinnen sich zugrinsten. Ja, bei My Baby kauft wirklich ganz Israel. Es ist eigentlich eine Ohrfeige, daß es den Besitzern möglich ist, Markenware für ein Drittel des Preises anderer Läden zu verkaufen. Der israelische Verbraucher wird über den Löffel balbiert, daß es nur so eine Art hat.

Oh, und noch eine Begegnung hatte ich heute. Im Lehrerzimmer hatte ich noch einen Moment, um einen letzten Mini-Feinschliff an meiner Präsentation vorzunehmen. Das tat ich, und als ich rausging, kam ein Kollege hinter mir her und sprach mich an. Er wollte wissen, was ich unterrichte, weil er meine Präsentation gesehen hatte und sie so interessant aussah. Auf meine Erklärung hin (Kunstgeschichte im Kunstinstitut, Mittelalter und Renaissance) erzählte er mir, daß seine Tochter dort studiert, aber wohl nicht bei mir. Und ich sagte, ich hätte seine Tochter am Namen erkannt, weil ich seinen Namen kenne (er ist ein bekannter Schriftsteller und Literaturkritiker in Israel). Er war nämlich vor langer Zeit mal Literaturlehrer meines Mannes, und der hat seinen Unterricht geliebt.

Der Mann fragte nach dem Namen meines Mannes, und obwohl wirklich viele, viele Jahre seitdem verflossen sind, wußte er sofort, von wem ich spreche, und freute sich, daß Y. seinen Unterricht als so gut empfand. Er bestellte mir Grüße.

Als ich die Y. ausrichtete (im Aroma), lächelte der auf seine stille Art und Weise und sagte dann, „ich glaube, ich war wirklich ein guter Schüler in Literatur. Ich habe selbst Gedichte und Texte geschrieben, und der Lehrer fand sie sehr gut und hat mich sehr ermutigt. Das waren die einzigen Stunden meiner Schullaufbahn, die ich richtig genossen habe“. Ich finde, es spricht auch für den Lehrer, daß er den Schüler nicht vergessen hat.

Nun, war das kein schöner Tag?

Kurios, kurios Dezember 14, 2011, 22:12

Posted by Lila in Kunst, Presseschau.
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Ich bereite gerade eine Stunde vor, und zwar über Mosaiken. Da ich meinen Studenten gern die Welt ein bißchen erklären möchte, nehme ich die Darstellung der drei Weisen aus dem Morgenland in Santa Maria Maggiore und Sant Apollinare Nuovo zum Anlaß, eine kurze Geschichte der phrygischen Mütze zu zeigen – bis hin zu den Schlümpfen.

Die Weisen kommen ja aus dem Osten, sind darum seltsam angezogen, in engen Hosen und eben diesen phrygischen Mützen. Die tauchen übrigens auch in Illuminationen auf, so bei der Darstellung der Trojaner im Vergilius Romanus.

Triumphbogenmosaik Santa Maria Maggiore, Rom, 5. Jhdt.

Mosaik über dem Mittelschiff, Sant´Apollinare Nuovo, Ravenna, 6. Jhdt

Trojaner und Griechen, Illumination aus MS Vergilius Romanus, 5. Jhdt.

Dann kommen natürlich Darstellungen aus der Zeit der französischen Revolution – die Freiheit trägt phrygisch. Auch manche amerikanischen Symbole nutzen die phrygische Mütze.

Papa Schlumpf, 20. Jhdt

Das mach ich schon seit Jahren so, diesen kleinen kulturgeschichtlichen Diskurs, aber heute dachte ich mir, mal gucken, was Sternsinger so auf dem Kopf tragen. Und googelte ein bißchen rum, in der Hoffnung, irgendwo phrygisch behütete kleine Könige zu finden.

Ihr werdet es nicht glauben – in meiner Heimatstadt verkleiden sich die Sternsinger folgendermaßen:

Merke: die Weisen kamen nicht aus dem Morgenland, sondern sie waren Palästinenser. Na ja, Jesus war ja auch ein Palästinenser.

Ist das nicht ein Witz? Ich wüßte ja zu gern, ob es jemandem aufgefallen ist…

Und wieder Beschuß Dezember 12, 2011, 9:05

Posted by Lila in Land und Leute, Qassamticker (incl. Gradraketen).
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Die Qassams im Süden gehen weiter. Jeden Tag fallen sie, und ich kann mir nicht vorstellen, wie die Menschen im Süden leben. Zu wissen, daß einem jederzeit so ein Ding aufs Haus fallen kann – ich danke. Überhaupt aus dem Haus zu gehen, die Kinder in die Schule zu schicken – da brauchen die Bewohner im Süden jeden Tag Mut und Entschlossenheit für. Ich weiß nicht, ob ich auf Dauer dazu imstande wäre. Daß die deutschen Medien diesen Beschuß ignorieren, liegt auf der Hand – bisher ist noch niemand zu Schaden gekommen. Was erstens reiner Zufall ist, denn die Raketen zielen auf Zivilisten, und zweitens auch Ergebnis der großen Bemühungen, für alle Einwohner jederzeit Schutz zur Verfügung zu stellen. Wenn Israel sich dagegen wehrt und gezielt Terroristen angreift, wird das auch in deutschen Medien mit unüberhörbarem Mißfallen zur Kenntnis genommen.

Bei solchen Aktionen kommen trotz aller Sorgfalt bei der Planung immer wieder auch Zivilisten zu Schaden (in diesem Fall durch die Explosion eines Waffenlagers). Wäre es nicht besser, Israel gar nicht erst anzugreifen, damit sowas nicht vorkommt? Wir greifen nie zuerst an, es sind immer Reaktionen auf Beschuß israelischer Zivilisten.  Wer sich mal die Mühe macht, die Chronologie aufzudröseln, wird immer finden, daß ein versuchter oder erfolgter Angriff gegen Israel am Anfang steht.

Auch hier im Norden wollen unsere hitzigen Nachbarn unser Leben abwechslungsreicher gestalten. Nicht immer klappt das so, wie sie es sich vorgestellt haben. So ist letzte Nacht in einem libanesischen Grenzdorf eine Katyusha gefallen, die wohl aus der Gegend von Bintj Beil kam. Ein Arbeitsunfall, der es mangels Toten nicht in die internationalen Medien schafft.

Die Lage im Süden jedoch ist nicht mehr haltbar. Diesmal hat die Regierung nicht mehr ignoriert, was kaum zu ignorieren ist, wie damals vor der Aktion „Gegossenes Blei“. Jeder Angriff wird gezielt beantwortet. Trotzdem werden weiter Raketen abgeschossen. Die ersten Minister reden bereits von einer weiteren Aktion im Gazastreifen. Mir graut davor. Daß wir immer wieder gezwungen werden, das Leben unserer Soldaten aufs Spiel zu setzen, um das Leben unserer Zivilisten zu schützen, nur weil irgendwelche Irren jenseits der Grenze den Gedanken nicht ertragen können, daß irgendwo Israelis ganz normal ihrem Alltag nachgehen können… das ist frustrierender, als ich in Worte fassen kann.

Bei der nächsten Geschichte im Gazastreifen ist Secundus dabei, und Primus kann sehr wohl auch einberufen werden – weil er zur Luftabwehr gehört, vielleicht nicht ganz vorne dabei, aber noch weiß er ja gar nicht, wo er zum Miluim eingeteilt wird. „Gegossenes Blei“ war übel genug, aber die Vorstellung, meine zwei Jungens in Uniform in den Gazastreifen zu schicken, ist mein persönliches worst case scenario. Na ja, eines von mehreren….

Denken wir nicht daran. Und hoffen wir, daß die Hamas, die ihre Interessen wohl kennt, ein bißchen energischer durchgreift und die Grüppchen, die sie so gut kennt wie wir, an die Leine legt. Nach dem demonstrativen Schulterschluß von Hamas und Fatach müßten ja wohl beide, so sie an Verhandlungen mit uns tatsächlich interessiert sind, ihre terroristischen Ableger unter Kontrolle bringen. Und für Ruhe in der Luft sorgen. Damit im Süden wieder Normalität einkehrt.

Schrecksekunde Dezember 11, 2011, 2:18

Posted by Lila in Land und Leute.
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Donnerstag saß ich im Sammeltaxi und gurkte durch die trostloseste Gegend Nordisraels. Innerlich war ich gänzlich mit der Frage beschäftigt, ob ich das Elfenbein-Reliquienkästchen von Brescia in die Stunde mit reinnehmen sollte oder ob es dann zu viele verschiedene Elfenbeinarbeiten auf einmal sind. Auf einmal drang in mein Bewußtsein ein heulendes Geräusch, auf und ab heulend, um genau zu sein. Ich dachte mir, na dieser Motor jault ja genau wie ein ABC-Alarm. Und hörte genauer hin. Und es war ein ABC-Alarm.

Im Gegensatz zu normalen Sammeltaxi-Gepflogenheiten lief das Radio nicht. Außer dem Motorengeräusch des Autos und dem Alarm draußen war nichts zu hören. Alle saßen ganz still. Ich nehme an, daß alle genau wie ich dachten: eine Übung? davon wußte ich ja gar nichts? Ernstfall kann es nicht sein, denn alle Autos fahren normal weiter. Oder?

Das Geheul des Alarms zog sich eine Weile hin. Dann hörte ich, wie eine Frau auf der anderen Seite des Taxis in ihr Telefon sprach: so, eine Übung? habe ich mir schon gedacht. Die war aber nicht angekündigt.

Ja, es war eine Übung, und sie war nicht angekündigt, aber die Schrecksekunde kann ich nicht leugnen. Ich bin froh, daß die Sirene in unserem Dörfchen nicht geheult hat. Quarta, die krank zuhause war, hätte sich sehr erschreckt.

Übrigens war in dieser Schrecksekunde mein Gedanke nicht Iran, sondern Syrien. Assad mit dem Rücken zur Wand. Hoffen wir für uns und die Syrer, daß es nicht so weit kommt.

Olim, yordim Dezember 7, 2011, 14:56

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Auf Hebräisch heißt es ja Aliya, Aufstieg, wenn ein Jude nach Israel kommt, und Yerida, Abstieg, wenn er auswandert. Und weil in Israel immer Besorgnis herrscht, daß brain drain und die Fleischtöpfe der Diaspora junge Israelis ins Ausland locken und sie dann nicht wiederkommen, hat das Absorptionsministerium ein paar Clips gedreht, die dann im Fernsehen gezeigt wurden. Obwohl Israelis im Ausland ja gar kein israelisches Fernsehen gucken können.

Hier sind zwei davon:

Die Themen sind klar: wer auswandert, bleibt trotzdem Israeli. Seine Kinder aber nicht. Und seine Partner verstehen vielleicht manches nicht auf Anhieb, wenn sie nicht Israelis sind.

Nun muß die logische Folge dieser Erkenntnisse aber nicht partout sein, nach Israel zurückzukehren. Man kann auch außerhalb Israels seine Identität mitteilen und weitergeben.

Außerdem stehen nicht nur Israelis vor dem Problem ihrer Identität, wenn sie ihr Land verlassen. Meine Kinder nennen mich Mama und nicht Ima. Natürlich ist für ein kleines, stets bedrohtes Volk wie das Volk Israel das Gefühl viel drängender, die Identität zu bewahren zu weiterzugeben, aber einzigartig ist das nicht.

Nun, es gab ein Riesen-Trara um diese Clips, weil sich amerikanische Juden (die gar nicht angesprochen waren) gekränkt fühlten. Ein Blogger namens Jeffrey Goldberg meinte messerscharf, worauf ich nie gekommen wäre, daß der junge Mann, der Dafna nicht versteht, amerikanischer Jude ist. Woher er das weiß, bleibt sein Geheimnis – aber ob es nun amerikanischer Jude ist oder nicht, es wäre für Dafna kein Problem, zu sagen: heute ist Gedenktag in Israel, willst du sehen, wie das begangen wird? Wenn ich es gelernt und begriffen habe, besteht kein Grund, warum es ein junger Amerikaner nicht begreifen sollte.

Ich verdanke diese Informationen Israel Mazav, ich selbst lese Goldbergs Blog gar nicht. Ynet hat auch einen erklärenden Artikel. Mir war gar nicht bewußt, daß diese Clips so kränkend sein könnten. Ich fand sie ein bißchen trivial.

Ob sich Yordim, also im Ausland lebende Israelis, gekränkt fühlen, weiß ich nicht – vielleicht nervt es sie, daß alle immer sagen, „wann kommt ihr denn wieder?“ Y.s Onkel, der in New Jersey lebt, hat seine Dissertation in Psychologie zu dem Thema geschrieben, über die Probleme von Yordim mit ihrer Yerida, so hat es ihn beschäftigt. Er ist trotzdem in New Jersey geblieben und ist dort glücklich. Seine Kinder nennen ihn aba und sprechen Hebräisch.

Olim werden in Israel auch nicht mit offenen Armen empfangen. Wer Aliyah macht, der nimmt einen Knick in seinem Lebenslauf in Kauf. Es ist nicht unüberwindlich schwierig, aber ein Kinderspiel ist es auch nicht. Und auch wenn ich weiß, daß überall auf der Welt die Wirtschaftswunder aufgehört haben, die Arbeitsplätze wackeln, die Preise schneller wachsen als das Einkommen… und die sozialen Proteste Israels überall hätten stattfinden können, so kommen doch in Israel noch ein paar Sachen hinzu. Ich finde, das Gefühl der Bedrohung und des Eingesperrtseins, die man unterschwellig immer fühlt, kann man nicht einfach leugnen, und wenn jemand aus einem großen Land wie den USA nach Israel einwandert oder zurückkehrt, muß es noch deutlicher sein. Es ist also wohlfeil, anderen zu raten, „macht doch Aliya!“, wenn man selbst schon halbwegs hier etabliert ist.

Israelis, die hierbleiben, sind ihrerseits ambivalent Yordim gegenüber. Einerseits haben sie das Gefühl, der Yored wird jetzt in Geld schwimmen und ein lustiges Leben führen, während unsereins sich mit Einkommenssteuer, Reservedienst und Staus auf der Küstenstraße rumschlagen muß. Andererseits sind sie stolz, daß sie hier die Last mittragen und haben das Gefühl, Israel kann man nicht ersetzen. Diese ganze Ambivalenz kann in einem Clip nicht richtig zum Ausdruck kommen, aber man fühlt sie doch. Das Haus im ersten Clip ist ein bißchen „amerikanischer Traum des Mittelstands“.

Die Antwort darauf kommt dann in humorvoller Form.

Tja. Auch diese Israelis gibt es. Und zwar in ziemlichen Mengen. Besonders wenn man irgendwo Schlange steht, hat man sie hinter, vor und neben sich.

Ein halbes Jahr Dezember 6, 2011, 1:26

Posted by Lila in Kinder, Persönliches.
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ohne Blog – und ob ich regelmäßig weiterblogge, weiß ich noch nicht. Ich habe mich ja ein paarmal auf Spirit of Entebbe geäußert und werde das auch weiterhin bei passenden Themen tun. Aber persönlicheren Kram schreib ich doch lieber hier hin.

Ja, das war ein pickepackevolles halbes Jahr… mal sehen, was ich rekapitulieren kann. Warnung: das wird lang!

Umzug

Der Umzug war ein Albtraum.

Obwohl wir eine Truppe netter shiputznikim hatten, die uns beim Renovieren sehr halfen, war es einfach unglaublich viel Arbeit, dieses alte und etwas vernachlässigte Haus bezugsfertig zu machen. Ich bin ja auch pingelig, das geb ich zu. Es war gegen Ende des Semesters, Prüfungszeit, und irgendwie kam alles zusammen.

Die Zeitplanung war ein bißchen kompliziert, weil die Hausbesitzerin schon Mitte Juni ausziehen konnte, der Mieter im oberen Geschoß aber, das wir ja mitgemietet haben, erst Anfang Juli. Und wir wollten keine doppelte Miete zahlen für Juli. Ich weiß nicht mehr genau, wie wir das geschafft haben – Primus hatte sich von der Armee ein paar Tage freigenommen und wir haben einfach wie die Maulesel geschuftet. Ich hatte mir natürlich beim Putzen den Rücken ruiniert und konnte eigentlich gar nichts schleppen. Aber was muß, das muß.

Als Primus und ich, nachdem ich das Haus in Manot noch einmal geputzt hatte, die letzte Fuhre ins neue Haus transportierten, erklärte mein Ältester mir unumwunden, daß ich zu viel Kram sammele und lernen muß, wegzuwerfen, was wir nicht mehr brauchen. Nun hatte ich gerade anderthalb Jahre vorher beim Auszug aus dem Kibbuz viel ausgemistet. Aber er hatte Recht. Ich habe also, obwohl es mir wider die Natur ging, Bücher weggeschmissen, und zwar mehrere Stapel. Die Antiquariate in Israel sind voll mit alten deutschen Büchern, da war nichts mehr mit anzufangen. Also ab ins Altpapier damit. Eine ganze geologische Schicht meines Lebens, mein Studium in Deutschland, ging dabei über die Wupper. Alles, was ich seitdem nicht mehr gelesen habe und was mich auch nicht mehr zu lesen reizt, habe ich tatsächlich entsorgt.

Wir wohnen nicht mehr so atemberaubend schön wie in Manot, mit der wunderschönen Aussicht. Die Aussicht hier ist nicht schlecht, vom Balkon aus sehe ich auch das Meer und rundherum sind Berge, aber Manot war einfach ein Juwel. Ich habe es ja auch genossen, so lange wir es hatten. Aber das Haus hier, auch wenn es ein bißchen oll aussieht, hat seine Vorteile. Der Garten ist alt, die Bäume sind schon groß, und er ist direkt nutzbar. Das Wohnzimmer öffnet sich zur Terrasse, ein Schritt und man ist draußen, alles auf einer Ebene.

Das war in Manot nicht so, da mußte man erstmal außen rum und Treppen steigen, weil das Haus an einem steilen Abhang lag und der Garten noch gar nicht angelegt war.

Das bedeutet auch, daß dieses Haus sehr kinderfreundlich ist. Meine kleinen Neff-Nichten lieben es, haben hier sogar schon übernachtet (zum ersten Mal, daß sie überhaupt außer Haus geschlafen haben) und kommen sehr gern zu Besuch. Ja, der kleine Neffe, der mich übrigens „doda matzilda“ nennt, warum auch immer, bittet sogar, doch zu uns zu kommen. Nächsten Sommer möchte ich einen Sand-Tisch und Schaukeln für sie fertig haben, ein Planschbecken haben wir schon, und eine Hängematte auch.

Ein kindgerechtes Haus macht Spaß, auch wenn die eigenen Kinder schon groß sind und nur Quarta mit den Kleinen noch Verstecken spielt. Oh, Quarta und ich haben auch Verstecken gespielt, und Quarta hat mich nicht gefunden! Das Haus ist nämlich groß. (Ich war zwischen Primus´ Schrank und der Wand – aber nicht verraten.)

Wegen der Geräumigkeit haben wir es ja gemietet. Ich bin in einem großen Haus aufgewachsen und hatte auch als Studentin in Deutschland genug Platz. Aber die ganzen Jahre im Kibbuz haben wir in kleinen Häuschen gewohnt. Idyllisch, praktisch, hübsch. Wir haben uns nicht beengt gefühlt. Wir hatten Stauraum, Schränke, Garten und alles, was wir so brauchten. Aber es war eben immer eng.

Auch in Manot fehlte uns schlicht und einfach ein Zimmer. Dieses Haus, in dem wir jetzt wohnen, ist doppelt so groß wie das in Manot und dreimal so groß wie unsere letzte Wohnung im Kibbuz. In Moshavim sind die Häuser unheimlich groß, das wußte ich. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie man ein großes Haus ausfüllen und sauberhalten kann, aber es geht.

Ich habe ja eine Theorie, daß ein Haus leichter ordentlich zu halten ist, je größer es ist, und leichter sauber zu halten ist, je kleiner es ist. Das Geheimnis ist, genau die richtige Größe zu finden, bei der beides optimal möglich ist. Gewissermaßen den goldenen Schnitt der Hausfrau. Ich vermute, daß dieses Haus ein bißchen zu groß ist, denn mit dem Sauberhalten bin ich zu viele Stunden beschäftigt, samt Garten.

Trotzdem ist es für eine Familie, die bis vor zwei Jahren im Fingerhut gelebt hat, ein richtiger Genuß, viel Platz zu haben. Ich habe einen großen Arbeitsraum. Wir haben drei Bäder und ein Gästeklo. Primus hat zwei Zimmer, Secundus hat ein Zimmer mit eigenem Bad und begehbarem Kleiderschrank, beide Mädchen haben größere Zimmer, als sie früher zu zweit hatten, und wir haben ein Gästezimmer. Wir haben einen Luftschutzraum (den Tertia sich als Zimmer ausgesucht hat). Wahnsinn.

(Bilder hab ich hier, allerdings sieht es seitdem schon wieder ein bißchen besser aus – langsam langsam!)

Deutschland

Ich war mit Quarta einen Monat lang in Deutschland, und die letzte Woche war auch Primus dabei. Wir haben genossen, was Deutschland zu bieten hat – angenehmes Wetter, Radwege, Museen. Wir waren in Süddeutschland bei Verwandten, wo ich gesehen habe, in welcher Idylle und Sicherheit man in Deutschland Kinder großziehen kann. Israel, egal wie beschaulich das Eckchen auch wirkt, das wir uns jeweils ausgesucht haben, ist grundsätzlich rauher und ungeschützter, die Menschen heterogener, viele von Traumata gezeichnet, die politischen Probleme sind nicht auszublenden, und der Mittelstand wackelt deutlicher als in Deutschland. Aber ich habe mit großer Freude gesehen, daß ich glückliche NeffNichten habe, und ich hoffe, sie erinnern sich auch an mich. Ich bin ja so weit weg.

Während dieser Besuche habe ich intensiv an unsere Oma gedacht. Sie hat leider nur ihren ersten Urenkel noch erlebt – kurz nach Primus´Geburt ist sie gestorben. Jetzt haben fast alle Vettern und Cousinen Kinder, und wir haben für deutsche Verhältnisse große Familien – zwei, drei oder vier Kinder. Wir sind alle glücklich verheiratet, wir sind alle „was geworden“ und sind zufrieden. Während ich bei meiner lieben Cousine am Tisch saß und zusah, wie Quarta mit ihren Kindern spielte, hatte ich das Gefühl, meine Oma guckt zu und hat Freude daran. Auch meine Vettern haben so reizende Kinder. Jedes einzelne eine Welt von Begabung und Charakter. Ich glaube, das Kindheitsparadies „bei Oma und Opa“ schwingt bei uns allen noch nach. Wir haben viel Gutes mit auf den Weg bekommen.

Ich habe alte Briefe und Familiendokumente gesehen, die ich noch nicht kannte. Und eines Tages bin ich mit meiner Mutter und Tante und Quarta ins Kindheits-Haus meiner Oma gefahren, wo noch eine Großtante wohnt, die zwar munter auf die 90 zugeht, aber bemerkenswert fit ist und viel jünger aussieht. Sie begrüßte meine Mutter und Tante mit dem Ausruf: „ach die Mädchen!“, was Quarta sehr amüsierte. Wir saßen in dem wohlgepflegten Garten, in dem meine Oma als Kind gespielt hat, und hörten viele alte Geschichten.

Ja, das war ein schöner Sommer. Ich fahre ja so gern Rad, und in Deutschland kann man das. Überall sind Radwege unter wunderbar grünen Bäumen. Ich war auf mehreren Friedhöfen, auch am Grab meiner Schulfreundin, die schon seit vielen Jahren nicht mehr lebt, und der ich immer ein Grablicht mitbringe. Ihre letzte Auslandsreise war nach Israel – leider haben wir uns damals nicht gesehen. Ich war auch bei ihrer Mutter, die mich immer mit Freude begrüßt. Wie schwer mag ihr das manchmal fallen.

Wir waren in Aachen, als dort ein heftiges Gewitter niederging. Wir waren bei guten Freunden, die eine herrliche Terrasse und einen riesigen Garten haben. Wir tranken gerade Kaffee, als sich eine hohe schwarze Wolkenwand aufbaute. So schnell wie möglich retteten wir Geschirr, Besteck, Kissen und Kuchen, und dann kam ein Sturm! Und was für ein Sturm! Eine der Freundinnen hat Angst vor Gewitter, aber ich liebe es, wenn es donnert und blitzt. Ach, war das herrlich. Nach ein paar Schritten zum Auto waren wir vollkommen durchnäßt. Fast wären wir unten in der Stadt mit dem Auto steckengeblieben, so hoch stand das Wasser.

Ein, zwei Tage später sprachen in Deutschland noch alle von diesem dramatischen Sturm, obwohl es wieder sonnig war. Ich fuhr mit Primus und seinem besten Freund, der ein paar Tage zu Besuch gekommen war, nach Köln. Wir saßen im Zug, als der Freund eine SMS bekam. „Mach dir keine Sorgen, deine Schwester ist in Ordnung“. Er verstand gar nicht, was los war. Seine kleine Schwester war in Eilat. Und dort war die Anschlagsserie, in der Nähe der Grenze. Auf einmal hatte uns die israelische Realität eingeholt, während um uns herum niemand sich dafür interessierte. Ich dachte an Secundus, der im Süden dient (er wurde auch tatsächlich zum Wachdienst an die Grenze beordert). Aber wir konnten nichts tun als normal weitermachen.

Der Freund fand seine Mitfahrgelegenheit nach Berlin, ich bummelte mit Primus durch Köln, wir gingen zusammen in einem Studentenlokal essen, und wir hatten viel Spaß in der Mayerschen. Das war übrigens nett – ich sagte zu Primus, „ach laß uns doch mal in den Buchladen gehen“, und er, „aber Mama, nur kurz, du immer mit deinen Buchläden“. Mit Mühe konnte ich ihn wieder rausschleusen, so begeistert war er und so viele Sachen fand er, die ihn interessieren.

Mit Primus Zeit zu verbringen ist überhaupt unheimlich nett. Er erzählt viel, hört auch gut zu, hat immer interessante Ansichten und interessiert sich für die Welt um ihn herum. Wir hatten an dem Tag beide dasselbe Gefühl – als würden wir in Schichten erleben. Unter Schlagsahne und Biskuitteig eines schönen Tages spürten wir beide den dumpfen, flauen Informationshunger, den das Wort „pigua“ auslöst. Wo, wie, wer, wann, wie viele, was nun?

Der letzte Tag in Deutschland war besonders schön. Wir fuhren nach Köln und teilten uns dort in Gruppen auf. Meine Mutter und Primus gingen in Rautenstrauch-Museum. Meine Schwester und Quarta gingen ins Schokoladenmuseum. Und meine Tante und ich in die Vasari-Ausstellung. Zwei Stunden später trafen wir uns alle im Früh wieder. Eine Runde durch den Dom haben wir auch noch gedreht, den kennen die Kinder ja schon ganz gut.

Der Übergang ist dann immer heftig. Mit Strickjacke setzt man sich in Köln in den Flieger – in Tel Aviv reißt man sich dann alle vertretbaren Klamotten vom Leibe. Es war so schwül, als wir ankamen, daß wir anfangs das Gefühl hatten, es ist gar kein Sauerstoff in der Luft. Bei uns im Norden aber ist die Luft sehr angenehm, das haben wir den ganzen Sommer über gemerkt. Es ist deutlich frischer. Grün ist es hier auch. Das hat mir die Ankunft leichter gemacht, und ich lebe sehr gern hier. Ich mag die Gegend, und seit ich wieder an einem Kräutergärtchen arbeite, lebe ich mich noch besser ein.

Kinder

Ach ja, die Kinder, sind sie nicht süüüß? Na ja, sie sind groß… Der Reihe nach, ja?

Primus hat die Armeezeit abgeschlossen. Er ist entlassen. Die sandfarbenen Uniformen hat er zurückgegeben und allen anderen Kram auch. Noch weiß er nicht, wo er Reserve wird leisten müssen, und im Falle eines, unberufen, Kriegs wird er natürlich auch eingezogen, aber erstmal hat er sein Leben wieder. Im Moment genießt er Urlaub zuhause – er fährt zu Freunden, hilft im Haus (im Moment kocht er gerade ein Festmahl), und wir sitzen einfach nur zusammen und unterhalten uns. Er ist ein feiner Junge, und wir sind froh, daß er die drei Jahre gut überstanden hat. Er hat viel gelernt, ist noch selbständiger und vernünftiger geworden, und er ist in jeder Hinsicht erwachsen. Ein schönes Gefühl, ihn anzugucken und zu denken: wir haben Glück gehabt, der Junge ist bereit fürs Leben.

Er möchte erstmal eine Weile jobben, bis er weiß, was er studieren will. Er hat mehrere Angebote und muß sich entscheiden. Kein Wunder. Jeder, der ihn sieht, möchte ihm einen Job geben. Bärenstark, freundlich und zuverlässig, dazu rastlos fleißig. Ehrlich, ich übertreibe nicht!

Vor ein paar Wochen meinte er, ich sollte doch mit ihm Game of thrones gucken, das würde er gern mit mir sehen. Ich wehrte mich erstmal etwas, weil ich gleich wußte, wie es ausgeht. Und in der Tat, wir fingen nachmittags an und guckten bis drei Uhr nachts alle Folgen in einem Rutsch durch und blieben dann bis vier Uhr wach, um alles durchzusprechen. Bevor wir ins Bett torkelten, nahm er mich in den Arm und meinte, „Mama, du spinnst wirklich, aber schön war es doch“. Ich habe dank genialer Begabung für Multi-tasking in dieser Nacht eine Babydecke fast fertiggehäkelt.

Secundus steckt natürlich noch mitten drin im Wehrdienst. Weil er so früh eingezogen wurde, als erster seiner Jahrgangsstufe, ist er im Vergleich zu seinen Freunden schon ein bißchen höher auf der Leiter. Er hat den Kurs makim erfolgreich beendet und ist jetzt mem-kaf, squad commander, keine Ahnung, wie sowas beim Bund heißt. Er bildet jedenfalls eine kleine Gruppe neuer Rekruten aus und hat Verantwortung. Wir haben uns zum Abschluß des Kurses bis Yerucham, die Wüstenstadt südlich von Beer Sheva, geschleppt, und dort die Reden angehört. Der Ausbilder meinte, daß wir an unseren Kindern jetzt einen Unterschied bemerken würden – sie sind mefakdim, Commander, und tragen riesige Verantwortung.

Nun haben beide Söhne als Sanitäter schon sehr viel Verantwortung, aber die persönliche Verantwortung als mefaked ist noch mal eine ganz andere Nummer. Secundus ist tatsächlich mit einem Schlag sehr erwachsen geworden. Er ist normalerweise eher schweigsam, aber als meine Mutter hier war, zu der er ein ausgezeichnetes Verhältnis hat, wurde er gesprächig und erklärte ihr genau, was er zu tun hat und wie er arbeitet.

Secundus hat von seinem Vater die Notizblock-Methode übernommen. Er hat immer einen kleinen Notizblock und einen Kuli parat. Darauf notiert er sich absolut alles nach einem einfachen System – Listen, die er durchstreicht und immer auf dem neusten Stand hält. Kein Auftrag, keine Idee, kein Ergebnis einer Unterredung, die er nicht notiert. Es war hochinteressant. Ende des Monats wird er zwanzig, und auch er ist erwachsen.

Er kommt noch seltener nach Hause als Primus. Die kurzen Wochenenden verbringt er meist schlafend. Er hält zwar telefonisch guten Kontakt zu seinen alten Freunden, aber er zieht wesentlich weniger um die Häuser als Primus. Er teilt sich seine Kräfte wesentlich sparsamer ein. Er sieht wirklich müde und kaputt aus, wenn er ankommt.

Tertia arbeitet seit ein paar Monaten bei Y. in der Fabrik. Nach dem Abi fing sie erstmal in unserem alten Kibbuz an zu arbeiten, in der Gästesiedlung, wo sie als Schülerin so gern und fleißig gearbeitet hat. Dort hat aber die Leitung gewechselt und es sind Sparmaßnahmen eingeführt worden – mit dem Ergebnis, das drei junge Mädchen die Arbeit von vorher sechsen erledigen müssen, sie demzufolge weniger gut tun, die Gäste weniger zufrieden sind und so weiter. Ich kann ja nicht verstehen, wie man im Zeitalter der Internet-Bewertungen den guten Ruf eines so beliebten Wochenend-Urlaubziels riskieren kann, aber so ist es. Für Tertia war es schwierig, sich umzugewöhnen, und als sie ein Angebot von Y.s Firma bekam, die für ein halbes Jahr eine ungelernte Kraft suchten, sagte sie zu.

Es lohnt sich für sie, auch wenn sie mit Bedauern das Zimmerchen aufgeben mußte, das sie sich im Kibbuz genommen hatte. Die zwei Monate Alleinleben haben Tertia verwandelt. Sie sieht jetzt alles, was wir so im Laufe des Tages für sie und ihre Geschwister tun, mit ganz anderen Augen an. Sie freut sich, wenn ich ihre Wäsche mache und sie mit gutem Essen verwöhne. Ich verwöhne sie überhaupt ein bißchen, mein Mädchen, bevor sie im Februar eingezogen wird.

Ich sehe sie morgens früh um sechs, zwanzig nach sechs mit ihrem Vater ins Auto steigen. Die beiden verstehen sich sehr gut. Sie lernt jetzt seine Welt kennen. Tertia ist ein stilles Mädchen und zurückhaltend, aber sie hat einen sehr scharfen Sinn für Humor, um nicht zu sagen, fürs Lächerliche. In Y.s Firma arbeiten überwiegend Araber und Neueinwanderer. Die Araber sind höflich und freundlich, mit ihnen kommt man immer leicht in Kontakt,  aber die Neueinwanderer aus russia fühlen sich oft deklassiert, schlecht behandelt und neigen zu einer gewissen Schweigsamkeit. Ja, wenn man so verallgemeinern darf, es gibt dort ein paar richtig mürrische Leute, was man auch verstehen kann – manche haben mit der Aliya berufliche Abstriche machen müssen und sind verbittert. Tertia arbeitet mit ein paar solcher Frauen am Fließband, füllt Babycreme in Tuben, Abführtabletten in Bubble-Verpackungen und Mundwasser in Flaschen.

Und Y. erzählt mir mit großem Stolz, daß Tertia nicht nur schnell, exakt und unermüdlich arbeitet, sondern daß sie ihre Mitarbeiterinnen zum Lachen bringt. „Sie knackt die griesgrämigsten Leute, das kannst du dir nicht vorstellen“, staunt er. Gerade weil sie erstmal still und zurückhaltend ist und die Leute langsam warm werden mit ihr, ist sie unheimlich beliebt. Ihr Humor ist nie boshaft, aber sie hat einen riesigen Sinn für Situationskomik.

So erzählte sie mir von einem Tag voller Pech, als ganz viel schiefging und dann noch eine Maschine undicht wurde. Eine riesige Welle Mundwasser kroch durch die Korridore. Tertia und ihre Kollegen mußten sie eindämmen und aufwischen. Erst waren alle mißmutig, aber Tertia brachte sie irgendwie alle zum Lachen. Sie kicherte vor Vergnügen, als sie mir davon erzählte.

Neulich war sie krank, und Y. meinte, er konnte in keine Abteilung reingucken, ohne daß er belagert wurde. Wo ist Tertia, wie geht es ihr, wann kommt sie wieder? Sie geht auch gern zur Arbeit. Sie hat zwar ebenfalls wenig Zeit für ihre Freundinnen, aber sie sieht mit Freuden ihr Bankkonto wachsen und hat Spaß am erwachsenen Leben. Nicht ein einziges Mal ist sie morgens unpünktlich oder lustlos (heute früh hat sie uns, als wir verschlafen hatten, sanft geweckt). Sie ist wirklich ebenfalls erwachsen geworden. Das Zusammenleben geht vollkommen reibungslos vonstatten. Das war nicht immer so, deswegen schätze ich es um so höher. Wir haben alle viel gelernt im letzten Jahr.

Und Quarta? Ach, meine Quarta, wie gut, daß ich sie habe! Mit ihren zwölf Jahren ist sie ja wirklich nicht mehr klein und hilflos, aber ich bin trotzdem froh, daß noch eines meiner Kind mit Fug und Recht als Kind durchgeht. Ich weiß, ich weiß, nicht mehr lange. Sie ist auf die höhere Schule gekommen, in eine Hochbegabten-Klasse, wo sie sich gut zurechtfindet. Sie macht, wie ihre Schwester, freiwillig Hausaufgaben – was mich sehr beeindruckt, denn ich habe das nie getan. Sie ist bei ihren Klassenkameraden, wie seit dem ersten Schuljahr, unglaublich beliebt.

Neulich war Elternsprechtag. Die Klassenlehrerin meinte, Quarta ist zweifellos das beliebteste Mädchen der Klasse, alle wollen ihre Freunde sein, Jungen wie Mädchen. Es macht einfach Spaß, mit ihr zusammen zu sein, und das spüren einfach alle. Auf dem Rückweg fragte ich sie, „sag mal, wie machst du das eigentlich – ich war nie so beliebt“. Und sie meinte weise, „Mama, du bist einfach zu naiv und gutmütig. Man muß sich auch durchsetzen können. Wenn mir jemand dumm kommt, nehm ich mir das nicht zu Herzen, sondern wehre mich“. Ich glaube, um Quarta müssen wir uns keine großen Sorgen machen. Gute Noten hat sie auch – sogar in Mathe.

Das war doch nun wirklich nur ein ganz klein bißchen Mutter-Strunzen, es war ein ganz objektiver Bericht!

Arbeit

Ich habe wegen anhaltender gesundheitlicher Probleme (nichts Bedrohliches oder Ernstes, aber ständiges störendes Endlos-Problem) weniger Energie und arbeite deswegen auf kleiner Flamme. Als ich heute zur Chefin zu einem Gespräch eingeladen war, dachte ich natürlich, na jetzt werde ich mit Fußtritt hinausgeworfen – statt dessen wurde ich gelobt. Ich konnte nur stammeln, daß es an den Studenten liegt, nicht an mir, wenn die Stunden gut sind. Auch wenn es mir schlecht geht, die Studenten sind so nett und interessiert und jeder einzelne so interessant und liebenswert, daß es ganz von allein geht. Wir haben wirklich die aller-aller-nettesten denkbaren Studenten.

Mir geht das Herz auf, wenn ich sie so mit Farben und Leinwand bepackt ankommen sehe, mit Gips bespritzt, mit fleckigen Händen von der Druckerfarbe, mit Kameras und sorgenvollen Gesichtern und Skizzenbüchern. Ich erinnere mich noch so gut, wie ich mit den schweren Kästen voller Farben und den sperrigen Leinwänden gekämpft habe. Und ich muß nur die Augen zumachen, wenn ich sie reden höre, dann sehe ich mich und meine Freundinnen vor mir.

Meine Themen liebe ich ja sowieso und fahre immer mit Büchern durch die Gegend, die mich gerade interessieren. Heute, beim Auspacken, entstand so ein Stilleben, daß ich mir sofort die Kamera vom Telefon schnappte und ein Bild machte.

War eine ganz nette Schlepperei…

Jetzt habe ich so viel geschrieben, und trotzdem ist es wirklich nur das Allerwichtigste aus dem persönlichen Leben. Wir hatten 22. Hochzeitstag, Tertia ist achtzehn geworden, wir hatten Besuch und haben gekocht und waren oft unterwegs und auch im Kino…  und ich habe an einem schönen Nachmittag auf einem Hügel hier im Moshav gestanden und das Örtchen gegenüber photographiert, wo zwei Hubschrauber auftauchten.

In einem der Hubschrauber saß Gilad Shalit, und der Hubschrauber kreiste ein paarmal über der Gegend, weil Gilad sich nicht satt sehen konnte an den Hügeln, die er so vermißt hatte.

Letzte Woche fielen Katyusha-Raketen in unserer Gegend, ohne jede Vorwarnung – wir haben sie verschlafen, nur Primus war noch wach, hörte sie fallen und lief nach draußen, um zu sehen, ob er helfen könnte.

Gestern nacht war ein Erdbeben, auch das haben wir nicht bemerkt, obwohl wir noch alle wach waren. Angeblich haben in Nahariya die Häuser gewackelt – na, bei uns nicht. Ich stand heute in der Schlange vor dem Bus zurück nach Nahariya, da kam ein Zeitungsverkäufer und schrie ganz reißerisch: „wer will ne Yediot Achronot kaufen – alles über das Erdbeben in Nahariya!“ Ich guckte ihn erstmal etwas verdattert an, dann fiel mir aber ein, daß das Erdbeben die Nacht vorher war, die Nachrichten kaum neu, und daß ich selbst gar nichts mitgekriegt habe.

Ja, das war ein halbes Jahr ohne Bloggen. Hat es mir gefehlt? Ja und ein. Wenn ich mich über was ärgere, hilft mir der Gedanke, wie ich im Blog daraus eine böse Geschichte machen kann – ob ich das dann letztendlich mache oder nicht. Die Meinungen der Leser, die ich schon ein bißchen kenne, fehlen mir auch. Und auch die menschliche Wärme, die trotz der Kühle des Mediums im Laufe der Zeit doch spürbar wird. Das haben wir Menschen wohl so an uns, wir produzieren und suchen Wärme. Und wenn es Reibungswärme ist…