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Plonter September 27, 2019, 14:20

Posted by Lila in Land und Leute, Uncategorized.
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Die Medien hier nennen das Patt zwischen Likud und Blau-Weiß „ha-plonter ha-politi“, die politische Zwickmühle. Ein hübsches jiddisches Wort für einen Albtraum. Ich weiß nicht, niemand weiß, wie lange es noch so weitergehen soll. Israel ist weltanschaulich und politisch nicht einfach in zwei sauber voneinander zu trennende Lager geteilt, das ist kein Land. Es gibt viele verschiedene Gruppen, und manche sehr verschiedene Gruppen haben gemeinsame Interessen und können miteinander Politik machen.

Das israelische Wahlsystem ist auf Koalitionen ausgelegt. Hier wird nicht der Premierminister gewählt, sondern eine Partei. Die 120 Sitze in der Knesset werden nach Parteienstärke verteilt, und die Partei, die die besten Aussichten hat, eine Regierung zu bilden, wird vom Präsidenten damit beauftragt. Nicht immer ist das die Partei mit den meisten Sitzen.

Vor zehn Jahren hatte Zipi Livni mehr Stimmen als Netanyahu, aber da die ultra-orthodoxen Parteien nur mit Netanyahu koalieren wollten, hatte sie keine Chance, eine Regierung zu bilden. Diesmal ist es ähnlich.

In der Vergangenheit gab es mehrmals sog. Regierungen der nationalen Einheit, was man in Deutschland Große Koalitionen nennen würde. Ich weiß, daß das in deutschen Ohren fürchterlich klingt, weil Große Koalitionen oft für Stillstand stehen. Vergeßt aber die Assoziationen aus Deutschland, in Israel läuft es anders, und es hat schon überraschend glatte Zusammenarbeit unerwarteter Partner gegeben. Da sich die Parteienlandschaft auch dauernd ändert (Blau-Weiß z.B. ist eine ganz neue Partei, ein Zusammenschluß von drei ebenfalls neuen Parteien, von der nur eine, Yair Lapids Yesh Atid, parlamentarische Erfahrung hat), sind Bündnisse über Parteigrenzen hinweg eher möglich.

Diesmal wäre eine Koalition von Likud und Blauweiß eigentlich eine gute Idee. Likuds Regierungserfahrung und Blau-Weiß´ neue Ideen und kompetente Leute hätten viele gern zusammen in einer Regierung gesehen, auch ich. Es wäre zwar theoretisch möglich, eine Regierung mit einer sehr schmalen Mehrheit zu bilden, aber wie schnell das in die Binsen gehen kann, haben wir oft genug gesehen. Wenn ein Regierungschef nur 61 oder 62 Stimmen in der Knesset hat, wird jede kontroverse Abstimmung zur Zitterpartie. So sind hier schon mehrere Regierungen zerbrochen.

Lieberman z.B. hat Netanyahus Entscheidung, nicht gegen den Raketenbeschuß aus dem Gazastreifen härter durchzugreifen (was nur zu einer weiteren „Runde“ dort geführt hätte, aber vermutlich den Menschen in Sderot auch nicht geholfen hätte), nicht mitgetragen, ist aus der Koalition ausgeschieden, und die Regierung ist kurz danach ganz in die Brüche gegangen. Die Wahlen im April 2019 waren das Ergebnis.

Lieberman wollte im April nicht wieder in eine Koalition mit Bibi einsteigen, und der, aus Angst, der Präsident könnte als nächsten Gantz mit der Koalitionsbildung beauftragen, löste schnell die Knesset auf. So kam es zu den Wahlen im September.

Doch das Patt besteht weiter.

Oh seufz, hier habe ich es aufgegeben, ihr könnt in jeder Zeitung lesen, wie unmöglich eigentlich eine Regierungsbildung ist. Jede Partei ist auf einen Baum geklettert, von dem sie kaum runterklettern kann. Amir Peretz hat sogar die kläglichen Überreste seines einst prächtigen Schnäuzers abrasiert, damit man im von den Lippen ablesen kann:

Orli (von der Gesher-Partei) und er werden NIE mit Netanyahu in einer Regierung sitzen (er hätte wohl besser „nie wieder“ gesagt, denn beide haben schon in solchen Regierungen gesessen).

Lieberman will nicht mit den Ultra-Orthodoxen sitzen und diese nicht mit ihm. Er wird auch nicht mit Blau-Weiß koalieren, wenn die von der Arabischen Liste gestützt wird, und die Arabische Liste hat Gantz´ Kandidatur nur zu Teilen unterstützt. (Daß es allerdings eine solche Empfehlung gab, ist ein erster großer Schritt für die arabischen Parteien – zumindest drei von ihnen. Bisher haben sie sich aus lauter Antizionismus selbst von der politischen Verantwortung isoliert, mit dem Ergebnis, daß arabische Bürger ebenfalls entweder nicht gewählt oder aber zionistische Parteien gewählt haben, in denen es auch arabische Politiker gibt – oder andere, für die das Wohlergehen der arabischen Bürger Priorität hat.)

So hat jede Partei ihr Blümlein Rührmichnichtan, an das sie auf gar keinen Fall näher rankommen will.

Doch der wahre Knackpunkt liegt bei Bibi. Blauweiß und Likud könnten sich sehr wohl verständigen. Sie haben eine große Schnittmenge – so wie ich es sehe, ist die Schnitt- größer als die Differenzmenge. Gantz und Bibi haben gut zusammengearbeitet, als Gantz unter Bibi Ramatkal war (Generalstabschef), und auch zwischen Bibi und Bogie (Moshe Yaalon), ebenfalls früherer Ramatkal und Verteidigungsminister, lief es eine ganze Weile recht glatt.

Mit Yair Lapid kann er weniger gut, aber ich selbst habe die kurze Koalition von Lapid und Netanyahu genossen, weil wir endlich wieder einen guten Bildungsminister hatten – Shai Piron aus Lapids Partei. Gut, das hat nicht lange gehalten.

(Ich erwähne hier nur Personalfragen, denn inhaltlich ist die Übereinstimmung so groß, daß Gantz vermeidet, genau zu sagen, WAS er denn anders machen würde als Bibi…)

Aber jetzt will keiner links von Likud mehr mit Bibi zusammensitzen. Obwohl es möglich ist, daß sich mehrere der Vorwürfe gegen Netanyahu am Ende in Luft auflösen, ist es eher unwahrscheinlich, daß das mit ALLEN Vorwürfen geschieht. Ich bin keine Juristin, ich bin auch gern bereit zu glauben, daß manche Journalisten übereifrig sind und uns als riesige Skandale verkaufen, was in Wirklichkeit kleinere Wellenringe sind – der Fall Effi Naveh war so eine Geschichte. Damals habe ich noch Nachrichten auf Kanal 12 geguckt (wegen solcher Sachen habe ich damit aufgehört), und wow, was haben die für ein Geraune und Getue veranstaltet, man hätte denken können, die ungenannte Person im Brennpunkt eines Skandals würde die Grundfesten des Staats erschüttern. Dabei war es ein häßlicher und wichtiger, aber nicht weltbewegender Skandal in der juristischen Welt.

Ich schließe also nicht aus, daß auch aus den Vorwürfen gegen Netanyahu am Ende nicht viel bei rauskommt. Ja ich kann sogar verstehen, daß Bibi sich wahnsinnig darüber ärgert, wenn Geschichten über ihn aufgeblasen werden. Am liebsten würde er einfach weitermachen, weil er sich für den besten aller möglichen israelischen Premierminister hält, und die Vorwürfe gegen ihn sind nur ein paar kleine Hundeköttel, über die er hinwegschreiten möchte auf seinem Weg zum israelischen Pantheon.

Aber leider steht es weder Netanyahu noch Kanal 12 noch auch mir zu, die Vorwürfe einzuordnen und ein Urteil zu sprechen. Das wird die Justiz tun.

Außerdem verstoßen einige der ans Licht gekommenen Geschichten eindeutig gegen Verhaltensnormen, auch wenn sie nicht per se justiziabel sind. Wenn auch nur ein Zehntel der Geschichten darüber stimmt, wie dreist sich Bibi und Sarah um Geschenke und Freebies aller Arten bei ihren Millionärsfreunden angestellt haben, dann möchten viele Israelis sich nicht mehr von diesem hedonistischen Paar vertreten sehen. Und die Aussagen von Milchen oder Miriam Adelson sind einfach nur peinlich beim Lesen. Irgendjemand muß sich die Netanyahus mal zur Brust nehmen und ihnen erklären, daß man sich  nicht so verhält, nein, das macht man nicht.

Viele Israelis (besonders aus der Gegend um Tivon, Saras Heimatstadt) glauben, daß sie es ist, von der dieses Verhalten ausgeht, und Aussagen vieler ehemaliger Mitarbeiter scheinen das zu untermauern. Aber sie ist nicht gewählt, sondern Bibi, und er trägt die Verantwortung dafür. Mir ist es zu einfach: Sara ist die Verrückte und Bibi ein super Staatsmann.

Bibi lacht Gantz aus, weil dessen Telefon angeblich von den Iranern angezapft wurde – „wie soll ein Mann, der nicht mal auf sein Telefon aufpassen kann, auf Israel aufpassen“, tönt er. Aber wie soll ein Mann, der die Ausgaben in seinem eigenen Amt und Haushalt, das Verhalten seiner Familie (incl. Yairs berüchtigte Twitter-Anfälle), das Verhältnis zu reichen und berühmten „Freunden“ nicht unter Kontrolle hat, Israel würdig vertreten? Geht doch alles nicht zusammen.

Es gibt viele Leute hier in Israel, für die ist Bibi einfach der König und er darf alles. Meine Friseurin ist eine reizende junge Frau und ich mag sie sehr, aber wenn sie anfängt über Bibi zu reden, mach ich einfach die Ohren zu. Oder versuche es. Also, Bibi wird ja von den Medien übelst verleumdet. Daß Bibi selbst die Dinge über Journalisten, Justiz, Polizei und sogar den Präsidenten gesagt hat, die viele gesetzestreue Israelis die Palme hochtreiben, weiß meine Friseurin nicht, weil sie keine Nachrichten guckt und keine Zeitung liest. Ihre Eltern haben ihr irgendwann gesagt, daß Likud Zuhause bedeutet und ihr Mann, selbst Polizist, stört sich nicht an Bibis Ausfällen.

Ich selbst habe ja eine gestufte Meinung zu Bibi. Im grünen Bereich sind (trotz einiger Abstriche – Trumps Pudel…) sein außenpolitisches Geschick und sein Unwille, in eine riesige militärische Auseinandersetzung einzusteigen. Im gelben Bereich sein mangelndes Interesse an sozialen Themen und seine Art, wichtige Ministerien und Themen rein als Einflußgebiete, also machtpolitisch, zu behandeln – darüber klage ich ja oft, wie sehr Landwirtschaft, Bildung, Pflege, Gesundheitswesen etc vernachlässigt worden sind, wie sehr diese Themen einfach von einem zum anderen geschoben wurden. Aber das hat er wohl mit vielen anderen Politikern gemeinsam.

Eindeutig im roten Bereich aber sind für mich die Vorwürfe gegen ihn, die erst ausgeräumt werden müssen, bevor ein Mandat hat.

Was Netanyahu einst über Olmert sagte: daß ein Mann, er bis zum Halskragen in juristischen Verwicklungen steckt, ein Land nicht führen kann, all das trifft jetzt Wort für Wort auf ihn zu.

Und darum wäre die einzige Möglichkeit, diesen Plonter dauerhaft aufzulösen – um eine funktionsfähige Regierung auf die Beine zu stellen, die nicht beim ersten Konflikt an den Nähten zerreißt – eine Koalition von Likud und Blau-Weiß, aber ohne Netanyahu. Dahin führen zwei Wege.

Erstens ist es denkbar, theoretisch, daß ein paar Likudniks, denen Netanyahus Festhalten an der Macht um jeden Preis schon lange gegen den Strich geht, sich gegen ihn auflehnen. Entweder Urwahlen fordern oder aber die Fraktion spalten – wie unter Sharon geschehen, der einen Teil der Likudniks mitnahm. Allerdings ist die Likudpartei normalerweise sehr loyal ihren Köpfen gegenüber, und da Bibi viele blinde Anhänger hat wie meine Friseurin, wäre das eine gefährliche Strategie. Ich glaube nicht, daß sie es tun würden – Netanyahu hat ja mit Absicht keinen Nachfolger herangezogen und er traut niemandem, nicht mal den größten Schmeichlern.

Zweitens wäre es theoretisch denkbar, daß Netanyahu selbst einsehen könnte, daß ER es ist, der Israel zum zweiten Mal an die Wahlurne getrieben hat und dafür gesorgt hat, daß wir seit einem Jahr keine funktionierende Regierung haben. Er könnte ein Einsehen haben, eine schöne Rede halten wie einst Olmert, von allen Ämtern zurücktreten, sich von der Politik zurückziehen und mit seinen Rechtsanwälten den Kampf um seine Unschuld und seinen guten Namen aufnehmen.

Aber Bibi wäre nicht Bibi, wenn er das täte.

Er möchte nicht nur die Macht in Händen halten, weil er andere für unfähig hält, dieses Amt zu erfüllen – weil er es für sein Recht hält, Israels König zu sein – weil er echte Sorge hat, daß niemand den Eiertanz zwischen Putin und Trump, Assad und Rouhani zu vollziehen – sondern auch, weil er eine politische Machtposition braucht. Sein Plan war, sich mit einer Mehrheit von 61 Stimmen eine Immunität zu besorgen, an der die Vorwürfe zerschellen müßten.  Dann hätte Generalstaatsanwalt Mandelblit (den übrigens Bibi in sein Amt gehoben hat, weil er dachte, Mandelblit würde es ihm irgendwie danken….) keine Handhabe gegen ihn gehabt.

Doch Mandelblit, früherer Kabinettssekretär Bibis, ist fest entschlossen, ihn vor Gericht zu bringen, wenn nötig. Und ich muß sagen, daß Bibis absolute Entschlossenheit, das zu verhindern, bei juristischen Laien wie mir eher den Eindruck erwecken, daß er etwas zu verbergen, etwas zu befürchten hat.

Hier ein bißchen mehr über Mandelblit. Man kann nicht anders als ihn respektieren. Er steht unter Druck von allen Seiten, Bibisten und Anti-Bibisten.

Bibi trifft also in der heutigen Situation lauter Leute wieder, denen er mal sehr verbunden war, ja die er gefördert hat, die aber irgendwann im Krach von ihm geschieden sind. Lieberman, Ayelet Shaked (die der Likud viele Mandate hätte bringen können, wenn Netanyahu sie nur mit auf die Liste genommen hätte), Barak (der es zwar nicht in die Knesset geschafft hat, dessen Manöver im Wahlkampf aber viel Aufmerksamkeit bekamen und dessen Partei ein Dorn in Netanyahus Seite ist), Rivlin, den er politisch beiseitegedrängt hat…

Barak ist der einzige, der Netanyahu mal übergeordnet war – er war sein Commander in der Armee und hat ihn auch mal bei den Wahlen geschlagen. Alle anderen haben ihre Karrieren unter Netanyahu begonnen. Vielleicht kein Wunder, daß er niemandem traut. Er weiß, daß sie alle schon darauf warten, ihre Karrieren ohne ihn fortzusetzen. Aber so ist das nun mal in einer Demokratie. Die Queen hat diese Probleme nicht (dafür hat sie andere).

Was soll also jetzt passieren? Keine Konstellation ergibt stabile 61 Sitze.

Aber dritte Wahlen, die darf es einfach nicht geben.

Eine Frage, keine Antwort. Bisher September 27, 2019, 12:46

Posted by Lila in Land und Leute.
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In den letzten Jahren habe ich oft und unermüdlich bei Twitter, aber auch hier die Frage gestellt:

Warum hat Abu Mazen Olmerts Angebot abgelehnt?

Es ist natürlich nicht das erste oder einzige Angebot für eine Friedensregelung gewesen, aber es war vermutlich das beste. Das muß Abu Mazen auch klar gewesen sein. Eigentlich hat er es nicht mal abgelehnt, sondern einfach nur nie darauf geantwortet. Später erst hat er zugegeben, daß das eine Ablehnung war.

Saeb Erekat, der in den deutschen Medien als „Chefunterhändler“ immer noch Prestige genießt, bezeugt dieses Angebot.

Wie Palwatch ganz richtig resümiert, werden die Palästinenser in absehbarer Zeit kein besseres Angebot bekommen. Warum haben sie es also abgelehnt? Wem Twitter für seine Antwort zu kurz ist, der kann sie gern in den Kommentaren niederlegen.

(Olmerts Bitterkeit im Rückblick ist verständlich, aber zum Thema israelische Justiz und Politik schreib ich vielleicht später mal was – nur so viel, die israelische Justiz hat ein extrem scharfes Auge auf die Politik, und Olmert wußte das.)

Aufgegeben September 27, 2019, 8:10

Posted by Lila in Bloggen.
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Eigentlich wollte ich was zur politischen Lage hier schreiben, wurde aber nach ein paar Absätzen so deprimiert, daß ich nicht mehr weiterschreiben konnte. Ich gehe lieber das Katzenklo saubermachen, alles ist besser, als weiter über Bibi und Co. nachzudenken.

Netanyahu und die israelischen Medien September 19, 2019, 17:17

Posted by Lila in Land und Leute, Presseschau, Uncategorized.
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Netanyahu bringt immer wieder die Klage vor, daß „die Medien“ gegen ihn seien und überhaupt ganz und gar links unterwandert. Ich halte diese Klage für unbegründet. Im Gegenteil gefällt mir bei den israelischen Medien eine Vielfalt der Meinungen, zu fast allen Themen, wenn kommentiert wird. Und es gibt auch Journalisten, bei denen man merkt, daß sie ihre Meinungen nicht nach Schema X aus der Schublade nehmen, sondern eine professionelle Distanz bewahren. Insgesamt ist es ziemlich leicht zu erkennen, ob ein Journalist berichtet oder kommentiert.

Was Zeitungen angeht – ich empfehle gern die Übersicht englischer Artikel, immer aktuell, von Rotter.net. Dort geht es von eher „rechten“ (nationalreligiös geprägten) Medien wie Arutz 7 und der anglo-sächsischen Jerusalem Post über die „Mitte“ (Ynet, Times of Israel) bis zur „linken“ (säkular-urbanen) Haaretz. Wobei für Haaretz auch eher konservative und für JPost auch eher linke Journalisten schreiben. Wenn man zu einem Thema Artikel und Kommentare mehrerer Zeitungen liest, hat man automatisch mehrere Gesichtspunkte. Und das sollte man ja sowieso tun. Also, diese Seite kann ich wirklich empfehlen, denn man hat ganz bequem die Links zusammen, auch wenn sie optisch etwas rustikal wirkt.

Wer kein Ivrit versteht, der hat es schwerer, sich ein Urteil über die israelischen Fernsehsender zu machen – die englischsprachige Berichterstattung kenn ich gar nicht mehr, und sie ist auch eher marginal.

Insgesamt gibt es hier drei große Fernsehsender, deren politische Berichterstattung und Nachrichtensendungen um die Zuschauer konkurrieren. Die ganze Fernsehlandschaft in Israel hat mehrere große Umwälzungen mitgemacht, ich beziehe mich auf die aktuell beliebten Sender.

Kan11 ist der Sender, den ich am liebsten sehe. Es ist der öffentlich-rechtliche Sender und hat viele gute Sendungen im Angebot, die ich manchmal im Internet angucke, wenn ich sie verpaßt habe. Seine Optik ist eher schlicht, man kann jederzeit live im Internet zugucken, und es gibt dort nicht wenige Kipa-Träger, von denen einige offen konservativ sind (Erel Segal), andere neutral und kompetent. Die Expertin für militärische Themen, Carmela Menashe, ist mir bei dem Thema am liebsten.

Bei Mako kann man die Nachrichten von Kanal 12 sehen, Nachfolger des ersten privaten Kanals in Israel, Kanal 2. Ich glaube, Kanal 12 ist am beliebtesten, die Journalisten sind am bekanntesten und insgesamt haben einige von ihnen ausgesprochene Kritik an Netanyahu geäußert, weswegen sie oft als Beispiel für das „abgekartete Spiel“ der Medien zitiert werden. Aber sie fassen auch linke Politiker nicht mit Samthandschuhen an. Allerdings ist einer ihrer deutlichsten Kommentatoren, Amnon Abromovitch, auch deutlichster Kritiker Netanyahus.

Kanal 13 ist Nachfolger des früheren Kanal 10 und ich sehe ihn seltener (sehe überhaupt praktisch nur Nachrichten und dann Kan11, weil die im Internet senden), aber auch dort ist das Meinungsspektrum gemischt.

Wer sich nur von Haaretz und Kanal 12 ernährt, hört allerdings mehr Kritik an Netanyahu als Lob, aber es reicht, einmal Segal und Liebeskind auf Kan11 zuzuhören, oder aber im Radio Kobi Ariel und Irit Linur, und schon hat man auch andere Stimmen.

Insgesamt finde ich Netanyahus Kritik unberechtigt, obwohl ich verstehen kann, daß es ihn ärgert, wenn seine verschiedenen Eskapaden von Satiresendungen auf die Schippe genommen werden.

Vor zwei Jahren, Eretz Nehederet (Ein wunderbares Land) – was wie Klamauk aussieht, hat einen ziemlich scharfen Text, der ein paar von Bibis typischen Reaktionen auf Vorwürfe zitiert.

Aber vor zehn Jahren hat dieselbe Sendung nicht nur Bibi, sondern ebenso Peretz und Olmert aufs Korn genommen.

Und daß es Bibi nicht wirklich stört, wenn er brilliant kopiert wird, weil er weiß, daß er das auch für sich nutzen kann, sieht man an seinem Auftritt sowohl bei Eretz Nehederet

als auch bei Lior Shlain, wo er ebenfalls regelmäßig durch den Kakao gezogen wird.

Netanyahus Umgang mit diesen Satiresendungen ist nicht ungeschickt, und er macht das eigentlich ganz souverän.

Viel problematischer ist, daß er keine Interviews gibt, nur kurz vor den Wahlen. Auch bei Pressekonferenzen wimmelt er die Journalisten gern ab. Und wenn er Journalisten verärgert, dann machen sie sich irgendwann Luft.

Ein Teil der Vorwürfe gegen Netanyahu haben auch mit den Medien zu tun – nämlich, daß er sich positive Berichterstattung einer beliebten News-Seite im Internet verschafft haben soll (der sog. Fall 4000). Darüber wird natürlich relativ viel berichtet, weil es die Journalisten selbst interessiert.

Es ist möglich, daß er vorverurteilt wird, bzw daß sich hinterher vor Gericht Vorwürfe in Luft auflösen, weil sein Verhalten nicht gegen Gesetze verstieß – trotzdem ist vieles davon diskussionswürdig. Und anderen Politikern ging es nicht besser, wenn sie unter Verdacht gerieten. Sie stießen öffentliche Diskussionen an. Die israelische Justiz verfolgt, soweit ich es beurteilen kann, scharf, besonders Politiker.

Es wird ihn auch geärgert haben, daß eine Aufnahme in miserabler Qualität gesendet wurde, wo man hört, wie seine Frau am Telefon einen Redakteur anblafft, weil sie sich nicht positiv genug dargestellt sah. Ich kann sogar verstehen, daß es sie nervt, als Psychologin mit M.A., immer wieder als Ex-Stewardess erwähnt zu werden, aber die Aufnahme ist peinlich. Vielleicht wäre sie in einem anderen Fall nicht veröffentlicht worden, aber Sara Netanyahu ist beliebte Zielscheibe von Journalisten, die sich an Bibi selbst nicht drantrauen. Daß sie zu dem Thema mehrere Interviews gegeben hat, in denen sie sich über die Berichterstattung beschwert, hat leider nicht geholfen – da hält es die Familie Windsor mit „never explain, never complain“ wohl besser.

Selbst ihre Versuche, die Vorwürfe über einen luxuriösen Lebenswandel zu entkräften, indem sie einem bekannten Innenarchitekten zeigt, wie schlicht der amtliche Wohnsitz des Premierministers ist, wie in die Jahre gekommen, wurde zum Bumerang – jeder weiß, daß die Netanyahus eine Villa in Caesarea haben, und ihre Klagen über ausgefranste Teppiche, wie peinlich, wenn die Obamas kommen!, kam irgendwie nicht so rüber, wie sie es geplant hatte.

Eigentlich wurde nur Leah Rabin ähnlich angegriffen wie sie – Sonia Peres war praktisch unbekannt, Aliza Olmert als Malerin und Sozialarbeiterin eher respektiert als kritisiert, und überhaupt war vor den Netanyahus keine politische Familie so im Rampenlicht. Bei seinen Reden merkt man Netanyahu an, daß das seine Achillesferse ist – die Kritik an seiner Frau und seinen Söhnen empfindet er als unfair, weil diese nicht gewählt wurden und sich nicht aussuchen konnten, allgemein bekannt zu sein. Die Söhne kennen es gar nicht anders.

Avner, der jüngere Sohn, wurde von Demonstranten so persönlich angegangen, daß er sich vor Gericht dagegen wehrte. Er macht einen sensiblen Eindruck und scheint eher darunter zu leiden, daß seine Familie so bekannt ist. Ein Journalist erzählte, daß Avner ihm sagte, er würde nie Politiker werden wollen, weil das für die Familie unzumutbar ist – und typisch, daß dieser Journalist das nicht für sich behielt.

Der ältere Sohn dagegen, Yair, twittert und schießt bei der Verteidigung seines Vaters manchmal übers Ziel hinaus. Damit hat er sich in die öffentliche Arena begeben, und da er als engster Ratgeber seines Vaters gilt, ohne gewählt zu sein oder eine offizielle Funktion zu haben, ist er damit heute wohl der umstrittenste Netanyahu.

Wenn Netanyahu den Medien vorwirft, daß sie sich die Zähne an seiner Familie wetzen, dann entgegnen die Medien, daß er es war, der im amerikanischen Stil seine Familie erst in Szene gesetzt hat. (Außerdem kommen er und seine Frau aus bekannten Familien der ashkenasischen Oberschicht). Trotzdem kann ich verstehen, daß er deswegen grollt.

Aber was die Berichterstattung und Kommentare zu seiner Politik angeht, finde ich die Medien insgesamt fair. Zu allen Fernseh-Diskussionen werden auch mehr oder weniger eloquente Likud-Politiker eingeladen, die Netanyahus Standpunkt erklären. Daß ein Tribunal von linken Kommentatoren und Politikern den Stab über ihn bricht, ohne daß lebhaft widersprochen wird, ist jedenfalls nicht die Regel.

Man muß außerdem mehr als nur eine Quelle lesen oder hören. Das ist ja bei jedem Thema so.

 

Wahltag September 17, 2019, 20:57

Posted by Lila in Land und Leute, Persönliches, Uncategorized.
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Wir sind im Deja-vu. Genau dieselben Phrasen, Versprechungen und gegenseitigen Vorwürfe haben wir im April schon gehört. In einer halben Stunde werden die Wahllokale geschlossen und die ersten Hochrechnungen (midgam) werden veröffentlicht. Nach der Peinlichkeit im April, als aufgrund von Hochrechnungen beide Kandidaten ihren Wahlsieg feierten, werden sie diesmal wohl vorsichtiger sein.

Von dem ganzen hektischen Irrsinn um die Wahlen haben wir heute wenig mitgekriegt, weil für die Familie ein Trauertag war. Wir standen traurig auf dem Friedhof im Kibbuz, um einen Jahrestag zu begehen. Heute genau vor einem Jahr haben wir auf tragische Art und Weise eine nahe und sehr geliebte Verwandte verloren. Und so war heute die ganze große Familie versammelt.

Nach dem Besuch des Grabs kam das gemeinsame Essen im Haus meines Schwagers, der noch im Kibbuz wohnt. Ich habe immer große Freude daran, wie der Tisch aussieht, auf dem wir alle mitgebrachten Sachen aufbauen. In Y.s Familie essen alle so wie ich – viel Gemüse, Hülsenfrüchte, Qinoa, Salate, Obst, alles frisch, alles leicht. Ein nicht geringer Anteil der Familie ißt wenig oder gar kein Fleisch, und ein Anteil der Jugend ißt vegan.

Alkohol wird bei diesen Treffen nie getrunken, anders als in der deutschen Familie, wo Wein, Sekt und Prosecco fließen, und zu Weihnachten auch die Feuerzangenbowle….

Nicht auszudenken, wenn ich in eine Familie eingeheiratet hätte, für die eine gute Mahlzeit aus Fleisch, Wurst und Sättigungsbeilage besteht! Gegen ein Gläschen Wein allerdings hätte ich nichts einzuwenden.

Die Familie, die nach der Shoah winzig war, hat sich inzwischen deutlich vergrößert. Alle Vettern, Cousinen, Nichten und Neffen im fortpflanzungsfähigen Alter sind glücklich verbandelt, und viele von ihnen haben energiegeladene Kinder aller Altersstufen, die froh sind, wenn sie im Kibbuz auf der Wiese toben können. Nichts hebt die Stimmung mehr als den Kindern zuzugucken. Tertia hat mit den Älteren Taki gespielt, ein Kartenspiel, und die Stimmung entspannte sich.

Irgendwann fingen dann alle an, von den Wahlen zu sprechen. Alle hatten gewählt. Die geborenen Kibbuzniks stellten fest, daß sie in den letzten Jahren sacht in Richtung Mitte abwanderten (obwohl es immer noch Meretz-Wähler in der Familie gibt ). Man erinnerte sich an die Mapam-Partei, der die Großeltern und eigentlich alle Kibbuzniks selbstverständlich angehörten. Aus Mapam wurde nach dem Zusammenschluß mit Ratz Meretz (alles Abkürzungen), und jetzt hat sich Meretz mit Baraks Partei zusammengeschlossen und das Ganze heißt „Demokratisches Lager“.

Die Eingeheirateten, die teilweise aus konservativeren Häusern kamen, hatten eine ähnliche Wanderung in Richtung Mitte hinter sich. Sonst diskutieren wir solche langsamen Wandlungen politischer Standpunkte eher selten, aber am Wahltag kam die Sprache ganz natürlich darauf. So haben also die meisten Blau-Weiß, einige auch Demokratisches Lager oder Arbeitspartei-Gesher gewählt. Es war eine sehr interessante Diskussion, die sich ähnlich bestimmt in vielen Familien abgespielt hat, egal was sie wählen.

Die öffentlichen Verkehrsmittel sind heute nämlich umsonst und gearbeitet wird nicht, so daß viele Leute zusammen Ausflüge gemacht haben oder Familientreffen wie wir.

Jetzt sitzen wir vor dem Fernseher und warten auf die Hochrechnungen der drei großen Fernsehsender. Es geht um viel. Netanyahu kämpft um mehr als seine politische Karriere. Ohne den Rang als Premierminister gibt es keine Möglichkeit, seinen Vorladungen und Anhörungen eventuell auszuweichen. Aber bei aller Anerkennung für sein Geschick im Eiertanz des Nahen Ostens, für seine Entschlossenheit bei der Verteidigung gegen den vom Iran inszenierten Schattenkrieg, für seinen Verdienst bei der Verbesserung von Israels internationalem Einfluß in vielen früher unerreichbaren Ländern (für die wir mit Verlust anderer Freundschaften zahlen….) – wir alle können und wollen ihn nicht mehr sehen.

Ich bin dafür, daß ein Premierminister nicht öfter als zweimal gewählt werden darf. Ein andermal schreibe ich mal mehr darüber, warum ich bei der Anerkennung seiner Verdienste Netanyahu trotzdem für destruktiv halte. Aber jetzt gucken wir die Hochrechnungen. Das wird eine lange Nacht. Immerhin haben wir gut gegessen. Haltet uns die Daumen.

Unwissenheit oder Kalkül? September 16, 2019, 9:43

Posted by Lila in Land und Leute.
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Wieder einmal setzt ein palästinensischer Politiker historisch ganz früh an, um den Juden jede Verbindung zum Land Israel abzusprechen. Diesmal ist es der PA-Kulturminister Atef Abu Saif, der erklärt, daß die Juden erst neulich hier angekommen sind und ihre Geschichte schlicht erfunden haben. Hingegen die Palästinenser! Sie sind die Nachfahren der historischen Kanaaniter.

Daß es nicht den geringsten Beweis dafür gibt, keinerlei kulturelle oder sprachliche Spuren der Kanaaniter in der modernen palästinensischen Identität, das stört weder ihn noch seine Zuhörer. Heutige Palästinenser tragen arabische oder christliche Namen, sie feiern muslimische oder christliche Feste.  Es handelt sich also um eine schlichte Fiktion, noch abwegiger als Felix Dahn Inanspruchnahme der Ostgoten als ferne Ahnen der Gründerzeit-Deutschen.

Weitaus wahrscheinlicher ist ja historisch, daß viele der heutigen Palästinenser in einer der großen arabischen Einwanderungswellen aus anderen Ländern gekommen sind, z.B. der arabischen Halbinsel. Oft läßt sich das ja sogar am Familiennamen ablesen (Hallabi – aus Aleppo, al-Masri, aus Ägypten etc). Außerdem kann man sich ja mal fragen, woher auf einmal in der Zeit der muslimischen Eroberung die vielen Muslime kamen. Aus Drachenzähnen werden sie ja wohl kaum gesät worden sein, sondern es waren Konvertiten – und so wie manche Juden zum Christentum konvertiert sind, werden wohl auch viele muslimisch geworden sein. Was auch erklären würde, warum sich Juden und Palästinenser genetisch ähneln.

Die sprachliche, kulturelle und religiöse Kontinuität des Judentums und jüdischen Volks jedenfalls sind unbestreitbar bezeugt, über Jahrhunderte hinweg, und wurden auch nie bestritten, außer eben in den letzten Jahrzehnten durch Gegner des Staats Israel.

Vor der Staatsgründung Israels gab es eine einflußreiche Gruppe von Künstlern und Autoren, die sich Kanaaniter nannten – weil sie sich von der Kultur der Diaspora absetzen wollten und die Wurzeln des Judentums in lokalen, polytheistischen Kulturen suchten.

Itzhak Danzigers Skulptur Nimrod aus dem Jahr 1939 ist bekanntester Ausdruck dieser Kunstrichtung, die sich radikal von der ersten Generation orientalisierend-klassizistischer Künstler der Bezalel-Schule abwandte.  Ein weiterer Ausdruck der Abwendung von der Kultur der Diaspora war die Hebraisierung von Vor- und Nachnamen, und die Vergabe von Vornamen, die in der Bibel als Negativfiguren galten – oder aber gleich Vornamen, die aus der Fauna und Flora entnommen wurden, manche biblisch verbürgt, manche nicht.

Ich hätte kein Problem damit, wenn palästinensische oder israelisch-arabische Künstler ebenfalls auf die Ikonographie und formalen Merkmale nahöstlicher Völker vor 5000 Jahren zurückgreifen würden, um die eigene Geschichte und Position in Frage zu stellen, sich von anderen abzugrenzen oder einfach zu experimentieren und sich inspirieren zu lassen. Das haben Modigliani und Kiki Smith auch getan. Aber daraus so weitgehende politische Ansprüche ableiten?

Kulturelle Identität ist wandelbar, sollte aber nicht willkürlich instrumentalisiert werden. Privat hat jeder das Recht, sich als letzter Ubier oder wiedergeborener Astoreth-Anbeter zu fühlen, aber das bedeutet noch nicht, daß jede historische Fiktion auch Grundlage für politische Forderungen werden darf. Und wer die historischen Fakten leugnet (wozu auch die systematische Zerstörung archäologischer Artefakte in der PA paßt), der lügt.

Die Stoßrichtung solcher Aussagen wie der von al-Saif ist klar: die jüdische Präsenz im Nahen Osten soll als von Grund auf unrechtmäßig dargestellt werden. Das paßt zur Linie der politischen palästinensischen Führung, die nicht an Frieden interessiert ist, sondern an der Auslöschung Israels.

Daß solche Aussagen in westlichen Medien niemals aufgegriffen und in Kontext gesetzt werden, ist ein weiterer Grund, sich selbst schlau zu machen.

Leseleid September 14, 2019, 0:46

Posted by Lila in Literatur und Bücher.
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Auf verschlungenen Wegen kam ich zu zwei Büchern, von denen wohl jemand annahm, daß sie mir sehr gut gefallen müßten. Es handelt sich um aufeinander aufbauende Krimis. Eine jüdische Polizistin ermittelt so erfolgreich in Berlin, daß sie ihre Karriere nahtlos in Tel Aviv fortsetzen kann. Ihr Hebräisch springt zwischen den Bänden von „nicht vorhanden“ auf „fließend samt Slang“, und das ist nicht das einzige Fragezeichen, das mir beim Lesen in den Sinn kam.

Es scheint dem Autor unmöglich zu sein, Juden oder jüdische Israelis vorkommen zu lassen, ohne sofort auch Palästinenser auftauchen zu lassen. Selbstverständlich sind alle sympathischen Protagonisten Vertreter der Friedensbewegung, Siedler hingegen automatisch unsympathisch.

Die unsympathische Siedlerin im ersten Roman ist zwar unverheiratet (tritt unter Mädchennamen auf und es wird im Lauf des Buchs klar, daß sie nicht verheiratet ist), doch trotzdem trägt sie eine Kopfbedeckung. Sie trägt sogar ein schwarzes Cape, doch der Autor scheint den Unterschied zwischen orthodox und ultra-orthodox nicht zu kennen und läßt sie am Ende als „streng religiöse, hart schuftende Landwirtin im Kibbuz“ auftreten. Mit schwarzem Cape? Jedem, der auch nur von ferne religiöse Kibbuzim mit Landwirtschaft und die Welt der Ultra-Orthodoxen kennt, ist klar, daß beim Griff in die Klischeekiste einiges falsch zusammengesetzt wurde.

Merke: religiöse Kibbuzim sind orthodox, schwarze Capes hingegen tragen manche ultra-orthodoxe Frauen. Not the same thing. Und eine unverheiratete religiöse Jüdin bedeckt ihr Haar nicht.

Daß eine solch religiöse Familie ihre Tochter Tamar nennen würde, ist ebenfalls schwer vorstellbar. Die biblischen Frauen dieses Namens posieren als Prostituierte oder fallen einer inzestuösen Vergewaltigung zum Opfer – beides keine guten Omen. Nicht-religiöse Israelis benutzen den Namen gern, weil sie die ursprüngliche Bedeutung, Palme, schön finden – aber eine so streng religiöse Familie wie beschrieben würde eine Tochter wohl eher Leah, Rachel oder Sarah nennen, nicht aber Tamar.

Die Art und Weise, wie Tamars böse Schwester, die frömmelnde Siedlerin aus dem religiösen Kibbuz, spricht, klingt ebenfalls vollkommen aus der Luft geholt. Sie benutzt keine der Redewendungen, an denen man Religiöse im Alltag erkennt. Dafür legt sie sich ein Gebetstuch um, wenn sie betet – was damit gemeint sein kann, ist rätselhaft, denn einen Tallit legen eigentlich nur Männer an (oder Angehörige kleiner Gruppen wie Women of the Wall).

Der unsympathische Siedler hat eine höchst ungewöhnliche Kippa auf – sie ist nämlich „grob gestrickt“, obwohl Kippot gehäkelt werden. Ja, es heißt auf Englisch knitted kippa, was alle Handarbeitsfans anprangern sollten – es müßte crocheted kippa heißen! Aber das Mißverständnis rührt daher, daß es im Hebräischen nur EIN Wort für Stricken und Häkeln gibt, nämlich lisrog, und man dazusagen muß, ob mit einer Nadel (masrega) oder zweien. Kipa sruga wurde also von jemandem als knitted kipa übersetzt, der keine feste Masche von zwei-rechts-zwei-links unterscheiden kann.

Ja, und diese Kippa ist nicht nur wundersamerweise auf Sockenstricknadeln entstanden, sondern noch dazu kariert! Und das ist praktisch unmöglich sauber mit korrekten Zunahmen zu häkeln. Es gibt Häkel-Kippot in allen möglichen Mustern, aber kariert? Hä? Wieso? Na damit der Mann leichter erkennbar ist.

Die ständige Betonung des „eine von uns“ ist ebenfalls merkwürdig und mir von jüdischen Freundinnen aus Deutschland nicht verbürgt, aber da werde ich noch mal nachfragen müssen. Ein Ausspruch aber wie „da Sie eine von uns sind, könnten Sie sogar relativ unbürokratisch in den israelischen Polizeidienst einsteigen“, kommt mir reichlich unwahrscheinlich vor. So nach dem Motto, in Israel stehen Juden alle Türen offen, nur weil sie jüdisch sind – doch jeder Neueinwanderer kann bezeugen, daß es nicht ganz so einfach ist. Auch hier in Israel man nicht einfach hoch oben in der Karriereleiter einsteigen, nur weil man eben jüdisch ist.

Dabei hat der Autor Scheu, einfach „Jude“ zu schreiben, sondern es heißt „jüdischen Glaubens“, was eine typisch deutsche Vermeidungsform ist.

Im zweiten Buch, das dann in Israel spielen soll, wird es noch merkwürdiger. Tzimmes wird als Nationalgericht bezeichnet – vielleicht kenne ich die verkehrten Leute, aber ich kenne niemanden, der Tzimmes ißt, geschweige denn es ein Nationalgericht nennen würde.

Einem Mann wird „arabischer Migrationshintergrund“ bescheinigt – das ist komplett deutscher Sprachgebrauch und da der Mann Palästinenser ist, auch Blödsinn. Ja, vielleicht waren seine Großeltern Migranten, aber kein Israeli würde diese Phrase benutzen.

Ich habe dem Buch auch mit Erstaunen entnommen, daß man im Hebräischen siezen und duzen kann, wenn mir auch nicht klar ist, wie das gehen soll – es gibt nur EINE Anredeform.

Gekocht wird in Tel Aviv wohl auf Ceranfeldern, auch wenn ich in Israel noch nie eins gesehen habe – die meisten Leute kochen auf Gas oder Induktion, die in Deutschland allgegenwärtigen Ceranfelder sind jedenfalls unüblich. Und wenn man einem Roman so verzweifelt Lokalkolorit geben möchte wie der Autor, dann sollte man auf solche Details achten.

Wo man von den Klippen in Rosh HaNikra 30 Meter in die Tiefe stürzen kann, ohne harmlos durch Büsche zu kollern oder aber  im Meer aufzuschlagen, ist ebenfalls nicht ganz klar. Eine junge, traditionell gekleidete Drusin wäre in Tel Aviv nicht etwa ideal getarnt, sondern würde eher auffallen als in Jeans.

Auch wundert sich der Autor, daß „weder die harten Jungs der Sajeret Matkal noch die der Jechidat Duvdevan“ zu einer Mordaufklärung hinzugezogen wurden, obwohl die gegen Terror kämpfen und der Mordkommission ihre Arbeit wohl kaum abnehmen können. Aber es klingt natürlich schön kernig. Und warum er nicht einfach „Einheit Duvdevan“ schreiben kann, weiß ich auch nicht.

Daß ein Jaakov konsequent Jakoov genannt wird, ist nur ein Detail. Ich habe auch nur ein paar aufgezählt, nämlich die, die einem einfach ins Auge springen. Ja, ich klinge pingelig, aber es nervt.

Stellt Euch vor, ihr lest ein Buch über Deutschland im Jahr 2018 oder 2019, und ganz nebenbei werden lauter Sachen geschildert, die ihr aus den USA kennt – ein Abfallwolf im Spülbecken, riesige, stromfressende Waschmaschinen und Trockner, und im Fernsehen läuft Baseball.

Oder ein Buch, in dem ein evangelischer Pfarrer mit seiner Gemeinde den Rosenkranz betet, der katholische sich hingegen mit Frau und Kindern an den Tisch setzt.

Oder wo der Bayer nach der Arbeit schnell ans Meer radelt, um sich zu entspannen, während der Ostfriese vom Balkon aus das Alpenglühen bewundert.

Da würdet ihr auch sagen: wie fundiert ist das Wissen des Autors eigentlich?

Warum ich beide Bücher bis zu Ende gelesen habe, frage ich mich selbst – vermutlich nur, um hier was darüber zu schreiben.

Spannung, Krise, Beruhigung September 1, 2019, 18:46

Posted by Lila in Land und Leute.
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Wir wußten ja, daß sich was zusammenbraut, und darum hatte ich das Radio auf leise im Hintergrund an. Gegen 16.00 gingen die Journalisten im Studio von Anekdoten und Geplänkel auf einmal zu angestrengt-nicht-nervösen Berichten von der Grenze über.

Hisbollah hatte mehrere Kornet-Raketen (gegen Panzer) auf Militärfahrzeuge gefeuert. Jetzt wissen wir, daß es sich dabei um ein Sanitätsfahrzeug gehandelt hat, und zwar ganz in der Nähe von Avivim, einem Grenzdorf (vielleicht sogar in Avivim, genaue Informationen gibt die Armee nicht raus, damit die Hisbollah nicht an ihrer Zielgenauigkeit feilen kann).

Die erste Sorge war: ist jemandem was passiert? Gerüchte liefen sofort um, ich weiß nicht mal genau, wie man sie aufnimmt, durch Osmose vermutlich, denn in den Fernsehstudios sorgen Armeeverteter dafür, daß nichts berichtet wird, was nicht stimmt oder was für fremde Ohren nicht bestimmt ist. Aber es hieß, ein Haus in Kibbuz Baram wurde getroffen, und ein Videoclip machte die Runde, von einem Hubschrauber, der im Rambam-Krankenhaus in Haifa landete. (Wer weiß, von wann der Clip ist – der Himmel ist heute viel diesiger als auf dem Bild, auch in Haifa).

Und sofort legt sich ein innerer Hebel um – was machen wir, wenn 2006 sich wiederholt? Ich habe den Schutzraum ja immer fertig, bin aber nicht reingegangen. Die Armee gab Anweisung: Anwohner der Grenzlinie, also näher als 4km an der Grenze, sollen zuhause bleiben oder in anderen Gebäuden mit Schutzraum. Aber nicht in die Schutzräume selbst. Genauso habe ich es also gemacht. Bin in der Küche geblieben, wo ich Blick auf den Fernseher im Wohnzimmer habe. Die Tür zum Küchengarten habe ich offengelassen, um zu hören, was draußen los ist. Wir wohnen ja an einem Hang in Richtung Süden, und wie erwartet habe ich nichts gehört. Nur Flugzeuge und Hubschrauber in der Luft.

Ungefähr zwei Stunden war die Spannung groß – was passiert jetzt? Es war klar: eine Eskalation ist möglich. 2006, ich erinnere mich noch genau an den Tag, wurden nicht nur Grenzsoldaten getötet und verschleppt, sondern auch Dörfer an der Grenze stundenlang beschossen (Zarit und Shtula). Es war also ein viel größer angelegter Angriff als heute.

Hätte es heute mehr als diesen einen Angriff gegeben, und hätte es israelische Verletzte oder gar, chalila, Tote gegeben, dann wären wir jetzt in einer Eskalation, und ich müßte mir überlegen, wie ich Tertia davon überzeuge, ihre ungeschützte kleine Wohnung in Nahariya zu verlassen und bei uns zu bleiben (sie hat in erreichbarer Nähe keinen Schutzraum).

Tertia, die sich um die Nachrichten nicht schert, hatte auf mein Bitten hin im Internet nachgelesen, wie man sich ohne Schutzraum bei Alarm verhält. Treppenhaus aufsuchen – hat ihr Mini-Häuschen nicht. Innenwand aufsuchen – die ist auch windig gebaut. Das Dach ist auch nicht gerade vertraueneinflößend. Aber Tertia hatte die ideale Lösung gefunden: sie hat doch einen guten, stabilen Kaffeetisch, und bei Alarm hockt sie sich darunter, wie finde ich das?

Oh, super finde ich das. Habe ihr empfohlen, sich da noch ein Stück Wellpappe oder etwas Zeitungspapier drüberzulegen, dann bin ich richtig beruhigt! Das fand sie zum Kichern, und ich dann auch, und am Ende war es alles, dem Himmel sei Dank, nicht nötig.

Die Armee hat eine ganze Weile keine Informationen über Verletzte veröffentlicht, und das ist oft ein schlechtes Zeichen – jeder in Israel weiß, daß die Armee erstmal Familien benachrichtigt, und die Medien hier dürfen keine Andeutungen machen. Hisbollah veröffentlichte wechselnde Zahlen von Toten und Verletzten und behauptete auch, sie hätten Israel großzügigerweise erlaubt, diese zu bergen. Und in Beirut gingen wohl die Parties los.

IDF feuerte zurück, und die Anwohner hörten wohl über eine Stunde lang das unerfreuliche Gewummer von Artilleriebeschuß.

Und dann kam die offizielle Bestätigung: keine Toten, keine Verletzten. Wer glaubt, IDF könnte so etwas verbergen, der kennt Israel nicht. Hier sind die meisten Leute sehr besorgt um ihre Soldaten, und Israelis sind gut vernetzt. Jeder kennt jeden. So wie nach schrecklichen Verkehrsunfällen sofort die Namen rumgehen und keiner mehr als 3, höchstens 4 Ecken der Bekanntschaft braucht, so ist es auch bei Soldaten. Wenn es Verletzte gibt, setzen sich sofort Journalisten im Krankenhaus fest und berichten, wie es ihnen geht, und geben Bitten der Familie um Gebete wieder.

Bei Todesfällen ebenso. Es werden sofort in der Umgebung des Wohnorts Todesanzeigen angeschlagen und in den Medien durchgesagt, wann die Beerdigung ist – oft noch am selben Tag, das Judentum beerdigt sofort, und dann kommt die Trauerwoche. Es wird sofort alles öffentlich gemacht, damit jeder, der will, zur Beerdigung kommen kann. Die Anteilnahme ist immer groß, sowohl  nach Unfällen als auch bei Armee-Zwischenfällen, alle kennen die Bilder der Betroffenen.

So war auch die Solidarität für die gekidnappten Soldaten immer groß. Mir fällt gerade nichts ein, was das deutsche Publikum emotional und mental so vereinigen würde wie hier die Sorge um die Soldaten und Soldatinnen.

Also, wenn veröffentlicht wird, daß es keine Verletzten und Toten gibt, dann gibt es auch keine. Und die Armee hat auch, als klar wurde, daß der Vorfall beendet ist, die Warnung aufgehoben. Kurze Zeit später fuhren hier wieder die Autos wie an einem normalen Tag, und draußen toben wieder Kinder.

Israelis sind normalerweise ein undisziplinierter Haufen. Bei Flügen nach Israel kramen die ersten Israelis schon über Zypern ihr Handgepäck aus den Klappen und zappeln in den Sitzen. In Schlangen wird geschubst und gezickt. Aber Anweisungen der Armee werden befolgt. Zuhause bleiben oder nicht – Schutzräume aufsuchen oder nicht – die vielen Übungen des Heimatfront-Kommandos tragen Früchte. Klar, es gibt immer die Abenteuerlustigen, die mit dem Handy filmen und sofort an die TV-Sender schicken, während im Hintergrund die Familie ruft: kommst du wohl in den Schutzraum! Aber insgesamt klappt das alles gut. Wir richten uns nach den Anweisungen der Armee, zu unserer eigenen Sicherheit. Wir sind lieber ein bißchen vorsichtiger, besonders Familien mit Kindern.

Jetzt ist also alles wieder normal, der kollektive Adrenalinspiegel ist wieder im normalen Bereich. (Vermutlich waren Leute in Tel Aviv auch weniger auf dem Sprung als wir hier, die betroffen sind).

Es bleibt zu hoffen, daß sich Nasrallahs Rache damit erledigt hat. Er frohlockt über Tote, die es nicht gegeben hat, und feiert seinen Sieg. Aber das tut er ja immer.

Ich wüßte gern, was Nicht-Hisbollah-Libanesen darüber denken, daß der Iran ihr Land als Sprungbrett für den Angriff gegen Israel mißbraucht. Wüßte gern, ob Hariri es fertigbringen könnte, mit internationaler Hilfe, Hisbollah unter Kontrolle zu bringen – obwohl es dafür bestimmt schon zu spät ist, das hätte in den 1980er Jahren geschehen müssen.

Hisbollah dürfte gar nicht so weit südlich sein, an der israelischen Grenze. Wir waren in den letzten Monaten öfter auf einem Berg, von dem aus man eine gute Aussicht in den Libanon hat – über den Ausflug schreibe ich später mal. Aber man sieht gut, wie Hisbollah sich dort festgesetzt hat und baut.

Wir müssen uns schützen, wir haben keine Wahl, wir haben kein Hinterland und eine kleine Armee, die sich keine Schwäche erlauben kann. Wir haben mit dem Iran einen Feind, der nicht zur Ruhe zu bringen ist, der kein Kriegsziel hat außer unserer Vernichtung. Unser einziges Kriegsziel ist, daß er seins nicht erreicht.

So sieht es aus.