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Im Norden Dezember 23, 2023, 10:53

Posted by Lila in Land und Leute.
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Es ist jetzt 14 Jahre her, daß wir aus dem Kibbuz weggegangen sind, aus vielerlei Gründen. Mein Mann ist dort aufgewachsen, sein Vater war das dritte Kind, das dort geboren wurde (auf seiner Geburtsurkunde steht Palestinian, denn er wurde vor der Staatsgründung geboren und das Wort war noch nicht von Arabern gekapert – es gab Palestinian Jews und Palestinian Arabs im britischen Mandat), und seine Großeltern haben den Kibbuz mitgegründet. Wir werden uns immer der Kibbuzbewegung zugehörig fühlen, ich habe viele Jahre an einer PH für Kibbuz-Erziehung unterrichtet (deren Bindung an die Kibbuzbewegung aber nicht mehr sehr stark ist), und mein Mann ist auf den ersten Blick als Kibbuznik erkennbar. Aber die ganze Privatisierung und die damit verbundene Schlacht am Büffet, aber auch ein interessanter neuer Job für Yaron im Norden, haben uns bewogen, wegzugehen, obwohl es für unsere Kinder anfangs nicht einfach war und auch für uns nicht.

Wenn man die Karte anguckt: unser alter Kibbuz liegt da, wo sich Carmel-Gebirge und Jezreel-Tal treffen. Das gilt zwar als Nordisrael, war uns aber nicht nördlich genug.

Der Norden hat uns gelockt, immer schon, und wir wollten näher ans Meer. Die Gegend um Nahariya herum war von Anfang an unser Ziel, West-Galiläa. Wir wollten auch mehr Platz für die Familie, im Kibbuz haben wir sehr beengt gelebt, obwohl uns das damals ganz normal vorkam. Wir sind von Ort zu Ort gefahren, haben uns Häuser angeguckt und mußten abwägen, wo es uns hinzieht. Jedes Jahr im Dezember erinnere ich mich wieder daran, und dieses Jahr ist die Erinnerung besonders kraß, denn alle Orte, die wir damals in Erwägung gezogen haben, sind jetzt evakuiert und keiner weiß, wann und ob überhaupt in absehbarer Zeit ein normales Leben dort möglich ist.

Ein Haus in Shlomit, einem Ortsteil von Shlomi, hat uns wegen seiner Aussicht aufs nahe Meer besonders gut gefallen. Insgesamt drei Wohnungen und Häuser in Shlomi haben wir in die nähere Auswahl gezogen, und ich mag den kleinen Ort sehr. Er liegt nah am Hang, der hier als Berg bezeichnet wird, auf dem oben die Grenze verläuft, ist schön grün und viele junge Familien ziehen dorthin.

(Ich bediene mich für diesen Eintrag großzügig an den Bildern, die in der Immobilien-Seite Yad2 gezeigt werden.)

Für uns sind Aussicht und frische Luft ausschlaggebend, und darum haben uns die großen Terrassen überall sehr gelockt. Aber irgendwas war immer verkehrt, und wir haben uns in ein Grundstück verliebt, das wir beinahe, beinahe gekauft hätten.

Das ist Kibbuz Chanita (Hanita), und die sogenannte „Erweiterung“, also eine Neubausiedlung, die man rechts oben wie eine kleine Blase erkennt, wurde damals gerade gebaut. Die Aussicht war wunderbar, direkt in den Libanon hinein, und es war wunderbar grün. Es tat uns leid, als das letztendlich auch nicht klappte, aber die Lage direkt an der Grenze hat uns keine Kopfschmerzen gemacht.

Ich habe damals geglaubt, und glaube es noch immer, daß Israelis überall in Israel wohnen können, aber leider nur stimmt das nur theoretisch. Praktisch nämlich sind sowohl Shlomi als auch Chanita längst geräumt, und eine Bekannte aus Chanita durfte nur noch einmal in ihr Haus (ebenfalls mit toller Aussicht auf den Libanon), um ihre Winterklamotten zu holen. Ihr Mann ist in Chanita geboren, aber ob sie je in den Kibbuz zurückkehren und sich dort sicher fühlen können, ist noch die Frage.

Ein bißchen weiter landeinwärts als Chanita, aber ebenfalls auf der Hügelkette, auf der die Grenze verläuft, ist Idmit (Adamit geschrieben, aber Idmit ausgesprochen, fragt mich nicht warum). Auch dort wurde eine „Erweiterung“ (harchava) gebaut, also auf Kibbuz-Land, aber die Grundstücke und Häuser werden an Nicht-Kibbuzniks vermietet oder verkauft. Atemberaubende Aussicht in beide Richtungen (Israel und Libanon), sehr hoch für israelische Verhältnisse, wunderbare Luft, aber für uns zu weit vom Meer weg und die Häuser waren eine Nummer zu bombastisch für uns. Und Idmit ist wirklich am Ende der Welt, ich wäre selbst nach Nahariya ewig lange unterwegs gewesen, und der Schulweg wäre für die Mädchen, die damals beide noch zur Schule gingen, zu weit gewesen.

Wir haben uns dann das Haus, in dem wir jetzt leben, angesehen, das damals noch im Bau war, und uns sofort verliebt. Ich fand zwar in meinem patriotischen Eifer, daß es ein bißchen zu weit weg von der Grenze war, denn schon im Libanonkrieg II im Jahr 2006 hatte ich mich innerlich entschlossen, irgendwann ganz nah an die Grenze zu ziehen. Nicht nur weil es dort so schön ist, sondern auch, weil Israel bis an seine Grenzen reicht und wir uns nicht einschüchtern lassen.

Manot liegt auch sehr schön. Die ganze Gegend hier besteht aus Wadis, die sich in west-östlicher Richtung zum Meer hin erstrecken, und Hügelketten, die diese Wadis trennen, und die zum Meer hin flach abfallen.

Manot sitzt auf so einer kleinen Erhebung, und die ältere, nördliche Seite des Moshav (einer Art Gemeinschaftssiedlung, die aber im Falle von Manot eine reine Formalität ist, weil hier kaum noch Landwirtschaft betrieben wird) blickt auf die Grenze. Wir wohnen im südlicheren Ortsteil und haben eine sehr schöne Aussicht auf die Bucht von Haifa und das Carmelgebirge. (Okay, Gebirge.)

Nach ein paar Jahren in Manot wurde uns das Haus zu klein, und wir zogen für vier Jahre nach Gornot HaGalil, von allen nur Granot genannt, in ein deutlich größeres Haus. (Nach diesen vier Jahren und als beide Söhne endgültig aus dem Haus waren, sind wir dann wieder zurück nach Manot gezogen.)

Granot ist das kleine Sternchen westlich von Goren, dessen Ableger es ist. Auf der Karte sieht man auch Fassuta und Miiliya, die christlichen Dörfer, es ist wirklich eine sehr schöne Gegend. Auch Granot ist geräumt, und Quartas beste Freundin, die neben uns gewohnt und deren Mutter ein sehr hübsches kleines Boutiquehotel aufgebaut hat, traut sich nicht mehr dort hin. Für den Fall, daß es mal wieder friedlich wird und ihr eine Verwöhn-Unterkunft sucht, habe ich den Link dazu gesetzt.

Das war die Aussicht von unserem kleinen Balkon, der sehr gemütlich war. Nach hinten hatten wir einen schönen Garten und eine Terrasse.

Wenn ich mir also angucke, wo wir überall fast-gewohnt oder wirklich-gewohnt haben, dann ist Manot wirklich ein Glücksfall. Das Leben hier fühlt sich zwar im Moment reichlich kriegszonenmäßig an, aber eigentlich können wir uns nicht beschweren. Wir haben die Wahl, ob wir uns selbst evakuieren oder bleiben (bleiben!), und die 5 km, die zwischen uns und der Grenze liegen, machen einen gewaltigen Unterschied aus.

Was soll aus Chanita, Idmit, Granot und Shlomi werden? Ganz zu schweigen von den Orten im sogenannten Finger von Galiläa, der in den Libanon hineinragt und der komplett unbewohnbar ist und immer wieder beschossen wird, viel mehr als wir hier.

(Bildquelle hier)

Vor ein paar Jahren waren wir im idyllischen Metulla – der Ort ist unbewohnbar geworden. Der Garten der Freunde, die wir dort besucht haben, war von allen Seiten vom Libanon einsehbar.

Das Bild habe ich 2016 gemacht, so nah lebten die Menschen in Metulla an der Grenze.

Der Krieg, der nötig wäre, um diesen schönen Garten mit Trampolin für die Kinder der Familie wieder bewohnbar zu machen (denn diplomatische Lösungen sind mit der Hisbollah schlicht nicht machbar, siehe Resolution 1701), müßte ein Weltkrieg sein, denn Hisbollah wird von der Achse Iran-Rußland gestützt. Da müßte ein Bündnis her, aber Israel war noch nie Teil eines Bündnisses und wir sind daran auch nicht interessiert.

Allein die Vorstellung, daß sich Iran und USA in Metulla Gefechte liefern… wir würden zu einem globalen Kriegsschauplatz und IDF zu einem Befehlsempfänger der USA ohne eigene Handlungsbefugnis.

Aber wie es für Galiläa weitergehen soll, weiß keiner.

Update ein paar Stunden später:

Das war heute in Shlomi. https://twitter.com/i/status/1738574532439359491 Obwohl es gar nicht so nah ist, haben hier die Fensterscheiben gescheppert, und ich bin sofort an den Laptop geeilt, um zu gucken, ob hier irgendwo Alarm ist. Und es war Alarm in Shlomi und Betzet (wo meine Jüngste die Grundschule besucht hat). Shabat shalom.

Beschäftigt Dezember 22, 2023, 8:18

Posted by Lila in Uncategorized.
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Vieles geht mir im Kopf rum, das ich gern hinschreiben würde, aber im Moment ist gerade eine Welle der Geschäftigkeit angerollt, und der Tag ist zu kurz für alles, was ich tun muß oder möchte.

Danke danke danke an alle, die mitlesen und mir damit helfen, die eigenen Gedanken zu sortieren. Ich habe auch viele private Unterhaltungen, bei denen ich denke: das müßte ich eigentlich bloggen. Vieles wandert dann erstmal halbgar in den drafts folder. Sollte ich am Wochenende etwas Zeit haben, werde ich dann mal abstauben, was sich da angesammelt hat.

Aber es tut mir gut, daß ich wieder mehr zu tun habe. Am 6.10. war mein letzter Tag im Kindergarten, bis dahin hatte ich monatelang Arbeitstage von 6.45 (Kindergartentag fängt an) bis 16.00 (Kindergarten macht zu), und dann von 16.30 bis 22.00 (Sprachschule). Einmal die Woche war FH statt Kindergarten. Freitags war der Kindergarten nur bis 12.30 offen, also weder Mittagessen noch Mittagsschlaf, aber eben trotzdem kein freier Tag. Das war mir in meinem würdigen Alter zu viel, aber verzichten wollte ich auf nichts und habe die Entscheidung über Monate rausgezögert. Schließlich war klar, daß ich im Kindergarten zwar sehr viel Spaß habe, aber ich nicht wirklich selbst einen Kindergarten übernehmen möchte und mein eigentliches Forte nun mal das Unterrichten ist. Darum habe ich schweren Herzens gekündigt, aber die Option offengehalten, daß ich freitags zu Besuch kommen und mit den Kindern eine Kunst-Aktivität machen kann.

Der 6.10. war ein Freitag, wir haben mit den Kindern Kabbalat Shabat gemacht, also gesungen und Challah gegessen und Kerzen angezündet…. und dann ging ich mit Geschenken bepackt zurück nach Hause mit einem Gefühl der Leere, aber auch voller Pläne. Nächste Woche, dachte ich, sortiere ich meine Woche neu, nächste Woche… aber vorher ein ruhiger Shabat.

Dieser Shabat ist schon morgens um 6.32 mit Quartas Anruf zerbrochen, und schon abends war klar, daß der Kindergarten geschlossen wird, der ganze Kibbuz wurde schnell evakuiert und mehrere Kolleginnen aus Nahariya zogen ebenfalls weiter südlich.

Mit einem Mal war meine gesamte Woche weg. Mit dem Schock über den 7.10., der nicht abgeklungen ist, mit der anfänglichen Angst vor einer Eskalation an allen Fronten gleichzeitig, mit der Sorge um die Zukunft, um die Kinder, um die Freunde, war es schwer, keine Ablenkung mehr zu haben.

Jetzt ist eine Art neuer Routine entstanden. Ich bin dankbar dafür, denn Arbeit hilft. Menschen treffen, sich austauschen, aus dem Haus gehen, das alles hilft. Wenn ich Familien aus dem Kindergarten treffe, erzählen mir die Mütter, wo die Kinder jetzt in den Kindergarten gehen, in Kibbuzim weiter südlich, in der Gegend von Akko. Manche sind schon wieder zurückgekehrt in den Norden, alle arrangieren sich mit der neuen Situation. Aber ich denke an die alte Routine, und ich trauere um die alten Gewißheiten.

Die Gedanken an die Toten, an die Soldaten und ihre Familien, an die Geiseln und ihre Familien, an die Evakuierten und die Menschen, die ihr Zuhause verloren haben – begleiten mich täglich, den ganzen Tag.

Befreit, doch nicht frei Dezember 6, 2023, 22:03

Posted by Lila in Land und Leute.
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Eigentlich sehe ich ja sonst sehr wenig fern, aber seit dem 7.10. habe ich immer die Nachrichten im Hintergrund offen, und oft denke ich mir: wie schade, daß die Reportagen nicht untertitelt werden und niemand außer uns sie je sehen wird.

Vorhin war ein Bericht über die Vorbereitungen in den Krankenhäusern, die die freigepreßten Geiseln in Empfang nahmen. Ein Team von Psychologen und medizinischen Fachleuten richtete einen getrennten Bereich ein, mit Zimmern für alle Freigelassenen. Die Familien durften diese Zimmer vorher einrichten – mit Bettzeug von zuhause, geliebten Spielsachen und Gegenständen, die das Zimmer freundlicher und persönlicher machten.

Auch Haustiere durften mitgebracht werden. Der Hund Rodney, den alle Fernsehzuschauer von den Bildern kennt, als er nach dem Massaker und der Entführung seiner Menschenfamilie auf den Betten der Kinder lag und nicht zu bewegen war, konnte die Kinder begrüßen. Die kleine Hündin Bella, die mit Mia Laimberg die Geiselhaft überstand, wurde von einem Tierarzt behandelt und bekam Spezialfutter.

In der Station war es leise und gedämpft, weil klar war, daß die Geiseln jetzt nicht mit Trubel, Freudenstürmen und vielen Menschen konfrontiert werden durften. Die Kinder wisperten zu Anfang nur, sie waren bedroht worden, nur ja keinen Lärm zu machen. Es dauerte, bis sie wieder ihre Stimmen fanden.

Alle kamen mit Untergewicht wieder, sie hatten in der Haft nur ein bißchen Reis und Pita bekommen. Die Kinder waren verschmutzt und voller Läuse, einige der Erwachsenen waren verletzt und die älteren und kranken Geiseln hatten keinerlei Medikamente erhalten. Das Rote Kreuz hat nichts für sie getan, sie haben sie nur zur Grenze gefahren. Inzwischen wissen wir mehr darüber, was sie noch alles mitgemacht haben, doch darüber kann ich nicht schreiben, die Hand will sich nicht bewegen, um das hinzuschreiben.

Zu Anfang konnten viele der Kinder nicht glauben, und auch einige der Erwachsenen, daß es Israel überhaupt noch gibt, daß jemand von ihnen weiß, daß das ganze Land auf den Beinen war für sie. Die Terroristen hatten ihnen erzählt, daß es Israel nicht mehr gibt und daß es keinen kümmert, ob sie in Gefangenschaft sterben oder leben. Eine Psychologin erklärte, wie brutal die psychologische Folter für die Geiseln war, weil sie von aller Welt abgeschnitten waren, den Worten der Terroristen nichts entgegensetzen konnten und nicht wußten, was sie erwartet. Sie wurden ständig bewacht und bedroht, viele der älteren Geiseln wurden allein und im Dunkeln gehalten, und sie müssen sich gefühlt haben wie auf Ewigkeiten in der Hölle.

Für alle befreiten Geiseln ist der Weg noch lang, und sie können sich nicht wirklich freuen, weil sie alle entweder noch Angehörige in den Tunneln der Hamas haben und wissen, wie unmenschlich die Zustände dort sind. Andere mußten entdecken, daß sie Eltern, Geschwister oder Freunde verloren haben, oft auch ales zusammen: Vater Geisel, Mutter ermordet, Freunde schon lange begraben. Viele haben ihr Zuhause verloren, alle ihre Besitztümer, ihre Haustiere wurden erschossen und ihre Heimat verwüstet.

Hanna Katzir, die ältere Frau, die erst von Hamas für tot erklärt wurde und dann freigelassen wurde, war einige Tage im Krankenhaus und wurde dann unter Applaus der Mitarbeiter entlassen. Sie liegt inzwischen wieder auf der Intensivstation. Ihr Herz hat die Unterernährung nicht ausgehalten, obwohl sie mit gesundem Herzen verschleppt wurde.

Ich bewundere die Teams, die mit diesen schwer traumatisierten Menschen weiter arbeiten werden. Die Jugendlichen scheinen es, oberflächlich betrachtet, relativ gut wegzustecken. Sie sind schon wieder mit Freunden unterwegs, machen Tiktokvideos und wollen sich nicht unterkriegen lassen. Sie lassen niemanden wirklich an sich heran und werden in dieser kritischen Phase ihres Lebens besonders schwer mit dem Kontrollverlust und der versuchten Vernichtung ihrer Identität kämpfen.

Kleine Kinder wurden teilweise von den Müttern getrennt. Was die Mutter der dreijährigen Zwillinge Yuli und Emma durchmachen mußte, als ihr eines der Mädchen genommen wurde und sie es nur aus der Ferne weinen hörte, drei lange Tage lang, ist unvorstellbar. Beide Mädchen lassen die Mutter jetzt nicht aus der Nähe, und ob sie das Erlebte je verkraften werden, weiß keiner.

Noch sind viele Geiseln in Händen der Hamas. Während ich hier in meinem Schutzraum sitze, umgeben von Katzen, Büchern und dem Wissen, daß meine geliebten Menschen mit einem Whatsapp erreichbar sind und alle gut gegessen haben, geduscht und gearbeitet, sitzen andere in einer Hölle fest, die nicht vorstellbar ist. Die Terroristen der Hamas haben am 7.10. genossen und zelebriert, was sie taten, und ihr Sadismus hat sich nicht auf einmal verflüchtigt. Sie genießen ihre Macht über die Geiseln und nutzen sie voll aus.

Die Regierung hat sich den Familien der Geiseln gegenüber nicht sehr nobel verhalten. Sie haben sie auf Treffen warten lassen, teilweise haben sie sie regelrecht abgebürstet und ein Knesset-Abgeordneter hat vor ein paar Wochen, vor den Freilassungen, die Familien angeschrien, das war furchtbar.

Die offizielle Linie lautet: nur der militärischen Schlagkraft der IDF ist es zu verdanken, daß Hamas überhaupt zu Zugeständnissen bereit war. (Wollen wir auch bitte nicht vergessen, daß für jede befreite Geisel drei Terroristen freigelassen wurden, soo groß war also das Zugeständnis nicht). Es stimmt, internatonaler Druck hätte auch geholfen, aber der kam ja bekanntlich nicht. Also IDF hat die Hamas in die Ecke gedrängt, und es stimmt, daß vor Beginn der Verhandlungen die Hamas alles getan hat, um eine Feuerpause zu erreichen (dafür gab es dann auch ordentlich internationalen Druck – der funktioniert für Palästinenser immer besser als für Israelis, fragt mich nicht warum). Die Hamas brauchte diese Woche Feuerpause.

Es hat also eine gewisse Logik, wenn die Regierung sagt: erst wenn wir Hamas wirklich geschlagen haben, werden sie bereit sein, die Geiseln aufzugeben. Aber dieser Gedankengang hat mehrere Haken. Erstens bedeutet er unvorstellbare Qualen für die Männer, Frauen und Kinder in Händen der Hamas. Und zweitens wissen wir, daß Hamas sie lieber ermorden wird als sie freizulassen. Wenn Hamas begreift, daß sie keine Terroristen mehr mit ihnen freipressen können, werden sie nicht lange fackeln.

Jeder in Israel fürchtet, daß das schon geschehen ist. Daß die Familie Bibas zum Beispiel tot ist, wie Hamas auch bekanntgegeben hat. Auf das Wort der Hamas ist nie Verlaß, siehe Hanna Katzir, aber es ist möglich, daß die Hamas die junge Mutter und ihre zwei kleinen gingis ermordert hat.

Außerdem ist es kaum vorstellbar, daß bei dem Schlagabtausch zwischen IDF und Hamas keine Geiseln verletzt oder auch getötet werden.

Zu den unklar definierten Kriegszielen möchte ich jetzt nichts sagen, ich denke an die Geiseln.

Diese Woche der Freilassungen war wie aus der Realität gefallen. Bangen, Aufregung, heftiger Zorn auf die Hamas, die mit ihren Verzögerungen, Regelverstößen und Manipulationen die Familien der Geiseln und uns alle noch mal so richtig in die Mangel genommen hat, aber auch Freude und Dankbarkeit, als wir die Kinder erkannten, als die Familien sich umarmten. Ella, Dafna, Avigail, Emily, wir kennen sie alle bei Namen und ich glaube, überall wurden diese Namen ausgerufen, als wir sie im Fernsehen erkannten.

Ziemlich zu Anfang der ganzen Leidensgeschichte habe ich mal ein Interview mit der kleinen Schwester eines Verschleppten gehört – er wird als junger Mann wohl erst ganz zuletzt, wenn überhaupt je, freikommen. Sie sagte, daß sie sich an einem inneren Bild festhält – daß sie die Geiseln auf sich zulaufen sieht, aus dem Dunkeln ins helle Licht. Viele sind nun schon zurück, nicht ins volle Licht eines glücklichen Lebens, sondern in zerbrochene Leben, die nie wieder ganz heil werden können. In einen Dämmerzustand, in dem sie noch auf die verschleppten Enkel, Brüder, Väter und Freundinnen warten müssen. Aber ich halte mich trotzdem weiter an dem Bild fest und will sie alle, alle ans Licht kommen sehen.

Heute ist der erste Abend von Chanukka, die erste Kerze wird angezündet, und alle Lieder handeln vom Kampf des Lichts gegen die Dunkelheit. Hoffentlich setzt sich das Licht bald, bald durch. Naama, Agam, Omer und Zachi haben keine Zeit. Ich hoffe immer noch, daß IDF sie befreien kann, und daß das bald geschieht.

Von Zerstörung und Aufbau Dezember 3, 2023, 23:26

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Es kann mich nicht freuen, wie es jetzt im Gazastreifen aussieht und noch aussehen wird. Ich gebe es zu, ich war genau wie fast ganz Israel in dem seligen Irrtum befangen, ein besseres Leben würde aus den Bewohnern dort friedlichere Menschen machen. Und wenn es hieß, „die Hamas ist nicht unser Problem, unser Problem sind der Jihad und andere Gruppen, aber Hamas übernimmt langsam Verantwortung für die Menschen und ist mehr an Arbeitsgenehmigungen als an Terror interessiert“ – dann habe ich das gern geglaubt. Weil ich es glauben wollte.

Ich habe zwar das krasse Wohlstandsgefälle im Gazastreifen kritisch gesehen, aber trotzdem gehofft, daß sich das irgendwann mal osmotisch verteilt und zu einem guten Leben für die Allermeisten entwickelt. Wie es in so vielen Gesellschaften passiert ist. Heute komme ich mir mit diesem Glauben vor wie der größte Idiot der Welt, aber bis zum 6.10. hätten die meisten Israelis gesagt: ja, so sieht es aus. Weil wir an das Gute im Menschen glauben wollen.

Wäre ich nun konsequent, dürfte ich mich nicht über andere ärgern, die ihre eigenen Wünsche und Ambitionen (Friede, Freude, Gerechtigkeit) den Palästinensern unterstellen und mir in den Ohren liegen damit, daß der ganze Terror nur aus Sehnsucht nach 2staatenlösung stattfindet. So doof war ich nun doch wieder nicht, und ich habe schon begriffen, wie brutal und vernichtend der Terror ist. Ich habe ihn ja nun oft genug gesehen, eine endlose Kette blutiger, verstörender Vorfälle, und ich weiß auch, daß hier jede Woche Dutzende Anschläge vereitelt werden. Ihr hört ja nur von einem Bruchteil der Dinge, die wir kennen. Es ist keine Meldung wert, und wenn, dann unter der Überschrift „Israel greift an“.

Aber ich hätte immer gern einen zufriedenen, friedlichen Nachbarn im Süden gesehen. Einen Nachbarn, der endlich seinen Haß vergißt und hinter sich lässt, in zehn, zwanzig Jahren vielleicht?, und endlich in Gaza wirklich ankommt, ohne Illusionen auf eine Rückkehr in ein Land, das sie seit Generationen nicht mehr kennen.

Einen Nachbarn, der Tourismus für sich entdeckt, vielleicht High-Tech, intelligente Landwirtschaft, so daß das gute Leben für viele möglich wird. #TheGazaYouDontSee war deswegen so ein guter Hashtag, weil er einerseits die Idiotie der Leute aufzeigte, die wirklich glaubten, Gaza sieht aus wie ein einziger Trümmerhaufen. Gaza sah ähnlich aus wie Städte in Israel.

Aber andererseits waren es einfach sehr fröhliche Clips. Die Leute in den Clips, besonders die Kinder, hatten Spaß. Beim Einkaufen, beim Spielen. Die jungen Leute hatten Spaß, wenn sie mit ihren schicken Autos die Straße am Meer entlanggebrettert sind.

Vor fast zehn Jahren liefen alle möglichen Variationen von „Happy“ durchs Netz, und als ich es mir jetzt noch einmal angeguckt habe, habe ich gestaunt, an wie viele Gesichter ich mich noch erinnere. Das sind keine Bilder aus richtig dickem Wohlstand so wie bei #TheGazaYouDontSee, aber fröhliche Gesichter. Und ich sehe solche Gesichter jeden Tag im Bus und auf der Straße. Das sind keine Fremden.

Und das gönne ich jedem, Spaß und alltägliche Freuden und tanzen und lachen… Die ganzen idiotischen Vorwürfe, mit denen mich Trolle auf Twitter ständig überziehen, ich würde Völkermord o.ä. gutheißen, sind voll daneben. Das ist den Trollen natürlich egal, und für die schreibe ich auch nicht. Sie schreiben das einfach bei allen hin, die ihnen pro-israelisch vorkommen. Während palästinensische Politiker uns auf allen Kanälen den Genozid androhen, klagen ihre Sympathisanten, Israel würde Genozid an ihnen vollziehen. Klassische Projektion.

Welcher vernünftige Israeli, und ich kenne eigentlich nur solche, würde nicht lieber in Frieden mit seinen Nachbarn leben, als in Sorge zu leben, daß dort ein haßerfülltes Regime jederzeit noch einmal eine Leute über die Grenze schickt, um zu morden? Welches Interesse hätten wir daran, einen Konflikt zu schüren, der sowieso schon viel zu lange dauert?

Wen freut es, wenn Häuser, in denen Familien gelebt haben, zerstört werden? Natürlich bin ich erleichtert, wenn die Waffenlager unschädlich gemacht werden, und ich glaube auch nicht, daß die Bevölkerung von Gaza davon nichts gewußt hat. Der Vater, der seiner Tochter Waffen unter die Matratze geschoben hat, wußte, was er tat. Trotzdem tut es mir um das Mädchen leid, das von seiner Umgebung nur als Schutzschild mißbraucht wird, und an dessen wahre Interessen niemand denkt.

Dieses Kind hat ein Recht auf ein Zuhause ohne Waffen, ohne Bedrohung, die von seinen Angehörigen heraufbeschworen wird, die sich nicht abfinden will mit dem Lebensrecht eines legal gegründeten, demokratischen, wehrhaften aber friedensliebenden Nachbarstaats.

Und wenn ich die zerstörten Häuser sehe, weiß ich, daß sie aus gutem Grund beschossen wurden, denke aber trotzdem: wie schön wäre es, wenn das einfach nur Wohnhäuser wären, von Familien, die sich ihren Wohlstand erarbeitet haben und ihn nun zusammen genießen. Und ich wünsche mir so, Gaza hätte nicht die Hamas gewählt, hätte nicht den Weg von Unversöhnlichkeit und Haß und Terror gewählt.

Ich sehe den Happy-Clip an und frage mich, wo die tanzenden Kinder jetzt sind, und die Studentin mit dem offenen Haar, und die tanzenden jungen Männer. Und ich kann nicht anders als mich zu fragen – waren sie beteiligt am 7.10.? Fanden sie es gut? Haben sie auf die Toten gespuckt? Aber auch: sind sie vielleicht innerlich wütend auf die Hamas? wurden sie von Hamas verfolgt und eingeschüchtert, weil sie nicht angepaßt genug waren, und halten darum den Mund? Sitzen sie jetzt auf den Trümmern ihrer Existenz, und wenn ein Al-Jazeera-Korrespondent ankommt und sie interviewen will, reden sie sich den Frust von der Seele – was der Korrespondent natürlich abwürgen muß.

Nein, ich sehe nicht gern Zerstörung, nicht von Häusern, nicht von Leben. Das alles hat Hamas über uns gebracht, aber auch über ihre eigenen Bürger. Kaltschnäuzig erklären die Hamas-Anführer, daß sie es jederzeit wieder tun würden, jederzeit wieder israelische Bürger abschlachten wollen, und damit Krieg und Zerstörung über ihre eigenen Bürger bringen werden.

Auf die Frage, warum sie nicht für Infrastruktur und Ernährung ihrer Bürger sorgen, sie sind ja schließlich die Regierung, erwidern sie, daß sie dafür nicht verantwortlich sind. Das hat die UN zu verantworten.

Gleichzeitig stehlen sie von den Gütern, die Israel durchläßt, die UNRWA, die EU, die USA und andere spenden. Je mehr Elend im Gazastreifen, desto besser für sie. Sie wissen, daß die öffentliche Meinung allein Israel dafür verantwortlich erklärt.

Zerstörung wohin man sieht. Eine zerstörte, verhetzte Jugend, die im Kindergarten Geiselnahmen drillt, statt mit Klötzchen und kinetischem Sand zu spielen.

Ich sehe keinen Ausweg. Die Zerstörung wird weitergehen. Israel hat daran kein Interesse. Unser Interesse ist eine friedliche, blühende Nachbarschaft, die sich endlich auf die wichtigen Dinge im Leben konzentrieren kann. Landwirtschaft, Umweltschutz, Erziehung, Gesundheitswesen, Artenschutz, Wasseraufbereitung, aber auch Literatur, Tanz, Kunst, Forschung und der schlichte Genuß des alltäglichen Lebens.

Ich persönlich sehe mit Grausen, wie die Zerstörung immer weiter geht und alles mit sich reißt.