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Nun doch Mai 31, 2020, 19:23

Posted by Lila in Land und Leute.
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Leider höre ich doch wieder Nachrichten – eine zweite Corona-Welle kündigt sich an, und zwar in pädagogischen Einrichtungen, also geht es mich an und ich möchte wissen, wie die Anweisungen entstehen, die wir jeden Tag umsetzen. Bisher betrifft es überwiegend Jerusalem, Tel Aviv und den Süden – aber man weiß nicht, ob nicht auch im Norden Schüler und Lehrer sich anstecken

Und leider steigt mir sofort der Blutdruck bei den politischen Nachrichten. Die gigantisch aufgeblasene Regierung mit ihren Fantasie-Ministerien hat beschlossen, das Budget besonders des Sozialministeriums zu kürzen, damit sie Geld für diese komplett überflüssigen neuen Ministerien hat. Sprich: Arbeitslose, sozial schwache Familien und Rentner bezahlen für diese komplett lächerlichen neuen Minister. Ich spüre den Zorn in Wellen. Itzik Shmuli und Miri Regev sprachen sich zwar wortreich dagegen aus – stimmten dann aber doch dafür.

Ich muß das wieder ausmachen, ich kann einfach nicht glauben, daß aus diesen endlosen Verhandlungen eine solche Albtraum-Regierung entstanden ist. Überall, nicht nur in Nahariya, gehen die kleinen Geschäfte pleite, doch kein Geld ist übrig für ihre Rettung – das muß die Ministersessel für Orly Levy und Yariv Levin zahlen. Guckt Euch die Liste selbst an. Besonders ärgerlich „Minister ohne Portfolio“ und die vielen Vize-Minister. All diese Leute verdienen für den Rest ihres Lebens gut und kriegen dicke Pensionen. An jedem Ministerium hängen Mitarbeiter, Reisebudget etc. Es kostet Millionen von Shekeln.

Nein, ich komme nicht darüber hinweg. Benny Gantz ist eine Nulpe. Wie können er und seine Leute das mitmachen? War das wirklich der einzige Weg, eine Regierung zu bilden?

Was ich dazu sage? Mai 30, 2020, 8:54

Posted by Lila in Kibbutz, Kinder, Katzen.
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Wie, was, irgendwas mit Bibi? Regierung? Trump? Weiß ich nichts von. Ich habe, als die Regierungsbildung feststand, einerseits tief durchgeatmet, denn endlich haben wir eine funktionierende Regierung, und ohne ging schon nichts mehr. Dann habe ich noch einmal tief durchgeatmet, als ich gesehen habe, wie viele Operetten-Ministerien errichtet werden, um politische Trostpflaster zu verteilen, das alles auf Kosten der ohnehin schon überlasteten Steuerzahler, und zwar auf Jahrzehnte. Eine gigantische Regierung mit 36 Ministern! und das in Zeiten, wo kleine Geschäfte und auch größere Unternehmen pleite gehen und viele Arbeitnehmer arbeitslos sind.

Nach diesen Atemzügen habe ich das Gesicht abgewandt und endlich auf Quarta gehört. „Mama, keine Nachrichten mehr, du ärgerst dich bloß, und machen kannst du sowieso nichts“. Also bin ich mal wieder im Nachrichten-Moratorium, hüte mich vor Webseiten, Radio und Fernsehen, und ach, das tut eigentlich sehr gut.

So gut, daß ich letzte Nacht einen kleinen Albtraum habe, nämlich daß ich bei deutschen Freunden bin und höre, wie die in der Küche über Israel herziehen. „Wenn Israel mal einen kranken Palästinenser zu fassen kriegt, hängen sie ihn zur Warnung aus dem Krankenhausfenster, sie würden nie einen behandeln…“ und solche Sachen. Irgendwann bin ich wie eine Hornisse in diese Küche geschwirrt und wollte meine „Lügen! Lügen! alles Lügen!“ sagen. Dann fiel mir auf, daß es nur ein Traum war, und es war mir im Traum sehr peinlich, daß ich auf einen Traum reingefallen bin, und habe mich entschuldigt. Aber noch beim Aufwachen war ich etwas grimmig. Ich weiß nicht, was so ein Traum nach dem Traumbuch bedeuten würde, vermutlich irgendwas noch Peinlicheres.

Also werde ich mich demnächst mal nur meinem im Moment sehr ausgefüllten Privatleben widmen. Zwei Wochen Arbeit im Kindergarten habe ich schon hinter mir, die Abläufe sind mir klar, die Regeln auch, und ich kenne inzwischen alle Mitarbeiterinnen. Wir sind ein großes Team, jeden Tag ist die Zusammensetzung anders, was auch daran liegt, daß jede einen anderen Tag als freien Tag wählt (da wir freitags auch arbeiten – der Kindergarten hat die 6-Tage-Woche, alle Mitarbeiterinnen aber nur eine 5-Tage-Woche).  Mein freier Tag ist nicht frei, da ich online unterrichte und schon die Stunde für nächste Woche vorbereite, außerdem unser vernachlässigtes Heim ein bißchen beputze und entstaube. Oh, und die Katzen entschädige, für viele einsam verbrachte Stunden. Eine Vielzahl von Kuhlen in Kissen und Decken zeigt, daß sie sich von Plätzchen zu Plätzchen schlafen.

Am Sonntag werden die beiden Kindergruppen vereinigt, und der Kindergarten, der bisher in zwei Teile geteilt war, wieder so aufgeteilt wie früher. Für mich also alles neu. Insgesamt spürt man in ganz Israel, daß die Leute das Gefühl haben, Corona liegt hinter uns, und so schlimm war es doch eigentlich gar nicht. Ob es nun die Maßnahmen waren, die dazu geführt haben, daß die berühmte Kurve tatsächlich relativ flach blieb, oder ob sowieso nichts passiert wäre, weiß man nicht. Ob nun die gefürchtete zweite Welle kommt, weiß ich nicht – trotz Nachrichten-Boykotts werde ich wohl mitbekommen, wenn tatsächlich die Zahlen wieder hochgehen und die Einschränkungen wiederkommen.

Ich lese auf dem Weg zum und von der Arbeit auf dem lieben Kindlechen viele feine Dinge, das sind meine Erholungszeiten, obwohl in den Bussen immer noch die vordersten Sitze gesperrt sind und alle Mundschutz tragen müssen. Wir hatten eine üble Hitzewelle, da war der Mundschutz wirklich eine Qual und ich hätte in Alco-Gel baden mögen, um mich abzukühlen. Aber jetzt ist es wieder ganz angenehm, nachts sogar etwas kühl, wie herrlich. Natürlich ist das Grün am Wegesrand längst gelb und grau, das Austrocknen der Erde hat angefangen, und obwohl offiziell noch Frühling ist, fühlt es sich an wie Sommer.

Ab morgen werden hoffentlich auch wieder Ausflüge gemacht, dann kann ich mit den Kindern den Kibbuz erkunden, von dem ich bisher nicht viel kenne. Die Kinder sind wunderbar, und wenn ich ihnen zuhöre, spüre ich so richtig, wie ich Kinder in meinem Leben vermißt habe. Ich hoffe, mein Rücken hält durch – aber auch die jungen Kolleginnen sagen, sie haben Rückenschmerzen.

Die Kolleginnen sind übrigens größtenteils nicht vom Kibbuz selbst, nur eine ist eingeheiratet. Nur die Sonderpädagogin, die zweimal die Woche kommt, ist so richtig Kibbuznikit von Geburt an, und sie kommt aus einem Kibbuz, den ich gut kenne, aus derselben Kibbuzbewegung. Ich habe also die „und was ist mit Ron und Arielle, sind die noch in den USA?“-Gespräche nur mit ihr, ihre Eltern kennen meine Schwiegereltern und ihre Großeltern haben mit Y.s Großeltern in der Fabrik gearbeitet, als die gerade gegründet wurde.

Wenn es nur eine Person ist, mit der man so viele Verbindungen aufspüren kann, ist das nett und interessant – aber als ich noch in unserem alten Kibbuz gelebt habe, war es manchmal schon etwas überwältigend, daß jeder Mensch Y. und seine Familie drei Generationen weiter kannte. Manche alten Chaverim waren mit Y.s Oma in Deutschland zur Schule gegangen, da waren dann die Urgroßeltern schon befreundet. Interessant, ja, und auch oft komisch. Ich erinnere mich noch, als Primus ganz klein war und mal furchtbar schrie in seinem agalool-Kinderwagen*. „Ganz der Opa“, meinte eine ältere Frau etwas spitz, als sie vorbeikam. Ja, mein Schwiegervater war auch ein Schreikind, Y. dagegen gar nicht. Das habe ich aus sehr vielen sicheren Quellen erfahren.

In dem Kibbuz, wo ich jetzt arbeite, sind keine Kinder „von draußen“, also alle Eltern (die mir wie große Kinder vorkommen…. viele sind in Primus´ Altersgruppe) sind Kibbuzniks und kennen sich wohl auch sehr gut. Die Eltern dürfen nicht in den Kindergarten, wegen Corona, sie warten also draußen auf ihre Kinder, stehen dort in Gruppen mit größeren Kindern auf Fahrrädern und Kinderwagen. Das ist diese 16-Uhr-im-Kibbuz-Atmosphäre, die ich immer genossen  habe. Der Höhepunkt des Tages – die Familien sind wieder zusammen. Vielleicht müssen manche Eltern später noch eine Runde arbeiten, aber alle bemühen sich, zu diesem Zeitpunkt am Kinderhaus zu sein. Kibbuz-Leben hat zwei Mittelpunkte: die Arbeit und die Kinder. Ich bin froh, daß ich diesen Arbeitsplatz gefunden habe.

 

 

*  Zu diesen Kinderwagen: ich kenne die Gründer von Baby Space seit vielen Jahren, sie sind aus Kibbuz Bet HaShitta. In allen Kibbuzim wurden und werden solche Kinderwagen hergestellt, die eine Mischung aus Ställchen (lool) und Wagen (agala) sind. Kleine Kinder liegen drin, große Kinder stehen, und man kann problemlos mehrere Kinder transportieren. In Kibbuzim macht das Babyhaus seine Ausflüge mit solchen Wagen. Die Kinder haben Aussicht in alle Richtungen. In der Stadt nicht praktisch, aber für ländliche oder eben Kibbuz-Familien ideal.

Ich hatte für Primus und Secundus normale agalool-Wagen aus dem Fundus des Kibbuz. Zur Geburt von Tertia schenkten uns die Freunde aus Bet HaShitta einen selbstgebauten – damals hatten sie die Firma noch nicht gegründet, bauten aber schon selbst solche Wagen. Es war ein knallroter, absolut genialer Wagen, der sich leicht steuern ließ. Wir haben ihn geliebt. Quarta hat ihn auch noch benutzt, danach meine Schwägerin mit ihren dreien. Ich bin sicher, wenn ich vor dem alten Babyhaus nachgucke, steht mein alter Wagen immer noch da und wird genutzt.

Irgendwann haben die Freunde aus Bet HaShitta aus ihrem Können eine Firma gemacht und ich kann sie von ganzem Herzen empfehlen.

 

Eine gute Woche Mai 27, 2020, 5:23

Posted by Lila in Kibbutz, Kinder, Katzen.
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und ich kenne die Abläufe im Kindergarten schon ganz gut. Vieles ist anders, als ich es kannte, und auch besser. Im alten Kindergarten haben wir eigentlich nicht mit den Kindern gespielt, da wurde nicht mal der Begriff „spielen“ verwendet, sondern grundsätzlich nur „arbeiten“ – die Kinder arbeiten im Sandkasten, am Wassertisch, im Haushalt (meshek beit – so heißen Puppen-, Küchen- und Verkleidungs-Ecke zusammen mit den großen Bauklötzen, mit denen die Kinder sich ihre Spielwelt zusammenstellen, jedesmal anders). Aber im neuen Kindergarten gibt es eine viele Regale voll mit Brett- und Gesellschaftsspielen, viel mehr als im alten, mit denen die Kinder gern spielen. Sie laden dafür ein, wen sie wollen, eben auch uns, und ich habe schon jede Menge neuer Spiele gelernt. Da wir ein großes Team sind, können wir das auch zeitlich schaffen. Dabei lernt man die Kinder auch richtig gut kennen.

Während ich Frühstück mache und abräume, beobachte ich die Kinder beim Spiel, und das bestärkt meine Überzeugung, wie wichtig soziale Kontakte für Kinder sind. Die in meiner Kindheit verbreitete Auffassung, daß Kinder zarte Pflänzchen sind, die ständig unter Mutters Gluckenflügel gehören, hat wohl vollkommen ausgeblendet, wie Kinder genießen, mit anderen Kindern zusammenzusein. Es gibt lockere Gruppen von Kindern, die täglich zusammen spielen, und echte Freundschaften, auch in Junge-Mädchen-Kombination.

Die Eltern dürfen den Kindergarten noch immer nicht betreten, und wir nehmen die Kinder morgens am Eingang im Empfang. Die Abschiede fallen, wie ich seit Jahrzehnten weiß, den Eltern deutlich schwerer als den Kindern. Tränen habe ich nur einmal dabei gesehen, und das war kurz nach der Wiedereröffnung nach 2 Monaten Corona-Pause. Der normale Abschied ist liebevoll und kurz, das Kind hängt die Tasche auf und läuft zu den Freunden, um Pinguin-Falle zu spielen oder Falafel-König oder sich in eine Welt aus Bauklötzen, Dinosauriern und Lego zu integrieren.

Einmal sah ich eines der süßesten kleinen Mädchen im Krach mit der Mutter. Ich weiß nicht, was da vorher war, aber die Tochter war deutlich sauer auf die Mutter und kam ein bißchen mürrisch rein. Sie ließ das aber sofort hinter sich, als sie die Freunde sah, besonders den besten Freund, der schon auf sie wartete. Sie spielte den ganzen Tag schön, stellte ein ganzes Bilderbuch her und sah vergnügt aus. Dann hieß es, „deine Mutter ist da“, und ich half ihr beim Einsammeln von Tasche und Wasserflasche und begleitete sie nach draußen. Die Spannungen waren sofort wieder da, das konnte ich sehen. (Heute habe ich beiden wieder beim Abschied zugsehen, und er war ganz harmonisch – also kein grundlegendes Problem).

Ich habe ja schon erzählt, wie gern ich sehe, daß die Kinder eigentlich den ganzen Tag lang spielen. Ich habe kein einziges Mal gehört, daß jemand über Langeweile geklagt hätte. Wer keine Lust mehr auf Gruppenspiel hat, der geht in die Lese-Ecke (wo nie mehr als drei Kinder sein dürfen), oder macht ein Puzzle.

Wegen der Corona-Vorschriften dürfen die Kinder manches nicht machen, was sonst normal wäre – sie gucken also nur zu, wenn zur Vorbereitung des Shavuot-Festes Käse hergestellt wird (in anderen Jahren machen sie den selbst, jetzt darf es nur die Kindergärtnerin und sie trägt dabei Handschuhe), aber auch dabei haben sie Spaß. Aber am Freitag haben sie alle ihr Shabat-Brot gebacken, dabei haben einige statt des normalen Hefezopfs Figuren geformt, sie können mit ihrem Teig machen, was sie wollen.

Die täglichen Ausflüge zu Fuß sind auch noch nicht erlaubt, was ich sehr bedaure, denn ich würde gern mehr vom Kibbuz sehen. Hoffentlich geht das ab nächste Woche wieder. Aber die Kinder kommen auch ohne Ausflug aus, keines fragt danach. Und auch ohne den Mittagsschlaf, der im alten Kindergarten gepflegt wurde, kommen sie gut aus. Es ist zwischen 14.00 und 16.00 ein bißchen stiller, aber sie spielen ganz munter weiter.

Die Gruppen sind noch immer geteilt, aber am Sonntag wird der Kindergarten hoffentlich wieder vereinigt. Dann können wir auch wieder das Essen in Schüsseln auf den Tisch stellen, so daß sich jeder nehmen kann, statt wie jetzt jedem Kinder mit Handschuhen getrennt zu servieren. Wir wieseln bestimmt zehn Minuten zwischen den sechs Tischen hin und her, „möchte jemand an diesem Tisch Möhren?“, und die Kinder haben nicht den ganzen Überblick, was es eigentlich alles gibt, auch wenn wir es vorher sagen.

Mundschutz tragen wir im Kontakt mit den Eltern, dann dürfen wir ihn abnehmen. Eine Mitarbeiterin arbeitet auch in anderen Einrichtungen, und sie trägt ihren Mundschutz den ganzen Tag. Wir desinfizieren Tische, Stühle, Türklinken, Lichtschalter etc ständig, und ich fröne meinem persönlichen Hobby, dem Abwischen der Wände und Türen in Kinderhand-Höhe. Ob es was nützt, weiß keiner, aber es riecht nett und die Mutter der Porzellankiste geht auf keine Kuhhaut.

Sollte es das gewesen sein mit Corona? Ich weiß es nicht, denn Nachrichten sehe und höre ich nicht mehr. Ich hoffe es aber.

Alte Ente paddelt sich warm Mai 20, 2020, 21:30

Posted by Lila in Kibbutz, Kinder, Katzen.
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Es ist schon viele Jahre her, seit ich das letzte Mal in einem Kibbuz-Kindergarten oder Kinderhaus gearbeitet habe (und überhaupt noch nie in Nicht-Kibbuz-Kindergärten) – viele Jahre, die ich größtenteils unterrichtenderweise verbracht habe, und zwar mit Publikum, das sich allein die Nase putzen konnte.

Ich habe auch zu meiner großen Freude die Möglichkeit, weiter zu unterrichten. Meine Woche wird zwar gut voll sein, aber meine Kinder sind ebenfalls imstande, sich allein die Nase zu putzen – für die Katzen ist es allerdings eine Umstellung, so viel allein zu sein, aber sie schlafen eben noch ein bißchen mehr. Gut, daß ich nicht aufs Unterrichten verzichten muß, das würde mir doch sauer.

Drei Tage Arbeit sind natürlich noch keine Grundlage für eine umfassende Beurteilung, und was die Kolleginnen über mich denken, weiß ich auch noch nicht. Die Probezeit beträgt drei Monate, und es ist möglich, daß ich dann sage: das war sehr, sehr nett, aber auf Dauer ist das zu viel für eine alte Mama Ente. Aber das Schöne ist – ich habe in diesen drei Tagen gesehen, daß ich es noch kann.

Die Arbeit ist körperlich verdammt anstrengend, das wußte ich. Wie bereits erwähnt, glaubt man im Kibbuz nicht, daß es entwürdigende Arbeit überhaupt gibt, weil JEDE Arbeit Würde hat, und darum wird geputzt und erzogen und gespielt und geputzt. Die Kindergärterin putzt weniger, ist mehr mit den Kindern, aber auch sie greift zum Besen oder Lappen. Und der Rest des Teams, mal fünf, mal sechs Frauen, kümmert sich um die Sauberkeit in einem sehr großen Haus, um Essen und Garten und Spielplatz. Die Kinder haben ihren festen Tagesablauf (jetzt allerdings durch Corona sehr kompliziert geworden), und wir haben unseren. Ich hatte Angst, daß ich das nicht mehr durchhalte, Eimer voll Wasser mittels Gummilippe durch den Kindergarten zu jagen, aber ich habe noch immer Spaß daran, wie früher.

Der Rücken tut mir allerdings teuflisch weh, denn natürlich bücken wir uns ständig, Die Tische, die wir schrubben, sind niedrig, die Stühlchen, auf denen wir sitzen, sind Kinderstühlchen (im ganzen Kindergarten gibt es nur einen „normalen“ Stuhl, und der steht in der Abstellkammer, falls ihn bei einer Geburtstagsfeier mal ein Großelternteil braucht). Selbst unser Team-Klo ist Miniatur. Niedrig sitzen ist eigentlich kein Problem, aber die Rückenlehne drückt sich genau dort in meinen Rücken, wo mir eine alte Narbe wehtut. Ja, das Jammern mußte sein, aber ich wußte es – im Kibbuz-Kindergarten hat alles Kinder-Format.

Das waren also die Schwierigkeiten, doch nun die große, riesige innere Freude. Ich habe immer Kinder geliebt, seit ich meine Puppen versorgt habe, und ich hatte immer Spaß daran, ihnen zuzuhören. Aber ich glaube, das große Staunen, die innere ja-fast-Andacht darüber, wie interessant Kinder sein können, das alles schenkt einem erst ein gewisses Alter.

Ich muß dazu sagen, daß diese Kinder extrem gut erzogen sind. Sie können ihre Wünsche und Probleme so klar formulieren, daß ich großen Respekt für die Eltern und das pädagogische Team empfinde. Es gibt kaum Streit zwischen den Kindern. Wenn sie Probleme miteinander haben, wenden sie sich an die Erwachsenen. „Ich möchte gerne mit Liel und Amit in der Puppenecke spielen, aber sie lassen mich nicht mitmachen“. Die Mitarbeiterinnen verschwenden keine Zeit auf „wer hat angefangen“ und „ja schämt ihr euch nicht“, sondern suchen ruhig eine Lösung, die alle zufriedenstellt. Weil die Kinder das wissen, wenden sie sich auch gern an die Mitarbeiterinnen. Ansonsten spielen sie autonom.

Wegen Corona (Mensch, wie wir das Wort alle satt haben!) dürfen sie nicht auf Ausflüge gehen, sind in zwei Gruppen aufgeteilt (die Roten und die Blauen), ist der Kindergarten unterteilt, auch der Spielplatz draußen, die Toiletten ebenfalls, jedes Kind darf nur einen Stuhl benutzen, und alles ist Namen oder roten bzw blauen Punkten gekennzeichnet. Trotz dieser Komplikationen, die gute Freunde trennt und vielen Kindern schwerfällt, sehe ich, wie die Kinder von morgen um 7.15 bis nachmittags um 15.40 von Spiel zu Spiel rollen. Morgens sitzen sie an den Tischen, spielen Brettspiele oder mit diversen Spielsachen, die jeweils thematisch in Kästen sortiert sind. Die Brettspiele und Puzzles holen sie selbst, die Kästen mit Lego etc bringen wir ihnen.

Die Kinder laden auch uns manchmal ein, mitzuspielen. Ich habe schon mehrere neue Spiele gelernt, worunter „König des Falafel“ mein liebstes ist.

Frühstück dürfen wir ihnen (noch) nicht zubereiten, dabei ist das klassische Kindergarten-Frühstück ein Gedicht für sich – viel Gemüse, Salat, Hüttenkäse, Oliven. Ich werde nie vergessen, als ich dieses Frühstück zum ersten Mal sah. Noch müssen die Kinder ihr Frühstück von zuhause mitbringen. Süße Aufstriche etc sind dabei tabu. Alles ist gesund, und der Salat, den ich jeden Morgen schnibbele, ist nur für das Team.

Nach dem Frühstück machen wir natürlich sauber, und die Kinder dürfen nun in den verschiedenen „Ecken“ spielen. Arzt-Ecke, Puppen-Ecke, die wunderbaren großen, hohlen Bauklötze, aus denen sie ganze Welten bauen, die Verkleidungs-Ecke, Bücher-Ecke, Natur-Ecke, das Puppenhaus, die Dinosaurier, die Küchen-Ecke…. Die Kinder verteilen sich in Gruppen, fangen an zu bauen, zu spielen, sich zu verkleiden.

Nach 20 Minuten hört man nur noh eifriges Summen. „Und wenn dann der König käme, dann würden wir hier das Schloß bauen…“ „Mach du den Schoko, ich mach den Kuchen“ Ich kann nur bewundern, wie komplett die Kinder in ihr Spiel versinken.

Ein Junge zieht sich Papprollen, die von irgendeiner Fabrik stammen, über die Ober- und Unterarme, stopft sich weitere Rollen hinten ins T-Shirt und stakst wie ein Roboter durch den Kindergarten. Ein Junge sitzt allein vor dem Puppenhaus, in dem Puppen und Pferde zusammenleben. Zwei kleine Mädchen füttern die Babypüppchen. Eine ganze Gruppe spielt Königshaus. Eine andere ahmt wohl irgendeinen Film nach und fuchtelt mit den Armen wie im Kampf mit unsichtbaren Schwertern. „Die Macht ist jetzt bei euch, aber wir nehmen sie uns wieder“, und trotzdem wird kein Streit daraus.

Während ich die Stühlchen scheuere und die Spülmaschine belade, höre ich einfach nur zu und habe Spaß.

Wenn die Spielzeit dann vorbei ist, sagt die Kindergärtnerin, daß nun aufgeräumt werden muß. Und das macht sie so (ich liebe diese Tricks von Kindergärtnerinnen). Sie fängt an zu singen: Ich habe eine wichtige Nachricht…. und die Kinder antworten: …. und wir hören zu. Falls es noch nicht alle gehört haben, singt sie es noch einmal, und dann hören alle zu. Und dann sagt sie: wir wollen gleich essen, und jetzt muß aufgeräumt werden. Alles an seinen Ort!

Und dann kann man sehen, wie die Kinder ohne weiteres Antreiben die Sachen, mit denen sie gespielt haben, zurück an ihren Platz bringen. So oft ich das gesehen habe, so sehr staune ich immer noch. Natürlich funktioniert das zuhause mit den eigenen Kindern nicht so gut. Aber im Kindergarten geht das ruckzuck.

Zweimal am Tag gibt es das Treffen (mifgash), zu Deutsch wohl Stuhlkreis. Die Kindergärtnerin muß das jetzt alles doppelt machen – wenn die Roten im Treffen sind, spielen die Blauen draußen (darüber muß ich mal gesondert schreiben) und umgekehrt. Sie entläßt die Kindern zum Wassertrinken und Händewaschen in kleinen Gruppen, wie ein Spiel. „Jetzt geht ein Mädchen mit einem Katzen-T-Shirt und ein Junge mit Spiderman-Sandalen“. So gibt es kein Gedränge an den Waschbecken und dem Tisch mit den Wassrflaschen (ebenfalls dank Corona persönliche super-raffinierte Flaschen, die wir ständig nachfüllen).

Ein kleiner Junge liebt besonders die Natur-Ecke. Mit einer Lupe betrachtet er die Vogelfedern, die sie auf Ausflügen im Winter gesammelt haben, und vergleicht sie mit einem Vogelbuch. Dann zeigt er mir seine Lieblingsfeder. Derselbe Junge gibt beim Mittagessen seine Theorie vom Urknall bekannt. „Es war mal ein Urknall, und der hätte die Erde fast kaputtgemacht“.

Das Mittagessen wird von einer Catering-Firma geliefert, wir müssen es mit Handschuhen auf Einmal-Geschirr austeilen und dürfen den Kindern nicht mal mehr Obst schneiden. Eine Mitarbeiterin sammelt jedes Fitzelchen übriggebliebenes Essen ein für die Straßenkatzen ihres Wohnorts.

Zu anderen Zeiten werden Tische mit Gouache-Farben, Collage-Material, Ölkreiden, Knete und anderen Materialien aufgemacht. Die Kinder bekommen das Material, was sie damit machen, bestimmen sie selbst. Wer nicht will, läßt es.

Das war ja gleich etwas, das mir damals im Kindergarten auffiel – daß es nicht hieß, „heute malen wir Marienkäfer, dafür zeigen wir euch mal, wie das geht“ oder „heute basteln wir einen schönen Untersetzer für einen Blumentopf“, sondern – „hier ist die Farbe, legt los“. Und die Ergebnisse sind natürlich einfach wunderbar.

Ein kleines Mädchen ist sehr kreativ und außerdem auch sehr beliebt. Sie beschloß schon vorgestern, daß sie eine Party gibt, um das Ende von Corona zu feiern. Dafür bastelte sie aus Papier einfache Taschen, die sie schön bemalte. Der ganze Kindergarten kriegte solche Taschen. „Da kommen die Süßigkeiten rein auf unserer Party“. Dann gab es Armreifen und schließlich Kopfschmuck. Die Gruppe um dieses Mädchen herum heftete sämtliche Heftklammern leer und arbeitet schon seit drei Tagen an der Vorbereitung für diese Party.

Am Rande dieser Gruppe saß ein stiller kleiner Junge, jünger als die führenden Kinder. Er sah sich an, wie man mit den kleinen Heftern arbeitet, und legte dann selbst los. Er bastelte sich einen Reifen für den Kopf, auf den er vorn ein rundes Schild heftete, und malte alles gelb an. Dann baute er sich Armschoner wie die von Wonderwoman, ebenfalls in gelb. Er plagte sich ziemlich damit, sich diese Schoner selbst anzulegen, aber wir warteten ab, ob er um Hilfe bittet. Für den zweiten Armschoner brauchte er etwas Hilfe, aber dann war er fertig ausgerüstet.

Und ging nun ganz für sich durch den Kindergarten mit einem verträumten Gesicht. Zwischendurch hob und kreuzte er die Arme. Ob er spielte, daß er ein Superheld ist oder zaubern kann oder sich unsichtbar machen kann, weiß ich nicht. Auch nicht, ob es jemand außer mir auffiel. Aber ich kann gar nicht sagen, wie mich das berührte, dieser kleine Junge, der so still strahlend mit seiner selbstgebastelten Ausrüstung durch den Kindergarten ging.

Für mich ist klar, daß das viel wichtiger ist als die früher in deutschen Kindergärten angestrebten Bastelfertigkeiten – Schablonen sauber ausschneiden, Wattewolken-Mobiles nach Vorbild nachbauen und so weiter. Ja, ich habe solche Bücher noch zuhause, hoffe aber innig, daß es das nicht mehr gibt. Die Erinnerung an meine Kindergärtnerin Ende der 60er Jahre, die mit dem Radiergummi herumging und unsere Zeichnungen verbesserte, ja die mir meinen schönen Igel ausradierte, die sitzt noch tief.

Bestimmt werde ich noch sehen, daß sich Kinder weniger als so wunderbar benehmen, und tatsächlich hatte ich heute Gelegenheit, Widerstand zu sehen. Die Roten, die ich weniger gut kenne, spielten in den „Ecken“, und zwei Jungen tobten ziemlich herum, wobei sie große, wirklich gefährlich aussehende Mikado-Stäbe herumfuchtelten. Morgens hatte eine Kollegin ihnen die schon weggenommen. Ich fragte trotzdem nach (will mir ja nichts anmaßen), ob es okay ist, wenn ich sie ihnen nun auch wegnehme, die Kollegin sagte, ja klar, und ich schritt zur Tat.

Die Kinder, die mich wirklich nicht gut kennen, wollten mir natürlich die Mikadostäbe nicht ausliefern (ich hatte sie vorher dreimal verwarnt, sie fuchtelten jedesmal weiter und guckten, ob ich es auch sehen kann). Ich blieb aber unnachgiebig, und schließlich hatte ich die Stäbe in der Hand. Da sah mich einer der Jungen zornig und empört an. „Was du machst, das ist ganz gemein. Man darf Kindern nichts stehlen!“ Ich stimmte ihm sofort zu, nein, man darf Kindern nichts stehlen, und es ist gut, daß er das weiß. Ich zeigte ihm dann, wo die Mikadostäbe sind, und daß er morgen früh mit ihnen spielen kann – aber nicht als Waffe, sondern eben als Mikado. Ich sagte ihm auch noch einmal meinen Namen und daß ich weiß, er kennt mich noch nicht.

Eine halbe Stunde später kam der Junge zu mir und fragte, ob er aufs Klo kann (ja, die Klos sind natürlich auch nach blau und rot unterteilt, und um Treffen von Roten und Blauen zu vermeiden, müssen wir die Klobesuche absprechen). Daran sah ich, daß er meine Autorität anerkannt hat, widerwillig, und es wird wohl eine Weile dauern, bis er mir verzeiht. Mir hat aber gefallen, daß er sich so gewehrt hat, und zwar verbal. Er weiß ja wirklich noch nicht, ob sie ihm nicht eine böse Frau geschickt haben, die den Kindern Sachen wegnimmt.

Auch draußen war eine kleine Probe. Eine Gruppe Jungens entdeckte einen Mistkäfer und fing an, ein bißchen Hysterie zu mimen. „Iiiiih, ein Mistkäfer im Sandkasten, was machen wir jetzt?“ Ich sagte, „laßt den armen Käfer mal, der möchte lieber auf die Wiese“, nahm den Käfer in die Hand und trug ihn zur Wiese. Ungern, aber es war gut, daß ich es getan habe, denn die Jungens spielten sofort schön weiter.

Zum Spiel im Sand kriegen sie auch Wasser, sowohl in Behältern als auch als leichte Dusche von oben, wo sich unter den Schlauch stellen kann, wer will (ich habe mich gestern auch besprühen lassen). Die Kinder tragen grundsätzlich Arbeitsklamotten, die dreckig werden dürfen, ja sollen. Das gefällt mir.

Der Spielplatz draußen ist besonders – diese Spielplätze sind, wie die hohlen großen Bauklötze, eine Spezialität der Kibbuzbewegung. „Chatzer grutaot“ ist eigentlich unübersetzbar – chatzer ist draußen, Hof oder Platz, und grutaot ist Sperrmüll. Aber es ist natürlich kein Müll, sondern ausrangierte Sachen von Erwachsenen, die dort unter einem Dach stehen, und aus denen die Kinder sich kleine Welten bauen können.

Hier sind viele Bilder davon. Natürlich ist jede chatzer grutaot individuell. Die Erwachsenen stiften alte Herde, Betten, Boote, Maschinenteile, Pfannen, alles mögliche, Bei Google Translate kann man sich auch diesen Artikel übersetzen lassen, wenn einen die Geschichte dieser Idee interessiert. Deutsche Besucher, denen ich natürlich immer diese jedem Kinderhaus angeschlossenen Spielplätze gezeigt haben, sagen meistens: „ja ist denn das nicht zu gefährlich?“, aber natürlich sind immer zwei Erwachsene dabei, und die Kindergärtnerin geht regelmäßig durch und überprüft, daß nichts Spitzes oder Quetschendes in der chatzer steht.

Die Kinder lieben das Spiel mit diesen echten, ausrangierten Gegenständen. Sie arrangieren sich „Gebäude“ (bniyot), und im Gegensatz zu den gebauten Welten im Kindergarten, die noch am selben Tag abgebaut werden, dürfen die draußen stehenbleiben. Manchmal spielen die Kinder über Wochen in der Welt, die sie immer weiter perfektionieren. Wir greifen nicht ein, sondern achten nur auf alle Kinder und daß alles friedlich zugeht.

So vergeht der Tag. Zwischendurch werden dreimal die Klos incl Wände und Türen gründlichst geputzt. Die Tische werden ständig abgewischt, die Küche ist ständig aktiv (offene Küche im selben großen Raum). Die Kinder können sich ruhig dreckig machen, das Haus muß tadellos sauber sein. Es gibt keinen Fernseher und keinen Computer im Kindergarten, und im Gegensatz zum Kinderhaus von früher schlafen die Kinder dort auch nicht. Sie arbeiten nach dem Mittagessen still. Mindestens eine der Kolleginnen liest den Kindern was vor.

Die einzigen, die ein Handy in die Hand nehmen, sind natürlich die Erwachsenen. Die Kinder können darauf verzichten. Bestimmt haben sie allen Kram zuhause, aber die Bullerbü-Fähigkeit von Menschenkindern, einfach mit einer Puppe, einem Kissen, einem Dinosaurier und ein paar Legosteinen einen Tag glücklich hinzubringen, ist nach wie vor noch da.

Mir fiel im Laufe dieser Tage wieder auf, wie sehr die Idee der Kibbuz-Erziehung meinen Überzeugungen entspricht. Ich kenne die PH, an der all diese Ideen über Jahre hinweg in einem Versuchs-Kindergarten entwickelt wurden, aus nächster Nähe – ich habe dort selbst studiert und unterrichtet. Tatsächlich war mir schon ganz entfallen, daß einer der akademischen Abschlüsse, die ich früher mal gesammelt habe, Künstlerische Früherziehung lautet. Was aber nicht bedeutet, daß ich so einen Kindergarten leiten könnte. Ich bin mit meiner Rolle im Hintergrund mehr als zufrieden.

In einer Zeit, in der ein Yoav Galant das Erziehungsministerium zugeschustert kriegt, weil Bibi ihm einen Hering zuwerfen muß, damit Galant weiter Bälle auf der Nase balanciert – obwohl Galant für das Amt so qualifiziert ist wie ich für das Verteidigungsministerium – in einer Zeit, in der die Erwachsenenwelt mit ihren Ansprüchen die Welt der Kinder überwuchert, kontrolliert und normiert – da ist es wichtig, Inseln wie Kibbuzim am Leben zu erhalten.

Mir fielen auch junge Familien ein, die ich im Laufe der Jahre kennengelernt habe, die ihre Kinder auch über alles lieben und nur das Beste für sie wollen, aber ihr Geld in rosa-lila-Elsa-Plastik-Welten investieren, in denen alles vorgegeben ist. Eine Mutter kam sofort mit Feuchttüchern angerannt, als ich mit ihrer Tochter malte (sie hatte nur Filzstifte), um dem Kind die Finger abzuwischen. Sehr nette und gebildete Leute, aber ich glaube, die Töchter haben noch nie einfach dagesessen und mit Hosenknöpfen gespielt. Gegessen wurde in einer Familie vor dem Fernseher, in dem ein Kinderkanal dudelte, der den Eltern verspricht, die Kinder intelligent zu machen. Daß die Töchter so intelligent waren, hatten sie bestimmt nicht dem Fernsehkanal zu verdanken.

Zum Abschluß was Nettes. „Duhu, bist du eigentlich eine Oma?“ „Nein, ich bin noch keine Oma“ „Schade, aber“ (und hier wurde der Ton tröstend) „du siehst schon aus wie eine Oma!“ Das war ein Kompliment und so habe ich es auch aufgenommen.

Ich hoffe, mein Rücken hält durch und meine jungen Kolleginnen ertragen mich. Selbst wenn ich irgendwann im Herbst wieder in mein altes Leben zurückkehre – diesen Sommer im Kindergarten genieße ich trotz Hitzewelle, Fliegenplage, Problemen mit Corona-Einschränkungen und anderen Widrigkeiten ganz und gar.

 

Wieder auftauchen Mai 15, 2020, 10:27

Posted by Lila in Persönliches.
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Seltsame Monate waren das. In Israel waren die Einschränkungen deutlich restriktiver als in Deutschland, das fing schon Ende Februar an, Schließung der Grenzen und Quarantänepflicht für Einreisende (nicht immer konsequent gehandhabt) waren der Anfang. Zwischendurch durften wir über Wochen nicht weiter als 100 m vom Haus weg sein, nur mit Sondergenehmigung konnten Y. und Quarta zur Arbeit. Ich war die ganze Zeit Hausmütterchen, was ich ja eigentlich gern mache. Tatsächlich war zwischendurch das Haus mal ein paar Stunden lang auf dem Eichpunkt der Perfektion.

Abends gab es meistens, was wir die Bibi-Show nannten – also Erklärungen vom Premierminister, Gesundheitsminister und Experten, die uns die Lage erklärten, neue Anweisungen gaben, uns sehr für unser Verhalten lobten und dann sich selbst noch mehr für ihr eigenes Handeln. Die Routine des Ausnahmezustands.

Für uns war es erträglich, weil wir keine kleinen Kinder haben, die wir belehren, bespaßen und bei Laune halten müßten. Ja, ich vermisse meine Großen, die ich eeewig nicht gesehen habe, meine Mutter und Geschwister, die mich zu meinem Geburtstag im April besuchen sollten, und meine Schwiegereltern. Telefon und Zoom und Whatsapp helfen, aber sehen möchte man sich eben doch. Wenn man aber weiß, daß es überall auf der Welt Leuten ähnlich geht, schickt man sich drein und denkt, wenn es notwendig ist, dann sind wir lieber übervorsichtig statt leichtsinnig.

Ich konnte einige lang vor mir hergeschobene Projekte im Haus abhaken, andere habe ich natürlich weitergeschoben. Es ist erstaunlich, aber man kann sich tatsächlich einen ganzen Tag lang in Haus und Garten beschäftigen, und trotzdem ist immer noch was zu tun. Ja, man kann sich die Zeit selbst einteilen, aber man ist auch viel allein, und irgendwann fängt man an, das Spülbecken mit Zahnpasta zu polieren und hinter jedem Wasserfleck herzujagen wie der Teufel hinter der armen Seele.

Was schön war: wir sind alle drei jeden Morgen um fünf aufgestanden, Y. und Quarta, um sich für die Arbeit fertigzumachen, ich, um ihnen ein schönes Verwöhn-Frühstück zu machen. Obwohl es eigentlich für uns alle zu früh ist, haben wir jeden Morgen zusammengesessen, und abends zum Abendessen noch einmal, und es ist wirklich viele Jahre her, daß wir diese Art Familien-Idyll hatten. Und ich habe es sehr genossen. Ich bin ja eigentlich kein sehr sozialer Mensch und kann gut alleine klarkommen, aber selbst für mich, mit zwei Hausgenossen, drei Katzen und Tausenden Büchern auf dem Kindle (und den Wasserflecken!) fand die Isolation schwierig. Wer das ganz allein bewältigen mußte, hat es bestimmt noch schwerer empfunden. Ganz zu schweigen von Kranken und ihren Angehörigen.

Irgendwann konnte ich dann anfangen, online zu unterrichten, aber meine Arbeitswoche war auf das absolute Minimum geschrumpft – eine Stunde pro Woche per Zoom. Und das, wo ich keinerlei Anspruch auf irgendeine Entschädigung oder Unterstützung habe (ja, wir haben es versucht, aber ich erfülle die Kriterien nicht).

Vor einer Woche war ich zum ersten Mal wieder in Nahariya. Die Mundschutz-Pflicht stört mich nicht – sollten wir alle anfangen, mehr Rücksicht aufeinander zu nehmen, mehr auf Sauberkeit und Hygiene zu achten und einander vor allen Arten fieser Viren zu schützen, dann nehme ich das komische Gefühl gern in Kauf. (Da läßt man sich für teures Geld die Zähnchen schön richten und keiner sieht sie! und mein Lieblings-Lippenstift kann auch eingemottet werden). Verstörender fand ich, wie viele kleine Geschäfte zugemacht haben. Das Hochwasser im Januar hat Existenzen vernichtet, und wie kleine, selbständige Geschäfte jetzt überleben sollen, weiß ich nicht.

Mein erster Weg führte mich natürlich in den Woll-Laden meines Vertrauens, mit dessen Besitzer und Mitarbeiterin ich mich die ganzen Jahre über geradezu angefreundet habe. Ich bin eigentlich immer, wenn ich auf den Bus warten mußte, zu diesem Laden gegangen und habe mehr Garn gekauft und mich über Stiche und Muster und Garnqualitäten ausgetauscht, und der Besitzer hat mir erzählt, wie schwierig es ist, in Nahariya einen kleinen Laden zu führen. Zwischendurch wollte er mal zumachen, dann ging es doch wieder. Doch als ich letzte Woche hinkam, da packte er gerade die letzten Regale zusammen. Der Laden ist zu. Ich war entsetzt. Wo soll ich jetzt hingehen? wo gute Wolle herbekommen? und was passiert mit den vielen Geschäftsleuten, denen es so geht wie dem Woll-Mann?

Vorgestern stieg der persönliche Streßlevel weiter in die Höhe, als ich einen Warnbrief von der Rentenkasse bekam – keine Einzahlungen von meinen Arbeitgebern mehr, und den Rest konnte mein Hirn nicht mehr übersetzen. Ich sah mich als altersschwaches Weiblein in Nahariya an einer Straßenecke sitzen, mit offenem Hut und einem Poster von Cezanne, das ich mit zittriger Stimme analysiere. Singen oder Akkordeon spielen kann ich ja nicht. Wie schön so ein soziales Netz ist, merkt man erst, wenn man es nicht hat.

Da habe ich schnell durch ein paar Job-Börsen-Webseiten geblättert und etwas gesehen, was mir ins Auge stoch – ein Kibbuz nicht weit von hier sucht MitarbeiterInnen für den Erziehungssektor. Das habe ich ja viele Jahre lang gemacht,  als ich neu in den Kibbuz kam und während meine Kinder klein waren. Und ich habe es sehr gern gemacht. Ich bleibe ja immer am Kindergarten hier im Ort stehen, wenn ich zum Postfach gehe, und höre den Kindern zu, und freue mich. Also habe ich spontan die Telefonnummer angegeben, bekam freundliche Antwort, schickte meinen Lebenslauf und sämtliche Zeugnisse hin (worunter auch ein Bachelor in Kunst-und-Frühpädagogik ist, den hatte ich ganz vergessen), wurde für den nächsten Tag zum Gespräch eingeladen und genommen. Montag fange ich an. Meinen Online-Unterricht kann ich weitermachen, und sollte im Oktober der Unterricht wieder regulär weitergehen, kann ich meine Woche neu arrangieren.

Es war so schön, wieder in einem Kibbuz rumzulaufen, wieder in einem Kinderhaus zu stehen und die ganz besondere Atmosphäre zu spüren. Die Erziehungsphilosophie der Kibbuzbewegung ist auch meine. Und zum Kibbuz-Gedanken gehört auch, daß man sich nicht daran stört, ganz unten wieder anzufangen. Ich hoffe, ich kann das noch. Wenn es klappt, kann ich die Kategorie Kibbuz hier im Blog wiederbeleben, das wäre doch toll! Und wenn nicht, dann habe ich wenigstens den Sommer überbrückt.