jump to navigation

Nur erzählen Mai 29, 2017, 21:27

Posted by Lila in Persönliches.
8 comments

Eigentlich läßt sich nichts dazu sagen, aber es geht mir im Kopf rum, und darum erzähle ich es.

Vor drei Wochen hatte ich ein Gespräch mit einer jungen Studentin, einer sehr netten, die mit ihrer Note vom vorigen Semester nicht zufrieden war und sich nun fragte, wie sie Ende dieses Semesters eine bessere Note schreiben kann. Wir unterhielten uns ein bißchen, ich versprach ihr etwas zu schicken, tat das abends auch, bekam aber keine Antwort.

Ich hörte nichts mehr von ihr, dachte, ihr ist etwas dazwischengekommen. Das war auch so. Sie wurde krank, es muß eine dieser aggressiven Infektionen gewesen sein, gegen die Ärzte keine wirksamen Mittel kennen. Sie kam ins Krankenhaus. Und innerhalb weniger Tage war sie tot.

Eine junge, strahlende, begabte Frau voller Pläne.

Natürlich war die ganze Hochschule betroffen, zur Beerdigung (zu der ich nicht gehen konnte) fuhren Studenten und Dozenten in Bussen, ihre Freundinnen trifft es schwer.

Und doch geht das Leben weiter. Für ihre Familie – daran mag ich gar nicht denken. Aber mein Kurs geht weiter, hinter ihrem Namen in der Anwesenheitsliste kommen keine Häkchen mehr, ihr Platz in der ersten Reihe links ist leer, alle vermissen sie. ja, aber der Kurs geht weiter, die Kommilitonen studieren weiter, alles geht weiter.

Je älter ich werde, desto mehr Schrecken jagt mir dieses WEITER ein. Es ist Breughels Ikarus, immer wieder. Irgendwo zappelt ein Ertrinkender und muß sterben, aber wir ziehen unsere Furchen weiter, hüten unsere Schäfchen, gucken in die Luft, segeln übers Meer. Bis wir selbst dran sind.

Ich selbst kann und will mich nicht als Trauernde gebärden, für mich war sie eine Studentin, die ich gern mochte, aber ich mag sie alle und hatte keinen weiteren Kontakt mit ihr. Sie war nicht eine, die das suchte. Darum kann ich auch nicht viel von ihr erzählen, außer dem guten Eindruck, den ich von ihr hatte, und dem Gespräch, das ich mit ihr hatte, am Tag bevor sie krank wurde.

Aber wie schnell das gehen kann, wie unerwartet und wie grausam. Es geht mir im Kopf rum, ich denke an Michal, und wollte das mit meinen Lesern teilen. יהיה זכרה ברוך

 

2002 Mai 24, 2017, 10:17

Posted by Lila in Persönliches.
add a comment

Mir fiel noch etwas aus der schlimmsten Terror-Zeit. Meine älteste Nichte war im Mai 2002 bat-mitzvah, also zwölf Jahre alt. Sie bat darum, KEINE Bat-Mitzvah-Feier zu machen, obwohl ihre Eltern gern groß gefeiert hätten (und das bei den jüngeren Schwestern auch taten). Ihre Begründung: meine Nichte hatte Angst, daß bei ihrer Feier ein Anschlag jemanden verletzten könnte. Das wollte sie nicht. So verstört war sie von dem entsetzlichen Angriff auf eine Bat-Mitzvah-Feier in Hadera im Januar.

Ihre Eltern haben ihren Wunsch respektiert. Sie leben in Afula, einer Stadt in der Nähe von Jenin, wo im Laufe der Jahre viele Terror-Angriffe stattgefunden haben. Meine Kinder waren durch den Kibbuz etwas geschützt, aber meine Nichten haben damals zu viel Terror miterlebt, waren an mehreren piguim nah dabei, kannten mehrere Opfer. Und so wird es vielen Kindern in Israel damals gegangen sein, die heute junge Erwachsene sind und denen man nichts ansieht. Auch meinen Nichten nicht, sie sind vergnügt und lebensfroh.

 

Große Trauer Mai 23, 2017, 20:04

Posted by Lila in Persönliches.
6 comments

Als ich heute früh im Radio von dem grauenhaften Anschlag in Manchester hörte, kam es richtig wie eine große Welle in mir hoch: die Erinnerung an den Anschlag im Dolfinarium. Es ist sechzehn Jahre her, und in einer Zeit der pausenlosen Anschläge hatte der im Dolfinarium eine besondere Brutalität. Eine Disco für Jugendliche, meist aus russisch-sprechenden Familien, viele davon kleine Familien – alleinerziehende Mütter, Einzelkinder, Familien, die teilweise noch nicht lange in Israel waren und kein unterstützendes Netzwerk hatten. Nicht als ob einem das was nützt, wenn das Liebste, das man auf der Welt hat, von einem Sprengsatz voller Nägel in Stücke gerissen wird.

Ich wußte nicht, daß das Datum genau paßt, das habe ich gerade bei Twitter gesehen. Nicht nur in mir hat der Anschlag im Dolfinarium tiefe Spuren hinterlassen – ich wußte spontan noch die Namen von Opfern. Es waren besonders die Anschläge auf Kinder und Jugendliche, die uns den Charakter des Terrors immer wieder vor Augen geführt haben. Wer in Pizzerien, Eisdielen, Kinderzimmern, Discos und auf Konzerten morden geht, der ist für kein Argument zugänglich, der kann nicht mit Kompromissen oder Zugeständnissen beschwichtigt werden. Das sind keine Verhandlungspartner.

Damals, vor 16 Jahren, hatte ich mal eine kurze Phase, in der ich im SPon-Forum aktiv war – eine höchst frustrierende Angelegenheit, weil dort jeder nur seine Meinung mit höchster Lautstärke von sich gibt und kein echter Dialog entsteht. Also, vielleicht bei anderen Themen, aber bestimmt nicht beim Thema Israel.

Es war damals praktisch unmöglich, einem Deutschen verständlich zu machen, daß nicht politische Frustration oder irgendwelche israelischen Fehlleistungen den Terror verursachen. Eine Gesellschaft, die mit einem solchen Blutrausch auf politische Frustration oder Fehlleistung des Gegenüber reagiert, hat in sich selbst ein riesiges Problem.

Ich habe es oft gesagt – die Palästinenser, die israelischen Araber, mit denen ich zu tun hatte und habe, sind nicht dumm und nicht faul. Es ist nicht so, als wäre das Abdriften eines Teils dieser Menschen in Terror und Blutrunst unentrinnbares Schicksal. Ganz im Gegenteil. Es ist eine Frage der Werte – wofür setzt man seine Talente und Energie ein. Und ein Teil der arabischen, ein Teil der islamischen Welt setzt seine Talente und Energien zur Vernichtung derer ein, die sie selbst als Feinde definieren. Viele der Ideen, die jetzt umgesetzt werden, so wie die Nägel und Metallstücke in Sprengsätzen, die sich Selbstmordattentäter umschnallen, sind zuerst von palästinensischen Terroristen eingesetzt worden.

Die Opfer im Dolfinarium, in der Pizzeria Sbarro, im Kinderzimmer im Kibbuz Metzer, in Manchester und im Bataclan, sie haben keinen Krieg geführt und waren keine Soldaten. Es sind die Terroristen, die entscheiden, wer ein legitimes Ziel ist – und das ist ein Baby im Kinderwagen in Jerusalem genauso wie Großmutter und Enkelin, die Hand in Hand in Jerusalem über die Straße gehen.

Wann in Europa der Groschen fällt, daß man Opfer des Terrorismus werden kann auch OHNE Übeltaten begangen zu haben, und daß das Problem nicht bei den Opfern liegt, sondern bei den Terroristen – ich weiß es nicht.

Ich habe kurz nach dem Anschlag im Dolfi-Disco aufgehört, im SPon-Forum zu schreiben. Die Relativierungen des Terrors, die überwältigende Tendenz zu fragen „was hat Israel den Palästinensern nur angetan, daß sie so tief in die Verzweiflung gesunken sind?“, haben mir die Lust genommen, mich dort zu tummeln.

Irgendwann habe ich dann angefangen zu bloggen, der Rest ist Geschichte 😉 und ins SPon-Forum gucke ich nicht mehr rein.

Gerade höre ich in den Nachrichten über den Messer-Angriff heute in Netania. Der Angreifer, ein Palästinenser mit Arbeitserlaubnis in Israel, wurde angeschossen, nachdem er mit einem großen Messer auf Passanten losging. Das ist hier Alltag. Haben wir das verdient? Nein. Der Terror befördert nicht etwa eine Friedenslösung, er blockiert sie. Und das seit fast hundert Jahren.

Es tut mir weh, daß in Manchester jetzt Familien um ihre brutal getöteten Kinder und Angehörigen trauern, um ihre verletzten und traumatisierten Kinder und Mitbürger bangen müssen. Was wollten die Terroristen (ich gehe nicht von einem Einzeltäter aus, darum der Plural) damit erreichen? Genau das. Tod, Schrecken, Trauma.  Die Betroffenen, die Sängerin, die Stadt – sie alle haben etwas Unwiederbringliches verloren.

Ich weiß nicht, ob es Politiker gibt, die imstande sind, das grundliegende Problem des Terrors ins Auge zu fassen und zu bekämpfen, ohne einen Generalverdacht gegen Unschuldige zu fassen und unzulässig zu generalisieren. Je mehr man weiß, desto weniger neigt man zum Generalisieren.

Wir haben es in Israel geschafft, vor allem durch sehr gute Aufklärungsarbeit, dem Terror die Klauen zu stutzen, so weit es geht, unberufen. Europa wird sich dazu bequemen müssen, es ähnlich zu machen, in die Netzwerke des Terrors Leute einzuschleusen und Menschen zu überwachen, Geldströme zu verfolgen und auf Anzeichen zu achten, bevor jemand tatsächlich mit der Bombe losgeht.

Maßnahmen wie Taschenkontrollen etc allein verhindern den Terror nicht. Sie erschweren die Ausführung eines Anschlags, aber das Problem geht tiefer. Jeder Anschlag hat eine Vorgeschichte der Radikalisierung, der Aufhetzung, der logistischen Hilfe, der Vorbereitung.  Ich hoffe, die Verantwortlichen gehen in die Offensive und rennen dem Terror nicht nur hinterher. Es ist, wie wir in Israel wissen, eine zähe, mühsame Arbeit. Jedes Menschenleben, das dadurch gerettet wird, macht sie lohnend.

Familiäres Mai 20, 2017, 17:51

Posted by Lila in Persönliches.
2 comments

Gestern waren wir auf der Hochzeit von einer jungen Cousine Y.s und ihrer Lebenspartnerin, ein schönes, buntes Fest, das sich wohltuend von den vielen protzigen Hochzeiten abhob, die wir im Laufe der Jahre schon erlebt haben. Es wurde nur veganes Essen serviert – für mich sehr praktisch, für viele einige Gäste allerdings schwer zu schluckekn, in jedem Sinne. Die Gäste reichten von religiös-konservativen Familienmitgliedern mit Kippa bzw Kopfbedeckung über säkulare Israelis (Großteil der Familie von unserer Seite)  bis zu kreativ gekleideten Mitgliedern der LGTB – also kahal und kehilot. 

Y. selbst, seine Geschwister und seine Cousinen und Vettern – alle haben mindestens vier Kinder, einige sind noch in der Kinderphase. Seine Großmutter würde staunen, wenn sie ihre Urenkel miterlebt hätte – es sind im Moment neunzehn, werde aber bestimmt noch mehr. Auch die anderen Familienzweige brachten Kinder mit, es war ein fröhliches Gewimmel. Die Kinder pusteten Seifenblasen über die beiden Bräute, viele Kinder und Erwachsene trugen Blumenkränze, es war ein richtiges Familienfest.

Und wie bei allen Familienfesten waren auch von weither Tanten und Onkel angereist, und ich freute mich sehr, eine der Cousinen meines Schwiegervaters wiederzutreffen, die seit Jahrzehnten in Berlin lebt. In den letzten Jahren habe ich, soweit es zeitlich ging, versucht, die Familiengeschichten zusammenzutragen, die sich noch aus dem Strom der Zeit retten lassen. Und so habe ich die Gelegenheit genutzt, nachzufragen, wer von Y.s Vorfahren auf dem Friedhof in Weißensee beerdigt ist (eine Urgroßmutter) und welches Schicksal einer der Berliner Zweige der Familie erlebt bzw erlitten hat. Da gibt es nämlich einen Zweig, den väter-väterlichen, über den ich nicht genug weiß.

Jetzt weiß ich mehr. Ich hoffe, irgendwann wird es Stolpersteine geben, wo die Menschen gelebt haben, die am Zustandekommen meines Mannes und damit auch meiner Kinder entscheidend beteiligt waren. Für mich ist dieses Eintauchen in die Familiengeschichte immer interessant, sowohl meine eigene Familiengeschichte als auch die meines Mannes. Gestern war der Kontrast zwischen der bunten, kinderreichen Gegenwart und der düsteren Vergangenheit besonders kraß.

Die Verwandte aus Berlin brachte eine Photokopie mit, aus einem Ausstellungskatalog. Bei einer Ausstellung über Juden in Kreuzberg, 1991 war das wohl, wurden auch Familienbilder von Y.s Großvater gezeigt (in einer anderen Berliner Ausstellung kam die Seite der Großmutter vor – den Katalog habe ich dankenswerterweise). Seine Schwester (die ich noch kennengelernt habe) wurde zu ihrer Lebensgeschichte befragt. Dieser Text liegt jetzt neben mir, und ich werde ihn für die Familie hier in Israel übersetzen.

Die Straßennamen sind mir natürlich alle bekannt, ich habe ja mal in Kreuzberg gewohnt, wenn auch in einer anderen Ecke. Die Urgroßeltern meines Mannes haben in der Reichenbergerstraße gewohnt, dort sind der Großvater und seine Schwester groß geworden. Die Geschwister konnten fliehen. In den Worten von Y.s Großtante: „Am 24. Oktober 1938 bin ich nach Palästina ausgewandert. Meine Eltern brachten mich zum Anhalter Bahnhof. Am selben Abend verließen auch sie Berlin und fuhren vom Bahnhof Friedrichstraße nach Lemberg in Polen, wo sie Verwandte hatten. Meine Eltern und alle anderen Mitglieder der Familie wurden nach dem Einmarsch der Nazis ermordet“.

 

Unter der Erde Mai 20, 2017, 12:37

Posted by Lila in Persönliches.
6 comments

Unser Moshav wurde Anfang der 80er Jahre gegründet und blieb viele Jahre lang, wie er war.  Wie in vielen Moshavim und Kibbuzim kam irgendwann auch hier die Idee auf, eine neue Wohnsiedlung zu bauen, eine sogenannte Erweiterung (harchava). Wer bereits im Moshav lebt, kann den Grund und Boden billiger kaufen oder hat das Vorrecht beim Kauf – oft sind diese Erweiterungen nämlich für die Kinder der Anwohner gedacht.

In unserem Moshav wurde die Erweiterung 2008 in Angriff genommen. Bei Grabungen für die Kanalisation stießen die Bauarbeiter auf einen großen Hohlraum. Sie vermuteten eine Höhle und informierten die Behörden, die sofort einen Höhlenexperten schickten. Er seilte sich ab und stellte fest, daß die Höhle mehr als 18 Meter tief ist, daß sie eine immer noch aktive Tropfsteinhöhle ist, und daß in der Erdschicht am Boden Spuren menschlicher Aktivitäten sichtbar sind.

Da es kein privater Grund und Boden war, sondern noch in Besitz des Jüdischen Nationalfonds (KaKaL),  gab es keine Schereien mit privaten Besitzern. Es wurde beschlossen, die Höhle archäologisch zu erschließen und die neue Nachbarschaft in die andere Richtung zu bauen, um die Höhle nicht zu beschädigen.

Sie wurde sofort geschlossen und ihr genauer Ort geheimgehalten, denn in anderen neu entdeckten Höhlen kam es wohl zu Vandalismus durch unbefugte Eindringlinge.

Bei der Erforschung durch einige der bekanntesten Archäologen Israels (das in Sachen Archäologie recht gut aufgestellt ist) stellte sich heraus, daß diese Höhle seit Jahrtausenden nicht betreten wurde. Irgendwann wurde der Eingang verschüttet, und 15.000 Jahre lang lag die Höhle unentdeckt. Das bedeutet: alles, was dort gefunden wird, ist mindestens 15.000 Jahre alt. Ein schwindelerregender Gedanke.

Als die Höhle geöffnet wurde und die erste archäologische Saison anlief (jedes Jahr im Juli wird dort gegraben), lud man die Einwohner ein und zeigte ihnen die Höhle, erklärte ihnen auch, wie wichtig es ist, sie verschlossen zu halten.

Als wir vor acht Jahren den Kibbuz verließen und in eines der neuen Häuser in der Erweiterung zogen (in dem wir ja jetzt wieder wohnen, nachdem wir vier Jahre in einem größeren Haus in einem anderen Moshav gewohnt habe), wußten wir von alldem nichts und unser Vermieter erzählte uns auch nichts davon. Aber vor zwei Jahren, als wir wieder hier einzogen, da fragte ich ihn. Ich hatte nämlich inzwischen in der Zeitung davon gelesen, daß in der Nähe von Manot eine Höhle entdeckt worden war – da es hier in der Gegend von archäologisch interessanten Stätten nur so wimmelt, war ich neugierig, wie nah die Höhle wirklich ist. Und da erzählte er uns die ganze Geschichte. Und Y. und ich guckten uns nur an – metoraf! Wahnsinn!

Wir zogen hier im Juli ein, und den ganzen Monat sah ich jeden Morgen Gruppen von Archäologiestudenten an unserem Haus vorbeiziehen, um in die Höhle zu gehen. Ich nahm mir vor: nächstes Jahr bin ich dabei!, und schrieb sogar den Leiter der Ausgrabung an, aber natürlich hatte ich letztes Jahr im Juli absolut keine Zeit, als Freiwillige bei einer Grabung mitzumachen. Ob es dieses Jahr klappt, weiß ich nicht. Aber ich bin oft am Eingang der Höhle vorbeigegangen und habe mir gewünscht, sie wenigstens mal zu sehen. Denn viele Menschen sind es ja noch nicht, die in dieser Höhle drin waren. Und wann hat man schon mal die Chance, einen Ort zu betreten, an dem seit 15.000 Jahren vielleicht mal 200 Leute waren?

Als ich die Plakate für das Moshav-Festival sah, kam mir nichts davon interessant vor. Kinderstar Yuval Hamebulbal, ein in meinen Augen peinlicher Mittvierziger, der sich als Kind verkleidet und gräßliche Lieder singt. Trifonas, griechische Musik, okay. Lior Narkis, ein orientalischer Sänger, auch nicht mein Fall. Aber dann kriegten wir eine SMS, ob wir Interesse hätten, an einer Führung in der Höhle teilzunehmen, nur für die Anwohner. Obwohl Y. sofort antwortete, waren schon alle Plätze besetzt. Schließlich wurden drei Führungen eingerichtet, wir waren dabei.

Ich habe vorher alles gelesen, was es nur zu lesen gab – googelt einfach mal manot cave! Und ich war so aufgeregt, als wir vorgestern dann endlich in die Höhle gehen konnten. Drei der Archäologen, die dort graben, waren dabei und gaben Erklärungen. Ich habe zwar schon überirdische aktive archäologische Grabungen gesehen, aber unter der Erde, in einer Tropfsteinhöhle, in der man das Wasser an den Stalagmiten rinnen sieht – noch nie. Das ganze Gelände ist mit Angelschnüren in ein Gittermuster unterteilt, so daß man von jedem Eimer genau weiß, woher er kommt. Auch die Tiefe wird genau gemessen. Während der Grabungen wird überirdisch ein Labor für die Erstbeurteilung eingerichtet.

Wie schön, daß diese Stätte vernünftig erschlossen wird. Wer weiß, was aus der kanaanitischen Zitadelle in Nahariya wird, in die ich nur durch den Bauzaun ein paar Blicke werfen konnte? Dort sollen Hochhäuser errichtet werden, ich weiß nicht, wie es weitergeht, noch steht ein Bauzaun. Aber hier in Manot werden sorgfältig und nach allen Regeln der Archäologie Schätze ans Licht befördert. Der berühmteste davon ist natürlich der Schädelknochen. 55.000 Jahre alt. Die Funde in der Höhle zeigen, daß dort Homo sapiens und Neanderthaler aufeinandertrafen. Homo sapiens wanderte von Afrika in Richtung Europa, der Neanderthaler kam aus Europa und war unterwegs nach Afrika. Der syrisch-afrikanische Grabenbruch verläuft ja nicht weit von hier, und vielleicht war das ein guter Weg für unsere Vorfahren.

Ich verstehe nicht genug von diesen weit zurückliegenden Epochen, aber wir waren alle fasziniert. Wir waren eine kleine Gruppe von Nachbarn, die vorsichtig über glitischige Stufen aus Erdsäckchen tief hinunter kletterten. Nach uns wurde die Höhle wieder zugeschlossen. Es war ein Privileg, diesen Ort betreten zu dürfen. Meine Bilder sind miserabel, ich habe nur eine kleine, ältliche Kamera, die der Aufgabe keineswegs gewachsen war. Wer googelt, findet Bilder in viel besserer Qualität. Ich habe die Bilder nur gemacht, um eine Erinnerung daran zu haben, daß ich tatsächlich dort war.

 

Abends bebte dann unser Haus dann von dem Krach, den Yuval Hamebulbal mit seinen Späßen machte, und noch später ging es dann richtig zur Sache mit Lior Narkis. Das Publikum bestand aus begeisterten Familien auf der Wiese, pompös „Park Manot“ benannt, während ein paar kleine Kinder heulten, daß Yuval schon weg war. Als ich schon dachte, die Hisbollah protestiert gegen den Höllenlärm, den der arme Sänger veranstaltete (was für ein gräßlicher Job – Leute auffordern, daß sie mitsingen und klatschen, und so tun, als ob man sich selbst wunderbar amüsiert), war es doch nur ein Feuerwerk. Und damit war der letzte Tag des Festivals vorbei.

Für mich war der Besuch dieser Höhle ein unvergeßliches Erlebnis. Ich hoffe, daß ich mir im Juli wenigstens zwei Wochen freischaufeln kann, um mitzugraben. Drückt mir die Daumen.

Alte Heimat Mai 17, 2017, 17:14

Posted by Lila in Kibbutz, Kinder, Katzen.
2 comments

An keinem Ort in meiner Biographie habe ich länger gelebt als im Kibbuz – über zwanzig Jahre. Wir haben dort noch Familie, auch wenn Secundus seit einem halben Jahr nicht mehr dort ist. Y.s Mutter und Bruder leben noch dort, und Freunde haben wir auch noch im Kibbuz, auch wenn wir sie nicht oft sehen. Wir wohnen ja doch ziemlich weit weg. Mein Schwager spottet gern, daß er sich ein Visum für den Libanon ausstellen lassen muß, wenn er zu uns kommt. Er kommt aber trotzdem, weil seine Kinder nämlich ihre alte Tante im Mensch-ärgere-dich-nicht besiegen wollen, was ihnen jedesmal gelingt.

Wenn im wöchentlichen Kulturklub des Kibbuz ein Vortragender ausfällt, wissen die drei Frauen, die ihn leiten, wer jederzeit gern bereit ist, einzuspringen. Gestern war so ein Fall – auf die Schnelle paßte ich einen Vortrag an und kam gegen Nachmittag im Kibbuz an.

Jedem geht es wohl so, wenn er an einen sehr vertrauten Ort zurückkehrt – es fühlt sich gleichzeitig wie Zuhause und fremd an. Im Kibbuz sind seit unserem Wegzug viele neue Häuser entstanden, manche davon auf den Mini-Grundstücken von früher und umgeben von den kleinen, barackenähnlichen Wohnklos aus den sechziger und siebziger Jahren. Alles, was älter ist, ist schon längst abgerissen.

Schwiegervater (rechts) als junger Mann, 50er Jahre

Das eiserne Prinzip des Kibbuz, daß alle dieselben Grundbedingungen haben und alle Altersstufen identische Häuser bzw Wohnung haben, ist seit vielen Jahren durchbrochen. Früher war es ja so, daß man mit seiner Alterskohorte in die jeweils bessere Wohnsiedlung des Kibbuz umzog, bis man so um die vierzig war und vom Kibbuz das „Dauer-Haus“ bekam (bet keva), wo man sich die Fliesen aussuchen durfte und aus dem man nicht mehr raus mußte.

Seit der Privatisierung baut der Kibbuz niemandem mehr ein Haus, und wer sein Haus renovieren, erweitern oder umbauen will, der tut das auf eigene Rechnung. Dementsprechend gibt es Villen vom Typ „drusisches Restaurant“ oder „toskanisches Landhaus“, aber auch Hütten vom Typ „Ziporas erste Heimat“ oder „Moshe hat´s selbst gemacht“. Das sieht unharmonisch aus. Man hat den Eindruck, in den letzten Jahren hätte eine un-kibbuzige Neigung zu Protz und Klotz Einzug gehalten.

Y.s Großvater (Mitte) beim Bau des ersten Hauses im Kibbuz, 30er Jahre

Ich weiß natürlich noch genau, daß dort, wo jetzt ein Einfamilienhaus steht, mal das Häuschen der alten Esterika stand, die so nett zu mir war, als ich Volunteer war, und mich einlud. Da stand ihr riesiger Gummibaum, den sie mit ihren selbstgetöpferten Figuren belebte. Sie hatte keine Familie – alle in Polen geblieben, keiner hatte ein Grab.

Y. im Kinderhaus, 60er Jahre

Dann das Haus, wo wir zuerst wohnten, als wir uns kennenlernten – wo ich im Garten buddelte, während Primus herumkroch und Piniennadeln in den Mund steckte. Auf der einen Seite ein Neubau, auf der anderen Seite wohnt noch der freundliche alte Nachbar, Vater eines von Y.s Kindheitsfreunden, der jahrelang dagegen kämpfte, daß deutsche Volunteers aufgenommen wurden. Er konnte es nicht ertragen. Aber er war eine Zeitlang mein Chef, und wir vertrugen uns sehr gut, und dann wurde ich seine Nachbarin – und als meine Eltern das erste Mal zu Besuch kamen, waren wir bei Nachbars eingeladen. Die Frau, eine gebürtige Kölnerin und wie ihr Mann Überlebende, machte die besten Kuchen der Welt und deckte einen Kaffeetisch, wie meine Mutter ihn sonst nirgends in Israel sah. Ja, er ist Witwer, wohnt immer noch dort, freute sich sehr, mich zu sehen.

Unser erstes Haus im Kibbuz, 80er Jahre

Überhaupt, jeder, der in den Clubraum kam, um meinen Vortrag zu hören (über Tsibi Gevas Beitrag zur Biennale vor zwei Jahren – also kein taufrischer Vortrag, aber auf die Schnelle konnte ich nichts über Gal Weinstein zusammenschustern, der uns dieses Jahr dort vertritt und den ich ganz gut kenne), ist mir so wohlbekannt wie ein Familienmitglied. So ist das im Kibbuz.

Die drei verantwortlichen Frauen, Gila, Gita und Dafna, sind jetzt Ende sechzig, Anfang siebzig, aber ich erinnere mich natürlich noch daran, als ihre jüngsten Kinder klein waren. Gilas Mann war Kindheitsfreund meines Schwiegervaters – sie waren das dritte und vierte Kind, das im Kibbuz geboren wurde. Gilas Töchter waren mit Y.s Geschwistern in einer Gruppe, also Freunde seit dem Babyhaus.

Und Gita war für mich sehr wichtig, denn sie leitete das Babyhaus, als ich meinen Primus kriegte. Sie kam vor der Geburt zu einem Vorbereitungsgespräch zu uns nach Hause, sie bereitete, während ich noch im Krankenhaus war, Bettchen und Erstausstattung vor, und sie war in den ersten Monaten eine sehr wichtige Ansprechpartnerin für mich. Sie hat schöne, leuchtende Augen und ich erinnere mich noch genau an das Abschiedsfest, als sie die Erziehung verließ – den Kuchen habe ich damals gebacken.

Ich erinnere mich an viele kleine Szenen aus dem Babyhaus, aber am eindrucksvollsten war einmal, wie sie ein schreiendes Kind sofort beruhigen konnte. Als ich sie fragte, wie man das macht, meinte sie, „du mußt einfach dran glauben, daß er still sein WILL aber nicht weiß wie, und du hilfst ihm dabei – dann beruhigt er sich auch“. Ich hatte zwar nicht so gute Erfolgsquoten wie sie, aber es war ein guter Tip.

Primus, 1990

Die Vorträge finden immer im Clubhaus statt. Der Kibbuz hat zwei Clubhäuser, es sind die ältesten Gebäude des Kibbuz. Draußen ist eine Plakette zu Ehren von Izhak Ochberg angebracht, der das Geld gespendet hat, von dem der Grund und Boden damals gekauft wurde, in den 30er Jahren. Weil Kibbuzniks kleine Häuser hatten (haben?), kann man eines der Clubhäuser für Familienfeiern reservieren. Im Moadon ha-chaver, wo ich gestern war, haben wir so viele Feste gefeiert, und es hat sich so überhaupt nicht verändert, daß mir wirklich einen Moment schwindlig wurde. So viele Bilder stiegen hoch, noch aus der Zeit, als ich Volunteer war und das Clubhaus abends immer offen war, als Anlaufstelle für einen Kaffee und Gespräche.

Alle empfingen mich herzlich, alle fragten nach Secundus und trugen mir Grüße an ihn auf. Ohne Secundus ist der Laden nicht mehr derselbe, und er war ja immer zu allen nett, und so fleißig, nein, der Junge. Also ich soll es ihm bestellen. (Wenn die wüßten, wie muffelig er zu seinen Geschwistern sein kann!) Und dann fragten sie, wo denn Y. bleibt, der mich abends abholen sollte. Sie alle haben ihn ja aufwachsen gesehen, sind Freunde seiner Eltern und as wir noch im Kibbuz wohnten, war er für viele der älteren Leute Ansprechpartner bei allen technischen Problemen im Haus und mit elektronischen Geräten. Wie oft hat abends das Telefon geklingelt, weil bei Ruth die Fernbedienung kaputt war und Shoshana nicht mit ihrem Computer klarkam! Aber nicht nur deswegen mögen sie ihn – er ist eben von da, gehört dort hin, und er ist auch immer gern da.

Natürlich kannten die meisten Zuhörer nicht nur den Künstler selbst, über den ich sprach, sondern auch seinen Bruder (Avital Geva, auch Künstler und politischer Aktivist) und den Vater der beiden. Ich war also etwas beklommen, ob ich ihnen wirklich viel Neues erzählen kann. Aber selbst ein wirklich enger Freund der Gevas meinte, es war interessant, und erzählte mir dann Döneken aus der Schulzeit mit Avital Geva.

Ich komme ja wirklich viel rum, und seit Jahren ist mein Job an der Hochschule geschrumpft, meine Aufträge von kulturellen Einrichtungen hingegen wächst beständig (macht auch mehr Spaß, weil die Leute kommen, weil sie zuhören wollen, und nicht, weil sie die Note brauchen…). Jede Woche bin ich an mehreren verschiedenen Einrichtungen, ich mag sie alle, aber Kibbuzim noch lieber als alles andrere, und am allerliebsten unseren alten Kibbuz.

Nein, es tut mir immer noch nicht leid, daß wir weggegangen sind, denn der Kibbuz hat sich verändert. Was mir wichtig war, die alten Kibbuz-Ideale, ist erodiert. Die Generation von Y.s Großmutter, die allesamt noch fit und lebendig waren, als ich in den Kibbuz kam, und die mich so besonders herzlich aufnahmen – die leben alle nicht mehr. Grete, Moritz, Jenny, Leni, Uli – unvergeßliche, unvergessene Menschen. Einen Teil dieser Generation habe ich gepflegt, in den Jahren, als ich im Kibbuz im Altenheim arbeitete. Die Alten von heute sind im Alter meiner Schwiegermutter. So ist es, wenn man selbst älter wird – es ist ja ganz natürlich. Aber der Kibbuz ist ein ganz besonderer Mikrokosmos, und ich kann nur hoffen, daß nicht alle Geschichten untergehen.

Wäre der Kibbuz Kibbuz geblieben – wir wären nie weggegangen.

Lesetipp Mai 16, 2017, 22:40

Posted by Lila in Presseschau.
1 comment so far

Benny Morris über den Unabhängigkeitskrieg.

 

Eine Bitte um Entschuldigung Mai 9, 2017, 17:37

Posted by Lila in Bloggen.
2 comments

ist fällig – bei allen Kommentatoren, die sich still gewundert haben müssen, warum ihre Beiträge einfach im Orkus verschwinden.

Ich habe in den Orkus nämlich gar nicht reingeschaut, bis ich darauf aufmerksam gemacht wurde, daß Kommentare verschmachten! Mein Zerberl ist hypersensibel, und ich bin überarbeitet und unaufmerksam.

Bitte nicht böse sein – ich hoffe, in Zukunft achte ich besser darauf.

Melanie Phillips Mai 6, 2017, 18:52

Posted by Lila in Presseschau.
Tags: ,
58 comments

erklärt den Nahostkonflikt. Wer die Fakten nicht kennt, die sie aufzählt, hat nicht genügend Informationen, um sich eine Meinung zu bilden. Wer es nicht glaubt, sollte ein paar Bücher lesen und sich besser informieren.

Erschreckend, daß sie in Berkley nur eine kleine Gruppe von Studenten treffen konnte – sie würde niedergebrüllt werden, wollte sie in größerem Rahmen einen Vortrag halten. Anti-israelische Veranstaltungen hingegen finden regelmäßig fest – das ist eben heute Mainstream-Meinung (auch wenn auf Lügen gestützt).

Ähnlich erschreckend, daß in Deutschland und Frankreich eine Doku über Antisemitismus nicht ausgestrahlt werden darf, aus äußerst dünnen Gründen. Alex Feuerherdt und Götz Aly sagen dazu, was zu sagen ist. Auf Arte laufen selbstverständlich regelmäßig Propagandawerke gegen Israel, ebenfalls auf Lügen gestützt.

Die Ansicht, daß man Israel mahnen, gängeln und „mit klaren Worten“ zurechtweisen muß, ist so sehr Einheitsmeinung geworden, daß sie unhinterfragt fast jede mediale Erwähnung des Landes schmückt. Wie wäre es mal mit der Eigen-Mahnung, die dahinterstehenen Faktoide (Israel verstößt gegen das Völkerrecht, Siedlungen sind Friedenshindernis, Deutschland ist eine moralische Großmacht…) kritisch zu hinterfragen? Wie wäre es mal mit kritischer Distanz zum „Pragmatiker“ Haniya, dessen Karriere als Terrorist nicht einmal erwähnt wird? Ja, das Wort „Terror“ wird nicht einmal erwähnt.

Kurz, die Welt ist durchgedreht. Lügen gelten als Wahrheit, die Wahrheit darf man nicht sagen, Floskeln werden wiederholt, bis alle sie glauben und nachplappern. Es ist zum Verzweifeln.