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Zurück Dezember 28, 2019, 23:06

Posted by Lila in Persönliches, Uncategorized.
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Wieder dieses Zwischendrin-Gefühl. Ich habe zwar während meiner Woche Urlaub verfolgt, was sich in Israel ereignet, aber es dringt, wenn ich hier bin, alles ganz anders zu mir vor. Schon im Flugzeug, als ich die Israelis um mich herum über Bibi diskutieren hörte, und welche Chancen er im März hat, und wie sie das finden, kam das Gefühl langsam zurück, Israel und alles was dranhängt.

Im Flugzeug saß ich mitten in einer Gruppe junger Aktivisten, die zu einem Treffen mit Palästinensern kamen. Ein älteres israelisches Ehepaar erzählte ihnen lautstark und naiv in gebrochenem Englisch, wie toll sie es in Tel Aviv finden werden und wie warmherzig die Israelis doch sind („itz will be nice for you!“), was die jungen Männer nicht interessierte. Ich saß dazwischen, verstand beide Seiten (sprachlich), hätte sie am liebsten alle für die Dauer des Flugs auf leise gestellt.

In Deutschland fiel mir auf, daß deutlich weniger geschmückt war als noch im Jahr zuvor – ob aus Klimaschutzgründen oder warum sonst so wenig Schwibbögen und Hausbeleuchtungen waren, weiß ich nicht. Daß die elenden Santa-Claus-Kletterpuppen inzwischen wohl ausgestorben sind, kann niemand bedauern.

Während wir weg waren, fand hier der israelische Winter statt. Tertia meint, es hat jeden Tag in Strömen geregnet („das hätte dir gefallen, Mama“). Sie hat Haus und Katzen gehütetet, und vom großen Wohnzimmerfenster aus beobachtet, wie sich über Haifa und Akko große Gewitter entluden („das wäre was für dich gewesen, Mama“). Jetzt kann ich nur hoffen, daß es bis Ende März weiterregnet, wir brauchen das Wasser, und bisher war nicht viel mit Regen.  Bei jedem Deutschlandbesuch staune ich über Ellbach, Rur und Inde. So viel Wasser, das einfach durchs Land fließt, so viele Bäche und Flüsse, die auch im Sommer Wasser führen. Das ist nicht selbstverständlich.

Der Pegel des Sees Genezareth und Bibis Zukunft – die israelischen Obsessionen haben mich wieder, und bald ist 2019 vorbei. Das Jahr war freundlich zu mir und uns, ich lasse es nicht gern ziehen.

 

Redewendungen mit Tieren Dezember 15, 2019, 13:30

Posted by Lila in Ivrit, Uncategorized.
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Eine davon habe ich gerade verwendet, darum schreibe ich sie hier mal hin 🙂

Wenn jemand ein leicht eskalationsfähiges Thema anschneidet, die Büchse der Pandora oder eine Büchse Würmer aufmacht, dann nennt man das auf Hebräisch „die Bären aus dem Wald holen“ (le-hozie et ha-dubim min-ha-yaar – dov ist Bär, dubim die Mehrzahl: Bären, yaar heißt Wald und die Vorsible ha– ist das Prädikat, wie the). Wer die Bären aus dem Wald holt, kriegt Ärger, den er nie gehabt hätte, wenn er sie in Ruhe gelassen hätte.

Dov ist übrigens auch ein beliebter traditioneller Vorname, gern abgekürzt in Dubi. Dubi ist auch ein Teddybär. Dov koala, dov grizzly, dov nemalim (Ameisenbär), alles wie im Deutschen.

Da das Kinderwort für Popel (gibt es dafür überhaupt ein Erwachsenenwort?) ebenfalls dubi ist, kann man die Redewendung auch abwandeln und sagen: er holt die dubim aus der Nase.

Wenn man unterstreichen möchte, daß an einer Geschichte nun rein gar nichts dran ist, sagt man: lo dubim ve lo yaar – weder Bären noch Wald. Sprich, wenn es weder Bären noch Wald gibt, dann kann man auch diese nicht aus jenem holen.

 

Netanyahu hat mit seiner inzwischen vielzitierten Formel zu den Vorwürfen gegen ihn die Bären in Ruhe gelassen und statt dessen griffig gesagt: „da wird nichts draus, weil nichts ist“ – lo yehihe klum ki eyn klum.  Klum heißt nichts. Lo heißt nein und nichts.

(Hier kann man bei Minute 7 hören, wie Bibi nur die ersten Worte sagen muß, und das Publikum den Rest hinterherbrüllt. Bibis Neuschöpfung, mit der er jetzt jede Kritik als Nichts abschmettern kann).

Eine ähnliche Redewendung, die zweimal das lo wiederholt, ist lo haya ve-lo nivra, das war nicht und existiert nicht (wurde nicht erschaffen). Das sagt man, wenn man etwas abstreitet, und kann dann noch hinterherschieben: sheker ve-kasav (weiches s), Lüge und Märchen. Das Hebräische mag solche emphatischen Verdoppelungen, scheint mir! Busha ve-cherpa, Schimpf und Schande!  Noch so ein Doppel-Idiom.

 

Eine nicht-tierische Redewendung, wenn jemand eine überflüssige Frage stellt und sich damit Ärger einhandelt, nennt man auch she´elat kitbag. She´ela ist die Frage, und kitbag die große, wurstförmige, enorm schwere Tasche, die Soldaten mit sich rumschleppen.

Neue Rekruten bekommen ihre Ausrüstug, darunter auch kitbagim

Die Redewendung stammt natürlich aus der Armee. Ein mythologischer Rekrut stellt dem Offizier, der gerade alle zum 30-km-Marsch beordert hat, die unschuldige Frage: „mit oder ohne kitbag?“ Daraufhin heißt es natürlich: „MIT!“ Hätte der Rekrut den Mund gehalten, wäre dem Offizier gar nicht die Idee gekommen, die kitbags mitschleppen zu lassen. Also lieber rosh katan (kleiner Kopf, war neulich dran 😉 )  und nicht extra nachfragen.

 

 

Hashtag-Empfehlungen Dezember 14, 2019, 12:20

Posted by Lila in Bloggen.
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für Leute, die keine Geduld für die Reizüberflutung bei Twitter haben, aber Informationen suchen, die man sonst nur schwer findet.

Imshin, deren Blog ich jahrelang gelesen habe, hat sich darauf spezialisiert, aus den Tiefen und Untiefen von Youtube private Clips von Familien aus dem Gazastreifen ans Licht zu fördern und sie weiterzugeben. Unter #TheGazaYouDontSee findet Ihr jede Menge Alltagsleben im Gazastreifen – Familienfeiern, Shopping-Orgien, Kinder beim Spiel, Rundfahrten durch Neubaugebiete, Fahrten an den Strand….

Man erkennt sehr viel bei diesen Clips. Es gibt eine Schicht im Gazastreifen, der es sehr gut geht. Sie sind westlich gekleidet, kaufen in gut bestückten Läden ein, sie haben also Kaufkraft. Ich wüßte gern mehr über den Hintergrund dieser Familien, aber da ich leider kein Arabisch kann, ist das schwierig, außerdem möchte ich auch niemanden stalken.

Es ist einerseits sehr beruhigend zu wissen, daß im Gazastreifen diese Normalität möglich ist, und ich möchte allen wünschen, daß sich diese Normalität weiter ausbreitet. Unbestreitbar gibt es auch Armut, wenn auch nicht so kraß wie in vielen arabischen Ländern. Aber die Leute, die im Meat-City-Supermarkt einkaufen, wirken nicht wie Superreiche, das sieht man auf der Facebookseite. Es gibt also eine Mittelschicht. Und dieser Supermarkt könnte genausogut in Nahariya stehen und Faisal heißen (wo wir einkaufen).  Ebenso ein Restaurant wie Snounu (hier bei Google Maps, falls jemand nicht glaubt, daß es im Gazastreifen liegt).

Andererseits fragt man sich natürlich auch: wenn es eine satte, wohlhabende Schicht gibt, warum dann die Schuld für die weiter existierende Armut allein bei Israel suchen? Warum herrscht im Gazastreifen keine oder so wenig soziale Gerechtigkeit? Wann werden die Gazaner Verantwortung übernehmen für die Gesellschaft, in der sie leben?

Und dann: wie viel Korruption steckt hinter diesen Verhältnissen? Imshin zeigt, wie normal es ist, daß von UNRWA gespendete Lebensmittel in Supermärkten verkauft werden. In der Originalverpackung, mit dem UNRWA-Logo. Ist also die kritiklos von der ganzen Welt abgesegnete UNRWA, bei der bekanntlich fast nur Palästinenser beschäftigt sind, und zwar nicht weniger als 30.000!, tatsächlich so selbstlos? Es sieht doch eher danach aus, daß ein Teil des Reichtums im Gazastreifen dadurch gewonnen wird, daß man gespendete Güter verkauft. Sollte einen zum Nachdenken bringen.

Imshin jedenfalls ist für mich eine wichtige und interessante Quelle zum Gazastreifen geworden – eine Welt, die von den Medien nicht mal ansatzweise gezeigt wird, auch von unseren nicht.

 

Doch Imshin nutzt auch einen zweiten Hashtag, den ich hier weitergeben möchte: #TerrorVictims 

 

https://platform.twitter.com/widgets.js

Sie postet regelmäßig Bilder und Geschichten von Menschen, die durch palästinensischen Terror ihr Leben oder Angehörige verloren. Die verheerende Spur des Terrors, die aus keiner Formel über den Nahen Osten herausdividiert werden kann. Die meisten Geschichten werden außerhalb von Israel unbekannt sein. Für Israelis und Juden hat Terror eine ständige, verstörende Präsenz. Seit 1929 in Hebron hat er nie aufgehört, nie pausiert.

Beide Projekte von Imshin verschaffen sonst unter-berichteten Realitäten Aufmerksamkeit, und dafür bin ich dankbar.

Ist euch was aufgefallen? Dezember 14, 2019, 10:42

Posted by Lila in Presseschau, Uncategorized.
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Na? Nein, ist euch nicht aufgefallen? Meine Lebensqualität hat sich entschieden verbessert, seit ich den Spiegel Online konsequent meide. Seit dieser Geschichte über die Juden, die sie als Fremde castete, habe ich das Ding kein einziges Mal aufgerufen, sogar nicht, als die mich neulich mal nebenbei erwähnt haben (und für kurze Zeit mein ruhiges kleines Blögchen ganz hohe Zugriffszahlen hatte) (was mir früher Beklemmungen verursacht hat, aber durch das Stahlbad Twitter bin ich so abgehärtet, daß mich das heutzutage nicht mehr stört).

Aber worüber ärgere ich mich statt dessen? Wie man einen Wackelzahn immer stupst, so brauche ich wohl meinen täglichen Ärger über Nahost-Berichterstattung in deutschen Medien. Dann weiß ich wieder, woher die Meinungen kommen, die ich mir bei jedem Deutschlandbesuch anhören muß, und die so felsenfest sind, weil sie nur auf Teilwissen beruhen. Nichts, was das Weltbild erschüttern könnte, wird berichtet. Und es herrscht kein Mangel an Medien, die mir zeigen, wie konsequent alles, was Israels Entscheidungen, Mentalität und Handlungen verständlich erscheinen ließe, ausgeblendet wird.

Wenn es um Juden geht, ist es nicht besser. Ich würde inzwischen allen internationalen Definitionen des Antisemitismus (oder anti-jüdischen Ressentiments, ich gehe eigentlich außerhalb von Twitter sehr vorsichtig mit dem Wort um, weil es ein sehr, sehr schwerwiegender Vorwurf ist) ein Kriterium hinzufügen, nämlich: wer Antisemitismus nur in Keulenform kennt, der ist Antisemit. Genauer: wer den Vorwurf des Antisemitismus für schwerwiegender hält als Antisemitismus selbst, ja wer außerstande ist, Antisemitismus zu erkennen, außer als ungerechtfertigten Vorwurf, der hat einen blinden Fleck. Und dieser blinde Fleck ist antisemitismusförmig.

Ein Beispiel.

Ich habe leider meine Übersetzung von Sara Gibbs´ verzweifelter Anklage gegen Labour nicht vor den Wahlen fertiggekriegt – bin im zweiten Drittel, aber noch ist der Artikel nur auf Englisch verfügbar. Gibbs schickt Definitionen und Erklärungen voraus, aber im letzten Drittel kommen die Beispiele für offenen Antisemitismus in der Labour – die Geschichte von Luciana Berger, und Corbyns unglaublich kaltschnäuzige Reaktion darauf. Gibbs gibt ein Beispiel nach dem anderen, alle belegt, alle leicht zu finden.

Unsere Freunde von Hamas und Hisbollah:

Die zynische Behauptung, für den „Friedensprozeß“ sei es notwendig, mit Terroristen zu sprechen, ist unglaubwürdig – Hamas und Hisbollah wollen keinen Frieden, sprechen nicht von Frieden und sind nicht daran interessiert. Corbyn sympathisiert mit ihnen und ihren Verbündeten. Ihr Zielt ist nicht, Frieden mit Israel zu haben, sondern Israel zu vernichten. Und selbst wenn man meint, man sollte mit ihnen reden, dann braucht man sie immer noch nicht „Freunde“ zu nennen.

Auch einen verurteilten Mörder und Terroristen wie Barghouti zu unterstützen geht über „Engagement für den Frieden“ hinaus. Corbyn stellt ihn als unschuldiges Opfer israelischer Brutalität dar, als Gefangenen des Gewissens. Er wäscht damit eindeutig Terror rein.

Das sind nur ein paar Blüten von Corbyns Nahost-politischen Ansichten. Doch es reicht ihm nicht, den jüdischen Staat zu untergraben, er entfesselt eine Hexenjagd gegen britische Juden und jüdische Labour-Mitglieder, die ihresgleichen sucht und verstörend ist.

„They don´t understand English irony either“ – dieser Satz macht jüdische Briten zu Außenseitern, zu Anderen, zu inneren Feinden. Diese Ausgrenzung, die ganz nebenbei in einer Tirade gegen Kritiker untergebracht wird, ist einfach nur widerlich und ein Symptom für ein tiefliegendes Problem. Corbyn möchte diesen kritischen Juden Lehren erteilen. Die Phantasie von den harten Lehren, die man den Juden zwischen die Zähne schieben möchte – was könnte offener antisemitisch sein?

Ken Livingstone bringt wieder den alten Vorwurf in Stellung, daß Antisemitismus-Verbote die Meinungsfreiheit beschneiden (und erzählt gleichzeitig Lügen über israelische Gesetze, die es nie gegeben hat). Er wiederholt auch die Behauptung, daß Hitler den Zionismus unterstützt habe. (Ob deutsche Journalisten wohl so hartnäckig nachfragen würden?)

Louise Ellman erhebt ihre Vorwürfe nicht leichtfertig.

Jüdische Labour-Mitglieder werden gemobbt und in die Ecke gedrängt. Für jüdische Linke ist es unerträglich, sie können nicht mehr Labour wählen, haben aber keine andere politische Heimat, und die offene anti-jüdische Stimmung durchdringt alle Schichten und Diskurse. Es ist die alte jüdische Erfahrung, wenn aus Nachbarn auf einmal offene Antisemiten werden. Hört Luciana Berger einfach zu. BITTE.

Diese Entwicklung geht seit Jahren, das Internet bietet mehr Belege, als ich aufzählen kann, ohne alle zu ermüden – lest Gibbs, und spürt ihre Verzweiflung, und informiert euch. Es ist wichtig, denn wenn morgen ein Corbyn in Deutschland auftritt, der die richtigen Klischees von sich gibt über Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und Umverteilung, dann kann er gegen Juden und jüdischen Einfluß und israelischen Militarismus loslegen, bis auf einmal erschreckend viele mit solchen Ansichten ans Licht kommen. Wenn die Schamschranke fällt, haben auf einmal alle was gegen die Juden zu sagen, und die Verschwörungstheorien blühen. Auf einmal sind dann Juden für alles Unglück dieser Welt verantwortlich, sogar für den Terror, der Juden tötet, und für die Shoah. Alles 100mal gesehen, alles von Labour-Aktivisten gehört, in derbster Form, und auch in Deutschland. Aus antisemitischem Morast wird dann ein Hochwasser, und wenn es zur Flutwelle wird, kann man nur hoffen, daß sich alle Juden in Sicherheit gebracht haben.

Das gehört zu jüdischen Ur-Erfahrungen seit Jahrhunderten, wie aus einer Umgebung, in der sie sich heimisch fühlen konnten, auf einmal eine feindselige Umwelt wird, in der täglich Juden bespuckt, beschimpft, getreten und diskriminiert werden. Luciana Berger mußte schließlich mit Personenschutz rumlaufen, und das fanden viele Labour-Aktivisten okay. Die Juden bringen es ja schließlich selbst über sich, wenn sie angegriffen werden – der alte Mythos von „sein Blut über unser Haupt“, mit dem christlicher Anti-Judaismus sich das Gewissen rein putzte, klingt da immer durch.

Kurz, niemand kann behaupten, daß der Antisemitismusvorwurf gegen Labour ein reines Wahrnehmungsproblem ist, dh, eine Ansichtssache, die aus einem anderen Blickwinkel betrachtet anders aussieht. Nicht wahr?

Doch, natürlich.

Am Ende eines Artikels über Corbyn nach seiner Niederlage werden zwei ganze Sätze dem Antisemitismusvorwurf gewidmet. Ich habe die Schlüsselworte, die diesen Vorwurf entkräften, während sie ihn erwähnen, gefettet.

Er gilt als umstritten. Unter anderem wird ihm vorgeworfen, antisemitische Tendenzen in der Labour-Partei nicht entschieden genug bekämpft zu haben. Auch gegen ihn selbst gab es Antisemitismusvorwürfe, vor allem wegen seiner als einseitig wahrgenommenen Unterstützung palästinensischer Interessen im Nahostkonflikt.

Okay? Er ist nicht umstritten, er gilt als umstritten. Damit wird die Kontroverse abgeschwächt.

Es wird ihm vorgeworfen, im Passiv – wer wirft ihm das vor? Durch den Passiv impliziert der Text diese Frage. Wer steckt hinter dem Vorwurf? Nun, wer wohl?

Und seine „Unterstützung palästinensischer Interessen im Nahostkonflikt“ war nicht etwa einseitig, sondern wurde so wahrgenommen. Noch ein Passiv, noch einmal die Frage: wer nimmt das so wahr? Hm?

Ja, durch den zweimal verwendeten Passiv suggeriert der Text einen Akteur, der nicht klar zutage tritt, den aber die Leser, wenn sie so gesinnt sind, sofort erkennen können: die unsichtbare jüdische Hand, die durch Medien und Finanzwelt an allen Strippen zieht, die mittels Antisemitismusvorwurf Menschen zu Umstrittenen macht.

Für die Tagesschau wird somit der Antisemitismusvorwurf schwerwiegender als der offen praktizierte Antisemitismus Corbyns und der Corbynisten. Die Erfahrungen und Erkenntnisse von Ellman, Gibbs, Berger und vielen anderen jüdischen Labour-Mitgliedern werden auf ein bloßes Wahrnehmungsproblem reduziert. Sie werden nicht einmal erwähnt, nicht ernstgenommen.

Ist mein Verdacht ganz unbegründet, daß ein Politiker vom rechten Spektrum nicht so leicht davongekommen wäre? Ich habe es schon öfter von selbstbewußten Linken gehört, daß sie ja gar nicht antisemitisch sein KÖNNEN, weil per definitionem Antisemitismus rechts ist. Corbyns Verteidiger sehen das genauso. So definiert man sich die Welt zurecht. Als wären Linke gegen Rassismus oder Frauenfeindlichkeit oder Vorurteile immun. Ich wünschte, es wäre so! Aber es stimmt nicht – hinter dem guten linken Gewissen, immer auf der richtigen Seite zu sein, blühen Vorurteile aller Arten. Nicht mehr und nicht weniger als bei anderen Menschen auch. Jeder Mensch muß durchlüften. Und Journalisten sollten positive Selbstwahrnehmung nicht mit der Realität verwechseln und Linke nicht nachsichtiger als Rechte behandeln, wenn es um Ressentiments aller Art geht.

(Ich will gar nicht davon anfangen, daß Parteinahme für Hamas und Hisbollah selbstverständlich palästinensischen Interessen nicht nützen, sondern die Unterstützung für Terroristen jede positive Entwicklung für nicht-terroristische Palästinenser verhindert, und das seit Jahrzehnten. Wer palästinensische Interessen wirklich unterstützen will, sollte sich zuerst gegen die Terrorgruppen wenden, die die Palästinenser als Geiseln genommen haben, in einem Endloskrieg gegen Israels Existenz.)

Es ist ein absoluter Skandal, echten, greifbaren Antisemitismus aufzuribbeln und ihn in ein „es wird wahrgenommen, es wird vorgeworfen“ umzustricken. Es zeigt, daß es in der Tagesschau-Redaktion Leute gibt, die Antisemitismus entweder nicht erkennen (damit haben sie selbst ein Wahrnehmungsproblem) oder aber ihrem Publikum keine echte Auseinandersetzung damit zumuten mögen. Ich weiß nicht, was schlimmer ist.

Dystopien, oder: aber den Juden wird doch nichts passieren! Dezember 11, 2019, 19:43

Posted by Lila in Persönliches.
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Was mir im Moment zu Großbritannien einfällt, hätte ich vor ein paar Jahren noch für eine Dystopie gehalten. Nicht nur das ganze Brexit-Spektakel, das nicht nur das Kind,  sondern gleich eine ganze Neugeborenenstation mit dem Badewasser ausschüttet. Eine so unausgegorene Idee, daß man sich nur wundern kann, wie die Briten mal ein Weltreich zusammengehalten haben. Wie haben sie es zusammengehalten? Ach ja, mit Diplomatie und Freundlichkeit.

Ich bin Anglophile und war es immer schon, und ich kenne viele deutsche Anglophile. (Ich pflege zu sagen, daß es natürlich auch britische Germanophile gibt, und daß ich alle drei kenne). Aber was im Moment im Land von John Constable und Barbara Pym vorgeht, verstört mich.

Ich sitze an der Übersetzung eines Texts von Sara Gibbs zum Thema Corbyn, hoffentlich werde ich noch heute Nacht damit fertig. Zutiefst deprimierend.  Wenn er euch zu lang ist, springt in den zweiten Teil, da kommen die Beispiele. An viele erinnere ich mich noch, als sie geschahen, und sie nun so gehäuft zu lesen, ist erschreckend.

Leider höre und lese ich viele, die sagen, Labour wählen ist wichtig, und sie haben auch gute Gründe. Trotzdem graust mir dabei, daß ein offener Antisemit, der noch offenere Antisemiten mal aktiv und mal diskret unterstützt, ein Mann, der den Antisemitismus wieder sagbar gemacht hat, dadurch an die Macht getragen werden könnte. Es gibt noch andere Parteien in UK, man kann taktisch wählen und ein Zeichen setzen, daß man für keine Art von Rassismus zu haben ist, auch den Corbynschen nicht.

Manche Labour-Aktivisten wenden sich an ihre „jüdischen Freunde“ und fordern Verständnis für ihre Wahl. Sie versichern den britischen Juden, daß sie nicht das Geringste gegen sie haben und sie auch nie zulassen werden, daß Juden tatsächlich was passiert. (Wobei Juden auf der ganzen Welt natürlich tagtäglich was passiert, so gestern der Anschlag auf einen koscheren Supermarkt in Jersey City).

Wenn ich das so lese, fällt mir eine Geschichte ein, die mir Y.s Oma erzählt hat.

Sie war ein junges Mädchen, hatte schon eine Ausbildung hinter sich, war aber mißtrauisch, als sie die nationalsozialistische Partei wachsen sah. Sie ging zu einer Veranstaltung der Nazis in ihrer Heimatstadt, um sie sich anzuhören, und entschied sich, ins damalige Mandatsgebiet Palästina auszuwandern. Ihre jüngere Schwester wanderte um dieselbe Zeit nach Moskau aus (wo ihr Mann später bei den stalinistischen Säuberungen hingerichtet wurde).

Y.s Oma nahm ihr Fahrrad mit nach Palästina und einen großen Koffer. Die Reise war lang. Sie fuhr mit dem Zug nach München, stieg dann um in Richtung Genua, und von dort fuhr sie mit dem Schiff nach Haifa (so habe ich es zumindest in Erinnerung). Im Zug nach München saß ihr ein Mann gegenüber, der das Parteiabzeichen der Nazis trug (war es 1934? ich weiß es nicht mehr).  Auf der langen Fahrt kam sie mit ihm ins Gespräch. Sie war eine bildhübsche junge Frau, und der Mann war erstaunt, daß so ein blondes, blauäugiges Fräulein tatsächlich Jüdin ist! Als er hörte, daß sie tatsächlich nach Palästina auswandern wollte, versuchte er, sie davon abzubringen. Aber liebes Fräulein! Menschen wie Sie, die tüchtig sind und gut ausgebildet, die haben doch gar nichts zu befürchten. Wir sind nur gegen die bösen Juden, die Ausbeuter, die Bankiers, die Verbrecher und Betrüger. Da kann doch niemand etwas gegen haben, das ist doch auch in Ihrem Sinne!

Der Mann war so freundlich, der jungen Jüdin das Rad beim Umsteigen in München ans richtige Bahngleis zu schleppen. Er verabschiedete sich herzlich von ihr, und seine letzten Worte waren: „Sie können sicher sein, den Juden wird nichts passieren!“

Und so reiste die junge Oma nach Palästina, wo sie sich in einen genialen Mathematiker verliebte, einen überzeugten Sozialisten aus Berlin, der ihr bei ihrer ersten Arbeit im Kibbuz, in der Bäckerei, eine tote Ratte aus dem Teig fischen half. Sie hatte sich schon gut eingelebt und war verheiratetet, als der Abschiedsbrief ihrer Eltern kam, die nach dem Erlaß der Nürnberger Gesetze Selbstmord begingen (und dadurch als einzige Vorfahren meines Mannes einen Grabstein haben). Die Eltern ihres Mannes, die nach Polen geflohen waren, wurden dort von der Wehrmacht eingeholt und ermordet.

Wer nicht weit weg genug fliehen konnte, in die USA oder nach Palästina, der wurde barbarisch abgeschlachtet, Ahne, Großmutter, Mutter und Kind.

Aber Sie können sicher sein, den Juden wird nichts passieren.

Wieder mal Dezember 7, 2019, 21:36

Posted by Lila in Qassamticker (incl. Gradraketen).
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Raketenalarm am Shabat-Abend.

300 Schüler hatten lange eine schönen Abend der Bnei-Akiva-Jugendbewegung vorbereitet. Durch den Alarm, der die Kinder überraschte, wurde der Abend kaputtgemacht.

Kinder, Familien – Zivilisten waren wie immer Ziel der Terroristen, die diese Raketen regelmäßig abschießen. Das letzte Mal war vor einer Woche.

Der Shabat-Abend ist eine beliebte Zeit für solche Angriffe, weil nach dem ruhigen Shabat viele Leute draußen sind und den Abend genießen.

Werden die Medien davon Notiz nehmen? Nein. In Berlin findet die Konferenz des Palestinian Refugee Center statt. Auf der Seite der Organisation findet sich ein Logo:

Das Logo gehört zur Konferenz im April 2015, ebenfalls in Berlin.

Ich muß doch nicht erklären, was das Logo bedeutet, nicht wahr? Auf der Seite steht auch klipp und klar, daß nicht etwa 1967 rückgängig gemacht werden soll (die Besatzung! die Siedlungen! all diese vielbeklagten Friedenshindernisse, die es nicht gegeben hätte, wenn die Araber nicht mit ihren 3 Nein geantwortet hätten) – nein, es ist 1948, also die Gründung Israels, die zurückgerollt werden soll.

In Berlin wird über die Vernichtung Israels konferiert – in Sderot rennen Schulkinder in Schutzräume.

 

Über doppelte Maßstäbe Dezember 6, 2019, 17:12

Posted by Lila in Persönliches, Uncategorized.
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Youtube hat mir eine Doku-Serie vorgeschlagen, und aus Neugier habe ich die erste und zweite Episode angeguckt. (Ich bin gerade in einer adventlichen Häkelwelle und habe erstmal nur zugehört, dann wollte ich aber auch die Bilder sehen.) Es geht um Kinder der nomadischen ethnischen Minderheiten in Großbritannien und Irland, British travelers und Irish travellers.

Diese Kinder werden gemobbt, diskriminiert und ausgegrenzt. Ihre Familien werden gegängelt, von Stellplätzen vertrieben, leben teilweise ohne Strom und Wasser.

Auf einmal fallen mir Erinnerungen aus meiner Kindheit ein. Ich muß sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein, als wir in Finnland eine Gruppe „Zigeuner“ (meine Eltern benutzten das Wort damals, wir wußten gar nicht, daß es andere gibt) sahen. Die Frauen beeindruckten mich sehr.  Sie trugen wunderschöne Samtröcke, sahen geheimnisvoll aus, und ich weiß nicht mehr, was mein Vater mir über sie erzählte, aber es muß positiv gewesen sein. Ich habe danach noch lange mit meinen Filzstiften finnische Kale-Frauen in langen, prächtigen Samtröcken gemalt.

Natürlich Mond Mond Mond von Ursula Wölfel, ein Buch,  das ich immer noch empfehlenswert finde, auch wenn es natürlich noch veraltete Bezeichnungen wie Zigeuner benutzt. Ich sehe gerade, was ich gar nicht wußte – das Buch ist verfilmt worden, aber die Serie werde ich mir nicht angucken, weil ich so starke innere Bilder von diesem Buch und allen Personen darin habe. Das Schöne beim Lesen war, daß ich meine eigene Welt, die Welt der Gadsche, auf einmal mit den Augen der Mädchen im Wagen sah. (Wenn die Kinder in der britischen Doku-Serie Gorga sagen, ist vermutlich dasselbe gemeint: country people, Seßhafte, wir.)

Das fürchterliche Verbrechen an der Familie des Panelon ist diskret und intensiv zugleich beschrieben. Als Kind wußte ich nicht, wer die bösen lachenden Männer beim brennenden Wagen waren, heute weiß ich es natürlich.

Mein dritter emotionaler Anknüpfungspunkt ist der Film Into the West, den ich im Studium gesehen habe. Der Kurs hieß „Kindheit im Kino“, oh, und ich habe eine Hausarbeit über Pünktchen und Anton geschrieben (und dabei gleich mal mit Erich Kästners Müttern abgerechnet – ich finde Antons Mutter einfach furchtbar, alle Mütter bei Kästner scheren sich um niemand als ihre eigenen Küken! jawohl!) .

Ein weiterer Berührungspunkt ist der Friedhof meiner Heimatstadt. Neben dem Grab meines Stiefvaters, zu dem ich immer mindestens zweimal gehe, wenn ich in Deutschland bin, ist eine ganze Reihe Gräber einer fahrenden Gemeinschaft, ich weiß nicht, ob Roma oder Sinti. Sie sind sehr prächtig, mit Madonnenstatuen und Marmorbögen, und das prächtigste Grab ist das des „Zigeunerkönigs“, wie uns eine Nachbarin verriet. Meine Mutter trifft die Angehörigen regelmäßig auf dem Friedhof und hat sie im Laufe der Jahre kennengelernt.

Fremde Welten, sehr interessant, so nah an unserer eigenen und doch so schwer zu verstehen.

Und was passiert mir immer, wenn ich so eine Serie sehe? Unbewußt kommen die Gedanken hoch. Irland. In Irland ist Israel negativ konnotiert wie kaum in einem anderen europäischen Land. Irische Zeitungen und Politiker sind so pro-palästinensisch, daß der israelische Standpunkt im Diskurs kaum vorkommt.  Aber wieso kritisieren eigentlich die Iren mit solcher Hingabe Israel, wenn sie selbst die travellers so miserabel behandeln, ohne daß es dafür irgendwelche Begründungen gibt außer Haß und Vorurteilen? Die travellers haben nie Terror in irische Städte getragen, es gibt bei ihnen keine Haßprediger und keinen Wunsch, Irland abzuschaffen und zu ersetzen. Israel hat für die meisten der Maßnahmen, die zB irische Journalisten anprangern, gute Gründe.

Es ist mir ein Rätsel, wie ein Land, in dem ein solches soziales Problem wie die Ausgrenzung und Diskriminierung einer kulturellen und ethnischen Minderheit über Jahrzehnte, ja Jahrhunderte andauert, sich anmaßt, über ein anderes Land so harsch zu urteilen. Tja, die alte Sache mit dem Splitter und dem Balken.

Doch egal, bei mir geht inzwischen alles durch diesen Filter, manchmal würde ich das gern abstellen. Ich wünsche den gypsy kids jedenfalls eine glückliche Zukunft, ohne Mobbing-Erfahrungen, Ablehnung und Schulwechsel deswegen. Vielleicht bekommen sie dann eine positivere Vorstellung von Erziehung und Schulbildung, ohne ihre eigene Kultur aufzugeben. Denn mit elf von der Schule abzugehen – das ist heutzutage nicht genug.

Ich werde jetzt weiter gucken und meine Häkelnadel läuft wieder warm. Weihnachten kommt jedes Jahr so überraschend 🙂

Redensarten Dezember 6, 2019, 1:04

Posted by Lila in Ivrit, Uncategorized.
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Wie meine treuen Leser wissen, versuche ich beim Hebräisch-Sprechen sinnloserweise, aber desto eifriger, die Spuren meines Akzents zu verwischen. Dazu kommt echter Spaß an der knappen und trockenen Art, mit der das Hebräische Anerkennung oder Verachtung ausdrückt, oder auch bestimmte Haltungen. Darum bin ich bekennender Fan des hebräischen Slang. (Ich muß es auch sein, sonst würde ich meinen Mann nicht verstehen).

Auch beim Slang gibt es wechselnde Moden. Vielleicht sogar noch schneller als in der Mode, wo man doch in den Zeitungen sehen kann, daß man dieses Vierteljahr unbedingt nieten- oder fellbesetzte Schlüppchen tragen muß (die man dann im Februar wegwerfen kann). Keiner sagt also mehr chaval al ha zeman oder sof haderech, genauso wie niemand mehr dufte oder oberprima oder affengeil sagt (falls das je jemand getan hat).

Dabei war das wegwerfend dahingesagte, überaus anerkennende chaval al ha-zeman wirklich nützlich. Enigmatischerweise heißt es nämlich wörtlich „schade um die Zeit“. Ein Beispiel. „Wie war die Party?“ „schade um die Zeit!“ bedeutete eben nicht „wäre ich mal zuhause geblieben und hätte eine belehrende Sendung mit Dr. Avshalom Kor geguckt*“, sondern „wow, die war so gut, daß es Zeitverschwendung wäre, sie dir zu beschreiben, weil du es sowieso nicht begreifen würdest!“

Chaval al ha-zeman war jahrelang in aller Munde. Als ich hörte, wie Grundschulkinder es in „chablaz“ abkürzten, war mir klar, daß das letzte Stündlein dieses Ausdrucks gekommen war. Heute sagt es kaum noch jemand, außer ein paar Omas und Opas, die meinen, dann finden die Enkelkinder sie toll.

 

Sof ha-derech war auch eine Zeitlang populär. Es bedeutet wörtlich „Ende der Straße“ und klingt damit wie das englische „end of the road“, aber es ist ein böser false friend, denn es ist keineswegs ein Endpunkt, sondern so wie ein ganz toller Preis am Ende der Straße, ein Höhepunkt. Danach kann nichts Besseres mehr kommen. Inzwischen ist auch diese Redensart an ihrer letzten Haltestelle angekommen, und ich habe lange nicht mehr gehört, daß jemand sof ha-derech sagt.

 

Statt dessen ist ein neues Modewort dran – alle sagen metoraf.  Wahnsinnig. Wenn ich für jedes einzelne Mal, daß ich jemanden metoraf sagen höre, einen halben Shekel kriegte, wäre ich nach wenigen Wochen im Besitze eines hübschen Teleskops mit allem Drum und Dran. Einfach Wahnsinn.

Teruf und shigaon sind Synonyme, so wie Wahnsinn und das alte WortTollheit. Shigaon kann man auch sagen, und man sagt immer noch über Leute, daß sie meshugge sind (meshuga bei Männern, meshugaat bei Frauen), aber das klingt nicht gerade wie eine Empfehlung.

Es sei denn natürlich, man ist Sarit Chadad und kann damit kokettieren, daß alle einen für ein bißchen meshugaat halten. (Eyal Golan singt ein Lied namens Metoraf, sehe ich gerade, aber es ist so fürchterlich, daß ich es nur verlinke, für Leute, die wirklich hart im Nehmen sind.)

Wie war der Film? Metoraf. Der Urlaub? Metoraf. Der Berufsverkehr? Natürlich auch metoraf. Je nach Gesichtsausdruck und Gestik versteht man schon, auf welche Art und Weise metoraf. Ich habe von dem Wort die Nase voll und warte aufs nächste.

 

Abgesehen von diesen wechselnden Superlativen, die so oft benutzt werden, daß sie gar nichts mehr bedeuten, hat das Hebräische aber die Kunst der Verknappung perfektioniert. Ein Grund, weshalb es so leicht ist, mit wenig Ivrit schon schöne Unterhaltungen zu führen, ist diese Verdichtung ganzer Sätze in ein Wort.

(Da das Hebräische Präfixe und Suffixe an das Verb hängt, spart man das ganze ich, du, er, sie…… sowie auch mein, dein, sein, ihr, und Hilfsverben werden nur in einer Art Konjunktiv benutzt. Das spart ganz schön bei der Wortzählung. Deutsch: ich bin gegangen, drei Wörter. Hebräisch: halachti, ein Wort.)

 

Noch ein paar Beispiele für knappe idioms, die ich schätze.

Ein sechel, ein bayot – kein Verstand, keine Probleme, das sagt mein Mann manchmal.  Hingeschrieben sieht es nicht so witzig aus, wie es klingt, wenn mein Mann damit eine Situation zusammenfaßt.

 

Katonti sagt man, wenn man ausdrücken will, daß man klein (katan) unwürdig ist. Wenn man zum Beispiel einer Koryphäe widerspricht, sagt man, „also katonti, aber vielleicht sollte man es auch mal von der oder der Seite betrachten?“ Mit dem katonti (ich Wurm) kommt man dann gleich der Kritik zuvor, daß man ja keine Ahnung hat. Eine recht elegante Art, sich als Underdog zu positionieren und die Kritik doch anzubringen.

Natürlich kann man mit katonti auch eine Niederlage einräumen, wenn die Koryphäe einem nämlich geantwortet hat und vom eigenen Argument nichts mehr übrigbleibt. Dann kann man mit katonti zugeben, daß die andere Seite die besseren Argumente hat.

Rosh katan (wörtlich: kleiner Kopf) benutzt man für Leute, die sich keinen Kopf machen, also die Leute im Team, die keine Verantwortung übernehmen und keine Meinung haben. „Da spiele ich rosh katan“ sagt man, wenn man eine Aufgabe nur irgendwie hinter sich bringen will und keine Lust hat, die Leitung zu übernehmen, Ideen einzubringen oder sich wirklich nützlich zu machen.

Higdil bzw higdila rosh, er bzw sie hat den Kopf vergrößert, sagt man dagegen anerkennend über Leute, die vom rosh katan zum rosh gadol (großen Kopf) geworden sind.

 

Titchadesh sagt man zu Männern, titchadshi zu Frauen, die sich gerade was Neues gekauft haben, die Frisur, Augenbrauen oder Schuhe haben überholen lassen. Chadash heißt neu, und wörtlich heißt das Wort: erneure dich! Sinngemäß: Glückwünsche zum Kauf. Man kriegt es im Laden hinterhergerufen, wenn man bezahlt hat, aber auch von aufmerksamen Freunden und Kollegen, denen auffällt, daß man irgendwie anders aussieht. Es ist ein diplomatisches Wort, weil es nichts darüber sagt, ob die Veränderung zum Guten oder Schlechten ist.

 

Dai heißt genug, hör auf.  Die Steigerungsform ist dai kvar, enough already!,  und es ist für europäische Ohren deutlich gewöhnungsbedürftig, wenn man hört, wie Eltern dem Kind, das sich bockig auf dem Boden wälzt, sagen: dai!  Aber sie wünschen ihm keineswegs den Tod, sondern finden nur, genug geweint und gewälzt.

In den letzten Jahren hat sich außerdem eingebürgert, dai als Ausdruck der Ungläubigkeit zu benutzen, besonders Frauen tun das oft (und machen eine Handbewegung dabei, so ein Abwinken). Hör auf! dai! Kann doch nicht sein!  Gibts nicht!  Ich finde kein deutsches Wort, das dai ersetzen könnte.

 

Über das berühmte nu hat Kishon eigentlich schon alles gesagt, was zu sagen ist. Es ist in den letzten Jahren etwas aus der Mode gekommen, weil es altväterlich-jiddisch klingt, aber trotzdem versteht es jeder. Nuuu….? fragt man Frauen am Ende der Schwangerschaft, nu kvar! ruft man trödelnden Kindern zu (wirds bald! der Schlachtruf meines Vaters) und ganz knapp NU?, wenn man schnell eine Antwort haben möchte.  Mit ironischen Augenbrauen bedeutet nu auch: das habe ich dir gleich gesagt, und nuuuuu kann man quengeln, wenn man ganz dringend was haben oder wissen will. Nu tov, na gut, jetzt könnt ihr mit dieser Liste schon zwei Wochen in Israel über die Runden kommen und werdet für Euer Hebräisch bewundert.

 

* Geständnis: ich habe Avshalom Kors Sendungen über die hebräische Sprache schon genossen, als ich nur wenig davon verstanden habe. Y. hat sie mir nämlich empfohlen. Und heutzutage gehört seine Radiosendung am frühen Morgen zu meinen und Y.s Morgenritualen. Wenn wir nämlich zusammen zur Arbeit fahren, was zweimal die Woche passiert, hören wir sie im Auto, trinken dazu Kaffee und das ist lehrreich und gemütlich zugleich. Vor einem Jahr habe ich Kor persönlich getroffen, bei einer akademischen Veranstaltung, war aber zu schüchtern, ihm zu sagen, daß ich mit seinen Sendungen vor 32 Jahren praktisch Ivrit gelernt habe.

 

 

(Beim Rumstöbern, um sicherzugehen, daß ich nicht irgendwas fürchterlich mißverstanden habe, habe ich diesen Blog-Eintrag gefunden – leider auf Ivrit, über die Verknappung und Ellipse in der hebräischen Umgangssprache. Falls jemand Interesse hat.)

Von Asche und Erde Dezember 2, 2019, 20:28

Posted by Lila in Deutschland, Uncategorized.
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Bisher hatte ich nicht von ihnen gehört, war vielleicht besser so. Das Zentrum für politische Schönheit rühmt sich seiner Aktionen – politische Aktionen, die sich als konzeptuelle Kunst ausgeben, meinetwegen.

Als ich heute früh über ihre neuste Aktion las, erstarrte ich innerlich so eiskalt, daß ich nicht reagieren konnte, es auch nicht wollte.

Eine Gedenkstätte mit der „Asche der Ermordeten Hitlerdeutschlands“ haben die Aktionskünstler des „Zentrums für politische Schönheit“ (ZPS) nach eigenen Angaben am Montag in Berlin gegenüber dem Reichstag errichtet.

Dazu habe man, so die Aktivisten in einer Pressemitteilung am Montag, „Knochenkohle, sedimentierte Asche und menschliche Fragmente“ unter anderem aus der Nähe von Auschwitz zusammengetragen und in einer Säule sichtbar gemacht. Es handele sich um Überreste der Opfer, die von den Nationalsozialisten überall hinterlassen worden seien. An 23 Orten in Deutschland, Polen und der Ukraine seien von den Aktivisten Proben entnommen worden. Laboruntersuchungen hätten „in über 70 Prozent Hinweise auf menschliche Überreste“ ergeben.

Die Gedenkstätte im Berliner Regierungsviertel sei, so die Aktivisten, ab sofort zugänglich, „offiziell“ aber nur bis Samstag genehmigt, hieß. An diesem Tag soll es dort einen „zivilgesellschaftlichen Zapfenstreich gegen die AfD“ geben.

Ich bin noch immer so entsetzt und zornig, daß ich es schwierig finde, zu schreiben.

Sogar eine Karte zeigt an, wo z.B. solche Erde entnommen wurde.

Auch wozu sie dienen soll, wird erläutert.

Es werden also die Leichenteile der brutal Ermordeten, denen das Grab verweigert wurde, jetzt zum Zapfenstreich gegen die AfD eingesetzt? Wie weit kann man tote Juden noch instrumentalisieren?  Bürgerrechte, Menschenwürde, Haare, Schuhe und Goldzähne wurden ihnen genommen, die Kinder entrissen, die Arbeitskraft ausgenutzt, sie wurden brutal gedemütigt und entwürdigt, bevor sie ermordet wurden – und sie haben keine Gräber. Die Erde, in der ihre Asche ruht, ist für Juden aus aller Welt ein Ort, an dem sie der Toten gedenken.

Leichen toter Juden, denen man alles genommen hatte, wurden noch geschändet, indem man Experimente mit ihrer Haut und anderen Körperteilen machte.

Das alles ist bekannt.

Wie wichtig die Totenruhe für Juden ist, habe ich mehrmal erläutert. Jüdische Friedhöfe werden nicht eingeebnet, Gräber bleiben für die Ewigkeit, Kremation ist unüblich.

Als Y.s Oma starb, begruben wir sie im Kibbuz. Sie war die Älteste von vielen Geschwistern, alle im Warschauer Ghetto gestorben, bis auf die Jüngste. Y.s Großtante konnte sich durch die Kanalisation retten und wurde von einer polnischen katholischen Familie gerettet. Sie stand also am Grab ihrer ältesten Schwester und sagte leise: „wenigstens hat sie ein Grab“. Denn weder ihre Eltern noch Geschwister, noch die vielen Vettern und Kusinen, über die sie in Yad VaShem Zeugnis ablegte, hatten ein Grab.

Nach einigen Stunden sah ich, daß bei Twitter kritische Nachfragen kommen.

Und jetzt seht Euch diese Antwort an. Wo waren die Opfer des Holocaust, bevor diese selbstzufriedenen, kaltschnäuzigen, gewissenlosen „Künstler“ sich daran erinnert haben, daß man ja mit ihnen den Aufmerksamkeitsfaktor für eine Aktion in die Höhe treiben könnte?

Gab es tatsächlich kein Gedenken?

Gedenken, an dem das Zentrum für politische Schönheit nicht beteiligt ist, von dem es nichts weiß und auch nicht wissen will, gilt nicht.

Ich habe mich dann natürlich in die Diskussion eingemischt, was ich schon heute früh hätte tun sollen.

Immerhin bekam ich nur eine dummdreiste Antwort, was mir den Glauben an die Menschheit wiedergab. Die meisten waren entsetzt oder zumindest skeptisch. Bei Facebook geben sich einige Kommentatoren tatsächlich beeindruckt.

Einen Moment des Innehaltens, ob man tatsächlich bis zum Gebrauch von Leichenteilen den Holocaust für die eigenen politischen Zwecke mißbrauchen darf, scheint es bei diesem Zentrum nicht zu geben – sie haben den Holocaust schon mehrmals für sich vereinnahmt, wie die Wikipedia-Seite zeigt. Die Frage, ob es Nachkommen der Täter zusteht, sich Knochen und Asche der Opfer anzueignen, um sie als Waffen in einem innenpolitischen Rundumschlag gegen Konservative, Faschisten, Nazis, Rechte und AfD (ist ja alles irgendwie dasselbe) (Sarkasmus-Flagge gehißt) einzusetzen, scheint ihnen nicht gekommen zu sein. Auch jetzt sehe ich keinen Ansatz von Einsicht.

Es ist dieselbe Mentalität. Wir bestimmen, wo die Juden leben, wie sie leben, ob sie leben, wann und wie sie sterben. Nicht mal über ihre Knochensplitter haben sie Autonomie.

Und was, wenn diese „Künstler“ gar nicht in der Erde gescharrt haben, sondern einfach im Gartencenter Kompost gekauft haben und den jetzt in einer Säule zur Schau stellen?

Auch das würde nichts an der Dreistigkeit ändern, mit der sich an Leid und Trauer anderer vergriffen wird. Es würde mich nicht wundern, wenn das von A bis Z nur eine einzige morbide Show ist, unter dem Mäntelchen der politischen Korrektheit und selbstgerechten Arroganz. Verstören wollen sie – aber warum die Opfer verstören, warum nicht die Täter?

Eine Aktion, die paßgenau mit der wachsenden Judenfeindlichkeit in Europa zusammengeht, dem Unwillen, der jüdischen Perspektive auch nur einen Gedanken zu schenken. Corbyn, der sechs Gelegenheiten verstreichen läßt, sich gegen Antisemitismus auszusprechen. Umfragen, die bezeugen, wie übel Europäer es den Juden nehmen, zu viel über den Holocaust zu reden (den doch das komische Zentrum gerade erst aufgedeckt hat!). Ich bin entsetzt, hoffe aber, daß sich Protest dagegen regt.

FR gibt die Meldung unkommentiert weiter, ebenso die Welt. Sehr guter Kommentar: Aschfahl  

Die SZ findet es natürlich gut.

Doch, die Aktion ist gelungen. Das ZPS kann sich, trotz eventueller Vorwürfe der Pietätlosigkeit, darauf berufen, dass es Opfern des Holocausts und Widerstandskämpfern wie dem 1944 ermordeten Salmen Gradowski, zu Lebzeiten noch gelang, Notizen zu hinterlassen, in denen sie die Nachwelt instruierten, nach ihrer Asche zu suchen und mit ihr das Gedenken an die Millionen Ermordeten wachzuhalten. Die Frage wäre heute wohl eher, ob die Nachfahren jüdischer Holocaust-Opfer Anstoß daran nehmen könnten, dass die Überreste ihrer Vorfahren hier, eingegossen in von innen beleuchtetem Klarsichtharz, auch deutlich an eine katholische Reliquienmonstranz erinnern? Vielleicht ist das Haarspalterei.

Haarspalterei, wie man sie von Juden ja kennt.

Pfui Teufel.

Ein weiteres Twitter-Bonbon:

Die Vorstellung, daß jüdische Leichenteile mehr bedeuten könnten als ideologisch-aktivistische Manövriermasse, die man von Ort zu Ort schafft, scheint manchen Leuten sehr fern zu liegen. Da hat einer die moralische Selbstgerechtigkeit mit Spaten gefressen.

Weitere Stimmen dazu: Ruhrbarone und Ramona Ambs. Auch sehr lesenswert: Enno Lenze.