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6:35, Morgendämmerung, November 30, 2023, 6:51

Posted by Lila in Land und Leute.
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und wenn die Hamas nicht mit einem akzeptablen Vorschlag aufschlägt, geht der Krieg um 7 weiter.

Die Spielchen, die Hamas bei den Geisel“befreiungen“ gespielt hat, waren ekelhaft, das Verhalten der „unschuldigen Zivilisten“ einfach nur barbarisch, brutal und abstoßend. Selbstverständlich sind wir alle für jede freigepreßte Geisel dankbar, doch der Preis ist hoch. In Jerusalem wird das Leben jetzt noch gefährlicher, weil soeben freigelassene, hochmotivierte Terroristen darauf brennen, zu zeigen, daß es nur durch Pech letztes Mal nicht geklappt hat, Juden zu morden.

Die Aussicht, wieder Tag und Nacht um die Soldaten zu bangen, wieder täglich mit anzuhören, wie westliche Medien Israel dämonisieren und eine wahre Al-Aqsa-Flut an Mitleid über Gaza ausschütten, ist beklemmend. Was in der Auseinandersetzung mit Hisbollah, die so sicher ist wie die Leere in der Kirche, auf uns zukommen wird, ist nicht weniger beklemmend.

Hamas bietet Leichen zum Tausch an, drei. Sieben Frauen und Kinder, drei Leichen, mehr haben sie nicht. Keiner kann der Möglichkeit ins Auge sehen, daß zwei dieser Leichen unter Umständen sehr klein und zart sind und rote Haare haben.

Alles hat einen Preis für Hamas, Menschen sind Jetons, die über den Tisch geschoben werden. Die Unmenschlichkeit dieses Austauschs geht gegen alles, woran wir glauben.

Was wir von den Geiseln hören über ihre Zeit in Gaza, ist entsetzlich. UNRWA beschäftigt Lehrer und Ärzte, die Kinder als Geiseln halten und sie fast verhungern lassen.

Die Komplizität zwischen UNRWA und Hamas, die wir schon lange geahnt haben, ist nun mit vielen Beweisen belegbar. Das Krankenhaus Al Shifa allein ist schon Beweis genug.

Wird das alles Folgen haben? Und daß das Internationale Rote Kreuz sich von Hamas hat beflaggen lassen, und seine Mitarbeiter die Hamas wie Kumpels begrüßen?

Nein, ich weiß nicht, ob das überhaupt jemanden kümmert. Palästina-Soli-Demos sind laut, gewaltsam, einschüchternd, und man sollte meinen, zivilisierte Menschen im Westen müßten sich mit Grauen abwenden, wenn sie sehen, wie der Mob Hotels mit Geiselfamilien in Melbourne oder Weihnachtsbaum-Feiern in New York stürmt. Aber nein, die Unterstützung ist unerschütterlich, scheint es.

Junge Menschen, die ihre Geschichtskenntnisse aus Tiktok beziehen, sind genauso von Palästina, diesem wunderbaren Land mit seinen tiiiiefen Wurzeln, begeistert, wie Frauen meines Alters, die für alles Orientalische schwärmen und alle Araber nur als edle Wilde oder edle Opfer sehen können.

Politiker beteuern ihre Empörung über die Ereignisse des 7.10., während sie still zum Scheckbuch greifen und noch ein paar Millionen für „Zivilisten“ im Gazastreifen rüberschieben. Als wäre nicht mehr als klar, was mit dem Geld geschieht. Als wäre eine EINZIGE Bedingung schon zu viel, um den Empfängern dieser Summen nur ja nicht klarzumachen, daß Taten Folgen haben.

Nein, vor den Folgen müssen die Palästinenser bewahrt werden. Israel soll das wegstecken, sich nicht wehren.

Die Minuten ticken, ich weiß nicht, was ich mir wünschen soll oder was überhaupt vorgeht. Gleich mach ich die Nachrichten an. Egal was kommt – weitere Triumphgesänge erfolgreicher Erpresser oder die Wiederkehr des Grauens, das Krieg heißt – ich fürchte es und weiß doch: da müssen wir jetzt durch, es geht nicht anders, sonst wird dieses Land unbewohnbar an seinen Grenzen und im Innern.

Konfrontationslinie November 18, 2023, 15:40

Posted by Lila in Land und Leute.
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Seit vielen Jahren ist die App des Homefront-Kommandos für alle Israelis ein Muß. Es gibt auch verschiedene inoffizielle Versionen, aber die von der IDF produzierte App ist die zuverlässigste.

Sie zeigt uns an, welche Anweisungen für den Ort gelten, an dem man sich gerade aufhält, rappelt und leuchtet wie wahnsinnig, wenn Alarm ist, und zeigt alle Alarme des Tages an.

So sieht es zum Beispiel aus, wenn ich in Nahariya bin. Ich arbeite dort, und ich weiß genau, wo ich hin muß, falls es Alarm geben sollte. Ich habe 15 Sekunden, es könnte knapp werden, aber 15 Sekunden sind immerhin 15 Sekunden.

Bei uns zuhause haben wir diese 15 Sekunden nicht. Wenn hier Alarm ist, hört man die Explosionen gleichzeitig mit dem Alarm, meistens aber kommen die Explosionen zuerst und dann der Alarm.

Und ich höre gerade, daß in Sderot eine Rakete auf ein Haus gefallen ist, direkt auf den Schutzraum. Es interessiert uns natürlich alle, wie der Schutzraum standgehalten hat. Da Sderot größtenteils geräumt ist, hoffe ich sehr, daß niemand verletzt wurde.

Zivilschutz rettet unsere Leben, hat aber auch dazu geführt, daß niemand die Bedrohung mehr ernstnimmt. Ich kenne kein anderes Land, das sich über Jahrzehnte hat beschießen lassen. Und jetzt, wo Israel sich wieder einmal wehren muß, damit das Leben auch in Sderot wieder sicher wird, schreit die ganze Welt Gewalt.

2001 fingen die Mörsergranaten aus dem Gazastreifen an, und es gab kein Jahr ganz ohne Angriffe. (Quelle) In der Graphik ist die letzte Welle gar nicht drin, und auch die Angriffe aus dem Norden nicht. Für die Angriffe aus dem Libanon gibt es eine extra Wikipedia-Seite, und auch aus Syrien und dem Jemen sind wir beschossen worden.

International finden diese Angriffe überhaupt nicht statt. Ihr lest nichts darüber, ihr hört nichts davon. Israelis sollen das einfach hinnehmen.

Fällt euch ein anderes Land ein, dessen Einwohner sich einfach nicht wehren dürfen, ohne des Genzids beschuldigt zu werden?

Sechs Wochen November 18, 2023, 11:32

Posted by Lila in Land und Leute.
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Es ist noch viel zu früh für eine Zwischenbilanz, das Leben wird nicht wieder „normal“ werden, und im Rückblick erkenne ich, daß es nie normal war. Aber noch ist die alte Welt nicht so weit entfernt, der Schock der Veränderung noch nicht verarbeitet, sowohl auf der persönlichen als auch der politischen und nationalen und internationalen Ebene. Wir sind in der Nachbeben-Phase, und das Nachbeben könnte sich durchaus als Vorbeben herausstellen.

Wir sind noch hier, und nach neusten Messungen ist die nördliche Grenze unseres Moshavs weniger als 5 km von der Grenze entfernt. Ich habe immer auf Google Maps gemessen, von unserem Haus aus, da sind es knapp über 5km. Tatsächlich ist Manot sehr nah an der Grenze zum Libanon, und viele Bewohner schäumen, daß wir nicht offiziell evakuiert werden. Wer weg will, muß das privat organisieren und bezahlen. Viele der Moshavniks, die immer treu ihren Bibi gewählt haben, sind jetzt entsetzt darüber, wohin die Gelder der Koalition gehen und fühlen sich betrogen, daß sich um uns hier niemand kümmert. Es gibt erste Proteste, aber viele werden natürlich bei den nächsten Wahlen trotzdem Likud wählen.

Wie inkompetent und impotent die Regierung wirklich ist, wie wenig Gesicht sie zeigt und wie alleingelassen sich viele Menschen fühlen, drückt sich auf vielen Wegen aus, und die positivste davon ist die Initiative der Bürger. Spenden für Evakuierte sammeln, Spenden für Soldaten organisieren, Proteste mit den Familien der Entführten auf die Beine stellen, Informationen über ihr Schicksal aufspüren – das alles tun Bürger, während die staatlichen Stellen zusehen.

Da wir, Yaron und ich, uns niemals auf die Regierung verlassen haben, überrascht es uns nicht. Bibi hat im Laufe der Jahre viele Ämter und Ministerien von innen ausgehöhlt und mit Menschen besetzt, die ihm genehm waren, und die jetzt hilflos vor ihren Aufgaben stehen. Wir erwarten keine Hilfe vom Staat. Ich habe von meinen drei Arbeitsstellen zwei verloren, für den Einkommensverlust werde ich nicht entschädigt, wir müssen irgendwie damit über die Runden kommen. Und so geht es nicht nur mir. Die ganzen Jahre habe ich in die Nationalversicherung eingezahlt, aber ich habe keinerlei Recht auf Unterstützung. Die Solidarität, die der Staat heute verweigert, schenken die Menschen sich gegenseitig, und der Rest bleibt ein privates Problem.

Wir wollen nicht evakuiert werden, wir wollen hierbleiben. Viele Nachbarn, besonders die mit kleinen Kindern, sind auf eigene Faust und eigene Kosten weggegangen – in Hotels oder Ferienwohnungen, oder zu Verwandten. Manche, die sich das nicht mehr leisten konnten, sind wieder zurückgekehrt. Schulen und Kindergärten gibt es nicht mehr, es muß sich anfühlen wie Corona mit Raketen, und ein paar Lehrerinnen versuchen, ein Angebot im Bunker zu organisieren, damit die Kinder wenigstens einmal am Tag aus dem Haus kommen (ich helfe da manchmal mit). Oberschüler „lernen“ mit Zoom, und diese Generation von Kindern, die Corona und nun den Krieg mitgemacht haben, werden daran lange knapsen. Ein ganzes Kapitel Normalität, die Konstante Schule, fehlt ihnen.

Aber wir halten es hier gut aus. Die Soldaten sind aus Manot abgezogen worden, so ziemlich die einzige „Maßnahme“, die die Regierung ergriffen hat, nachdem sich die Vertreter der regional councils (Kommunen?) beschwert haben. Das war vor einer Woche. Sie hatten ein Treffen mit Bibi, der sie nach Jerusalem eingeladen hat. Das haben die Bürger im Norden wütend aufgenommen, und so hat Bibi sich dann in den Norden begeben. Bürger hat er nicht getroffen, nur die Bürgermeister und Leiter der Kommunen, aber geändert hat sich nichts, außer daß die Soldaten aus den Orten abgezogen und im Feld versteckt worden sind, und die Kontrollpunkte ein paar Kilometer weiter nördlich verlegt wurden. Damit es sich nicht so wie Krieg anfühlt. Die Einwohner der Gegend hier schäumen, vollkommen zu Recht.

Das Sicherheitsteam des Moshavs funktioniert. Die Armee auch. Der Ablauf bei „Vorfällen“ ist, wie ich bereits beschrieben habe, immer gleich. Ich höre Unruhe und Rumpeln – sehe Alarm auf der Alarm-App in Orten hier in der Nähe – dann die Artillerie der IDF – die Whatsapp-Nachricht vom Sicherheitsteam kommt sofort rein – etwas später kommt es auch in den Nachrichten, meist mit knapper Information, was genau passiert ist und wo.

Und so abartig es klingt, ich habe mich daran gewöhnt. Die große Spannung, was nun als nächstes kommt, ist abgeklungen, die Amplituden, von denen ich vor ein paar Wochen erzählt habe, sind deutlich flacher geworden. Ich verlasse mich darauf, daß IDF genau abwägt, wie und wo zurückgeschossen wird, um den Beschuß der Hisbollah nicht unbeantwortet zu lassen und Stützpunkte der Hisbollah zu zerstören, ohne daß es sich zu einem Gegenschlag auswächst.

Obwohl es durchaus Diskussionen darüber gibt, ob wir nicht einen Gegen- und Präventivschlag führen sollten, um die Hisbollah militärisch hinter die Litani-Grenze zurückzudrängen, die sie ja laut Resolution 1701 gar nicht überschreiten dürften. Es ist möglich, daß dieser Präventivschlag noch kommt, aber nicht gleichzeitig mit der Front im Süden.

Ich fühle mich hier aber nicht mehr so gefährdet wie zu Anfang. Fast bin ich dankbar, daß die Illusion der Sicherheit zerbrochen ist und der Alltag mir klarmacht, daß ich in einer gefährlichen Gegend lebe, was ich vorher auch wußte, aber nur mit dem Kopf. Jetzt hat der ganze Körper es kapiert. Und damit kann man leben.

Eine Bekannte von mir lebt direkt an der Grenze, in Kibbuz Chanita, der nördlichsten Häuserreihe.

Also praktisch auf der Blauen Linie, der Grenze. Sie ist tiefer erschüttert als ich, ist natürlich evakuiert (sie lebt jetzt bei ihrer Mutter in Nahariya, hört also auch die Artillerie dumpf aus der Ferne), und sie macht sich mit Grauen klar, daß das, was in Kibbuz Beeri passiert ist, auch ihr hätte passieren können. Sie weiß nicht, ob sie je zurückkehren kann in den Kibbuz, in dem ihr Mann geboren und aufgewachsen ist, und wo sie ihre Kinder großgezogen hat. Und viele, viele Israelis in den wirklich grenznahen Orten stellen sich diese Frage, während sie aus Koffern leben und die Regierung keine Antworten gibt.

So kraß ist es bei uns nicht. Wäre die Hisbollah am 7.10. ebenfalls über die Grenze gestürmt, hätte Israel von Norden und Süden aufgerollt werden können. Man muß sich das klarmachen. Die IDF hat inzwischen Pläne gefunden, die zeigen, wie weit die Hamas vordringen wollte. Es ist noch immer nicht klar, warum die Hisbollah sich nicht aktiv beteiligt hat, und auch Nasrallah in seinen Reden uns nicht den Krieg erklärt hat (der besteht von seiner Seite aus sowieso), sondern der Hamas nur seine moralische Unterstützung erklärt hat. Ja, wir sind im Krieg, aber es ist ein Zermürbungskrieg auf kleiner Flamme.

Inzwischen ist ziemlich klar, daß die Hamas allein losgestürmt ist und die Hisbollah und Teheran, die bei der Vorbereitung geholfen hatten, gewissermaßen überrascht hat. Es gab vermutlich Uneinigkeit zum Datum, obwohl man sagen muß, daß Hamas das Datum gut gewählt hat. Ein Tag nach dem 50jährigen Jahrestag des Yom-Kippur-Kriegsausbruchs, dem Trauma der Überraschung, an einem Shabat und Feiertag. Die IDF war auf die Gebiete konzentriert, und zu diesen Entscheidungen, warum die Gaza-Brigada nicht an der Grenze zum Gazastreifen war, wird es nach dem Krieg sehr ernste Diskussioinen geben müssen.

Aber die Tatsache bleibt, daß die Hisbollah die Nordgrenze zwar punktuell angreift (auch jetzt höre ich die Artillerie im Hintergrund: Zeichen dafür, daß es einen solchen Angriff auch heute früh gab), aber nicht in einen All-out war gezogen ist. Meine persönliche Vermutung ist, daß Hisbollah erst angreifen wird, wenn Teheran offiziell eine Atommacht ist. Aber ich bin keine militärische Spezialistin.

Es ist also viel Vertrauen zerbrochen. IDF hat durch den Einsatz im Gazastreifen, der bisher Erfolge gezeigt hat (wie die Aufdeckung der zivilen Tarnung aller militärischen Einrichtungen, also Kriegsverbrechen, die Israel immer angeprangert hat, was aber niemand glauben wollte), einen Teil des Vertrauens wiedergewonnen, aber die Regierung hat durch ihren Komplettausfall seit dem 7.10. noch mehr Vertrauen verspielt.

Dafür haben sich die Beziehungen zwischen jüdischen Israelis und Minderheiten-Israelis sehr verbessert. Der Schock des 7.10. hat allen klargemacht, daß wir in einem Boot sitzen, und die Brutalität der Hamas, mit der sie Beduinen und Muslime abgeschlachtet hat, hat uns enger zusammengebracht. Auch viele andere Streitigkeiten sind jetzt weniger wichtig. Auch Reservisten, die vor dem 7.10. wegen der Justizreform den Dienst verweigern wollten, sind selbstverständlich jetzt in Uniform und kämpfen für ihr Land im Gazastreifen. Alle wissen, daß es nicht darum geht, für Bibi zu kämpfen. Sondern dafür, daß vielleicht eines Tages Kibbuz Beeri neu aufgebaut werden kann, und daß die Bewohner von Sderot dort wieder ruhig schlafen können. Was sie seit 2003 nicht mehr konnten, als der Beschuß aus dem (damals noch nicht geräumten) Gazastreifen anfing.

Israel rückt näher zusammen, auch angesichts der unglaublichen Erschütterung über die Reaktionen weltweit. Statt daß es eine Welle der Solidarität mit dem Land gibt, das einen der größten Terrorangriffe der Geschicht durchgemacht hat, und das seit Wochen mit immer neuen grausamen Details konfrontiert wird, die jetzt erst bekanntwerden – statt dessen hebt der Antisemitismus weltweit die Fratze ans Licht und äußert sich offen. Ihr seht es selbst im Fernsehen und bei Twitter. Paradox, daß der sicherste Ort für Juden Israel ist.

Die Aufnahmen von abgerissenen und beschmierten Plakaten der Geiseln in Europa, den USA, Australien, also überall, zeigt deutlich, wie groß der Haß ist. Die Medien konzentrieren sich auf das Leid einer Zivilbevölkerung, die zu 80% hinter der Hamas steht und von denen sich ein Teil aktiv am Massaker beteiligt hat, und fordert von Israel Waffenstillstand, während die Raketen weiter auf Ashkelon und Tel Aviv fallen. IDF tut alles, um zivile Opfer so gering wie möglich zu halten, viel mehr, als andere Armeen je getan haben, trotzdem werfen Journalisten mit den erfundenen Opferzahlen der Hamas um sich, ohne sich je zu fragen, wie es kommt, daß dort NUR von zivilen Opfern die Rede ist.

Die Bilder der „Kämpfer“ der Hamas, die in Sweatpants und Adiletten Raketen abfeuern, zeigen, warum. Jeder Terrorist ist Zivilist, jedes israelische Baby Kombattant. Daß die Hamas so argumentiert, überrascht niemanden – daß internationale Medien mitspielen, ist viel erschreckender. Die Naivität der Hamas-Propaganda gegenüber ist nicht nur empörend, sie bedeutet Gefahr für Juden in aller Welt, denn jeder Angriff auf jüdische Einrichtungen kann sich auf die angeblichen Gräueltaten Israels beziehen und sich damit rechtfertigen. CNN, BBC und ZDF machen sich dadurch direkt mit schuldig.

Ich hatte nie viel Vertrauen in die Medien, aber wie weit die Identifikation mit den Palästinensern geht, ist wirklich schockierend. Besonders die Berichterstattung der BBC übernimmt die krassesten Lügen der Hamas unhinterfragt, glaubt aber israelischen Quellen kein Wort. Was die Zivilbevölkerung in Israel durchmacht, was die Angehörigen der Geiseln, scheint nicht zu interessieren. Niemand fragt sich, was hier ohne Iron Dome und Zivilschutz los wäre. Wir fragen uns das natürlich täglich. Immer wenn es am Himmel kracht.

Die mangelnde Solidarität mit unseren Opfern ist besonders erschütternd, wenn es um die Vergewaltigung, diese systematisch gegen israelische Frauen und Mädchen eingesetzte Waffe, geht. Die Hamas hatte das geplant und hat ihre Opfer bestialisch zu Tode gequält. Die Einzelheiten sind kaum erträglich, aber mit ihren eigenen GoPro-Kameras festgehalten und von Rettungskräften bezeugt. Dieselben zarten Seelen, für die jedes „falsche“ Pronomen eine unerträgliche Aggression bedeutet und jede anzügliche Bemerkung einen Angriff auf die Menschenrechte, verweigern den israelischen Opfern ausdrücklich jede Solidarität. Sie glauben ihnen nicht, obwohl die Bilder eine deutliche Sprache sprechen.

In den ersten Wochen ging es den israelischen Rettungskräften erstmal um die Bergung aller Toten und ihre Identifikation, die noch immer nicht abgeschlossen ist. Forensische Untersuchungen zu Vergewaltigungen wurden nicht immer unternommen, es war einfach zu viel auf einmal und es schien vordringlich, den Familien ein würdiges Begräbnis zu ermöglichen. Daß die Welt schlicht erklären würde, ohne diese forensischen Beweise wäre keine Vergewaltigung erkennbar, damit hat niemand gerechnet. Menschenrechte, Frauenrechte gelten nicht, wenn die Gewalt von „Freiheitskämpfern“ begangen werden, das hat die internationale Reaktion überdeutlich gezeigt. Unter #MeToo_UNless_UR_a_Jew finden sich unerträgliche Beispiele.

Und dann das Thema UN. Ich habe in der Vergangenheit oft darüber geschrieben, wie vollkommen einseitig die UN seit Jahrzehnten gegen Israel Stellung bezieht, genau wie andere große internationale Organisationen. Daß keine einzige Verurteilung gegen die Hamas kam, dagegen einen ganze Kette von Verurteilungen gegen Israel, ist unglaublich, aber wahr. https://twitter.com/UNWatch deckt immer wieder Dinge auf, die einen an der Menschheit verzweifeln lassen. Doch jetzt zeichnet sich für mich ein noch düstereres Bild ab als ein Verein, der hinter der Fassade der Respektabilität Diktatoren hofiert und Iran den Vorsitz im Menschenrechtsrat überläßt.

Gedeckt von UNRWA und WHO, konnte Hamas sich eine beispiellose Terrorstruktur aufbauen. Die UNRWA hat mehr Mitarbeiter als das allgemeine Flüchtlingswerk, und palästinensische Flüchtlinge sind die einzigen auf der Welt, die ihren Flüchtlingsstatus vererben, womit also ein wachsendes Heer von „Flüchtlingen“ gegen Israel in Stellung gebracht werden kann. Das ist bekannt. Ebenso, daß Gelder und Hilfsgüter in den korrupten Strukturen der Hamas versickern.

Aber das Ausmaß, in dem diese Organisationen der Hamas einen Schutzschirm gaben, läßt nur zwei Schlüsse zu.

Entweder die UN hat die Augen fest zugekniffen und alle Warnungen, die nicht nur von Israel kamen, entschlossen in den Wind geschlagen, daß utnter Krankenhäusern und Schulen, in Moscheen und Kindergärten Rakten hergestellt und abgefeuert wurden. Unter dem Zeichen der UN und ihrer Unterorganisationen. Die UN hat die Hamas gegen Kritik abgeschirmt und den Regierungen der Welt damit die Versicherung gegeben, daß die Milliarden an Unterstützungsgeldern „humanitär“ genutzt werden. Gleichzeitig wurden die Führer der Hamas Milliardäre und ihre Führungsschicht lebte das gute Leben. Und das Geld wurde in teure Waffen und Tunnel angelegt. Während die UN so tat, als sehe sie nichts.

Die zweite Möglichkeit ist noch verstörender. Nämlich, daß es ein ganzes Netzwerk von Korruption gibt. Da die meisten Mitarbeiter der UNRWA selbst Palästinenser sind, ist es kaum vorstellbar, daß es keine personellen Verflechtungen gab. Mein persönlicher Verdacht, daß die Korruption bis weit in die Gremien der UN reicht, wird dadurch bestärkt, daß es ebendiese Gremien sind, die lautstark nach Waffenstillstand (einem einseitigen natürlich) rufen. Als wollten sie Israel daran hindern, noch mehr Beweise zu finden, als bereits sichergestellt wurden.

Während ich hier sitze und schreibe, während ich die Artillerie immer im Hintergrund habe, sichern Soldaten der IDF Computer, Dokumente, Waffenlager und Abschußrampen im Gazastreifen. Die Hamas hat jahrelang ungehindert machen können, was sie wollte, und durch die lange Wartezeit vor der Bodenoffensive hatte sie auch Zeit, einen Teil ihrer Spuren zu verwischen, falsche Wände einzuziehen, zu verputzen und zu verkacheln, Sprengfallen anzulegen. Aber auch IDF ist vorbereitet und setzt Roboter mit Kameras ein, statt Soldaten zu gefährden. IDF wird weiter Beweise sammeln, und ich hoffe, die von Palästinenser-Sympathie besoffenen Medien werden irgendwann aus ihrer Trance erwachen und begreifen, daß sie belogen worden sind.

Daß UN und Hamas zusammengearbeitet haben. Daß Hamas einen Apparat des Terrors aufgebaut hat mit der Absicht, an Israel einen Völkermord zu vollziehen, während die UN sie mit einer Fassade der humanitären Bedürftigkeit geschützt hat. Daß Hamas unterirdische Hauptquartiere erbaut hat, Tunnelsysteme, die teils von Kindern gegraben wurden (die dabei ums Leben kamen, aber wen kümmert der Kollateralschaden der Hamas? ihr habt nie davon gehört), darüber Schulen erbaut hat, die dann von der UNRWA feierlich eingeweiht wurden. In den Schulen haben dann UNRWA-Lehrer den Schülern beigebracht, wer der Feind ist (der Jude), und was man mit ihm machen soll (gnadenlos abschlachten).

Es ist längst bekannt, was in UNRWA-Schulbüchern steht, und ich möchte diesen schon viel langen Eintrag nicht mit Links spicken, vor allem, weil ich hier im Blog schon Dutzende von Beispielen gegeben habe und eine einfache Google-Suche noch viel mehr ergibt.

Bei mir jedenfalls bildet sich der Verdacht, daß die WHO und das Internationale Rote Kreuz nicht nur aus allgemeiner Gleichgültigkeit israelischen Schicksalen gegenüber keinerlei Anstrengungen für unsere Geiseln unternommen haben. Sondern weil sie aktiv am Projekt der Hamas beteiligt sind und den Tag fürchten, an dem das unwiderlegbar bewiesen werden kann.

Ich hoffe, ich irre mich. Sonst bin ich ja keine Anhängerin von Verschwörungstheorien, aber es ist schon auffällig, wie alle internationalen Organisationen das Massaker vom 7.10. ignorieren und statt dessen Israel anklagen. Die UEFA erlaubt keine Schweigeminuten, UN Women kümmert sich nicht um die Gewalt gegen israelische Frauen, das Rote Kreuz läßt die Familien der Geiseln allein. Überall blicken wir in kalte Augen, wie in einem Horrofilm, in dem die Nachbarn von Aliens übernommen werden.

Ein Gefühl wie in den Bildern, die der Shoah-Überlebende Samuel Bak malt, wo das Schiff Israel allein durchs Eismeer fährt.

Kann ich so pessmistisch diesen Eintrag beenden? Nein. Wir haben auch Freunde. Jeder einzelne ist wichtig. Und Israel ist stark. Nicht, weil wir militärisch überlegen sind – wir sind ein kleines Land mit einer kleinen Armee. Aber wir sind stark, weil wir zusammenhalten.

Wir werden den weltweiten Haß nie besiegen, die verhetzten Menschen nie überzeugen, die skeptischen Medien nie dazu bringen, Lügen über Israel kritisch zu hinterfragen, bevor sie sie weitergeben. Aber hoffentlich schaffen wir es, unsere Grenzen wieder sicher zu machen, so daß wir uns in dieser feindlichen Umgebung behaupten können, und neue Beziehungen zu früheren Feinden aufbauen können.

Was ihr dafür tun könnt? Den iranischen Widerstand unterstützen und nur Politiker wählen, die keine Geschäfte mehr mit dem iranischen Regime machen. Würde das Regime fallen – das wäre wie der Zusammenbruch des Turms von Mordor. Deutschlands Unterstützung des Regimes muß aufhören. Und da könnt ihr eine Rolle spielen.

Solange es die Hoffnung gibt, daß die mutigen Iraner, die sich gegen ihre verbrecherische Regierung stellen, siegen können, so lange gibt es auch Hoffnung auf eine Befriedung des Nahen Ostens.

Und im kleinen Rahmen? Unterstützt israelische Geschäfte, und wer mehr tun will, kann ja den IDF-Soldaten Pizza spenden.

Bittere Tage November 17, 2023, 0:08

Posted by Lila in Persönliches.
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Nachts sind die Gedanken schwer. Ich denke an die Geiseln und ihre Familien, denen die Dunkelheit über dem Kopf zusammgeschlagen ist, und wann kommt Morgenlicht? Und ich denke an die Soldaten und Soldatinnen, an ihren Mut, an ihre Motivation, an ihre Jugend. Wir wissen, daß im Lauf des Morgens die Namen bekanntgegeben werden, und gleichzeitig die Einzelheiten zur Beerdigung.

Heute früh ging dann durch Twitter das Bild des jungen Assaf Mester, dessen Name mir nichts sagte, obwohl ich um ihn traurig war wie um die beiden anderen, deren Namen ebenfalls bekanntwurden. Etwas später dann: ein Tweet von Assaf und seinem Urgroßvater. Shmuel Gogol.

Gogol war in ganz Israel bekannt. Als Kind war er im Waisenhaus von Janusz Korczak, und irgendwie hat er Auschwitz überlebt. Er konnte Mundharmonika spielen, spielte an der Rampe, mit geschlossenen Augen, damit er niemanden erkannte von den Menschen, die an ihm vorüberzeogen.

Nach dem Überleben kam der Wiederaufbau seines Lebens, Heirat mit einer Überlebenden, Ruthi aus Deutschland, dann gemeinsam Aliyah nach Israel, und der Aufbau des Mundharmonika-Orchesters in Ramat Gan. Ruthi und Gogol suchten nach überlebenden Verwandten, und in den 60er Jahren fanden sie endlich eine verschwundene Nichte wieder.

Diese Nichte war meine spätere Schwiegermutter. Sie war glücklich, in Gogol einen Verwandten ihres verschollenen Vaters gefunden zu haben. Die kleine, durch den Holocaust grausam dezimierte Familie hielt zusammen. Ruthis und Gogols Sohn war ein paar Jahre älter als mein späterer Mann.

Als ich in die Familie einheiratete, bangte mir ein bißchen, die vielen Überlebenden der Familie kennenzulernen, aber das war überflüssig. Alle nahmen mich herzlich auf, und viele Jahre waren die Beziehungen eng. Aber als bei den Gogols Enkelkinder kamen und bei uns Kinder, sahen wir uns nur noch auf Beerdigungen und Hochzeiten. Die alten Gogols starben, Shmuel zuerst, kurz nachdem er mit Yitzhak Rabin in Warschau war, wo er wieder mit seiner Mundharmonika an der Rampe spielte. Diesmal mit seinem jungen Orchester und geöffneten Augen. Ruthi blieb der Familie noch viele Jahre erhalten, reiste auch in ihre Heimat, wo ein Stolperstein für ihre gesamte Familie enthüllt wurde.

Alle paar Jahre fand eine „Gogoliada“ statt, ein großes Familientreffen aller Gogols, wo auch meine Schwiegermutter dabei war.

Kurz – als ich sah, daß ein Urenkel von Shmuel Gogol letzte Nacht im Gazastreifen gefallen ist, war mir klar, daß ich entweder seine Mutter oder seinen Vater kenne. Und daß mein Mann unbedingt zur Beerdigung muß. Also habe ich schnell recherchiert und der Name von Assafs Mutter sagte mir auch, welche Gogol-Tochter es war, die letzte Nacht ihren 22jährigen Sohn verloren hat und ihn mittags begraben muß.

Für mich war der Weg zu weit, um noch rechtzeitig zur Beerdigung anzukommen, aber mein Mann und seine Schwester schafften es. Alle waren da – die Verwandten des verlorenen Vaters meiner Schwiegermutter. Meiner lieben Schwiegermutter, die alle ihre Verwandten liebte, waren diese Angehörigen des Vaters, den sie nie kennenlernen konnte, war dieser Zweig der Familie besonders kostbar. Wir haben sie vor über einem Jahr verloren, ein sehr schwerer Abschied. Und jetzt hat diese Familie, die sich aus Schutt und Asche aufgerappelt hat, und der Familienleben über alles geht, einen so jungen Sohn verloren.

Mein Mann sagt, es waren sehr viele Menschen auf dem kleinen Friedhof, und ein Meer von Fahnen. Wir werden auch zur Shiva fahren.

Was kann man zu so einem Schicksal sagen? Assafs Großeltern sind im Schatten des Holcaust aufgewachsen, der ihre Kindheit bestimmte. Shmuel Gogol konnte mit seinem Sohn nicht darüber sprechen, erst den geliebten Enkelinnen öffnete er sich. Daß eine von ihnen jetzt ihren jungen Sohn verloren hat – dafür finde ich keine Worte.

Ich sage oft, daß sich in jüdischen Familien die Traumata über Generationen die Hände reichen. Das meine ich damit.

Wenn Israel ein Haus beschießt November 14, 2023, 5:27

Posted by Lila in Land und Leute.
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Das war eigentlich eine Kette von Tweets (oder muß man die jetzt Xeets nennen?), aber ich schreibe es noch mal vernünftig hin.

Wenn Israel ein Haus beschießt, dann besteht ein triftiger Grund, den Israel vor Gericht beweisen kann. Und vermutlich auch wird beweisen müssen. Weil für uns das Recht auf Selbstverteidigung nicht bedingungslos gilt wie für alle anderen.

Auch aus Humanitätsgründen handelt Israel so und ballert nicht einfach drauflos. Israel hat viel Wissen über Gaza, und im Laufe der Jahre hat die israelische Aufklärung eine „Zielbank“ erarbeitet, also Ziele, die beschossen werden dürfen, weil sie militärische Bedeutung haben. Das wird auch juristisch abgesegnet.

Überdies hat jeder Pilot und Soldat das Recht, auch den wichtigsten Einsatz abzubrechen, wenn Zivilisten in der Gegend sind. Es gibt unzählige Mitschnitte von Gesprächen mit der Kommandozentrale, wo Soldat oder Pilot sagen: hier sind zu viele Menschen, wir brechen ab, um keine Unbeteiligten zu treffen.

Hamas weiß das. Sonst hätte die ganze Strategie mit den Schutzschilden ja keinen Sinn, wenn Israel Zivilisten nicht grundsätzlich als schützenswert sähe. Es würde ja nicht gegen jede Armee helfen. Z.B. glaube ich nicht, daß es die russische Armee irgendwie beeindrucken würde, wenn ihnen eine Schule im Weg ist.

Befragungen von festgenommenen Terroristen bestätigen die israelischen Grundsätze. Sie wissen, daß Israel Schulen, Krankenhäuser etc grundsätzlich schont. Ohne zwingede Beweise und ein System der Vorwarnung werden solche Orte nicht beschossen. Und das macht die Hamas sich natürlich zunutze.

Jetzt sind wir im Krieg, dh, Entscheidungen müssen schnell gefällt werden, die Situation ist fluide. Aber immer noch hat Israel die Einsatzzentrale, der bewußt ist, daß jede Kugel, jede Bombe unter juristische Bewertung kommen werden.

Was immer die Gründe sind – IDF steht immer unter schärferer Beobachtung als andere Armeen in Mali, Afghanistan, Irak oder sonstwo. Obwohl diese Armeen nicht zuhause bedroht sind und ihre Bevölkerung geschützt ist vor Raketen aus dem Kampfgebiet, also keine unmittelbare Selbstverteidigung nötig ist. Bei diesen Einsätzen in anderen Kontinenten geht es um andere Dinge, manchmal wird mittelbare Selbstverteidigung am Hindukusch oder sonstwo beschworen. Aber kein Deutscher, Brite, Franzose oder Amerikaner braucht einen Schutzraum zuhause, weil er unmittelbar bedroht wäre.

Israelis haben Schutzräume überall. In jedem Einkaufszentrum, jedem Gebäude, überall gibt es den Pfeil zum geschützten Bereich. Wenn ich unterrichten gehe, weiß ich, wo ich die Gruppe hinführen muß, wenn Alarm kommt.

IDF muß also ganz konkret Leib und Leben der eigenen Bevölkerung schützen, die in der Nähe des Kampfgebiets lebt und beschossen wird. Trotzdem gelten deutlich schärfere Gesetze für IDF als für andere Armeen. Warum? Denkt mal nach. Es gibt Staaten und internationale Organisationen, die kein Interesse an israelischer Selbstverteidigung haben und alles tun, um uns Steine in den Weg zu legen, auch wenn es für uns überlebenswichtig ist, daß wir uns verteidigen.

Sie warten nur darauf, daß IDF einen Fehler macht, und vorsichtshalber unterstützen sie Terrororganisationen aktiv, indem sie die haltlosen Anschuldigungen gegen Israel weitergeben und absegnen, obwohl sie eigentlich wissen müssen, daß sie lügen.

IDF weiß das alles und der Verteidigungsminister auch. Darum wird alles gefilmt und bezeugt.

Zum Thema carpet bombing, dem beliebten Vorwurf. Flächenbombardierungen führt IAF nicht durch und kann es gar nicht. Wir haben weder die Flugzeuge noch die Bomben dafür. Man braucht dafür nämlich sehr kräftige Flugzeuge, aus denen man Mengen von Bomben abwerfen kann. Ich verstehe wirklich nichts davon, aber unsere Flugzeuge und Hubschrauber sind mit viel weniger Bomben bestückbar, die sie gezielt abfeuern. IAF veröffentlicht genügend Filme von Bombardierungen, und ihr könnt sehen, daß das Ziel vorher durch so ein Zielkreuz anvisiert wird. Wenn ihr dagegen Aufnahmen von Flächenbombardierungen aus dem 2. Weltkrieg kennt, ist klar, daß die Bomben einfach in Massen abgeworfen wurden, auf Ungefähr, und wo sie fielen, da fielen sie eben. Eine Gegend war das Ziel, ein Hafen oder eine Stadt, aber nicht ein bestimmtes Gebäude.

Es ist für mich immer ein eyeroll moment, wenn ich unter Clips solcher eindeutig gezielten Bombardierungen im Internet Kommentare lese, die von carpet bombing faseln. Leute, ihr habt gerade das Gegenteil gesehen. (Und nein, froh machen mich diese Aufnahmen auch nicht, auch ich sehe ein Haus lieber stehen als in sich zusammensacken, womöglich über Unschuldigen).

Es ist ironisch, daß Länder, die sehr wohl solche Techniken benutzt haben, Israel ernst zur Zurückhaltung mahnen, einer Zurückhaltung, die sie selbst nicht üben.

Aber das ist die Realität. Unsere Feinde halten sich, wie jeder sehen kann, an keinerlei Regeln der Menschlichkeit oder Kriegsführung, sie erkennen den Unterschied zw Kombattanten und Zivilisten nicht an.

Für sie sind ihre eigenen „Kämpfer“ Zivilisten, weswgen es logisch ist, daß sie in Sweatpants und Adiletten Raketen abfeuern. Und für sie ist auch der kleine Kfir Kombattant, obwohl der noch nicht laufen kann.

Glaubt mir – wenn Israel ein Haus beschießt, dann besteht ein triftiger Grund, den Israel vor Gericht beweisen kann. Und vermutlich auch wird beweisen müssen. Weil für uns das Recht auf Selbstverteidigung nicht unbedingt gilt wie für alle anderen. Weil für uns ein militärischer Sieg nicht reicht (den wir sowieso nach den Spielregeln der Welt nie erringen dürfen, weil die andere Seite es nicht hinnehmen kann). Für uns kommt danach das juristische Nachspiel.

Das jüdische Ethos erlaubt es IDF nicht, die Untaten zu begehen, die uns zur Last gelegt werden. (Daß Menschen in Uniform sich manchmal unmenschlich verhalten, ist aus allen Armeen bekannt und wird von allen zivilisierten Armeen sanktioniert, wenn es vorkommt.) Israel hält sich an die Regeln und geht oft darüber hinaus.

Die Techniken, die IDF entwickelt hat, um feindliche Zivilisten zu warnen, sind vorbildlich und ich kenne keine andere Armee, die sie benutzt. Haben die Briten im Irak Flugblätter abgeworfen, SMS geschickt und Irakis angerufen, um sie zu warnen? Haben die Franzosen in Mali, bevor sie ein Gebäude bombardierten, erstmal ein leichtes Geschoß aufs Dach geworfen, damit die Bewohner Zeit haben, zu fliehen? Das macht nur IDF. Und ja, damit gehen uns oft gerade die Terroristen durch die Lappen, gegen die wir kämpfen, die Raketen auf Ashkelon schießen.

Glaubt die Lügen nicht. Krieg ist häßlich, keiner will ihn, und es ist leicht zu sagen: die knock-on-roof-Methode macht es nicht besser, denn am besten wäre es, Häuser gar nicht zu beschießen. Mir wäre es auch lieber. Aber sollen wir Zivilisten in Ashkelon opfern, um die Hamas zu schonen?

Weitgehend friedlich November 11, 2023, 20:12

Posted by Lila in Presseschau.
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So nennt die Tagesschau die Kundgebung heute in London.

Wie kommt eine solche Einschätzung zustande? Ein Blick auf andere Bilder des Protests macht schnell klar: es wurden Parolen gebrüllt, die die Vernichtung Israels forderten. Viele Plakate waren so antisemitisch, daß sie im Stürmer nicht aufgefallen wären. Wie also kommen deutsche Journalisten zum Schluß, daß es sich um eine „weitgehend friedliche Kundgebung“ handelte? Allein schon die Wahl des Orts und Datums war eine Drohgebärde gegen die traditionellen Werte Großbritanniens.

Doch dann fällt mir ein Gespräch mit einer Freundin in Deutschland ein, die aus allen Wolken fiel über den üblen Judenhaß, der sich auf deutschen Straßen breitmacht. „Das hätte ich ja nie gedacht!“ Nein, und wenn sich jüdische Stimmen beschwerten oder warnten, was ja nicht selten vorkam, hat sie das nie ernstgenommen. Einzelfälle. Warum? Weil sich die Bedrohung nicht gegen SIE richtete.

Wenn man nicht zur Zielgruppe gehört, kann man eine Bedrohung mit Leichtigkeit ignorieren. Nachts allein durch eine düstere Bahnunterführung gehen? Ist für die meisten Männer kein Problem, darum finden sie es schwierig, sich vorzustellen, wie eine Frau sich dabei fühlt. Eine Demo von Rassisten? Kommt einem Weißen zwar unerfreulich, aber nicht weiter bedrohlich vor.

Eine friedliche Kundgebung ist eine, die niemanden bedroht oder einschüchtert. Eine friedliche Atmosphäre gibt niemandem ein ungutes Gefühl, auch wenn man nicht derselben Meinung ist.

Doch Journalisten können sich nicht leisten, allein auf ihr persönliches Bedrohungs-Barometer zurückzugreifen, so wie meine Freundin es sich beim Antisemitismus leisten konnte. Ein Journalist muß eigentlich einen objektiveren Blick auf die Realität haben, bevor er sie an andere, sein Publikum, weitergibt. Wurden konkrete Bedrohungen ausgestoßen auf der Demo? Eindeutig, und zwar viele. Wie würden sich Angehörige der bedrohten Gruppe dabei fühlen? Diese Frage muß sich ein Journalist stellen.

Dann kann er schreiben: „Es kam nicht zu Ausschreitungen“. Aber „friedlich“ kann man das dann nicht mehr nennen.

Diese Demo war auch nicht pro-palästinensisch. Sie war pro-gar-nichts. Sie war nur anti. Anti-Israel, Anti-Juden.

Es fällt ja auch auf, daß niemand auf die Straße gegangen ist, um FÜR die Palästinenser zu demonstrieren, als sie von Assad abgeschlachtet und ausgehungert wurden. Da waren die Straßen in Europa und im Nahen Osten leer. Die Zeitungen übrigens auch.

Wer beurteilen möchte, wie friedlich oder bedrohlich eine Demo ist, der braucht sich nur zu fragen: würde ich da mit Kippa, Israelflagge oder Davidstern hingehen? Wenn nicht, dann ist das keine friedliche Demo. Dann ist das kein friedlicher Ort.

Habe ich erwähnt, daß mein Sohn in einer deutschen Großstadt kein Hebräisch mehr auf der Straße spricht? Er lebt eben in einer friedlichen Stadt.

Unbesungen November 11, 2023, 17:23

Posted by Lila in Land und Leute.
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Wir hatten vor einer halben Stunde Alarm, nach langen Wochen, in denen es zwar Alarm in der Nähe gab, aber nicht bei uns. Eine Drohne war in den Luftraum eingedrungen und IDF hat sie abgeschossen. Es war ziemlicher Lärm, aber wir waren im Schutzraum und nach zehn Minuten war es wieder ruhig.

Ich habe dann im Internet diese Karte gefunden und beim Ansehen fällt mir wieder auf, warum ich diese Gegend so sehr mag. Es ist grün hier, viele Wadis ziehen sich zum Meer, überall bieten sich neue Aussichten. Die Grenze liegt auf einem, na kann man es Gebirgszug nennen?, also eine Hügelkette ist es auch nicht, sondern sowas dazwischen. Ganz westlich, wo das Meer anfängt, sind die Höhlen von Rosh HaNiqra, wo ich sehr gern bin. Weiße Felsen, blaues Meer. Alle meine Gäste müssen mit mir da hin 🙂

Jeder einzelne Ort hier hat sein eigenes Profil, ist ethnisch, religiös und kulturell anders als seine Nachbarn. Ich weiß nicht, wo auf der Welt es solche Vielfalt gibt, vielleicht ist das eine Wissenslücke.

Es gibt hier Kibbuzim: Rosh HaNiqra, Chanita, Metzuba, Regba, Gesher HaZiv, Sa´ar, Cabri. Jeder Kibbuz ist geprägt von der Herkunft der Gründer, die dem Kibbuz ihren Stempel aufgedrückt haben, von der politischen Zugehörigkeit (links, linker, am linksten), von der Industrie oder Landwirtschaft, die sie aufgebaut haben, und von den Entscheidungen der Kibbuzniks, wie weit sie privatisieren oder nicht. In vielen Kibbuzim gibt es Galerien oder Museen, bekannte Künstler, und natürlich die Kibbuz-Erziehung, die ich so schätze.

Es gibt Moshavim verschiedener Ausrichtungen: landwirtschaftliche Moshavim oder solche, wo alle auswärts arbeiten. Viele Moshavim sind eher konservativ, auf jeden Fall konservativer als die Kibbuzniks.

Dann gibt es die Dörfer. In Arab el Aramshe leben Beduinen, in Yaara leben Beduinen und Ultra-Orthodoxe. Yaara ist das einzige Dorf Israels mit so einer Bevölkerungszusammensetzung. Ich sehe am Busbahnhof den Bus nach Yaara, wie höflich die jungen beduinischen Soldaten den Rabbi grüßen. Ob es Kontakte zwischen ihnen gibt, weiß ich nicht, aber von Spannungen habe ich nichts gehört. Leben und leben lassen.

In Hurfeish und Januch Gatt leben Drusen. Über das drusische Volk habe ich schon oft geschrieben. Für Europäer, denen die Trennung von Nation und Religion so natürlich vorkommt, ist oft schwer zu verstehen, daß es viele ethno-religiöse Gruppen gibt (Juden, Tscherkessen, Eziden), die diese Trennung nicht kennen. Natürlich bestehen Unterschiede zwischen Carmel-Drusen in der Nähe von Haifa, Golan-Drusen mit ihrer größeren Nähe zu Syrien, und Galiläa-Drusen. Hier an der Nordgrenze sind drusische Offiziere in den letzten Wochen gefallen, die ihre Heimat verteidigt haben und auch mich persönlich. Die Religion der Drusen ist geheim, sie haben ihre eigene Tracht und eine exzellente Küche. Deswegen ist mein erster Tipp, wenn mich jemand fragt, was er sich in Israel ansehen sollte: ein Drusendorf.

In Fassouta leben arabische Christen, Melkiten. Die melkitische Kirche ist eine interessante Mischung aus orthodox und katholisch. Sie gehörte zur Griechisch-Orthodoxen Kirche, hat sich dann aber mit Rom versöhnt. Melkitische Kirchen sind für mich faszinierend, weil sie byzantinische und katholische Elemente vereinigen.

In Arab el Aramshe leben Beduinen, auf der Grenze. Arab el Aramshe wurde in den letzten Wochen ununterbrochen angegriffen. Vor zehn Jahren war ich dort mal mit einer Gruppe Studenten, ich möchte aus diesem alten, unveröffentlichten Blogeintrag zitieren.

Yasser hatte für uns außerdem anschließend ein Treffen mit einem „weisen alten Mann“ des Dorfs organisiert. Er erklärte uns gerade, was das für ein Gemeindezentrum ist, in dem wir auf ihm warteten, als der alte Mann an einem Stock hereingehinkt kam. Gekleidet in eine Art Galabea, mit einer roten Keffiyah über eine konische Mütze drapiert, in offenen Sandalen an einem windigen, kalten Tag. 82 Jahre ist er alt und spricht exzellentes Hebräisch, das ein Kollege und ich übersetzten.

Woran er sich erinnert aus der Geschichte seines Dorfs? Er erinnert sich an 1948, und wie die Feindseligkeiten ausbrachen. Wie die guten Nachbarn, die Kibbuzim der Umgebung, mit dem Mukhtar von Aramshe eine Abmachung trafen: sollten die Araber gewinnen, würden die Bewohner von Aramshe die jüdischen Kibbuzniks schützen. Sollte der Staat Israel gewinnen, würden die Kibbuzniks für ihre beduinischen Nachbarn einstehen. „Und so war es auch“, erzählte der Mann, „uns ist nichts passiert, wir sind nicht vertrieben worden, und wir leben immer noch in guter Nachbarschaft mit den Kibbuzim. Guckt mich an – als junger Mann habe ich in Kibbuz Eylon angefangen zu arbeiten, nach Jahrzehnten bin ich als alter Mann am Krückstock wieder rausgekommen“.

Er erzählt Beispiele für die gegenseitige Unterstützung von Juden und Arabern in der Gegend. Eine deutsche Studentin fragt mißtrauisch: „wenn man Ihnen so zuhört, könnte man meinen, die Beziehungen zwischen Juden und Arabern wären gut. Würden Ihre Nachbarn im Dorf das auch so sehen?“ Der alte Mann wird lebhaft. „Die Beziehungen sind ausgezeichnet!“, und er küßt seine Fingerspitzen. Das verstehen alle ohne Übersetzung. Dann setzt er  noch einen oben drauf. „Unsere Söhne und Enkel dienen in der Armee, sind Offiziere – und da sind wir stolz drauf!“

Einen Moment ist Stille. Dann fragt eine Begleiterin: „Aber wie können sie es als Araber verantworten, in der israelischen Armee zu dienen? Ich dachte, Araber werden nicht eingezogen, damit sie nicht ihre Waffen gegen ihre arabischen Brüder richten müssen“ Der alte Mann erklärt: „Überall in unseren Nachbarländern kämpfen Araber gegen Araber. Wir sind heute Israelis, wir essen und trinken mit Israel, und wir verteidigen Israel.“ Ich ergänze: „Die Idee, daß es eine pan-arabische Solidarität gibt, ist ein künstliches Konstrukt und nur eine von vielen Strömungen in der arabischen Welt. Es gibt dort große Spannungen zwischen einzelnen Gruppen. Die Beduinen sind eine Minderheit in der arabischen Welt und es ist verständlich, daß sie sich um ihr eigenes Wohl kümmern.“

Doch so leicht lassen sich Deutsche, durch jahrzehntelange Medien-Berieselung mit einem ganz bestimmten Bild von den Verhältnissen im Nahen Osten geprägt, nicht beirren. „Wie würden Sie Ihre Identität bestimmen? Sind Sie zuerst Palästinenser, Beduine, Moslem oder Israeli?“, fragt eine. Wieder kann man den alten Mann ohne Übersetzung verstehen. Ohne zu zögern sagt er: „Muslim. Bedui. Israeli. Falestini.“ Und damit es ganz klar wird, sagt er: „Wir gehören zum Staat Israel.“

In dem Moment kommt ein Freund des alten Mannes dazu, ebenfalls alt, in einer abgetragenen Uniform der Armee. Ich erkläre die Rolle der beduinischen Grenzschützer, Spurenleser und Pfadfinder in der israelischen Armee, wie unersetzlich sie sind, und wie großen Respekt jeder hat, der von ihnen weiß.

Das Gespräch wird leichter. Wie viele Frauen er hätte, wird er gefragt. „Nur eine“, sagt er bedauernd, „ich hätte ja gern noch eine junge, die sich um mich und meine Frau kümmert, aber Yasser läßt mich nicht“, und er schubst Yasser mit dem Ellbogen. Yasser grinst und sagt, „deine Frau ist so nett, du brauchst keine zweite, das lass ich nicht zu“, und alle lachen. Doch gleichzeitig erinnern wir uns daran, was Yasser uns unterwegs erklärt hat – wie schwierig es sein kann, alten beduinischen Männern (und auch jüngeren) zu erklären, daß Frauen jetzt Rechte haben, kein Eigentum ihrer Männer sind und daß die Mehrehe nicht mehr erlaubt ist. Er hatte auch gesagt, daß im Negev die Gesetze des Staats noch viel weniger anerkannt werden als im Norden.

Unser Treffen ist zu Ende. Die Studentinnen lassen sich mit dem alten Mann photographieren, der hat seinen Spaß. Hinterher unterhalten wir uns noch kurz, und die Atmosphäre wird richtig herzlich, als ich erzähle, daß wir Nachbarn sind. Wir haben gemeinsame Bekannte, der Mann in Uniform und ich.

In Mi´iliya leben ebenfalls Melkiten, überall sind Madonnenfiguren und eine große Jesus-Statue am Ortseingang. Es gibt dort auch eine interessante Ruine einer Kreuzfahrerburg. Und auf dem sehr schönen kleinen Sträßchen von Mi´iliya zu uns liegt eine wirklich wunderschöne Kreuzfahrerburg, Montfort, von der man eine fantastische Aussicht hat.

Maalot-Tarschicha ist ein Städtchen. Im Stadtteil Maalot wohnen viele Neueinwanderer, sowohl aus arabischen Ländern als auch aus früheren UdSSR-Staaten, und in Tarschicha leben Muslime.

Nahariya ist die größte Stadt der Gegend, gegründet von Yeckim, und man sieht das noch immer an manchen Geschäftsschildern. Leider durch einen unfähigen Bürgermeister heruntergewirtschaftet, hoffentlich erholt sich die Stadt wieder, denn sie liegt sehr schön am Fluß Gaaton, der durch die Innenstadt fließt und ins Meer mündet. Der nördlichste Bahnhof Israels ist in Nahariya, die Gleise nach Beirut liegen still.

In Shaykh Danoun leben Muslime, ebenfalls in Mazra. Dort ist der in ganz Nordisrael bekannte Markt von Faisal, der sich von einem offenen Markt zu einem riesigen Supermarkt entwickelt hat. Sehr gutes, frisches Gemüse und Obst von Bauern aus der Gegend haben ihn bekannt gemacht. Der Markt heißt „Shuk Faisal ha-gadol“, was eigentlich „Faisals großer Markt“ bedeutet, aber man könnte es auch als „Markt von Faisal dem Großen“ übersetzen. Alle nennen ihn also nur „Faisal der Große„. Wir kaufen oft bei Faisal dem Großen. Dort sieht man, wie Juden und Araber aller Arten sich zusammen auf Paprika und Basilikum stürzen.

In Kfar Yasif leben griechisch-orthodoxe Christen, aber auch Muslime und Drusen. Und der Kibbuz Lochamey ha-Gettaot wurde von Überlebenden des Warschauer Ghetto-Aufstands gegründet. Dort steht das älteste Holocaust-Museum der Welt, und der Gedenktag wird dort immer in großem Rahmen begangen. Es gibt dort auch ein Zentrum für Holocaust-Erziehung (mit dem ich nicht in allen Dingen Aug in Aug sehe).

Akko, die alte Kreuzfahrerstadt, ist schon weiter südlich. Dort leben Araber und Juden, und dort gab es auch Unruhen in den letzten Jahren.

In Shlomi leben viele frühere Neueinwanderer. Dort gibt es auch libanesisches Restaurant, in dem Soldaten in Uniform nur die Hälfte zahlen. (Die Reviews sind gemischt, wir hatten dort bisher eigentlich immer Glück, allerdings sind wir mehr Humus-und-Salat-Esser).

Also, wenn ihr irgendwann eine Israel-Reise plant, plant West-Galiläa mit ein. Normalerweise ist die Reiseroute: Jerusalem, Tel Aviv und die christlichen Stätten am See Genezareth. Aber hier sieht man die Vielfalt Israels so gut. Nur Tscherkessen leben hier nicht – dafür muß man nach Kfar Kama oder Reihaniya. Ich glaube, eine Israel-Reise ist erst komplett, wenn sie die Minderheiten mit einschließt.

Ja, Spannungen gibt es überall, wo Menschen miteinander leben, und nicht jede Regierung hat die Bedürfnisse der verschiedenen Minderheiten hoch genug auf die Tagesordnung gesetzt. Aber wenn man sich die Umstände anguckt, klappt es ganz gut.

Und die Raketen, die jetzt hier fliegen, unterscheiden nicht, ob es eine drusische, beduinische oder Kibbuznik-Familie ist, die in den Schutzraum rennen muß.

Shloshim November 10, 2023, 9:22

Posted by Lila in Land und Leute, Persönliches.
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heißt Dreißig, und damit sind die 30 Trauertage gemeint. Im Judentum wird schnell beerdigt, dann kommt die Shiva, die Sieben, die erste Trauerwoche, in der die Gemeinschaft die Sorge um die trauernde Familie übernimmt. Im Trauermonat Shloshim ist die Trauer tief und schwer, viele Männer, nicht nur aus traditionellen Familien, rasieren sich in diesen Tagen nicht. Das normale Leben ist ausgesetzt.

Am Ende der Shloshim treffen sich Freunde und Familie am Grab, und der Grabstein wird enthüllt (gilui matzeva). Und sie treffen sich dann immer am Jahrestag am Grab wieder.

So treffen wir uns als Familie mindestens dreimal im Jahr auf dem Friedhof unseres alten Kibbuz – für die Großeltern, für eine geliebte Tante und meine Schwiegermutter. Wir gehen auch so, jedesmal wenn wir im Kibbuz sind, auf den Friedhof und gehen zu allen Gräbern.

Zweimal im Jahr trifft mein Mann seine alten Freunde von der Armee auf dem Friedhof von Kfar Yehoshua. Den Soldatengedenktag im Mai verbringen sie immer zusammen, zur Erinnerung an den Freund, der 1982 im Libanon durch einen Unfall in der Armee ums Leben kam. Der Freund, Oded, blieb jung, die lebenden Freunde sind inzwischen 60 Jahre alt und bringen ihre Familien mit. Zum Jahrestag des Toten trifft sich die Gruppe dann immer am Freitag vor Rosh HaShana, Oded fiel im Monat Elul, im Herbst.

Odeds Grab ist nah beim Grab seines Onkels, der ebenfalls Fallschirmjäger war und am Mitle-Paß fiel. Oded wurde Fallschirmjäger und trug das Abzeichen der Flügel mit Stolz, das er von seinem Onkel geerbt hatte. Eine Familie wie viele in Israel, unter dem Zeichen der Trauer.

Von Zeit zu Zeit traf die Gruppe sich auch zu anderen Gelegenheiten. Der frühere Commander war Nir Barkat, der in den letzten Jahren zum Gedenktag nicht kommen konnte, aber zum privaten Gedenktag im September immer kam und engen Kontakt zu Odeds Eltern hielt. Auch sie sind nicht mehr am Leben. Aber die Gruppe hält zusammen. Ich habe oft davon erzählt.

Am 7.10. haben zwei der Männer, die mit Yaron als junge Rekruten in den Libanon einmarschiert sind und seitdem oft mit ihm zusammen auf dem Friedhof in Kfar Yehoshua gestanden haben, ihre Söhne bei den Kämpfen im Süden verloren.

Einer davon war Yaron Shai, der in Kerem Shalom fiel, und der vielen Zivilisten an diesem Tag das Leben rettete.

Aus einem Artikel der Times of Israel:

At a funeral for Yaron Shai, son of former economy minister Izhar Shai, Yaron’s brother Ofir slings harsh criticism at the “government of shame,” in a video shared by Channel 13 reporter Raviv Drucker.

“My little brother was killed by murderous terrorists filled with hate, and the one who opened the door for them, with its debased actions, was the government of Israel,” he says, as Economy Minister Nir Barkat looks on stony-faced.

Izhar gehört zu der Gruppe von Soldaten, die zu Odeds Gedenktagen kamen, und Nir Barkat war vor über 40 Jahren sein Mem-peh (Company commander). Beide sind Politiker, aber Nirs versteinertes Gesicht ist mehr als nur eine Reaktion auf Kritik an der Regierung, der er angehört. Eine persönliche Verbundenheit über Jahre steht dahinter.

Segev Schwartz ist der zweite Sohn eines Freundes aus der Gruppe.

Mein Mann ist jetzt zum Shloshim eines dieser jungen Männer aufgebrochen. Wir werden auch weiter zu Odeds Grab fahren, im September, zu seinem persönlichen Jahrestag. Aber am Gedenktag werden wir zu den Gräbern dieser jungen Männer fahren.

Für Odeds Mutter war es immer ein Trost, daß die Freunde ihres Sohns Kinder hatten, die sie auch oft mitbrachten zu den Treffen. Daß das Leben weitergeht, die Familien wachsen und aufwachsen. Es hätte sie schwer getroffen zu wissen, daß nun zwei dieser alten Freunde ihre Söhne begraben mußten in dem endlosen Kampf um Israel, der noch nicht beendet ist.

Vom Aus- und Anschalten November 9, 2023, 23:24

Posted by Lila in Land und Leute, Persönliches.
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Seit Netanyahus Wahlsieg vor etwa einem Jahr habe ich alle Nachrichten konsequent ignoriert. Ich wollte einfach nicht die Wortkombination „Minister Smotrich“ oder „Minister Ben Gvir“ hören. Zweimal am Tag habe ich die Schlagzeilen von Ynet überflogen, ob nicht irgendwas vorgefallen ist, das ich hören sollte. Aber ansonsten – völlige Abstinenz.

Das war über Jahre anders. Ich habe immer versucht, so viele Nachrichtenquellen wie möglich anzuzapfen, und habe mich mehr als einmal tüchtig darüber geärgert, wie verzerrt in anderen Ländern berichtet wird. Wie viel Journalisten einfach Ultra-Orthodoxe und Orthodoxe für dasselbe halten, wie naiv sie Propagandalügen nachplappern, wie sie niemals kritisch hinsehen, wenn bestimmte Leute ihnen dreist was vorlügen, und wie sie bei jeder Aussage von offiziellen Stellen Israels mit Konjunktiven und Anführungszeichen operieren.

Diesen Kampf kann man nicht gewinnen. Ich habe immer gesagt und sage es noch: ich möchte keine pro-israelische Berichterstattung. Ich möchte nur pro-Wahrheit. Die Schlüsse kann dann jeder selbst ziehen. Auch in Israel haben wir Meinungsvielfalt.

Ja, und dann kam der 7.10. und die Große Krisenstimmung. Seitdem kann man sich eigentlich nicht mehr leisten, ohne regelmäßiges Konsumieren von Nachrichten durch den Tag zu gehen. Ich höre gern Armeeradio (Galey Zahal) und Reshet Bet, und mein Fernsehkanal der Wahl ist Kan11. Die meisten in Israel sehen Kanal 12, finden Kan11 zu trocken oder zu links, und es gibt auch noch andere Kanäle, die ich gar nicht kenne. Ich höre Kan11 leise im Hintergrund bei der Arbeit, und was ich dort sehe, davon will ich ein bißchen erzählen. (Bei Kanal 12 sieht es ganz ähnlich aus).

Seit dem Schwarzen Shabat (der Name hat sich durchgesetzt) senden alle nur noch Sonderprogramm. Wer sich in andere Realitäten flüchten will, der muß auf Netflix oder National Geographic ausweichen. Auf den israelischen Sendern herrscht Krieg rund um die Uhr. Besorgte Reporter geben ihre Meinung zum Besten, wie es im Gazastreifen, bei uns im Norden, in den Gebieten, in Eilat und in der Diaspora weitergehen wird. Immer wieder unterbrechen Einblendungen von Alarm die Sendungen, dann wird kurz gesagt: „wieder Alarm in Kissufim – kehren wir zu deinem Vorschlag zurück…“, und es wird weiter geredet.

Der Sender deckt viele, viele Unzulänglichkeiten der Behörden und der Armee auf. Und davon gibt es sehr, sehr viele. In den langen Netanyahu-Jahren sind viele Ministerien und Ämter systematisch ausgetrocknet worden. Das Außenministerium ist vollkommen überflüssig geworden, Netanyahu hat alles an sich gerissen, was mit Außenpolitik zusammenhängt. Landwirtschaft? Hat Netanyahu nie interessiert, die Landwirte geben reihenweise auf, und jetzt stehen die Israelis im Supermarkt vergrämt vor billigen türkischen Tomaten, die sie gar nicht kaufen wollen. Was in diesen Jahren mit dem Bildungs- und Erziehungsministerium getrieben worden ist, habe ich schon oft angeprangert. Das letzte Mal, dass dort ein Mensch mit pädagogischem Sachverstand auf dem hirschledernen Sessel saß, war Shai Piron vor vielen Jahren.

Auch nach einem Monat scheinen die Behörden überfordert zu sein, und engagierte Bürger springen ein. Sie kochen für Soldaten, sammeln Spenden für die Evakuierten, organisieren Demos und Aktionen für die Geiseln, und das alles mit oft minimalem Einsatz der dafür zuständigen offiziellen Stellen. Das Fernsehen berichtet über diese Aktionen, stellt die bewundernswerte Fähigkeit der Israelis, in kurzer Zeit ganze Organisationen auf die Beine zu stellen und Nächstenliebe in Aktion umzusetzen, positiv heraus. Dabei sieht der Staat natürlich oft nicht ganz so positiv aus. Und alle warten auf die Untersuchungsausschüsse nach dem Krieg.

Diese Reportagen machen also einen Teil der Sendezeit aus. Berichte über den Fortschritt der Kämpfe im Gazastreifen sind natürlich auch sehr wichtig, aber die Pressezensur macht sich bemerkbar, und man muß sich die Informationen manchmal zusammenreimen.

Ebenfalls sehr wichtig sind die Porträts der Ermordeten, Verschleppten und Gefallenen. Es ist immer so, daß in Israel jeder Gefallene und jedes Terroropfer mit Bild und Namen vorgestellt wird, und Reporter stellen die Opfer in kurzen, eindrücklichen Interviews mit den Angehörigen vor. Dabei sind sie oft sehr empathisch – Yifat Glick hat die Spuren der Kindergärtnerin Dana Bachar aus Kibbuz Beeri verfolgt, hat mit Familie, Kolleginnen, Müttern und anderen Menschen, die sie kannten gesprochen und auch in ihrem Kindergarten gefilmt.

Dana stammte aus dem Kibbuz, in dem ich zuletzt gearbeitet habe, im Norden. Sie wuchs zusammen mit einer Kollegin von mir auf, nennen wir sie Etti, mit der ich im Babyhaus zusammengearbeitet habe. Sie waren gut befreundet, ihr Leben lang, Etti und Dana, und hatten wohl auch einen ähnlichen Stil in der Arbeit mit sehr kleinen Kindern. Das Porträt, das ich im Fernsehen sah, entsprach genau dem, was mir Etti über ihre Freundin erzählt hatte (ich habe sie am Tag nach Danas Beerdigung getroffen).

Hier interviewt die erfahrene, normalerweise recht unerschütterliche Ayala Chasson Danas Witwer. Die Geschichte der Familie, die im Schutzraum ausharrt, wo Mutter und Sohn erschossen werden, der Vater selbst verletzt und die 13jährige Tochter die Rettung übers Telefon einleitet, nimmt Chasson so mit, daß sie anfängt zu weinen und sich für den Rest der Sendung nicht mehr fängt.

Ich weiß nicht, ob das in Deutschland möglich wäre. Ich habe wohl gesehen, daß Anderson Cooper bei einigen Beschreibungen schwer geschluckt hat, auch andere Journalisten. Aber hier in Israel kannten eben auch die Journalisten Opfer persönlich, sie kennen die Orte, an denen die Gräuel geschahen. Da ist es unmöglich, sich zu distanzieren. Besonders in den ersten Tagen, als ständig neue Geschichten bekannt wurden, war das Grauen überwältigend stark.

Das Ziel der israelischen Fernsehsender ist, jedem Opfer ein Gesicht zu geben. Nicht einfach bei so vielen Toten und so vielen Geiseln, und nun kommen leider täglich auch Soldaten hinzu.

Die Namen der Gefallenen werden erst bekanntgegeben, wenn die Familien informiert sind. Gleichzeitig wird durchgegeben, wann und wo die Beerdigung stattfinden wird. Ich weiß, ich weiß, in Deutschland alles undenkbar – der Datenschutz! die Privatsphäre! Aber da merkt man, daß das Fernsehen hier eine andere Funktion hat als in Deutschland. Israelis begreifen sich als Familie, und es ist wichtig, alle Familienmitglieder zu informieren, so daß sie zu den Beerdigungen gehen können, die ja oft am selben Tag, spätestens einen Tag später, stattfinden. Und auch bei den Beerdigungen wird gefilmt, außer, die Familien wollen es nicht. Aber oft sind die Familien froh, daß per Fernsehen andere von ihren Lieben erfahren.

Bei mehreren Beerdigungen in der letzten Zeit habe ich gesehen, daß bekannte Sänger über dem Grab ein Lied gesungen haben, das dem Toten wichtig war. Sie machen das freiwillig, und sind meist sehr ergriffen, das läßt einfach niemanden kalt. (Moshe Peretz und Ivri Lider, selbst eine Ikone der Schwulen in Israel, auf der Beerdigung des schwulen Soldaten Sagie, falls jemand Beispiele sehen möchte).

Ja, so geht das also den ganzen Tag. Analysen der Aussagen von Biden und Kritik an Netanyahu, Ansagen von Raketen-Alarmen, emotionale Porträts der Toten und Geiseln und ihrer Familien, Beerdigungen, eingehende Diskussionen über Taktik und Strategie der Hamas, der Hisbollah, aber auch der IDF, harte Debatten über ethische Entscheidungen, alles rund um die Uhr. Und oft sehr, sehr kontrovers.

Spätnachts, wenn die Nachrichten dünner werden, gibt es dann Versuche, die Atmosphäre aufzulockern, mit halbwitzigen Late-Night-Shows und Neuauflagen beliebter Satiresendungen, die aber nicht wirklich witzig sind. Keiner will wirklich lachen. Die Satire ist zu nah am echten Leben, ich weiß nicht, wer das guckt.

Eretz Nehederet, Ein wunderbares Land, versucht sich an der BBC, aber die Grenze zwischen Realität und Satire ist kaum erkennbar. Ich sehe so viele absurd feindselige Interviews britischer, amerikanischer und irischer Sender mit Israelis, daß ich darüber nicht wirklich lachen kann.

Die Realität ist so plump, daß die Satire da einfach nicht mithalten kann.

Zu Anfang, als das Gefühl der ständigen Bedrohung von allen Seiten überwältigend stark war, konnte ich noch nicht filtern. Jetzt gucke ich seltener rein. Nur wenn meine Alarm-App anschlägt oder ich den Stimmen im Hintergrund anhöre, daß sich etwas ereignet hat. Oder wenn die Artillerie bei uns sich gar nicht mehr beruhigen will. Dann schalte ich wieder ein. Aber auch wenn ich den Apparat ausschalte – abschalten von der Situation geht nicht.

Wellenförmig November 6, 2023, 22:21

Posted by Lila in Persönliches.
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sind diese Tage und voller Sorgen und Ängste, die man sonst begräbt, zurückdrängt oder nicht spürt. Die Angst um die Soldaten und Soldatinnen, die jetzt da sind, wo niemand hin möchte – die durch verminte Gassen gehen und den Spuren des inkarnierten Bösen folgen, um es zu vernichten – dabei jederzeit in Fallen gelockt werden können – während die ganze Welt nur um die menschlichen Schutzschilde bangt, die mir auch ja auch leidtun – diese Angst kennen alle in Israel. In Krisenzeiten wird sie ganz stark, unerträglich stark, wenn ich an die denke, die ich kenne, und für die die normale Welt noch viel krasser verschwunden ist als für uns hier.

Dann die Angst um die Geiseln. Es war immer unser größter Albtraum. Hier im Norden wurden ja die Tunnel der Hisbollah aufgedeckt, in denen zur Vorbereitung auf Geiselnahmen kleine Buchten mit Betäubungsmitteln gefunden wurden (dieses Detail habe ich im Fernsehen vor vielen Jahren gesehen und nie vergessen). Daß es so viele sind – so verletzliche Geiseln – unerträglich, unerträglich, ich möchte die Gedanken wegschieben, kann es aber nicht.

In solchen Situationen wünsche ich mir, nicht so verdammt mitfühlend zu sein. Warum kann ich nicht ganz einfach sagen: okay, schlimm schlimm, aber meiner Familie geht´s gut und helfen kann ich sowieso nicht, wo ist mein Bier? Nein, das geht nicht. Die Gesichter der Geiseln tauchen auf, ob ich es will oder nicht, egal was ich mache, die Namen, die Geschichten. Die Medien hier geben allen Familien eine Stimme, und ich schalte nicht ab, auch wenn ich den Schmerz in den Augen der Angehörigen kaum aushalten kann. Aber die Mutter von Ella und Dafna muß es aushalten, damit zu leben, daß ihre Mädchen entführt sind, dann werde ich es wohl aushalten können, ihr zuzuhören. Sie muß sprechen, sie muß präsent bleiben, sie braucht unsere unbedingte Loyalität.

Dann erinnere ich mich daran, wie das ganze Land für Gilad Shalit auf den Beinen war. Ich war dabei, als im Nachbarort Mitzpe Hila die Shalits ihr Haus verschlossen und die erste Etappe auf ihrem Marsch nach Jerusalem gingen. Eine lange, lange Karawane von Menschen. Für einen einzigen Soldaten hat Israel dann 1027 Verbrecher freigelassen, darunter auch Sinwar, der die Massaker vom 7. Oktober geplant und geleitet hat. War es richtig, diese Freilassung zu befürworten? Viele Menschen haben sie mit dem Leben bezahlt. Aber wir konnten Gilad nicht in Gefangenschaft lassen.

Geiseln, Soldaten, Soldaten, Geiseln, die Sorge. Dann die Trauer um die Ermordeten und Verletzten, aber auch die Heldinnen und Helden dieses schwarzen Tags. Ich nehme alle Informationen auf und weiß, in welche Kammern meines Gedächtnisses die Gesichter und Geschichten und Namen landen. Dort, wo mir die Terroropfer unvergeßlich eingebrannt sind. Ich bin noch keine 40 Jahre hier und habe doch die Erfahrungen der Terrorjahre und -wellen in meinem Gehirn und Körper gespeichert. Dieser Teil meiner Erinnerung wird nicht durch positive Erlebnisse überschrieben, vergessen kann ich sie nur, wenn eine Krankheit mein Gehirn zerstört. Solange ich gesund weiterlebe, ist der ganze Schrecken noch da. Und so geht es allen, die ich kenne.

Das ist also das Grundempfinden – Gedenken, Ängste, die Gier nach neuen Informationen.

Dazu kommt dann „die Situation“ hier oben im Norden. Und die Wellenförmigkeit der Tage. Wenn kein Alarm in der Gegend ist, keine Artillerie zu hören ist, weder Iron Dome noch Einschläge auf unbewohntem Gebiet (für die Iron Dome nicht eingesetzt wird), dann ist es hier immer noch unbeschreiblich schön. In den Wochen des unfreiwilligen Urlaubs habe ich mich auf das Haus konzentriert (nein, der Garten liegt noch immer in Fritten, denken wir da mal nicht dran), auf viele liegengebliebene Aufgaben, und ich habe auch gemalt und gezeichnet. Weil ich trotz Kunststudiums (für Lehramt, aber mit sehr guten Lehrern) nicht wirklich gut bin, male ich nur mit Anlaß, für andere.

Wenn ich male oder einen Schrank aufräume, vergesse ich „die Situation“ beinahe. Das bedrückte Gefühl in der Brust ist noch da, aber ich weiß nicht, warum, und brassele einfach weiter. Das dauert nie lang – dann bricht es wieder hervor, und ich weiß, warum es mir so mies geht. Ich gehe alle geliebten Menschen durch, wo sind sie? wann habe ich von ihnen gehört? machen die Kinder mir was vor? wer hat gerade Alarm? wie geht es Schwiegervatern? der Nichte in der Armee?

Und was geht vor? Hab ich was verpaßt? Was sagt das Radio? Was Kanal Kann11, was Kanal 12?

Dann wende ich mich wieder meinen Aufgaben zu, kann vielleicht sogar arbeiten. Ein paarmal habe ich mitgeholfen, Kinder hier im Moshav zu betreuen, das war schön. Wir haben uns mit den Kindergartenkindern getroffen, wir nehmen kleine Clips für die Kinder auf, und ich freue mich, wenn die Mütter Clips zurückschicken von ihren Kleinen, wie sie aufs Telefon patschen und Iiiija rufen. Ich unterrichte auch ein bißchen (hoffentlich bald wieder mehr) und bereite weiter Vorträge vor, falls das Semester je anfangen sollte.

Und dann höre ich in der Entfernung Lärm und Unruhe. Sofort die App vom Homefront Commando überprüfen, und dann höre ich auch schon die Artillerie. Nicht nur die, die uns gegenüber auf dem Hügel installiert ist und unsere Fenster wackeln läßt. Sondern auch weiter entfernte, deren Wummern durch den Wadi zu mir kommt. Manchmal Alarm (bei uns seltener, aber ich höre auch Alarm aus anderen Dörfern), oder Hubschrauber, oder Flugzeuge. Drohnen sowieso. Dann gehen die Wellen hoch, besonders wenn ich allein bin.

Es ist gut, daß Eli vom Sicherheitsteam so eine ruhige, tiefe Stimme hat. In der Whatsappgruppe des Moshavs gibt er Informationen von der Armee weiter, die erst viel später in den Medien erscheinen. Nein, keine Geheiminformationen, nichts Konkretes, aber ich weiß trotzdem, wie die Lage ist. Wenn er sagt, bei uns alles okay, mach ich normal weiter. Wenn er sagt, in der Nähe des Schutzraums aufhalten, gehe ich rein, lasse aber die Tür offen. Und wenn Alarm kommt (wie gesagt, bei uns seltener), mach ich die Tür zu. Wenn Alarm wegen eindringender Terroristen gegeben wird (Gott sei Dank, war nur zweimal), dann verriegele ich auch die Tür des Schutzraums.

Irgendwann ist dann wieder Stille, und die Welle geht runter auf Normalstreß. Dann stehe ich wieder auf dem Deck, bewundere, wie schön es hier ist, und wie friedlich. Noch ist es warm, ich trage Sommerkleider und bin barfuß, aber nachts wird es kühl. Nachts sehe ich auch, daß der Moshav leer ist. Keine Karaoke-singenden Touristen mehr, alles ist still und dunkel. Manchmal holen wir das Teleskop raus und gucken Albireo an. Aber selten. So richtig nutze ich diese Zeit der Dunkelheit und Stille nicht.

Einen Vorteil haben die Nächte: ich sehe den Lichtblitz der Artillerie, bevor der Krach kommt.

Jeden Tag eskaliert die andere Seite. IDF reagiert. Heute hat Hamas Raketen geschossen, erstmals bis Kiriat Ata und Kiriat Bialik. 30 Raketen. Hamas im Libanon und nicht Hisbollah – wenn sich die Hamas dazu bekennt, wie heute, ist das ein retardierendes Element, denn sie ist hier nicht der wahre Feind. Aber so viele Raketen und bis weit in die Bucht von Haifa – das ist ein eskalierendes Element. Wie tariert die Armee ihre Reaktion darauf? Ich höre auf die Artilleriegeschosse, horche, ob ich Flugzeuge höre und in welche Richtung sie fliegen. Und daraus ziehe mich meine Schlüsse.

Eine Eskalation im Norden würde bedeuten, daß die Armee und das Land bis an ihre Schmerzgrenze gehen müßte. Weitere Dörfer räumen, mehr Armee hier hin, das bedeutet weitere wirtschaftliche Einbrüche, weitere eingezogene Reservisten, und wie lange halten wir alle das aus? Will die Hisbollah uns in einen Erschöpfungskrieg (milchemet hatasha) ziehen? Sehr wahrscheinlich. Also müssen wir resilient sein. Ja, auch ich.

Wenn es so bleibt wie jetzt, können wir das aushalten. Aber geht das überhaupt? Wie lange kann eine instabile Situation bestehenbleiben? Und was ist mit den Geiseln? was mit den Soldaten? wo sind die Kinder?

Und schon steigt die Welle wieder. Bisher ist mir noch keine über dem Kopf zusammengeschlagen.

Danke danke danke November 3, 2023, 15:58

Posted by Lila in Bloggen.
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für die Kommentare, einer schöner als der andere. Altbekannte Namen, neue Namen – ich freue mich so, euch alle hier zu sehen.

Ach je ach je, es hat mir gefehlt, das Schreiben, der Austausch mit interessanten Menschen. IHR habt mir gefehlt.

Ein Interview November 3, 2023, 11:29

Posted by Lila in Land und Leute, Persönliches.
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Vor zwei Wochen hat die Lokalzeitung meines Heimatorts mich interviewt. Der Titel ist nicht von mir. Ständige Angst würde ich es nicht nennen. Eher ein Unbehagen im Hintergrund.

Guten Morgen, ihr Lieben, November 3, 2023, 9:22

Posted by Lila in Land und Leute, Persönliches.
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ihr habt lange nichts von mir gehört, aber ihr habt mich nicht vergessen, und dafür danke ich euch sehr. Ich bin vor ein paar Jahren, als das Bloggen zu anstrengend wurde, halbherzig auf Twitter umgestiegen, und eine Weile habe ich recht viel dort geschrieben. Aber als vor etwas über einem Jahr Netanyahu nicht nur wiedergewählt wurde (ich kann Leute verstehen, die ihn gewählt haben, um einfach das Karussell der Neuwahlen zu stoppen), sondern eine katastrophale Truppe von Ignoranten, Nichtskönnern und Fanatikern in die Regierung holte, bin ich verstummt. Das war nicht mehr mein Israel, die Gesetze, die sie auf den Weg brachten, fand und finde ich einfach nur furchtbar.

Ich habe mich in Arbeit gestürzt und mein Mann und ich haben ernsthaft erwogen, das Land zu verlassen. Keine einfache Entscheidung in unserem Alter, und wir lieben Israel und unsere kleine Ecke, in der wir uns eingerichtet haben. Ihr wißt es. Viele meiner Freunde waren sehr engagiert im Kampf gegen die Entscheidungen der Regierung, und eigentlich haben mich nur noch die Bilder von den Demonstrationen hier gehalten.

Dann kam der 7. Oktober.

Dieser Tag war eine Wasserscheide im Leben aller, die ich kenne, mit all den Gräueln, die man aus Holocaust-Erzählungen kannte, aber auch aus den vielen, vielen Terror-Massakern, die wir in den letzten Jahrzehnten erleben mußten. Der unverminderte, mörderische und unvorstellbar grausame Haß, dem Israel schon vor der Staatsgründung ausgesetzt wurde, dazu die Bereitschaft vieler Menschen im Westen, das verlogene Narrativ zu akzeptieren, das diesen Haß scheinbar rechtfertigt – das alles steigerte sich zu einer Orgie der Gewalt gegen Israelis, Juden und jeden, der dazugerechnet wird.

Wir leben seitdem in einer Welt, in der Albträume wahr werden.

Der 7. Oktober – ich erzähle euch einfach mal, wie wir ihn erlebt haben. Ich hatte einen Tag vorher meinen letzten Tag im Kindergarten. Obwohl ich dort sehr glücklich war und die Arbeit mit Kindern nach wie vor liebe, hatte ich das Gefühl, ich bin doch zu alt dazu und sollte mich lieber wieder auf das Unterrichten von Kunstgeschichte konzentrieren. Ich habe ja diese zwei professionellen Standbeine und meine Woche war aufgeteilt in FH und Kindergarten, vielleicht eine ungewöhnliche Situation. Der Plan war also, mich beruflich wieder mal neu zu orientieren und der Shabat war als Atempause geplant.

Um 6.30 morgens tranken wir gerade unseren Morgenkaffee, als uns Quarta anrief, die in einem Vorort von Tel Aviv lebt. Sie sagte leise: „Mama, hier ist Alarm“. Sie war allein zuhause, ihr Freund und ein Mitbewohner waren nicht da, und einen Schutzraum hat sie nicht.

Quarta hat viel mitgemacht, seit sie in Tel Aviv lebt. Sie hat allein im Treppenhaus gestanden, als Tel Aviv bombardiert wurde. Sie hat den Angriff auf ein Cafe mitangehört, von ihrer kleinen Wohnung am Dizengoff Boulevard, und sich stundenlang eingeschlossen, während die Polizei die Gegend durchkämmte. Damals sind wir nicht zu ihr gefahren, weil mein Mann meinte, es ist sowieso alles abgeriegelt und wir kommen nicht durch.

Diesmal bin ich also mit dem Kaffee in der Hand und in Hausklamotten aus dem Haus gerannt, zum Auto, und habe Yaron gezwungen, sofort nach Ramat Gan zu fahren, um Quarta abzuholen. Er hatte Einwände, wer ist so wahnsinnig, in eine Gegend unter Beschuß zu fahren?, aber ich habe nur gesagt: wer ist so wahnsinnig, seine Tochter in einer Gegend unter Beschuß zu lassen?, und wir fuhren los. Den Kaffee haben wir mitgenommen.

Im Radio lief ein Alarm nach dem anderen durch. Uns war schon klar, daß das kein „normales“ Ereignis ist, daß etwas vorgeht. Wir waren schon kurz vor Ramat Gan, als Quarta uns anrief. „Kommt nicht! Es sind Terroristen aus dem Gazastreifen nach Israel eingedrungen, sie erschießen die Menschen auf den Straßen, ich will nicht, daß euch etwas passiert!“ Wir haben sie beruhigt und gesagt, daß wir zu ihr kommen und sie ihre Taschen packen soll.

In der Famiien-Whatsappgruppe schickten inzwischen auch Tertia und Secundus besorgte Berichte über Gemetzel im Süden, über Hunderte von Terroristen, die auf Autos und Menschen schießen. Ich habe zurückgeschrieben, daß es immer viele Gerüchte gibt und wir Ruhe bewahren müssen, bis wir mehr wissen.

Wir sind unterwegs am Denkmal für die von den Briten hingerichteten Widerstandskämpfer vorbeigekommen, einem Werk von Chana Orloff. Der kämpfende Löwe von Juda, klein, aber sehr entschlossen. Am liebsten wäre ich aus dem Auto gesprungen und hätte ein Foto gemacht, aber mir war schon klar, daß das nicht der richtige Moment war.

Quarta haben wir dann schnell aufgepickt, und wir waren noch in Ramat Gan, als die Sirenen wieder heulten. Raus aus dem Auto, weg von der Straße, hinter einem Mäuerchen hingekauert, Quarta in der Mitte, und Iron Dome zugeguckt, wie es eine Rakete zerlegte. Nach zehn Minuten wieder ins Auto und weitergefahren. Quarta war genauso ruhig wie wir, weil wir zusammen waren und auf dem Weg in den Norden.

Inzwischen schickten die Kinder mir die ersten Bilder von den Massakern im Süden. Quarta war am Telefon mit ihren Freunden, von denen einige auf einer Rave-Party in Re´im waren und nun um ihr Leben rannten. Die Freundin ihres Mitbewohners hielt sich in einem Wäldchen versteckt, der Mitbewohner wollte sie retten, der Freundeskreis war gespalten, was man nun tun sollte.

Im Radio kamen inzwischen auch die ersten Berichte, und überall war die große Frage: wo ist die Armee? wo ist die Armee? WO IST DIE ARMEE???

Wir kamen zuhause an, schalteten sofort den Fernseher an, und während die Horrornachrichten einliefen und sich langsam ein Bild der Katastrophe abzeichnete, rüsteten wir den Schutzraum aus. Ich fing wieder an zu twittern, einfach um zu teilen, wie sich unser Leben jetzt anfühlte.

Danach verschwimmen die Tage. Schulen und Kindergärten wurden sofort geschlossen, die ersten Angriffe auf die Nordgrenze begannen, das normale Leben war vorbei. Ich meldete mich bei der Leiterin des Erziehungsbereichs in dem Kibbuz, wo ich gearbeitet hatte, um ihr zu sagen, daß ich gern bereit bin, wieder mitzuarbeiten, wenn die Kindergärten öffnen, und auch in der Zwischenzeit alles tun werde, um den Kindern die Situation zu erleichtern. Ich nehme regelmäßig kleine Videoclips für die Kinder auf und wir haben auch immer wieder ZoomKonferenzen. Am Ende der ersten haben wir zusammen HaTikva gesungen.

Quartas und Tertias Jobs lösten sich in Luft auf, und Secundus´ Studentenjob (er ist im letzten Jahr seines MA-Studiums) wurde sehr, sehr intensiv. Mein Mann fährt weiter jeden Tag zur Arbeit, aber für mich ist der Semesterbeginn weggefallen und keiner weiß genau, wie es weitergehen soll.

Über das Grauen, das uns befallen hat, kann ich kaum schreiben. Jeder in Israel kennt Betroffene. Wir sind Kibbuzniks, auch wenn wir jetzt in einem Moshav wohnen. Aber wir kennen andere Kibbuzniks. Die Vorstellung, daß in diese kleinen, friedlichen, offenen Welten, wo Friedensaktivisten und Idealisten leben, große Familien in bescheidenen Häusern, die nie abgeschlossen werden, wo arabische Mitarbeiter herzlich willkommen geheißen werden und wo man stolz ist, Menschen aus dem Gazastreifen Arbeit und Brot zu geben – daß dort Terroristen von Haus zu Haus gezogen sind und ganze Familien zu Tode gefoltert haben, ist so schmerzhaft, daß ich es nicht ertragen kann und trotzdem ständig vor Augen habe.

Die jungen Menschen auf der Party. Beduinische Familien. Senioren an einer Bushaltestelle, die auf ihren Ausflugsbus warteten. Thailändische Landarbeiter. Filipinische Pflegekräfte mit den Holocaust-Überlebenden, die sie betreut hatten. Soldaten und Soldatinnen. Brutal ermordet von lachenden Terroristen, die ihre Taten live streamten und sich damit brüsteten.

Zum Kapitel „wo war die Armee???“ werde ich mal gesondert schreiben, wir wissen inzwischen ziemlich gut, wie es dazu kommen konnte, daß über Stunden niemand den Menschen in Sderot und Nir Oz half.

Wenn in Israel ein Anschlag ist, verbreitet sich eine ganz unheimliche Stimmung. Wir schalten auf pigua-Modus um. Wer ist betroffen, wie können wir helfen, was genau ist passiert, wann wird wer wo begraben? Die Nachrichten berichten, wir warten auf die Namen der Opfer, wir rufen Freunde an. Diese öffentliche Teilhabe an der Trauer hilft, den Schock zu verarbeiten. Kerzen und Blumen werden am Anschlagsort niedergelegt, und wenn es ein Cafe oder Restaurant war, gehen viele Leute hin, um zu zeigen, daß wir diese Orte nicht meiden.

Wir sind jetzt seit vier Wochen im pigua-Modus. Noch immer werden täglich Tote identifiziert, das Bild überwältigenden Grauens ist inzwischen unerträglich deutlich. Ich sehe in den Nachrichten Bilder von Familien, die ich kenne, und die grausam dezimiert sind. Ich habe seitdem noch niemanden getroffen, der nicht mindestens drei betroffene Familien kannte. Die Welt ist längst mental und medial weitergezogen, für uns ist der pigua, der Terrorangriff, noch nicht vorbei. Noch sind nicht alle Toten identifiziert und begraben. Und normalerweise finden jüdische, aber auch drusische, beduinische und muslimische Begräbnisse sofort statt, oft noch am selben Tag, spätestens am nächsten Werktag.

Dann das absolute Schrecknis der Geiselnahmen. Wie die Totenzahlen steigt auch die Zahl der Geiseln noch immer an, je mehr Tote identifiziert sind und je mehr Information gesichtet wird. Die Gesichter der Geiseln begleiten jeden von uns. Ihr kennt die Namen auch inzwischen. Daß die Plakate mit den Bildern der Geiseln weltweit von Unmenschen mit verschlossenen Gesichtern systematisch abgerissen werden zeigt uns, wie groß und moralisch blind der Haß gegen Israel, gegen Juden und Menschlichkeit ist.

Riesige weltweite Demos gegen Israel (während kein Mensch für die Million Afghanen, die Pakistan soeben vertrieben hat, auf die Straße geht). Lügenhafte Berichterstattung (Krankenhaus bombardiert! wer glaubt der Hamas? ALLE glauben der Hamas). Davidsterne auf Häuser gesprayt, wo Juden leben. Angriffe auf Juden und Jüdinnen in aller Welt. Albträume werden wahr, die Gülle sprudelt aus allen Kanälen.

Dazu kommen für uns im Norden die Befürchtungen, die Hisbollah könnte in den Krieg einsteigen. Nasrallah wird uns wohl in wenigen Stunden den Krieg erklären, den er auf kleiner Flamme bei uns im Norden schon seit vier Wochen führt.

Ich habe mich bisher auf Yarons Einschätzung verlassen, daß unser Moshav zu klein und abgelegen ist, um ein wertvolles Ziel für Raketen zu bilden. Wir können zu seinem Vater übersiedeln, er hat eine Einliegerwohnung mit Schutzraum, aber wir wollen die Katzen nicht alleinlassen (ich füttere auch die Nachbarkatzen mit, seit die Nachbarn den Moshav verlassen haben) und obwohl meine Evakuierungstasche gepackt ist, wollen wir hierbleiben, bis die Armee uns mitteilt, daß wir weggehen müssen (dann werden wir die Katzen zu Secundus bringen).

Das Warten auf die Bodenoffensive war schwierig, aber ich verstehe, warum die Armee erst einen detaillierten Plan gemacht hat, der jetzt Schritt für Schritt durchgeführt wird.

Wir hatten hier Alarme und hören ständig die Artillerie, die nach einem Angriff aus dem Libanon zurückfeuern. In der Luft hört man immer das leise Summen von Drohnen. Oft Hubschrauber und Flugzeuge. Sonst war es so ruhig hier.

Im Moshav sind viele Soldaten untergebracht. Vor ein paar Tagen fuhren Panzer bei uns vorm Haus vorbei. Der ganze Norden wimmelt von Soldaten.

Das Land steht zusammen. Arabische Hausfrauen backen und kochen für die Soldaten. Eine Gruppe von Müttern und Erzieherinnen, darunter auch ich, organisieren Aktivitäten für die Kinder, die noch nicht evakuiert sind. Alle sammeln Kleider und Dinge für den täglichen Bedarf für die Familien, die ihr Zuhause verloren haben. Städte, Dörfer, Moshavim und Kibbuzim sind evakuiert. Der Staat erfüllt seine Aufgaben nicht, aber Bürger springen ein. Es werden viele, viele harte Fragen gestellt werden, wenn dieser Albtraum vorbei ist.

Die Houthis beschießen Eilat, wo viele der Flüchtlinge aus dem Süden untergebracht sind, mit Langstreckenraketen. Sie haben uns den Krieg erklärt. Jemenitische IDF-Soldaten antworten darauf mit vielen Clips, auf dem sie jemenitische Volkstänze vorführen. Die jemenitischen Juden sind stolz auf ihre Traditionen und erinnern sich noch sehr genau an die Vertreibung aus dem Jemen.

Die Welt teilt sich wie das Rote Meer vor Moses Stab. Jeder hat eine Meinung, viele davon unqualifiziert, wie wir es kennen. Menschen, die das palästinensische Narrativ vom friedfertigen, verzweifelten, hilflosen Opfer geschluckt haben, versuchen, damit umzugehen, wie die palästinensische Gesellschaft Gewalt verherrlicht (großer Respekt vor den Einzelstimmen, die anders sind). Der westliche Reflex, bei jeder Begegnung mit Palästinensern erstmal zum Portemonnaie zu greifen, ist ungebrochen, wie von der Leyen und Baerbock wieder demonstrierten – nicht einmal die kleinste Bedingung haben sie daran geknüpft. Während 242 Geiseln in der Hand der Hamas sind und tägliche Dutzende Raketen aus dem Gazastreifen auf unsere Zivilisten fliegen, alimentieren europäische Regierungen und EU die Hamas indirekt.

Während ich schreibe, donnert draußen die Artillerie. Ich weiß nicht, was heute weiter passiert, ob heute mit Nasrallahs Erklärung der Krieg hier weiter eskaliert und was das bedeuten wird. Meine Kinder sind über Israel verteilt, wir sind allein mit den Katzen hier im Norden, nur ca 5.5 km von der Grenze entfernt. Der Schutzraum ist vorbereitet, wir haben auch eine geniale Konstruktion meines Mannes, um die Tür zu verriegeln, falls Terroristen versuchen sollten, in unsere Dörfer einzudringen.

Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich die Klamotten im begehbaren Kleiderschrank wieder aufsammeln muß, die die Katzen auf den Boden fegen, wenn sie vor Schreck über die Artillerie hinter Yarons Klamotten flüchten.

Der Ablauf ist immer gleich. Erst höre ich den Beschuß aus dem Libanon. Dann kommen zeitgleich die Artillerie-Antwort und eine Whatsapp-Benachrichtigung des Sicherheitsteams unseres Moshavs. Später höre ich darüber in den Nachrichten, nur eine kurze Nachricht. Der Süden wird viel intensiver beschossen, aber auch in Haifa, Zfat und Eilat war schon Alarm. Das Land ist von allen Seiten bedroht.

Was passiert, wenn die Palästinenser der PA und israelische Araber in großem Stil den Aufstand machen, mag ich mir nicht ausmalen. Es ist möglich. Mehfrontenkrieg mit Intifada. Das ist das Szenario von 1948. Der Unabhängigkeitskrieg ist noch nicht vorbei.

Ich bin kein mutiger Mensch. Meine einzige Berührung mit dem Militär war der Name der Straße, in der ich großgeworden bin: Artilleriestraße. Durch meine Ehe und die Entscheidung, in Israel zu leben und eine Familie zu gründen, habe ich mehr Erfahrung mit Militär, Krieg und Kampf gewonnen, als ich je wollte. Jetzt finde ich mich in einer Situation wieder, in der ich tagelang allein bin, während mein Mann normal zur Arbeit fährt, und mich meinen Ängsten stellen muß. Sorgen um die Kinder, Angst um die Geiseln, Trauer um die verlorenen Menschen, Zorn auf die Menschen, die ihre Augen davor verschließen, was Israel, das Volk Israel, der Staat Israel und das Land Israel (am yisrael, medinat yisrael, eretz yisrael) seit Jahrhunderten durchmachen. Und wie das Volk Israel immer wieder mit Menschlichkeit und Intelligenz reagiert. Ja, auch hier gibt es shmockim, aber im Großen und Ganzen feiert Israel das Leben, das Überleben und das Weiterleben mit Gedenken.

Deswegen bin ich gekommen, und deswegen bleibe ich.