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Zufälle Juli 16, 2009, 13:04

Posted by Lila in Land und Leute.
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Seit Y. nicht mehr in der Fabrik hier im Kibbuz arbeitet, nutzt er auch seine alte Handynummer nicht mehr. Alle paar Monate hört er aber die Nachrichten ab, die ihm auf Band gesprochen werden. Manchmal ist was Wichtiges dabei. Heute hörte er eine Nachricht von einer Frau namens Fania Shvartz ab, die um Rückruf bat. Sie gab zwei Nummern an, eine Handynummer und eine Festnetznummer. Y. rief zuerst ihr Handy an. Der Dialog klang sehr spaßig.

„Hier spricht Y. Habe ich Fania Shvartz erreicht?“ „Wie? Oh, die kenne ich nicht, aber sie muß ihr Handy hier verloren haben. Ich bin Parkplatzwächter am Arbeitsamt in Afula und habe dieses Handy gerade gefunden. Dann gehört es also einer Fania Shvartz? Sie kann es in der budke abholen“  Y. als guter Bürger gab ihm Fanias Nummer zuhause, rief dort aber selbst an.

„Hallo, Fania Shvartz?“ Die Tochter war am Apparat, dann die Mutter. Y. erklärte, daß er sie sucht, weil sie ihn angerufen hat, und daß er den Mann gesprochen hat, der ihr verlorenes Handy gefunden hat. „Ach, beim Arbeitsamt in Afula war es! Und ich habe mich schon gefragt, wo ich es verloren habe. Vielen Dank!“ Sie freute sich sehr.

Dann fragte Y., warum sie ihn denn gesucht hat – ob es noch mit seinem alten Job zu tun hat. Nein nein! Sie war ganz überrascht. Sie hat die Nummer von einer Dating-Website, wo ein Mann namens Yair Cohen sie angegeben hatte. Und den würde sie gern kennenlernen.

Y. war verblüfft. Ein Mann namens Yair Cohen gibt auf einer Dating-Website seine  alte Nummer an, die normalerweise nur arbeitsrelevante Anrufe bekommt? Aus Versehen oder hat er sie einfach aus der Luft gegriffen? Na, da können ja noch interessante Anrufe einlaufen. (Und nein, er hat kein Doppelleben, sonst hätte er Fania wohl kaum in meiner Gegenwart angerufen! Außerdem war das verdutzte Gesicht im Laufe des Gesprächs bestimmt nicht gespielt…)

Fania jedenfalls bedankte sich sehr bei Y. und wünschte ihm Gottes Segen. Und sie düst jetzt ab zum Arbeitsamt in Afula, ihr Handy abholen.  Vielleicht heißt der Parkplatzwächter zufällig  Yair Cohen?

Mitten im Tammuz Juli 11, 2009, 12:35

Posted by Lila in Kibbutz, Kinder, Katzen.
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Tertias beste Freundin Kim ist ein nettes Mädchen mit einem schweren Schicksal. Ihre Eltern sind in die USA übergesiedelt, als sie noch ganz klein war, und haben sich vor ein paar Jahren scheiden lassen.  Kim und ihre Mutter sind nach Israel zurückgekehrt und haben sich eine kleine Wohnung in einem Kibbuz genommen, die anderen Geschwister sind beim Vater in den USA geblieben. Es hat wohl heftige Auseinandersetzungen zwischen den Eltern gegeben, eine richtig üble Trennung, bei der so viel zu Bruch geht, daß die Narben ein Leben lang bleiben.

Das war vor zwei oder drei Jahren. Damals kam Kim in Tertias Klasse, und die beiden haben sich sofort verstanden. Insgesamt sind sie so eine Gruppe von fünf, sechs netten Mädchen, alles zurückhaltende, stille Leseratten und Schmuckbastlerinnen. Ich habe sie ja öfter alle hier gehabt und sie haben mir alle gut gefallen.

Kims Mutter ist kurz nach ihrer Ankunft in Israel an Brustkrebs erkrankt.  Kim blieb allein in der Wohnung – gut, daß die Tante nebenan wohnt, aber es war für Kim sehr schwierig. Sie hat öfter hier übernachtet, wenn ihre Mutter im Krankenhaus war. Der Kampf der Eltern um die Kinder und ihre Zukunft ging unvermindert weiter, auch als die Mutter erkrankte. Sie hat sich Tertia anvertraut, und Tertia hat mir nicht viel weitererzählt – nur wenn sie es zu schwierig fand, hat sie bei mir ihr Herz erleichtert und wir haben versucht, Kims schwierige Erlebnisse irgendwie einzuordnen und zu verstehen.

Vorhin rief Kim an. Ich wußte sofort, daß die Katastrophe eingetreten ist, und reichte Tertia den Hörer. Tertias Gesicht zerbrach vor meinen Augen geradezu. Kims Mutter ist gerade gestorben. Kim, das arme Mädchen, hat als erstes ihre beste Freundin angerufen. Tertia ist jetzt auf dem Weg zu ihr. Ich wünschte, wir könnten etwas tun. Das ist schon die zweite von Tertias Freundinnen, die ihre Mutter verliert. Das arme Mädchen.

Der Vater wird sie nun in die USA holen, obwohl Kim das gar nicht will. Ich habe sofort gesagt, daß sie gern zu uns kommen kann, aber das ist keine Lösung. Die Tante ist ja auch bereit, Kim zu sich zu nehmen. Aber der Vater wird das nicht zulassen. Aus seiner Sicht bestimmt logisch. Doch Kim will nicht weg von hier, sie will im Kibbuz und auf der Schule bleiben, so, wie sie und ihre Mutter sich ihr Leben eingerichtet hatten. In den Augen ihres Vaters ist sie ja auch eine Verräterin, weil sie bei der Mutter geblieben ist. In diese Mühle von Konflikten will sie natürlich nicht wieder rein.

Mitten im Tammuz ist sie gestorben, Kims Mutter, wie im Lied. Sie war jünger als ich und hinterläßt vier mutterlose Kinder, einen Ex-Mann, der von seinem grimmigen Kampf gegen sie nicht abgelassen hat, als sie im Sterben lag, und es tut mir sehr leid um sie. Ach, was für ein trauriger Tag. Was für eine traurige Jugend für Kim.

Jeden Tag vier Stunden Juli 6, 2009, 17:03

Posted by Lila in Uncategorized.
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Lila am Stück, das hält selbst der stärkste Student nicht aus. Die Armen. Es sind alles gestandene Lehrer und Lehrerinnen auf dem Weg zu einem weiteren akademischen Feigenblatt, und sie sind nett, interessant und anregend. Natürlich kann ich von dem Material, das ich letztes Jahr so mühselig zusammengestellt habe, nur wenig gebrauchen, weil ich mich auf die Gruppe vollkommen einstelle und jede ihrer Anregungen aufnehme. Bei der Hitze in einer leeren Hochschule zu sitzen, während die Kinder zuhause nichts zu tun haben, ist nicht einfach. Es sind alles Familienväter und -mütter.

Ich bin so müde, daß ich gut schlafe, obwohl es nachts unerträglich heiß ist. Wir sind dabei, einen Flug in die alte Heimat zu buchen, nur für die Mädchen und mich. Primus wartet auf seine kurze regila-Zeit, also Kurzurlaub von der Armee, aber das reicht natürlich nicht für einen Urlaub in Deutschland. Secundus fliegt nach Polen. Bis dahin arbeitet er als shiputznik, hilft einer Familie im Kibbuz beim Umbau ihres Hauses. Dafür kriegt er gutes Geld und kann sich mit Hacke und Hilti austoben. Bisher reißen sie nämlich nur ein. Da der Mann selbst shiputznik ist, also normalerweise für andere Leute um- und anbaut, kann Secundus sogar noch von ihm lernen. Es macht ihm großen Spaß.

Tertia schuftet in der Küche der Feriensiedlung. Im Moment ist es dort so voll, daß die Arbeit unheimlich anstrengend ist. Meine großen Kinder kommen also müde und schweißgebadet wieder – Secundus in einer Wolke von Baustaub, Tertia in einer Wolke von Küchendunst. Und Quarta hat die Zahl der Stunden im Reitstall erhöht. Aber meist ist sie tagsüber im Kinderhaus, wo jeden Tag eine andere Aktivität läuft. So sehen im Moment unsere Ferien aus. Ich kann nicht behaupten, daß sie sich großartig von Nicht-Ferien unterscheiden. Na ja, bisher. Bis September haben wir ja noch ein bißchen Zeit…

Am Block Juli 1, 2009, 21:59

Posted by Lila in Persönliches.
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So, das gefürchtete Blockseminar hat angefangen. Den Studenten graut davor genauso wie mir. Sie sind Lehrer in der Fortbildung – haben also gestern ihre Klassen entlassen und Zeugnisse verteilt, wenn sie an der Grundschule arbeiten. Die Mittel- und Oberstufen sind schon seit einer Woche in Ferien. Und die Hochschule ist wie ausgestorben. Die Stühle auf dem Rasen wurden heute weggeräumt, die Urkunden sind verliehen, und nur noch eine Cafeteria ist offen. Und wir sitzen bei der Glühhitze jeden Tag fast vier Stunden und arbeiten. Na ja, ich bin fast vier Stunden mit ihnen zusammen, dann darf ich nach Hause gehen, aber die armen Studenten haben nach mir noch zwei intensive Veranstaltungen. Sie tun mir leid.

Aber es ist weniger schlimm als gefürchtet. Wir haben heute das Programm zusammengestellt, und die Gruppe ist kleiner als letztes Jahr. Wieder heterogen – Juden, Christen, Moslems, aber diesmal ohne die Drusen und Beduinen, die letztes Jahr eigentlich den richtigen Pfiff gegeben haben. Der beduinische Student wird mir ja durch seine witzige Abschlußrede unvergessen bleiben. Auch diesmal sind es besonders nette Studenten. Ach nein, auch meine anderen sind nett, aber so eine Gruppe von älteren, selbst lehr-erfahrenen Menschen ist schon was anderes. Die Stunde läuft ganz anders ab, mehr im Dialog.

Ja, ich habe es eigentlich doch ganz gut. Ich mag meine Arbeit, und ich mag die Menschen, mit denen ich zu tun habe. Ich unterrichte in einer Klasse, in der ich selbst gelernt habe – vor vielen Jahren. Viele Stunden hatte ich in dem Raum, und unterrichtet habe ich dort auch schon öfter. Aber unvergessen bleibt mir die erste Stunde in Raum 903. Das war nämlich die Eröffnungsstunde im Kurs „Computer – Grundkenntnisse“, und unser Lehrer war ein sanftmütiger Russe namens Boris („Baris!) aus St. Petersburg. Sein Sohn ist mit einer Deutschen verheiratet, und wir hatten sofort einen guten Draht. Das wußte ich aber in der ersten Stunde noch nicht. Ich war sehr beklommen, denn das war die einzige Veranstaltung, vor der ich Angst hatte – Angst, mich bis zu blamieren.

Ich wußte ja nicht mal, wie man einen Computer anschaltet. Ja ja, und dann hat Baris uns beigebracht, wie man Disketten formattiert (firmut diskettim). Das hätten wir uns schenken können. Meine Dateien waren immer so groß und bilderreich, daß ich sie kaum auf die Diskette quetschen konnte, und da hatte man dann so ein Progrämmchen, das einem die Datei in Häppchen zerlegte und hinterher wieder zusammensetzte.

Daran dachte ich heute, als ich im Raum 903 saß und auf die Studenten wartete. Schön, daß ich an diese Hochschule zurückgekehrt bin.  Die Atmosphäre ist so nett, die Kollegen (fast alles frühere Lehrer) so freundlich, die Studenten so bunt und interessant. Auch wenn es heute im ganzen Gebäude keinen Tropfen Wasser, geschweige denn Kaffee, gab…