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Falscher Beifall Februar 17, 2020, 22:59

Posted by Lila in Persönliches.
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Gut, ich mache mich heute mal unbeliebt, warum nicht?

Es muß so vor zwei Jahren gewesen sein, da lief durchs (englischsprachige) Netz eine Art mütterlicher Trotzreaktion. Irgendeine mommy blog-Kämpferin bekannte sich dazu, daß sie am Smartphone klebt, während ihre Kinder um sie herum spielen. Sie wurde gefeiert, ihr Bekenntnis noch mehr – Tod dem Perfektionismus, der Müttern abverlangt wird! Sind wir nicht alle irgendwie diese Mutter? Ja, ja! Ich finde diese kleine Welle nicht mehr mal im Netz, so schnell brandete sie durch und war vergessen.

Aber das Thema bleibt aktuell. Ich fahre viel mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch die Welt und achte immer besonders auf Kinder und junge Eltern. Ich sehe einfach gern vergnügte Kinder und zugewandte Erwachsene, und oft genung sehe ich sie auch. Inzwischen bin ich auch alt genug, daß ich die nervige Oma sein könnte, die fremden Leuten zu ihrem besonders netten Kind gratuliert. (In Israel fällt man mit sowas nicht auf, hier mischen sich alle in alles ein.)

Ich finde auch nichts dabei, mit jungen Eltern Gespräche anzufangen, und erinnere mich gern an eine sehr nette junge Frau mit ihrem Baby im Einkaufszentrum. Der Planet „Mama-Baby“ kann sich manchmal einsam anfühlen, und so ein Gespräch unter Fremden kann manchmal offener sein als mit Menschen, die einen kennen. Und die Mama-spezifischen Schuldgefühle, die einem zusetzen.

Es passiert aber einfach zu oft, daß ich sehe und höre, wie ein Kind sich langweilt, um Aufmerksamkeit bettelt – und nicht mal einen Tropfen abkriegt. Bestimmt ist die Welt voll mit Artikeln, in denen Psychologen und Kommunikationsspezialisten genau erklärten können, welche Auswirkungen es hat, wenn die Eltern nur auf ihren Bildschirm starren, aber ich sehe es selbst. Ich weiß es auch von mir. Während ich hier schreibe, kriege ich auch kaum mit, ob jemand die Spülmaschine einräumt (leider nicht) oder mir was Wichtiges erzählt (Freitag, war da was?). Wenn ich mit Quarta spreche, während sie am Smartphone hängt, tut sie zwar so, als würde sie mich wahrnehmen, aber ich könnte genausogut mit den Katzen sprechen, die versprechen auch viel und beißen mich trotzdem nachts in die Zehen.

Zwischen Erwachsenen ist das nicht schlimm, weil man sich gegenseitig nachsehen kann, daß sich jemand gerade auf einen Bildschirm konzentriert und für eine Zeit weggetreten ist. Aber für Kinder ist das unverständlich und schlimm, weil verunsichernd. Außerdem machen die Eltern den Kindern damit genau vor, was sie eigentlich vorgeben zu bekämpfen – die Kinder von Bildschirmjunkies werden selbstverständlich auch Bildschirmjunkies, man kann sie ja so schon kaum davon abhalten.

Ich weiß, wie schwer es ist, die vielen Fragen zu beantworten, immer aufmerksam zu sein. Aber Kinder haben Rechte – und ein Recht ist, respektiert und beachtet und ernstgenommen zu werden. Wer nicht bereit ist, dem Kind die Aufmerksamkeit zu schenken, die es braucht, der soll vielleicht doch noch mal überlegen, ob er oder sie Kinder will. Es ist durchaus möglich, ein erfülltes Leben ganz ohne Kinder zu führen, und ich habe schon öfter gesagt, daß ich nichts davon halte, Menschen einzureden, ohne Kinder gebe es kein Glück. Blödsinn. Jedes Kind hat das Recht, ganz und gar gewollt und bejaht zu werden.

Ja, heute in der Bahn saß ich einem süßen Paar gegenüber. Eine junge, sehr hübsche Mutter, und ein kleines, noch viel hübscheres Mädchen. Sie war so im Vorschulalter, diesem wunderbaren Alter, wenn die Kinder anfangen, Meinungen zu haben. Zwischen Nahariya und Akko war das Mädchen still, dann fing sie an. Zuerst Blicke zur Mama und zappelnde Beine, dann kleines Schubsen, und in Kiriyat Chaim verlor sie die Geduld. „Ima, mir ist laaangweilig“ „Iiiiimaaaa, mir ist laaangweilig“ Von der Mutter kam nur ein unklares Gebrumm. Sie war in ihr Smartphone vertieft.

Sie hatte für das Kind weder ein Bilderbuch noch ein Spielzeug eingepackt. Ich weiß nicht, bis wohin sie gefahren sind, aber sie hatte einfach nicht eingeplant, daß die Fahrt für ihre Tochter langweilig sein würde. Nach jahrelangem Bahnfahren sowohl in Israel als auch in Deutschland würde ich schätzen, daß auf eine Mutter mit gut gepackter Kinder-Reisetasche sieben oder acht Mütter kommen, die daran nicht gedacht haben. Einen Vater mit Spieltasche habe ich überhaupt noch nicht erlebt. Meiner Erfahrung nach sind es meist Mütter mit mehreren Kindern, die der Erkenntnis nicht mehr ausweichen können, daß eine längere Fahrt ohne Unterhaltungsplan für die Kinder ein Albtraum ist. Dann höre ich mit Freuden zu, während die Familie spielt oder sich unterhält, und habe meine Freude.

Meine Mutter war ein Genie der Kinderbespaßung und ist es noch, meine Schwiegermutter ebenso. Wenn meine Kinder mit uns und der Welt zerfallen waren, sind sie früher oft zu meiner lieben Schwiegermutter gegangen. Die sagte meist: „gut, daß du kommst! Meine Knopfsammlung muß sortiert werden, hast du Lust dazu?“, und damit war der Tag gerettet. Stunden haben meine Kinder über Schwiegermutters Näh-Vorräten und Sammlungen gesessen, mit ihr Taki gespielt oder Suppe gekocht. Meine Schwiegermutter hat, bevor sie Konfektion gelernt hat, Jahrzehnte in der Kleinkinderziehung gearbeitet und weiß mehr Kinderlieder, Volkslieder, Fingerspiele und lustige Verse als jeder andere Mensch, den ich kenne. Sie könnte einen bunten Abend allein bestreiten und das Lachen sitzt ihr locker.

Meine Mutter kommt aus einer Dynastie der Geschichtenerzähler. Ihr großer Bruder hat sie abends mit Geschichten von Old Schnödderbell ins Bett gebracht, der mit seinem Schnödder wilde Pferde zähmen konnte, mein Vetter hat seine Kinder mit Geschichten vom Klosettmann beglückt, und meine Mutter erfand unendliche Geschichten über das verrückte Pferd, das seinen Reiter abwirft, die Weinflasche aufkorkt und leert, und dann besoffen ins Abenteuer aufbricht. Ich erinnere mich an viele Rückfahrten von Besuchen bei Oma, mein Bruder und ich hinten im Auto, und juchzen, wenn der Moment kommt, der Reiter empört ins Gras rollt und die Flasche rausgeholt wird. Das freche Wiehern des besoffenen Pferdes, das jetzt zum Abenteuer aufbricht, gehört zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen. Meine Mutter ist wirklich immer noch ein Kindermagnet. Bei der Beerdigung einer sehr jungen Mutter, die wir vor kurzem überstehen mußten, war sie die einzige, die für die kleinen, verwaisten Kinder Geschenke dabeihatte, über die die Kinder sich sehr gefreut haben.

Die Generation meiner Schwiegermutter und Mutter hat ihre Kinder vor der Zeit der elektronischen Babysitter erzogen, außerdem sind beide ausgebildete und erfahrene Pädagoginnen. Es ist unfair, irgendjemand mit ihnen zu vergleichen, es zieht mir nur gerade so durch den Kopf. Ich habe von ihnen gelernt, immer mit einer interessant gefüllten Tasche zu Arzt, Reise oder Bahnfahrt aufzubrechen. Bei Tertias Krankenhausaufenthalten hatten wir immer ihren großen „agalool“ mit (eine Art rollendes Ställchen, in dem man liegen, sitzen, stehen, spielen kann), Bücher, Spielsachen, Bilder zum Aufhängen, ihre eigenen Sachen (sie hat nie die Krankenhauskleidung getragen) und ihre eigene Decke. Ja, man hat nicht immer Geduld, und im Zeitalter der totalen Erreichbarkeit kann man sich nicht leisten, bestimmte Anrufe nicht anzunehmen. Das verstehe ich schon.

Aber trotzdem. Junge Eltern, die mit Blick aufs Smartphone Kinderwagen über die Kreuzung schieben. Junge Eltern, die ihrem quengelnden Kleinkind im Cafe ein Smartphone in die Hand drücken, um weiter quasseln zu können (oder an einem anderen Smartphone zu hängen). Junge Eltern, die eine ganze lange Bahnfahrt mit einem kleinen Kind nur in ihr Smartphone starren, während neben ihnen ein kleines Kind um ein Wort, einen Blick bettelt. Ist es so schwer, sich schnell mit einem Kuli ein fröhliches und ein griesgrämiges Gesicht auf die Finger zu malen und die beiden streiten zu lassen?

Niemand von uns weiß, wie lange wir uns gegenseitig noch haben. Bei kleinen Kindern wissen wir aber, daß sie nicht lange so bleiben. Aus dem kleinen Kind, das sich über jedes Wort von Mama oder Papa freut, wird in Windeseile ein großes Kind, das gern diskutiert, und dann ein Teenager, für den die Eltern peinliche Fossilien sind, die ihn oder sie an den wichtigen Dingen des Lebens hindern. Und irgendwann dann junge Erwachsene, mit denen man einen interessanten, kritischen Dialog führen kann, und die Verständnis haben, wenn man gerade beim Whatsappen mit einem netten Menschen ist. Aber von Vierjährigen kann man das nicht erwarten.

Ich habe übrigens schon vor Kiriyat Motzkin angefangen, mich mit dem Mädchen zu unterhalten und mit ihr zu spielen. Wir haben geguckt, ob wir Tiere zählen können, aber wir haben keine gesehen, und haben welche erfunden, und so verging die Zeit bis Haifa. Sie hat sich auch nett von mir verabschiedet. Die Mutter hat nicht EINmal die Augen vom Telefon gehoben. Viellleicht hat sie gerade irgendwo gepostet, „ich bin eine Mutter, die auf ihr Smartphone starrt, und bekenne mich dazu“, und die Reaktionen gelesen: „du bist ja so mutig, so authentisch“ „das habe ich gerade gebraucht, bravo“ „zerbrecht die übertriebenen Erwartungen an Mütter“ „von Vätern erwartet niemand Perfektion“ „mögen die Hater bekommen, was sie verdienen“.

Ach, mögen die Kinder bekommen, was sie brauchen und verdienen.

Israel als Name Februar 12, 2020, 20:53

Posted by Lila in Ivrit.
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In irgendeiner Namensliste habe ich neulich den Namen Israel aufgeführt gesehen, und die Kommentare waren: häh, seltsam, ein Kind wie ein Land zu nennen! (Dabei heißt das Land natürlich nach einem Menschen, einem Stammvater.)

Im Deutschen wird Israel vorne betont: ISrael. Im Hebräischen wird das Land Israel aber hinten betont: israEL. Und den Vornamen betont man meistens auf der mittleren Silbe: isRAel. Das ist die klassische Betonung.

Mein Mann merkt an, daß religiöse Eltern, die die Nachsilbe -el betonen wollen, den Namen auch wie das Land aussprechen können, israEL. Auch michaEL, raphaEL, gavriEL und netanEL werden schließlich endbetont. Aber Israel als Vorname kenne ich nur mit Betonung auf dem -a-.

Bestimmt habe ich irgendwann schon mal darüber geschrieben, daß klassische jüdische Vornamen wie Shoshana altmodisch klingen können, nämlich wenn sie wie in der Diaspora ausgesprochen werden: shoSHAna. Aber man kann den Namen ganz einfach verjüngen, indem man ihn als shoshaNA ausspricht. Die meisten modernen hebräischen Namen werden nämlich am Ende betont. Und MIriam klingt als miriAM gleich israelischer und jünger, ebenso daVID statt DAvid.

Es ist ein echter Fauxpas, einen yoRAM als YOram anzusprechen – es klingt nicht nur altmodisch, sondern YOram wird auch als mildes Schimpfwort benutzt (Trottel).

Falls jemand von Euch vorhat, Kind oder Katze so zu nennen 🙂

Spaß mit Twitter Februar 9, 2020, 19:13

Posted by Lila in Bloggen.
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Da hat wohl jemand nicht verstanden, daß ich die Taktik, asiatisch aussehende Menschen zu verprügeln, um sich so vorm Coronavirus zu schützen, nicht etwa anpreise, sondern anprangere. Irrational wie Impffurcht, rassistisch wie Neue Germanische Medizin (egal ob Germanen diese Taten begehen oder Nicht-Germanen).

Ob sie meine Erklärung verstehen werden, weiß ich nicht. Tja, hab ich mehr Zeit zu arbeiten. Sollen sie mich ruhig bannen. Wer mich gemeldet hat, ist eindeutig ein guter Freund 🙂

Spuren Februar 7, 2020, 19:57

Posted by Lila in Muzika israelit, Uncategorized.
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Ich höre gerade eine Sendung, die ich sehr schätze, „Kulturagent“. Heute interviewt Kobi Meidan den Musiker Ilan Virtzberg.

Er spricht ihn auf das große Trauma seines Lebens an. Als Virtzberg 17 Jahre alt war, nahm sein Vater sich das Leben. Die ganze Familie war zuhause, als der Vater sich erschoß. Virtzberg erzählt, daß das große Trauma im Leben seines Vaters sich beim Todesmarsch von Auschwitz aus ereignete. Damals war der Vater ein Junge, und er mußte weitergehen, auch nachdem sein Vater neben ihm erschossen wurde. Er ist gewissermaßen weitergegangen, die ganzen Jahre, hat eine Familie gegründet, gearbeitet, bis er nicht mehr konnte und nicht mehr weiterleben konnte.

Der Großvater in Auschwitz ermordet – der Vater ein Überlebender, der letztendlich nicht überleben konnte – der Sohn ein Künstler, der mit diesem vererbten Trauma weiterlebt. Ich weiß nicht, ob er Kinder hat, aber wenn, dann leben auch sie mit den Wunden und Narben weiter.

 

Alltag Februar 7, 2020, 18:14

Posted by Lila in Deutschland, Presseschau.
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Im Moment geniesse ich die schönste Jahreszeit überhaupt – der Spätwinter oder Vorfrühling. Es wechseln sich sonnige, klare Tage ab mit schubbig-windigen Tagen, wir hatten insgesamt schon viel Regen und dieses Wochenende kommt noch mehr – die Arbeit im Garten drängt schon, aber wenn es regnet, habe ich eine gute Ausrede, warum ich mich nicht reinstürze – und es zuckelt alles vor sich hin. Den Kindern und allen anderen geht es gut, ich verarbeite den Verlust eines lieben Menschen (war ja wegen der Beerdigung auf Kurzbesuch in Deutschland – das sollte ich eigentlich öfter mal machen, nicht nur, wenn es einen traurigen Anlaß gibt),  und ich beobachte ohne Überraschung, wie der Trumpsche Vorschlag nicht mal als Sprungbrett für Diskussionen genutzt wird.

Es hat so viele Vorschläge gegeben, keiner davon wurde umgesetzt. Immer hatten die Palästinenser und Israel viele Anmerkungen, Kritikpunkte und rote Linien, die sie nicht überschreiten konnten. Aber Israelis sind trotzdem nicht hingegangen und haben zu Gewalt gegriffen, wenn ihnen einen Vorschlag nicht gefiel. Unserer Meinung nach ist auch ein unbefriedigender Vorschlag ein Anlaß, weiter zu verhandeln und Lösung zu suchen, die vielleicht besser sind. Leider haben die Palästinenser in der letzten Woche wieder zur Gewalt gegriffen, haben Verhandlungen aller Art weiter abgelehnt und statt dessen fliegen pausenlos Brandsätze an bunten Ballons (einige als glitzernd verpackte Geschenke getarnt) über die Grenze von Gazastreifen, in Jerusalem ereigneten sich gestern drei Anschläge und gewaltsame Demonstrationen sind „normal“ (Überblick hier).

Für uns ist diese vollkommen vorhersehbare, quasi automatische Reaktion der Palästinenser keine Überraschung. Es wäre eine größere Überraschung gewesen, wenn die palästinensische Führung sachlich reagiert hätte, wenn sie gesagt hätten: Abu Dis ist keine gute Idee, wir haben einen anderen Vorschlag. Wadi Ara wollen wir nicht, wir würden andere Gebiete vorziehen, laßt uns mal ältere Pläne ansehen, ob da nicht bessere Ideen drin sind. Es hätte uns alle überrascht, wenn Abu Mazen die Palästinenser nicht zu Gewalt aufgerufen hätte, sondern zu Besonnenheit. Wenn er gesagt hätte: „wir haben die Chance, einen Staat zu bekommen. Jetzt können wir der Welt zeigen, daß wir ihn verdienen, daß wir berechenbare Nachbarn sein möchten“.

Doch das möchten sie natürlich nicht, egal was Journalisten in den USA oder Europa ihren Zuschauern erzählen. Fatah möchte, wie Hamas, keine Zweistaatenlösung, sondern eine Einstaatenlösung. Sie sagen das auch ganz offen und immer wieder.

Und die palästinensischen Medien rufen immer wieder zu mörderischer Gewalt auf, auch Kinder (ein Beispiel bei Elder of Zion).

Da gibt es leider nichts Neues.

Bibis vollmundige Versprechungen, einseitig den Trump-Plan durchzuziehen und die Gebiete, die zu Israel gehören sollen, zu annektieren, sind in meinen Augen reiner Wahlkampf. Er ist geschäftsführender PM und hat keine Autorität, so schwerwiegende Entscheidungen zu fällen und durchzuführen, und es ist auch gar nicht in Trumps Sinne. Ich hoffe auch, daß er nach den nächsten Wahlen wirklich mehr Zeit hat, sich um seine Gerichtsverfahren zu kümmern, und seinen Posten abtreten muß – ich hoffe sehr, daß Gantz es schafft.

Ich weiß, daß es von Deutschland aus gesehen nur EIN Kriterium gibt oder geben sollte, um israelische Politiker zu beurteilen: nämlich, wie weit sie den Palästinensern entgegenkommen. Aber natürlich gibt es für Menschen, die hier leben, viele andere wichtige Kriterien. Ich habe es schon oft wiederholt: für Bibi ist das Thema Iran wichtiger als alles andere, er hat außerdem in der Außenpolitik Erfolge erzielt (manche davon reichlich zweifelhaft in meinen Augen), aber was ihm komplett egal ist, ist das alltägliche Leben der Bürger hier. Landwirtschaft, Infrastruktur, Gesundheits- und Bildungswesen, Tourismus und viele andere Bereiche zeigen deutlich, daß seit vielen Jahren ein PM regiert, dem diese Bereiche komplett egal sind.

Die Szene im Video ist charakteristisch. Bibi war in Kiriyat Shmona bei einer Einweihung eines medizinischen Zentrums, und eine Frau (Likud-Mitglied) unterbrach seine Rede, um sich zu beschweren, über Alltagsprobleme in einer Kleinstadt an der Grenze, gezeichnet von jahrzehntelangem Leben unter Beschuß der Hisbollah. „Warum habt ihr die Ambulanz geschlossen?“ Bibi wimmelte sie arrogant ab: „du bist langweilig, du interessierst uns kein bißchen“, und da sein Publikum aus lauter Bibi-Fans bestand, dachte er wohl, es macht sich gut, wenn er diese Frau wie eine Mücke zerdrückt. Und die Leute im Raum klatschten ihm Beifall dafür. Aber im Fernsehen sieht das natürlich anders aus. So, es ist also langweilig, wenn sich eine Frau beschwert, weil es in Kiriyat Shmona keine Ambulanz mehr gibt? In einer Stadt, in der Politiker viel versprechen, wenn die Raketen fallen, aber nichts halten.

Der Bibi in diesem Video, kaltschnäuzig, arrogant und gänzlich uninteressiert an den „kleinen“ Problemen der Bürger, der muß weg, der ist für mich unerträglich.

Wir wählen nicht für die Palästinenser (die haben seit 16 Jahren oder so keine Wahlen mehr gehabt – nicht als ob es Eure Medien je erwähnen würden, aber er hat seine Legislaturperiode lange überzogen und ist überhaupt kein legitimer Vertreter mehr). Israelis wählen Politiker, die ihre eigenen Interessen vertreten. Genau wie die Briten und die Deutschen und alle anderen auch.

Wie die Wahlen ausgehen, wer überhaupt noch wählen geht, das ist schwer zu sagen. Aber ich glaube nicht daran, daß der Trumpsche Plan  umgesetzt wird, zumindest nicht in der nahen Zukunft. Die Palästinenser wollen nicht. Auch wenn Gantz im März gewinnt und den Plan wird umsetzen wollen, kann er das nicht allein tun, und er wird sich hüten, einseitige Schritte zu tun.

Ich hoffe, die Unruhen im Moment wachsen sich nicht zu einer neuen Intifada, Messer-Intifada oder sonstwas aus. Ich hoffe auch, der große Knall mit dem Iran bleibt aus. In meinem Herzen wünsche ich den iranischen Demonstranten das Allerbeste, und wie schön wäre es, wenn Politiker aus aller Welt diesem mörderischen, menschenfeindlichen, tyrannischen Regime die kalte Schulter zeigten! Statt dessen wird Steinmeier wieder zum Jahrestag der Revolution ein liebedienerisches, schleimiges Glückwunschschreiben schicken, als wäre es eine Ehre, zu den Freunden der Mullahs gezählt zu werden. Dann werde ich mich wieder schämen.

Ich wurde in Deutschland übrigens gefragt, wie Steinmeiers Rede in Yad VaShem aufgenommen wurde (wohl in der Erwartung, daß jetzt höchste Anerkennung käme). Ehrlicherweise mußte ich sagen, daß niemand auf Steinmeier geachtet hat – es wurde wohl registriert, daß er hebräisch sprach, zu Anfang, den Dank dafür, daß wir diese Stunde erleben dürfen, was gemischt aufgenommen wurde. Seine Rede war so parve (weder Fleisch noch Milch), daß sie keinerlei Aufsehen erregte, alle Augen waren auf den Konflikt zwischen Rußland und Polen gerichtet. Ich persönlich finde, es ist billig, Antisemitismus zu verurteilen, wenn man sich dabei überwiegend auf die AfD und die Rechte (verschlüsselt, doch deutlich erkennbar in der Rede) bezieht:

Ja, wir Deutsche erinnern uns. Aber manchmal scheint es mir, als verstünden wir die Vergangenheit besser als die Gegenwart.

Die bösen Geister zeigen sich heute in neuem Gewand. Mehr noch: Sie präsentieren ihr antisemitisches, ihr völkisches, ihr autoritäres Denken als Antwort für die Zukunft, als neue Lösung für die Probleme unserer Zeit. Ich wünschte, sagen zu können: Wir Deutsche haben für immer aus der Geschichte gelernt.

Linken Antisemitismus blendet er aus.

Wir bekämpfen den Antisemitismus!

Wir trotzen dem Gift des Nationalismus!

Wir schützen jüdisches Leben!

Wir stehen an der Seite Israels!

Wie bekämpft er Antisemitismus? Indem in Berlin der Al Quds-Marsch stattfindet und indem er den Iranern zu ihrer glorreichen Revolution gratuliert.

Und dieses „wir schützen jüdisches Leben“ klingt in meinen Augen auch nicht gut. Ich mag diese Floskeln von „jüdischem Leben“ nicht, aber gut, er hat auch ein paarmal „Juden und Jüdinnen“ gesagt, und er meint damit wohl auch jüdische Kultur, meinetwegen. Aber wie geht es zusammen, daß die gönnerhaften Deutschen deutsche Polizisten vor Synagogen stellen, um „ihre Juden“ zu schützen, aber protestieren, wenn israelische Soldaten jüdisches Leben verteidigen? Das geht dann doch zu weit.

Steinmeiers Parteigenossen haben sich nicht an der Seite Israels positioniert. Nahles hat gemeinsame Werte mit der Fatah entdeckt,

Nahles unterstützte die Fatah in dem Ziel, einen unabhängigen palästinensischen Staat zu errichten. Nur eine Zwei-Staaten-Lösung könne den Frieden mit Israel verwirklichen. Darüber waren sich beide Parteien einig. Der geplante palästinensische Antrag auf einen Beobachterstatus eines Nichtmitgliedsstaates bei der UN-Generalversammlung sei ein Schritt in diese Richtung, heißt es in einer Pressemitteilung der SPD.

Ob es, wie versprochen, jährliche Treffen gab, in denen die SPD die Fatah auch an ihren Aussagen mißt und überdenkt, ob sie deren weiteren politischen Ambitionen  Unterstützung schenkt, davon hört man nichts mehr. Auf der Seite der SPD führt ein Link zu diesem Treffen ins Leere.

 

Aber in alten Zeitungsartikeln sind noch ein paar Perlen erhalten.

Am Ende des Besuchs bei Nahles stellte die SPD besagte gemeinsame Erklärung ins Internet, Titel: „Strategischer Dialog zwischen SPD und Fatah“. In Bandwurmsätzen ist dort zu lesen, dass sich Nahles und ihre arabischen Gesprächspartner über die „Schwierigkeiten einer Zwei-Staaten-Lösung angesichts des Siedlungsbaus Israels“ unterhielten. Ziel sei ein unabhängiger palästinensischer Staat, „Seite an Seite in Frieden und Sicherheit mit Israel“. In der Erklärung ist auch davon die Rede, SPD und Fatah hätten „gemeinsame Werte“ und „gemeinsame Ziele“.

Typisch für die SPD – „Siedlungsbau“ ist ganz böse, und die palästinensische Definition wird kritiklos übernommen, ganz wie wir es von deutschen Politikern kennen. Sie machen sich nie die Mühe, herauszufinden, warum sich nach 1967 in manchen Gegenden Juden neu ansiedeln mußten – weil sie nämlich 1948 von den Jordaniern vertrieben oder massakriert wurden zum Beispiel.

Doch lassen wir das. Die SPD hat sich also 2012 von der Fatah einwickeln lassen und sich noch edelmenschlich und friedensreich dabei gefühlt. Schön.

Haben sie sich je davon distanziert? Nein.

Wenn ich also diese Bilder sehe, die auf der offiziellen Fatah-Seite veröffentlicht wurden (Quelle hier), und zwar als Reaktion auf den Trump-Deal, kann ich dann davon ausgehen, daß auch das die gemeinsamen Werte der SPD und Fatah ausdrückt?

„Jerusalem ist unsere Hauptstadt“ – und sie beanspruchen GANZ Israel.

„From the River to the Sea“ – das ist damit gemeint.

Mit den Schulkindern wird schon mal eingeübt, wie der Staat Palästina auszusehen hat.

Was sagen diese Bilder? Zweistaatenlösung?

Was sagen die Terrorangriffe und Brandsätze? Gewaltlosigkeit?

Steinmeier, wenn du wirklich zu Israel stündest, würdest du mit dieser faulen Anbiederei bei den Palästinensern aufhören.

Aber so? Keine butterweiche, selbstgerechte, „wir sind jetzt die Guten und beschützen unsere Juden, auch wenn die Israelis so böse Siedlungen bauen und damit den Frieden torpedieren“-Politik beeindruckt mich positiv. Ich nehme an, auch andere Israelis nicht.

Newsflash: Juden beschützen sich heutzutage gern selbst, und eure NGOs, die deutsche Vorstellungen von Frieden (nämlich kritiklose Kapitulation vor jeder Forderung) hier durchdrücken sollen, sollten sich lieber nicht so eifrig überall einmischen.

Löst erst mal eure Probleme in Deutschland mit Demokratieverständnis und Antisemitismus, bevor ihr das nächste Mal mahnen kommt.

 

ETA: Pardon, wenn ich zu oft über diese Nahles-Fatah-Sache schreibe, die jeder außer mir längst vergessen bzw verdrängt hat. Ich habe ein ganz gutes Gedächtnis für sowas, und es ärgert mich. Die SPD müßte das eigentlich in Ordnung bringen, tun sie aber nicht, und dieses verdruckste So-tun-als-wäre-nichts-gewesen ärgert mich. 😦