Jeder Mensch hat einen Namen April 26, 2009, 18:53
Posted by Lila in Kibbutz, Kinder, Katzen, Land und Leute, Muzika israelit.trackback
Ich möchte heute die Geschichte von Henriette F. erzählen, einer jüdischen Deutschen oder deutschen Jüdin – ich weiß nicht, wie sich selbst bezeichnet hätte. Es wäre ihr wohl nicht sehr wichtig gewesen, denn ihre Familie war assimiliert, ja deutsch-patriotisch.
Die Geschichte ist nicht kurz. Sie ist auch noch nicht zu Ende.
Henriette war mit einem erfolgreichen Unternehmer verheiratet, hatte zwei Töchter, Grete und Lotte, und litt schon als junge Mutter unter MS. Sie konnte sich nicht selbst um ihre beiden Töchter kümmern, die Anfang des 20. Jahrhunderts geboren wurden. So hatten sie immer Kindermädchen und viele Tiere, damit die Kinder trotzdem eine schöne Kindheit hatten. Die jüngere Tochter erinnerte sich später noch an jede Schildkröte, die durch den elterlichen Garten kroch. Henriette war keine demonstrative Mutter, sie umarmte nicht, ich weiß nicht, ob sie es nicht konnte oder es sich versagte.
Die Familie lebte in Essen, und beide Mädchen erhielten eine gute Schul- und hinterher auch Berufsausbildung. Die jüngere Tochter, Lotte, war technisch sehr begabt und wurde Zahntechnikerin. Sie verließ Deutschland schon in den frühen 30er Jahren, als ganz junge Frau, nachdem sie auf einer NS-Veranstaltung war und sich das Ganze angeguckt hatte. Ihr war klar, daß für sie und ihresgleichen in Deutschland nichts mehr zu erwarten war. Sie war zwar keine glühende Zionistin, aber sie wollte Palästina wenigstens mal ausprobieren. Sie geriet in einen Kibbuz und verliebte sich dort in einen klugen jungen Mann. Sie blieb dort.
Ihre Schwester Grete kam zu dem gleichen Schluß, daß in Deutschland für Juden nichts zu erwarten war, aber da sie Kommunistin war, flohen sie und ihr Mann irgendwann in den 30er Jahren nach Moskau. (Wo ihr Mann später erschossen wurde, doch das ist eine andere Geschichte).
Zurück in Essen blieben also die alternden Eltern, die schwerkranke Mutter. Sie hatte, weil sie sonst ja nicht viel tun konnte, Brailleschrift gelernt und unterrichtete Blinde darin, damit sie sich nicht nutzlos fühlen mußte. Schreiben konnte sie selbst gar nicht mehr, nur noch mit der Schreibmaschine. So schrieb sie auch ihren letzten Brief an ihre Tochter mit der Schreibmaschine.
18.9.35
Lo, mein liebes Kind,
Marta Liebe,
ich schreibe dies nur um zu bitten, daß Ihr Euch freuen sollt in dem Gedanken, daß wir es geschafft haben. Leider bleiben für Leo und Grete mehr Arbeit und Sorgen, als wir ihnen aufbürden möchten, ohne zu wissen, wie es zu ersparen wäre.
Hoffentlich verwirklichen sich Eure allseitigen Zukunftspläne.
Das Kind möge gesund und fröhlich bleiben, wie bisher.
Selbstredend geschieht alles mit meinem Willen und Einverständnis, ja meiner Hilfe. Wenn ich helfen könnte, ginge es allseits besser.
Ich grüße Euch groß und klein.
Mutter Henr.
Ich weiß auch nicht mehr weiter.
Euer Vater
Hierdurch erkläre ich, daß ich versuchen werde, mit Hilfe meines Mannes mit einer Pistole mein Leben zu beendigen.
Essen, den 18. 9. 35
Henriette F.
Dieser Brief ist das letzte greifbare Zeichen, das von Henriettes Leben geblieben ist. Die zittrige Unterschrift das einzige Zeichen ihrer Hand. Der Brief zeigt, daß sie noch in ihrer letzten Stunde an die Ungelegenheiten dachte, die sie ihren Kindern und ihrem Mann bereitete, der sie erschießen mußte. Sie muß eine selten selbstlose und auch entschlossene Frau gewesen sein. Gefühle zu zeigen versagt sie sich auch hier. Vielleicht wollte sie es sich selbst und auch den Kindern nicht schwer machen.
Der Brief erreichte ihre Tochter Lotte in einem Kibbuz, frisch verheiratet und mit Mutter eines kleinen Sohns, zusammen mit der Todesnachricht. Die Tochter drängte ihre Trauer jahrelang zurück – immerhin hatte der Selbstmord der Eltern ihnen einen qualvollen Tod erspart, den die Nationalsozialisten Juden zugedacht hatten. Erst Jahre später traf sie den Arzt der Familie, der auch überlebt hatte und nach dem Krieg die Angehörigen seiner alten Patienten aufsuchte. Er war zu Henriette und ihrem Mann gerufen worden – und hatte einen von ihnen noch lebend angetroffen.
Lotte war erleichtert, daß er die Eltern sterben ließ, aber das Bild ließ sie nicht mehr los, auch wenn sie nicht viel darüber sprach. Sie hat mir die Geschichte einmal erzählt, denn wir mochten uns sehr gern, und ich habe sie im Herzen aufbewahrt. Und vor ein paar Tagen an Henriettes Ur-Ur-Enkel weitererzählt.
Lottes kleiner Junge, dem Henriette Gesundheit und Frohsinn wünschte, ist viele Jahrzehnte im Kibbuz geblieben und hat dort geheiratet und seine drei Kinder dort erzogen. Er ist auchheute noch gesund und fröhlich, möge es so bleiben. Sein ältester Sohn, Lottes ältester Enkel und ihr sehr nahestehend und auch ähnlich, hat mich geheiratet, und wir sind wiederum die Eltern von Secundus.
Secundus bereitet jetzt seine Abschlußreise nach Polen vor – ja, israelische Abiturienten fahren nicht nach Mallorca oder Rom, sondern nach Auschwitz. Secundus ist solchen Themen gegenüber spröder als mein sensibler Primus, er hat wenig historischen Sinn und es hat eine Weile gedauert, bis ihn das Thema „gepackt“ hat. Alle meine Kinder mögen es auch nicht, wenn nicht zwischen „Nazis“ und „Deutschen“ differenziert wird. Ihr Deutschlandbild ist weitgehend positiv, so wie sie es bei ihren Besuchen in Deutschland erleben, und Secundus als Bayern-Fan sieht in jeder herabsetzenden Bemerkung gegen die Deutschen eine Kränkung von, chas-ve-chalila, Bastian Schweinsteiger.
Er sollte als Hausaufgabe eine Familiengeschichte erzählen, die mit dem Holocaust zu tun hat – davon gibt es ja beidseitig in Y.s Familie mehr als genug. Interessanterweise bin ich auch die Spezialistin für Y.s Familie, ich habe einfach ein gutes Gedächtnis für Familiengeschcihten.
Secundus hätte ganz gern von meiner Seite der Familie was erzählen, aber ich glaube, das paßt nicht. Mit diesen Problemen, welche Rolle der Holocaust in einer deutschen Familiengeschichte spielt, will ich die Israelis nicht belasten, es ist zu schwierig und eine ganz andere Sache. Ich sage ja immer, es gibt einen jüdischen Holocaust und es gibt einen deutschen. Es ist unfair von Deutschen, von den Juden gewissermaßen Absolution oder auch nur Verständnis für die deutsche Seite des Holocaust zu erwarten. Das kann freiwillig gegeben werden, aber darum geht es bei der Fahrt nicht. Darum trenne ich das. Ich spreche mit den Kindern darüber, aber seinen Klassenkameraden gegenüber kann Secundus die ganze Komplexität nicht darstellen.
Wir haben schließlich nach langer Unterhaltung den Scan des alten Briefs von Ur-Ur-Großmutter Henriette herausgeholt. Ich habe ihn ja schon mal im alten Blog, der nicht mehr aufrufbar ist, eingestellt, aber ich glaube, ich kann ihn noch mal zeigen. Um Secundus nicht zu belasten, habe ich mit ihm zusammen den Brief gelesen – es freut mein Herz, daß meine Kinder imstande sind, diesen Brief selbst zu lesen und zu verstehen, was Y. und seine Tanten und sein Vater zu ihrem Kummer nicht konnten.
Nach Lottes Tod nämlich fanden die Töchter, Y.s Tanten, den Brief und während der Shiva las ich ihnen den Brief vor und übersetzte ihn. Y.s Familie ist im Gegensatz zu meiner Familie eher sachlich und unemotional – trockene Ironie und sachliche Diskussionen sind mehr ihr Metier. Aber nach dem Verlesen dieses Briefs saßen wir alle weinend um den Tisch. Selbst mein Schwiegervater wischte sich die Augen heftig. Ich war so dankbar, daß ich ihn vorlesen konnte und daß niemand in Y.s Familie in mir je „die Deutsche“ gesehen hat. Auch Lotte nicht. Die hatte sich nur gefreut, daß sie mit mir deutsche Bemerkungen austauschen konnte.
Der Brief ist auch ein Prüfstein für mich. Ja, es ist schwer für meine Familie, daß meine Kinder Israelis sind. Sie sprechen Deutsch, sie wissen viel über Deutschland und identifizieren sich auch mit Deutschland, aber sie sind Israelis. Wenn ich an Urgroßmutter Henriette denke, weiß ich, daß ich es richtig gemacht habe. Ja, Henriette, ich habe Deinen Urenkel geheiratet, aber ich habe ihn nicht aus dem Land geführt, das Deiner Tochter das Leben gerettet hat und das sie und ihr Mann im Schweiße ihres Angesichts aufgebaut haben. Und hier sind wir, und immer noch sind Deine Ur-Ur-Enkel bedroht, und die Ur-Ur-Enkel der Menschen, die Dich in den Selbstmord getrieben haben, leben in Sicherheit und kritisieren „in aller Freundschaft“ Maßnahmen Israels, sich nicht noch einmal dem Tod ergeben zu müssen. Ich habe das Meine getan. Ich fühle die Verantwortung.
Ganz schön viel Ich! Aber auch das gehört dazu, denn ich erzähle die Geschichte, und sie ist auch meine geworden. Nichts davon entlastet mich – einer der Gründe, nicht zum Judentum überzutreten (einer unter vielen) war mein Unwille, die Grenzen zu vertuschen und von den Tätern zu den Opfern überzuwechseln. Nein nein, ich komme von der Täterseite, auch wenn ich sicher bin, daß meine Oma aus Bochum und Y.s Tante aus Essen sich ausgezeichnet verstanden hätten – schade, daß sie sich nie kennengelernt haben, sie waren gleichaltrig und sind sich vielleicht als Mädchen beim Schlittschuhfahren irgendwann in den 20er Jahren mal zusammengerasselt.
Ich denke gerne, daß Y.s Kulleraugen, die ich so mag und die mich auch aus den Gesichtern seiner Geschwister und Tertias angucken, die Kulleraugen, die Lotte so ausdrucksvoll verdrehen konnte, wenn jemand sie nervte – daß die von Henriette herkommen und so über die Zeiten gerettet wurden.
Wir halten Henriette die Treue, und ihrem Mann auch, dem Ratlosen, Treuen, und ihrem einsamen Tod. Auch darum veröffentliche ich den Brief noch einmal. Aus diesen Geschichten sind die Familien gewebt, die in Israel leben. Nicht vergessen. Verzweiflung, Verfolgung und Tod sind fast allen jüdischen Gemeinden eingeschrieben.
Und mein Secundus, der vielleicht bisher eine etwas eingeschränkte Vorstellung von Tapferkeit hatte, hat begriffen, daß eine schwache Frau im Rollstuhl und ihr Mann sehr wohl tapfer sein können. Schon 1935 war ihnen klar, daß nichts als ein lang herausgezogener Tod sie erwartet, daß sie aus der Falle nicht entkommen konnten und daß ihr Weiterleben ihre Töchter unerträglich belasten würde. Und so nahmen sie den Namen an, den der Tod ihnen gab.
Jeder Mensch hat einen Namen. Le-chol ish yesh shem.
Lechol ish yesh shem
shenatan lo elohim
venatnu lo aviv ve’imo
Jeder Mensch hat einen Namen
Den ihm Gott gab
Und Vater und Mutter
Lechol ish yesh shem
shenatnu lo komato
ve’ofen chiyucho
venatan lo ha’arig
Jeder Mensch hat einen Namen
Den ihm seine Größe gab
Und sein Lächeln
Und seine Webart
Lechol ish yesh shem
shenatnu lo heharim
venatnu lo k’talav
Jeder Mensch hat einen Namen
den ihm die Berge gaben
Und seine Mauern
Lechol ish yesh shem
shenatnu lo hamazalot
venatnu lo shchenav
Jeder Mensch hat einen Namen
den ihm die Sternbilder gaben
Und seine Nachbarn
Lechol ish yesh shem
shenatnu lo chat’av
venatna lo k’mihato
Jeder Mensch hat einen Namen
den ihm seine Sünden gaben
Und seine Sehnsucht
Lechol ish yesh shem
shenatnu lo son’av
venatna lo ahavato
Jeder Mensch hat einen Namen
den ihm seine Hasser gaben
Und seine Liebe
Lechol ish yesh shem
shenatnu lo chagav
venatna lo mel’achto
Jeder Mensch hat einen Namen
den ihm seine Feste gaben
Und seine Arbeit
Lechol ish yesh shem
shenatnu lo tkufot hashanah
venatan lo ivrono
Jeder Mensch hat einen Namen
den ihm die Jahreszeiten gaben
Und seine Blindheit
Lechol ish yesh shem
shenatan lo hayam
venatan lo moto.
Jeder Mensch hat einen Namen
den das Meer ihm gab
Und sein Tod.
liebe lila,
danke fuer deinen beitrag. jeder mensch hat einen namen … am 28. april wird es in meiner nachbarstadt wieder eine namenslesung geben. alle opfer der schoa in dieser einen stadt … leider ist die lesung stundenlang. namen um namen um namen ….
ich schrieb im letzten jahr darueber in meinem blogg
http://grenzgaenge.wordpress.com/2008/04/30/1-maijom-ha-schoa/
„morgen veranstaltet die religiosschule der juedischen gemeinde eine namenslesung. es werden die namen der deportierten juden verlesen. die veranstaltung findet mitten in der innenstadt statt. ich finde es sehr richtig die nennung der namen nicht z.b. in der schul durchzufuehren. denn diese menschen waren “ganz normale bewohner der stadt” bis sie von ihren nachbarn deportiert wurden. es gibt keinen besseren ort als einen zentralen mitten in der stadt um daran zu erinnern.“
ich werde natuerlich auch in diesem jahr dort sein und ich wuensche mir viele solcher veranstaltungen in vielen deutschen staedten. natuerlich wuensche ich mir viele aktive und passive besucherInnen.
jeder mensch hat einen namen …
liebe gruesse,
der grenzgaenger
p.s. wenig spaeter kommt der kontrast: der g“ttesdienst zum yom ha atzmaut und dann die yom ha atzmaut fete. vorher das gebet fuer die getoeteten israelischen soldaten und die opfer von terroranschlaegen.
[…] Ich möchte heute die Geschichte von Henriette F. erzählen, einer jüdischen Deutschen oder deutschen Jüdin – ich weiß nicht, wie sich selbst bezeichnet hätte. Es wäre ihr wohl nicht sehr wichtig gewesen, denn ihre Familie war assimiliert, ja deutsch-patriotisch. […]
Danke Dir, Lila, für das Teilen dieses Teils Eurer Familiengeschichte mit uns Deinen Lesern. Nichts wünsche ich Euch mehr, als dass Ihr alle gesund und fröhlich bleibt und mit Eurem Willen zum Leben, der Liebe zu Euren Familien und Eurem Land und Eurer Bereitschaft dafür alles einzusetzen, das Gedenken und die Erinnerungen an solche tapferen Menschen bewahrt und noch viele Generationen weitergeben könnt. Vor allem aber, dass Ihr oder Eure Nachkommen eines Tages wirklich in Frieden leben könnt.
[…] Die bewegende Geschichte geht weiter auf Letters from Runghold ▶ Comment /* 0) { jQuery(‚#comments‘).show(“, change_location()); jQuery(‚#showcomments a .closed‘).css(‚display‘, ’none‘); jQuery(‚#showcomments a .open‘).css(‚display‘, ‚inline‘); return true; } else { jQuery(‚#comments‘).hide(“); jQuery(‚#showcomments a .closed‘).css(‚display‘, ‚inline‘); jQuery(‚#showcomments a .open‘).css(‚display‘, ’none‘); return false; } } jQuery(‚#showcomments a‘).click(function(){ if(jQuery(‚#comments‘).css(‚display‘) == ’none‘) { self.location.href = ‚#comments‘; check_location(); } else { check_location(‚hide‘); } }); function change_location() { self.location.href = ‚#comments‘; } }); /* ]]> */ Click here to cancel reply. […]
Muss etwas, doch kann nichts sagen. Nur Danke – für Einblick, Geschichte und Lied.
Hendrik
Das ist ein sehr, sehr bewegender Text, vielen Dank dafür.
Interessanterweise habe ich den Text von Zelda gestern Morgen in einem ähnlichen Zusammenhang zitiert:
http://www.gelsenkirchener-geschichten.de/viewtopic.php?t=7091
Ich wollte eigetlich gestern abend schon etwas schreiben, da war ich aber noch zu aufgewühlt.
Ich weiß auch jetzt eigentlich gar nicht was ich schreiben soll, außer vielleicht: Danke, dass Du diese Geschichte mit uns teilst.
[…] last, but beileibe nicht least, gibt Lila anhand der eigenen Geschichte einen bewegenden Einblick in die israelische Seele. Mehr als nur […]
Hi Lila
ein schöner und bewegender Artikel.
Interessant, was du schreibst ueber deine Gruende, NICHT zum Judentum ueberzutreten. (grenzen nicht verwischen wollen…etc).
Ich habe mich das oft gefragt, weil es ja schon einige gibt, die auf die „Opferseite“ wechseln wollen und deshalb konvertieren. Bei mir war das nicht der Grund, ich habe die Einstellung, dass man – falls man Schuldgefuehle hat – andere Sachen machen kann, z.B. Dienst bei Aktion Suehnezeichen oder in anderen Institutionen mit Shoa-ueberlebenden arbeiten etc..
Dann spaeter in Buchenwald habe ich gespuert, dass ich nun ZWEI schwere Herzen in der Brust habe, eines, das fuer die juedischen Mit-brueder und schwestern trauert und verzweifelt, und eines von dem „schweren Erbe“, wie ich es immer nenne, das wir Deutschen mit uns tragen.
Dass es verwischt, kann ich nicht spueren, es sind zwei Aspekte derselben schrecklichen Tatsache.
Ein Rabbiner in Israel sagte sogar einmal bei dem Thema: AUch die, die aus SChuldgefuehlen Giur machen, (es gibt sie, die einen Aufseher als Vater hatten usw..und die das Leben nicht aushalten wuerden, wenn sie nicht konvertieren, andere haben sich das Leben schon genommen, weil sie mit diesem Erbe nicht weiter leben konnten) haben ihre Gruende, die respektiert werden sollten. Er meinte, wir muessten beten, dass diese Menschen nun dadurch vielleicht ihren Frieden finden.
Seitdem sehe ich das etwas anders, vorher habe ich es eher vorschnell als „nicht akzeptablen“ Uebertrittsgrund abgetan.
Lieben Gruss
Noa
Äußern diese Menschen ihre Beweggründe, aus Schuldgefühlen oder zur „Opferseite“ wechseln zu wollen (wobei das erstens eh nicht geht und zweitens, dass damit suggeriert wird, Jude zu sein, wäre ein Opfer sein) denn so offen?
Liebe Noa, da habe ich mich wieder einmal undeutlich ausgedrückt.
Selbstverständlich würde ich mir nie anmaßen, die Beweggründe eines anderen Menschen für Giur oder eine andere große Lebensentscheidung zu beurteilen. Ich sprach hier nur von mir. Für mich ist die einzig gültige Motivation, eine andere Religion anzunehmen, spiritueller Hunger danach. Aus keinem anderen Grund würde ich die Religion wechseln, so wie ich aus keinem anderen Grund als brennender Liebe geheiratet hätte.
Aber wenn ein anderer Mensch einen anderen Weg geht, wer bin ich, das zu beurteilen?
Allerdings finde ich es respektlos dem Judentum oder jeder anderen Religion gegenüber, aus Bequemlichkeit zu konvertieren – das Judentum selbst versucht sich davor zu schützen, indem es die Konversion unbequem macht. Aber das Problem überlasse ich denen, die dafür verantwortlich sind.
Natürlich kann man sich dem Judentum auf dem Weg über das erlittene und angetane Leid nähern. Wirklich, ich wäre der letzte Mensch, der sich ein Urteil darüber anmaßt. Ich sprach von MIR. Für mich ist es wichtig, die Grenze nicht zu verwischen. Und es ist ein seelisches Bedürfnis von mir, Christin zu bleiben. Ich stünde da und könnte gar nicht anders 😉
Yael, so wie ich es verstanden habe, geht es darum, die historische Verteilung der Täter-Opfer-Rolle nicht mehr ertragen zu können, und zum Judentum zu konvertieren, um eindeutig die Rolle der Täter zurückzuweisen. Ich kenne selbst mehrere Menschen, die aus ähnlichen Beweggründen konvertiert sind. Für sie war ihre vorherige Identität so korrumpiert durch Antijudaismus, Antisemitismus und Judenhaß, daß sie sich selbst darin nicht mehr fühlen konnten. So wird die Konversion zu einer Rettung.
Ja, so habe ich es auch verstanden. und der rabbiner von dem ich sprach, meinte auch diese „faelle“, die wirklich extrem sind, z.B. Kinder von Lagerkommandanten … die einfach nicht mehr klarkaemen sonst. und fuer die es eine Moeglichkeit ist, sich ganz und gar und ueberdeutlich davon zu distanzieren. Es muss ein unfassbares Leid und ein schweres Erbe sein.
Nun zu deiner Erklaerung, Lila. Natuerlich kannst du nur von dir sprechen. Ich sage das immer wieder, dass ich nur fuer mich sprechen kann… Und fuer mich gilt auch, dass Konvertierung NUR aus meinem Innern herauskommen kann. (wie ich als Kind eines Lagerkommandanten denken u fuehlen wuerde, kann ich nicht wissen….) aber ich als Noa habe es aus einem tiefen inneren Wunsch getan und dem starken Beduerfnis. Dabei war ich auch froh, KEINEN juedischen Mann zu haben, denn so konnte ich mir selbst sagen dass ich es nur fuer mich tue.
Allerdings ist auch das nicht so einfach. Auch wenn es immer heisst, die, die es aus sich heraus tun, haben die besten Gruende fuer das Beit Din, so haben wir doch ein anderes Problem statt dessen. Denn meist wird sehr skeptisch geguckt und kaum verstanden, WIESO man das alles auf sich nimmt. Da ist es einfacher, wenn man sagen kann: mein Mann ist Jude. Und unsere Kinder sollen es auch sein.
Naja… jeder hat so seine Geschichte..
Noa
[…] from Rungholt’s Lila recently took a lot of time to write down the story of some of her family members who died in Germany during the shoah. Read it if you can read German; it teaches a lot and it makes […]
Was für eine beeindruckende Familiengeschichte, mehr will ich dazu gar nicht sagen. Vielen Dank, dass du sie hier erzählt hast.
[…] Lila hat mal wieder etwas sehr nachdenkliches und berührendes aus ihrer Familie (d.h. der ihres Mannes) geschrieben. Sollte sich jeder antun, der etwas mehr über Juden im Dritten Reich wissen möchte. Ich würde mich gerne mal mit ihr über „ihre Seite“ des Holocaust unterhalten. Das könnte interessant werden. Ich habe früher zu wenig gefragt. Jetzt sind die Familienmitglieder, die ich hätte fragen können, alle nicht mehr da. Bei ihr ist das anscheinend anders gewesen und sie hat es besser gemacht. […]