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Mit dem Sammeltaxi durch Israel Juli 14, 2010, 6:31

Posted by Lila in Land und Leute.
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Jedesmal, wenn ich damit fahre, tut es mir leid, daß ich keine Kamera dabeihabe, oder besser noch, eine Direktübertragung zum Blog. Israelischer als im Sammeltaxi kann man sich nicht von Ort zu Ort bewegen. Ich fahre gern und oft Sammeltaxi und hätte ich nur mehr Zeit, könnte ich über jede Fahrt eine kleine Geschichte schreiben.

Ein Sammeltaxi, auf Ivrit monit sherut, also eigentlich Service-Taxi genannt, ist ein Minibus, der innen mit 10 Sitzen für Passagiere ausgestattet ist. Meist ist der Innenraum mit gräßlich-schönem Teppichboden ausgekleidet, ähnlich wie das Kumpelnest, aber ohne Getränke. Der Fahrer hat eine Kasse wie im Bus, kein Taxometer. Von außen ist das Sammeltaxi mit einem bestimmten Muster in gelb-weiß bemalt. Der Kenner kann jeder Linie ein Muster zuordnen, und außerdem hat das Sammeltaxi vorn ein Schild mit der Buslinie, die es bedient. Oder es steht einfach nur „Hadar“ drauf. Fast alle Sammeltaxis des Nordens fahren nach Hadar, das ist die untere Stadt von Haifa, nah am Hafen.

So eine Linie bedeutet, daß das Taxi die Buslinie entlangfährt und Leute unterwegs aufsammelt. Wenn es voll ist, hält es nicht mehr. Die Fahrgäste können auch außerhalb der Haltestellen ein- oder aussteigen. Das Taxi ist ein bißchen billiger als der Bus, es fährt schneller und ist wendiger (der Fahrer ist auch risikofreudiger als ein Busfahrer, doch dazu später mehr….), obwohl es die Bus-Spuren nicht benutzen darf, und wenn die Fahrgäste einverstanden sind, kann der Taxifahrer die Strecke auch abkürzen.

Neulich zB in einem vollen Taxi in Richtung Haifa. Da fragte der Busfahrer: keiner von euch muß nach Akko? Neeeee. Na gut, dann lassen wir Akko weg. Und er brauste über die Umgehungsstraße. Mindestens 10 Minuten Zeitgewinn. Einen Zeitplan hat das Taxi nicht, es ist flexibler. Die Fahrer sind entweder Araber oder Russen, seltener auch mal ein Sabra. Sie richten sich das Taxi natürlich persönlich ein, haben Familienbilder, Vasen mit Plastikblumen, Rosenkränze oder Fußballwimpel um den Fahrersitz drapiert. Ein kleines Schild informiert die Fahrgäste, wie der Busfahrer heißt. Trotzdem nennen die Fahrgäste den Fahrer nur „nahag“, Fahrer – ich habe noch nie jemanden getroffen, der darauf achtet, statt nahaaag!!! lieber Vadim oder Machmoud zu rufen. Außer mir natürlich 🙂

Sammeltaxis findet man an Busbahnhöfen und in der Nähe von Taxiständen. Sie stehen meist in einer Reihe, das vorderste Taxi hat die Tür geöffnet. Drinnen sitzen ungeduldige Fahrgäste, draußen steht der Fahrer und raucht und redet mit den anderen Fahrern. Sobald er genügend Fahrgäste hat, brettert er los, und das nächste Taxi rückt vor und macht die Tür auf. Meist muß man nicht lange warten, bis das Taxi voll ist, Sammeltaxis sind beliebt.  Man bezahlt keinesfalls beim Einsteigen, das wäre ein Fauxpas.

Man setzt sich hin und wartet, bis der Fahrer losfährt. Dann erst holt man sein Geld raus, reicht es durch die vor einem sitzenden Leute durch und ruft „Busbahnhof Mifratz!“ oder „Akko Hauptbahnhof!“ oder was auch immer. Wenn man nicht laut genug war, wiederholen die anderen Fahrgäste. Der Fahrer schickt das Wechselgeld auf demselben Wege wieder zurück. Wer also hinter dem Fahrer sitzt, wird automatisch zum Schaffner. Quittungen gibt es nur auf Anfrage. Der Fahrer merkt sich, wo jeder hinmuß. Trotzdem ruft man am besten vor der entsprechenden Haltestelle noch einmal: nahaaag! ich muß gleich raus! und mit quietschenden Bremsen hält der Fahrer, in etwa so wie der Knight bus bei Harry Potter.

Überhaupt der Fahrstil – er ist mit rasant nur unzureichend beschrieben. Der Sammeltaxi-Fahrer ist ein echter Multitasker. Er redet am Telefon oder über Funk, hört Radio, nimmt Geld entgegen und gibt Wechselgeld heraus, hat den Ehrgeiz, die beste Zeit von allen herauszufahren und gleichzeitig Angst, etwas zu versäumen.  Deswegen hat er meist eine Zeitung auf den Knien, gern die kostenlose Israel hayom, die er auch oft für Fahrgäste ausliegen hat. An jeder Ampel entfaltet er das Blatt und liest eifrig. Sobald die Ampel umschaltet, senkt er die Zeitung auf die Knie und fährt rasend schnell los.  Obwohl ich ungern im Auto sitze und ungern mit rasanten Fahrern unterwegs bin, flößen mir die Taxifahrer eine Art Verzweiflungs-Vertrauen ein. Ich mache es wie in Mädchenbüchern über Pferdenärrinnen immer beschrieben: ich werfe  mein Herz voraus. Manchmal unterhalte ich mich mit dem Fahrer, denn obwohl viele von ihnen maulfaul und mürrisch sind, gibt es immer wieder sehr nette.

Der allernetteste Fahrer aller Zeiten ist ohne Zweifel Mahmoud, mit dem ich jahrelang gependelt bin, zwischen zwei Hochschulen. Er ist jung, vergüngt, trägt eine weiße gehäkelte Kappe, hört arabische Musik und ist immer freundlich. Irgendwann fuhr ich nicht mehr auf seiner Linie und sah ihn nicht mehr. Das ist schon ein paar Jahre her.         Doch neulich fand ich mich in Afula wieder und mußte nach Nahariya zurück. Ich suchte ein Sammeltaxi und wen fand ich? Machmoud. Er erkannte mich sofort wieder und rief erfreut: was machst du denn hier? Sonst bist du doch immer mit mir an die Uni Haifa gefahren! und wir feierten Wiedersehen. Mit ihm kann man sich immer unterhalten, das ist nett. Bestimmt haben Mahmoud und ich keine einzige politische Ansicht gemeinsam, aber auf rein menschlicher Ebene respektiert er seine Fahrgäste, auch die jüdischen. Er hilft älteren Menschen beim Aussteigen und grüßt alle freundlich.

Ein anderer Fahrer, den ich gut kenne, ist Druse, Anfang 30 und gutaussehend. Er ist wie ein Rapper gekleidet, hat auch so einen Bartfleck am Kinn und meist eine Kappe auf. Er erzählt mir von seiner Zeit bei der Luftwaffe. Er war an den Flugblatt-Aktionen im letzten Krieg beteiligt – er hat einen Teil der arabischen Flugblätter geschrieben, die über Beirut abgeworfen wurden, und ist sehr stolz darauf. Es tut ihm jetzt leid, daß er nicht noch länger in der Armee geblieben ist, er war schon Offizier. Einmal ist Primus mit ihm mitgefahren, obwohl er sonst den Bus vorzieht (wo Soldaten in Uniform und mit Ausweis umsonst fahren) und sie haben gemeinsame Bekannte gefunden. Primus, der sonst weder Taxi- noch Busfahrer mag, meinte hinterher: Mama, du hattest Recht, der ist wirklich nett.

Manche Fahrgäste sind lästig, dann tut einem der Fahrer leid. Einmal setzte sich ein älterer Herr vom Typ Meckerfritze neben den Fahrer und nörgelte die ganze Strecke an seiner Fahrweise rum. Dabei war der Fahrer ein älterer Russe und er fuhr ganz zivil. Aber der Meckerfritze erging sich in Klagen über die Fahrer heutzutage, und den allgemeinen Untergang Israels. Ich saß hinter ihm und konnte nicht anders als zuhören. Der Fahrer sagte nicht viel, aber der Meckerfritze war ein Selbstläufer. Als er ausstieg, seufzte der Fahrer erleichtert.

Ein andermal saß ich hinter einer Frau so um die 30, 35, vom Typ Frecha – Acrylfingernägel Marke French, auffällige Kleidung, metallisches Blond mit schwarzem Ansatz, Goldschmuck, weiße Handtasche mit Nieten und tolles Handy. Sie fing sofort an zu telefonieren, führte wohl ein Gespräch weiter, und da sie mit durchdringender Stimme sprach, hörten alle  andächtig zu, Fahrgäste, Fahrer und ich. „Ja, soll ich ihm Klamotten bringen? Das wird bestimmt dauern. Ach, warum passiert es denn schon wieder…. ich werde meiner Schwiegermutter sagen, sie soll die große Tasche vorbereiten…“ und so klagte und plante sie weiter. Ich dachte mir so, hm, vielleicht hat sie ein Kind im Krankenhaus?

Das nächste  Gespräch jedoch brachte Klarheit. Sie sprach mit ihrem Mann, schrie in richtig an, in den höchsten Tönen. „Haben sie dich schon wieder erwischt? Ich halte das nicht noch einmal aus, das ist mein Tod! Was soll ich dir bringen? Ja ich bin schon unterwegs. Ja, ich bin im Taxi. Wie ist es denn passiert? Kannst du gerade nicht drüber reden, überall Bullen vermutlich? Ich hab deiner Mutter gesagt, sie soll die große Tasche vorbereiten, das wird wieder dauern…. wo bist du denn? Ach, noch im Hof?“ Niemand von uns war überrascht, als sie an der Polizeitstation Akko ausstieg. Sie tat mir leid, aber ich konnte ihr natürlich nicht hinterherrufen: hast du dir mal überlegt, ihn zu verlassen? Wir zurückbleibenden Fahrgäste sahen uns nur vielsagend an, für einen Moment.

Ja, ich fahre trotz allem gern mit dem Sammeltaxi, und das regelmäßig seit vielen Jahren. Es ist das einzige echt israelische Erlebnis, das ich meinem Mann voraus habe – oder voraus hatte. Denn neulich brach unser Auto zusammen und Y. mußte tatsächlich mit dem Sammeltaxi fahren. Er meinte hinterher: alles, was du mir davon erzählt hast, stimmte – einmal reicht fürs ganze Leben.

Kommentare»

1. boxi - Juli 14, 2010, 6:53

ein sehr schöner bericht. hat mir gefallen. 🙂

2. Karl Eduard - Juli 14, 2010, 7:07

Schöne Geschichte, spannend erzählt, muß sehr unterhaltsam sein, im Sammeltaxi. Und – wieder was über Israel gelernt. 😀

3. mischpoke - Juli 14, 2010, 8:11

Guten Morgen aus Schweden, Du hast sooo recht, ich fahre auch gerne Sammeltaxi. Als wir jetzt in Jerusalem waren mit allen 4 Jüngsten sind wir zum Flugplatz und zurück damit gefahren … prombt haben wir im Taxi zurück Leute getroffen die ursprünglich aus Dtschld und Dänemark stammten und eine Frau deren Schwiegersohn aus Malmö stammt und die ihn dann anrief und ihn mit uns sprechen lassen hat, wir kannten ihn auch ! Und auf dem Weg hin, hat Stefan dann gleich viel russisch gesprochen… als ich damals bei Euch war habe ich auf der reise zurück herrlichen Soldatinnen kennengelernt, die meinten mit sooo viel (finde ich gar nicht) Kinder muss man mind. orthodox sein hihi. Liebe Grüsse A.

4. willow - Juli 14, 2010, 8:38

„Er meinte hinterher: alles, was du mir davon erzählt hast, stimmte – einmal reicht fürs ganze Leben.“

Hattest du etwas Anderes erwartet? 😉

Ich muß sagen, Sammeltaxifahren in Israel hat mich schwer begeistert! Aber ob ich mir das ohne Dolmetscher zutrauenen würde… mal sehen.

5. grenzgaenge - Juli 14, 2010, 11:42

Liebe Lila,

ich weiss. Das passt absolut nicht zu Deinem Artikel. Aber per Mail hat mich eben dieser Link hier erreicht. Ich muss das nicht kommentieren, oder ?

http://atlasshrugs2000.typepad.com/atlas_shrugs/2010/06/europe-next-stop-auschwitz-this-time-taxis-not-trains.html

Herzliche Grüsse,
Der Grenzgänger

6. CK - Juli 14, 2010, 12:04

Sheruts wären die Lösung auch in Europa. 🙂 Ich war begeistert von diesen Sammeltaxis, echt. Auch klasse ist wie die Leute das Geld hinterer Passagiere zum Fahrer nach vorne wandern lassen und das Wechselgeld auch gleich wieder brav zurück. Super!

7. knut - Juli 14, 2010, 19:25

ich bin auch sherut- fan, da bekommt man schon viel mehr mit.
ich hab, weil ja lange nix mehr hier stand, auch lange nicht mehr drauf geschaut. also viele grüsse aus dem auch sehr heissen kölle. grade hats gewittert, sehr schön. eine schöne berlin fahrt knut

8. Lila - Juli 14, 2010, 19:36

Der Knut! Kommst Du mal wieder her?

9. knut - Juli 14, 2010, 21:17

mir fehlt im augenblick das geld, aber sonst sehr gern

10. Marlin - Juli 14, 2010, 21:31

Hihi. Toller Bericht.

(und ich weiß, lächerlich, aber ich bin etwas eifersüchtig auf knut. :D)

Das Taxi klingt aber toll..

vielleicht schaff ich es ja auch mal.

11. yael1 - Juli 14, 2010, 22:56

Ich finde diese Sammeltaxis sehr nützlich, es ist recht billig und habe sie sehr gern in Israel benutzt. Auf alle Fälle erlebt man einige unvorhergesehene Abenteuer. Israelis und Auto fahren ist ja schon ein Thema für sich.

12. arabrabenna - Juli 15, 2010, 0:30

Schön, daß du wieder Alltagsgeschichten erzählst! Die liebe ich besonders. Hatte mir schon ziemliche Sorgen gemacht, weil du solange nichts mehr geschrieben hast und überhaupt! Bin sehr froh, daß es euch so gut geht! Und jetzt habe ich hier alles gleich mal nachgelesen! Bis bald mal wieder!

13. Daniel - Juli 15, 2010, 14:44

Toller Bericht, da kommen Erinnerungen wieder auf ….


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