Schnell verändert März 21, 2020, 9:28
Posted by Lila in Persönliches, Uncategorized.trackback
hat sich die Welt für uns alle.
Ich habe im Laufe der Jahre hier in Israel viele, zu viele Krisen hinter mich gebracht. Bedrohungen und Beschuß, Terror und Krieg, und die schlimmsten Momente waren für mich persönlich die, die mit Söhnen und Armee zu tun hatten – lieber nicht daran denken. Aber es war immer so: ich erlebe einen Ausnahmezustand, richte mich auf Raketen aus dem Libanon ein oder Bombengürtel im Supermarkt oder Messer zwischen den Rippen in Jerusalem – und meine deutsche Familie, mein Freundeskreis, meine deutschsprachigen Leser leben in einer Welt der Gewißheiten und Sicherheiten. Auch einzelne Anschläge, die es ja gegeben hat, konnten das Grundgefühl nicht erschüttern. Sicherheitsstreben, Wohlstand, Autonomie, Bildung und gesicherte Zukunft für die Kinder, das waren die Säulen, auf denen das Leben aller ruhte. Die Welten berührten sich höchstens mal, wenn wir vor einem Besuch gemeinsam überlegten, ob man im Moment nach Israel kommen kann – oder doch lieber nicht.
Und auf einmal sind wir alle in einer Krise zusammen. Und zwar global. Die Bilder aus Madrid sind sofort verständlich, die ganze Welt durchläuft mit zeitlichem Abstand dieselben Phasen, und wir finden uns in einer Art Hausarrest, bevor wir es überhaupt verstanden haben. Heute vor einer Woche habe ich meinen letzten Vortrag gehalten, Teil I einer auf drei Teile angepeilten Reihe über Impressionismus und Post-Impressionismus, und habe mich wie immer von meinem Publikum (lauter Kibbuzniks) verabschiedet: und in der nächsten Woche, wenn wir uns wiedersehen, sehen wir uns das genauer an. Seitdem haben alle Einrichtungen, bei denen ich arbeite, abgesagt und zugemacht. (Da ich Freelancerin bin und nicht mehr fest bei einer Einrichtung angestellt bin, bricht damit für mich auch mein Einkommen weg, und staatliche Hilfe gibt es für Leute wie mich nicht.)
Für mich persönlich ist das nicht schlimm – ich bin gern zuhause und benutze die Zeit, lang aufgeschobene Projekte in Angriff zu nehmen (und mit lang aufgeschoben meine ich – seit wir im Juli 2016 hier eingezogen sind!). Ich habe keine kleinen Kinder im Haus, die bespaßt werden müssen – nur meine Quarta, die seit gestern auch zuhause ist, weil vorgestern das Restaurant, in dem sie mit viel Fleiß und Spaß gearbeitet hat, zugemacht hat. (Sie hat schon eine neue Arbeit in Aussicht, sie ist ungemein tüchtig.) Und Quarta mal ein bißchen zu verhätscheln, das mache ich gern. Sie und ihre Freunde treffen sich nach wie vor regelmäßig bei uns auf dem Balkon, mir paßt das gut. Sie halten schön Abstand und sind überhaupt sehr nett.
Wir haben auch das große Glück, daß der gute Hausvater bei einer Firma arbeitet, die Alco-Gel, desinfizierende Tücher und ähnlich wichtige Dinge herstellt. Egal was zugemacht wird – seine Firma wird weiter arbeiten, und das ist eine große Erleichterung.
Wir alle teilen unsere Sorge – die alternden Familienmitglieder, die geliebten Menschen mit Vorerkrankung, die Familien und Menschen, die wir kennen und nicht kennen. Ich weiß nicht, was bei anderen Menschen im Whatsapp los ist, aber bei mir erweist sich Whatsapp als nützliches Medium, um in Kontakt zu bleiben, und zwar in erster Linie mit Freunden Familie.
Ich weiß ebensowenig wie der Rest der Welt, wie lange es dauern wird, bis die Corona-Kurve abflacht, bis wirksame Medikamente oder gar eine Impfung verfügbar sind, und wann die Welt wieder „normal“ wird. Im Moment ist das gar nicht vorstellbar, obwohl es schnell gehen wird und wir irgendwann zwischen peinlich berührt und nostalgisch auf diese Monate Anfang 2020 zurückblicken werden. Vielleicht wird mal irgendwann jemand fragen, „sag mal, Oma, wie war das eigentlich damals, habt ihr wirklich Angst gehabt?“, und ich werde sagen, „ma pitom, wie kommst du darauf? Es war nur merkwürdig, und Venedig war menschenleer, und nur Menschen, die Corona schon hinter sich hatten, fuhren hin, und alle haben sie beneidet“.
Doch ich hoffe, daß wir aus diesem Moment globaler Sorge mehr übrigbleibt als Scherze, was die Leute nun mit dem gehorteten Klopapier anfangen sollten – das wird im Laufe der Zeit schon seiner Bestimmung zugeführt werden. In dieser Krise sehen wir unsere Spezies in ihrer Schwäche (Menschen, die sich um Klopapier raufen und Einkaufswagen voll Nudeln und Konservendosen nach Hause schleppen) und ihrer Stärke (wie sie auf den Balkons stehen und symbolisch den sonst übersehenen Rettungs-, Pflege- und medizinischen Arbeitskräften applaudieren – obwohl sie das vielleicht auch wieder vergessen werden, wenn die mal mehr Geld fordern werden?).
Ein paar Tage später
Inzwischen sind wir alle zu Experten geworden, lesen Artikel und hören Virologen zu. Fake news aller Arten kreisen, Verschwörungstheoretiker bauen die wildesten Theorien, und ich bin bestimmt nicht die einzige, die jetzt mit dem Vergrößerungsglas durchs Haus geht und das Treibgut jahrzehntelangen Familienlebens sichtet – wobei die Mülltonnen sich recht schnell füllen.
Noch fühlt die Bedrohung sich eher abstrakt an, obwohl es schon mehrere Bekannte gibt, die erkrankt sind, nicht schwer, Gott sei Dank.
Ich kann mich schlecht vom Radio losreißen, höre meist im Hintergrund was. Vorträge und Unterrichtsreihen sind bis Ende 2012 zumindest in Rohform vorbereitet, so richtig zum Schreiben komme ich nicht, ich hole mir die mangelnde Bewegung im Haus, und wenn der Regen nicht wiederkommt, auch im Garten.
Quarta hat angefangen, bei Y. in der Firma zu arbeiten, die brauchen im Moment neue Kräfte. Morgens ziehen die beiden zusammen los, nach einem sehr frühen kleinen Frühstück noch in der Dunkelheit. Wann haben wir das letzte Mal unter der Woche gemeinsam gefrühstückt? Ich verwöhne die beiden so gut ich kann, dahinter steht auch Angst. Quarta arbeitet mit Mundschutz, doch mein Mann natürlich nicht. Er sorgt nur dafür, daß alle anderen einen Mundschutz tragen.
Ich denke an die Familien mit kleinen Kindern, an Selbständige, die keinen Partner mit festem Einkommen haben, und an die Kranken und ihre Angehörigen… ein Mensch, der in dieser Situation nicht fühlt, wie ähnlich wir uns unter allen kulturellen Schichten sind, wie wir einer für den anderen Verantwortung übernehmen müssen, nun, der wird es nie kapieren.
Entschuldigt, ich habe einfach im Laufe der letzten zehn Tage hier reingeschrieben, was mir durch den Kopf ging (habe auch viel bei Twitter gelassen).
Da ich nun seit 2 Wochen nicht mehr vorm Haus war und demzufolge auch nicht geschminkt, freuen sich wenigstens meine Wimpern über diese Pause im normalen Leben.
Ich lasse einen kleinen Gruß da. Alles Gute!
In der Tat, schnell verändert hat sich unser aller Leben, sehr schnell, kein Lichtblick weit und breit, die Aussichten sind trübe, doch man darf die Hoffnung nicht verlieren.
Denke da auch unter anderem an Deinen Eintrag zu den Wahlen, die Hoffnung auf die nationale Einheit, schnell, sehr schnell hat sich auch da viel verändert: Denke an die – legitimiert durch Corona – Umtriebe Netanjahus und Edelsteins, der Blick nach Ungarn gibt Anlass zur Sorge:
https://www.derstandard.at/story/2000116029809/corona-notstand-orban-will-per-dekret-unbegrenzt-regieren
Wie gesagt, die Aussichten sind trübe.
Man muss als Kommentator nicht jeden deiner Posts dafür benutzen, die eigene links-grüne Weltsicht ungefragt jedem aufs Auge zu drücken und sogar Corona dafür benutzen, um gegen konservative Politik Stimmung zu machen und fleißig Links zu verbreiten – nein, man kann es auch sehr viel menschlicher und ehrlicher wie @Wolfram sagen. In diesem Sinne, Lila, dir und den Deinen alles erdenkliche Gute.
Na gut, dann halt Schneider:
Abgesehen davon, daß die Demokratie in Israel gerade endgültig den Bach runtergeht, ist es buchstäblich ein Skandal, daß inmitten einer existentiellen Krise der gesamten Welt die Herren und Damen Politikerinnen in Israel keine anderen Sorgen haben als ihre entsetzlichen Machtspielchen zu spielen.
Weiterlesen: https://richard-c-schneider.com/schneiders-blog-tel-aviver-gedanken-in-zeiten-von-corona-6/
Der Vollständigkeit halber nun aber auch Lucius Teidelbaum:
Rechte Reaktionen auf Corona
Die Corona-Krise verursachte auch bei der extremen Rechten eine Schockstarre. Reihenweise wurden Veranstaltungen wegen der Ansteckungsgefahr abgesagt. Erst langsam beginnt man auch bei der extremen Rechten auf die Krise zu reagieren…
Weiterlesen: https://www.hagalil.com/2020/03/rechte-reaktionen-auf-corona/