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Israel als Name Februar 12, 2020, 20:53

Posted by Lila in Ivrit.
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In irgendeiner Namensliste habe ich neulich den Namen Israel aufgeführt gesehen, und die Kommentare waren: häh, seltsam, ein Kind wie ein Land zu nennen! (Dabei heißt das Land natürlich nach einem Menschen, einem Stammvater.)

Im Deutschen wird Israel vorne betont: ISrael. Im Hebräischen wird das Land Israel aber hinten betont: israEL. Und den Vornamen betont man meistens auf der mittleren Silbe: isRAel. Das ist die klassische Betonung.

Mein Mann merkt an, daß religiöse Eltern, die die Nachsilbe -el betonen wollen, den Namen auch wie das Land aussprechen können, israEL. Auch michaEL, raphaEL, gavriEL und netanEL werden schließlich endbetont. Aber Israel als Vorname kenne ich nur mit Betonung auf dem -a-.

Bestimmt habe ich irgendwann schon mal darüber geschrieben, daß klassische jüdische Vornamen wie Shoshana altmodisch klingen können, nämlich wenn sie wie in der Diaspora ausgesprochen werden: shoSHAna. Aber man kann den Namen ganz einfach verjüngen, indem man ihn als shoshaNA ausspricht. Die meisten modernen hebräischen Namen werden nämlich am Ende betont. Und MIriam klingt als miriAM gleich israelischer und jünger, ebenso daVID statt DAvid.

Es ist ein echter Fauxpas, einen yoRAM als YOram anzusprechen – es klingt nicht nur altmodisch, sondern YOram wird auch als mildes Schimpfwort benutzt (Trottel).

Falls jemand von Euch vorhat, Kind oder Katze so zu nennen 🙂

Spaß mit Twitter Februar 9, 2020, 19:13

Posted by Lila in Bloggen.
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Da hat wohl jemand nicht verstanden, daß ich die Taktik, asiatisch aussehende Menschen zu verprügeln, um sich so vorm Coronavirus zu schützen, nicht etwa anpreise, sondern anprangere. Irrational wie Impffurcht, rassistisch wie Neue Germanische Medizin (egal ob Germanen diese Taten begehen oder Nicht-Germanen).

Ob sie meine Erklärung verstehen werden, weiß ich nicht. Tja, hab ich mehr Zeit zu arbeiten. Sollen sie mich ruhig bannen. Wer mich gemeldet hat, ist eindeutig ein guter Freund 🙂

Spuren Februar 7, 2020, 19:57

Posted by Lila in Muzika israelit, Uncategorized.
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Ich höre gerade eine Sendung, die ich sehr schätze, „Kulturagent“. Heute interviewt Kobi Meidan den Musiker Ilan Virtzberg.

Er spricht ihn auf das große Trauma seines Lebens an. Als Virtzberg 17 Jahre alt war, nahm sein Vater sich das Leben. Die ganze Familie war zuhause, als der Vater sich erschoß. Virtzberg erzählt, daß das große Trauma im Leben seines Vaters sich beim Todesmarsch von Auschwitz aus ereignete. Damals war der Vater ein Junge, und er mußte weitergehen, auch nachdem sein Vater neben ihm erschossen wurde. Er ist gewissermaßen weitergegangen, die ganzen Jahre, hat eine Familie gegründet, gearbeitet, bis er nicht mehr konnte und nicht mehr weiterleben konnte.

Der Großvater in Auschwitz ermordet – der Vater ein Überlebender, der letztendlich nicht überleben konnte – der Sohn ein Künstler, der mit diesem vererbten Trauma weiterlebt. Ich weiß nicht, ob er Kinder hat, aber wenn, dann leben auch sie mit den Wunden und Narben weiter.

 

Alltag Februar 7, 2020, 18:14

Posted by Lila in Deutschland, Presseschau.
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Im Moment geniesse ich die schönste Jahreszeit überhaupt – der Spätwinter oder Vorfrühling. Es wechseln sich sonnige, klare Tage ab mit schubbig-windigen Tagen, wir hatten insgesamt schon viel Regen und dieses Wochenende kommt noch mehr – die Arbeit im Garten drängt schon, aber wenn es regnet, habe ich eine gute Ausrede, warum ich mich nicht reinstürze – und es zuckelt alles vor sich hin. Den Kindern und allen anderen geht es gut, ich verarbeite den Verlust eines lieben Menschen (war ja wegen der Beerdigung auf Kurzbesuch in Deutschland – das sollte ich eigentlich öfter mal machen, nicht nur, wenn es einen traurigen Anlaß gibt),  und ich beobachte ohne Überraschung, wie der Trumpsche Vorschlag nicht mal als Sprungbrett für Diskussionen genutzt wird.

Es hat so viele Vorschläge gegeben, keiner davon wurde umgesetzt. Immer hatten die Palästinenser und Israel viele Anmerkungen, Kritikpunkte und rote Linien, die sie nicht überschreiten konnten. Aber Israelis sind trotzdem nicht hingegangen und haben zu Gewalt gegriffen, wenn ihnen einen Vorschlag nicht gefiel. Unserer Meinung nach ist auch ein unbefriedigender Vorschlag ein Anlaß, weiter zu verhandeln und Lösung zu suchen, die vielleicht besser sind. Leider haben die Palästinenser in der letzten Woche wieder zur Gewalt gegriffen, haben Verhandlungen aller Art weiter abgelehnt und statt dessen fliegen pausenlos Brandsätze an bunten Ballons (einige als glitzernd verpackte Geschenke getarnt) über die Grenze von Gazastreifen, in Jerusalem ereigneten sich gestern drei Anschläge und gewaltsame Demonstrationen sind „normal“ (Überblick hier).

Für uns ist diese vollkommen vorhersehbare, quasi automatische Reaktion der Palästinenser keine Überraschung. Es wäre eine größere Überraschung gewesen, wenn die palästinensische Führung sachlich reagiert hätte, wenn sie gesagt hätten: Abu Dis ist keine gute Idee, wir haben einen anderen Vorschlag. Wadi Ara wollen wir nicht, wir würden andere Gebiete vorziehen, laßt uns mal ältere Pläne ansehen, ob da nicht bessere Ideen drin sind. Es hätte uns alle überrascht, wenn Abu Mazen die Palästinenser nicht zu Gewalt aufgerufen hätte, sondern zu Besonnenheit. Wenn er gesagt hätte: „wir haben die Chance, einen Staat zu bekommen. Jetzt können wir der Welt zeigen, daß wir ihn verdienen, daß wir berechenbare Nachbarn sein möchten“.

Doch das möchten sie natürlich nicht, egal was Journalisten in den USA oder Europa ihren Zuschauern erzählen. Fatah möchte, wie Hamas, keine Zweistaatenlösung, sondern eine Einstaatenlösung. Sie sagen das auch ganz offen und immer wieder.

Und die palästinensischen Medien rufen immer wieder zu mörderischer Gewalt auf, auch Kinder (ein Beispiel bei Elder of Zion).

Da gibt es leider nichts Neues.

Bibis vollmundige Versprechungen, einseitig den Trump-Plan durchzuziehen und die Gebiete, die zu Israel gehören sollen, zu annektieren, sind in meinen Augen reiner Wahlkampf. Er ist geschäftsführender PM und hat keine Autorität, so schwerwiegende Entscheidungen zu fällen und durchzuführen, und es ist auch gar nicht in Trumps Sinne. Ich hoffe auch, daß er nach den nächsten Wahlen wirklich mehr Zeit hat, sich um seine Gerichtsverfahren zu kümmern, und seinen Posten abtreten muß – ich hoffe sehr, daß Gantz es schafft.

Ich weiß, daß es von Deutschland aus gesehen nur EIN Kriterium gibt oder geben sollte, um israelische Politiker zu beurteilen: nämlich, wie weit sie den Palästinensern entgegenkommen. Aber natürlich gibt es für Menschen, die hier leben, viele andere wichtige Kriterien. Ich habe es schon oft wiederholt: für Bibi ist das Thema Iran wichtiger als alles andere, er hat außerdem in der Außenpolitik Erfolge erzielt (manche davon reichlich zweifelhaft in meinen Augen), aber was ihm komplett egal ist, ist das alltägliche Leben der Bürger hier. Landwirtschaft, Infrastruktur, Gesundheits- und Bildungswesen, Tourismus und viele andere Bereiche zeigen deutlich, daß seit vielen Jahren ein PM regiert, dem diese Bereiche komplett egal sind.

Die Szene im Video ist charakteristisch. Bibi war in Kiriyat Shmona bei einer Einweihung eines medizinischen Zentrums, und eine Frau (Likud-Mitglied) unterbrach seine Rede, um sich zu beschweren, über Alltagsprobleme in einer Kleinstadt an der Grenze, gezeichnet von jahrzehntelangem Leben unter Beschuß der Hisbollah. „Warum habt ihr die Ambulanz geschlossen?“ Bibi wimmelte sie arrogant ab: „du bist langweilig, du interessierst uns kein bißchen“, und da sein Publikum aus lauter Bibi-Fans bestand, dachte er wohl, es macht sich gut, wenn er diese Frau wie eine Mücke zerdrückt. Und die Leute im Raum klatschten ihm Beifall dafür. Aber im Fernsehen sieht das natürlich anders aus. So, es ist also langweilig, wenn sich eine Frau beschwert, weil es in Kiriyat Shmona keine Ambulanz mehr gibt? In einer Stadt, in der Politiker viel versprechen, wenn die Raketen fallen, aber nichts halten.

Der Bibi in diesem Video, kaltschnäuzig, arrogant und gänzlich uninteressiert an den „kleinen“ Problemen der Bürger, der muß weg, der ist für mich unerträglich.

Wir wählen nicht für die Palästinenser (die haben seit 16 Jahren oder so keine Wahlen mehr gehabt – nicht als ob es Eure Medien je erwähnen würden, aber er hat seine Legislaturperiode lange überzogen und ist überhaupt kein legitimer Vertreter mehr). Israelis wählen Politiker, die ihre eigenen Interessen vertreten. Genau wie die Briten und die Deutschen und alle anderen auch.

Wie die Wahlen ausgehen, wer überhaupt noch wählen geht, das ist schwer zu sagen. Aber ich glaube nicht daran, daß der Trumpsche Plan  umgesetzt wird, zumindest nicht in der nahen Zukunft. Die Palästinenser wollen nicht. Auch wenn Gantz im März gewinnt und den Plan wird umsetzen wollen, kann er das nicht allein tun, und er wird sich hüten, einseitige Schritte zu tun.

Ich hoffe, die Unruhen im Moment wachsen sich nicht zu einer neuen Intifada, Messer-Intifada oder sonstwas aus. Ich hoffe auch, der große Knall mit dem Iran bleibt aus. In meinem Herzen wünsche ich den iranischen Demonstranten das Allerbeste, und wie schön wäre es, wenn Politiker aus aller Welt diesem mörderischen, menschenfeindlichen, tyrannischen Regime die kalte Schulter zeigten! Statt dessen wird Steinmeier wieder zum Jahrestag der Revolution ein liebedienerisches, schleimiges Glückwunschschreiben schicken, als wäre es eine Ehre, zu den Freunden der Mullahs gezählt zu werden. Dann werde ich mich wieder schämen.

Ich wurde in Deutschland übrigens gefragt, wie Steinmeiers Rede in Yad VaShem aufgenommen wurde (wohl in der Erwartung, daß jetzt höchste Anerkennung käme). Ehrlicherweise mußte ich sagen, daß niemand auf Steinmeier geachtet hat – es wurde wohl registriert, daß er hebräisch sprach, zu Anfang, den Dank dafür, daß wir diese Stunde erleben dürfen, was gemischt aufgenommen wurde. Seine Rede war so parve (weder Fleisch noch Milch), daß sie keinerlei Aufsehen erregte, alle Augen waren auf den Konflikt zwischen Rußland und Polen gerichtet. Ich persönlich finde, es ist billig, Antisemitismus zu verurteilen, wenn man sich dabei überwiegend auf die AfD und die Rechte (verschlüsselt, doch deutlich erkennbar in der Rede) bezieht:

Ja, wir Deutsche erinnern uns. Aber manchmal scheint es mir, als verstünden wir die Vergangenheit besser als die Gegenwart.

Die bösen Geister zeigen sich heute in neuem Gewand. Mehr noch: Sie präsentieren ihr antisemitisches, ihr völkisches, ihr autoritäres Denken als Antwort für die Zukunft, als neue Lösung für die Probleme unserer Zeit. Ich wünschte, sagen zu können: Wir Deutsche haben für immer aus der Geschichte gelernt.

Linken Antisemitismus blendet er aus.

Wir bekämpfen den Antisemitismus!

Wir trotzen dem Gift des Nationalismus!

Wir schützen jüdisches Leben!

Wir stehen an der Seite Israels!

Wie bekämpft er Antisemitismus? Indem in Berlin der Al Quds-Marsch stattfindet und indem er den Iranern zu ihrer glorreichen Revolution gratuliert.

Und dieses „wir schützen jüdisches Leben“ klingt in meinen Augen auch nicht gut. Ich mag diese Floskeln von „jüdischem Leben“ nicht, aber gut, er hat auch ein paarmal „Juden und Jüdinnen“ gesagt, und er meint damit wohl auch jüdische Kultur, meinetwegen. Aber wie geht es zusammen, daß die gönnerhaften Deutschen deutsche Polizisten vor Synagogen stellen, um „ihre Juden“ zu schützen, aber protestieren, wenn israelische Soldaten jüdisches Leben verteidigen? Das geht dann doch zu weit.

Steinmeiers Parteigenossen haben sich nicht an der Seite Israels positioniert. Nahles hat gemeinsame Werte mit der Fatah entdeckt,

Nahles unterstützte die Fatah in dem Ziel, einen unabhängigen palästinensischen Staat zu errichten. Nur eine Zwei-Staaten-Lösung könne den Frieden mit Israel verwirklichen. Darüber waren sich beide Parteien einig. Der geplante palästinensische Antrag auf einen Beobachterstatus eines Nichtmitgliedsstaates bei der UN-Generalversammlung sei ein Schritt in diese Richtung, heißt es in einer Pressemitteilung der SPD.

Ob es, wie versprochen, jährliche Treffen gab, in denen die SPD die Fatah auch an ihren Aussagen mißt und überdenkt, ob sie deren weiteren politischen Ambitionen  Unterstützung schenkt, davon hört man nichts mehr. Auf der Seite der SPD führt ein Link zu diesem Treffen ins Leere.

 

Aber in alten Zeitungsartikeln sind noch ein paar Perlen erhalten.

Am Ende des Besuchs bei Nahles stellte die SPD besagte gemeinsame Erklärung ins Internet, Titel: „Strategischer Dialog zwischen SPD und Fatah“. In Bandwurmsätzen ist dort zu lesen, dass sich Nahles und ihre arabischen Gesprächspartner über die „Schwierigkeiten einer Zwei-Staaten-Lösung angesichts des Siedlungsbaus Israels“ unterhielten. Ziel sei ein unabhängiger palästinensischer Staat, „Seite an Seite in Frieden und Sicherheit mit Israel“. In der Erklärung ist auch davon die Rede, SPD und Fatah hätten „gemeinsame Werte“ und „gemeinsame Ziele“.

Typisch für die SPD – „Siedlungsbau“ ist ganz böse, und die palästinensische Definition wird kritiklos übernommen, ganz wie wir es von deutschen Politikern kennen. Sie machen sich nie die Mühe, herauszufinden, warum sich nach 1967 in manchen Gegenden Juden neu ansiedeln mußten – weil sie nämlich 1948 von den Jordaniern vertrieben oder massakriert wurden zum Beispiel.

Doch lassen wir das. Die SPD hat sich also 2012 von der Fatah einwickeln lassen und sich noch edelmenschlich und friedensreich dabei gefühlt. Schön.

Haben sie sich je davon distanziert? Nein.

Wenn ich also diese Bilder sehe, die auf der offiziellen Fatah-Seite veröffentlicht wurden (Quelle hier), und zwar als Reaktion auf den Trump-Deal, kann ich dann davon ausgehen, daß auch das die gemeinsamen Werte der SPD und Fatah ausdrückt?

„Jerusalem ist unsere Hauptstadt“ – und sie beanspruchen GANZ Israel.

„From the River to the Sea“ – das ist damit gemeint.

Mit den Schulkindern wird schon mal eingeübt, wie der Staat Palästina auszusehen hat.

Was sagen diese Bilder? Zweistaatenlösung?

Was sagen die Terrorangriffe und Brandsätze? Gewaltlosigkeit?

Steinmeier, wenn du wirklich zu Israel stündest, würdest du mit dieser faulen Anbiederei bei den Palästinensern aufhören.

Aber so? Keine butterweiche, selbstgerechte, „wir sind jetzt die Guten und beschützen unsere Juden, auch wenn die Israelis so böse Siedlungen bauen und damit den Frieden torpedieren“-Politik beeindruckt mich positiv. Ich nehme an, auch andere Israelis nicht.

Newsflash: Juden beschützen sich heutzutage gern selbst, und eure NGOs, die deutsche Vorstellungen von Frieden (nämlich kritiklose Kapitulation vor jeder Forderung) hier durchdrücken sollen, sollten sich lieber nicht so eifrig überall einmischen.

Löst erst mal eure Probleme in Deutschland mit Demokratieverständnis und Antisemitismus, bevor ihr das nächste Mal mahnen kommt.

 

ETA: Pardon, wenn ich zu oft über diese Nahles-Fatah-Sache schreibe, die jeder außer mir längst vergessen bzw verdrängt hat. Ich habe ein ganz gutes Gedächtnis für sowas, und es ärgert mich. Die SPD müßte das eigentlich in Ordnung bringen, tun sie aber nicht, und dieses verdruckste So-tun-als-wäre-nichts-gewesen ärgert mich. 😦

 

Der Kommentar meines Mannes zum Trump-Vorschlag Januar 30, 2020, 18:54

Posted by Lila in Land und Leute, Presseschau, Uncategorized.
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„Trump hat Bibi in eine Lage gebracht, die Bibi eigentlich nicht paßt. Bibi ist zwar groß im Deklarieren und Ankündigen, aber eigentlich tut er lieber nichts und wartet ab, wie sich die Dinge entwickeln. Er ist eher ein Zögerer als ein Beweger. Jetzt steht er aber unter Druck, weil Trump ihn den Plan mit einigen Bonbons schon im Voraus angenehm gemacht hat – rein symbolische Akte wie der Umzug der Botschaft und die Erklärung zu den Golanhöhen. Bibi kann also nicht einfach sagen: ein Staat Palästina – nicht während meiner Regierungszeit, auch wenn er es vielleicht gern würde.

Israel hat eigentlich kein wirkliches Interesse an einer Annektion von Gebieten, in denen wir sowieso die Sicherheit unter Kontrolle haben. Warum die Lage aufrühren? Auch Bibi hat daran eigentlich kein Interesse, aber die Parteien rechts von ihm fordern es.

Auch der Gebietstausch mit den Palästinensern würde Israel schwerfallen. Auf der Trump-Karte sollen Gebiete im Westnegev abgetreten werden, und das Wadi-Ara-Dreieck, im Austausch gegen Siedlungsgebiete im Shomron. Und jüdische Orte, die dann von Palästina umgeben sind? Lauter problematische Punkte, die Bibi nicht begrüßen kann, auch wenn er Trump über den Klee lobt.

Der Plan ist mehr lose-lose als win-win. Es kann sein, daß ich mich in Trump täusche, aber er hat in diesem Plan genügend „Honigfallen“ verborgen, für beide Seiten,  damit sich beide Seiten eigentlich zu Verhandlungen an den Tisch setzen müssen. Mein Eindruck ist, daß er mit diesen Lockversprechen Bewegung in die Sache bringen will. Bibi könnte es zwar als positiv darstellen und tut das schon, aber er möchte nicht in die Geschichtsbücher eingehen als der PM, der der Schaffung eines palästinensischen Staats zustimmt.

Die Palästinenser haben viel zu schnell reagiert, und das war ein Fehler. Sie hätten sagen sollen: danke für den Vorschlag, wir studieren jetzt erstmal den Plan und melden uns mit unseren Anmerkungen in vier Wochen. Sie haben Trump vor den Kopf gestoßen, und wenn er wiedergewählt wird, werden sie das noch bereuen. Er hat ihnen die Gelegenheit geboten, noch einmal einen Vorschlag abzulehnen, der viele Vorteile für sie hat. Abu Dis z.B. ist ihnen noch nicht angeboten, und Israel ist auch nicht begeistert davon. Sie haben sich weiter in ihrer Rolle als ewige Nein-Sager verschanzt, womit vorgezeichnet ist, daß in Zukunft entweder für sie unvorteilhaftere Pläne kommen, oder gar keine mehr. Und dann sitzen sie da mit ihrem Nein und ihrem Widerstand, aber einen Staat haben sie immer noch nicht.

Trump hat Abbas eingeladenund wollte, daß er am Plan mitarbeitet. Sogar das hat er abgelehnt. Er hat sein NEIN zu allen Vorschlägen Trumps schon heraustrompetet, als es den Plan noch gar nicht gab.

Nachdem die Palästinenser so oft die Möglichkeiten ausgeschlagen haben, einen Staat zu bekommen, gelangt der Rest der Welt vielleicht irgendwann zu dem Schluß, daß sie ihn anscheinend doch nicht sooo dringend brauchen? Sie haben schon die Unterstützung der arabischen Welt verloren, und obwohl die Europäer bestimmt die Letzten sein werden, die noch auf der Straße stehen und rufen: Palestine will be free from the river to the sea!, werden sie es vielleicht irgendwann auch satt haben und sich anderen Themen zuwenden. Schließlich geht es den Palästinensern ja nicht soo schlecht, zumindest im Vergleich mit anderen arabischen Staaten. Und es gibt so viele Probleme auf der Welt.

Trump hat diese Runde gewonnen. Er hat von allen vorherigen Vorschlägen Ideen übernommen und sowohl Bibi als auch Abbas in eine Situation gebracht, in der sie Farbe bekennen müssen. Verläuft die Sache im Sande, dann ist das auch nicht anders als bei den Vorschlägen von Clinton und Obama, Olmert oder dem Mifkad. Klappt es aber, könnte er den Friedensnobelpreis bekommen. Der ist schon für weniger vergeben worden.

Bibi lobt den Plan und tut so, als wäre er sein eigenes Traumszenario, denkt aber bestimmt schon darüber nach, wie er die Umsetzung verzögern kann. Abbas macht ihm das sehr leicht mit seiner kompletten Verweigerung. Bibi kann nun einfach sagen: also wir würden ja gerne, aber allein kann man nun mal nicht Frieden schließen… wie schade.

Mir fällt dazu ein Sprichwort ein. „Die Hunde bellen, doch die Karawane zieht weiter“. Trump hat gewisssermaßen gesagt: hier zieht eine Karawane, schließt euch an, wenn ihr wollt! Doch die Palästinenser bellen die Karawane an, die zieht weiter., und aus der Ferne hört man noch das Bellen. “

 

Also sprach mein Mann. Und es ist schade, daß er nicht mal vom deutschen Fernsehen interviewt wird. Finde ich jedenfalls.

 

Längere Stille Januar 27, 2020, 23:36

Posted by Lila in Persönliches.
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herrscht hier seit einiger Zeit, nicht weil es nichts zu schreiben gäbe, sondern weil es viel zu viel gibt! Und ich will nicht über jedes Stöckchen springen, das mir die Zeitläufte hinhalten. Es passiert so viel, in Washington, bei Yad VaShem, in Auschwitz und an anderen bedeutsamen Orten, und oft denke ich nur: mal sehen, was daraus wird. Dazu habe ich noch keine Meinung, oder nur eine provisorische, gewissermaßen mit Stützrädern. Aber um mich  herum haben natürlich alle gußfeste Meinungen in endgültiger Form. Also sage ich lieber nichts.

Im Moment bin ich auf Kurzbesuch bei meiner Familie, weil wir eine sehr traurige Familienbeerdigung haben. Das hat vieles andere nach hinten gedrängt. Denn im Grunde muß man froh sein um jeden Tag, den man gesund und fröhlich mit seinen Lieben leben darf. Das wünsche und gönne ich allen Menschen, egal wo, wer und woher.

Trost gibt wie immer Psalm 121.

 

Stürmische Tage Januar 10, 2020, 0:32

Posted by Lila in Land und Leute, Uncategorized.
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Die letzten Tage waren von der Sorte, die man im Rückblick nie auseinandersortiert kriegt. So eine Art Zeitsuppe, in der alles so zusammenkocht, das man es nicht auseinanderklamüsern kann.

Nach der Tötung Soleimanis – das Warten auf eine Reaktion. In ihren Drohungen erwähnen die Mullahs natürlich immer wieder Israel. Im Falle einer Eskalation sind wir dran, meinen sie. Logisch. Das sagen sie seit 1979, und daß der Angriff nicht schon längst gekommen ist, liegt nur daran, daß die Atomwaffen noch nicht fertig sind. In der Zwischenzeit behelfen sich die Iraner mit Unterstützung von Terrororganisationen wie Hamas und Hisbollah, die im Laufe der Jahre Israel immer wieder angegriffen haben. Doch alle wissen, daß Das Große Ding nur eine Frage der Zeit ist, und um noch eine Küchenmetapher zu bemühen – dieses Bewußtsein simmert meist so vor sich hin, und von Zeit zu Zeit kocht es richtig hoch und man starrt gebannt drauf – wird die Situation überkochen?

Während wir auf den nächsten Schachzug der Iraner warteten, die am Zuge waren, kündigte sich hier ein Riesen-Unwetter an. Meine Befürchtungen, der israelische Winter könnte sich in der Woche, die ich nicht hier war, erledigt haben, waren unbegründet. Alle bereiteten sich auf die Regenmassen vor – aber wenn es richtig schüttet, ist praktisch nichts zu machen. In den Städten bricht die Kanalisation zusammen, denn sie ist auf Jahrhundert-Unwetter nicht vorbereitet, besonders in älteren Stadtteilen nicht. Auf dem Land fließt das Wasser eher ab, aber da es hier vielfach nur eine knappe, magere Erdkrume über Fels gibt, sickert nicht viel weg, und die Wassermassen können nicht schnell genug abfließen.

Dieser Jahrhundertsturm kam in mehreren Wellen. Die erste Welle erreichte Tel Aviv, wo jeden Winter in den ärmeren Vierteln im Süden der Stadt Landunter herrscht. Das ganze Land verfolgte mit Entsetzen, wie ein junges Paar im Aufzug steckenblieb. Sie wollten nach ihrem Auto sehen. Doch das Wasser stieg so schnell, die Rettungskräfte kamen so spät, daß beide im Aufzug ertranken, während die Nachbarn verzweifelt versuchten, sie zu befreien. Dank Whatsapp erlebt man sowas heutzutage fast zeitgleich mit, weiß aber nicht, was man glauben kann und was nicht. Aber diese Geschichte ist passiert, und die Anteilnahme war groß.

Die Iraner schickten Katyushas, nur um ein bißchen grimmig zu wirken, und schossen Raketen auf zwei amerikanische Stützpunkte im Irak. Kurz darauf stürzte eine ukrainische Passagiermaschine ab, und ich saß schlaflos vor dem Laptop, wollte arbeiten und guckte statt dessen Videos dieses Absturzes an. Daß die Maschine schon in der Luft brannte, kam mir gleich komisch vor – inzwischen gehen auch die Kanadier davon aus, daß es eine Abwehrrakete der Iraner gewesen sein muß, die die Maschine traf. Statt einer Erklärung und Bitte um Entschuldigung vertuschen und lügen die Iraner auf Teufel komm raus, was die Angehörigen wahnsinnig machen muß.

Während sich all diese Dinge ereignen, regnet es ununterbrochen. Vor unserem Haus bilden sich reißende Sturzbäche, der Garten steht im Wasser und aus den Gullys sprudelt das Wasser nur so. Naharyia wird überschwemmt, wie jedes Jahr. Es ist nämlich so, daß die Hauptstraße Nahariyas, der Gaaton, um ein kleines Bächlein herumgebaut ist, das friedlich in der Mitte fließt und im Sommer meist ganz ausgetrocknet ist.

Wo der Gaaton zu Ende ist (die Straße heißt nach dem Fluß), da ist das Meer – und wenn der Gaaton zu viel Zufluß aus den Bergen und Wadis kriegt, kann er nicht abfließen, staut sich, und die Hauptstraße wird überschwemmt. Jeden Winter schimpfen die Einwohner darüber, daß noch niemand eine Lösung dafür gefunden hat.

Dann geht das Wasser zurück, ich gehe normal zur Arbeit, und schon als ich mit dem Bus aus Nahariya zurückkomme, geht der Regen wieder los.

Was sich dann in unserem verschlafenen Städtchen ereignet, ist beispiellos. Nicht nur der Gaaton steht unter Wasser, sondern die ganze Stadt. Trotz aller Warnungen fahren Menschen mit ihren Autos rein oder versuchen, zu Fuß die Straßen zu überqueren. Unsere Moshav-Whatsappgruppe läuft heiß. Die Gerüchte laufen um – eine Familie ertrunken, nein, ein Baby ertrunken, nein, ein Schulkind mitgerissen. Schließlich kommt es in den Nachrichten – ein Mann, der eine Familie in einem Auto in Not sah, kam ihnen zu Hilfe, und wurde selbst mitgeschwemmt. Er konnte nur tot geborgen werden. Die Familie hat überlebt. Er wurde heute beerdigt.

Sechs Tote – sechs Menschen, die dieser Sturm insgesamt das Leben gekostet hat.

Während es immer weiter regnete, waren wir in unserem Moshav von aller Welt abgeschnitten. Es gibt nur eine Zugangsstraße, und die war überschwemmt. Der kleine Feldweg in Richtung Miliya war auch schwer zu befahren, wie Y. es nach Hause geschafft hat, verstehe ich selbst nicht. Er hat drei Stunden dafür gebraucht, und alle Kenntnis der Schleichwege, die er im Laufe seines Lebens gesammelt hat. Quarta konnte nicht zur Arbeit, ich konnte Gott sei Dank zuhause arbeiten, konnte mich aber nicht konzentrieren. Statt dessen habe ich, wie immer, wenn es politisch wieder brenzlig wird, Projekte im Haus vorgenommen.

Es waren komplett irreale Tage. Sonst, wenn die Rhetorik aus Teheran bedrohlich klingt und Trump Aktionen plant, die wer weiß was auslösen können, sind hier die Nerven gespannt und alle reden nur davon. Und wenn nicht davon, dann von den politischen Molekularbewegungen vor den Wahlen und Bibis Kämpfen mit der Justiz. Doch diesmal sprachen alle nur vom Wetter. Kann man nach Regba fahren? Habt ihr gesehen, wie die Armee die Schulkinder mit LKWs nach Hause gebracht hat? Wißt ihr, daß das Einkaufszentrum zu ist, weil das Parkdeck überschwemmt ist und der Strom ausgefallen? Welche Läden sind betroffen? Wie geht es meinem Friseur, der netten Verkäuferin aus der Boutique für religiöse Frauen, mit der ich immer plaudere, wenn ich dort lange Röcke kaufe, und wie dem Mann mit der Kippa, bei dem ich immer meine Wolle kaufe?

Heute abend, während alle Welt über die iranischen Versuche, den Flugzeugabschuß zu vertuschen, sprach, waren in unseren Nachrichten, in diesem nachrichtenkranken Land!, die ersten 15 Minuten nur Wetter. Der See Genezareth ist um 23 cm gestiegen!

Ganz Israel verfolgt ja den Pegelstand des See Genezareth, und insgesamt respektieren sie Wasser sehr und lieben es. Ich habe ja schon öfter erzählt, wie mein Mann auf einer Reise den Mekong bestaunte. Er traf dort andere Israelis, die genau wie er den ganzen Tag nur das Wasser anstarrten und murmelten: so viel Wasser, soo viel Wasser. Mein Mann gerät bei jedem kleinen Bach in Deutschland, der auch im Sommer fließt, vor Freude außer sich.

Es mischten sich also Schrecken über die Unglücksfälle mit Sorge um die Überschwemmten und die Geschädigten mit absoluter Euphorie, einmal im Leben SO VIEL WASSER im Land zu sehen.

Und der Schnee auf dem Berg Hermon wird irgendwann auch in den See Genezareth fließen.

Ich hoffe, daß die nächsten Tage ruhiger sind, daß ich meinen Stapel halb oder schlecht erledigter Arbeit abtragen kann, und daß die Iraner … nein, das kann ich nicht mal hoffen. Sie werden ihre Rache nehmen, weil ja ihre kostbare „Ehre“ in Frage gestellt wurde. Lügen ist nicht gegen ihre Ehre, Unschuldige ermorden ebenfalls nicht (mehr darüber hier), aber blamiert zu werden! Und so wird es weitergehen.

Appeasement Januar 3, 2020, 22:09

Posted by Lila in Presseschau.
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Letzte Nacht haben die USA dem iranischen General Qassem Suleimani seinen Wunschtraum erfüllt und ihn vom „lebenden Shaheed“ (sein Ehrenname durch Chameini) zum echten Shaheed befördert. Die Amerikaner machen sowas mit großem Trara, und die Iraner haben sofort wieder ihre Drohungen losgelassen. Und ich kann in die deutschen Zeitungen nicht reingucken, weil sich dort die Kommentatoren reihenweise in die Hosen machen. (Mein Mann dazu nur trocken: man sollte nich glauben, daß die Deutschen jemals irgendwas erobert haben!) Dabei besteht für die Deutschen die einzige Gefahr im Verlust einiger Geschäfte – diese Gefahr aber wiegt schwer, wie die devote Haltung deutscher Politiker dem Iran gegenüber immer wieder peinlich deutlichmacht (Stichwort Besuch, Stichwort Glückwunschtelegramm).

Man mag sich nicht ausmalen, was die Engländer Hitler alles verziehen hätten, wenn Steinmeier statt Chamberlain Außenminister gewesen wäre. Es scheint keine Verletzung der Rechte von Homosexuellen, Minderheiten, Frauen oder Abweichlern zu geben, die den deutschen Willen zum unbedingten Appeasement ändern könnte. Das iranische Regime erschießt Demonstranten, vergewaltigt Frauen im Gefängnis, foltert Menschen zu Tode oder hängt sie von Kränen – zu Hunderten pro Jahr. Die Iraner haben ihre Hegemonie über Syrien, den Libanon, den Jemen und den Irak angmeldet und sind dort überall präsent, ohne daß UN oder Europa auch nur etwas dagegen einzuwenden haben. Das muß so, die wollen das so, und sie müssen sich ja auch gegen den übermächtigen Kraken Israel wehren, nicht wahr?

A propos Kraken:

(Karte dreist hier geklaut)

So sehen die Kräfteverhältnisse aus. Eigentlich ist es die Achse Türkei – Syrien – Iran unter russischem Patronat gegen die Achse Saudi-Arabien – Israel unter US-Patronat. Aber wir sind ein Zwerg. Das nur nebenbei, man vergißt so leicht, wie klein wir eigentlich sind und wie heftig wir paddeln müssen, um nicht unterzugehen.

Daß im Iran mehr und mehr Menschen sich gegen die Mullahs und ihr brutales Regime auflehnen – interessiert nicht wirklich. Ich habe nicht gesehen, daß sich in Europa wirklich auf breiter Basis Menschen mit den Iranern, die nach Freiheit dürsten, solidarisieren, und Politiker erst recht nicht.

Und jetzt haben also alle Kommentatoren Panik vor dem 3. Weltkrieg, der angeblich hereinbrechen soll. Als hätten die USA diesen Krieg letzte Nacht angefangen – dabei erfolgte die Kriegserklärung der Mullahs an die USA und Israel sofort nach der Revolution. Es gibt keinen Schritt, mit dem wir den Iran besänftigen könnten, kein Zugeständnis – außer der freiwilligen Selbstauflösung Israels. Das vorher exzellente Verhältnis zum Reich des Schahs war tot, als dort die islamische Revolution gesiegt hatte. Wir leben mit diesem Krieg seit Jahrzehnten.

Haben deutsche Kommentatoren die Anschläge vergessen, die gegen Juden und Israelis im Ausland verübt wurden, so zB in Buenos Aires? Ich mag gar nicht erst aufzählen, was die Hisbollah alles getan hat. Wo die Hisbollah Macht übernimmt, errichtet sie ein Netz des organisierten Verbrechens (Drogenhandel) und des Terrors. Der Iran finanziert das Ganze.

Für uns in Israel ist klar, daß wir in einem Krieg stehen, seit Jahrzehnten, und dabei um unser Überleben kämpfen. Wir spüren diesen Krieg deutlicher als die USA, und ob Israelis diese Entscheidung, Suleimani zu „liquidieren“, so getroffen hätten, weiß ich nicht. Vernutlich nicht. Nasrallah lebt ja auch noch. Manchmal ist es besser, einen Feind am Leben zu lassen, den man kennt und der in gewisser Hinsicht berechenbar ist, als durch einen Schlag das ganze System zwangszuerneuern.

Ich bin nicht kompetent, solche Entscheidungen zu treffen und wirklich zu beurteilen, bin aber immer wieder verblüfft, wie selbstbewußt Leute wie Karin Senz, die garantiert noch weniger davon verstehen als ich, sich ein Urteil anmaßen. Ihr „Kurzporträt“ Suleimanis jedenfalls war so lückenhaft, daß es lächerlich war.

Übrigens sehe ich gerade, daß sie es korrigiert haben – wie schade, daß ich heute mittag keinen Screenshot gemacht habe!

Text heute vormittag:

„Soleimani führte den Kampf gegen die Terrormiliz IS in Syrien und im Irak…“

Wie gut, daß ich das bei Twitter ärgerlich festgehalten habe! Es war die EINZIGE Erwähnung des Worts Terror. Ich schmeichle mir nicht, daß es mein Protest war, der das harte Ohr der Tagesschau erweicht hat, aber so heißt es jetzt:

„Westliche Regierungen sahen in dem nun getöteten Soleimani einen Terroristen.“

Immerhin. Aus einem Kämpfer gegen den Terror in einen vermeintlichen Terroristen abgeändert – mutiger geht es wohl nicht.

Was will ich sagen?

Die westlichen (nicht nur die deutschen) Medien und Mainstream-Denker verfallen leicht in Panik. Jedesmal, wenn die arabische, muslimische oder iranische Welt droht, steht die Apokalypse schon vor der Tür. Erinnert sich jemand an die absolute Hysterie, als die USA, wie es ihr gutes Recht ist, ihre Botschaft nach Jerusalem verlegt haben? Es ging die Palästinenser nicht das Geringste an, denn der Teil von Jerusalem, in dem die Botschaft jetzt ist, gehört auch in den aller-pro-palästinensischsten Teilungsplänen zu Israel, aber keiner hat danach auch nur gefragt. Die Palästinenser protestieren, also haben sie auch einen case. Sie drohen, also explodiert jetzt der Nahe Osten. Ist er explodiert? Nein.

Die Iraner werden zurückschlagen, aber keiner von uns weiß, wann und wo. Es kann ein Terroranschlag sein, übrigens auch bei Euch in der Stadt, chalila, weil Ihr Teil des Westens seid und auch wenn Steinmeier sich in Teheran auf den Bauch legt und winselt, bleibt der Westen ein Feind für die Iraner. Es kann im Jemen oder in Syrien erfolgen, es kann ein weiterer Angriff gegen Saudi-Arabien sein, ein Raketenhagel auf die Golanhöhen oder bei uns, es kann ein Anschlag auf Ölfelder sein oder eine Botschaft. Die Iraner sind inzwischen, siehe Karte, im gesamten Nahen Osten gut aufgestellt, und in Europa, besonders Deutschland, hat die Hisbollah eine freundliche ökologische Nische gefunden.

Hört auf, euch von Journalisten, die keine wirkliche Ahnung haben, einreden zu lassen, daß man diese ganzen orientalischen Völker nur ja nicht ärgern und aufreegen darf. Daß man einen Suleimani über Jahrzehnte hinweg morden und erobern lassen muß, denn wenn man ihn als das behandelt, was er ist, nämlich ein Feind im Krieg, dann eskaliert man.

Ja, de-eskalieren ist immer besser als eskalieren, und wäre es möglich, irgendeine De-Eskalationsstrategie mit dem Iran zu finden, wäre das großartig. Aber es gibt keine. Ja, für deutsche Firmen ist es natürlich toll, weiter Geschäfte mit dem Iran zu machen, aber meint ihr, das würde Deutschland davor bewahren, dem iranischen Hegemoniestreben auch irgendwann zum Opfer zu fallen? Klar, erstmal ist Israel dran, dann der Nahe Osten, und vielleicht würde es noch zwei Generationen dauern, bis die Iraner sich Gedanken machen könnten, was sie mit den fleißigen Zuarbeitern im Siemens-Büro machen. Aber mit einem Staat wie dem Iran ist kein Auskommen zu suchen. Obama hat es versucht, was ihn persönlich ehrt – aber was katastrophale politische Folgen hatte.

Ihr habt in den deutschen Medien keinen einzigen Artikel lesen können, der den Iran-Deal anders als positiv geschildert hat, nicht wahr? Sollte es einen kritischen Artikel gegeben haben, muß ich ihn übersehen haben. Aber dieser Deal war Appeasement.

Die deutsche Regierung hat, genau wie die UN allen Diktatoren gegenüber, Appeasement zur Doktrin erklärt.

Dahinter steckt die von mir oft beklagte „narzißtische Projektion“ – nur weil wir alle ganz lieb sind und friedlich leben wollen, gehen wir davon aus, daß auch alle anderen so ticken, und schließen Bündnisse, die uns wirtschaftlich nützen und unseren Heiligenschein als Friedensstifter hübsch fest installieren.

Aber nicht jeder hat das Fernziel Frieden und Wohlstand.

Wer nicht mehr nüchtern in die Welt sehen kann, wer nicht mehr erkennen kann, daß die Welt nicht funktioniert wie eine Selbsthilfegruppe, wer nicht wahrhaben möchte, daß westliche Werte kein Geschenk des Himmels sind, sondern erkämpft wurden und für manche bekämpfenswert sind – der macht sich selbst hilflos.

Dazu paßt dann auch, daß es den meisten Deutschen egal ist, daß aus ihrer Bundeswehr ein Witz wird, daß Befindlichkeiten immer wichtiger und Fakten immer unwichtiger werden.

Ich lache gerade beim Lesen, denn ich klinge wie eine Konservative, was ich gar nicht bin.

Ich teile nicht die konservative Sehnsucht nach heiler Welt und Familienwerten der Prä-68er-Welt, weil ich weiß, daß diese heile Welt eine Illusion war (getragen von Frauen, die wirtschaftlich zu abhängig waren von ihren Männern). Ich kann gar nicht anfangen, alle Punkte aufzuzählen, in denen ich mit Konservativen nicht übereinstimme! In meiner ganzen sozialen Auffassung bin ich vermutlich sozialliberal, mit Ausschlägen in alle möglichen Richtungen.

Aber aber aber. Ich habe im Laufe meines Lebens gelernt, daß es Regeln für das Zusammenleben innerhalb einer Gesellschaft gibt, die sich selbst Werte gegeben hat, welche auf Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität beruhen. Und es gibt andere Regeln für die Außenwelt. Wer ableugnet, daß es Regimes gibt, die unsere Werte mit Füßen treten, uns als Feinde sehen und uns auf jede Art und Weise schaden möchten, und mit UNS meine ich jetzt den Westen, der legt Waffen aus der Hand, die er einmal brauchen könnte.

Gegen den Iran kommen wir nach dem Krokodilsprinzip nicht an. Was sich meiner Durchsicht nach in deutschen Medien und der Politik in Sachen Iran abspielt, ist Appeasement und Krokodilsprinzip, und das ist letztendlich Selbstmord.

Deutschland kann bereit sein, ja IST bereit, Israel dem Krokodil zuerst zuzuwerfen (und Israel dafür die Schuld zuzuschieben, es habe das Krokodil gereizt), aber glaubt nicht, daß das Krokodil dankbar daran erinnern wird.

 

 

 

Wenn Ihr wissen wollt, was Euch alles von deutschen Medien NICHT erzählt wird, weil es Euer Weltbild erschüttern könnte, empfehle ich wieder einmal MEMRI . 

Dort werden verschiedenste Texte aus Medien gezeigt und übersetzt, die normalerweise nicht gezeigt werden. Damit wird Material zugänglich, mit dessen Hilfe wir besser verstehen können, wie die arabische, islamische oder iranische Welt tickt. Sowohl regimekonforme Stimmen, Hetze und Querdenker sind dort zu finden. Regelmäßiger MEMRI-Konsum ist schon mal ein guter Anfang, wenn man die germanozentrische Fixierung auf „Ruhe, Ordnung und Geschäfte um jeden Preis“ überwinden will.

 

 

ETA:

Ein typisches Exemplar findet sich übrigens, wenig überraschend, gerade in der Tagesschau. Volker Perthes, der berufliche Stationen in Damaskus und Beirut hinter sich hat, äußert seine Meinung – was in einem Kommentar ja okay ist. Aber er läuft genau mit der deutschen Mehrheitsmeinung mit, wie sie vom Medium geprägt wurde.

Deutschland müsse – etwa im UN-Sicherheitsrat – deutlich machen, dass die USA mit der Tötung des Generals vermutlich einen großen strategischen Fehler begangen hätten – „einen, den alle Vorgänger Trumps vermieden haben“. Es sei Aufgabe der Deutschen und der anderen Europäer zu sagen: „Wir stellen uns hier nicht blind hinter die USA – ohne uns deshalb auf die Seite der Iraner zu stellen. Aber wir treten dafür ein, dass Dialog im Nahen und Mittleren Osten wieder beginnt.“

Er ist sicher, daß es ein großer strategischer Fehler war – klar, Trump, muß ja (allerdings fällt es schwer, Trump rationale und gut durchdachte Pläne zuzutrauen, aber er entscheidet ja nicht allein, und die Pläne muß es schon vorher gegeben haben). Die Deutschen und Europäer müssen nun wieder ihr Superman-Cape anziehen und die Welt retten. Nein, auf die Seite der Iraner stellen sie sich natürlich nicht! Nur eben auch nicht auf die Seite der USA. Und Dialog, Dialog, Dialog. Das ist ja der oberste Wert.

Worüber einen Dialog mit dem Iran führen? Zumindest in Dingen Israel ist da keinerlei Dialog möglich. Israel muß weg, fertig, das ist der iranische Standpunkt. Gewaltverzicht? Eingrenzung des iranischen Hegemoniebestrebens? Menschenrechte für Frauen, Homosexuelle, Regimekritiker? Was meinte Perthes? Was soll in dem Dialog diskutiert werden?

Ich werde den Verdacht nicht los, daß der „wieder zu beginnende Dialog“ sich um Maschinenteile drehen soll, wie viele wann zu liefern sind und wie man das machen kann, ohne es sich gänzlich mit den USA zu verderben.

Pardon, aber ich weiß nicht, worüber Perthes ansonsten mit dem Iran einen Dialog führen will.

 

Und noch ein ETA:

Es stört mich nicht, daß die Webseite der Tagesschau einen Kommentar wiedergibt, der sich im satten, sicheren Mainstream befindet. Aber wie schön wäre es, wenn es dazu mal, wie es früher manchmal in der ZEIT üblich war, einen Gegen-Kommentar dazu gäbe! Wenn jemand mal begründen würde, warum es möglich ist, diesen Schlag gegen Soleimani anders zu sehen. Oder den Brexit. Oder sonst ein Thema, das sonst immer gleich abgehandelt wird.

Gibt es eine andere Stimme?

Frankenberger in der FAZ:

Die Vergeltungs- und Rachedrohungen der iranischen Führung und ihrer Hilfstruppen muss man ernst nehmen. Iran wird es nicht einfach hinnehmen, dass einer der wichtigsten Akteure im Machtapparat vom Erzfeind ausgeschaltet wird. Die Sorge, dass der schwelende amerikanisch-iranische Konflikt eskalieren könne, ist berechtigt.

Deswegen spricht aus der Begründung des amerikanischen Verteidigungsministeriums für den Angriff auf Soleimani eine merkwürdige Logik. Wenn dessen Ziel die Abschreckung künftiger Angriffspläne Irans gewesen wäre, dann könnte, das zu vermuten ist weitaus plausibler, genau diese Aktion eine militärische Dynamik in Gang setzen und beteiligte wie unbeteiligte Länder an den Rand eines Krieges bringen.

Luther in der ZEIT:

Dass der abschreckende Schlag gegen das Regime zu einer Deeskalation führt, ist unwahrscheinlich.

Nachdem er alle Gründe aufgeführt hat, weswegen es sinnvoll war, Soleimani auszuschalten – aber Trump KANN es nicht richtig gemacht haben! – resümiert er:

Der frühere Befehlshaber der US- und Nato-Truppen in Afghanistan, Stanley McChrystal, schrieb vor knapp einem Jahr über Soleimani als Irans „tödlichen Puppenspieler„, er sei der „mächtigste und unbeschränkteste Akteur im Nahen Osten“ und es gebe „gute Gründe, ihn zu eliminieren“. McChrystal hatte dazu 2007 die Gelegenheit, als er das Kommando über die US-Spezialkräfte führte: Soleimani war unterwegs in einem Konvoi, fuhr vom Iran in den Norden des Irak. die USA ließen die erneute Chance damals einmal mehr verstreichen. „Die Entscheidung, nicht zu handeln, ist oft die am schwersten zu treffende“, schrieb McChrystal, „und sie ist nicht immer richtig.“ Sie wäre es auch diesmal gewesen.

Alles EIN Tenor.

Ist es nicht besorgniserregend? Vielleicht gibt es auch andere Stimmen, wenn ja, verlinkt sie. Aber in einer Demokratie, in der Meinungsfreiheit ein hohes Gut ist, wird die Meinung nicht mehr von außen kontrolliert, sondern von inneren Mechanismen. Manches scheint man sich einfach zu verbieten, auch nur in Erwägung zu ziehen.

Zurück Dezember 28, 2019, 23:06

Posted by Lila in Persönliches, Uncategorized.
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Wieder dieses Zwischendrin-Gefühl. Ich habe zwar während meiner Woche Urlaub verfolgt, was sich in Israel ereignet, aber es dringt, wenn ich hier bin, alles ganz anders zu mir vor. Schon im Flugzeug, als ich die Israelis um mich herum über Bibi diskutieren hörte, und welche Chancen er im März hat, und wie sie das finden, kam das Gefühl langsam zurück, Israel und alles was dranhängt.

Im Flugzeug saß ich mitten in einer Gruppe junger Aktivisten, die zu einem Treffen mit Palästinensern kamen. Ein älteres israelisches Ehepaar erzählte ihnen lautstark und naiv in gebrochenem Englisch, wie toll sie es in Tel Aviv finden werden und wie warmherzig die Israelis doch sind („itz will be nice for you!“), was die jungen Männer nicht interessierte. Ich saß dazwischen, verstand beide Seiten (sprachlich), hätte sie am liebsten alle für die Dauer des Flugs auf leise gestellt.

In Deutschland fiel mir auf, daß deutlich weniger geschmückt war als noch im Jahr zuvor – ob aus Klimaschutzgründen oder warum sonst so wenig Schwibbögen und Hausbeleuchtungen waren, weiß ich nicht. Daß die elenden Santa-Claus-Kletterpuppen inzwischen wohl ausgestorben sind, kann niemand bedauern.

Während wir weg waren, fand hier der israelische Winter statt. Tertia meint, es hat jeden Tag in Strömen geregnet („das hätte dir gefallen, Mama“). Sie hat Haus und Katzen gehütetet, und vom großen Wohnzimmerfenster aus beobachtet, wie sich über Haifa und Akko große Gewitter entluden („das wäre was für dich gewesen, Mama“). Jetzt kann ich nur hoffen, daß es bis Ende März weiterregnet, wir brauchen das Wasser, und bisher war nicht viel mit Regen.  Bei jedem Deutschlandbesuch staune ich über Ellbach, Rur und Inde. So viel Wasser, das einfach durchs Land fließt, so viele Bäche und Flüsse, die auch im Sommer Wasser führen. Das ist nicht selbstverständlich.

Der Pegel des Sees Genezareth und Bibis Zukunft – die israelischen Obsessionen haben mich wieder, und bald ist 2019 vorbei. Das Jahr war freundlich zu mir und uns, ich lasse es nicht gern ziehen.

 

Redewendungen mit Tieren Dezember 15, 2019, 13:30

Posted by Lila in Ivrit, Uncategorized.
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Eine davon habe ich gerade verwendet, darum schreibe ich sie hier mal hin 🙂

Wenn jemand ein leicht eskalationsfähiges Thema anschneidet, die Büchse der Pandora oder eine Büchse Würmer aufmacht, dann nennt man das auf Hebräisch „die Bären aus dem Wald holen“ (le-hozie et ha-dubim min-ha-yaar – dov ist Bär, dubim die Mehrzahl: Bären, yaar heißt Wald und die Vorsible ha– ist das Prädikat, wie the). Wer die Bären aus dem Wald holt, kriegt Ärger, den er nie gehabt hätte, wenn er sie in Ruhe gelassen hätte.

Dov ist übrigens auch ein beliebter traditioneller Vorname, gern abgekürzt in Dubi. Dubi ist auch ein Teddybär. Dov koala, dov grizzly, dov nemalim (Ameisenbär), alles wie im Deutschen.

Da das Kinderwort für Popel (gibt es dafür überhaupt ein Erwachsenenwort?) ebenfalls dubi ist, kann man die Redewendung auch abwandeln und sagen: er holt die dubim aus der Nase.

Wenn man unterstreichen möchte, daß an einer Geschichte nun rein gar nichts dran ist, sagt man: lo dubim ve lo yaar – weder Bären noch Wald. Sprich, wenn es weder Bären noch Wald gibt, dann kann man auch diese nicht aus jenem holen.

 

Netanyahu hat mit seiner inzwischen vielzitierten Formel zu den Vorwürfen gegen ihn die Bären in Ruhe gelassen und statt dessen griffig gesagt: „da wird nichts draus, weil nichts ist“ – lo yehihe klum ki eyn klum.  Klum heißt nichts. Lo heißt nein und nichts.

(Hier kann man bei Minute 7 hören, wie Bibi nur die ersten Worte sagen muß, und das Publikum den Rest hinterherbrüllt. Bibis Neuschöpfung, mit der er jetzt jede Kritik als Nichts abschmettern kann).

Eine ähnliche Redewendung, die zweimal das lo wiederholt, ist lo haya ve-lo nivra, das war nicht und existiert nicht (wurde nicht erschaffen). Das sagt man, wenn man etwas abstreitet, und kann dann noch hinterherschieben: sheker ve-kasav (weiches s), Lüge und Märchen. Das Hebräische mag solche emphatischen Verdoppelungen, scheint mir! Busha ve-cherpa, Schimpf und Schande!  Noch so ein Doppel-Idiom.

 

Eine nicht-tierische Redewendung, wenn jemand eine überflüssige Frage stellt und sich damit Ärger einhandelt, nennt man auch she´elat kitbag. She´ela ist die Frage, und kitbag die große, wurstförmige, enorm schwere Tasche, die Soldaten mit sich rumschleppen.

Neue Rekruten bekommen ihre Ausrüstug, darunter auch kitbagim

Die Redewendung stammt natürlich aus der Armee. Ein mythologischer Rekrut stellt dem Offizier, der gerade alle zum 30-km-Marsch beordert hat, die unschuldige Frage: „mit oder ohne kitbag?“ Daraufhin heißt es natürlich: „MIT!“ Hätte der Rekrut den Mund gehalten, wäre dem Offizier gar nicht die Idee gekommen, die kitbags mitschleppen zu lassen. Also lieber rosh katan (kleiner Kopf, war neulich dran 😉 )  und nicht extra nachfragen.

 

 

Hashtag-Empfehlungen Dezember 14, 2019, 12:20

Posted by Lila in Bloggen.
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für Leute, die keine Geduld für die Reizüberflutung bei Twitter haben, aber Informationen suchen, die man sonst nur schwer findet.

Imshin, deren Blog ich jahrelang gelesen habe, hat sich darauf spezialisiert, aus den Tiefen und Untiefen von Youtube private Clips von Familien aus dem Gazastreifen ans Licht zu fördern und sie weiterzugeben. Unter #TheGazaYouDontSee findet Ihr jede Menge Alltagsleben im Gazastreifen – Familienfeiern, Shopping-Orgien, Kinder beim Spiel, Rundfahrten durch Neubaugebiete, Fahrten an den Strand….

Man erkennt sehr viel bei diesen Clips. Es gibt eine Schicht im Gazastreifen, der es sehr gut geht. Sie sind westlich gekleidet, kaufen in gut bestückten Läden ein, sie haben also Kaufkraft. Ich wüßte gern mehr über den Hintergrund dieser Familien, aber da ich leider kein Arabisch kann, ist das schwierig, außerdem möchte ich auch niemanden stalken.

Es ist einerseits sehr beruhigend zu wissen, daß im Gazastreifen diese Normalität möglich ist, und ich möchte allen wünschen, daß sich diese Normalität weiter ausbreitet. Unbestreitbar gibt es auch Armut, wenn auch nicht so kraß wie in vielen arabischen Ländern. Aber die Leute, die im Meat-City-Supermarkt einkaufen, wirken nicht wie Superreiche, das sieht man auf der Facebookseite. Es gibt also eine Mittelschicht. Und dieser Supermarkt könnte genausogut in Nahariya stehen und Faisal heißen (wo wir einkaufen).  Ebenso ein Restaurant wie Snounu (hier bei Google Maps, falls jemand nicht glaubt, daß es im Gazastreifen liegt).

Andererseits fragt man sich natürlich auch: wenn es eine satte, wohlhabende Schicht gibt, warum dann die Schuld für die weiter existierende Armut allein bei Israel suchen? Warum herrscht im Gazastreifen keine oder so wenig soziale Gerechtigkeit? Wann werden die Gazaner Verantwortung übernehmen für die Gesellschaft, in der sie leben?

Und dann: wie viel Korruption steckt hinter diesen Verhältnissen? Imshin zeigt, wie normal es ist, daß von UNRWA gespendete Lebensmittel in Supermärkten verkauft werden. In der Originalverpackung, mit dem UNRWA-Logo. Ist also die kritiklos von der ganzen Welt abgesegnete UNRWA, bei der bekanntlich fast nur Palästinenser beschäftigt sind, und zwar nicht weniger als 30.000!, tatsächlich so selbstlos? Es sieht doch eher danach aus, daß ein Teil des Reichtums im Gazastreifen dadurch gewonnen wird, daß man gespendete Güter verkauft. Sollte einen zum Nachdenken bringen.

Imshin jedenfalls ist für mich eine wichtige und interessante Quelle zum Gazastreifen geworden – eine Welt, die von den Medien nicht mal ansatzweise gezeigt wird, auch von unseren nicht.

 

Doch Imshin nutzt auch einen zweiten Hashtag, den ich hier weitergeben möchte: #TerrorVictims 

 

https://platform.twitter.com/widgets.js

Sie postet regelmäßig Bilder und Geschichten von Menschen, die durch palästinensischen Terror ihr Leben oder Angehörige verloren. Die verheerende Spur des Terrors, die aus keiner Formel über den Nahen Osten herausdividiert werden kann. Die meisten Geschichten werden außerhalb von Israel unbekannt sein. Für Israelis und Juden hat Terror eine ständige, verstörende Präsenz. Seit 1929 in Hebron hat er nie aufgehört, nie pausiert.

Beide Projekte von Imshin verschaffen sonst unter-berichteten Realitäten Aufmerksamkeit, und dafür bin ich dankbar.

Ist euch was aufgefallen? Dezember 14, 2019, 10:42

Posted by Lila in Presseschau, Uncategorized.
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Na? Nein, ist euch nicht aufgefallen? Meine Lebensqualität hat sich entschieden verbessert, seit ich den Spiegel Online konsequent meide. Seit dieser Geschichte über die Juden, die sie als Fremde castete, habe ich das Ding kein einziges Mal aufgerufen, sogar nicht, als die mich neulich mal nebenbei erwähnt haben (und für kurze Zeit mein ruhiges kleines Blögchen ganz hohe Zugriffszahlen hatte) (was mir früher Beklemmungen verursacht hat, aber durch das Stahlbad Twitter bin ich so abgehärtet, daß mich das heutzutage nicht mehr stört).

Aber worüber ärgere ich mich statt dessen? Wie man einen Wackelzahn immer stupst, so brauche ich wohl meinen täglichen Ärger über Nahost-Berichterstattung in deutschen Medien. Dann weiß ich wieder, woher die Meinungen kommen, die ich mir bei jedem Deutschlandbesuch anhören muß, und die so felsenfest sind, weil sie nur auf Teilwissen beruhen. Nichts, was das Weltbild erschüttern könnte, wird berichtet. Und es herrscht kein Mangel an Medien, die mir zeigen, wie konsequent alles, was Israels Entscheidungen, Mentalität und Handlungen verständlich erscheinen ließe, ausgeblendet wird.

Wenn es um Juden geht, ist es nicht besser. Ich würde inzwischen allen internationalen Definitionen des Antisemitismus (oder anti-jüdischen Ressentiments, ich gehe eigentlich außerhalb von Twitter sehr vorsichtig mit dem Wort um, weil es ein sehr, sehr schwerwiegender Vorwurf ist) ein Kriterium hinzufügen, nämlich: wer Antisemitismus nur in Keulenform kennt, der ist Antisemit. Genauer: wer den Vorwurf des Antisemitismus für schwerwiegender hält als Antisemitismus selbst, ja wer außerstande ist, Antisemitismus zu erkennen, außer als ungerechtfertigten Vorwurf, der hat einen blinden Fleck. Und dieser blinde Fleck ist antisemitismusförmig.

Ein Beispiel.

Ich habe leider meine Übersetzung von Sara Gibbs´ verzweifelter Anklage gegen Labour nicht vor den Wahlen fertiggekriegt – bin im zweiten Drittel, aber noch ist der Artikel nur auf Englisch verfügbar. Gibbs schickt Definitionen und Erklärungen voraus, aber im letzten Drittel kommen die Beispiele für offenen Antisemitismus in der Labour – die Geschichte von Luciana Berger, und Corbyns unglaublich kaltschnäuzige Reaktion darauf. Gibbs gibt ein Beispiel nach dem anderen, alle belegt, alle leicht zu finden.

Unsere Freunde von Hamas und Hisbollah:

Die zynische Behauptung, für den „Friedensprozeß“ sei es notwendig, mit Terroristen zu sprechen, ist unglaubwürdig – Hamas und Hisbollah wollen keinen Frieden, sprechen nicht von Frieden und sind nicht daran interessiert. Corbyn sympathisiert mit ihnen und ihren Verbündeten. Ihr Zielt ist nicht, Frieden mit Israel zu haben, sondern Israel zu vernichten. Und selbst wenn man meint, man sollte mit ihnen reden, dann braucht man sie immer noch nicht „Freunde“ zu nennen.

Auch einen verurteilten Mörder und Terroristen wie Barghouti zu unterstützen geht über „Engagement für den Frieden“ hinaus. Corbyn stellt ihn als unschuldiges Opfer israelischer Brutalität dar, als Gefangenen des Gewissens. Er wäscht damit eindeutig Terror rein.

Das sind nur ein paar Blüten von Corbyns Nahost-politischen Ansichten. Doch es reicht ihm nicht, den jüdischen Staat zu untergraben, er entfesselt eine Hexenjagd gegen britische Juden und jüdische Labour-Mitglieder, die ihresgleichen sucht und verstörend ist.

„They don´t understand English irony either“ – dieser Satz macht jüdische Briten zu Außenseitern, zu Anderen, zu inneren Feinden. Diese Ausgrenzung, die ganz nebenbei in einer Tirade gegen Kritiker untergebracht wird, ist einfach nur widerlich und ein Symptom für ein tiefliegendes Problem. Corbyn möchte diesen kritischen Juden Lehren erteilen. Die Phantasie von den harten Lehren, die man den Juden zwischen die Zähne schieben möchte – was könnte offener antisemitisch sein?

Ken Livingstone bringt wieder den alten Vorwurf in Stellung, daß Antisemitismus-Verbote die Meinungsfreiheit beschneiden (und erzählt gleichzeitig Lügen über israelische Gesetze, die es nie gegeben hat). Er wiederholt auch die Behauptung, daß Hitler den Zionismus unterstützt habe. (Ob deutsche Journalisten wohl so hartnäckig nachfragen würden?)

Louise Ellman erhebt ihre Vorwürfe nicht leichtfertig.

Jüdische Labour-Mitglieder werden gemobbt und in die Ecke gedrängt. Für jüdische Linke ist es unerträglich, sie können nicht mehr Labour wählen, haben aber keine andere politische Heimat, und die offene anti-jüdische Stimmung durchdringt alle Schichten und Diskurse. Es ist die alte jüdische Erfahrung, wenn aus Nachbarn auf einmal offene Antisemiten werden. Hört Luciana Berger einfach zu. BITTE.

Diese Entwicklung geht seit Jahren, das Internet bietet mehr Belege, als ich aufzählen kann, ohne alle zu ermüden – lest Gibbs, und spürt ihre Verzweiflung, und informiert euch. Es ist wichtig, denn wenn morgen ein Corbyn in Deutschland auftritt, der die richtigen Klischees von sich gibt über Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und Umverteilung, dann kann er gegen Juden und jüdischen Einfluß und israelischen Militarismus loslegen, bis auf einmal erschreckend viele mit solchen Ansichten ans Licht kommen. Wenn die Schamschranke fällt, haben auf einmal alle was gegen die Juden zu sagen, und die Verschwörungstheorien blühen. Auf einmal sind dann Juden für alles Unglück dieser Welt verantwortlich, sogar für den Terror, der Juden tötet, und für die Shoah. Alles 100mal gesehen, alles von Labour-Aktivisten gehört, in derbster Form, und auch in Deutschland. Aus antisemitischem Morast wird dann ein Hochwasser, und wenn es zur Flutwelle wird, kann man nur hoffen, daß sich alle Juden in Sicherheit gebracht haben.

Das gehört zu jüdischen Ur-Erfahrungen seit Jahrhunderten, wie aus einer Umgebung, in der sie sich heimisch fühlen konnten, auf einmal eine feindselige Umwelt wird, in der täglich Juden bespuckt, beschimpft, getreten und diskriminiert werden. Luciana Berger mußte schließlich mit Personenschutz rumlaufen, und das fanden viele Labour-Aktivisten okay. Die Juden bringen es ja schließlich selbst über sich, wenn sie angegriffen werden – der alte Mythos von „sein Blut über unser Haupt“, mit dem christlicher Anti-Judaismus sich das Gewissen rein putzte, klingt da immer durch.

Kurz, niemand kann behaupten, daß der Antisemitismusvorwurf gegen Labour ein reines Wahrnehmungsproblem ist, dh, eine Ansichtssache, die aus einem anderen Blickwinkel betrachtet anders aussieht. Nicht wahr?

Doch, natürlich.

Am Ende eines Artikels über Corbyn nach seiner Niederlage werden zwei ganze Sätze dem Antisemitismusvorwurf gewidmet. Ich habe die Schlüsselworte, die diesen Vorwurf entkräften, während sie ihn erwähnen, gefettet.

Er gilt als umstritten. Unter anderem wird ihm vorgeworfen, antisemitische Tendenzen in der Labour-Partei nicht entschieden genug bekämpft zu haben. Auch gegen ihn selbst gab es Antisemitismusvorwürfe, vor allem wegen seiner als einseitig wahrgenommenen Unterstützung palästinensischer Interessen im Nahostkonflikt.

Okay? Er ist nicht umstritten, er gilt als umstritten. Damit wird die Kontroverse abgeschwächt.

Es wird ihm vorgeworfen, im Passiv – wer wirft ihm das vor? Durch den Passiv impliziert der Text diese Frage. Wer steckt hinter dem Vorwurf? Nun, wer wohl?

Und seine „Unterstützung palästinensischer Interessen im Nahostkonflikt“ war nicht etwa einseitig, sondern wurde so wahrgenommen. Noch ein Passiv, noch einmal die Frage: wer nimmt das so wahr? Hm?

Ja, durch den zweimal verwendeten Passiv suggeriert der Text einen Akteur, der nicht klar zutage tritt, den aber die Leser, wenn sie so gesinnt sind, sofort erkennen können: die unsichtbare jüdische Hand, die durch Medien und Finanzwelt an allen Strippen zieht, die mittels Antisemitismusvorwurf Menschen zu Umstrittenen macht.

Für die Tagesschau wird somit der Antisemitismusvorwurf schwerwiegender als der offen praktizierte Antisemitismus Corbyns und der Corbynisten. Die Erfahrungen und Erkenntnisse von Ellman, Gibbs, Berger und vielen anderen jüdischen Labour-Mitgliedern werden auf ein bloßes Wahrnehmungsproblem reduziert. Sie werden nicht einmal erwähnt, nicht ernstgenommen.

Ist mein Verdacht ganz unbegründet, daß ein Politiker vom rechten Spektrum nicht so leicht davongekommen wäre? Ich habe es schon öfter von selbstbewußten Linken gehört, daß sie ja gar nicht antisemitisch sein KÖNNEN, weil per definitionem Antisemitismus rechts ist. Corbyns Verteidiger sehen das genauso. So definiert man sich die Welt zurecht. Als wären Linke gegen Rassismus oder Frauenfeindlichkeit oder Vorurteile immun. Ich wünschte, es wäre so! Aber es stimmt nicht – hinter dem guten linken Gewissen, immer auf der richtigen Seite zu sein, blühen Vorurteile aller Arten. Nicht mehr und nicht weniger als bei anderen Menschen auch. Jeder Mensch muß durchlüften. Und Journalisten sollten positive Selbstwahrnehmung nicht mit der Realität verwechseln und Linke nicht nachsichtiger als Rechte behandeln, wenn es um Ressentiments aller Art geht.

(Ich will gar nicht davon anfangen, daß Parteinahme für Hamas und Hisbollah selbstverständlich palästinensischen Interessen nicht nützen, sondern die Unterstützung für Terroristen jede positive Entwicklung für nicht-terroristische Palästinenser verhindert, und das seit Jahrzehnten. Wer palästinensische Interessen wirklich unterstützen will, sollte sich zuerst gegen die Terrorgruppen wenden, die die Palästinenser als Geiseln genommen haben, in einem Endloskrieg gegen Israels Existenz.)

Es ist ein absoluter Skandal, echten, greifbaren Antisemitismus aufzuribbeln und ihn in ein „es wird wahrgenommen, es wird vorgeworfen“ umzustricken. Es zeigt, daß es in der Tagesschau-Redaktion Leute gibt, die Antisemitismus entweder nicht erkennen (damit haben sie selbst ein Wahrnehmungsproblem) oder aber ihrem Publikum keine echte Auseinandersetzung damit zumuten mögen. Ich weiß nicht, was schlimmer ist.

Dystopien, oder: aber den Juden wird doch nichts passieren! Dezember 11, 2019, 19:43

Posted by Lila in Persönliches.
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Was mir im Moment zu Großbritannien einfällt, hätte ich vor ein paar Jahren noch für eine Dystopie gehalten. Nicht nur das ganze Brexit-Spektakel, das nicht nur das Kind,  sondern gleich eine ganze Neugeborenenstation mit dem Badewasser ausschüttet. Eine so unausgegorene Idee, daß man sich nur wundern kann, wie die Briten mal ein Weltreich zusammengehalten haben. Wie haben sie es zusammengehalten? Ach ja, mit Diplomatie und Freundlichkeit.

Ich bin Anglophile und war es immer schon, und ich kenne viele deutsche Anglophile. (Ich pflege zu sagen, daß es natürlich auch britische Germanophile gibt, und daß ich alle drei kenne). Aber was im Moment im Land von John Constable und Barbara Pym vorgeht, verstört mich.

Ich sitze an der Übersetzung eines Texts von Sara Gibbs zum Thema Corbyn, hoffentlich werde ich noch heute Nacht damit fertig. Zutiefst deprimierend.  Wenn er euch zu lang ist, springt in den zweiten Teil, da kommen die Beispiele. An viele erinnere ich mich noch, als sie geschahen, und sie nun so gehäuft zu lesen, ist erschreckend.

Leider höre und lese ich viele, die sagen, Labour wählen ist wichtig, und sie haben auch gute Gründe. Trotzdem graust mir dabei, daß ein offener Antisemit, der noch offenere Antisemiten mal aktiv und mal diskret unterstützt, ein Mann, der den Antisemitismus wieder sagbar gemacht hat, dadurch an die Macht getragen werden könnte. Es gibt noch andere Parteien in UK, man kann taktisch wählen und ein Zeichen setzen, daß man für keine Art von Rassismus zu haben ist, auch den Corbynschen nicht.

Manche Labour-Aktivisten wenden sich an ihre „jüdischen Freunde“ und fordern Verständnis für ihre Wahl. Sie versichern den britischen Juden, daß sie nicht das Geringste gegen sie haben und sie auch nie zulassen werden, daß Juden tatsächlich was passiert. (Wobei Juden auf der ganzen Welt natürlich tagtäglich was passiert, so gestern der Anschlag auf einen koscheren Supermarkt in Jersey City).

Wenn ich das so lese, fällt mir eine Geschichte ein, die mir Y.s Oma erzählt hat.

Sie war ein junges Mädchen, hatte schon eine Ausbildung hinter sich, war aber mißtrauisch, als sie die nationalsozialistische Partei wachsen sah. Sie ging zu einer Veranstaltung der Nazis in ihrer Heimatstadt, um sie sich anzuhören, und entschied sich, ins damalige Mandatsgebiet Palästina auszuwandern. Ihre jüngere Schwester wanderte um dieselbe Zeit nach Moskau aus (wo ihr Mann später bei den stalinistischen Säuberungen hingerichtet wurde).

Y.s Oma nahm ihr Fahrrad mit nach Palästina und einen großen Koffer. Die Reise war lang. Sie fuhr mit dem Zug nach München, stieg dann um in Richtung Genua, und von dort fuhr sie mit dem Schiff nach Haifa (so habe ich es zumindest in Erinnerung). Im Zug nach München saß ihr ein Mann gegenüber, der das Parteiabzeichen der Nazis trug (war es 1934? ich weiß es nicht mehr).  Auf der langen Fahrt kam sie mit ihm ins Gespräch. Sie war eine bildhübsche junge Frau, und der Mann war erstaunt, daß so ein blondes, blauäugiges Fräulein tatsächlich Jüdin ist! Als er hörte, daß sie tatsächlich nach Palästina auswandern wollte, versuchte er, sie davon abzubringen. Aber liebes Fräulein! Menschen wie Sie, die tüchtig sind und gut ausgebildet, die haben doch gar nichts zu befürchten. Wir sind nur gegen die bösen Juden, die Ausbeuter, die Bankiers, die Verbrecher und Betrüger. Da kann doch niemand etwas gegen haben, das ist doch auch in Ihrem Sinne!

Der Mann war so freundlich, der jungen Jüdin das Rad beim Umsteigen in München ans richtige Bahngleis zu schleppen. Er verabschiedete sich herzlich von ihr, und seine letzten Worte waren: „Sie können sicher sein, den Juden wird nichts passieren!“

Und so reiste die junge Oma nach Palästina, wo sie sich in einen genialen Mathematiker verliebte, einen überzeugten Sozialisten aus Berlin, der ihr bei ihrer ersten Arbeit im Kibbuz, in der Bäckerei, eine tote Ratte aus dem Teig fischen half. Sie hatte sich schon gut eingelebt und war verheiratetet, als der Abschiedsbrief ihrer Eltern kam, die nach dem Erlaß der Nürnberger Gesetze Selbstmord begingen (und dadurch als einzige Vorfahren meines Mannes einen Grabstein haben). Die Eltern ihres Mannes, die nach Polen geflohen waren, wurden dort von der Wehrmacht eingeholt und ermordet.

Wer nicht weit weg genug fliehen konnte, in die USA oder nach Palästina, der wurde barbarisch abgeschlachtet, Ahne, Großmutter, Mutter und Kind.

Aber Sie können sicher sein, den Juden wird nichts passieren.

Wieder mal Dezember 7, 2019, 21:36

Posted by Lila in Qassamticker (incl. Gradraketen).
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Raketenalarm am Shabat-Abend.

300 Schüler hatten lange eine schönen Abend der Bnei-Akiva-Jugendbewegung vorbereitet. Durch den Alarm, der die Kinder überraschte, wurde der Abend kaputtgemacht.

Kinder, Familien – Zivilisten waren wie immer Ziel der Terroristen, die diese Raketen regelmäßig abschießen. Das letzte Mal war vor einer Woche.

Der Shabat-Abend ist eine beliebte Zeit für solche Angriffe, weil nach dem ruhigen Shabat viele Leute draußen sind und den Abend genießen.

Werden die Medien davon Notiz nehmen? Nein. In Berlin findet die Konferenz des Palestinian Refugee Center statt. Auf der Seite der Organisation findet sich ein Logo:

Das Logo gehört zur Konferenz im April 2015, ebenfalls in Berlin.

Ich muß doch nicht erklären, was das Logo bedeutet, nicht wahr? Auf der Seite steht auch klipp und klar, daß nicht etwa 1967 rückgängig gemacht werden soll (die Besatzung! die Siedlungen! all diese vielbeklagten Friedenshindernisse, die es nicht gegeben hätte, wenn die Araber nicht mit ihren 3 Nein geantwortet hätten) – nein, es ist 1948, also die Gründung Israels, die zurückgerollt werden soll.

In Berlin wird über die Vernichtung Israels konferiert – in Sderot rennen Schulkinder in Schutzräume.

 

Über doppelte Maßstäbe Dezember 6, 2019, 17:12

Posted by Lila in Persönliches, Uncategorized.
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Youtube hat mir eine Doku-Serie vorgeschlagen, und aus Neugier habe ich die erste und zweite Episode angeguckt. (Ich bin gerade in einer adventlichen Häkelwelle und habe erstmal nur zugehört, dann wollte ich aber auch die Bilder sehen.) Es geht um Kinder der nomadischen ethnischen Minderheiten in Großbritannien und Irland, British travelers und Irish travellers.

Diese Kinder werden gemobbt, diskriminiert und ausgegrenzt. Ihre Familien werden gegängelt, von Stellplätzen vertrieben, leben teilweise ohne Strom und Wasser.

Auf einmal fallen mir Erinnerungen aus meiner Kindheit ein. Ich muß sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein, als wir in Finnland eine Gruppe „Zigeuner“ (meine Eltern benutzten das Wort damals, wir wußten gar nicht, daß es andere gibt) sahen. Die Frauen beeindruckten mich sehr.  Sie trugen wunderschöne Samtröcke, sahen geheimnisvoll aus, und ich weiß nicht mehr, was mein Vater mir über sie erzählte, aber es muß positiv gewesen sein. Ich habe danach noch lange mit meinen Filzstiften finnische Kale-Frauen in langen, prächtigen Samtröcken gemalt.

Natürlich Mond Mond Mond von Ursula Wölfel, ein Buch,  das ich immer noch empfehlenswert finde, auch wenn es natürlich noch veraltete Bezeichnungen wie Zigeuner benutzt. Ich sehe gerade, was ich gar nicht wußte – das Buch ist verfilmt worden, aber die Serie werde ich mir nicht angucken, weil ich so starke innere Bilder von diesem Buch und allen Personen darin habe. Das Schöne beim Lesen war, daß ich meine eigene Welt, die Welt der Gadsche, auf einmal mit den Augen der Mädchen im Wagen sah. (Wenn die Kinder in der britischen Doku-Serie Gorga sagen, ist vermutlich dasselbe gemeint: country people, Seßhafte, wir.)

Das fürchterliche Verbrechen an der Familie des Panelon ist diskret und intensiv zugleich beschrieben. Als Kind wußte ich nicht, wer die bösen lachenden Männer beim brennenden Wagen waren, heute weiß ich es natürlich.

Mein dritter emotionaler Anknüpfungspunkt ist der Film Into the West, den ich im Studium gesehen habe. Der Kurs hieß „Kindheit im Kino“, oh, und ich habe eine Hausarbeit über Pünktchen und Anton geschrieben (und dabei gleich mal mit Erich Kästners Müttern abgerechnet – ich finde Antons Mutter einfach furchtbar, alle Mütter bei Kästner scheren sich um niemand als ihre eigenen Küken! jawohl!) .

Ein weiterer Berührungspunkt ist der Friedhof meiner Heimatstadt. Neben dem Grab meines Stiefvaters, zu dem ich immer mindestens zweimal gehe, wenn ich in Deutschland bin, ist eine ganze Reihe Gräber einer fahrenden Gemeinschaft, ich weiß nicht, ob Roma oder Sinti. Sie sind sehr prächtig, mit Madonnenstatuen und Marmorbögen, und das prächtigste Grab ist das des „Zigeunerkönigs“, wie uns eine Nachbarin verriet. Meine Mutter trifft die Angehörigen regelmäßig auf dem Friedhof und hat sie im Laufe der Jahre kennengelernt.

Fremde Welten, sehr interessant, so nah an unserer eigenen und doch so schwer zu verstehen.

Und was passiert mir immer, wenn ich so eine Serie sehe? Unbewußt kommen die Gedanken hoch. Irland. In Irland ist Israel negativ konnotiert wie kaum in einem anderen europäischen Land. Irische Zeitungen und Politiker sind so pro-palästinensisch, daß der israelische Standpunkt im Diskurs kaum vorkommt.  Aber wieso kritisieren eigentlich die Iren mit solcher Hingabe Israel, wenn sie selbst die travellers so miserabel behandeln, ohne daß es dafür irgendwelche Begründungen gibt außer Haß und Vorurteilen? Die travellers haben nie Terror in irische Städte getragen, es gibt bei ihnen keine Haßprediger und keinen Wunsch, Irland abzuschaffen und zu ersetzen. Israel hat für die meisten der Maßnahmen, die zB irische Journalisten anprangern, gute Gründe.

Es ist mir ein Rätsel, wie ein Land, in dem ein solches soziales Problem wie die Ausgrenzung und Diskriminierung einer kulturellen und ethnischen Minderheit über Jahrzehnte, ja Jahrhunderte andauert, sich anmaßt, über ein anderes Land so harsch zu urteilen. Tja, die alte Sache mit dem Splitter und dem Balken.

Doch egal, bei mir geht inzwischen alles durch diesen Filter, manchmal würde ich das gern abstellen. Ich wünsche den gypsy kids jedenfalls eine glückliche Zukunft, ohne Mobbing-Erfahrungen, Ablehnung und Schulwechsel deswegen. Vielleicht bekommen sie dann eine positivere Vorstellung von Erziehung und Schulbildung, ohne ihre eigene Kultur aufzugeben. Denn mit elf von der Schule abzugehen – das ist heutzutage nicht genug.

Ich werde jetzt weiter gucken und meine Häkelnadel läuft wieder warm. Weihnachten kommt jedes Jahr so überraschend 🙂

Redensarten Dezember 6, 2019, 1:04

Posted by Lila in Ivrit, Uncategorized.
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Wie meine treuen Leser wissen, versuche ich beim Hebräisch-Sprechen sinnloserweise, aber desto eifriger, die Spuren meines Akzents zu verwischen. Dazu kommt echter Spaß an der knappen und trockenen Art, mit der das Hebräische Anerkennung oder Verachtung ausdrückt, oder auch bestimmte Haltungen. Darum bin ich bekennender Fan des hebräischen Slang. (Ich muß es auch sein, sonst würde ich meinen Mann nicht verstehen).

Auch beim Slang gibt es wechselnde Moden. Vielleicht sogar noch schneller als in der Mode, wo man doch in den Zeitungen sehen kann, daß man dieses Vierteljahr unbedingt nieten- oder fellbesetzte Schlüppchen tragen muß (die man dann im Februar wegwerfen kann). Keiner sagt also mehr chaval al ha zeman oder sof haderech, genauso wie niemand mehr dufte oder oberprima oder affengeil sagt (falls das je jemand getan hat).

Dabei war das wegwerfend dahingesagte, überaus anerkennende chaval al ha-zeman wirklich nützlich. Enigmatischerweise heißt es nämlich wörtlich „schade um die Zeit“. Ein Beispiel. „Wie war die Party?“ „schade um die Zeit!“ bedeutete eben nicht „wäre ich mal zuhause geblieben und hätte eine belehrende Sendung mit Dr. Avshalom Kor geguckt*“, sondern „wow, die war so gut, daß es Zeitverschwendung wäre, sie dir zu beschreiben, weil du es sowieso nicht begreifen würdest!“

Chaval al ha-zeman war jahrelang in aller Munde. Als ich hörte, wie Grundschulkinder es in „chablaz“ abkürzten, war mir klar, daß das letzte Stündlein dieses Ausdrucks gekommen war. Heute sagt es kaum noch jemand, außer ein paar Omas und Opas, die meinen, dann finden die Enkelkinder sie toll.

 

Sof ha-derech war auch eine Zeitlang populär. Es bedeutet wörtlich „Ende der Straße“ und klingt damit wie das englische „end of the road“, aber es ist ein böser false friend, denn es ist keineswegs ein Endpunkt, sondern so wie ein ganz toller Preis am Ende der Straße, ein Höhepunkt. Danach kann nichts Besseres mehr kommen. Inzwischen ist auch diese Redensart an ihrer letzten Haltestelle angekommen, und ich habe lange nicht mehr gehört, daß jemand sof ha-derech sagt.

 

Statt dessen ist ein neues Modewort dran – alle sagen metoraf.  Wahnsinnig. Wenn ich für jedes einzelne Mal, daß ich jemanden metoraf sagen höre, einen halben Shekel kriegte, wäre ich nach wenigen Wochen im Besitze eines hübschen Teleskops mit allem Drum und Dran. Einfach Wahnsinn.

Teruf und shigaon sind Synonyme, so wie Wahnsinn und das alte WortTollheit. Shigaon kann man auch sagen, und man sagt immer noch über Leute, daß sie meshugge sind (meshuga bei Männern, meshugaat bei Frauen), aber das klingt nicht gerade wie eine Empfehlung.

Es sei denn natürlich, man ist Sarit Chadad und kann damit kokettieren, daß alle einen für ein bißchen meshugaat halten. (Eyal Golan singt ein Lied namens Metoraf, sehe ich gerade, aber es ist so fürchterlich, daß ich es nur verlinke, für Leute, die wirklich hart im Nehmen sind.)

Wie war der Film? Metoraf. Der Urlaub? Metoraf. Der Berufsverkehr? Natürlich auch metoraf. Je nach Gesichtsausdruck und Gestik versteht man schon, auf welche Art und Weise metoraf. Ich habe von dem Wort die Nase voll und warte aufs nächste.

 

Abgesehen von diesen wechselnden Superlativen, die so oft benutzt werden, daß sie gar nichts mehr bedeuten, hat das Hebräische aber die Kunst der Verknappung perfektioniert. Ein Grund, weshalb es so leicht ist, mit wenig Ivrit schon schöne Unterhaltungen zu führen, ist diese Verdichtung ganzer Sätze in ein Wort.

(Da das Hebräische Präfixe und Suffixe an das Verb hängt, spart man das ganze ich, du, er, sie…… sowie auch mein, dein, sein, ihr, und Hilfsverben werden nur in einer Art Konjunktiv benutzt. Das spart ganz schön bei der Wortzählung. Deutsch: ich bin gegangen, drei Wörter. Hebräisch: halachti, ein Wort.)

 

Noch ein paar Beispiele für knappe idioms, die ich schätze.

Ein sechel, ein bayot – kein Verstand, keine Probleme, das sagt mein Mann manchmal.  Hingeschrieben sieht es nicht so witzig aus, wie es klingt, wenn mein Mann damit eine Situation zusammenfaßt.

 

Katonti sagt man, wenn man ausdrücken will, daß man klein (katan) unwürdig ist. Wenn man zum Beispiel einer Koryphäe widerspricht, sagt man, „also katonti, aber vielleicht sollte man es auch mal von der oder der Seite betrachten?“ Mit dem katonti (ich Wurm) kommt man dann gleich der Kritik zuvor, daß man ja keine Ahnung hat. Eine recht elegante Art, sich als Underdog zu positionieren und die Kritik doch anzubringen.

Natürlich kann man mit katonti auch eine Niederlage einräumen, wenn die Koryphäe einem nämlich geantwortet hat und vom eigenen Argument nichts mehr übrigbleibt. Dann kann man mit katonti zugeben, daß die andere Seite die besseren Argumente hat.

Rosh katan (wörtlich: kleiner Kopf) benutzt man für Leute, die sich keinen Kopf machen, also die Leute im Team, die keine Verantwortung übernehmen und keine Meinung haben. „Da spiele ich rosh katan“ sagt man, wenn man eine Aufgabe nur irgendwie hinter sich bringen will und keine Lust hat, die Leitung zu übernehmen, Ideen einzubringen oder sich wirklich nützlich zu machen.

Higdil bzw higdila rosh, er bzw sie hat den Kopf vergrößert, sagt man dagegen anerkennend über Leute, die vom rosh katan zum rosh gadol (großen Kopf) geworden sind.

 

Titchadesh sagt man zu Männern, titchadshi zu Frauen, die sich gerade was Neues gekauft haben, die Frisur, Augenbrauen oder Schuhe haben überholen lassen. Chadash heißt neu, und wörtlich heißt das Wort: erneure dich! Sinngemäß: Glückwünsche zum Kauf. Man kriegt es im Laden hinterhergerufen, wenn man bezahlt hat, aber auch von aufmerksamen Freunden und Kollegen, denen auffällt, daß man irgendwie anders aussieht. Es ist ein diplomatisches Wort, weil es nichts darüber sagt, ob die Veränderung zum Guten oder Schlechten ist.

 

Dai heißt genug, hör auf.  Die Steigerungsform ist dai kvar, enough already!,  und es ist für europäische Ohren deutlich gewöhnungsbedürftig, wenn man hört, wie Eltern dem Kind, das sich bockig auf dem Boden wälzt, sagen: dai!  Aber sie wünschen ihm keineswegs den Tod, sondern finden nur, genug geweint und gewälzt.

In den letzten Jahren hat sich außerdem eingebürgert, dai als Ausdruck der Ungläubigkeit zu benutzen, besonders Frauen tun das oft (und machen eine Handbewegung dabei, so ein Abwinken). Hör auf! dai! Kann doch nicht sein!  Gibts nicht!  Ich finde kein deutsches Wort, das dai ersetzen könnte.

 

Über das berühmte nu hat Kishon eigentlich schon alles gesagt, was zu sagen ist. Es ist in den letzten Jahren etwas aus der Mode gekommen, weil es altväterlich-jiddisch klingt, aber trotzdem versteht es jeder. Nuuu….? fragt man Frauen am Ende der Schwangerschaft, nu kvar! ruft man trödelnden Kindern zu (wirds bald! der Schlachtruf meines Vaters) und ganz knapp NU?, wenn man schnell eine Antwort haben möchte.  Mit ironischen Augenbrauen bedeutet nu auch: das habe ich dir gleich gesagt, und nuuuuu kann man quengeln, wenn man ganz dringend was haben oder wissen will. Nu tov, na gut, jetzt könnt ihr mit dieser Liste schon zwei Wochen in Israel über die Runden kommen und werdet für Euer Hebräisch bewundert.

 

* Geständnis: ich habe Avshalom Kors Sendungen über die hebräische Sprache schon genossen, als ich nur wenig davon verstanden habe. Y. hat sie mir nämlich empfohlen. Und heutzutage gehört seine Radiosendung am frühen Morgen zu meinen und Y.s Morgenritualen. Wenn wir nämlich zusammen zur Arbeit fahren, was zweimal die Woche passiert, hören wir sie im Auto, trinken dazu Kaffee und das ist lehrreich und gemütlich zugleich. Vor einem Jahr habe ich Kor persönlich getroffen, bei einer akademischen Veranstaltung, war aber zu schüchtern, ihm zu sagen, daß ich mit seinen Sendungen vor 32 Jahren praktisch Ivrit gelernt habe.

 

 

(Beim Rumstöbern, um sicherzugehen, daß ich nicht irgendwas fürchterlich mißverstanden habe, habe ich diesen Blog-Eintrag gefunden – leider auf Ivrit, über die Verknappung und Ellipse in der hebräischen Umgangssprache. Falls jemand Interesse hat.)

Von Asche und Erde Dezember 2, 2019, 20:28

Posted by Lila in Deutschland, Uncategorized.
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Bisher hatte ich nicht von ihnen gehört, war vielleicht besser so. Das Zentrum für politische Schönheit rühmt sich seiner Aktionen – politische Aktionen, die sich als konzeptuelle Kunst ausgeben, meinetwegen.

Als ich heute früh über ihre neuste Aktion las, erstarrte ich innerlich so eiskalt, daß ich nicht reagieren konnte, es auch nicht wollte.

Eine Gedenkstätte mit der „Asche der Ermordeten Hitlerdeutschlands“ haben die Aktionskünstler des „Zentrums für politische Schönheit“ (ZPS) nach eigenen Angaben am Montag in Berlin gegenüber dem Reichstag errichtet.

Dazu habe man, so die Aktivisten in einer Pressemitteilung am Montag, „Knochenkohle, sedimentierte Asche und menschliche Fragmente“ unter anderem aus der Nähe von Auschwitz zusammengetragen und in einer Säule sichtbar gemacht. Es handele sich um Überreste der Opfer, die von den Nationalsozialisten überall hinterlassen worden seien. An 23 Orten in Deutschland, Polen und der Ukraine seien von den Aktivisten Proben entnommen worden. Laboruntersuchungen hätten „in über 70 Prozent Hinweise auf menschliche Überreste“ ergeben.

Die Gedenkstätte im Berliner Regierungsviertel sei, so die Aktivisten, ab sofort zugänglich, „offiziell“ aber nur bis Samstag genehmigt, hieß. An diesem Tag soll es dort einen „zivilgesellschaftlichen Zapfenstreich gegen die AfD“ geben.

Ich bin noch immer so entsetzt und zornig, daß ich es schwierig finde, zu schreiben.

Sogar eine Karte zeigt an, wo z.B. solche Erde entnommen wurde.

Auch wozu sie dienen soll, wird erläutert.

Es werden also die Leichenteile der brutal Ermordeten, denen das Grab verweigert wurde, jetzt zum Zapfenstreich gegen die AfD eingesetzt? Wie weit kann man tote Juden noch instrumentalisieren?  Bürgerrechte, Menschenwürde, Haare, Schuhe und Goldzähne wurden ihnen genommen, die Kinder entrissen, die Arbeitskraft ausgenutzt, sie wurden brutal gedemütigt und entwürdigt, bevor sie ermordet wurden – und sie haben keine Gräber. Die Erde, in der ihre Asche ruht, ist für Juden aus aller Welt ein Ort, an dem sie der Toten gedenken.

Leichen toter Juden, denen man alles genommen hatte, wurden noch geschändet, indem man Experimente mit ihrer Haut und anderen Körperteilen machte.

Das alles ist bekannt.

Wie wichtig die Totenruhe für Juden ist, habe ich mehrmal erläutert. Jüdische Friedhöfe werden nicht eingeebnet, Gräber bleiben für die Ewigkeit, Kremation ist unüblich.

Als Y.s Oma starb, begruben wir sie im Kibbuz. Sie war die Älteste von vielen Geschwistern, alle im Warschauer Ghetto gestorben, bis auf die Jüngste. Y.s Großtante konnte sich durch die Kanalisation retten und wurde von einer polnischen katholischen Familie gerettet. Sie stand also am Grab ihrer ältesten Schwester und sagte leise: „wenigstens hat sie ein Grab“. Denn weder ihre Eltern noch Geschwister, noch die vielen Vettern und Kusinen, über die sie in Yad VaShem Zeugnis ablegte, hatten ein Grab.

Nach einigen Stunden sah ich, daß bei Twitter kritische Nachfragen kommen.

Und jetzt seht Euch diese Antwort an. Wo waren die Opfer des Holocaust, bevor diese selbstzufriedenen, kaltschnäuzigen, gewissenlosen „Künstler“ sich daran erinnert haben, daß man ja mit ihnen den Aufmerksamkeitsfaktor für eine Aktion in die Höhe treiben könnte?

Gab es tatsächlich kein Gedenken?

Gedenken, an dem das Zentrum für politische Schönheit nicht beteiligt ist, von dem es nichts weiß und auch nicht wissen will, gilt nicht.

Ich habe mich dann natürlich in die Diskussion eingemischt, was ich schon heute früh hätte tun sollen.

Immerhin bekam ich nur eine dummdreiste Antwort, was mir den Glauben an die Menschheit wiedergab. Die meisten waren entsetzt oder zumindest skeptisch. Bei Facebook geben sich einige Kommentatoren tatsächlich beeindruckt.

Einen Moment des Innehaltens, ob man tatsächlich bis zum Gebrauch von Leichenteilen den Holocaust für die eigenen politischen Zwecke mißbrauchen darf, scheint es bei diesem Zentrum nicht zu geben – sie haben den Holocaust schon mehrmals für sich vereinnahmt, wie die Wikipedia-Seite zeigt. Die Frage, ob es Nachkommen der Täter zusteht, sich Knochen und Asche der Opfer anzueignen, um sie als Waffen in einem innenpolitischen Rundumschlag gegen Konservative, Faschisten, Nazis, Rechte und AfD (ist ja alles irgendwie dasselbe) (Sarkasmus-Flagge gehißt) einzusetzen, scheint ihnen nicht gekommen zu sein. Auch jetzt sehe ich keinen Ansatz von Einsicht.

Es ist dieselbe Mentalität. Wir bestimmen, wo die Juden leben, wie sie leben, ob sie leben, wann und wie sie sterben. Nicht mal über ihre Knochensplitter haben sie Autonomie.

Und was, wenn diese „Künstler“ gar nicht in der Erde gescharrt haben, sondern einfach im Gartencenter Kompost gekauft haben und den jetzt in einer Säule zur Schau stellen?

Auch das würde nichts an der Dreistigkeit ändern, mit der sich an Leid und Trauer anderer vergriffen wird. Es würde mich nicht wundern, wenn das von A bis Z nur eine einzige morbide Show ist, unter dem Mäntelchen der politischen Korrektheit und selbstgerechten Arroganz. Verstören wollen sie – aber warum die Opfer verstören, warum nicht die Täter?

Eine Aktion, die paßgenau mit der wachsenden Judenfeindlichkeit in Europa zusammengeht, dem Unwillen, der jüdischen Perspektive auch nur einen Gedanken zu schenken. Corbyn, der sechs Gelegenheiten verstreichen läßt, sich gegen Antisemitismus auszusprechen. Umfragen, die bezeugen, wie übel Europäer es den Juden nehmen, zu viel über den Holocaust zu reden (den doch das komische Zentrum gerade erst aufgedeckt hat!). Ich bin entsetzt, hoffe aber, daß sich Protest dagegen regt.

FR gibt die Meldung unkommentiert weiter, ebenso die Welt. Sehr guter Kommentar: Aschfahl  

Die SZ findet es natürlich gut.

Doch, die Aktion ist gelungen. Das ZPS kann sich, trotz eventueller Vorwürfe der Pietätlosigkeit, darauf berufen, dass es Opfern des Holocausts und Widerstandskämpfern wie dem 1944 ermordeten Salmen Gradowski, zu Lebzeiten noch gelang, Notizen zu hinterlassen, in denen sie die Nachwelt instruierten, nach ihrer Asche zu suchen und mit ihr das Gedenken an die Millionen Ermordeten wachzuhalten. Die Frage wäre heute wohl eher, ob die Nachfahren jüdischer Holocaust-Opfer Anstoß daran nehmen könnten, dass die Überreste ihrer Vorfahren hier, eingegossen in von innen beleuchtetem Klarsichtharz, auch deutlich an eine katholische Reliquienmonstranz erinnern? Vielleicht ist das Haarspalterei.

Haarspalterei, wie man sie von Juden ja kennt.

Pfui Teufel.

Ein weiteres Twitter-Bonbon:

Die Vorstellung, daß jüdische Leichenteile mehr bedeuten könnten als ideologisch-aktivistische Manövriermasse, die man von Ort zu Ort schafft, scheint manchen Leuten sehr fern zu liegen. Da hat einer die moralische Selbstgerechtigkeit mit Spaten gefressen.

Weitere Stimmen dazu: Ruhrbarone und Ramona Ambs. Auch sehr lesenswert: Enno Lenze. 

Und jetzt! November 21, 2019, 17:33

Posted by Lila in Land und Leute.
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Um 19.30, also in zwei Stunden, wird Mandelblit bekanntgeben, zu welchem Ergebnis er gekommen ist – ob Netanyahu sich vor Gericht verantworten muß oder nicht. Auch die Schwere der Anklage spielt eine Rolle, aber selbst wenn er nicht wegen Korruption, sondern „nur“ wegen Amtsmißbrauch oder Vertrauensbruch angeklagt wird (Pardon, ich weiß eigentlich gar nicht, wie man die hebräischen Ausdrücke ins Juristische übersetzt), reicht das wohl, um ihn für den Job des PM von Israel zu disqualifizieren.

Eine Stunde später wird Netanyahu ebenfalls eine Erklärung abgeben.

Inzwischen hat sich schon eine Likud-Abgebordnete auf Saars Seite geschlagen, und Miri Regev hält Netanyahu die Fahne.

Ich hoffe so sehr, daß die Wähler keine Ohrfeige kriegen und zum dritten Mal ins Kabäuschen müssen, daß ich sehr auf die Idee setze, Edelstein oder Saar könnten Bibi ablösen. Beides gute Leute. Zwar ist meine politische Schnittmenge mit ihnen kleiner als mit z.B. Gantz, aber die Hauptsache ist mir nicht, daß jemand mit meinen Ansichten auf den „Sitz mit Hirschleder“ kommt, wie man Ehrenplätze der Macht auf Hebräisch nennt. Sondern daß die israelische Demokratie wieder laufen kann. Die ungelöste Frage, wie es mit Netanyahu weitergeht, hat bisher die Situation blockiert.

Und jetzt? November 21, 2019, 8:22

Posted by Lila in Land und Leute, Uncategorized.
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Die Frist, in der Benny Gantz eine Koalition hätte zusammenbasteln können, ist abgelaufen. Nachdem Bibi mehrmals damit gescheitert ist, war ziemlich klar, daß auch Gantz es nicht schaffen würde. Das Schaf kann entweder mit dem Kohlkopf oder dem Wolf koalieren, aber nicht mit beiden. Gantz steht dort, wo die Fäden sich kreuzen – zwischen Links und Rechts (Metaphern, die nicht wirklich auf Israel passen), zwischen säkular und religiös. Er könnte mit Links uns säkular koalieren (Meretz plus Baraks Partei, Avoda plus Gesher), mit Rechts und säkular (Liberman), und auch mit den religiösen Parteien könnte er vielleicht einen Kompromiß finden (sowohl modern-orthodox und säkular a la Bennet und Shaked, als auch Haredim). Aber die Zahlen reichen nicht, und Libermann wird weder mit den Ultra-Orthodoxen noch Meretz in einer Regierung sitzen.

Und solange nicht klar ist, ob es zu einer Anklageerhebung gegen Netanyahu kommt, werden weder Liberman noch Gantz mit ihm eine Koalition eingehen. Das sind Wahlversprechen, die diesmal eingehalten werden – keiner möchte als Netanyahus Partner auftreten, wenn der als Angeklagter vor Gericht sitzt. Selbst Amir Peretz ist nicht umgekippt.

Das hatten wir also alles schon, es war auch eigentlich schon am Wahlabend klar. Ja es war schon letztes Jahr klar, als Liberman die Regierung verließ und Netanyahu Neuwahlen ausrufen mußte, weil er keine neue, stabile Koalition finden konnte. Im April dasselbe Spiel, kein eindeutiges Wahlergerebnis, und im September noch einmal.

Man kann die Schuld bei allen möglichen Parteien und Personen suchen, aber es ist ziemlich klar, daß das Problem in den ungeklärten Vorwürfen gegen Netanyahu liegt. Wenn Mandelblit heute veröffentlichte, daß die Vorwürfe gegen ihn unbegründet sind, hätte er sofort Koalitionspartner. Und wenn es zur Anklage kommt, selbst wegen „minderer“ Vergehen, und er vom Fenster weg wäre, dann würde ein anderer die Likud-Partei übernehmen und der Weg zu einer Koalition wäre ebenfalls frei.

Nicht jeder sieht es so, aber ich glaube, Netanyahu würde bei Wahlen im März 2020 weiter an Unterstützung verlieren. Den Nimbus des Zauberers jedenfalls hat er schon vor einem Jahr eingebüßt, und sein Abstieg in Etappen ist deutlich erkennbar.

Aber noch sind drei Wochen bis zur Entscheidung zu Neuwahlen. In diesen drei Wochen liegt das Mandat nun bei der Knesset. Israel war noch nie in dieser Lage, daß zwei Kandidaten mit der Regierungsbildung gescheitert sind, aber jetzt ist es theoretisch möglich, daß jeder beliebige Abgeordnete eine Koalition auf die Beine stellt und damit zum Präsident geht.

Ich weiß nicht, ob jemand diese Chance ergreift – aber ich hoffe es, denn ein drittes Mal Neuwahlen wäre eine Katastrophe. Die Wähler haben zweimal das Ihre getan, und die Politiker müssen nun daraus was machen. Um uns herum organisieren sich der Iran und seine Satelliten zum Angriff, innenpolitisch fehlen Budgets, Entscheidungen, klare Linien. Neue Minister führen eifrig Neuerungen ein (Verkehrsminister Smutrich z.B. macht interessante Experimente mit Mitfahrer-Spuren, die aber ein bißchen auf die Schnelle zusammengenäht wirken), Budgets sind nicht endgültig abgesegnet (weswegen z.B. die Feuerwehr in einigen Kommunen keine neuen Leute einstellen kann), es ist einfach unmöglich, so weiterzumachen.

Ich hoffe also, daß sich im Likud-Block ein Rebell findet und sich von Netanyahu absetzt. So wie es Ariel Sharon mit Kadima getan hat – er hat damals viele gute Leute mitgenommen. Hat Gideon Saar das Format Sharons? Nein, hat er nicht, Sharon, so umstritten er war, flößte auch eine Art Vertrauen ein, daß er weiß, was er tut. Saar ist jünger, eher ein Schreibtischtyp, aber sehr klug und auch beliebt. Netanyahu mißtraut ihm seit Jahren, und ich halte es für möglich, daß er damit Recht hat und Saar tatsächlich eine Schar um sich sammelt, die jetzt hinter den Kulissen an einer Koalition von 61 Stimmen feilt.

Vor Netanyahu haben viele Angst, außerdem verdient er Anerkennung für seine Arbeit, sogar von Leuten wie uns, die seine Bilanz höchst kritisch sehen (wie er die Außenpolitik an sich gerissen hat, damit das Außenministerium total ausgebootet hat… und wie alle Themen, die nicht mit dem Iran oder Erdgas zu tun haben, vernachlässigt wurden…). Es ist also nicht sehr wahrscheinlich, daß tatsächlich in seiner Partei, die es sich jahrelang in seinem Windschatten bequem gemacht hat, nun ein Königsmörder aufsteht.

Es ist theoretisch auch möglich, daß Blau-Weiß in seine Einzelteile zerbricht. Ich tippe, daß das spätestens in einem neuen Wahlkampf kommt – Lapid wird mehr in Richtung Links tendieren, Yaalon und Hendel mehr in Richtung Neue Rechte (Bennet). Gantz wird am Ende allein dastehen. Ich habe schon in der Vergangenheit falschgelegen, und vielleicht ist es reiner Zweckpessimismus oder Aberglaube, aber ich bin ziemlich sicher, daß Gantz sich nicht wird durchsetzen können. Er wird zwischen seinen Partei“freunden“ aufgerieben, weil sie eine reine Zweckgemeinschaft eingegangen sind und eigentlich zu unterschiedlich sind. Erfolg und Macht hätten sie zusammenkitten können, aber das hat ja nicht geklappt. Wenn ein starker, seit Jahren aktiver und erfolgreicher Politiker wie Netanyahu von Mißerfolg schwer angenagt wird, wie soll das dann ein unerfahrener Neuling wie Gantz verkraften?

Würde aber eine Blau-Weiß-Einzelpartei eine Koalition zusammenkriegen? Wohl kaum. Ashkenazi ist umstritten, Bogie zu trocken und nicht charismatisch genug, Lapid würde nie genügend Wähler auf seine Seite bringen und ist durch seine frühere Zusammenarbeit mit Netanyahu schon zu sehr als reiner Karrierist gefärbt. Gantz wäre vielleicht ganz froh, Lapid loszuwerden…

Pardon, ich habe diese Gedanken bereits mehrmals durchgekaut, leider hat sich nichts verändert 😦

Wenige Stunden später:

Und da ist er – Gideon Saar hat sich aus der Deckung begeben.

saar

Er tut das erstmal in Form eines Vorschlags – Netanyahu hat bereits erklärt, Urwahlen seien unnötig, aber da die letzte Urwahl schon vier Jahr her ist, hat die Idee, jetzt noch mal welche abzuhalten, etwas für sich.

Ich frage mich, was er tun wird, wenn auf diesen Vorstoß Netanyahu und seine Leute die Idee von Urwahlen abschmettern, wie sie zweifellos tun werden. Ob er dann versuchen wird, mit dem Mandat der Knesset selbst 61 Unterschriften zusammenzukriegen. Die Zeit ist eigentlich reif dafür. Und wenn Saar es schaffen sollte, diesen gordischen Knoten zu durchschlagen, den seit einem Jahr keiner entwirren kann, hätte er sich etabliert. Aber ich greife vor. Bisher ist es nur eine Idee.

Auf die Kaffeekanne gekommen November 14, 2019, 16:41

Posted by Lila in Persönliches, Rituale des Alltags.
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Wie bin ich eigentlich auf das Kaffee-Thema gekommen? Vermutlich liegt es einfach am Älterwerden, das alles mögliche wieder hochschwemmt.

Selbstverständlich komme ich aus einer Familie, in dem der Kaffee eine große Rolle spielte. Wir wußten schon als Kinder, daß unsere Eltern vor der ersten Tasse Kaffee nicht ansprechbar sind. In meiner frühen Kindheit muß es ein Alltagsgeschirr gegeben haben, an das ich mich nicht erinnere – meine Mutter ist, wie alle Frauen meiner Verwandtschaft, eine große Porzellanfreundin und hat für jeden Anlaß unter der Sonne das passende Service. Aber ich erinnere mich noch gut an das schöne Thomas Onyx Medaillon, das sonntags auf den Tisch kam. Ich finde es noch immer bildschön und elegant.

Leider ist es den Zeitläuften zum Opfer gefallen, so daß ich nur noch im Internet angucken kann, wie es so insgesamt aussah.

50er und frühe 60er Jahre in ihrer angenehmsten Form.

Ich erinnere mich auch noch genau an andere Service meiner Kindheit. Einige habe ich auch geerbt – so hinterließ mir eine liebe Großtante ein elfenbeinfarbenes Teeservice mit Goldrand, das ich in Berlin noch genutzt habe (ich selbst trinke nämlich eigentlich Tee mindestens ebenso gern wie Kaffee), das ich dann aber in Deutschland gelassen habe.

Denn ich habe ja Ende der 80er Jahre den Großen Sprung übers Mittelmeer getan und bin im Kibbuz gelandet, wo ganz viel ähnlich war wie zuhause (ein Jeckes-Kibbuz eben) und ganz vieles war ganz anders.

Die Kibbuzniks nämlich hatten von den bürgerlichen Werten einige mitgenommen, die in ihren kollektiven, spartanischen und sozialistischen Lifestyle paßten: harte Arbeit, Ehrlichkeit, Ordnung, Zuverlässigkeit. Aber die Rituale der Bürgerlichkeit warfen sie mit großem Schwung über Bord. Gegessen wurde gemeinsam im Speisesaal, von schlichtem funktionalem Geschirr. Davon aß man auch zuhause. Nachmittags um vier gab es zwar, nach dem Abholen der Kinder, eine Tasse Kaffee zuhause, mit Marmeladenbroten aus dem Speisesaal, aber der Kaffee wurde entweder in einem arabischen finjan auf der Gasflamme gemacht (türkischer Kaffe – kafe turki – botz, Schlamm, genannt), oder es war einfacher Elite-Pulverkaffee.

Türkischer Kaffee – Finjan-Kanne – löslicher Kaffe von Elite

Kaffeekannen gab es nicht, außer bei unserer alten Nachbarin, die mit zartem Porzellan, Silberlöffeln und den besten Kuchen des Kibbuz ihre Gäste beglückte. Darunter auch unvergeßlicherweise meine Eltern, als sie das erste Mal in den Kibbuz kamen. Als einzige Überlebende einer großen jüdischen Familie aus Köln fiel ihr das vielleicht anfangs etwas schwer, aber meiner Mutter fiel sofort auf, daß es nur bei ihr Kaffee aus richtigen Kaffeetassen mit Untertassen gab. Andere Kibbuzniks tranken ihn aus den schlichten Tassen vom Speisesaal.

Ich trank damals bei der Arbeit den löslichen Kaffee mit, der so ähnlich schmeckte wie der geliebte Caro-Kaffee meiner Kindheit (der wiederum heißt in Israel Chico, und ich mag ihn noch immer).

Chico – Kinderkaffee

Da ich nie eine Kaffee-Feinschmeckerin war, gewöhnte ich mich schnell daran. Auf Hebräisch nennt man löslichen Kaffee ness, was wie eine Abkürzung von Nescafe klingt und es vermutlich auch ist. Da ness Wunder heißt, ist Nescafe gewissermaßen Wunderkaffee.

Jahrelang tranken Y. und ich morgens unseren Ness. Es war schon so richtig bürgerlich, als wir uns Tassen kauften, die nicht aus dem Speisesaal stammten! Irgendwann warf der Markt bessere Sorten löslichen Kaffee aus, und wir stiegen vom guten alten Elite mit seinem billig-bitteren Geschmack auf andere Sorten um.

Der Sohn unserer alten Nachbarin schenkte uns zur Hochzeit eine Kaffeemaschine und eine Kaffeemühle. Ich bin mir ziemlich sicher, daß seine Eltern ihm dazu geraten haben – das ist doch ein Geschenk für eine Deutsche! Auf Hebräisch heißt so eine Maschine übrigens perkolator. Ich muß gestehen, daß ich nur selten Kaffee aus dem Perkolator getrunken habe, weil mir der olle Elite gut genug war, und in der Kaffeemühle habe ich Puderzucker hergestellt. Aber wenn meine Eltern kamen, dann kam die Maschine natürlich zu Ehren.

Vor ungefähr 15 Jahren bekam ich in Deutschland ein sehr schönes, schlicht weißes Service von Eschenbach geschenkt, das wir Stück für Stück nach Israel mitschleppten. Dazu gehörten natürlich auch Kaffeetassen, Untertassen und eine Kaffeekanne. Bei jedem Umzug packte ich sie alle mit ein und wieder aus, obwohl wir sie NIE benutzt haben (die Teller, Schüsseln etc benutzen wir natürlich täglich). Dabei hatten wir nicht so viel Schrankplatz in der Küche und gar kein Eßzimmer. Die Vitrinen und Anrichten deutscher Häuser kennt man in Kibbuz-Häusern natürlich nicht. Ich bin sicher, daß religiöse jüdische Familien massenhaft Schrankraum für Geschirr haben, denn sie brauchen mindestens vier komplette Sets – jeweils für milchig und fleischig, fürs ganze Jahr und für Pessach.

Wenn ich nach Deutschland komme, genieße ich die schöne Kaffeetafel meiner Familie und Bekannten, und ich lasse mir gern die Geschichte dazu erzählen. Auch wenn ich selbst so schöne Dinge nicht besitze, finde ich sie sehr schön bei anderen, und erinnere mich noch genau an die Freude, die wir alle an unserem Arabia-Rusca-Kaffeeservice hatten, das meine Mutter in Helsinki kaufte, bevor noch irgendjemand in Deutschland es kannte. Es war und ist immer noch sehr schön, finde ich, auch wenn es natürlich bei meiner Mutter längst ausgedient hat. Damals war es eine absolute Sensation – so dunkel, so schlicht, so kaffeebohnenfarbig. Die Textur ist auch ganz besonders. Ich habe keine Bilder, aber Google hat welche.

Das waren auch die Jahre, in denen viele im Alltag Melitta-Kopenhagen in orange oder rot benutzten – auch daran hängen viele Erinnerungen. Tja, man fand das damals schön, und es war ein deutlicher Bruch mit den zarten, weißen Tassen, den Streublumen, Weinblättern, Zwiebel- oder Strohblumenmustern der Vergangenheit. (Man wußte ja damals noch nicht, daß die alle den Geschmacksumschwung überleben würden!) Ein weiterer „Umstieg“ in den 70er Jahren, an den ich mich genau erinnere, ist der bei meiner Oma. Rosenthal Cordial hieß das, es war damals wirklich der letzte Schrei und paßte gut zu der neuen Schrankwand, die viel schlichter war als das alte Möbel. Doch ich war damals schon ein konservativer Mensch, glaube ich, oder einer, der Veränderungen nicht leicht mitmacht, und ich weiß noch genau, daß mir im Herzen das schöne Porzellan mit Goldrand und Röschen, das es vorher gab, immer noch lieber war. Meine Oma bewahrte es auch auf, und wenn ich allein bei ihr zu Besuch war, dann wünschte ich mir abends Hagebuttentee mit viel Zitrone aus einer der alten Tassen. Erinnerungen!

Meine Oma goß ihren Kaffee übrigens immer per Hand auf und ließ sich nie von einer Kaffee- oder Spülmaschine verführen. Sie selbst konnte das am besten. Die alte Kaffeemühle, die noch bei ihr stand, überließ sie aber meiner Mutter als Schmuckstück für unsere Küche (wir haben sie knallrot bemalt, ich weiß es noch genau), und eine elektrische Kaffeemühle akzeptierte sie. Meine Eltern hatten schon früh eine Kaffeemaschine, und heutzutage hat meine Mutter natürlich einen Vollautomat, der den Kaffee mahlt, brüht und serviert – und kein Wort spricht, bevor wir alle den ersten Kaffee getrunken haben.

Bei uns gibt es eine Stempelkanne, nein, es gab sie – Tertia, die kaffeemäßig anspruchsvoller ist als ihre Eltern, hat sie mitgenommen. Als wir noch Gasflammen hatten, haben wir auch manchmal Espresso in so einer Kanne gemacht. Ansonsten trinken wir nach wie vor wie richtige Kibbuzniks unseren schlichten ness aus großen Tassen, ich inzwischen mit Soja- oder Hafermilch. Jahrelang hatten wir Freude an unseren Steingut-Tassen, die wir mal auf den Aland-Inseln gekauft haben, bei der Töpferei Lugnet – leider sind sie irgendwann alle zerdeppert.

 

 

Das Bild ist ergoogelt, die Kanne hatten wir nicht, nur eine ganze Anzahl solcher Tassen.

Und wenn ich mal schön zum Kaffee einlade, dann reicht unser Eschenbach 🙂

Ich werde auf jeden Fall, wenn ich das nächste Mal nach Deutschland komme, bei Freunden und Verwandten Kaffee-Geschichten erfragen und erkunden.