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Shloshim November 10, 2023, 9:22

Posted by Lila in Land und Leute, Persönliches.
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heißt Dreißig, und damit sind die 30 Trauertage gemeint. Im Judentum wird schnell beerdigt, dann kommt die Shiva, die Sieben, die erste Trauerwoche, in der die Gemeinschaft die Sorge um die trauernde Familie übernimmt. Im Trauermonat Shloshim ist die Trauer tief und schwer, viele Männer, nicht nur aus traditionellen Familien, rasieren sich in diesen Tagen nicht. Das normale Leben ist ausgesetzt.

Am Ende der Shloshim treffen sich Freunde und Familie am Grab, und der Grabstein wird enthüllt (gilui matzeva). Und sie treffen sich dann immer am Jahrestag am Grab wieder.

So treffen wir uns als Familie mindestens dreimal im Jahr auf dem Friedhof unseres alten Kibbuz – für die Großeltern, für eine geliebte Tante und meine Schwiegermutter. Wir gehen auch so, jedesmal wenn wir im Kibbuz sind, auf den Friedhof und gehen zu allen Gräbern.

Zweimal im Jahr trifft mein Mann seine alten Freunde von der Armee auf dem Friedhof von Kfar Yehoshua. Den Soldatengedenktag im Mai verbringen sie immer zusammen, zur Erinnerung an den Freund, der 1982 im Libanon durch einen Unfall in der Armee ums Leben kam. Der Freund, Oded, blieb jung, die lebenden Freunde sind inzwischen 60 Jahre alt und bringen ihre Familien mit. Zum Jahrestag des Toten trifft sich die Gruppe dann immer am Freitag vor Rosh HaShana, Oded fiel im Monat Elul, im Herbst.

Odeds Grab ist nah beim Grab seines Onkels, der ebenfalls Fallschirmjäger war und am Mitle-Paß fiel. Oded wurde Fallschirmjäger und trug das Abzeichen der Flügel mit Stolz, das er von seinem Onkel geerbt hatte. Eine Familie wie viele in Israel, unter dem Zeichen der Trauer.

Von Zeit zu Zeit traf die Gruppe sich auch zu anderen Gelegenheiten. Der frühere Commander war Nir Barkat, der in den letzten Jahren zum Gedenktag nicht kommen konnte, aber zum privaten Gedenktag im September immer kam und engen Kontakt zu Odeds Eltern hielt. Auch sie sind nicht mehr am Leben. Aber die Gruppe hält zusammen. Ich habe oft davon erzählt.

Am 7.10. haben zwei der Männer, die mit Yaron als junge Rekruten in den Libanon einmarschiert sind und seitdem oft mit ihm zusammen auf dem Friedhof in Kfar Yehoshua gestanden haben, ihre Söhne bei den Kämpfen im Süden verloren.

Einer davon war Yaron Shai, der in Kerem Shalom fiel, und der vielen Zivilisten an diesem Tag das Leben rettete.

Aus einem Artikel der Times of Israel:

At a funeral for Yaron Shai, son of former economy minister Izhar Shai, Yaron’s brother Ofir slings harsh criticism at the “government of shame,” in a video shared by Channel 13 reporter Raviv Drucker.

“My little brother was killed by murderous terrorists filled with hate, and the one who opened the door for them, with its debased actions, was the government of Israel,” he says, as Economy Minister Nir Barkat looks on stony-faced.

Izhar gehört zu der Gruppe von Soldaten, die zu Odeds Gedenktagen kamen, und Nir Barkat war vor über 40 Jahren sein Mem-peh (Company commander). Beide sind Politiker, aber Nirs versteinertes Gesicht ist mehr als nur eine Reaktion auf Kritik an der Regierung, der er angehört. Eine persönliche Verbundenheit über Jahre steht dahinter.

Segev Schwartz ist der zweite Sohn eines Freundes aus der Gruppe.

Mein Mann ist jetzt zum Shloshim eines dieser jungen Männer aufgebrochen. Wir werden auch weiter zu Odeds Grab fahren, im September, zu seinem persönlichen Jahrestag. Aber am Gedenktag werden wir zu den Gräbern dieser jungen Männer fahren.

Für Odeds Mutter war es immer ein Trost, daß die Freunde ihres Sohns Kinder hatten, die sie auch oft mitbrachten zu den Treffen. Daß das Leben weitergeht, die Familien wachsen und aufwachsen. Es hätte sie schwer getroffen zu wissen, daß nun zwei dieser alten Freunde ihre Söhne begraben mußten in dem endlosen Kampf um Israel, der noch nicht beendet ist.

Vom Aus- und Anschalten November 9, 2023, 23:24

Posted by Lila in Land und Leute, Persönliches.
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Seit Netanyahus Wahlsieg vor etwa einem Jahr habe ich alle Nachrichten konsequent ignoriert. Ich wollte einfach nicht die Wortkombination „Minister Smotrich“ oder „Minister Ben Gvir“ hören. Zweimal am Tag habe ich die Schlagzeilen von Ynet überflogen, ob nicht irgendwas vorgefallen ist, das ich hören sollte. Aber ansonsten – völlige Abstinenz.

Das war über Jahre anders. Ich habe immer versucht, so viele Nachrichtenquellen wie möglich anzuzapfen, und habe mich mehr als einmal tüchtig darüber geärgert, wie verzerrt in anderen Ländern berichtet wird. Wie viel Journalisten einfach Ultra-Orthodoxe und Orthodoxe für dasselbe halten, wie naiv sie Propagandalügen nachplappern, wie sie niemals kritisch hinsehen, wenn bestimmte Leute ihnen dreist was vorlügen, und wie sie bei jeder Aussage von offiziellen Stellen Israels mit Konjunktiven und Anführungszeichen operieren.

Diesen Kampf kann man nicht gewinnen. Ich habe immer gesagt und sage es noch: ich möchte keine pro-israelische Berichterstattung. Ich möchte nur pro-Wahrheit. Die Schlüsse kann dann jeder selbst ziehen. Auch in Israel haben wir Meinungsvielfalt.

Ja, und dann kam der 7.10. und die Große Krisenstimmung. Seitdem kann man sich eigentlich nicht mehr leisten, ohne regelmäßiges Konsumieren von Nachrichten durch den Tag zu gehen. Ich höre gern Armeeradio (Galey Zahal) und Reshet Bet, und mein Fernsehkanal der Wahl ist Kan11. Die meisten in Israel sehen Kanal 12, finden Kan11 zu trocken oder zu links, und es gibt auch noch andere Kanäle, die ich gar nicht kenne. Ich höre Kan11 leise im Hintergrund bei der Arbeit, und was ich dort sehe, davon will ich ein bißchen erzählen. (Bei Kanal 12 sieht es ganz ähnlich aus).

Seit dem Schwarzen Shabat (der Name hat sich durchgesetzt) senden alle nur noch Sonderprogramm. Wer sich in andere Realitäten flüchten will, der muß auf Netflix oder National Geographic ausweichen. Auf den israelischen Sendern herrscht Krieg rund um die Uhr. Besorgte Reporter geben ihre Meinung zum Besten, wie es im Gazastreifen, bei uns im Norden, in den Gebieten, in Eilat und in der Diaspora weitergehen wird. Immer wieder unterbrechen Einblendungen von Alarm die Sendungen, dann wird kurz gesagt: „wieder Alarm in Kissufim – kehren wir zu deinem Vorschlag zurück…“, und es wird weiter geredet.

Der Sender deckt viele, viele Unzulänglichkeiten der Behörden und der Armee auf. Und davon gibt es sehr, sehr viele. In den langen Netanyahu-Jahren sind viele Ministerien und Ämter systematisch ausgetrocknet worden. Das Außenministerium ist vollkommen überflüssig geworden, Netanyahu hat alles an sich gerissen, was mit Außenpolitik zusammenhängt. Landwirtschaft? Hat Netanyahu nie interessiert, die Landwirte geben reihenweise auf, und jetzt stehen die Israelis im Supermarkt vergrämt vor billigen türkischen Tomaten, die sie gar nicht kaufen wollen. Was in diesen Jahren mit dem Bildungs- und Erziehungsministerium getrieben worden ist, habe ich schon oft angeprangert. Das letzte Mal, dass dort ein Mensch mit pädagogischem Sachverstand auf dem hirschledernen Sessel saß, war Shai Piron vor vielen Jahren.

Auch nach einem Monat scheinen die Behörden überfordert zu sein, und engagierte Bürger springen ein. Sie kochen für Soldaten, sammeln Spenden für die Evakuierten, organisieren Demos und Aktionen für die Geiseln, und das alles mit oft minimalem Einsatz der dafür zuständigen offiziellen Stellen. Das Fernsehen berichtet über diese Aktionen, stellt die bewundernswerte Fähigkeit der Israelis, in kurzer Zeit ganze Organisationen auf die Beine zu stellen und Nächstenliebe in Aktion umzusetzen, positiv heraus. Dabei sieht der Staat natürlich oft nicht ganz so positiv aus. Und alle warten auf die Untersuchungsausschüsse nach dem Krieg.

Diese Reportagen machen also einen Teil der Sendezeit aus. Berichte über den Fortschritt der Kämpfe im Gazastreifen sind natürlich auch sehr wichtig, aber die Pressezensur macht sich bemerkbar, und man muß sich die Informationen manchmal zusammenreimen.

Ebenfalls sehr wichtig sind die Porträts der Ermordeten, Verschleppten und Gefallenen. Es ist immer so, daß in Israel jeder Gefallene und jedes Terroropfer mit Bild und Namen vorgestellt wird, und Reporter stellen die Opfer in kurzen, eindrücklichen Interviews mit den Angehörigen vor. Dabei sind sie oft sehr empathisch – Yifat Glick hat die Spuren der Kindergärtnerin Dana Bachar aus Kibbuz Beeri verfolgt, hat mit Familie, Kolleginnen, Müttern und anderen Menschen, die sie kannten gesprochen und auch in ihrem Kindergarten gefilmt.

Dana stammte aus dem Kibbuz, in dem ich zuletzt gearbeitet habe, im Norden. Sie wuchs zusammen mit einer Kollegin von mir auf, nennen wir sie Etti, mit der ich im Babyhaus zusammengearbeitet habe. Sie waren gut befreundet, ihr Leben lang, Etti und Dana, und hatten wohl auch einen ähnlichen Stil in der Arbeit mit sehr kleinen Kindern. Das Porträt, das ich im Fernsehen sah, entsprach genau dem, was mir Etti über ihre Freundin erzählt hatte (ich habe sie am Tag nach Danas Beerdigung getroffen).

Hier interviewt die erfahrene, normalerweise recht unerschütterliche Ayala Chasson Danas Witwer. Die Geschichte der Familie, die im Schutzraum ausharrt, wo Mutter und Sohn erschossen werden, der Vater selbst verletzt und die 13jährige Tochter die Rettung übers Telefon einleitet, nimmt Chasson so mit, daß sie anfängt zu weinen und sich für den Rest der Sendung nicht mehr fängt.

Ich weiß nicht, ob das in Deutschland möglich wäre. Ich habe wohl gesehen, daß Anderson Cooper bei einigen Beschreibungen schwer geschluckt hat, auch andere Journalisten. Aber hier in Israel kannten eben auch die Journalisten Opfer persönlich, sie kennen die Orte, an denen die Gräuel geschahen. Da ist es unmöglich, sich zu distanzieren. Besonders in den ersten Tagen, als ständig neue Geschichten bekannt wurden, war das Grauen überwältigend stark.

Das Ziel der israelischen Fernsehsender ist, jedem Opfer ein Gesicht zu geben. Nicht einfach bei so vielen Toten und so vielen Geiseln, und nun kommen leider täglich auch Soldaten hinzu.

Die Namen der Gefallenen werden erst bekanntgegeben, wenn die Familien informiert sind. Gleichzeitig wird durchgegeben, wann und wo die Beerdigung stattfinden wird. Ich weiß, ich weiß, in Deutschland alles undenkbar – der Datenschutz! die Privatsphäre! Aber da merkt man, daß das Fernsehen hier eine andere Funktion hat als in Deutschland. Israelis begreifen sich als Familie, und es ist wichtig, alle Familienmitglieder zu informieren, so daß sie zu den Beerdigungen gehen können, die ja oft am selben Tag, spätestens einen Tag später, stattfinden. Und auch bei den Beerdigungen wird gefilmt, außer, die Familien wollen es nicht. Aber oft sind die Familien froh, daß per Fernsehen andere von ihren Lieben erfahren.

Bei mehreren Beerdigungen in der letzten Zeit habe ich gesehen, daß bekannte Sänger über dem Grab ein Lied gesungen haben, das dem Toten wichtig war. Sie machen das freiwillig, und sind meist sehr ergriffen, das läßt einfach niemanden kalt. (Moshe Peretz und Ivri Lider, selbst eine Ikone der Schwulen in Israel, auf der Beerdigung des schwulen Soldaten Sagie, falls jemand Beispiele sehen möchte).

Ja, so geht das also den ganzen Tag. Analysen der Aussagen von Biden und Kritik an Netanyahu, Ansagen von Raketen-Alarmen, emotionale Porträts der Toten und Geiseln und ihrer Familien, Beerdigungen, eingehende Diskussionen über Taktik und Strategie der Hamas, der Hisbollah, aber auch der IDF, harte Debatten über ethische Entscheidungen, alles rund um die Uhr. Und oft sehr, sehr kontrovers.

Spätnachts, wenn die Nachrichten dünner werden, gibt es dann Versuche, die Atmosphäre aufzulockern, mit halbwitzigen Late-Night-Shows und Neuauflagen beliebter Satiresendungen, die aber nicht wirklich witzig sind. Keiner will wirklich lachen. Die Satire ist zu nah am echten Leben, ich weiß nicht, wer das guckt.

Eretz Nehederet, Ein wunderbares Land, versucht sich an der BBC, aber die Grenze zwischen Realität und Satire ist kaum erkennbar. Ich sehe so viele absurd feindselige Interviews britischer, amerikanischer und irischer Sender mit Israelis, daß ich darüber nicht wirklich lachen kann.

Die Realität ist so plump, daß die Satire da einfach nicht mithalten kann.

Zu Anfang, als das Gefühl der ständigen Bedrohung von allen Seiten überwältigend stark war, konnte ich noch nicht filtern. Jetzt gucke ich seltener rein. Nur wenn meine Alarm-App anschlägt oder ich den Stimmen im Hintergrund anhöre, daß sich etwas ereignet hat. Oder wenn die Artillerie bei uns sich gar nicht mehr beruhigen will. Dann schalte ich wieder ein. Aber auch wenn ich den Apparat ausschalte – abschalten von der Situation geht nicht.

Wellenförmig November 6, 2023, 22:21

Posted by Lila in Persönliches.
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sind diese Tage und voller Sorgen und Ängste, die man sonst begräbt, zurückdrängt oder nicht spürt. Die Angst um die Soldaten und Soldatinnen, die jetzt da sind, wo niemand hin möchte – die durch verminte Gassen gehen und den Spuren des inkarnierten Bösen folgen, um es zu vernichten – dabei jederzeit in Fallen gelockt werden können – während die ganze Welt nur um die menschlichen Schutzschilde bangt, die mir auch ja auch leidtun – diese Angst kennen alle in Israel. In Krisenzeiten wird sie ganz stark, unerträglich stark, wenn ich an die denke, die ich kenne, und für die die normale Welt noch viel krasser verschwunden ist als für uns hier.

Dann die Angst um die Geiseln. Es war immer unser größter Albtraum. Hier im Norden wurden ja die Tunnel der Hisbollah aufgedeckt, in denen zur Vorbereitung auf Geiselnahmen kleine Buchten mit Betäubungsmitteln gefunden wurden (dieses Detail habe ich im Fernsehen vor vielen Jahren gesehen und nie vergessen). Daß es so viele sind – so verletzliche Geiseln – unerträglich, unerträglich, ich möchte die Gedanken wegschieben, kann es aber nicht.

In solchen Situationen wünsche ich mir, nicht so verdammt mitfühlend zu sein. Warum kann ich nicht ganz einfach sagen: okay, schlimm schlimm, aber meiner Familie geht´s gut und helfen kann ich sowieso nicht, wo ist mein Bier? Nein, das geht nicht. Die Gesichter der Geiseln tauchen auf, ob ich es will oder nicht, egal was ich mache, die Namen, die Geschichten. Die Medien hier geben allen Familien eine Stimme, und ich schalte nicht ab, auch wenn ich den Schmerz in den Augen der Angehörigen kaum aushalten kann. Aber die Mutter von Ella und Dafna muß es aushalten, damit zu leben, daß ihre Mädchen entführt sind, dann werde ich es wohl aushalten können, ihr zuzuhören. Sie muß sprechen, sie muß präsent bleiben, sie braucht unsere unbedingte Loyalität.

Dann erinnere ich mich daran, wie das ganze Land für Gilad Shalit auf den Beinen war. Ich war dabei, als im Nachbarort Mitzpe Hila die Shalits ihr Haus verschlossen und die erste Etappe auf ihrem Marsch nach Jerusalem gingen. Eine lange, lange Karawane von Menschen. Für einen einzigen Soldaten hat Israel dann 1027 Verbrecher freigelassen, darunter auch Sinwar, der die Massaker vom 7. Oktober geplant und geleitet hat. War es richtig, diese Freilassung zu befürworten? Viele Menschen haben sie mit dem Leben bezahlt. Aber wir konnten Gilad nicht in Gefangenschaft lassen.

Geiseln, Soldaten, Soldaten, Geiseln, die Sorge. Dann die Trauer um die Ermordeten und Verletzten, aber auch die Heldinnen und Helden dieses schwarzen Tags. Ich nehme alle Informationen auf und weiß, in welche Kammern meines Gedächtnisses die Gesichter und Geschichten und Namen landen. Dort, wo mir die Terroropfer unvergeßlich eingebrannt sind. Ich bin noch keine 40 Jahre hier und habe doch die Erfahrungen der Terrorjahre und -wellen in meinem Gehirn und Körper gespeichert. Dieser Teil meiner Erinnerung wird nicht durch positive Erlebnisse überschrieben, vergessen kann ich sie nur, wenn eine Krankheit mein Gehirn zerstört. Solange ich gesund weiterlebe, ist der ganze Schrecken noch da. Und so geht es allen, die ich kenne.

Das ist also das Grundempfinden – Gedenken, Ängste, die Gier nach neuen Informationen.

Dazu kommt dann „die Situation“ hier oben im Norden. Und die Wellenförmigkeit der Tage. Wenn kein Alarm in der Gegend ist, keine Artillerie zu hören ist, weder Iron Dome noch Einschläge auf unbewohntem Gebiet (für die Iron Dome nicht eingesetzt wird), dann ist es hier immer noch unbeschreiblich schön. In den Wochen des unfreiwilligen Urlaubs habe ich mich auf das Haus konzentriert (nein, der Garten liegt noch immer in Fritten, denken wir da mal nicht dran), auf viele liegengebliebene Aufgaben, und ich habe auch gemalt und gezeichnet. Weil ich trotz Kunststudiums (für Lehramt, aber mit sehr guten Lehrern) nicht wirklich gut bin, male ich nur mit Anlaß, für andere.

Wenn ich male oder einen Schrank aufräume, vergesse ich „die Situation“ beinahe. Das bedrückte Gefühl in der Brust ist noch da, aber ich weiß nicht, warum, und brassele einfach weiter. Das dauert nie lang – dann bricht es wieder hervor, und ich weiß, warum es mir so mies geht. Ich gehe alle geliebten Menschen durch, wo sind sie? wann habe ich von ihnen gehört? machen die Kinder mir was vor? wer hat gerade Alarm? wie geht es Schwiegervatern? der Nichte in der Armee?

Und was geht vor? Hab ich was verpaßt? Was sagt das Radio? Was Kanal Kann11, was Kanal 12?

Dann wende ich mich wieder meinen Aufgaben zu, kann vielleicht sogar arbeiten. Ein paarmal habe ich mitgeholfen, Kinder hier im Moshav zu betreuen, das war schön. Wir haben uns mit den Kindergartenkindern getroffen, wir nehmen kleine Clips für die Kinder auf, und ich freue mich, wenn die Mütter Clips zurückschicken von ihren Kleinen, wie sie aufs Telefon patschen und Iiiija rufen. Ich unterrichte auch ein bißchen (hoffentlich bald wieder mehr) und bereite weiter Vorträge vor, falls das Semester je anfangen sollte.

Und dann höre ich in der Entfernung Lärm und Unruhe. Sofort die App vom Homefront Commando überprüfen, und dann höre ich auch schon die Artillerie. Nicht nur die, die uns gegenüber auf dem Hügel installiert ist und unsere Fenster wackeln läßt. Sondern auch weiter entfernte, deren Wummern durch den Wadi zu mir kommt. Manchmal Alarm (bei uns seltener, aber ich höre auch Alarm aus anderen Dörfern), oder Hubschrauber, oder Flugzeuge. Drohnen sowieso. Dann gehen die Wellen hoch, besonders wenn ich allein bin.

Es ist gut, daß Eli vom Sicherheitsteam so eine ruhige, tiefe Stimme hat. In der Whatsappgruppe des Moshavs gibt er Informationen von der Armee weiter, die erst viel später in den Medien erscheinen. Nein, keine Geheiminformationen, nichts Konkretes, aber ich weiß trotzdem, wie die Lage ist. Wenn er sagt, bei uns alles okay, mach ich normal weiter. Wenn er sagt, in der Nähe des Schutzraums aufhalten, gehe ich rein, lasse aber die Tür offen. Und wenn Alarm kommt (wie gesagt, bei uns seltener), mach ich die Tür zu. Wenn Alarm wegen eindringender Terroristen gegeben wird (Gott sei Dank, war nur zweimal), dann verriegele ich auch die Tür des Schutzraums.

Irgendwann ist dann wieder Stille, und die Welle geht runter auf Normalstreß. Dann stehe ich wieder auf dem Deck, bewundere, wie schön es hier ist, und wie friedlich. Noch ist es warm, ich trage Sommerkleider und bin barfuß, aber nachts wird es kühl. Nachts sehe ich auch, daß der Moshav leer ist. Keine Karaoke-singenden Touristen mehr, alles ist still und dunkel. Manchmal holen wir das Teleskop raus und gucken Albireo an. Aber selten. So richtig nutze ich diese Zeit der Dunkelheit und Stille nicht.

Einen Vorteil haben die Nächte: ich sehe den Lichtblitz der Artillerie, bevor der Krach kommt.

Jeden Tag eskaliert die andere Seite. IDF reagiert. Heute hat Hamas Raketen geschossen, erstmals bis Kiriat Ata und Kiriat Bialik. 30 Raketen. Hamas im Libanon und nicht Hisbollah – wenn sich die Hamas dazu bekennt, wie heute, ist das ein retardierendes Element, denn sie ist hier nicht der wahre Feind. Aber so viele Raketen und bis weit in die Bucht von Haifa – das ist ein eskalierendes Element. Wie tariert die Armee ihre Reaktion darauf? Ich höre auf die Artilleriegeschosse, horche, ob ich Flugzeuge höre und in welche Richtung sie fliegen. Und daraus ziehe mich meine Schlüsse.

Eine Eskalation im Norden würde bedeuten, daß die Armee und das Land bis an ihre Schmerzgrenze gehen müßte. Weitere Dörfer räumen, mehr Armee hier hin, das bedeutet weitere wirtschaftliche Einbrüche, weitere eingezogene Reservisten, und wie lange halten wir alle das aus? Will die Hisbollah uns in einen Erschöpfungskrieg (milchemet hatasha) ziehen? Sehr wahrscheinlich. Also müssen wir resilient sein. Ja, auch ich.

Wenn es so bleibt wie jetzt, können wir das aushalten. Aber geht das überhaupt? Wie lange kann eine instabile Situation bestehenbleiben? Und was ist mit den Geiseln? was mit den Soldaten? wo sind die Kinder?

Und schon steigt die Welle wieder. Bisher ist mir noch keine über dem Kopf zusammengeschlagen.

Danke danke danke November 3, 2023, 15:58

Posted by Lila in Bloggen.
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für die Kommentare, einer schöner als der andere. Altbekannte Namen, neue Namen – ich freue mich so, euch alle hier zu sehen.

Ach je ach je, es hat mir gefehlt, das Schreiben, der Austausch mit interessanten Menschen. IHR habt mir gefehlt.

Ein Interview November 3, 2023, 11:29

Posted by Lila in Land und Leute, Persönliches.
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Vor zwei Wochen hat die Lokalzeitung meines Heimatorts mich interviewt. Der Titel ist nicht von mir. Ständige Angst würde ich es nicht nennen. Eher ein Unbehagen im Hintergrund.

Guten Morgen, ihr Lieben, November 3, 2023, 9:22

Posted by Lila in Land und Leute, Persönliches.
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ihr habt lange nichts von mir gehört, aber ihr habt mich nicht vergessen, und dafür danke ich euch sehr. Ich bin vor ein paar Jahren, als das Bloggen zu anstrengend wurde, halbherzig auf Twitter umgestiegen, und eine Weile habe ich recht viel dort geschrieben. Aber als vor etwas über einem Jahr Netanyahu nicht nur wiedergewählt wurde (ich kann Leute verstehen, die ihn gewählt haben, um einfach das Karussell der Neuwahlen zu stoppen), sondern eine katastrophale Truppe von Ignoranten, Nichtskönnern und Fanatikern in die Regierung holte, bin ich verstummt. Das war nicht mehr mein Israel, die Gesetze, die sie auf den Weg brachten, fand und finde ich einfach nur furchtbar.

Ich habe mich in Arbeit gestürzt und mein Mann und ich haben ernsthaft erwogen, das Land zu verlassen. Keine einfache Entscheidung in unserem Alter, und wir lieben Israel und unsere kleine Ecke, in der wir uns eingerichtet haben. Ihr wißt es. Viele meiner Freunde waren sehr engagiert im Kampf gegen die Entscheidungen der Regierung, und eigentlich haben mich nur noch die Bilder von den Demonstrationen hier gehalten.

Dann kam der 7. Oktober.

Dieser Tag war eine Wasserscheide im Leben aller, die ich kenne, mit all den Gräueln, die man aus Holocaust-Erzählungen kannte, aber auch aus den vielen, vielen Terror-Massakern, die wir in den letzten Jahrzehnten erleben mußten. Der unverminderte, mörderische und unvorstellbar grausame Haß, dem Israel schon vor der Staatsgründung ausgesetzt wurde, dazu die Bereitschaft vieler Menschen im Westen, das verlogene Narrativ zu akzeptieren, das diesen Haß scheinbar rechtfertigt – das alles steigerte sich zu einer Orgie der Gewalt gegen Israelis, Juden und jeden, der dazugerechnet wird.

Wir leben seitdem in einer Welt, in der Albträume wahr werden.

Der 7. Oktober – ich erzähle euch einfach mal, wie wir ihn erlebt haben. Ich hatte einen Tag vorher meinen letzten Tag im Kindergarten. Obwohl ich dort sehr glücklich war und die Arbeit mit Kindern nach wie vor liebe, hatte ich das Gefühl, ich bin doch zu alt dazu und sollte mich lieber wieder auf das Unterrichten von Kunstgeschichte konzentrieren. Ich habe ja diese zwei professionellen Standbeine und meine Woche war aufgeteilt in FH und Kindergarten, vielleicht eine ungewöhnliche Situation. Der Plan war also, mich beruflich wieder mal neu zu orientieren und der Shabat war als Atempause geplant.

Um 6.30 morgens tranken wir gerade unseren Morgenkaffee, als uns Quarta anrief, die in einem Vorort von Tel Aviv lebt. Sie sagte leise: „Mama, hier ist Alarm“. Sie war allein zuhause, ihr Freund und ein Mitbewohner waren nicht da, und einen Schutzraum hat sie nicht.

Quarta hat viel mitgemacht, seit sie in Tel Aviv lebt. Sie hat allein im Treppenhaus gestanden, als Tel Aviv bombardiert wurde. Sie hat den Angriff auf ein Cafe mitangehört, von ihrer kleinen Wohnung am Dizengoff Boulevard, und sich stundenlang eingeschlossen, während die Polizei die Gegend durchkämmte. Damals sind wir nicht zu ihr gefahren, weil mein Mann meinte, es ist sowieso alles abgeriegelt und wir kommen nicht durch.

Diesmal bin ich also mit dem Kaffee in der Hand und in Hausklamotten aus dem Haus gerannt, zum Auto, und habe Yaron gezwungen, sofort nach Ramat Gan zu fahren, um Quarta abzuholen. Er hatte Einwände, wer ist so wahnsinnig, in eine Gegend unter Beschuß zu fahren?, aber ich habe nur gesagt: wer ist so wahnsinnig, seine Tochter in einer Gegend unter Beschuß zu lassen?, und wir fuhren los. Den Kaffee haben wir mitgenommen.

Im Radio lief ein Alarm nach dem anderen durch. Uns war schon klar, daß das kein „normales“ Ereignis ist, daß etwas vorgeht. Wir waren schon kurz vor Ramat Gan, als Quarta uns anrief. „Kommt nicht! Es sind Terroristen aus dem Gazastreifen nach Israel eingedrungen, sie erschießen die Menschen auf den Straßen, ich will nicht, daß euch etwas passiert!“ Wir haben sie beruhigt und gesagt, daß wir zu ihr kommen und sie ihre Taschen packen soll.

In der Famiien-Whatsappgruppe schickten inzwischen auch Tertia und Secundus besorgte Berichte über Gemetzel im Süden, über Hunderte von Terroristen, die auf Autos und Menschen schießen. Ich habe zurückgeschrieben, daß es immer viele Gerüchte gibt und wir Ruhe bewahren müssen, bis wir mehr wissen.

Wir sind unterwegs am Denkmal für die von den Briten hingerichteten Widerstandskämpfer vorbeigekommen, einem Werk von Chana Orloff. Der kämpfende Löwe von Juda, klein, aber sehr entschlossen. Am liebsten wäre ich aus dem Auto gesprungen und hätte ein Foto gemacht, aber mir war schon klar, daß das nicht der richtige Moment war.

Quarta haben wir dann schnell aufgepickt, und wir waren noch in Ramat Gan, als die Sirenen wieder heulten. Raus aus dem Auto, weg von der Straße, hinter einem Mäuerchen hingekauert, Quarta in der Mitte, und Iron Dome zugeguckt, wie es eine Rakete zerlegte. Nach zehn Minuten wieder ins Auto und weitergefahren. Quarta war genauso ruhig wie wir, weil wir zusammen waren und auf dem Weg in den Norden.

Inzwischen schickten die Kinder mir die ersten Bilder von den Massakern im Süden. Quarta war am Telefon mit ihren Freunden, von denen einige auf einer Rave-Party in Re´im waren und nun um ihr Leben rannten. Die Freundin ihres Mitbewohners hielt sich in einem Wäldchen versteckt, der Mitbewohner wollte sie retten, der Freundeskreis war gespalten, was man nun tun sollte.

Im Radio kamen inzwischen auch die ersten Berichte, und überall war die große Frage: wo ist die Armee? wo ist die Armee? WO IST DIE ARMEE???

Wir kamen zuhause an, schalteten sofort den Fernseher an, und während die Horrornachrichten einliefen und sich langsam ein Bild der Katastrophe abzeichnete, rüsteten wir den Schutzraum aus. Ich fing wieder an zu twittern, einfach um zu teilen, wie sich unser Leben jetzt anfühlte.

Danach verschwimmen die Tage. Schulen und Kindergärten wurden sofort geschlossen, die ersten Angriffe auf die Nordgrenze begannen, das normale Leben war vorbei. Ich meldete mich bei der Leiterin des Erziehungsbereichs in dem Kibbuz, wo ich gearbeitet hatte, um ihr zu sagen, daß ich gern bereit bin, wieder mitzuarbeiten, wenn die Kindergärten öffnen, und auch in der Zwischenzeit alles tun werde, um den Kindern die Situation zu erleichtern. Ich nehme regelmäßig kleine Videoclips für die Kinder auf und wir haben auch immer wieder ZoomKonferenzen. Am Ende der ersten haben wir zusammen HaTikva gesungen.

Quartas und Tertias Jobs lösten sich in Luft auf, und Secundus´ Studentenjob (er ist im letzten Jahr seines MA-Studiums) wurde sehr, sehr intensiv. Mein Mann fährt weiter jeden Tag zur Arbeit, aber für mich ist der Semesterbeginn weggefallen und keiner weiß genau, wie es weitergehen soll.

Über das Grauen, das uns befallen hat, kann ich kaum schreiben. Jeder in Israel kennt Betroffene. Wir sind Kibbuzniks, auch wenn wir jetzt in einem Moshav wohnen. Aber wir kennen andere Kibbuzniks. Die Vorstellung, daß in diese kleinen, friedlichen, offenen Welten, wo Friedensaktivisten und Idealisten leben, große Familien in bescheidenen Häusern, die nie abgeschlossen werden, wo arabische Mitarbeiter herzlich willkommen geheißen werden und wo man stolz ist, Menschen aus dem Gazastreifen Arbeit und Brot zu geben – daß dort Terroristen von Haus zu Haus gezogen sind und ganze Familien zu Tode gefoltert haben, ist so schmerzhaft, daß ich es nicht ertragen kann und trotzdem ständig vor Augen habe.

Die jungen Menschen auf der Party. Beduinische Familien. Senioren an einer Bushaltestelle, die auf ihren Ausflugsbus warteten. Thailändische Landarbeiter. Filipinische Pflegekräfte mit den Holocaust-Überlebenden, die sie betreut hatten. Soldaten und Soldatinnen. Brutal ermordet von lachenden Terroristen, die ihre Taten live streamten und sich damit brüsteten.

Zum Kapitel „wo war die Armee???“ werde ich mal gesondert schreiben, wir wissen inzwischen ziemlich gut, wie es dazu kommen konnte, daß über Stunden niemand den Menschen in Sderot und Nir Oz half.

Wenn in Israel ein Anschlag ist, verbreitet sich eine ganz unheimliche Stimmung. Wir schalten auf pigua-Modus um. Wer ist betroffen, wie können wir helfen, was genau ist passiert, wann wird wer wo begraben? Die Nachrichten berichten, wir warten auf die Namen der Opfer, wir rufen Freunde an. Diese öffentliche Teilhabe an der Trauer hilft, den Schock zu verarbeiten. Kerzen und Blumen werden am Anschlagsort niedergelegt, und wenn es ein Cafe oder Restaurant war, gehen viele Leute hin, um zu zeigen, daß wir diese Orte nicht meiden.

Wir sind jetzt seit vier Wochen im pigua-Modus. Noch immer werden täglich Tote identifiziert, das Bild überwältigenden Grauens ist inzwischen unerträglich deutlich. Ich sehe in den Nachrichten Bilder von Familien, die ich kenne, und die grausam dezimiert sind. Ich habe seitdem noch niemanden getroffen, der nicht mindestens drei betroffene Familien kannte. Die Welt ist längst mental und medial weitergezogen, für uns ist der pigua, der Terrorangriff, noch nicht vorbei. Noch sind nicht alle Toten identifiziert und begraben. Und normalerweise finden jüdische, aber auch drusische, beduinische und muslimische Begräbnisse sofort statt, oft noch am selben Tag, spätestens am nächsten Werktag.

Dann das absolute Schrecknis der Geiselnahmen. Wie die Totenzahlen steigt auch die Zahl der Geiseln noch immer an, je mehr Tote identifiziert sind und je mehr Information gesichtet wird. Die Gesichter der Geiseln begleiten jeden von uns. Ihr kennt die Namen auch inzwischen. Daß die Plakate mit den Bildern der Geiseln weltweit von Unmenschen mit verschlossenen Gesichtern systematisch abgerissen werden zeigt uns, wie groß und moralisch blind der Haß gegen Israel, gegen Juden und Menschlichkeit ist.

Riesige weltweite Demos gegen Israel (während kein Mensch für die Million Afghanen, die Pakistan soeben vertrieben hat, auf die Straße geht). Lügenhafte Berichterstattung (Krankenhaus bombardiert! wer glaubt der Hamas? ALLE glauben der Hamas). Davidsterne auf Häuser gesprayt, wo Juden leben. Angriffe auf Juden und Jüdinnen in aller Welt. Albträume werden wahr, die Gülle sprudelt aus allen Kanälen.

Dazu kommen für uns im Norden die Befürchtungen, die Hisbollah könnte in den Krieg einsteigen. Nasrallah wird uns wohl in wenigen Stunden den Krieg erklären, den er auf kleiner Flamme bei uns im Norden schon seit vier Wochen führt.

Ich habe mich bisher auf Yarons Einschätzung verlassen, daß unser Moshav zu klein und abgelegen ist, um ein wertvolles Ziel für Raketen zu bilden. Wir können zu seinem Vater übersiedeln, er hat eine Einliegerwohnung mit Schutzraum, aber wir wollen die Katzen nicht alleinlassen (ich füttere auch die Nachbarkatzen mit, seit die Nachbarn den Moshav verlassen haben) und obwohl meine Evakuierungstasche gepackt ist, wollen wir hierbleiben, bis die Armee uns mitteilt, daß wir weggehen müssen (dann werden wir die Katzen zu Secundus bringen).

Das Warten auf die Bodenoffensive war schwierig, aber ich verstehe, warum die Armee erst einen detaillierten Plan gemacht hat, der jetzt Schritt für Schritt durchgeführt wird.

Wir hatten hier Alarme und hören ständig die Artillerie, die nach einem Angriff aus dem Libanon zurückfeuern. In der Luft hört man immer das leise Summen von Drohnen. Oft Hubschrauber und Flugzeuge. Sonst war es so ruhig hier.

Im Moshav sind viele Soldaten untergebracht. Vor ein paar Tagen fuhren Panzer bei uns vorm Haus vorbei. Der ganze Norden wimmelt von Soldaten.

Das Land steht zusammen. Arabische Hausfrauen backen und kochen für die Soldaten. Eine Gruppe von Müttern und Erzieherinnen, darunter auch ich, organisieren Aktivitäten für die Kinder, die noch nicht evakuiert sind. Alle sammeln Kleider und Dinge für den täglichen Bedarf für die Familien, die ihr Zuhause verloren haben. Städte, Dörfer, Moshavim und Kibbuzim sind evakuiert. Der Staat erfüllt seine Aufgaben nicht, aber Bürger springen ein. Es werden viele, viele harte Fragen gestellt werden, wenn dieser Albtraum vorbei ist.

Die Houthis beschießen Eilat, wo viele der Flüchtlinge aus dem Süden untergebracht sind, mit Langstreckenraketen. Sie haben uns den Krieg erklärt. Jemenitische IDF-Soldaten antworten darauf mit vielen Clips, auf dem sie jemenitische Volkstänze vorführen. Die jemenitischen Juden sind stolz auf ihre Traditionen und erinnern sich noch sehr genau an die Vertreibung aus dem Jemen.

Die Welt teilt sich wie das Rote Meer vor Moses Stab. Jeder hat eine Meinung, viele davon unqualifiziert, wie wir es kennen. Menschen, die das palästinensische Narrativ vom friedfertigen, verzweifelten, hilflosen Opfer geschluckt haben, versuchen, damit umzugehen, wie die palästinensische Gesellschaft Gewalt verherrlicht (großer Respekt vor den Einzelstimmen, die anders sind). Der westliche Reflex, bei jeder Begegnung mit Palästinensern erstmal zum Portemonnaie zu greifen, ist ungebrochen, wie von der Leyen und Baerbock wieder demonstrierten – nicht einmal die kleinste Bedingung haben sie daran geknüpft. Während 242 Geiseln in der Hand der Hamas sind und tägliche Dutzende Raketen aus dem Gazastreifen auf unsere Zivilisten fliegen, alimentieren europäische Regierungen und EU die Hamas indirekt.

Während ich schreibe, donnert draußen die Artillerie. Ich weiß nicht, was heute weiter passiert, ob heute mit Nasrallahs Erklärung der Krieg hier weiter eskaliert und was das bedeuten wird. Meine Kinder sind über Israel verteilt, wir sind allein mit den Katzen hier im Norden, nur ca 5.5 km von der Grenze entfernt. Der Schutzraum ist vorbereitet, wir haben auch eine geniale Konstruktion meines Mannes, um die Tür zu verriegeln, falls Terroristen versuchen sollten, in unsere Dörfer einzudringen.

Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich die Klamotten im begehbaren Kleiderschrank wieder aufsammeln muß, die die Katzen auf den Boden fegen, wenn sie vor Schreck über die Artillerie hinter Yarons Klamotten flüchten.

Der Ablauf ist immer gleich. Erst höre ich den Beschuß aus dem Libanon. Dann kommen zeitgleich die Artillerie-Antwort und eine Whatsapp-Benachrichtigung des Sicherheitsteams unseres Moshavs. Später höre ich darüber in den Nachrichten, nur eine kurze Nachricht. Der Süden wird viel intensiver beschossen, aber auch in Haifa, Zfat und Eilat war schon Alarm. Das Land ist von allen Seiten bedroht.

Was passiert, wenn die Palästinenser der PA und israelische Araber in großem Stil den Aufstand machen, mag ich mir nicht ausmalen. Es ist möglich. Mehfrontenkrieg mit Intifada. Das ist das Szenario von 1948. Der Unabhängigkeitskrieg ist noch nicht vorbei.

Ich bin kein mutiger Mensch. Meine einzige Berührung mit dem Militär war der Name der Straße, in der ich großgeworden bin: Artilleriestraße. Durch meine Ehe und die Entscheidung, in Israel zu leben und eine Familie zu gründen, habe ich mehr Erfahrung mit Militär, Krieg und Kampf gewonnen, als ich je wollte. Jetzt finde ich mich in einer Situation wieder, in der ich tagelang allein bin, während mein Mann normal zur Arbeit fährt, und mich meinen Ängsten stellen muß. Sorgen um die Kinder, Angst um die Geiseln, Trauer um die verlorenen Menschen, Zorn auf die Menschen, die ihre Augen davor verschließen, was Israel, das Volk Israel, der Staat Israel und das Land Israel (am yisrael, medinat yisrael, eretz yisrael) seit Jahrhunderten durchmachen. Und wie das Volk Israel immer wieder mit Menschlichkeit und Intelligenz reagiert. Ja, auch hier gibt es shmockim, aber im Großen und Ganzen feiert Israel das Leben, das Überleben und das Weiterleben mit Gedenken.

Deswegen bin ich gekommen, und deswegen bleibe ich.

Riesen-Chaos Juli 20, 2020, 20:23

Posted by Lila in Land und Leute.
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Was ist nur los hier? Vielleicht hat die ewiglange Hängepartie bis zur Regierungsbildung Netanyahu und seine Minster (aller Parteien) erschöpft? vielleicht haben sie alle geglaubt, die Corona-Krise ist vorbei, und sich anderen, „wichtigeren“ Dingen zugewandt? Es ist klar, daß die strikten Maßnahmen, die wir im Februar oder März hingenommen haben, weil sie Krise frisch war und alle hofften, sie ginge schnell vorbei, jetzt nicht mehr fassen können. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die versprochenen Gelder sind nur bei wenigen angekommen, und dementsprechend ist die Bereitschaft der Bevölkerung, sich wieder in einen strikten Lockdown einschließen zu lassen, sehr gering. Viele tragen Mundschutz (zumindest in meiner kleinen Welt ist die Zahl der Mundschutz-Verweigerer minimal), aber alle haben Angst, daß Geschäfte, Restaurants und Einrichtungen aller Art wieder geschlossen werden – auch pädagogische. Denn daß wir dann nicht entschädigt werden, sondern weiter hohe Abgaben zahlen müssen, während kein Geld mehr reinkommt, das haben wir jetzt begriffen.

Es ist bestimmt nicht einfach, die richtige Strategie zu fahren – aber die Regierung macht im Moment einfach alles falsch, fast wie aus Bock. Die Minister beharken sich, und absurde Vorschläge werden von Netanyahu vorgebracht, als würden sie alle Probleme lösen: alle Bürger kriegen eine einmalige Zahlung von 750 Shekel – das sind keine 200 Euro. Das Gießkannen-Prinzip, noch dazu sinnlos – das Geld soll schnell ausgegeben werden und „die Wirtschaft ankurbeln“. Inzwischen, nachdem die Kritik an der Idee einhellig war, wird die Idee ein bißchen modifiziert – wer viel verdient, soll das Geld nicht bekommen, wer sehr wenig verdient, noch ein bißchen mehr. Viel sinnvoller wäre es, an der Einkommens- oder Mehrwertsteuer zu schrauben, Strom- oder Wasserpreise zu senken o.ä., zumindest für ein paar Monate. Das würde auch viel Geld kosten, aber es wäre nicht nur ein einmaliges Bonbon.

Mir fällt dabei das Gedicht von Anna Louisa Karsch ein, die ein Geldgeschenk Friedrichs des Großen zurücksandte:

„Zwei Taler gibt kein großer König,
den sie erhöhen nicht mein Glück;
Nein, sie erniedern mich ein wenig,
Drum send‘ ich sie zurück.“

Als Beispiel für das typische Hin und Her – die Restaurants. Letzten Freitag hieß es: die Restaurants werden wieder geschlossen (obwohl keine Beweise vorliegen, daß sich dort viele Menschen angesteckt haben). Die Gastronomiebranche war entsetzt und empört – sie hatten gerade erst wieder aufgemacht, hatten schon Waren fürs Wochenende bestellt und waren überhaupt nicht auf eine so schnelle Schließung vorbereitet. Es gab spontane Demonstrationen und große Solidarität mit den Mitarbeitern. Da ruderte die Regierung schnell zurück – bis Dienstagnachmittag (also morgen) dürften die Restaurants offen bleiben, dann schließen, hieß es. Heute hat sich das wieder geändert – sie dürfen nur noch draußen bewirten. Oder drinnen. Ich weiß es nicht mehr. Die Entscheidung ist noch offen.  Aber Restaurantbesitzer sollen mit diesen sich ständig ändernden Informationen ein Geschäft führen, Angestellte entlassen oder wieder einstellen, Waren bestellen oder wegwerfen – alle hängen mit dem Ohr am Radio, um zu wissen, was erlaubt und was verboten ist. Das ist komplett verantwortungslos.

Auch die Sommer-Aktivitäten für Kinder (Sommerschulen, Sommercamps etc) stehen ständig in der Diskussion, vom anstehenden neuen Schuljahr ab 1. September ganz zu schweigen. Für die Eltern ist das eine Frage von Sein oder Nichtsein – wegen Corona fallen bekanntlich Oma und Opa aus, und wenn die Kinder in den langen Sommerferien nicht irgendwo betreut werden, können die Eltern nicht arbeiten. (Israelis haben deutlich weniger freie Tage als Deutsche, und die Sommerferien sind gefürchtet, weil sie von Ende Juni bis zum 1.9. dauern).

Für uns bedeutet das, daß die Kindergärtnerin uns jeden Morgen die neusten Anweisungen durchgibt. Noch ist klar, wir machen weiter, und ich glaube, das Letzte, woran Netanyahu sich jetzt wagen würde, wären die Sommer-Angebote für Kinder. Er weiß, daß die ohnehin schon mental und finanziell überlasteten Familien es nicht schaffen würden, wenn ein Elternteil ausfiele – von den Alleinerziehenden ganz zu schweigen.

Heute abend packten in Tel Aviv in einer Halle bekannte Künstler Pakete mit Lebensmitteln für die unbekannten Mitarbeiter der Entertainment-Industrie. Aviv Geffen erzählte, daß er täglich Anrufe von notleidenden Menschen erhält, deren Einkünfte weggebrochen sind, seitdem es keine Konzerte, Theater und andere kulturellen Angebote mehr gibt. Und staatliche Hilfe gibt es für Freelancer nicht, oder nur so gering, daß man davon nicht wirklich leben kann.

Wofür ist Geld da? Nicht nur eine abstrus aufgeblähte Regierung mit 36 Ministern samt Vize-Ministern – Netanyahu fordert alle möglichen Begünstigungen auch für die Zeit, in der Benny Gantz PM werden soll (na wenn wir das je erleben). Die Bewegung der Schwarzen Flaggen demonstiert gegen ihn, das Volk ist wütend, und unter Druck macht Netanyahu keine gute Figur.  Viele kompetente Leute hat er vergrault, viele wichtige Posten rein politisch mit Jasagern oder Opportunisten besetzt, und sein Privatkrieg gegen das Justizsystem hilft nicht. Bombastische Ankündigungen wie die „Annektion“ am 1.7. sind destruktiv und peinlich, denn am Ende wird nichts daraus (wie aus so vielen anderen Ankündigungen Netanyahus – wo ist der neue Ort auf Trumps Namen, wo die vielen neuen Siedlungen, die er angekündigt, aber nie gebaut hat? wo das Geld, das angeblich jeder kriegen sollte, der in unbezahlten Urlaub geschickt wurde?).

Wie es weitergehen wird? Hoffentlich reißen sich bald alle zusammen. Tova Lazaroff und Haviv Rettig Gur verlinke ich mal, wenn jemand aus berufenerem Munde als meinem verstehen möchte, wie Israel in dieses Chaos geraten ist. Ja, ich verstehe, daß es schwierig ist, diese Krise über Monate hinweg zu managen, während die anderen Herausforderungen ja nicht verschwinden. Aber muß es eine Kette von ad-hoc-Entscheidungen sein, die widerrufen werden, bevor sie noch bis zum letzten Radiohörer durchgedrungen sind?

Erleichtert Juli 12, 2020, 23:06

Posted by Lila in Kibbutz, Kinder, Katzen.
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Heute war ein Kindergarten-Tag ohne Kinder. Alle Kinderhäuser hatten die Anweisung, einen Putz-und-Desinfizier-Tag einzulegen. Ich weiß nicht, wie dieser Tag in anderen Kinderhäusern begangen wurde, bei uns war es eine Art Putzorgie, von der man normalerweise nur träumen kann. Wir haben den Kindergarten auseinandergenommen, gewienert und wieder zusammengesetzt. Eine 2-Liter-Flasche Chlorreiniger haben wir verputzt. Meine Methode, Legosteine und andere Spielsachen sauberzumachen (in ein großes Becken mit Reinigungsmittel legen, 2 Stunden in Ruhe lassen, dann abspülen und in der Sonne mit viel Schütteln trocknen lassen), kam zur glorreichen Anwendung, aber auch die Methode meiner Kollegin (Tuch in Spülmaschine legen, Spielzeug drauf, kurzer Spülgang) ist nicht schlecht, und sämtliche Dinosaurier, Spielfiguren etc sind durch unsere Hände gegangen.

Ich habe mich erboten, die Wäsche für den Kindergarten zu übernehmen, weil die Kolleginnen mit der bisherigen Wäscherei nicht zufrieden waren, und habe jetzt neun Säcke Textilien im Flur, die ich morgen in Angriff nehmen werde – Verkleidungen, Tücher, Stofftiere, aber auch Putzlappen und Handtücher.

Wir haben die ganze Zeit Musik gehört, eine Kollegin hat ein üppiges Frühstück vorbereitet, aber bis auf die Frühstückspause haben wir durchgearbeitet. Jetzt ist die Puppenecke umgebaut, die Wände sind abgewaschen, und mein besonderes Steckenpferd: sämtliche Tische, Stühle und Hocker habe ich umgedreht und auch von unten geputzt. Überflüssige Sachen haben wir entsorgt, und alle Arbeiten, für die man sonst nie Zeit hat, haben wir uns geteilt. So hat das Spaß gemacht.

Wir haben uns sämtliche Sorgen von der Seele geputzt, und ich war die letzte, die am Ende den Schlüssel umgedreht hat.

Vorhin kam dann die Entwarnung: bisher sind alle Tests negativ, und bis auf ein Kinderhaus, wo Angehörige der Kinder noch auf ein Ergebnis warten, kann das gesamte System am Dienstag wieder geöffnet werden. Da der Montag sowieso mein freier Tag ist, verliere ich also kaum Arbeitsstunden.  Mal gucken, wie wir die Kinder nach dieser Krise und Aufregung auffangen und schnell zur gewohnten Routine übergehen. Wir haben uns dazu heute schon Gedanken gemacht. Das besondere Sommerprogramm wollen wir nicht sofort wieder aufnehmen, sondern erstmal ein paar ganz ruhige Tage vergehen lassen. Und dann machen wir viel Kunst.

Hoffentlich ist bald nicht nur in meinem Umkreis, sondern im ganzen Land der Spuk vorbei. Leider steigen die Zahlen weiter an. Busfahren ist zum Albtraum geworden – nur noch 20 Fahrgäste pro Bus, man kann also Stunden damit verbringen, Busse vorbeifahren zu sehen, die einen nicht mitnehmen. Klimaanlagen dürfen nicht mehr benutzt werden, die Busse fahren mit offenen Fenstern, im israelischen Hochsommer kein Vergnügen. Maskenpflicht ist selbstverständlich. Inzwischen sieht man wirklich kaum noch Leute ohne Mundschutz. Sogar im Kibbuz, wo bis vor kurzem nur wenige Menschen mit Mundschutz rumliefen, sind inzwischen alle umgeschwenkt.

Sollte die Regierung tatsächlich kleine Freiberufler wie mich für Einkommens-Einbußen entschädigen, wäre das zu schön, um wahr zu sein. Bisher habe ich nichts bekommen, und das Ausfüllen der Anträge war wie ein Hürdenlauf: nur Gründe, warum ich keinerlei Anrecht habe. Und das, obwohl ich seit 32 Jahren fast ununterbrochen arbeite und bituach leumi bezahle (die Nationalversicherung, die u.a. Arbeitslose unterstützen soll). Im Februar bin ich in unbezahlten Urlaub geschickt worden und hatte bis Mai null Einkünfte. Aber wie mein Mann sagt: der Staat Israel ist gut im Nehmen, weitaus weniger gut im Geben. Wie gut, daß ich wieder arbeite. Sowohl die Arbeit mit den Kindern als auch die schlichte physische Arbeit wie heute tun mir gut. Und morgen unterrichte ich sogar wieder.

Ungern Juli 10, 2020, 18:40

Posted by Lila in Kibbutz, Kinder, Katzen.
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sieht man einen geschlossenen Kindergarten, sagt das alte Lied.

 

Gestern hatten wir noch einen besonderen Tag – den Pyjama-Tag. Ich bin zwar nicht im Nachthemd aufgekreuzt, aber ich hatte Erdmann, den Maulwurf dabei, außerdem das Buch vom kleinen Häwelmann. Ich war nicht sicher, ob die alte Geschichte bei Kindern ankommt, die nachmittags Fortnite spielen, aber sie nahmen großen Anteil und mochten besonders das Ende. Die Kinder sind Vorlesen gewöhnt, aber freies Erzählen ist nochmal was anderes.

Der Kindergarten war verdunkelt,  auf dem Boden lagen Picknick-Matten und Kissen, statt Frühstück gab es Abendessen, und obwohl zwei Kolleginnen fehlten, haben wir den Kindern einen schönen Tag gemacht.

Aber in der Nacht wurde bekannt, daß es im Kibbuz und seiner Umgebung noch mehr Menschen gibt, die sich mit dem Virus angesteckt haben, und jetzt ist alles zu. Auch der Kindergarten. Die düstere Prophezeiung einer Mutter ist also eingetroffen, leider, aber ich hoffe natürlich, daß es schnell vorbeigeht und wir wieder zurück an die Arbeit können. Ich bin wieder in unbezahltem Urlaub, und da ich knapp unter den zwei Monaten liege, die man braucht, um Arbeitslosenunterstützung zu bekommen, geht mein Einkommen wieder in den Keller. Mal gucken, ob ich einen anderen Job an Land ziehen kann, ein paar Übersetzungen oder so. Ich unterrichte nach wie vor einmal die Woche. Aber das füllt mich nicht wirklich aus. Vielleicht kann ich mir ja einen Ruck geben und trotz Hitze ein bißchen im Garten arbeiten….

Ich denke mit großer Sehnsucht an die Kinder, die netten Eltern und Kolleginnen, den ausgefüllten Tag und den Kinderlärm. Die Kinder hatten sich gerade wieder unbeschwert gefühlt, die Gruppen waren schon fast wieder vereinigt, und dann diese schnelle Entwicklung. Hoffentlich werden die Betroffenen (keine Ahnung, wer sie sind) bald wieder gesund, und hoffentlich nehmen die Kinder es nicht zu schwer, daß ihr Kindergarten nun geschlossen ist.

Näher und näher Juli 8, 2020, 20:51

Posted by Lila in Kibbutz, Kinder, Katzen.
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zu Dir, o Corona…. Inzwischen gibt es auch im Ort Corona-Fälle, im Umfeld eines meiner Kinder und auch im Kibbuz, in dem sich der Kindergarten befindet, wo ich arbeite (im Gegensatz zu diesem SPon-Artikel – danke an den tüchtigen Freund, der mich mit dem Link versorgte).

Da in einem Kibbuz alle eng vernetzt sind, weil sie zusammen arbeiten oder Kinder in derselben Klasse oder im selben Kinderhaus haben, weil sie zusammen Kultur machen, Nachbarn sind oder in einem Ausschuß sitzen oder eine die Zahnärztin des anderen ist… deswegen ist die Besorgnis groß. Familien mit gefährdeten Angehörigen behalten die Kinder zuhause. Die getrennten Gruppen sind zur Verwirrung der Kinder wieder eingeführt, nachdem wir sie neulich erst fast aufgehoben hatten. Wir arbeiten nur mit Mundschutz, machen vieles mit Handschuhen, desinfizieren ständig alles und meine Hände sind schuppig wie greise Alligatoren vom vielen Alko-Gel. Nach wie vor wird jedes Stückchen Apfel getrennt serviert, kein Kind berührt das Essen der anderen, und wir tragen beim Servieren Handschuhe.

Einer der Väter sagte vorgestern: „der ganze Kibbuz ist geschlossen, nur der Kindergarten ist offen!“ Ob er das anerkennend oder grimmig meinte, konnten wir nicht erkennen – Mundschutz allerseits.

Es sind ja Sommerferien, und vor einer Woche war die große Jahres-Abschluß-Feier, wie berichtet. Die Großen, die ab September in die erste Klasse (kita aleph) gehen sollen, sind noch im Kindergarten, denn wir bieten über die Sommermonate eine kaitana, also ein Sommerprogramm. Wir hatten schon den Seifenblasen-Tag, den Schmink-Tag, heute war Sport-Tag (ein Parcours im Kindergarten mit sechs Stationen, wir waren am Ende ALLE alle), morgen ist Pyjama-Tag. Die Kinder haben mich gefragt, ob ich im Schlafanzug komme, und ich hoffe nur, ich kann mir noch was leihen!

Den Pyjama-Tag habe ich übernommen, und es gibt Schattentheater, zwei Gutenachtgeschichten, eine Erklärung, wie man den großen Wagen findet, Kim-Spiele mit geschlossenen Augen und Wiegenlieder aus verschiedenen Ländern. Oh, und statt Frühstück Abendessen. Wer noch Ideen hat, kann sie gern bei mir loswerden 🙂 Aber bitte noch vor Mitternacht, ich gehe nämlich gleich selbst schlafen.

Zweimal die Woche mache ich Kunst, und das Programm sieht wirklich vergnüglich aus. Die Kinder kennen mich inzwischen alle, und meine Sammlung an Kunstwerken, die mir persönlich gewidmet wurden, wächst. Selbst die eher schüchternen Kinder und die, die jeden Personalwechsel sehr schwer nehmen, akzeptieren mich langsam. Ich mache da auch keinen Druck, ich warte immer, bis die Kinder zu mir kommen und mich z.B. zum Spielen einladen. Ich kann gut verstehen, daß sich nicht alle sofort auf eine neue Mitarbeiterin stürzen. Die leitende Kindergärtnerin ist die Haupt-Beziehungsperson, und sie arbeitet schon zehn Jahre dort. Auch zwei Mitarbeiterinnen sind schon viele Jahre dabei. Aber ich bin nun mal neu (wenn auch alt :-D).

Es ist nun, wo ich die Kinder schon besser kenne, interessant und auch etwas traurig zu sehen, wie sehr die Kinder den Streß der Erwachsenen mitkriegen. Obwohl wir uns bemühen, ehrliche, sachliche Informationen zu neuen Regeln etc zu geben, Fragen ebenso ehrlich zu beantworten und ansonsten mit guter Laune die Routine weiterführen, fällt den Kindern natürlich auf, daß die Situation die Erwachsenen bedrückt. Am Tisch wird diskutiert, wer in Isolation (bidud) ist und wer nicht, und „vor Corona“ bzw „nach Corona“ sind feste Zeitangaben. Im Spiel werden schon mal Isolations-Zimmer gebaut.

Was mögen sich die Kinder dabei denken, wenn es um Isolation oder Virus geht? Woran werden sie sich später erinnern? Werden sie alle für ihr Leben unter Bazillenfurcht leiden, Obst und Gemüse mit Klorix waschen und die Türklinken dreimal am Tag mit Desytol besprühen?

Wir bemühen uns sehr, als Team ganz ruhig zu bleiben, obwohl jede von uns natürlich auch private Sorgen hat. Die Kindergruppe ist deutlich kleiner, was die Arbeit oft erleichtert, aber dafür sind die Kinder und Eltern nervöser, die neuen Anweisungen prasseln schneller auf uns ein, und mit Desinfizieren könnten wir uns pausenlos dranhalten. Eine Mutter meinte heute düster, „jetzt werden ganz viele Kibbuzniks getestet, und ihr werdet sehen, was dann los ist“, aber meine Kolleginnen und ich sind uns einig, daß weder Gerüchte noch morbider Pessimismus in Hörweite der Kinder gehören.

Als eines der Kinder heute fragte: „und was, wenn der X Corona hat?“, sagten meine Kollegin am Tisch und ich gleichzeitig: „dann wünschen wir ihm schnelle Genesung“.

Die Zeiten sind merkwürdig. Zu Anfang gingen alle Veränderungen sehr schnell, jetzt scheint die Prä-Corona-Zeit sehr fern. Wie fern erst für Kinder, die ja gar nicht so viel Prä-Corona-Lebenszeit ansammeln konnten.

Ich bin so froh, daß ich diesen sehr besonderen und freundlichen Ort gefunden habe, zu dieser schwierigen Zeit, wo ich meine schwer erworbene Altersweisheit in bescheidener Form loswerden kann.

Corona, Corona, wer will es noch hören? Juli 2, 2020, 21:24

Posted by Lila in Persönliches.
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Mir tun alle Frauen leid, die mit dem edlen, goethisch klingenden Vornamen Corona geschlagen sind – falls es noch welche gibt – denn niemand kann das Wort mehr hören. Nachdem wir Anfang, Mitte Mai gedacht hatten, daß wir vielleicht das Schlimmste hinter uns haben, steigen die Zahlen jetzt irrsinniger an als im März oder April. Aber die Wirtschaft läuft wieder fast normal, d.h., wer Arbeit hat, der arbeitet.

Mir persönlich rückt dieses Virus immer näher auf den Pelz. Ich kenne mehr und mehr Leute, die mit Kranken in Berührung waren und sich nun in Isolation begeben müssen. Zweien davon bin ich sogar relativ nahegekommen in der letzten Zeit, also „nahe“ in Zeiten sozialer Distanz. Tun kann man nicht viel, außer den Hygiene-Ratschlägen Folge leisten, was ich natürlich genau wie alle Menschen meiner Umgebung tue.

Ein Wiedersehen mit meinen Schwiegereltern oder gar meiner Mutter scheint unendlich fern zu liegen. (Post aus dem Ausland habe ich seit vielen Monaten nur noch äußerst spärlich erhalten – meine Geburtstagsgeschenke sind vermutlich verlorengegangen, sonst wären sie doch schon hier, oder?) An Mundschutz bei Hitzewelle haben wir uns fast schon gewöhnt. Gegen das viele Putzen mit Desinfektionsmittel kann man kaum ancremen. Der innere Sorgen-Wasserstand steigt, doch er ist auch abstrakter geworden – aus Bildern und Geschichten sind Zahlen, Tendenzen und Theorien geworden.

Als ich heute in Nahariya an der Ampel stand und um mich herum fast nur noch Leute mit Mundschutz sah, merkte ich, wie sehr ich mich schon dran gewöhnt habe.  Die Gewöhnung befremdet mich mehr als der Anblick selbst. Täglich bekomme ich per Whatsapp vom Ortsvorsteher einerseits, der Vorgesetzten andererseits die neusten Anweisungen und Informationen zugeschickt. So schnell werden wir diese Geschichte wohl nicht los.

Tip von einem Freund Juni 30, 2020, 21:32

Posted by Lila in Kibbutz, Kinder, Katzen.
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https://www.deutschlandfunkkultur.de/das-revival-des-kibbuz-zusammen-leben.3720.de.html?dram:article_id=477068

 

 

Freude, Freude, Freude Juni 30, 2020, 21:31

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Im Moment geht es mir so gut wie seit langem nicht mehr. (Abgesehen davon, daß ich meine Familie und Freunde in Deutschland und Israel vermisse, aber davon reden wir heute mal besser nicht.) Ich habe in allen Bereichen meines Lebens Freude. Langsam kommen wieder Aufträge, ich unterrichte den Sommer über weiter per Zoom und habe auch schon einen Vortrag so richtig vor Publikum gehalten, oder waren es zwei? Unterrichten macht einfach Spaß. Ich kann immer noch nicht glauben, daß ich tatsächlich dafür bezahlt werde, Leuten was zu erzählen, über die Dinge, die mich brennend interessieren. Verrücktes Konzept!

Im Kindergarten habe ich ebenfalls riesige Freude. Ich fange jeden Morgen als Erste an und oft bin ich noch mit den ersten eintreffenden Kindern allein. Wie sehr mir der Umgang mit Kindern gefehlt hat, wußte ich selbst nicht – ich genieße den Lärm und die vielen Fragen und die Begeisterung der Kinder. Es ist so ein wichtiges Alter.

Heute war eine große Feier – das Schuljahr ist zu Ende, jetzt fangen die Sommerferien an. Die reguläre Kindergärtnerin ist ab morgen in Urlaub, sie wird von einer jüngeren Kollegin ersetzt, und zu dritt planen wir ein Programm für kreative Sommerferien. Das Team hat nämlich entdeckt, daß ich ausgebildete Kunstlehrerin bin (und eines meiner Diplome ist sogar für Kunst in der Früherziehung) und richtige Lehrpläne schreiben kann – mit dem Umsetzen geht es erst in den nächsten Tagen los. Ich war zwar bis jetzt höchst zufrieden mit einer Rolle im Hintergrund, aber eine etwas professionellere Aufgabe ist auch schön. Und ich habe riesige Lust dazu, wieder Kunst mit Kindern zu machen.

Ich habe meinen Zwiespalt zwischen Pädagogik und Kunst ja nie wirklich auflösen können und kann es immer noch nicht. Darum paßt es mir so gut, die Woche zu unterteilen.

Die Abschlußfeier heute war schön, aber auch merkwürdig, weil die Eltern ausgeschlossen waren. Die Kindergärtnerin hat trotzdem eine komplette Feier durchgezogen, es war wahnsinnig viel Arbeit, und eine der Kolleginnen hat alles gefilmt. Die Eltern konnten per Zoom zugucken, wie ihre Kinder tanzen und singen. Sie hatten einen sehr schönen Videoclip aufgenommen, in dem alle Elternpaare vorkamen und in Gebärdensprache ein schönes Lied begleiteten. Das war für die Kinder ein Höhepunkt. Zu diesem Lied:

 

 

Die beiden letzten Lieder und Tänze waren dann draußen vor dem Kindergarten – die Eltern standen mit Mundschutz hinter einem Flatterband. Einer der Väter hatte eine Drohne dressiert, die alles von oben filmte, und die Kinder waren begeistert.

 

Die Atmosphäre in einem Kibbuz ist selbst unter Corona-Bedingungen so freundlich, so offen, ich kann es nicht beschreiben. Die Eltern arbeiten teils im Kibbuz, teils draußen, viele sind auch selbst keine Kibbuzniks, sondern haben sich ein Haus im Neubaugebiet des Kibbuz gebaut. Aber die Entscheidung, die Kinder in einem Kibbuz großzuziehen, sagt schon aus, daß das Familienleben der höchste Wert ist. Und die Kindergärtnerinnen sagen beiden, sie haben an keinem anderen Arbeitsplatz so viel Respekt von Eltern und Kindern erfahren wie in einem Kibbuz-Kindergarten. Sie sind aber auch, jede auf ihre Art, sehr gute, engagierte Pädagoginnen, denen nichts entgeht. Die Eltern verlassen sich auf den Kindergarten, und nach allem, was ich bisher mitbekommen habe, können sie das auch.

Irgendwas ist immer noch dran an so einem Kibbuz-Leben, auch wenn die Außenwelt natürlich eindringt, was ja auch in vieler Hinsicht gut ist.

 

Ich habe wenig Zeit für die Nachrichten, kriege wohl mit, daß die Corona-Wellen weiter rollen, nicht nur bei uns, und daß Netanyahu sich aus Trumps nie richtig vorgestelltem Plan die Rosinen rauspicken will, die sauren Äpfel hingegen liegenlassen will. Ich habe keine Zeit oder Lust, tiefer in die Materie einzudringen – mein Eindruck ist, daß Trumps Plan nicht grundlegend verschieden ist von den unzähligen früheren, die alle auf Gebietstausch  und -ausgleich hinauslaufen, außerdem die Gründung eines Staats Palästina. Waren frühere Pläne oft zugunsten der Palästinenser gewichtet, hat Trumps Vorschlag wohl eine Schlagseite in Richtung Israel. Daß Netanyahu daraus noch schnell unilaterale Schritte machen will, zeigt vielleicht, daß auch er nicht an einen Wahlsieg Trumps im November glaubt – dann wäre nämlich Zeit geblieben, den Plan erstmal vernünftig durchzuarbeiten. Aber jetzt soll alles husch-husch über die Bühne gehen. Ich halte das für einen Fehler, auch wenn es sicherheitspolitische Gründe dafür gibt. Unter einem Präsident Biden geht es dann wieder in die andere Richtung, und nichts ist gewonnen, dafür aber viel verloren.

Inzwischen habe ich von Bibi die Nase so voll, daß ich nicht mal Lust habe, mehr zu diesem Thema zu sagen oder zu lesen. Ich hoffe, es kommt noch was dazwischen.

So geschehen Juni 7, 2020, 19:10

Posted by Lila in Land und Leute.
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Heute nach der Arbeit, ich sitze am Busbahnhof in Nahariya, einem tristen Ort, auf einer Bank. In einiger Entfernung von mir eine junge Frau mit Mundschutz. Sie sieht aus wie ein orientalisches Schneewittchen. Sie murmelt ärgerlich vor sich hin und beschließt wohl, daß ich der richtige Mensch bin, ihren Frust rauszulassen.

Schneewittchen: Ist das zu glauben, eine ganze Stunde! Eine ganze FUCKING Stunde warte ich hier auf den Bus! Unmöglich! Kannst du dir das vorstellen?

Ich: Vermutlich fährst du sonst mit dem Auto? Habe ich mir gedacht. Leute, die immer Bus fahren, wie ich, finden eine Stunde Wartezeit nicht schlimm. Erst ab anderthalb Stunden nervt es. Aber du hättest besser in einem Cafe gewartet als hier.

Schneewittchen: So? Na, gut daß ich ein Auto habe. Bist du Kibbuznikit? Du klingst, als wärst du aus einem Kibbuz.

Ich (erfreut, daß ich endlich mal nicht wie ne Ausländerin klinge): Ja, bin ich, auch wenn wir nicht mehr im Kibbuz leben.

Schneewittchen: Und guck mal, wie wir jetzt dasitzen, mit diesen bescheuerten Masken. Als würde das was nützen.

Ich: Ja, und es sieht so aus, als würde die zweite Welle tatsächlich kommen.

Schneewittchen: Die 2. Welle, das sag ich dir, die wird schlimmer als die erste. Wir werden uns noch nach der ersten sehnen. Es gibt viel mehr Infizierte, als die Medien berichten. Es wird viele Tote geben.

Ich: Oh, das will ich doch nicht hoffen.

Schneewittchen: Und warte mal, bis die 3. Welle kommt. Dann wird es ganz schlimm. Dann kriegen wir es alle, und dann wird man es uns auch ansehen.

Ich: Wie werden wir dann aussehen?

Schneewittchen: Wie Mumien. Wie Zombies. Das Virus wird uns von innen auffressen.

Ich (taktvollerweise übergehend, daß Mumien und Zombies nicht gleich aussehen): Wirklich?

Schneewittchen: Ja, und dann hilft nur noch Chlor.

Ich: Zum Desinfizieren?

Schneewittchen: Als Behandlung. Das machen die jetzt schon. Jeder, der Corona hat, kriegt Chlor gespritzt. Unverdünnt.

Ich: [sprachlos]

Schneewittchen: Ah, da ist ja der Bus. Tschüs, und vergiß nicht, was ich dir gesagt habe!

Ich: Tschüs, und nein, ich vergeß es bestimmt nicht…

 

Ich habe nicht dazugesagt: … allein schon, weil ich das alles in meinem Blog aufschreiben werde, auch wenn es mir keiner glaubt.

 

Die zweite Welle Juni 2, 2020, 20:16

Posted by Lila in Kibbutz, Kinder, Katzen, Persönliches.
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steigt und rollt. In Schulen und teilweise auch Kindergärten gibt es zunehmend neue Corona-Fälle. Viele Kinder sind in Quarantäne, betroffene Schulen geschlossen, und keiner weiß, wie es nun weitergeht. In unserem Kindergarten fangen wir an, schrittweise wieder gemeinsame Aktivitäten einzuführen, an denen beide Gruppen teilnehmen, aber mit minimalem Kontakt. So haben wir unseren ersten Ausflug durch den Kibbuz gemacht, aber die Gruppen gingen getrennt. Es war trotzdem schön, natürlich haben wir Familienmitglieder der Kinder getroffen, das ist im Kibbuz eben so.  Keiner weiß genau, wie es weitergeht, wir bekommen jeden Tag neue Anweisungen und wir achten sehr auf Hygiene, Distanz und Mundschutz. Meine ganze Putzteufelei werde ich im Kindergarten los. Wo eine Kinderhand hingefaßt hat oder hätte hinfassen können, wischen und desinfizieren wir. Es wäre ein Albtraum, wenn es bei uns eine Ansteckung gäbe.

Wir servieren das Essen jedem Kind einzeln, mit Handschuhen, auf desinfizierten Tischen mit Papier-Unterlagen auf Einmal-Geschirr, was wir alle für Quatsch halten (die Spülmaschine spült schließlich sehr heiß, d.h., unser Geschirr müßte virenfrei sein), aber einhalten müssen. Die Eltern dürfen noch immer nicht in den Kindergarten rein, und das ist eigentlich gut, denn so ist der Kindergarten eine Art Arche Noah, und die Abschiede und Wiedersehensfeiern spielen sich auf der Eingangsterrasse ab. Die meisten Abschiede morgens sind vollkommen problemlos, und die Kinder spielen, malen und erzählen vergnügt den ganzen Tag über. Die Sorgen der Erwachsenen scheinen sie nicht zu berühren, trotzdem bin ich sicher, daß sie sich immer daran erinnern werden, an diese ganzen neuen Rituale.

Ich habe weiterhin Spaß daran, ihnen einfach zuzuhören. Heute ging es an „meinem“ Tisch darum, wie komisch behaart Erwachsene sind. Die Kinder tauschten ihr Befremden darüber aus und sprachen dabei über Erwachsene wie über eine fremde, etwas bedauernswerte Spezies.

Gestern fiel für eine Stunde der Strom aus, es war über Mittag recht dunkel im Kindergarten und die Atmosphäre ganz anders, ganz still. Alle wurden ziemlich müde, wir auch, aber es war so friedlich. Das helle künstliche Licht putscht doch ein bißchen auf. Wir haben uns daran erinnert, wie es früher war, als in Kindergärten noch Mittagsschlaf gehalten wurde. Wie die Kinder in ihren Betten rumkasperten, während wir todmüde versuchten, sie zur Ruhe zu bringen. Ich weiß noch, welche Kinderschallplatten liefen. Wenn sie dann eingeschlafen waren, mußten wir sie fast schon wieder wecken, damit sie um vier abholfertig waren. Nein, der Mittagsschlaf fehlt den Kindern nicht, aber eine ruhigere Stunde nach dem Mittagessen ist uns allen lieb. Und dann kamen Freudenrufe, als Licht und Klimaanlage wieder ansprangen.

Gleichzeitig mit den Sorgen über ein Corona-Comeback läuft immer noch das Projekt „Normalität, kehr doch wieder“, und ich werde wieder zu Vorträgen eingeladen, die im Februar und März ausfielen. Tagsüber lasse ich mir also Bananen-Suppen aus Sand und Blättern servieren und desinfiziere kleine Stühle, abends bereite ich Vorträge vor, unterrichte außerdem weiter online, was auch vorbereitet werden muß. und habe keine Ahnung, wie es im Herbst weitergehen soll. Es wird mir jedenfalls seltsam vorkommen, in zwei Wochen wieder vor einem echten Publikum zu stehen – soll ich einen Mundschutz benutzen? das Mikrofon vorher und nachher desinfizieren? wird das überhaupt stattfinden?

Ich hatte gedacht, diese Zeit der Merkwürdigkeiten wäre vielleicht fast vorbei. Aber es könnte noch eine Weile dauern.

 

Nun doch Mai 31, 2020, 19:23

Posted by Lila in Land und Leute.
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Leider höre ich doch wieder Nachrichten – eine zweite Corona-Welle kündigt sich an, und zwar in pädagogischen Einrichtungen, also geht es mich an und ich möchte wissen, wie die Anweisungen entstehen, die wir jeden Tag umsetzen. Bisher betrifft es überwiegend Jerusalem, Tel Aviv und den Süden – aber man weiß nicht, ob nicht auch im Norden Schüler und Lehrer sich anstecken

Und leider steigt mir sofort der Blutdruck bei den politischen Nachrichten. Die gigantisch aufgeblasene Regierung mit ihren Fantasie-Ministerien hat beschlossen, das Budget besonders des Sozialministeriums zu kürzen, damit sie Geld für diese komplett überflüssigen neuen Ministerien hat. Sprich: Arbeitslose, sozial schwache Familien und Rentner bezahlen für diese komplett lächerlichen neuen Minister. Ich spüre den Zorn in Wellen. Itzik Shmuli und Miri Regev sprachen sich zwar wortreich dagegen aus – stimmten dann aber doch dafür.

Ich muß das wieder ausmachen, ich kann einfach nicht glauben, daß aus diesen endlosen Verhandlungen eine solche Albtraum-Regierung entstanden ist. Überall, nicht nur in Nahariya, gehen die kleinen Geschäfte pleite, doch kein Geld ist übrig für ihre Rettung – das muß die Ministersessel für Orly Levy und Yariv Levin zahlen. Guckt Euch die Liste selbst an. Besonders ärgerlich „Minister ohne Portfolio“ und die vielen Vize-Minister. All diese Leute verdienen für den Rest ihres Lebens gut und kriegen dicke Pensionen. An jedem Ministerium hängen Mitarbeiter, Reisebudget etc. Es kostet Millionen von Shekeln.

Nein, ich komme nicht darüber hinweg. Benny Gantz ist eine Nulpe. Wie können er und seine Leute das mitmachen? War das wirklich der einzige Weg, eine Regierung zu bilden?

Was ich dazu sage? Mai 30, 2020, 8:54

Posted by Lila in Kibbutz, Kinder, Katzen.
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Wie, was, irgendwas mit Bibi? Regierung? Trump? Weiß ich nichts von. Ich habe, als die Regierungsbildung feststand, einerseits tief durchgeatmet, denn endlich haben wir eine funktionierende Regierung, und ohne ging schon nichts mehr. Dann habe ich noch einmal tief durchgeatmet, als ich gesehen habe, wie viele Operetten-Ministerien errichtet werden, um politische Trostpflaster zu verteilen, das alles auf Kosten der ohnehin schon überlasteten Steuerzahler, und zwar auf Jahrzehnte. Eine gigantische Regierung mit 36 Ministern! und das in Zeiten, wo kleine Geschäfte und auch größere Unternehmen pleite gehen und viele Arbeitnehmer arbeitslos sind.

Nach diesen Atemzügen habe ich das Gesicht abgewandt und endlich auf Quarta gehört. „Mama, keine Nachrichten mehr, du ärgerst dich bloß, und machen kannst du sowieso nichts“. Also bin ich mal wieder im Nachrichten-Moratorium, hüte mich vor Webseiten, Radio und Fernsehen, und ach, das tut eigentlich sehr gut.

So gut, daß ich letzte Nacht einen kleinen Albtraum habe, nämlich daß ich bei deutschen Freunden bin und höre, wie die in der Küche über Israel herziehen. „Wenn Israel mal einen kranken Palästinenser zu fassen kriegt, hängen sie ihn zur Warnung aus dem Krankenhausfenster, sie würden nie einen behandeln…“ und solche Sachen. Irgendwann bin ich wie eine Hornisse in diese Küche geschwirrt und wollte meine „Lügen! Lügen! alles Lügen!“ sagen. Dann fiel mir auf, daß es nur ein Traum war, und es war mir im Traum sehr peinlich, daß ich auf einen Traum reingefallen bin, und habe mich entschuldigt. Aber noch beim Aufwachen war ich etwas grimmig. Ich weiß nicht, was so ein Traum nach dem Traumbuch bedeuten würde, vermutlich irgendwas noch Peinlicheres.

Also werde ich mich demnächst mal nur meinem im Moment sehr ausgefüllten Privatleben widmen. Zwei Wochen Arbeit im Kindergarten habe ich schon hinter mir, die Abläufe sind mir klar, die Regeln auch, und ich kenne inzwischen alle Mitarbeiterinnen. Wir sind ein großes Team, jeden Tag ist die Zusammensetzung anders, was auch daran liegt, daß jede einen anderen Tag als freien Tag wählt (da wir freitags auch arbeiten – der Kindergarten hat die 6-Tage-Woche, alle Mitarbeiterinnen aber nur eine 5-Tage-Woche).  Mein freier Tag ist nicht frei, da ich online unterrichte und schon die Stunde für nächste Woche vorbereite, außerdem unser vernachlässigtes Heim ein bißchen beputze und entstaube. Oh, und die Katzen entschädige, für viele einsam verbrachte Stunden. Eine Vielzahl von Kuhlen in Kissen und Decken zeigt, daß sie sich von Plätzchen zu Plätzchen schlafen.

Am Sonntag werden die beiden Kindergruppen vereinigt, und der Kindergarten, der bisher in zwei Teile geteilt war, wieder so aufgeteilt wie früher. Für mich also alles neu. Insgesamt spürt man in ganz Israel, daß die Leute das Gefühl haben, Corona liegt hinter uns, und so schlimm war es doch eigentlich gar nicht. Ob es nun die Maßnahmen waren, die dazu geführt haben, daß die berühmte Kurve tatsächlich relativ flach blieb, oder ob sowieso nichts passiert wäre, weiß man nicht. Ob nun die gefürchtete zweite Welle kommt, weiß ich nicht – trotz Nachrichten-Boykotts werde ich wohl mitbekommen, wenn tatsächlich die Zahlen wieder hochgehen und die Einschränkungen wiederkommen.

Ich lese auf dem Weg zum und von der Arbeit auf dem lieben Kindlechen viele feine Dinge, das sind meine Erholungszeiten, obwohl in den Bussen immer noch die vordersten Sitze gesperrt sind und alle Mundschutz tragen müssen. Wir hatten eine üble Hitzewelle, da war der Mundschutz wirklich eine Qual und ich hätte in Alco-Gel baden mögen, um mich abzukühlen. Aber jetzt ist es wieder ganz angenehm, nachts sogar etwas kühl, wie herrlich. Natürlich ist das Grün am Wegesrand längst gelb und grau, das Austrocknen der Erde hat angefangen, und obwohl offiziell noch Frühling ist, fühlt es sich an wie Sommer.

Ab morgen werden hoffentlich auch wieder Ausflüge gemacht, dann kann ich mit den Kindern den Kibbuz erkunden, von dem ich bisher nicht viel kenne. Die Kinder sind wunderbar, und wenn ich ihnen zuhöre, spüre ich so richtig, wie ich Kinder in meinem Leben vermißt habe. Ich hoffe, mein Rücken hält durch – aber auch die jungen Kolleginnen sagen, sie haben Rückenschmerzen.

Die Kolleginnen sind übrigens größtenteils nicht vom Kibbuz selbst, nur eine ist eingeheiratet. Nur die Sonderpädagogin, die zweimal die Woche kommt, ist so richtig Kibbuznikit von Geburt an, und sie kommt aus einem Kibbuz, den ich gut kenne, aus derselben Kibbuzbewegung. Ich habe also die „und was ist mit Ron und Arielle, sind die noch in den USA?“-Gespräche nur mit ihr, ihre Eltern kennen meine Schwiegereltern und ihre Großeltern haben mit Y.s Großeltern in der Fabrik gearbeitet, als die gerade gegründet wurde.

Wenn es nur eine Person ist, mit der man so viele Verbindungen aufspüren kann, ist das nett und interessant – aber als ich noch in unserem alten Kibbuz gelebt habe, war es manchmal schon etwas überwältigend, daß jeder Mensch Y. und seine Familie drei Generationen weiter kannte. Manche alten Chaverim waren mit Y.s Oma in Deutschland zur Schule gegangen, da waren dann die Urgroßeltern schon befreundet. Interessant, ja, und auch oft komisch. Ich erinnere mich noch, als Primus ganz klein war und mal furchtbar schrie in seinem agalool-Kinderwagen*. „Ganz der Opa“, meinte eine ältere Frau etwas spitz, als sie vorbeikam. Ja, mein Schwiegervater war auch ein Schreikind, Y. dagegen gar nicht. Das habe ich aus sehr vielen sicheren Quellen erfahren.

In dem Kibbuz, wo ich jetzt arbeite, sind keine Kinder „von draußen“, also alle Eltern (die mir wie große Kinder vorkommen…. viele sind in Primus´ Altersgruppe) sind Kibbuzniks und kennen sich wohl auch sehr gut. Die Eltern dürfen nicht in den Kindergarten, wegen Corona, sie warten also draußen auf ihre Kinder, stehen dort in Gruppen mit größeren Kindern auf Fahrrädern und Kinderwagen. Das ist diese 16-Uhr-im-Kibbuz-Atmosphäre, die ich immer genossen  habe. Der Höhepunkt des Tages – die Familien sind wieder zusammen. Vielleicht müssen manche Eltern später noch eine Runde arbeiten, aber alle bemühen sich, zu diesem Zeitpunkt am Kinderhaus zu sein. Kibbuz-Leben hat zwei Mittelpunkte: die Arbeit und die Kinder. Ich bin froh, daß ich diesen Arbeitsplatz gefunden habe.

 

 

*  Zu diesen Kinderwagen: ich kenne die Gründer von Baby Space seit vielen Jahren, sie sind aus Kibbuz Bet HaShitta. In allen Kibbuzim wurden und werden solche Kinderwagen hergestellt, die eine Mischung aus Ställchen (lool) und Wagen (agala) sind. Kleine Kinder liegen drin, große Kinder stehen, und man kann problemlos mehrere Kinder transportieren. In Kibbuzim macht das Babyhaus seine Ausflüge mit solchen Wagen. Die Kinder haben Aussicht in alle Richtungen. In der Stadt nicht praktisch, aber für ländliche oder eben Kibbuz-Familien ideal.

Ich hatte für Primus und Secundus normale agalool-Wagen aus dem Fundus des Kibbuz. Zur Geburt von Tertia schenkten uns die Freunde aus Bet HaShitta einen selbstgebauten – damals hatten sie die Firma noch nicht gegründet, bauten aber schon selbst solche Wagen. Es war ein knallroter, absolut genialer Wagen, der sich leicht steuern ließ. Wir haben ihn geliebt. Quarta hat ihn auch noch benutzt, danach meine Schwägerin mit ihren dreien. Ich bin sicher, wenn ich vor dem alten Babyhaus nachgucke, steht mein alter Wagen immer noch da und wird genutzt.

Irgendwann haben die Freunde aus Bet HaShitta aus ihrem Können eine Firma gemacht und ich kann sie von ganzem Herzen empfehlen.

 

Eine gute Woche Mai 27, 2020, 5:23

Posted by Lila in Kibbutz, Kinder, Katzen.
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und ich kenne die Abläufe im Kindergarten schon ganz gut. Vieles ist anders, als ich es kannte, und auch besser. Im alten Kindergarten haben wir eigentlich nicht mit den Kindern gespielt, da wurde nicht mal der Begriff „spielen“ verwendet, sondern grundsätzlich nur „arbeiten“ – die Kinder arbeiten im Sandkasten, am Wassertisch, im Haushalt (meshek beit – so heißen Puppen-, Küchen- und Verkleidungs-Ecke zusammen mit den großen Bauklötzen, mit denen die Kinder sich ihre Spielwelt zusammenstellen, jedesmal anders). Aber im neuen Kindergarten gibt es eine viele Regale voll mit Brett- und Gesellschaftsspielen, viel mehr als im alten, mit denen die Kinder gern spielen. Sie laden dafür ein, wen sie wollen, eben auch uns, und ich habe schon jede Menge neuer Spiele gelernt. Da wir ein großes Team sind, können wir das auch zeitlich schaffen. Dabei lernt man die Kinder auch richtig gut kennen.

Während ich Frühstück mache und abräume, beobachte ich die Kinder beim Spiel, und das bestärkt meine Überzeugung, wie wichtig soziale Kontakte für Kinder sind. Die in meiner Kindheit verbreitete Auffassung, daß Kinder zarte Pflänzchen sind, die ständig unter Mutters Gluckenflügel gehören, hat wohl vollkommen ausgeblendet, wie Kinder genießen, mit anderen Kindern zusammenzusein. Es gibt lockere Gruppen von Kindern, die täglich zusammen spielen, und echte Freundschaften, auch in Junge-Mädchen-Kombination.

Die Eltern dürfen den Kindergarten noch immer nicht betreten, und wir nehmen die Kinder morgens am Eingang im Empfang. Die Abschiede fallen, wie ich seit Jahrzehnten weiß, den Eltern deutlich schwerer als den Kindern. Tränen habe ich nur einmal dabei gesehen, und das war kurz nach der Wiedereröffnung nach 2 Monaten Corona-Pause. Der normale Abschied ist liebevoll und kurz, das Kind hängt die Tasche auf und läuft zu den Freunden, um Pinguin-Falle zu spielen oder Falafel-König oder sich in eine Welt aus Bauklötzen, Dinosauriern und Lego zu integrieren.

Einmal sah ich eines der süßesten kleinen Mädchen im Krach mit der Mutter. Ich weiß nicht, was da vorher war, aber die Tochter war deutlich sauer auf die Mutter und kam ein bißchen mürrisch rein. Sie ließ das aber sofort hinter sich, als sie die Freunde sah, besonders den besten Freund, der schon auf sie wartete. Sie spielte den ganzen Tag schön, stellte ein ganzes Bilderbuch her und sah vergnügt aus. Dann hieß es, „deine Mutter ist da“, und ich half ihr beim Einsammeln von Tasche und Wasserflasche und begleitete sie nach draußen. Die Spannungen waren sofort wieder da, das konnte ich sehen. (Heute habe ich beiden wieder beim Abschied zugsehen, und er war ganz harmonisch – also kein grundlegendes Problem).

Ich habe ja schon erzählt, wie gern ich sehe, daß die Kinder eigentlich den ganzen Tag lang spielen. Ich habe kein einziges Mal gehört, daß jemand über Langeweile geklagt hätte. Wer keine Lust mehr auf Gruppenspiel hat, der geht in die Lese-Ecke (wo nie mehr als drei Kinder sein dürfen), oder macht ein Puzzle.

Wegen der Corona-Vorschriften dürfen die Kinder manches nicht machen, was sonst normal wäre – sie gucken also nur zu, wenn zur Vorbereitung des Shavuot-Festes Käse hergestellt wird (in anderen Jahren machen sie den selbst, jetzt darf es nur die Kindergärtnerin und sie trägt dabei Handschuhe), aber auch dabei haben sie Spaß. Aber am Freitag haben sie alle ihr Shabat-Brot gebacken, dabei haben einige statt des normalen Hefezopfs Figuren geformt, sie können mit ihrem Teig machen, was sie wollen.

Die täglichen Ausflüge zu Fuß sind auch noch nicht erlaubt, was ich sehr bedaure, denn ich würde gern mehr vom Kibbuz sehen. Hoffentlich geht das ab nächste Woche wieder. Aber die Kinder kommen auch ohne Ausflug aus, keines fragt danach. Und auch ohne den Mittagsschlaf, der im alten Kindergarten gepflegt wurde, kommen sie gut aus. Es ist zwischen 14.00 und 16.00 ein bißchen stiller, aber sie spielen ganz munter weiter.

Die Gruppen sind noch immer geteilt, aber am Sonntag wird der Kindergarten hoffentlich wieder vereinigt. Dann können wir auch wieder das Essen in Schüsseln auf den Tisch stellen, so daß sich jeder nehmen kann, statt wie jetzt jedem Kinder mit Handschuhen getrennt zu servieren. Wir wieseln bestimmt zehn Minuten zwischen den sechs Tischen hin und her, „möchte jemand an diesem Tisch Möhren?“, und die Kinder haben nicht den ganzen Überblick, was es eigentlich alles gibt, auch wenn wir es vorher sagen.

Mundschutz tragen wir im Kontakt mit den Eltern, dann dürfen wir ihn abnehmen. Eine Mitarbeiterin arbeitet auch in anderen Einrichtungen, und sie trägt ihren Mundschutz den ganzen Tag. Wir desinfizieren Tische, Stühle, Türklinken, Lichtschalter etc ständig, und ich fröne meinem persönlichen Hobby, dem Abwischen der Wände und Türen in Kinderhand-Höhe. Ob es was nützt, weiß keiner, aber es riecht nett und die Mutter der Porzellankiste geht auf keine Kuhhaut.

Sollte es das gewesen sein mit Corona? Ich weiß es nicht, denn Nachrichten sehe und höre ich nicht mehr. Ich hoffe es aber.

Alte Ente paddelt sich warm Mai 20, 2020, 21:30

Posted by Lila in Kibbutz, Kinder, Katzen.
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Es ist schon viele Jahre her, seit ich das letzte Mal in einem Kibbuz-Kindergarten oder Kinderhaus gearbeitet habe (und überhaupt noch nie in Nicht-Kibbuz-Kindergärten) – viele Jahre, die ich größtenteils unterrichtenderweise verbracht habe, und zwar mit Publikum, das sich allein die Nase putzen konnte.

Ich habe auch zu meiner großen Freude die Möglichkeit, weiter zu unterrichten. Meine Woche wird zwar gut voll sein, aber meine Kinder sind ebenfalls imstande, sich allein die Nase zu putzen – für die Katzen ist es allerdings eine Umstellung, so viel allein zu sein, aber sie schlafen eben noch ein bißchen mehr. Gut, daß ich nicht aufs Unterrichten verzichten muß, das würde mir doch sauer.

Drei Tage Arbeit sind natürlich noch keine Grundlage für eine umfassende Beurteilung, und was die Kolleginnen über mich denken, weiß ich auch noch nicht. Die Probezeit beträgt drei Monate, und es ist möglich, daß ich dann sage: das war sehr, sehr nett, aber auf Dauer ist das zu viel für eine alte Mama Ente. Aber das Schöne ist – ich habe in diesen drei Tagen gesehen, daß ich es noch kann.

Die Arbeit ist körperlich verdammt anstrengend, das wußte ich. Wie bereits erwähnt, glaubt man im Kibbuz nicht, daß es entwürdigende Arbeit überhaupt gibt, weil JEDE Arbeit Würde hat, und darum wird geputzt und erzogen und gespielt und geputzt. Die Kindergärterin putzt weniger, ist mehr mit den Kindern, aber auch sie greift zum Besen oder Lappen. Und der Rest des Teams, mal fünf, mal sechs Frauen, kümmert sich um die Sauberkeit in einem sehr großen Haus, um Essen und Garten und Spielplatz. Die Kinder haben ihren festen Tagesablauf (jetzt allerdings durch Corona sehr kompliziert geworden), und wir haben unseren. Ich hatte Angst, daß ich das nicht mehr durchhalte, Eimer voll Wasser mittels Gummilippe durch den Kindergarten zu jagen, aber ich habe noch immer Spaß daran, wie früher.

Der Rücken tut mir allerdings teuflisch weh, denn natürlich bücken wir uns ständig, Die Tische, die wir schrubben, sind niedrig, die Stühlchen, auf denen wir sitzen, sind Kinderstühlchen (im ganzen Kindergarten gibt es nur einen „normalen“ Stuhl, und der steht in der Abstellkammer, falls ihn bei einer Geburtstagsfeier mal ein Großelternteil braucht). Selbst unser Team-Klo ist Miniatur. Niedrig sitzen ist eigentlich kein Problem, aber die Rückenlehne drückt sich genau dort in meinen Rücken, wo mir eine alte Narbe wehtut. Ja, das Jammern mußte sein, aber ich wußte es – im Kibbuz-Kindergarten hat alles Kinder-Format.

Das waren also die Schwierigkeiten, doch nun die große, riesige innere Freude. Ich habe immer Kinder geliebt, seit ich meine Puppen versorgt habe, und ich hatte immer Spaß daran, ihnen zuzuhören. Aber ich glaube, das große Staunen, die innere ja-fast-Andacht darüber, wie interessant Kinder sein können, das alles schenkt einem erst ein gewisses Alter.

Ich muß dazu sagen, daß diese Kinder extrem gut erzogen sind. Sie können ihre Wünsche und Probleme so klar formulieren, daß ich großen Respekt für die Eltern und das pädagogische Team empfinde. Es gibt kaum Streit zwischen den Kindern. Wenn sie Probleme miteinander haben, wenden sie sich an die Erwachsenen. „Ich möchte gerne mit Liel und Amit in der Puppenecke spielen, aber sie lassen mich nicht mitmachen“. Die Mitarbeiterinnen verschwenden keine Zeit auf „wer hat angefangen“ und „ja schämt ihr euch nicht“, sondern suchen ruhig eine Lösung, die alle zufriedenstellt. Weil die Kinder das wissen, wenden sie sich auch gern an die Mitarbeiterinnen. Ansonsten spielen sie autonom.

Wegen Corona (Mensch, wie wir das Wort alle satt haben!) dürfen sie nicht auf Ausflüge gehen, sind in zwei Gruppen aufgeteilt (die Roten und die Blauen), ist der Kindergarten unterteilt, auch der Spielplatz draußen, die Toiletten ebenfalls, jedes Kind darf nur einen Stuhl benutzen, und alles ist Namen oder roten bzw blauen Punkten gekennzeichnet. Trotz dieser Komplikationen, die gute Freunde trennt und vielen Kindern schwerfällt, sehe ich, wie die Kinder von morgen um 7.15 bis nachmittags um 15.40 von Spiel zu Spiel rollen. Morgens sitzen sie an den Tischen, spielen Brettspiele oder mit diversen Spielsachen, die jeweils thematisch in Kästen sortiert sind. Die Brettspiele und Puzzles holen sie selbst, die Kästen mit Lego etc bringen wir ihnen.

Die Kinder laden auch uns manchmal ein, mitzuspielen. Ich habe schon mehrere neue Spiele gelernt, worunter „König des Falafel“ mein liebstes ist.

Frühstück dürfen wir ihnen (noch) nicht zubereiten, dabei ist das klassische Kindergarten-Frühstück ein Gedicht für sich – viel Gemüse, Salat, Hüttenkäse, Oliven. Ich werde nie vergessen, als ich dieses Frühstück zum ersten Mal sah. Noch müssen die Kinder ihr Frühstück von zuhause mitbringen. Süße Aufstriche etc sind dabei tabu. Alles ist gesund, und der Salat, den ich jeden Morgen schnibbele, ist nur für das Team.

Nach dem Frühstück machen wir natürlich sauber, und die Kinder dürfen nun in den verschiedenen „Ecken“ spielen. Arzt-Ecke, Puppen-Ecke, die wunderbaren großen, hohlen Bauklötze, aus denen sie ganze Welten bauen, die Verkleidungs-Ecke, Bücher-Ecke, Natur-Ecke, das Puppenhaus, die Dinosaurier, die Küchen-Ecke…. Die Kinder verteilen sich in Gruppen, fangen an zu bauen, zu spielen, sich zu verkleiden.

Nach 20 Minuten hört man nur noh eifriges Summen. „Und wenn dann der König käme, dann würden wir hier das Schloß bauen…“ „Mach du den Schoko, ich mach den Kuchen“ Ich kann nur bewundern, wie komplett die Kinder in ihr Spiel versinken.

Ein Junge zieht sich Papprollen, die von irgendeiner Fabrik stammen, über die Ober- und Unterarme, stopft sich weitere Rollen hinten ins T-Shirt und stakst wie ein Roboter durch den Kindergarten. Ein Junge sitzt allein vor dem Puppenhaus, in dem Puppen und Pferde zusammenleben. Zwei kleine Mädchen füttern die Babypüppchen. Eine ganze Gruppe spielt Königshaus. Eine andere ahmt wohl irgendeinen Film nach und fuchtelt mit den Armen wie im Kampf mit unsichtbaren Schwertern. „Die Macht ist jetzt bei euch, aber wir nehmen sie uns wieder“, und trotzdem wird kein Streit daraus.

Während ich die Stühlchen scheuere und die Spülmaschine belade, höre ich einfach nur zu und habe Spaß.

Wenn die Spielzeit dann vorbei ist, sagt die Kindergärtnerin, daß nun aufgeräumt werden muß. Und das macht sie so (ich liebe diese Tricks von Kindergärtnerinnen). Sie fängt an zu singen: Ich habe eine wichtige Nachricht…. und die Kinder antworten: …. und wir hören zu. Falls es noch nicht alle gehört haben, singt sie es noch einmal, und dann hören alle zu. Und dann sagt sie: wir wollen gleich essen, und jetzt muß aufgeräumt werden. Alles an seinen Ort!

Und dann kann man sehen, wie die Kinder ohne weiteres Antreiben die Sachen, mit denen sie gespielt haben, zurück an ihren Platz bringen. So oft ich das gesehen habe, so sehr staune ich immer noch. Natürlich funktioniert das zuhause mit den eigenen Kindern nicht so gut. Aber im Kindergarten geht das ruckzuck.

Zweimal am Tag gibt es das Treffen (mifgash), zu Deutsch wohl Stuhlkreis. Die Kindergärtnerin muß das jetzt alles doppelt machen – wenn die Roten im Treffen sind, spielen die Blauen draußen (darüber muß ich mal gesondert schreiben) und umgekehrt. Sie entläßt die Kindern zum Wassertrinken und Händewaschen in kleinen Gruppen, wie ein Spiel. „Jetzt geht ein Mädchen mit einem Katzen-T-Shirt und ein Junge mit Spiderman-Sandalen“. So gibt es kein Gedränge an den Waschbecken und dem Tisch mit den Wassrflaschen (ebenfalls dank Corona persönliche super-raffinierte Flaschen, die wir ständig nachfüllen).

Ein kleiner Junge liebt besonders die Natur-Ecke. Mit einer Lupe betrachtet er die Vogelfedern, die sie auf Ausflügen im Winter gesammelt haben, und vergleicht sie mit einem Vogelbuch. Dann zeigt er mir seine Lieblingsfeder. Derselbe Junge gibt beim Mittagessen seine Theorie vom Urknall bekannt. „Es war mal ein Urknall, und der hätte die Erde fast kaputtgemacht“.

Das Mittagessen wird von einer Catering-Firma geliefert, wir müssen es mit Handschuhen auf Einmal-Geschirr austeilen und dürfen den Kindern nicht mal mehr Obst schneiden. Eine Mitarbeiterin sammelt jedes Fitzelchen übriggebliebenes Essen ein für die Straßenkatzen ihres Wohnorts.

Zu anderen Zeiten werden Tische mit Gouache-Farben, Collage-Material, Ölkreiden, Knete und anderen Materialien aufgemacht. Die Kinder bekommen das Material, was sie damit machen, bestimmen sie selbst. Wer nicht will, läßt es.

Das war ja gleich etwas, das mir damals im Kindergarten auffiel – daß es nicht hieß, „heute malen wir Marienkäfer, dafür zeigen wir euch mal, wie das geht“ oder „heute basteln wir einen schönen Untersetzer für einen Blumentopf“, sondern – „hier ist die Farbe, legt los“. Und die Ergebnisse sind natürlich einfach wunderbar.

Ein kleines Mädchen ist sehr kreativ und außerdem auch sehr beliebt. Sie beschloß schon vorgestern, daß sie eine Party gibt, um das Ende von Corona zu feiern. Dafür bastelte sie aus Papier einfache Taschen, die sie schön bemalte. Der ganze Kindergarten kriegte solche Taschen. „Da kommen die Süßigkeiten rein auf unserer Party“. Dann gab es Armreifen und schließlich Kopfschmuck. Die Gruppe um dieses Mädchen herum heftete sämtliche Heftklammern leer und arbeitet schon seit drei Tagen an der Vorbereitung für diese Party.

Am Rande dieser Gruppe saß ein stiller kleiner Junge, jünger als die führenden Kinder. Er sah sich an, wie man mit den kleinen Heftern arbeitet, und legte dann selbst los. Er bastelte sich einen Reifen für den Kopf, auf den er vorn ein rundes Schild heftete, und malte alles gelb an. Dann baute er sich Armschoner wie die von Wonderwoman, ebenfalls in gelb. Er plagte sich ziemlich damit, sich diese Schoner selbst anzulegen, aber wir warteten ab, ob er um Hilfe bittet. Für den zweiten Armschoner brauchte er etwas Hilfe, aber dann war er fertig ausgerüstet.

Und ging nun ganz für sich durch den Kindergarten mit einem verträumten Gesicht. Zwischendurch hob und kreuzte er die Arme. Ob er spielte, daß er ein Superheld ist oder zaubern kann oder sich unsichtbar machen kann, weiß ich nicht. Auch nicht, ob es jemand außer mir auffiel. Aber ich kann gar nicht sagen, wie mich das berührte, dieser kleine Junge, der so still strahlend mit seiner selbstgebastelten Ausrüstung durch den Kindergarten ging.

Für mich ist klar, daß das viel wichtiger ist als die früher in deutschen Kindergärten angestrebten Bastelfertigkeiten – Schablonen sauber ausschneiden, Wattewolken-Mobiles nach Vorbild nachbauen und so weiter. Ja, ich habe solche Bücher noch zuhause, hoffe aber innig, daß es das nicht mehr gibt. Die Erinnerung an meine Kindergärtnerin Ende der 60er Jahre, die mit dem Radiergummi herumging und unsere Zeichnungen verbesserte, ja die mir meinen schönen Igel ausradierte, die sitzt noch tief.

Bestimmt werde ich noch sehen, daß sich Kinder weniger als so wunderbar benehmen, und tatsächlich hatte ich heute Gelegenheit, Widerstand zu sehen. Die Roten, die ich weniger gut kenne, spielten in den „Ecken“, und zwei Jungen tobten ziemlich herum, wobei sie große, wirklich gefährlich aussehende Mikado-Stäbe herumfuchtelten. Morgens hatte eine Kollegin ihnen die schon weggenommen. Ich fragte trotzdem nach (will mir ja nichts anmaßen), ob es okay ist, wenn ich sie ihnen nun auch wegnehme, die Kollegin sagte, ja klar, und ich schritt zur Tat.

Die Kinder, die mich wirklich nicht gut kennen, wollten mir natürlich die Mikadostäbe nicht ausliefern (ich hatte sie vorher dreimal verwarnt, sie fuchtelten jedesmal weiter und guckten, ob ich es auch sehen kann). Ich blieb aber unnachgiebig, und schließlich hatte ich die Stäbe in der Hand. Da sah mich einer der Jungen zornig und empört an. „Was du machst, das ist ganz gemein. Man darf Kindern nichts stehlen!“ Ich stimmte ihm sofort zu, nein, man darf Kindern nichts stehlen, und es ist gut, daß er das weiß. Ich zeigte ihm dann, wo die Mikadostäbe sind, und daß er morgen früh mit ihnen spielen kann – aber nicht als Waffe, sondern eben als Mikado. Ich sagte ihm auch noch einmal meinen Namen und daß ich weiß, er kennt mich noch nicht.

Eine halbe Stunde später kam der Junge zu mir und fragte, ob er aufs Klo kann (ja, die Klos sind natürlich auch nach blau und rot unterteilt, und um Treffen von Roten und Blauen zu vermeiden, müssen wir die Klobesuche absprechen). Daran sah ich, daß er meine Autorität anerkannt hat, widerwillig, und es wird wohl eine Weile dauern, bis er mir verzeiht. Mir hat aber gefallen, daß er sich so gewehrt hat, und zwar verbal. Er weiß ja wirklich noch nicht, ob sie ihm nicht eine böse Frau geschickt haben, die den Kindern Sachen wegnimmt.

Auch draußen war eine kleine Probe. Eine Gruppe Jungens entdeckte einen Mistkäfer und fing an, ein bißchen Hysterie zu mimen. „Iiiiih, ein Mistkäfer im Sandkasten, was machen wir jetzt?“ Ich sagte, „laßt den armen Käfer mal, der möchte lieber auf die Wiese“, nahm den Käfer in die Hand und trug ihn zur Wiese. Ungern, aber es war gut, daß ich es getan habe, denn die Jungens spielten sofort schön weiter.

Zum Spiel im Sand kriegen sie auch Wasser, sowohl in Behältern als auch als leichte Dusche von oben, wo sich unter den Schlauch stellen kann, wer will (ich habe mich gestern auch besprühen lassen). Die Kinder tragen grundsätzlich Arbeitsklamotten, die dreckig werden dürfen, ja sollen. Das gefällt mir.

Der Spielplatz draußen ist besonders – diese Spielplätze sind, wie die hohlen großen Bauklötze, eine Spezialität der Kibbuzbewegung. „Chatzer grutaot“ ist eigentlich unübersetzbar – chatzer ist draußen, Hof oder Platz, und grutaot ist Sperrmüll. Aber es ist natürlich kein Müll, sondern ausrangierte Sachen von Erwachsenen, die dort unter einem Dach stehen, und aus denen die Kinder sich kleine Welten bauen können.

Hier sind viele Bilder davon. Natürlich ist jede chatzer grutaot individuell. Die Erwachsenen stiften alte Herde, Betten, Boote, Maschinenteile, Pfannen, alles mögliche, Bei Google Translate kann man sich auch diesen Artikel übersetzen lassen, wenn einen die Geschichte dieser Idee interessiert. Deutsche Besucher, denen ich natürlich immer diese jedem Kinderhaus angeschlossenen Spielplätze gezeigt haben, sagen meistens: „ja ist denn das nicht zu gefährlich?“, aber natürlich sind immer zwei Erwachsene dabei, und die Kindergärtnerin geht regelmäßig durch und überprüft, daß nichts Spitzes oder Quetschendes in der chatzer steht.

Die Kinder lieben das Spiel mit diesen echten, ausrangierten Gegenständen. Sie arrangieren sich „Gebäude“ (bniyot), und im Gegensatz zu den gebauten Welten im Kindergarten, die noch am selben Tag abgebaut werden, dürfen die draußen stehenbleiben. Manchmal spielen die Kinder über Wochen in der Welt, die sie immer weiter perfektionieren. Wir greifen nicht ein, sondern achten nur auf alle Kinder und daß alles friedlich zugeht.

So vergeht der Tag. Zwischendurch werden dreimal die Klos incl Wände und Türen gründlichst geputzt. Die Tische werden ständig abgewischt, die Küche ist ständig aktiv (offene Küche im selben großen Raum). Die Kinder können sich ruhig dreckig machen, das Haus muß tadellos sauber sein. Es gibt keinen Fernseher und keinen Computer im Kindergarten, und im Gegensatz zum Kinderhaus von früher schlafen die Kinder dort auch nicht. Sie arbeiten nach dem Mittagessen still. Mindestens eine der Kolleginnen liest den Kindern was vor.

Die einzigen, die ein Handy in die Hand nehmen, sind natürlich die Erwachsenen. Die Kinder können darauf verzichten. Bestimmt haben sie allen Kram zuhause, aber die Bullerbü-Fähigkeit von Menschenkindern, einfach mit einer Puppe, einem Kissen, einem Dinosaurier und ein paar Legosteinen einen Tag glücklich hinzubringen, ist nach wie vor noch da.

Mir fiel im Laufe dieser Tage wieder auf, wie sehr die Idee der Kibbuz-Erziehung meinen Überzeugungen entspricht. Ich kenne die PH, an der all diese Ideen über Jahre hinweg in einem Versuchs-Kindergarten entwickelt wurden, aus nächster Nähe – ich habe dort selbst studiert und unterrichtet. Tatsächlich war mir schon ganz entfallen, daß einer der akademischen Abschlüsse, die ich früher mal gesammelt habe, Künstlerische Früherziehung lautet. Was aber nicht bedeutet, daß ich so einen Kindergarten leiten könnte. Ich bin mit meiner Rolle im Hintergrund mehr als zufrieden.

In einer Zeit, in der ein Yoav Galant das Erziehungsministerium zugeschustert kriegt, weil Bibi ihm einen Hering zuwerfen muß, damit Galant weiter Bälle auf der Nase balanciert – obwohl Galant für das Amt so qualifiziert ist wie ich für das Verteidigungsministerium – in einer Zeit, in der die Erwachsenenwelt mit ihren Ansprüchen die Welt der Kinder überwuchert, kontrolliert und normiert – da ist es wichtig, Inseln wie Kibbuzim am Leben zu erhalten.

Mir fielen auch junge Familien ein, die ich im Laufe der Jahre kennengelernt habe, die ihre Kinder auch über alles lieben und nur das Beste für sie wollen, aber ihr Geld in rosa-lila-Elsa-Plastik-Welten investieren, in denen alles vorgegeben ist. Eine Mutter kam sofort mit Feuchttüchern angerannt, als ich mit ihrer Tochter malte (sie hatte nur Filzstifte), um dem Kind die Finger abzuwischen. Sehr nette und gebildete Leute, aber ich glaube, die Töchter haben noch nie einfach dagesessen und mit Hosenknöpfen gespielt. Gegessen wurde in einer Familie vor dem Fernseher, in dem ein Kinderkanal dudelte, der den Eltern verspricht, die Kinder intelligent zu machen. Daß die Töchter so intelligent waren, hatten sie bestimmt nicht dem Fernsehkanal zu verdanken.

Zum Abschluß was Nettes. „Duhu, bist du eigentlich eine Oma?“ „Nein, ich bin noch keine Oma“ „Schade, aber“ (und hier wurde der Ton tröstend) „du siehst schon aus wie eine Oma!“ Das war ein Kompliment und so habe ich es auch aufgenommen.

Ich hoffe, mein Rücken hält durch und meine jungen Kolleginnen ertragen mich. Selbst wenn ich irgendwann im Herbst wieder in mein altes Leben zurückkehre – diesen Sommer im Kindergarten genieße ich trotz Hitzewelle, Fliegenplage, Problemen mit Corona-Einschränkungen und anderen Widrigkeiten ganz und gar.

 

Wieder auftauchen Mai 15, 2020, 10:27

Posted by Lila in Persönliches.
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Seltsame Monate waren das. In Israel waren die Einschränkungen deutlich restriktiver als in Deutschland, das fing schon Ende Februar an, Schließung der Grenzen und Quarantänepflicht für Einreisende (nicht immer konsequent gehandhabt) waren der Anfang. Zwischendurch durften wir über Wochen nicht weiter als 100 m vom Haus weg sein, nur mit Sondergenehmigung konnten Y. und Quarta zur Arbeit. Ich war die ganze Zeit Hausmütterchen, was ich ja eigentlich gern mache. Tatsächlich war zwischendurch das Haus mal ein paar Stunden lang auf dem Eichpunkt der Perfektion.

Abends gab es meistens, was wir die Bibi-Show nannten – also Erklärungen vom Premierminister, Gesundheitsminister und Experten, die uns die Lage erklärten, neue Anweisungen gaben, uns sehr für unser Verhalten lobten und dann sich selbst noch mehr für ihr eigenes Handeln. Die Routine des Ausnahmezustands.

Für uns war es erträglich, weil wir keine kleinen Kinder haben, die wir belehren, bespaßen und bei Laune halten müßten. Ja, ich vermisse meine Großen, die ich eeewig nicht gesehen habe, meine Mutter und Geschwister, die mich zu meinem Geburtstag im April besuchen sollten, und meine Schwiegereltern. Telefon und Zoom und Whatsapp helfen, aber sehen möchte man sich eben doch. Wenn man aber weiß, daß es überall auf der Welt Leuten ähnlich geht, schickt man sich drein und denkt, wenn es notwendig ist, dann sind wir lieber übervorsichtig statt leichtsinnig.

Ich konnte einige lang vor mir hergeschobene Projekte im Haus abhaken, andere habe ich natürlich weitergeschoben. Es ist erstaunlich, aber man kann sich tatsächlich einen ganzen Tag lang in Haus und Garten beschäftigen, und trotzdem ist immer noch was zu tun. Ja, man kann sich die Zeit selbst einteilen, aber man ist auch viel allein, und irgendwann fängt man an, das Spülbecken mit Zahnpasta zu polieren und hinter jedem Wasserfleck herzujagen wie der Teufel hinter der armen Seele.

Was schön war: wir sind alle drei jeden Morgen um fünf aufgestanden, Y. und Quarta, um sich für die Arbeit fertigzumachen, ich, um ihnen ein schönes Verwöhn-Frühstück zu machen. Obwohl es eigentlich für uns alle zu früh ist, haben wir jeden Morgen zusammengesessen, und abends zum Abendessen noch einmal, und es ist wirklich viele Jahre her, daß wir diese Art Familien-Idyll hatten. Und ich habe es sehr genossen. Ich bin ja eigentlich kein sehr sozialer Mensch und kann gut alleine klarkommen, aber selbst für mich, mit zwei Hausgenossen, drei Katzen und Tausenden Büchern auf dem Kindle (und den Wasserflecken!) fand die Isolation schwierig. Wer das ganz allein bewältigen mußte, hat es bestimmt noch schwerer empfunden. Ganz zu schweigen von Kranken und ihren Angehörigen.

Irgendwann konnte ich dann anfangen, online zu unterrichten, aber meine Arbeitswoche war auf das absolute Minimum geschrumpft – eine Stunde pro Woche per Zoom. Und das, wo ich keinerlei Anspruch auf irgendeine Entschädigung oder Unterstützung habe (ja, wir haben es versucht, aber ich erfülle die Kriterien nicht).

Vor einer Woche war ich zum ersten Mal wieder in Nahariya. Die Mundschutz-Pflicht stört mich nicht – sollten wir alle anfangen, mehr Rücksicht aufeinander zu nehmen, mehr auf Sauberkeit und Hygiene zu achten und einander vor allen Arten fieser Viren zu schützen, dann nehme ich das komische Gefühl gern in Kauf. (Da läßt man sich für teures Geld die Zähnchen schön richten und keiner sieht sie! und mein Lieblings-Lippenstift kann auch eingemottet werden). Verstörender fand ich, wie viele kleine Geschäfte zugemacht haben. Das Hochwasser im Januar hat Existenzen vernichtet, und wie kleine, selbständige Geschäfte jetzt überleben sollen, weiß ich nicht.

Mein erster Weg führte mich natürlich in den Woll-Laden meines Vertrauens, mit dessen Besitzer und Mitarbeiterin ich mich die ganzen Jahre über geradezu angefreundet habe. Ich bin eigentlich immer, wenn ich auf den Bus warten mußte, zu diesem Laden gegangen und habe mehr Garn gekauft und mich über Stiche und Muster und Garnqualitäten ausgetauscht, und der Besitzer hat mir erzählt, wie schwierig es ist, in Nahariya einen kleinen Laden zu führen. Zwischendurch wollte er mal zumachen, dann ging es doch wieder. Doch als ich letzte Woche hinkam, da packte er gerade die letzten Regale zusammen. Der Laden ist zu. Ich war entsetzt. Wo soll ich jetzt hingehen? wo gute Wolle herbekommen? und was passiert mit den vielen Geschäftsleuten, denen es so geht wie dem Woll-Mann?

Vorgestern stieg der persönliche Streßlevel weiter in die Höhe, als ich einen Warnbrief von der Rentenkasse bekam – keine Einzahlungen von meinen Arbeitgebern mehr, und den Rest konnte mein Hirn nicht mehr übersetzen. Ich sah mich als altersschwaches Weiblein in Nahariya an einer Straßenecke sitzen, mit offenem Hut und einem Poster von Cezanne, das ich mit zittriger Stimme analysiere. Singen oder Akkordeon spielen kann ich ja nicht. Wie schön so ein soziales Netz ist, merkt man erst, wenn man es nicht hat.

Da habe ich schnell durch ein paar Job-Börsen-Webseiten geblättert und etwas gesehen, was mir ins Auge stoch – ein Kibbuz nicht weit von hier sucht MitarbeiterInnen für den Erziehungssektor. Das habe ich ja viele Jahre lang gemacht,  als ich neu in den Kibbuz kam und während meine Kinder klein waren. Und ich habe es sehr gern gemacht. Ich bleibe ja immer am Kindergarten hier im Ort stehen, wenn ich zum Postfach gehe, und höre den Kindern zu, und freue mich. Also habe ich spontan die Telefonnummer angegeben, bekam freundliche Antwort, schickte meinen Lebenslauf und sämtliche Zeugnisse hin (worunter auch ein Bachelor in Kunst-und-Frühpädagogik ist, den hatte ich ganz vergessen), wurde für den nächsten Tag zum Gespräch eingeladen und genommen. Montag fange ich an. Meinen Online-Unterricht kann ich weitermachen, und sollte im Oktober der Unterricht wieder regulär weitergehen, kann ich meine Woche neu arrangieren.

Es war so schön, wieder in einem Kibbuz rumzulaufen, wieder in einem Kinderhaus zu stehen und die ganz besondere Atmosphäre zu spüren. Die Erziehungsphilosophie der Kibbuzbewegung ist auch meine. Und zum Kibbuz-Gedanken gehört auch, daß man sich nicht daran stört, ganz unten wieder anzufangen. Ich hoffe, ich kann das noch. Wenn es klappt, kann ich die Kategorie Kibbuz hier im Blog wiederbeleben, das wäre doch toll! Und wenn nicht, dann habe ich wenigstens den Sommer überbrückt.