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Im Norden Dezember 23, 2023, 10:53

Posted by Lila in Land und Leute.
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Es ist jetzt 14 Jahre her, daß wir aus dem Kibbuz weggegangen sind, aus vielerlei Gründen. Mein Mann ist dort aufgewachsen, sein Vater war das dritte Kind, das dort geboren wurde (auf seiner Geburtsurkunde steht Palestinian, denn er wurde vor der Staatsgründung geboren und das Wort war noch nicht von Arabern gekapert – es gab Palestinian Jews und Palestinian Arabs im britischen Mandat), und seine Großeltern haben den Kibbuz mitgegründet. Wir werden uns immer der Kibbuzbewegung zugehörig fühlen, ich habe viele Jahre an einer PH für Kibbuz-Erziehung unterrichtet (deren Bindung an die Kibbuzbewegung aber nicht mehr sehr stark ist), und mein Mann ist auf den ersten Blick als Kibbuznik erkennbar. Aber die ganze Privatisierung und die damit verbundene Schlacht am Büffet, aber auch ein interessanter neuer Job für Yaron im Norden, haben uns bewogen, wegzugehen, obwohl es für unsere Kinder anfangs nicht einfach war und auch für uns nicht.

Wenn man die Karte anguckt: unser alter Kibbuz liegt da, wo sich Carmel-Gebirge und Jezreel-Tal treffen. Das gilt zwar als Nordisrael, war uns aber nicht nördlich genug.

Der Norden hat uns gelockt, immer schon, und wir wollten näher ans Meer. Die Gegend um Nahariya herum war von Anfang an unser Ziel, West-Galiläa. Wir wollten auch mehr Platz für die Familie, im Kibbuz haben wir sehr beengt gelebt, obwohl uns das damals ganz normal vorkam. Wir sind von Ort zu Ort gefahren, haben uns Häuser angeguckt und mußten abwägen, wo es uns hinzieht. Jedes Jahr im Dezember erinnere ich mich wieder daran, und dieses Jahr ist die Erinnerung besonders kraß, denn alle Orte, die wir damals in Erwägung gezogen haben, sind jetzt evakuiert und keiner weiß, wann und ob überhaupt in absehbarer Zeit ein normales Leben dort möglich ist.

Ein Haus in Shlomit, einem Ortsteil von Shlomi, hat uns wegen seiner Aussicht aufs nahe Meer besonders gut gefallen. Insgesamt drei Wohnungen und Häuser in Shlomi haben wir in die nähere Auswahl gezogen, und ich mag den kleinen Ort sehr. Er liegt nah am Hang, der hier als Berg bezeichnet wird, auf dem oben die Grenze verläuft, ist schön grün und viele junge Familien ziehen dorthin.

(Ich bediene mich für diesen Eintrag großzügig an den Bildern, die in der Immobilien-Seite Yad2 gezeigt werden.)

Für uns sind Aussicht und frische Luft ausschlaggebend, und darum haben uns die großen Terrassen überall sehr gelockt. Aber irgendwas war immer verkehrt, und wir haben uns in ein Grundstück verliebt, das wir beinahe, beinahe gekauft hätten.

Das ist Kibbuz Chanita (Hanita), und die sogenannte „Erweiterung“, also eine Neubausiedlung, die man rechts oben wie eine kleine Blase erkennt, wurde damals gerade gebaut. Die Aussicht war wunderbar, direkt in den Libanon hinein, und es war wunderbar grün. Es tat uns leid, als das letztendlich auch nicht klappte, aber die Lage direkt an der Grenze hat uns keine Kopfschmerzen gemacht.

Ich habe damals geglaubt, und glaube es noch immer, daß Israelis überall in Israel wohnen können, aber leider nur stimmt das nur theoretisch. Praktisch nämlich sind sowohl Shlomi als auch Chanita längst geräumt, und eine Bekannte aus Chanita durfte nur noch einmal in ihr Haus (ebenfalls mit toller Aussicht auf den Libanon), um ihre Winterklamotten zu holen. Ihr Mann ist in Chanita geboren, aber ob sie je in den Kibbuz zurückkehren und sich dort sicher fühlen können, ist noch die Frage.

Ein bißchen weiter landeinwärts als Chanita, aber ebenfalls auf der Hügelkette, auf der die Grenze verläuft, ist Idmit (Adamit geschrieben, aber Idmit ausgesprochen, fragt mich nicht warum). Auch dort wurde eine „Erweiterung“ (harchava) gebaut, also auf Kibbuz-Land, aber die Grundstücke und Häuser werden an Nicht-Kibbuzniks vermietet oder verkauft. Atemberaubende Aussicht in beide Richtungen (Israel und Libanon), sehr hoch für israelische Verhältnisse, wunderbare Luft, aber für uns zu weit vom Meer weg und die Häuser waren eine Nummer zu bombastisch für uns. Und Idmit ist wirklich am Ende der Welt, ich wäre selbst nach Nahariya ewig lange unterwegs gewesen, und der Schulweg wäre für die Mädchen, die damals beide noch zur Schule gingen, zu weit gewesen.

Wir haben uns dann das Haus, in dem wir jetzt leben, angesehen, das damals noch im Bau war, und uns sofort verliebt. Ich fand zwar in meinem patriotischen Eifer, daß es ein bißchen zu weit weg von der Grenze war, denn schon im Libanonkrieg II im Jahr 2006 hatte ich mich innerlich entschlossen, irgendwann ganz nah an die Grenze zu ziehen. Nicht nur weil es dort so schön ist, sondern auch, weil Israel bis an seine Grenzen reicht und wir uns nicht einschüchtern lassen.

Manot liegt auch sehr schön. Die ganze Gegend hier besteht aus Wadis, die sich in west-östlicher Richtung zum Meer hin erstrecken, und Hügelketten, die diese Wadis trennen, und die zum Meer hin flach abfallen.

Manot sitzt auf so einer kleinen Erhebung, und die ältere, nördliche Seite des Moshav (einer Art Gemeinschaftssiedlung, die aber im Falle von Manot eine reine Formalität ist, weil hier kaum noch Landwirtschaft betrieben wird) blickt auf die Grenze. Wir wohnen im südlicheren Ortsteil und haben eine sehr schöne Aussicht auf die Bucht von Haifa und das Carmelgebirge. (Okay, Gebirge.)

Nach ein paar Jahren in Manot wurde uns das Haus zu klein, und wir zogen für vier Jahre nach Gornot HaGalil, von allen nur Granot genannt, in ein deutlich größeres Haus. (Nach diesen vier Jahren und als beide Söhne endgültig aus dem Haus waren, sind wir dann wieder zurück nach Manot gezogen.)

Granot ist das kleine Sternchen westlich von Goren, dessen Ableger es ist. Auf der Karte sieht man auch Fassuta und Miiliya, die christlichen Dörfer, es ist wirklich eine sehr schöne Gegend. Auch Granot ist geräumt, und Quartas beste Freundin, die neben uns gewohnt und deren Mutter ein sehr hübsches kleines Boutiquehotel aufgebaut hat, traut sich nicht mehr dort hin. Für den Fall, daß es mal wieder friedlich wird und ihr eine Verwöhn-Unterkunft sucht, habe ich den Link dazu gesetzt.

Das war die Aussicht von unserem kleinen Balkon, der sehr gemütlich war. Nach hinten hatten wir einen schönen Garten und eine Terrasse.

Wenn ich mir also angucke, wo wir überall fast-gewohnt oder wirklich-gewohnt haben, dann ist Manot wirklich ein Glücksfall. Das Leben hier fühlt sich zwar im Moment reichlich kriegszonenmäßig an, aber eigentlich können wir uns nicht beschweren. Wir haben die Wahl, ob wir uns selbst evakuieren oder bleiben (bleiben!), und die 5 km, die zwischen uns und der Grenze liegen, machen einen gewaltigen Unterschied aus.

Was soll aus Chanita, Idmit, Granot und Shlomi werden? Ganz zu schweigen von den Orten im sogenannten Finger von Galiläa, der in den Libanon hineinragt und der komplett unbewohnbar ist und immer wieder beschossen wird, viel mehr als wir hier.

(Bildquelle hier)

Vor ein paar Jahren waren wir im idyllischen Metulla – der Ort ist unbewohnbar geworden. Der Garten der Freunde, die wir dort besucht haben, war von allen Seiten vom Libanon einsehbar.

Das Bild habe ich 2016 gemacht, so nah lebten die Menschen in Metulla an der Grenze.

Der Krieg, der nötig wäre, um diesen schönen Garten mit Trampolin für die Kinder der Familie wieder bewohnbar zu machen (denn diplomatische Lösungen sind mit der Hisbollah schlicht nicht machbar, siehe Resolution 1701), müßte ein Weltkrieg sein, denn Hisbollah wird von der Achse Iran-Rußland gestützt. Da müßte ein Bündnis her, aber Israel war noch nie Teil eines Bündnisses und wir sind daran auch nicht interessiert.

Allein die Vorstellung, daß sich Iran und USA in Metulla Gefechte liefern… wir würden zu einem globalen Kriegsschauplatz und IDF zu einem Befehlsempfänger der USA ohne eigene Handlungsbefugnis.

Aber wie es für Galiläa weitergehen soll, weiß keiner.

Update ein paar Stunden später:

Das war heute in Shlomi. https://twitter.com/i/status/1738574532439359491 Obwohl es gar nicht so nah ist, haben hier die Fensterscheiben gescheppert, und ich bin sofort an den Laptop geeilt, um zu gucken, ob hier irgendwo Alarm ist. Und es war Alarm in Shlomi und Betzet (wo meine Jüngste die Grundschule besucht hat). Shabat shalom.

Kommentare»

1. Wertbegegnung - Dezember 23, 2023, 12:31

Liebe Lila,
wie mutig, wie trotzig – beeindruckend.

„Weltkrieg“ – welch ein Wort für so einen Zipfel Land.
Offenbar geht es um ganz anderes.

Wer nicht an Wunder glaubt ist kein Realist – so wie Du.

Danke sehr für den Bericht.

Andreas

2. Rika - Dezember 23, 2023, 20:51

Deine Begeisterung für Israels Norden kann ich gut nachvollziehen, schon bei meinem ersten Besuch 1992 war ich an der Grenze und glaubte mich beinahe im „Sauerland“, meiner Heimat. 2018 war ich mit einer Reisegruppe in Fassuta bei aramäischen Christen.
Es ist einfach nur unfassbar traurig, was aus dem „good fence“ von Metulla geworden ist und dass die Menschen aus der Grenzregion evakuiert werden mussten. Davon redet hier in Deutschland ja kein Mensch, die Augen sind nur auf die „Siedler“ in der „Westbank“ und auf die Nöte der Menschen in Gaza gerichtet.
Ich wünsche Dir und allen Deinen Leuten, dass Ihr sehr bald und gut aus der schrecklichen Lage kommt und sich Euer Leben normalisiert – in Freiheit und Frieden.
Alles, alles Gute, Hoffnung, Bewahrung, Segen, Mut und Zuversicht!

3. 23-12-24 Urbilder; eine Zugreise – iberty.de - Dezember 24, 2023, 14:13

[…] im Norden von […]

4. jim11111 - Dezember 31, 2023, 2:50

hallo liebe Lila,

denk ich an Euch, schau ich mal nach, und siehe da – im Norden, fällt mir das folgende berühmte ein:

Irgendwo, auf der Welt, gibt’s ein kleines bisschen Glück
Und ich träum davon in jedem Augenblick
Irgendwo, auf der Welt, gibt’s ein bisschen Seligkeit
Und ich träum davon schon lange, lange Zeit

Wenn ich wüsst, wo das ist, ging ich in die Welt hinein
Denn ich möcht einmal recht so von Herzen glücklich sein
Irgendwo, auf der Welt, fängt mein Weg zum Himmel an
Irgendwo, irgendwie, irgendwann

Ich hab so Sehnsucht, ich träum so oft
Bald wird das Glück mir nah sein
Ich hab so Sehnsucht, ich hab gehofft
Bald wird die Stunde da sein
Tage und Nächte wart ich darauf
Ich geb die Hoffnung niemals auf

Irgendwo, auf der Welt, gibt’s ein kleines bisschen Glück
Und ich träum davon in jedem Augenblick …

Mein Gott, bin ich froh, von Euch zu lesen – alles Liebe!


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