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Die Lage, die Lage Januar 15, 2024, 16:17

Posted by Lila in Persönliches.
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Auf Hebräisch nennt man es „ha-matzav“, die Lage oder Situation. Wie ist die Lage? ma ha-matzav? Ja, wie ist sie?

Wir waren am Wochenende in Tel Aviv. Übernachtet haben wir bei Quarta, sie hat für uns gekocht und es war richtig schön und gemütlich. Wir haben im Zimmer eines Mitbewohners übernachtet, der seit dem 7. Oktober Reservedienst leistet und nur selten nach Hause kommt.

Quarta hat zwar keinen Schutzraum, aber immerhin hätten wir im Falle eines Alarms genügend Zeit gehabt, uns im Treppenhaus in (relative) Sicherheit zu bringen. Es blieb aber still.

Am Shabat waren wir dann am „Platz der Verschleppten“, dem großen Platz in Tel Aviv zwischen der großen Bet-Ariella-Bibliothek, dem Gericht und dem Museum für moderne Kunst, das ich natürlich sehr gut kenne (und empfehle). Der Platz, der vorher ziemlich leer war, von ein paar interessanten Skulpturen abgesehen, ist jetzt sehr voll.

Der lange Tisch mit den leeren Gedecken, mehrere Zelte, und überraschend viele kleinere Arbeiten von Menschen, die ihren Schmerz über das Schicksal der Geiseln visuell ausdrücken.

Es war schon ziemlich voll, am Abend fing dann die 24 Stunden währende 100-Tage-Kundgebung an.

Später waren wir auch am Dizengoff-Platz. Quarta geht dort oft hin, die Bilder der Menschen ansehen, die sie kannte. Jeder von uns kennt Opfer, ich habe noch niemanden getroffen, der nicht vom 7. Oktober oder vom Krieg direkt oder indirekt betroffen gewesen wäre.

Der berühmte Brunnen von Yaacov Agam wird gerade restauriert, und um den Brunnen herum sind Andenken an die Toten verteilt. Viele Menschen gehen langsam herum und versenken sich in die Bilder und Briefe, die dort ausliegen. Die Atmosphäre ist traurig. Ein Mann mit einem bildschönen Golden Retriever bietet allen an, den Hund zu umarmen, und das freundliche, zutrauliche Tier bietet Trost.

Unter dem Brunnen liegen Löwen und Lämmer aus, eine Erinnerung an die Vision des Friedens, wie sie der Prophet Jesaja schildert.

Überall in Tel Aviv sitzen zerrissene, mit roter Farbe bespritzte große Teddybären, die an die entführten Kinder erinnern, aber auch die ermordeten Kinder.

Abends waren wir dann mit Quarta und Secundus essen, es war schön. Die Diskrepanz zwischen dem familiären Frieden und der inneren Unruhe ist an solchen Tagen besonders stark.

Ich unterrichte weiter, im Haus ist es warm und friedlich, draußen ballert die Artillerie regelmäßig, und gestern sind in Obergaliläa in einem grenznahen Ort durch Beschuß der Hisbollah zwei Menschen ums Leben gekommen, Mutter und Sohn. Der Vater ist schwer verletzt. Landwirte, die sich um ihren Betrieb kümmern wollten.

Die Armee ist weiter im Gazastreifen, in den Gebieten brodelt es, täglich gibt es Terroranschläge – vorhin in Raanana, mit vielen Verletzten und einer Toten. Einer der Terroristen ist noch auf freiem Fuß.

Im Süden gibt es deutlich weniger Raketen als vorher, auch im Zentrum hat es sich sehr beruhigt, aber Terrorgefahr ist natürlich allgegenwärtig. Nach wie vor ist das Vertrauen in die politische Führungsriege nicht groß, und deren interne Rangeleien tragen nicht dazu bei, dass das Vertrauen wieder wachsen könnte. Und wie es hier im Norden weitergeht, ist unklar – d.h., es ist klar, dass eine große Auseinandersetzung kommen wird, aber wie bald das sein wird, wie es genau aussehen wird und wer daran teilnehmen wird, wissen wir nicht.

Der Winter ist so schön, alles ist grün, Regen und Sonne wechseln sich ab und von Zeit zu Zeit sehe ich einen Regenbogen, immer ein Zeichen der Hoffnung.

Ich trage die Erkennungsmarke, die ich in Tel Aviv gekauft habe, und werde sie nicht ablegen, bis nicht alle Geiseln und alle Soldaten zuhause sind.

Kommentare»

1. rosenwind - Januar 15, 2024, 18:00

Liebe Lila, ich wünsche Ihnen weiterhin viel Kraft und Zuversicht! Es ist alles so traurig! Ich bin nicht gläubig, aber ich bete für ihr Land! Viele Grüße aus Berlin

2. Julia - Januar 16, 2024, 0:37

Vielen Dank für diese persönlichen Geschichten. Es ist wirklich zum Verzweifeln, überall wird nur vom Leid der Palästinenser gesprochen. Und so viele Leute rundherum werden mir so fremd- ich weiß oft echt nicht, ob es sinnvoll ist, immer weiter zu argumentieren, es scheint oft so sinnlos. Aber dein Blog macht mir immer wieder Mut, man darf nicht aufhören, zu reden. Danke dir dafür.

3. Irene - Januar 16, 2024, 18:12

Wie immer habe ich den Artikel gerne gelesen. Danke dafür, dass Du uns hier in Deutschland ins Bild setzt. Ich hoffe mit Euch!
Irene

4. Hanna Ringena - Januar 24, 2024, 1:17

Ach Lila, ich bin bei Dir, bei Euch in Israel


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