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Eloge auf ein kleines Zimmer Januar 3, 2024, 1:44

Posted by Lila in Land und Leute, Persönliches.
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In unserem Haus gibt es ein kleines Zimmer, so groß wie ein Kinderzimmer. Es war tatsächlich, als wir hier einzogen, ein Kinderzimmer. Quarta war, als wir hier einzogen, noch keine zehn Jahre alt, und es war ihr Zimmer. Nach ein paar innerfamiliären Veränderungen (große Kinder zogen vorübergehend aus, wieder zurück, wir wohnten für ein paar Jahre in einem doppelt so großen Haus und zogen dann, als die Söhne endgültig aus dem Haus waren, wieder hierhin zurück…) diente das kleine Zimmer erstmal als Kammer, in dem sich alles stapelte, was wir nicht sofort einräumen konnten. Zwischen den Kartons brachte eine Katze ihre Kleinen zur Welt, und irgendwann gaben wir uns einen Ruck, die Töchter und ich, und verwandelten das kleine Zimmer in mein Arbeitszimmer.

Hier stehen die Bücher, die ich immer griffbereit haben möchte, unsere Aktenordner und Dokumente. Der Reserve-Kühlschrank, mein Schreibtisch mit Laptop, und all die Paraphernalia, die ich für nötig halte, um einen Arbeitstag vor dem Computer unbeschadet zu überstehen. Es ist gemütlich hier, und ich habe alles griffbereit. Durchs Fenster sehe ich auf die Zitronenbäume, die gerade so voll hängen, dass ich tütenweise Zitronen verschenke und trotzdem nicht weiss, wohin damit. Nein, falsch – ich sähe auf diese Zitronenbäume, wenn das Fenster denn offen wäre. Aber das ist es nicht.

Seit letztem Pessach, als wir hier saßen, während draußen Raketen auf unsere Gegend fielen, sind die Stahlläden allerhöchstens einen kleinen Spalt offen, und seit dem 7.10. fest verrammelt. Die Gummidichtung in der Tür haben wir in Ordnung gebracht, und der Kühlschrank ist gut gefüllt. In einer Ecke stapeln sich Wasserflaschen, und es gibt Essensvorräte, mit denen man es schon drei Tage aushalten könnte, wenn man müßte. Die Wände sind dick, die Tür aus Stahl und öffnet sich nach außen. Das Fenster zeigt nach Südwesten. Nach Norden wäre nicht ratsam.

Wer durch Nord-Israel fährt, kann an Mehrfamilienhäusern an der Süd- oder Westwand die Reihe von Stahlläden sehen, je nach Lage offen oder geschlossen. Im Süden zeigen die Fenster nach Norden, denn dort droht die Raketengefahr aus dem Süden.

Seit dem Irak-Krieg muß jedes Haus so einen Schutzraum haben. Er heißt Mamad, merchav mugan dirati – geschützter Bereich der Wohnung. In Mehrfamilienhäusern, die keine Mamadim bieten, gibt es Schutzbereiche in jeder Etage, Mamak genannt – merchav mugan komati. Wer weder das eine noch das andere hat, und für wen die Luftschutzräume nicht schnell genug erreichbar ist, dem rät das Homefront commando, sich im Treppenhaus eine Etage tiefer zu begeben, möglichst weit entfernt von Fenstern. In Bädern, wo Fliesen splittern könnte, sollte man sich auf keinen Fall aufhalten.

Schulen, Kindergärten und öffentliche Gebäude, auch Einkaufszentren, haben alle ausgeschilderte Wege in Schutzbereiche, und die meisten israelischen Krankenhäuser haben unterirdische Stationen. Im Notfall wird so viel wie möglich in diese aufwendigen unterirdischen, gut geschützten Bereiche verlegt.

Wer jetzt in Israel Google maps nutzt, kann sich die Lage der öffentlichen Luftschutzbunker ansehen, aber weil auch in Tel Aviv die Warnzeit nicht üppig bemessen ist, sollte man im Falle eines Alarms lieber in ein Gebäude sehen. Die Türen von Mehrfamilienhäusern sind in Krisenzeiten immer offen, damit Passanten sich dorthin flüchten können. (Natürlich besteht auch das Risiko, dass Terroristen eindringen könnten – alles schon passiert.)

Wenn man mit dem Auto unterwegs ist – anhalten und auf den Boden legen, Hände über den Kopf und abwarten. Nach jedem Alarm muß man mindestens zehn Minuten warten, bis auch die Gefahr von herabfallenden Trümmerteilen von Raketen, die Iron Dome zerschießt, vorbei ist. Bei einem Direkteinschlag nützen einem die Hände wenig, aber im Fall von Splittern ist es wichtig, so niedrig wie möglich zu liegen.

In arabischen Medien wird gern darüber gelacht, wenn Israelis in Deckung gehen, aber wir lieben das Leben und liegen lieber zehn Minuten am Boden, um dann wieder aufzustehen, als dass wir uns aus falschem Stolz Splitter einfangen.

Natürlich gibt es viele, die sich so auf Iron Dome verlassen, dass sie bei Alarm auf die Balkone eilen und das Spektakel filmen. Das ist aber gefährlich. Meine deutsche Sozialisation schlägt voll durch, und ich befolge alle Anweisungen genau. Auch an meinen Arbeitsplätzen weiß ich genau, wohin ich mein Volk schicken muß, und habe immer im Hintergrund die Warn-App laufen. Ich würde in so einem Fall als Letzte aus der Klasse gehen und abschließen, das habe ich mir alles schon überlegt und der Schlüssel liegt immer auf dem Tisch.

Doch am sichersten fühle mich in meinem kleinen Arbeitszimmer. Dort verbringe ich die meisten Stunden,und eigentlich sollte ich hier schreiben, denn natürlich sitze ich auch jetzt in unserem Mamad. Wenn hier in der Gegend Alarm ist, bekomme ich sofort eine Whatsapp-Nachricht vom Sicherheitsteam des Moshavs, normalerweise mit der Empfehlung, mich in der Nähe des Schutzraums aufzuhalten. In unserer Gegend, bekanntlich mit 0 Sekunden Vorwarnzeit, sollte man kein Risiko eingehen. Ich lasse dann die Wäsche Wäsche sein und setze mich wieder an den Computer.

Die Stahltür lasse ich offen, damit ich hören kann, was draußen vorgeht. Bei mir sind ja immer alle Fenster offen, und oft auch die Türen, weil ich gern frische Luft im Haus habe und es genieße, dass wir jetzt ohne Klimaanlage leben. Ich habe gute Ohren, und wenn die nördlichen Fenster offen sind, höre ich das Rumoren an der Grenze ganz gut, obwohl es 5 km weit weg ist. Die Akustik ist hier irgendwie sehr gut, und normalerweise irre ich mich nicht. Wenn es in der Ferne rumpelt, kommt in der Nähe Alarm, Eli vom Sicherheitsteam postet eine kurze Sprachnachricht oder einfach nur ein Warnbild, und die Artillerie fängt an zu böllern. Inzwischen bin ich so abgehärtet, dass ich einfach weiterarbeite.

So ist es schon geschehen, dass Yaron mich von der Arbeit (weit entfernt) anruft, ob alles okay ist. Ich war bis über beide Ohren in ein Buch versunken und habe glatt verpaßt, dass in Metzuba Alarm war und in Shlomi auch. Er verpaßt die Stoßzeiten meist, denn die sind vor- und nachmittags. Gegen Abend und nachts ist es meist ruhiger.

Das einzige Mal, dass die Stahltür für längere Zeit geschlossen war und wir drinnen, war zu Anfang des Kriegs, bei dem großen Fehlalarm, der ganz Nordisrael in die Schutzräume geschickt hat. Ich sehe es jetzt als große Übung an, aber an dem Tag verbreiteten die Medien ohne Beweise die Warnung, dass die Hisbollah mit Paraglidern zu Dutzenden eindringt. Nach dem 7.10., der nur ein paar Tage zurücklag, kam das den meisten nicht unwahrscheinlich vor, und warum die Hisbollah das nicht schon längst versucht hat, weiß ich nicht. Wir saßen jedenfalls im Dunkeln, draußen summten die Drohnen (wir haben „unsere“ Überwachungsdrohne, die wir immer hören und vermissen, wenn sie mal woanders rumschwirrt) und keiner wußte, was nun eigentlich los ist.

Ich hatte Angst, mein Mann nahm das Ganze nicht ernst, und natürlich hatte er wieder mal Recht. Als die Nachricht durchkam, daß es ein Fehlalarm war, waren wir alle wütend und erleichtert zugleich. Der Soldat, der das versemmelt hat, sollte das besser weiterhin geheimhalten, weil ihm viele Leute gern die Ohren langziehen würden. Bis das Adrenalin aus meinem System ausgeschieden war, hat es bestimmt ein paar Tage gedauert. Seither habe ich haber keine Angst mehr gehabt, obwohl ich das Geböllere, die Raketen, die Iron-Dome-Abschüsse, Flugzeuge und Drohnen immer noch ungern höre.

Es ist natürlich klar, daß bei einem direkten Angriff, besonders mit größeren Raketen, so ein Schutzraum keinen totalen Schutz bietet. Auch bei chemischen oder biologischen Angriffen nicht, obwohl es alle möglichen Filtersysteme gibt, die wir nicht haben. Und wenn Terroristen in ein Dorf eindringen, eine Stadt oder einen Kibbuz, wie es die Hamas am 7.10. getan hat, dann braucht man eine extra Schutzeinrichtung, um die Tür zu verriegeln, die dafür gar nicht gedacht ist. Findige Bastler haben alle möglichen Dinge dazu benutzt. Mein Ingenieur, dem tatsächlich nichts zu schwör ist, hat zu diesem Behufe ein kräftiges Metallrohr zusammengeschraubt, mit dem sogar ich die Tür verriegeln kann. Aber das sollte man nur im Notfall tun, wenn es wirklich nötig ist, denn die Tür hat aus gutem Grund kein Schloß. Rettungskräfte können dann nämlich auch nicht rein.

Bei kleineren Raketen und Splittern bieten die Mamadim aber wirklich Schutz. In Sderot haben ganze Familien überlebt, nachdem ihr Haus durch eine Rakete zerstört wurde. Ohne die Disziplin, diese Räume tatsächlich immer aufzusuchen, wenn es Alarm gibt, wären viel mehr Menschen in Israel verletzt oder getötet worden. Der Aufwand ist groß, die ganzen defensiven Maßnahmen sind teuer (von Iron Dome und ähnlichen Systemen fange ich gar nicht erst an…) und am Ende ruft die Weltöffentlichkeit: ihr seid die Bösen, denn auf der anderen Seite sterben mehr, also sind sie die Opfer und ihr die Täter. Egal wie kraß wir angegriffen werden, für viele Menschen sind Israelis eben grundsätzlich Täter.

Wir hier im Norden haben seit 2006 viel weniger unter Raketen zu leiden gehabt als der Süden. Dort sind die Familien-Mamadim wirklich Zufluchtsort, so wie mein Arbeitszimmer für mich. Ich fühle mich dort wohl und geborgen und kann ungestört arbeiten, lesen oder malen.

Daß die Familien im Süden in diesen Schutzräumen überfallen, gequält und getötet worden, ist darum besonders schockierend. Nicht als ob es im Wohn- oder Schlafzimmer besser gewesen wäre. Aber in einer Welt voll Alarme und Raketen haben diese Räume eine besondere Bedeutung. Daß sie die Menschen in Nir Oz und Beeri nicht schützen konnten vor der Barbarei, daß der Tod viele dort ereilt hat, daß sie in Brand gesetzt wurden, um die Familien nach draußen zu treiben, wo sie erschossen oder verschleppt wurden, macht es irgendwie noch schlimmer.

2010 – Quartas Zimmer

2015 – nach dem Wiedereinzug, das Katzenparadies

2016 – Arbeitszimmer. So herrlich leer müßte es hier mal wieder werden!

2021

Kommentare»

1. 24-01-04 Zivile Mittagsdämmerung – iberty.de - Januar 4, 2024, 18:05

[…] Haus ist warm, steht aber Zielgebiet von Hisbollah-Raketen: Eloge auf ein kleines Zimmer. Sie schreibt über drei Monate Krieg: Zeit, Zeit, […]

2. Als Feldmarschall im fremden Krieg | himmel und erde - Januar 8, 2024, 16:01

[…] Situation. Ach möge sie einmal einen der „Letters from Runghold“ lesen, z.B. diesen in dem und in den vorherigen eindrucksvoll davon geschrieben wird, dass bereits der gesamte Norden […]

3. Fremde Feder: Amalek und das Missverstehen | himmel und erde - Januar 17, 2024, 13:26

[…] Land) Schutzmaßnahmen ergriffen hat, Bunker und kleine Shelter gebaut und aufgestellt hat, für relativ sichere Räume in den Wohnhäusern wirbt und sorgt und seit Oktober und dem ständigen Beschuss aus Gaza und […]


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