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Symbole April 22, 2007, 19:40

Posted by Lila in Land und Leute, Uncategorized.
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Als ich heute nach der Feierstunde an meinem Arbeitsplatz langsam durch die Menge geschoben wurde, die sich von der Wiese in die Gebäude zurückbegab, hörte ich hinter mir einen abgerissenen Dialog zwischen zwei jungen Männern. „Also eigentlich sollten wir die Nationalhymne ändern oder ganz abschaffen. Nur von der jüdischen Seele zu singen, wo hier doch so viele Araber leben, das finde ich stillos.“ „Mach dir keine Sorgen, die haben bald ihre eigene Hymne…“ und ich verlor das weitere Gespräch aus den Ohren.

Unterwegs zum Einkaufen mit Y. (in unserem drusischen Lieblings-Sssuper) erzählte ich ihm von dem erlauschten Gespräch. Er sagte, „na, ja wenn wir singen, daß UNSERE Hoffnung noch nicht verloren ist, könnten man da auch raushören, vergeßt EURE Hoffnung. Ich würde die Hymne ändern, damit sich auch nichtjüdische Israelis damit identifizieren können. Schließlich steht in der Unabhängigkeitserklärung, daß alle Bürger gleichberechtigt sind“. Er hängt nicht an Symbolen, er sieht sie eher funktional.

Wir kamen mit dem Auto am Soldatenfriedhof des Drusendorfs vorbei – in Trauben strömten junge Soldaten und Soldatinnen heraus, Drusen und Juden gemeinsam. Wenn ein drusischer oder beduinischer Soldat stirbt, wird er wie alle anderen Gefallenen in der israelischen Flagge begraben – die den Davidstern und die Streifen des Tallit trägt. Y. würde Staatssymbole vorziehen, mit denen sich auch diese Bürger identifzieren können.

So sprachen wir also über Symbole. Ich habe mehr Geduld mit Symbolen. Der Status der nichtjüdischen Bürger in Israel bemißt sich für mich nicht an Flagge, Emblem oder Hymne. Diese Symbole widerspiegeln einen Nationalismus, der selbst schon wieder historisch ist und den wir heute so ungebrochen nicht mehr vertreten – aber seine Früchte ernten wir, und nicht nur wir in Israel. Ohne diesen Nationalismus wäre auch der deutsche Staat 1871 nicht vereinigt worden, und auch 1989 nicht (wir sind EIN Volk, wir sind ein VOLK). Auch in der deutschen Nationalhymne unterschreibe ich ja nicht jede Zeile.

Deutsche Frauen, deutsche Treue, deutscher Wein und deutscher Sang

sollen in der Welt behalten ihren alten schönen Klang.

Ich als deutsche Frau habe also denselben Status wie ein Bocksbeutel oder der blau blau blau blühende Enzian? Als Genußobjekt, auf das die Sänger dieser Zeilen, nämlich die deutschen Männer, stolz sind? Na. Fühle ich mich wirklich vertreten in diesen Zeilen? (Auch Antialkoholiker und Sangesfeinde werden sich kaum darin wiederfinden 😉

Aber für ein Lied, das vor recht langer Zeit geschrieben wurde, werfe ich meine post-feministischen oder post-nationalistischen Dekonstruktionsmaschinchen nicht extra an. Das sind Dokumente ihrer Zeit. Ob Frauen in Deutschland gleichberechtigte Bürgerinnen, Drusen, Moslems, Christen und Tscherkessen in Israel gleichberechtigte Bürger sind, das messe ich nicht an einem Symbol.

Symbole fassen nie alle Aspekte eines abstrakten Sachverhalts – man muß sich immer was dazudenken. Die wirkungsvollsten Symbole sind gerade die schlichten, eingängigen – der Apfel, der Fisch, der Granatapfel, der Stern. Die mir so wohlbekannten Symbolsysteme des 17. Jahrhunderts dagegen, die in Fußnoten jede Bedeutungsnuance der braven Hausfrau oder Mäßigkeit noch erfassen wollten, fesseln viel weniger – oder wenn, dann eher intellektuell. Aber nicht emotional. Und letztendlich bindet uns ein Symbol emotional. Wenn wir es schaffen, Davidstern und Hymne zu einem Symbol friedlichen, gleichberechtigten Zusammenlebens werden zu lassen, dann können wir stolz sein, alle miteinander, ob jüdisch oder nicht.

Das ging mir nun gerade so durch den Kopf, als ich auf diesen Artikel von Gideon Levy stieß. Er hängt schon seit vielen Jahren die Flagge nicht mehr raus, weil sie für ihn durch den Gebrauch als Hoheitszeichen in den besetzten Gebieten beschmutzt ist. Auch er verengt das Symbol auf den einen Aspekt, der ihm mißfällt. Sollte es ihn nicht ermutigt haben, daß die Befürworter der Räumung der Siedlungen sich die blaue Farbe zumSymbol erkoren haben? Unter der israelischen Flagge ist Platz für viele Ansichten. Wer sie nicht mehr aufhängt, weil er sie von anderen benutzt sieht, verkleinert damit ihren Symbolwert. Vielleicht bedeuten ihm Symbole nichts. Aber wer ein Symbol liebt, der läßt es sich nicht so schnell wegnehmen.

Soweit habe ich aber beim Lesen gar nicht gedacht. Noch bevor ich den Artikel durch hatte, war ich schon an der Schublade und kramte die Flaggen hervor. Nun ist auch unser Haus blauweiß geschmückt. Auch wenn mit dieser Flagge, im Namen der Flagge sich politische Strömungen versammeln, deren Ziele ich nicht teile – das bedeutet nur, daß ich ihre Ziele nicht teile. Aber nicht, daß sie und ich nicht dieselbe himmelfarbene Flagge flattern lassen können. Für mich bedeutet diese Flagge die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft. Sie ist ein Zeichen der Selbstbehauptung eines kleinen, viel verfolgten und stets, auch heute, bedrohten Volks. Ich meine gewiß nicht, daß diese Selbstbehauptung auf Kosten anderer gehen sollte. Ich meine aber auch, daß man diese Selbstbehauptung ruhig zulassen könnte und sich die Welt mit unserer Existenz abfinden könnte. Es ist genügend Zeit vergangen, und wenn die Geschichte unserer Staatsgründung von Gewalt begleitet war, dann war ein Großteil dieser Gewalt gegen die Juden gerichtet.

Danke jedenfalls an Gideon Levy, daß er mich daran erinnert hat, die Flaggen aufzuhängen, bevor der Abend hereinbricht und die Trauerfeier beginnt.

Kommentare»

1. eran - April 22, 2007, 22:11

Es bestehen auch Flaggen mit Kreuze und Halbmonde.
Aber nur das einigste jüdische Land der Welt soll auf ihre Identität verzichten.

Übrigens hatte Gideon Levy kein Problem damit Israel die Flagge mit dem Hakenkreuz anzuhängen. Wegen seiner Vergleiche Israel mit dem dritten Reich ist er auch beinah entlassen worden.

2. Lila - April 22, 2007, 23:29

Vielleicht sollten wir ja auch einen hellblauen Diamanten auf die Flagge setzen, um die anstößige Assoziation loszuwerden…

3. Christian - April 22, 2007, 23:55

Nichts da! Wer den blauen Stern anstößig findet, wird an einem Diamanten und dem dahinter stehenden Gemeinwesen nicht weniger Kritik üben. Und den Leuten, die die Juden lieber heute als morgen ins Meer treiben würden, ist jedes Symbol recht, um ihre verbrecherische Ideologie auszuleben. Die Israelis dagegen können stolz auf ihren demokratischen Staat und seine Symbole sein.

4. Lila - April 23, 2007, 0:11

Der Diamant war auch mehr ironisch gemeint… das Rote Kreuz hat ja viel vertragen können, aber nicht den Davidstern. Deswegen wird der rote Davidstern gegen einen roten Diamanten ausgetauscht, damit Israel endlich zugelassen wird. Eigentlich ein Skandal – aber einer, über den sich außer uns in Israel keiner geärgert hat. In Kurzform hier erzählt. http://www.ekiba.de/glaubeakt_7622.htm

5. eran - April 23, 2007, 0:11

Christian,

http://www.netzeitung.de/ausland/493087.html

Neues Symbol für Rot-Kreuz-Bewegung

Kristall statt Davidstern. Ein neutrales Symbol soll Einsätze der humanitären Organisation Roter Davidstern im Ausland vereinfachen. Die arabischen Staaten hatten sich gegen die Verwendung des Davidsterns gesperrt.

Ein ehemaliger Vorsitzender des Roten Kreuz sagte vor Jahren man könnte gleich den Hakenkreuz auflisten wenn der Davidstern aufgenommen wird.

6. beer7 - April 23, 2007, 11:57

Die Kampagne gegen die Flagge ist nicht auf Israel beschraenkt: Auch das St. Andreaskreuz sollte aus der britischen Flagge entfernt werden, wenn es nach dem Council for the Advancement of Arab-British Understanding ginge.

http://edition.cnn.com/2005/WORLD/europe/10/04/britain.redcross/

Im Gegenzug wuerde ich aber auf die Entfernung des Halbmonds aus allen Flaggen bestehen. Das koennte die Oesterreicher auf unsensible Weise an die Belagerung von Wien erinnern…

Gideon Levy ist fuer mich indiskutabel, seit ich an einem seiner Artikel herausgearbeitet habe, wie die Tatsachen bewusst verdreht, um sie seiner Agenda anzupassen.

7. Lila - April 23, 2007, 12:05

Ich glaube, das Andreaskreuz ist auf der schottischen Flagge, es ist ein X (wie bei der Kreuzigung des Hl. Andreas). Der Union Jack hat ein Balkenkreuz. Muss das nachprüfen, aber ich bin mir fast sicher, daß die britische Flagge kein Andreaskreuz zeigt. Ah, auf der englischen Flagge ist ein Georgskreuz.

Ja, hier ist es.

Was natürlich an der Sache nichts ändert.

Man müßte eigentlich alle Symbole abschießen, weil jedes Mal irgendwo von jemandem benutzt wurde, mit dem jemand anders nicht übereinstimmt. Weg damit!!! Auch das Herz ist ja von den Christen als Symbol der Caritas benutzt worden (Herz, Anker, Kreuz als Liebe, Hoffnung, Glaube). Pfui Teufel. Und die Rose – Lutherrose!

Der Ikonoklasmus wollte übrigens etwas ganz Ähnliches, aber da der Mensch nun mal ein symbolschaffendes Wesen ist, hat das nicht geklappt.

8. beer7 - April 23, 2007, 12:47

Du hast natuerlich Recht, das Georgskreuz. George, der Drachentoetet ist ja der englische Nationalheilige. Da habe ich – wenn ich mich Recht erinnere – bei Theweleit – mal mit Bilder untermauert, die These gelesen, dass der Drache fuer die weibliche Sexualitaet steht. Als Frau muesste ich ach auf die Abschaffung von vielen Symbolen bestehen…

9. Lila - April 23, 2007, 13:11

Ho ho, das halte ich für eine gewagte These von Theweleit. Ich mißtraue psychologischen Interpretation von Symbolen. Kommen immer viel zu allgemeine Sachen bei raus, oder die Ansichten des Interpreten. Freud hat da viel Schaden angerichtet, wie in der Kindererziehung ebenfalls… und dann sind in Nullkommanichts sämtliche Katzen, Fische, die Medusa, Drachen, offene Gefäße, geschlossene Räume, Blumenkelche, Früchte, Nacht und Meer und was weiß ich was noch zu Symbolen weiblicher Sexualität erklärt. Und das erklärt dann gar nichts mehr…

10. willow - April 23, 2007, 13:39

Kleine Anmerkung: Bei der britischen Flagge (Union Jack) handelt es sich um die übereinandergelegten Nationalsymbole der „Teilstaaten“, dem Kreuz des Heiligen Andreas, des Schutzpatrons Schottlands – dem Kreuz des Heiligen Georg, des Schutzpatrons Englands und dem und dem Kreuz des Heiligen Patrick, des Schutzpatrons von Irland.

(http://www.britischebotschaft.de/de/britain/ab_2.htm)

Aber auch hier gilt: Was aber als Symbol der Einheit gedacht war, wurde schnell zum Symbol einer internationalen Kontroverse – nicht nur, weil die Waliser übergangen wurden…

11. Lila - April 23, 2007, 13:51

Na, was wollen denn die Waliser – ein Symbol für weibliche Sexualität auf die schöne Flagge pappen…?

12. niels | zeineku.de - April 23, 2007, 17:48

„Auch in der deutschen Nationalhymne unterschreibe ich ja nicht jede Zeile.“

Da muß ich mich hier mal zum korinthenkackenden Juristen aufschwingen: Seit Anfang der 1990iger Jahre gehört die oben zitierte Zeile nicht mehr zur deutschen Nationalhymne, welcher nunmehr nur noch aus der dritten Strophe des Hoffmannschen Deutschlandliedes besteht.

Ansonsten hast Du aber sehr recht!

13. Lila - April 23, 2007, 18:08

Stimmt, Etsch und Belt sind offiziell abgeschafft. War ja auch nur ein Beispiel 😉

14. MartinM - April 23, 2007, 19:08

Symbolverbote – oder die ängstliche Vermeidung von Symbolen, die bei irgendjemandem missliebige Assotiationen hervorrufen – halte ich mit dem ollen Bloch („… der hatte Hoffnung noch – aber nur im Prinzip“) für gefährlich:
„Wenn die Aufklärer und Humanisten stärkere Bilder gehabt hätten, wären die Nazis nicht an die Macht gekommen. Eine Kultur, die Archetypen, Mythen und Symbole nicht ernst nimmt, wird möglicherweise hinterrücks von ihnen heimgesucht.“ Ernst Bloch

„Ein ehemaliger Vorsitzender des Roten Kreuz sagte vor Jahren man könnte gleich den Hakenkreuz auflisten wenn der Davidstern aufgenommen wird.“ – Diese Äußerung zeigt, dass der Mann keine Ahnung hatte, denn z. B. in Nepal wäre eine „rote Swastika“ überhaupt nicht problematisch und könnte, allerdings nur regional, tatsächlich in die Liste aufgenommen werden. Es kommt bei einem Symbol immer auf den kulturrellen Kontext an, in dem es steht.

15. willow - April 23, 2007, 20:01

Ich fürchte, genauso hat der gute Mann das gemeint – daß das im ferneren Osten traditionelle Symbol „Swastika“ in den Augen von Europäern irgendwie unpassend wär… aber da hört der Vergleich schon auf, den Juden und Nazis in einen Topf zu werfen, das zeugt von äußerst merkwürdigen Ansichten. Vorsichtig formuliert.


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