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Neues oder nichts Neues September 22, 2013, 10:49

Posted by Lila in Persönliches, Presseschau.
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Heute wird in Deutschland gewählt – ich bin gespannt, wie es ausgeht, vor allem die kleinen Parteien scheinen interessant zu werden.

Gestern abend war ich so unvorsichtig, nach längerer Zeit wieder Nachrichten zu gucken. Zwei grauenhafte Mordfälle in Familien in der letzten Woche – eine Mutter hat ihre Kinder erstochen, aus Angst, daß das Jugendamt die Kinder wegnimmt – ein Vater hat seine Kinder von einem Balkon im 11. Stockwerk geworfen und ist hinterhergesprungen, als Rache an der Exfrau. Unvorstellbare Taten. Bei der eingehenden Berichterstattung bin ich hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, daß solche vermeidbaren Tragödien zu einer größeren Aufmerksamkeit führen und vielleicht verhindern, daß nächste Woche weitere kleine Gräber ausgehoben werden müssen, und zwischen der Angst, daß diese Taten andere nach sich ziehen.

Wie Menschen es fertigbringen, ihre vertrauensvollen, verletzlichen Kinder brutal zu ermorden – ein Abgrund, in den man nicht blicken möchte. Ich denke an die letzten Momente dieser Kinder, die ihre Geschwister sterben sahen und wußten, daß sie nicht entrinnen können. Kinder im Grundschuldalter, die schon verstehen, was ihnen da geschieht. Da stockt einem der Atem vor Entsetzen und Grauen.

Dann der Mord an dem Soldaten Tomer Chazan, der wohl neben dem Armeedienst noch Zeit hatte, in einem Restaurant zu jobben. Dort arbeitete er mit einem Palästinenser, Nidal Amar, der ihn nach Kalkiliya einlud oder lockte. Der Palästinenser hatte keine Arbeitserlaubnis in Israel und hätte wohl auch keine bekommen. Sein Bruder, ein Tanzim-Terrorist, sitzt in Israel im Gefängnis, und damit wäre Nidal Amar als Sicherheitsrisiko eingestuft worden.

Tomer war so dumm und naiv, sich überreden zu lassen, wurde ermordet und seine Leiche in einen Brunnen geworfen. Amars Plan war, mit Tomers Leiche seinen Bruder aus dem Gefängnis freizupressen. Das klappte aber nicht. Er wurde aufgespürt und die Leiche ebenfalls, bevor es zu einer Epressung kommen konnte.

Seit Monaten und Jahren wird immer wieder vor solchen Szenarien gewarnt. Terrororganisationen sehen Israel heute als erpreßbar an, mit gutem Grund, und arbeiten darum mit Volldampf an solchen Plänen. Im Fernsehen wurde erwähnt, daß es in den letzten Monaten dreißig vereitelter Versuche gegeben hat – allerdings ohne Einzelheiten.

So schön es einerseits ist, wenn sich Israelis und Palästinenser gut verstehen und ein Israeli eine Einladung in ein Dorf annimmt – so gefährlich ist es auch. Sehr viele israelische Arbeitgeber sind im Laufe der Jahre von ihren teilweise seit Jahren bekannten palästinensischen Angestellten ermordet worden. In diesem Falle war es ein Kollege. Der Besitzer des Restaurants, der Nidal Amar schwarz und ohne Papiere eingestellt hat, wird vermutlich vor Gericht gestellt.

Der Kampf gegen shabachim (illegale Arbeitsuchende) nimmt viel Zeit und Energie in Anspruch, auch meine Söhne haben an solchen Aktionen teilgenommen. Skrupellose Israelis schleusen in Minibussen ganze Truppen von Palästinensern nach Israel, um dort zu Billiglöhnen schwarz zu arbeiten. Wie gefährlich das ist, sieht man an solchen Fällen. Ein Einzeltäter, der vor nichts zurückschreckt, ist einer zuviel.

Solche Geschichten sind der Grund, weshalb die israelische Armee nicht davon begeistert ist, wenn Soldaten spontan auf einer Hochzeit oder Party zwischen lauter Palästinensern tanzen. Es reicht ein Irrer in der Menschenmenge.

So viele schreckliche Nachrichten. Terror in Nairobi, Terror im Irak, das Schlachten in Syrien geht weiter und beide Seiten sind unbeschreiblich grausam, doch wir begnügen uns damit, daß nur noch schöne Dinge wie Messer, Geschosse und Bomben benutzt werden dürfen, aber keine chemischen Waffen mehr, um die Mencshen zu Tode zu quälen.

Da heitert mich auch nicht auf, daß hier wunderschön herbstliche Sukkot-Tage sind. Letzte Nacht kam der erste Regen – ich habe mich auf die Terrasse gesetzt und einfach nur das Geräusch des Regens genossen und den unbeschreiblichen Duft der Erde, der Kräuter und Bäume. Die Wildschweine kommen nachts immer noch und wälzen zornig unsere zugezurrte Mülltonne am Boden (ein Gurt ist dabei kaputtgegangen und die Tonne hat zwei Risse abbekommen), und beim Wildschwein-Beobachten haben wir neulich ein scheues Stachelschwein vorm Haus beobachten dürfen. Ich habe auch wieder ein Reh gesehen und Y. ist begeistert von den seltenen Vögeln in dieser Gegend. Die Natur tröstet einen schon, aber die Abgründe im Menschen sind zu schrecklich und bedrückend. Wie halten wir es eigentlich aus, dieses Wissen? Je älter ich werde, desto schwerer fällt es mir, es zu verdrängen.

Kommentare»

1. um - September 22, 2013, 10:56

„Wie halten wir es eigentlich aus, dieses Wissen? Je älter ich werde, desto schwerer fällt es mir, es zu verdrängen.“
Die Welt wird nie mehr die sein, die sie einmal war. Ein Fluch, dieses Wissen um die Abgründe.

2. wollecarlos - September 22, 2013, 11:03

Ganz auf die Schnelle:

Schön, daß Sie wieder -nach fast zwei Wochen- da sind. Ich hatte schon Schlimmes befürchtet!

3. grenzgaenge - September 22, 2013, 11:44

Liebe Lila,

wie halten wir dieses Wissen eigentlich aus ? Und wie halten wir die Blindheit aus, mit der so viele geschlagen sind ? Ich kann die „Schwer-heit“, um nicht zu sagen, den Schwer-mut“ so gut nachvollziehen. Die Welt ist in der Tat nicht mehr wie sie war. Die ökologische Selbstvernichtung lasse ich mal aussen vor. Es scheint, besonders in Deutschland, eine gute Zeit für Diktatoren zu sein. Das die beiden grossen Kirchen nichts zum Islamus sagen – Nun ja, liebe Lila, Gedankenübertragung –

Wer beschützt bedrohte Christen ?

Die Abgründe werden tiefer oder – wie Paul Spiegel sagte – die Schatten werden tiefer. Ich muss oft an Paul Spiegel denken in den letzten Tagen.

Es gilt nicht zu verbittern. Nur: Wie macht man das ?

Beste Grüsse vom Grenzgänger

4. Silke - September 22, 2013, 12:50

When ignorance is bliss it’s folly to be wise

habe ich mir mal gemerkt, ich meine, es sei von nem alten Römer gewesen

und nein, es iss nix Neues, woran mich John Gray in jedem seiner Interviews und Vorträge eindrucksvoll erinnert und es ist vielleicht gut für unserem Alltag, daß wir immer wieder vergessen, daß es schon immer so war und uns der Illusion hingeben, es könne ZUVERLÄSSIG besser werden, während es in Wirklichkeit nur gute und schlechte Zeiten und/oder Orte gibt.

http://en.wikipedia.org/wiki/John_N._Gray

Ich denke drum, daß man, wenn man das Glück hat, sich zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu befinden, dem Schicksal sehr sehr dankbar sein sollte.

Apropos Chemiewaffen – analog dazu: alle reden von Hiroshima und Nagasaki, vom absoluten Horror, das das Fire Bombing von Tokyo war, erfährt man bestenfalls in nem Nebensatz.

5. Silke - September 22, 2013, 13:08

PS:
ich meine mal gelesen zu haben, daß friedensbewegte Israelis sich gerühmt haben, als Sicherheitsrisiko eingestufte Palästinenser nach Israel geschmuggelt zu haben.

Kommt aus dieser Ecke irgendein Kommentar zu dem Mord und wenn ja welcher?

Und nein, seinen Mitmenschen hie und da wider alles bessere Wissen zu vertrauen, bedeutet nicht, daß man dumm ist, es ist eine sehr liebenswerte Eigenschaft.

und zur Erinnerung:

http://www.idfblog.com/2013/08/22/2013-terror-attacks-attempts-you-never-heard-about/

auch sehr interessant für mich, weil es mich in meiner Ansicht bestärkt, daß nur sehr Geschulte Bilder einigermaßen richtig lesen können und wir Laien dumm sind, wenn wir unserer Neigung folgend ihnen glauben.

http://www.idfblog.com/2013/09/21/visuallies-exposing-the-truth-behind-demonstrations-in-judea-and-samaria/#more-29757

6. Silke - September 22, 2013, 13:16

und noch’n PS speziell für Lila als Trost

ich habe seit vorgestern nen einfachen Kindle aus’m Sonderangebot und bin sofort auf ein rundum perfektes Antidepressivum von der Art gestoßen, wie sie wohl nur die Insulaner hinkriegen:

The Red House Mystery by A. A. Milne

zu finden und zu haben bei gutenberg.org.

7. janina2212 - September 22, 2013, 14:07

Liebe Lila, so schlimm die Welt ist, versuche ich mich an kleinen Dingen aufrecht zu erhalten, denn ich werde noch (so Gott will) einige Zeit auf dieser Welt verbringen. Dass Menschen weltweit sich online mit dem Filibuster in den USA solidarisiert haben, ein genaues Auge auf alles hatten und somit Manipulationen verhindert haben. Dass in Leserkommentaren und Einträgen Aufklärung und Stellungnahme zu der pädophilen Vergangenheit gefordert wird, die Menschen sich nicht mit dem Gemauere zufrieden geben wollen. Dass mein Patenkind was Süßes bekommt und als erstes die anderen Kindern fragt, ob sie etwas abhaben wollen. Dass u.a. Dein Blog mit seinen Leserkommentaren mir immer wieder zeigt, dass es den gesunden Menschenverstand doch noch gibt. Und damit geh ich jetzt meine beiden Kreuzchen machen.

8. Gallenstein - September 22, 2013, 14:12

Kein Trost:
In der Bibel (NT und/oder AT) steht, dass Gott die Welt Satan bis zum jüngsten Tag zur Verwaltung (Prüfung der Gläubigen) überlassen hat. Oder verkürzt: Die Hölle ist gleich nebenan.
Bleibt zu hoffen, dass es einst Gerechtigkeit geben möge.

Ein Trost für SPON-‚Abonnenten‘ wie Dich:
In den RTL-TV-News (Proll-Sender, der aber auch nette Serien und Filme im Programm hat) wurde letztens über die quasi bedingungslose, kostenlose und warmherzige Behandlung der geschundenen Kreaturen berichtet, die den Weg aus Syrien in ein israelisches Krankenhaus geschafft haben. Lediglich auf die männlichen Verwundeten wird (aus einleuchtenden Gründen) ein eher lockeres Auge geworfen. Kein Hauch von Antisemitismus.

Und noch etwas: der neue Papst scheint kein Götzendiener zu sein, sondern etwas vom Christentum zu verstehen.
Vielleicht kann er ein klein wenig zum Wohl der Menschheit bewirken.
Liebe Grüße

9. Saskia - September 22, 2013, 19:58

Früher war ich sehr motiviert, die Welt „zu verbessern“, ich wollte etwas bewegen, hatte enorm viel Idealismus und guten Glauben in die Menschen. Das hat mich damals oft frustriert, weil ich jeden Stein umgedreht und all die Probleme darunter wahrgenommen habe. Irgendwie hat mich das teilweise zu einem gereizten Menschen gemacht, nachts lag ich schlaflos im Bett und dachte darüber nach, wie viele Menschen in genau demselben Moment an einem Ort der Hölle sein mochten, in Ländern, die nicht so bequem sind wie Deutschland.
Seltsamerweise hörte diese Besorgnis um die Welt und um Einzelschicksale auf, als ich meinen Mann kennenlernte und zu ihm nach Israel zog. Ich begann, das Leben leichter zu nehmen, ausgerechnet hier, wo so viel um uns herum passiert. Inzwischen lese ich weniger Nachrichten (zwei Zeitungen täglich, nicht mehr) und wenn ich über traurige und schlimme Themen „stolpere“, dann sehe ich sie mit viel mehr Distanz.
Ich habe das so beschlossen, ganz bewusst, weil es mich zermürbt hat, so viel Anteil am Weltgeschehen zu nehmen.

Keine Frage, ich finde etliche Dinge sehr tragisch und schlimm, aber ich lasse sie nicht mehr an mich persönlich heran, weil ich das Gefühl habe, dass ich die Welt nicht verändern kann. Höchstens im Kleinen, in meinem persönlichen Umfeld.

Ich kann sehr gut nachvollziehen, wie nah Dir diese Dinge gehen und wie belastend das in manchen Momenten ist. Auch ich habe immer in der Natur meinen Ausgleich und meine innere Ruhe gefunden. Das Geräusch von Regen ist einfach wunderbar…

10. Lila - September 22, 2013, 20:12

Mir fehlt da irgendeine Pelle. Die Sachen gehen mir sofort ins System über, kann mich sehr schlecht abgrenzen von Leid und Schmerz anderer. Dabei gehöre ich nicht zu den Menschen, die wirklich aktiv werden für andere. Ich leide nur stumm mit – was weder mir noch ihnen hilft. Seit Jahr und Tag arbeite ich daran, aber mir wächst diese Pelle einfach nicht.

11. Silke - September 22, 2013, 21:11

nein, ich glaube die Pelle wächst mir auch nicht, denn die hilflose Wut, nix tun zu können wird mit den Jahrzehnten eher größer als kleiner parallel zu den jeweiligen Erkenntnissen wie unmachbar Eingreifen ist.

12. Paul - September 22, 2013, 23:44

Hallo Lila, bin wieder da.
Eine Anmerkung zu 10:

Als ich ein Jugendlicher war, habe ich einen Spruch von einem Kaplan geschenkt bekommen.

„Ich wünsch’t ich wär‘ ein Elefant,
dann würd‘ ich jubeln laut;
es liegt mir nichts am Elfenbein,
nur an der dicken Haut.“

Inzwischen ist meine Pelle durch’s altern gerunzelt und dadurch etwas dicker. 🙂

Gib also die Hoffnung nicht auf. Es geht nicht weg, aber es wird weniger.

Herzlich Paul

13. Lila - September 22, 2013, 23:50

Meine vorhandene Pelle schlägt auch schon Falten, aber ich glaube, die Elefanten haben eine ganz empfindliche Haut 😦 Hab ich mal irgendwo gelesen.

Jedoch: am Elfenbein liegt mir auch nichts.

14. Paul - September 23, 2013, 23:43

Natürlich hast Du recht mit der empfindsamen Haut des Elefanten. Aber 1952 wusste man das wohl noch nicht. 🙂


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