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Hätt ich nur mehr Zeit! November 20, 2009, 21:36

Posted by Lila in Kibbutz, Kinder, Katzen.
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Dann würde ich gern in aller Ausführlichkeit von einem faszinierenden Studientag erzählen, an dem ich gestern teilgenommen habe. Ich  habe ja jahrelang hochbegabte Jugendliche unterrichtet, in verschiedenen Programmen, und das hab ich seit einem halben Jahr aufgegeben… aber ich unterrichte einen Kurs in einem in-service-Weiterbildungsprogramm für Lehrer, die sich auf Hochbegabung spezialisieren.

 

Zwei Drittel der Teilnehmer des Kurses sind Araber, weswegen der Studientag so spannend war – der eingeladene Referent ist ein Professor aus Jordanien, Vorreiter der Arbeit mit Hochbegabten in der arabischen Welt und nicht nur dort, und außerdem ein hochinteressanter Vortragender. Die Diskussion hinterher war mehr als faszinierend, ach, ich hätte das am liebsten alles gefilmt und direkt bei Youtube reingestellt! Da der ganze Tag auf Englisch ablief, wäre das auch gar kein Problem gewesen. Jedenfalls blubbert es in meinem Kopf noch von dem Vortrag, und ich werde meinen Kurs umstrukturieren… hab da ein paar Ideen… leider nicht genug Zeit.

 

Wir werden das neue Haus im Norden, das Übergangshaus für die nächsten anderthalb Jahre, vermutlich Mitte Dezember beziehen – Chanukka wollen wir schon dort feiern. Bis dahin liegen vor mir Gebirge von Aufgaben, die wir bewältigen müssen – Lösungen für die Kinder, der Umzug… Gott sei Dank, der bürokratische Kram mit dem Kibbuz ist friedlich und fair über die Bühne gegangen. Die Abfindungssumme ist nicht gigantisch, was wir auch nicht erwartet haben, aber angemessen und genug, um ein neues Leben solide zu beginnen.

 

Für Kibbuz-Nostalgie ist aber kein Anlaß. Nicht wir verlassen den Kibbuz, sondern der Kibbuz hat uns verlassen – mit der Abstimmung vor zwei Jahren und dem „shinui“. Außerdem bauen wir unser neues Haus auch in einem Kibbuz bzw an dessen Rand, und wir haben die Option, uns dort mehr oder weniger, ganz nach Gusto, zu integrieren. Die Mädchen werden auf Kibbuz-Schulen gehen, und Quarta wird ab Dezember in einem anderen Kibbuz die Nachmittagsbetreuung in Anspruch nehmen, so wie bis jetzt hier. Die Leute, die uns dort umgeben, werden zu einem Großteil Kibbuz-Abwanderer sein – mit den typischen Kibbuznik-Eigenschaften, die ich ja sehr schätze.

 

Und Y., der 46 Jahre lang in diesem Kibbuz zugebracht hat, wo sein Vater geboren ist, seine Großeltern begraben liegen und jeder Baum und Strauch ihm eine Geschichte erzählt – der ist begierig auf mal was anderes. Seine Mutter und sein Bruder bleiben ja hier, wir werden oft zu Besuch kommen, und innere Landschaften und Erlebnisse verliert man nicht. Der Kibbuz, der mal war – den vermissen wir auch, wenn es um uns herum noch so aussieht wie vor 10 oder 20 Jahren.

 

Wir haben ernsthaft erwogen, in einen Kibbuz der alten Art umzusiedeln, aber mehrere Gründe haben uns davon abgehalten. Erstens würden wir dann vermutlich zu den typischen kutern der Sorte „bei uns im Kibbuz wird das aber sooo gehandhabt“ mutieren, wie so viele Menschen, die sich an minimalen Unterschieden reiben… während sie mit großen Umwälzungen gut zurechtkommen. Zweitens: wer garantiert uns, daß der Privatisierungs-Virus nicht auch den Kibbuz unserer Wahl befällt? Nur wären wir dann zu alt für einen weiteren Wechsel.

 

Wir fahren morgen erst unseren Primus besuchen, dann das Übergangshaus angucken, mit den Kindern. Jeder soll sich schon mal ein Zimmer aussuchen, damit wir die Zimmer nummerieren und die Kisten beschriften können… oh bibber. Haltet Ihr mir das Händchen, wenn es ans Packen geht? Ich guck mir die Plörren um mich herum an und will alles, alles wegschmeißen…

 

 

Kommentare»

1. Popeye - November 20, 2009, 23:02

Hi Lila,

in letzter Zeit wurde mir gegenüber Israel Rassismus im Schulsystem vorgeworfen. Kannst Du bitte, wenn Du Zeit hast, die Sachlage erläutern oder entsprechende Links posten?
Vielen Dank!

2. Lila - November 21, 2009, 0:11

Rassismus im Schulsystem? Da müßte ich mehr drüber wissen, woher sich der Vorwurf speist.

Weil es ein arabisches und ein jüdisches Schulsystem gibt, außerdem religiöse Schulen aller Schattierungen und säkulare und gemischte? Und sich jeder aussuchen kann, wo er seine Kinder hin schicken will? Oder wieso?

Ich weiß, daß „wohlmeinende Kritiker“ Israel auf jeden Fall Rassismus vorwerfen, sowohl wenn sie die arabische Minderheit respektiert und ihr große Autonomie einräumt (Ghetto! Zweiklassensystem!) als auch im hypothetischen Fall eines einheitlichen Systems…

Was es sehr wohl gibt, genau wie in Deutschland: rassistische Einstellungen Einzelner, in krassen Fällen auch von Gruppen wie Elternpflegschaften oder Schulleitern, die dann dafür sorgen, daß äthiopische Schüler nicht in ihre Schulen gehen dürfen. Das sind skandalöse Einzelfälle, die mit großem Trara durch die Presse gehen. Wäre das Erziehungssystem von Grund auf rassistisch, würde es solche SChlagzeilen wohl nicht geben.

Der jordanische Forscher meinte gestern, daß in Israel Minderheiten gefördert werden und Aufstiegschancen haben wie nirgendwo sonst im Nahen Osten (und auch in vielen europäischen Ländern nicht – man denke an die Ergebnisse der PISA-Studie, was Kinder ausländischer Arbeitnehmer in Deutschland angeht…). Und das sagte er als Antwort auf die Klage der Studenten über Diskrimination….

Wohlgemerkt, alles Studenten, die ausgebildete Lehrer mit Erfahrung, die meisten davon an arabischen Schulen tätig, die entweder christlich, moslemisch oder sonstwie ausgerichtet sind, ganz nach Wahl der Schulleitung, des Kollegiums, der Elternschaft und der Gemeinschaft. Und alle diese Studenten sind in ihrem Sabbatical, machen also auf Kosten ihres Arbeitgebers, des sonst recht kniepigen Erziehungsministeriums, ein Diplom zur Arbeit mit Hochbegabten, mit dem Ziel, überall im arabischen Sektor Zentren für Hochbegabung einzurichten.

Wenn man die bloße Zugehörigkeit zu einer Minderheit schon als diskriminierned empfindet, dann sind die Araber im israelischen Schulsystem diskriminiert. Aber man sollte nicht vergessen, daß es arabische Bürgermeister und Schulleiter sind, die im arabischen Schulsystem und in arabischen Städten das Sagen haben und die Entscheidungen fällen.

Probleme, die es unleugbar gibt, haben oft multi-kausale Vorgeschichten (zB miserable Steuermoral der arabischen Bevölkerung, daher oft leere Kassen in den Kommunen).

Arabische Studenten studieren, wo sie wollen, kriegen Stipendien, Plätze im Studentenwohnheim, und wenn sie Karriere machen wollen, können sie das (allerdings haben Moslems zB in der Militärindustrie schlechte Karten, und es gibt Bereiche, in denen die Karriere leichter zu bewerkstelligen ist als in anderen – wie es auch für Frauen, Neueinwanderer etc gilt).

Aber Rassismus? Niemand in Israel denkt in der Kategorie „Rasse“, das ist eine deutsche Spezialität. Hier denkt man in ethnischen Kategorien: das Volk Israel, das arabische Volk, das palästinensische Volk.

Aber zum Linksuchen habe ich echt keine Zeit, tut mir leid!

3. Tanja - November 21, 2009, 1:23

Ich las sehr erstaunt, dass ihr von D. weg geht, aber es bloggt ja auch nicht Y., sondern du. Alles Gute!

(Ausmisten ist gut, aber manchmal bereut man zu drastische Massnahmen und es lohnt sich vielleicht im Zweifelsfall, erst beim Auspacken definitiv zu entscheiden.)

4. willow - November 21, 2009, 10:54

Völlig OT , aber vielleicht ja doch interessant….

„man denke an die Ergebnisse der PISA-Studie, was Kinder ausländischer Arbeitnehmer in Deutschland angeht…“

…iss nich ganz so einfach – warum z.B. schneiden im „naziverseuchten“ und tatsächlich stärker rassistisch eingestellten Ostdeutschland Kinder mit Migrationshintergrund sogar häufig besser ab als die Kinder der „Eingeborenen“?

http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/0,1518,582545,00.html

http://www.zeit.de/2009/05/B-Vietnamesen

5. Popeye - November 21, 2009, 20:50

„Aber Rassismus? Niemand in Israel denkt in der Kategorie „Rasse“, das ist eine deutsche Spezialität. Hier denkt man in ethnischen Kategorien: das Volk Israel, das arabische Volk, das palästinensische Volk.“

Darauf begründet sich wahrscheinlich der Vorwurf vom völkischem Denken, der manchmal von Linken kommt, aber Rassismus ist für die meisten wohl griffiger und sie können Südafrika als Vergleich heranziehen.
Dem allgemeinen Rassismusvorwurf konnte ich dank Eurer (Markus, Ruth, Heplev, Du) Hilfe eine Menge Material entgegensetzen.
Beim Schulsystem wurde konkret „Rassentrennung an Schulen“ vorgeworfen, wozu Du ja schon einige Punkte ausgeführt hast.

@willow

Wir haben halt die Elite der Migranten! (wahrscheinlich ein Erbe der vietnamesischen Gastarbeiter der DDR)

Das „„naziverseuchte“ und tatsächlich stärker rassistisch eingestellte Ostdeutschland“ stellt sich ganz anders dar, wenn man da lebt.
Du hast mir den Impuls gegeben, mal etwas mit Blick auf meine Stadt zu schreiben, ich sag bescheid, wenns fertig ist.

PS: Lila, entschuldige bitte das viele OT!
Wünsche Dir einen reibungslosen Umzug, wenig Abschiedsschmerz und schnelles Einleben!

6. Lila - November 21, 2009, 21:06

A propos „völkisches Denken“ – irgendwie muß man die Menschen nun mal voneinander unterscheiden, und auch die Kategorien respektieren, in denen sie sich selbst sehen. Araber in Israel sehen sich als Angehörige des palästinensischen Volks, wieso bin ich völkisch, wenn ich das anerkenne? 😯 Aber ich sehe schon, wenn man wirklich will, kann man aus allem einen Strick drehen 🙂

Wieso es aber wie in Südafrika ist, wenn man arabischen Staatsbürgern die Möglichkeit gibt, sich ihre Schule selbst auszusuchen – also entweder eine in ihrem Dorf mit arabischer Sprache und arabischer Tradition, oder aber eine wie die meiner Kinder, die gemischt ist, aber mit überwiegend jüdischer Mehrheit, hebräischer Sprache und säkular-demokratisch-zionistischer Tradition…….

Ich weiß über die heutige Situation in Deutschland nicht viel. Aber ich habe mir sagen lassen, daß an deutschen Hochschulen wesentlich weniger kopftuchtragende Araberinnen oder Türkinnen zu finden sind als in Haifa oder da, wo ich unterrichte. Und daß die soziale Durchlässigkeit in Deutschland geringer ist als in Israel, scheint mir unbestreitbar. Diesen ganzen Gymnasialdünkel gibt es hier einfach nicht.

7. willow - November 21, 2009, 21:58

@Popeye

Nun, ich lebe ja auch im Osten 😉

Das mit der Migrantenelite ist so eine Sache… die „bildungsnahen“ Vietnamesen, sprich die Studenten, mußten nach ihrem Studium wieder nach Hause – die heute im Osten Lebenden kommen überwiegend aus der Gruppe der angelernten Hilfsarbeiter. Die Eltern sind also einfache, wenn auch liebenswürdige und unkomplizierte Menschen – und in erschreckendem Maße fleißig (schlimmer als jeder Kibbuznik) und für die Brut aufopferungsvoll. Nach Beschreibung etlicher Nachhilfe-Studenten geben die ihr letztes Hemd, um den Kindern einen möglichst guten Schulabschluß zu ermöglichen. Aber auch die „Russenkinder“, also Nachkommen von Rußlanddeutschen und jüdischen Kontingentsflüchtlingen schneiden besser ab als der durchschnittliche Ossi. Selbst Kinder mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund machen sich deutlich besser als in den gebrauchten Bundesländern incl. Westberlin – was auch der Grund ist, warum neben jüdischen auch erstaunlich viele erfolgreiche türkische Eltern ihre Kinder nicht in Berlin sondern im ostdeutschen Speckgürtel zum Gymnasium schicken…

@Lila

Immer noch meht Kopftücher als in Istanbul! 😉

Jaja, das mit den Gymnasien iss so eine Sache… aber es ist eben auch eine ziemlich erfolgreiche Schulform. Wobei das eigentliche Problem wohl darin besteht, daß die Nicht-Gymnasien derart furchtbar sind, daß, wer irgend kann, davor flüchtet…

8. Lila - November 21, 2009, 22:36

Die kluge Kaltmamsell hat aus eigener Erfahrung etwas zum Thema geschrieben, das ich aus meiner Perspektive nur unterschreiben kann.

http://www.vorspeisenplatte.de/speisen/2009/11/fern-der-bildung.htm

Meine Oma, ihres Zeichen passionierte, aber pensionierte Lehrerin, hat in ihrer Stadt vor vielen Jahren eine Initiative gestartet. Sie hat freiwillig den damals noch so genannten Gastarbeiterkindern Nachhilfe gegeben. Sie ist einfach zum Bürgermeister marschiert und hat von ihm Räumlichkeiten gefordert, die er ihr auch zugestanden hat – den Rest hat sie allein gemacht.

Es hat sie empört, daß die intelligenten Kinder, die sie auf der Straße sah und mit deren Eltern sie sich gern unterhielt, allesamt auf der Hauptschule waren. Sie hat einen Großteil ihrer Schützlinge tatsächlich aufs Gymnasium bugsiert, wo sie aufgeblüht sind und allesamt erfolgreich waren. Meine Oma hat noch lange Kontakt mit diesen Familien gehalten, auch als sie schon zu krank zum Unterrichten war.

Sie war bei unserem letzten Treffen schon kaum noch ansprechbar, und unser Gespräch verlief wie eine Achterbahn von Assoziationen, aber als ich die Namen der Familien nannte, die ich auch kennengelernt habe, da hat sie gelächelt. „Ach, der Achmed! das war ein feiner, kluger Junge!“ Daran konnte sie sich noch erinnern.

Außer ihr ist es nicht vielen Leuten damals als sonderbar aufgefallen, daß Kinder aus italienischen, marokkanischen oder spanischen Familien automatisch auf die Hauptschule kamen.

Und meine Mutter hat als Hauptschullehrerin ebenfalls um jeden ihrer Schüler gekämpft, der eigentlich aufs Gymnasium hätte gehen sollen – sie hat nicht wenigen Schülern geholfen, diesen Sprung zu machen. Aber er ist sehr schwer. (Und ich glaube, Hauptschullehrer sind eine sehr unterschätzte Spezies! Harte Arbeit, kaum Anerkennung, oft riesiges Engagement).

Daß es überhaupt so schwer ist, diesen Sprung zu machen, empört mich genauso wie vor 30 Jahren meine kleine, energische Oma.

9. Robert - November 23, 2009, 16:37

Ein Umzug ist eine gute Gelegenheit, unnötigen Plünn zu entsorgen. Bei meinem letzten Umzug vor vier Jahren habe ich viele Bücher aus Unizeiten weggeschmissen – und sie bislang noch nicht vermisst.

10. Wolfram - November 23, 2009, 17:04

@8: Ja, da scheint mir das Problem zu liegen… aber das ist nicht unbedingt ein Problem des Schulsystems, sondern der nichtdeutschen Eltern, die nicht verstehen, warum ihr Kind nicht auf die Hauptschule gehen soll, da lernt man doch das Haupt-sächliche… damit hat sich schon meine Mutter vor nunmehr 40 Jahren herumgeschlagen. Aber zu meiner Schulzeit war nichts besser geworden.

Der Sprung allerdings, der ist schwerer im Kopf als in den Anforderungen, speziell in den Klassen 5 und 6.

Und die Gesamtschule qua lege, die haben wir in Frankreich, und das bedeutet, daß auch Abiturienten in vielen Bereichen nur Hauptschulniveau haben. Beispielsweise in der Rechtschreibung. Fremdsprachenkenntnisse sind nur rudimentär vorhanden – die sprechen so gut englisch wie ich griechisch – und auch in anderen Beriechen hapert’s gewaltig. Die Volksschüler der Sechziger waren besser!

11. Lila - November 24, 2009, 13:40

Das ist wirklich ein Dilemma. Die hektische Reformiererei ist bestimmt weder für Schule noch für Hochschule gut – wenn man erst mal Löcher reißt, können die nie wieder gestopft werden. Wer während einer Experimentierphase Schule oder Hochschule durchläuft, wird nicht mehr zurückkommen, wenn er sein Abi oder Diplom hat, sondern sein Leben weiterleben – eventuell mit großen Lücken, die nicht mehr auszubügeln sind, auch wenn man es für die nach ihm Lernenden wieder besser macht.

Schulen auf internationale Untersuchungen hin zu trimmen und anzupassen, halte ich ebenfalls für Unfug – es geht ja um mehr als um gutes Abschneiden bei PISA. Dafür schicken wir ja unsere Kinder nicht in die Schule.

Daß sich etwas ändern muß, wenn das Schulsystem soziale Unterschiede zementiert statt sie überwindbar zu machen, ist klar. Aber das Wie ist wirklich schwer zu entscheiden.

Ich bin ja Prinzipienreiterin aus Prinzip und würde vermutlich wirklich erstmal eine Grundsatzdiskussion ankurbeln: was erwarten wir eigentlich von der Schule – als Eltern, Lehrer, Schüler, Nichtbeteiligte? Was kann sie leisten, was ist zu viel verlangt? Was braucht sie, um leisten zu können, was wir vernünftigerweise verlangen?

Sie braucht auf jeden Fall kompetente Lehrer mit positiver Grundhaltung (Glauben an die Lernfähigkeit der Schüler), Respekt von der Außenwelt (auch in Form von Geld) und Arbeitsbedingungen, die es ihm möglich machen, jedes einzelne Kind zu erreichen – also Klassen vernnüftiger Größe, evt. Unterricht zu zweit (klappt an unserer Grundschule hier hervorragend). Außerdem muß das Team an den Schulen aufgestockt werden – fremdsprachen-tüchtige Profis aus sozialen Berufen.

An der Schule meiner Kinder ist eine richtig große Abteilung von Sprach- und Kunsttherapeuten, Schulpsychologen, Beratungslehrern und einer Ergotherapeutin. Jede Klasse hat eine begleitende Beratungslehrerin, die sofort Kontakt mit den Eltern aufnimmt, wenn ein Kind Schulresistenz oder andere Probleme zeigt. Außerdem ist ide Schule mit einem Beratungszentrum für Schulverweigerer und Drop-out-Gefährdete verbandelt.

Außerdem braucht man differenzierte Hilfe für Hochbegabte und Lernbehinderte, um sie nicht in andere Schulen abschieben zu müssen.

Und es müßte sich eigentlich grundsätzlich etwas ändern: die Einstellung zum Lernen. Die Alltagskultur ist bildungsfeindlich bis zum Abwinken, den Kindern wird durch endlose Fernsehserien suggeriert, daß „berühmt und reich werden“ realistische und wünschenswerte Lebensziele sind, die Eltern fordern von den Kindern nichts, aus Angst, ihre Liebe zu verlieren, und die Schule verlangt oft zu viel, ohne die Lebensbedingungen der Kinder außerhalb des Leistungsbereichs der Schule mit zu bedenken.

Wenn wir als Erwachsene nicht etwas anderes vorleben, den Kindern nicht zeigen, wie schön es ist und wie glücklich es macht, die eigenen Talente kennenzulernen, durch Bildung zu vertiefen und zu erweitern, und irgendwann in Form von Arbeit positiv zur Lebenswelt beitragen zu können – dann können wir von den Kindern nicht erwarten, daß sie ihr Potential auch ausschöpfen.

Dabei müssen wir viel flexibler sein und anerkennen, daß ein Talent auch sportlich, musikalisch oder künstlerisch sein kann – nicht nur Mathe, Englisch oder Chemie. Das Glücksgefühl bei der Entwicklung eines Talents müssen wir als Lehrende auf Stoff übertragen, der den Lernenden gar nicht liegt – aber jede Eroberung intellektuellen Territoriums kann beglückend sein.

Ich weiß, wie schwer das ist – ich mache nach jeder Stunde meine Reflexion, ob ich es geschafft habe. Wenn ich lächelnde Studenten sehe, dann ja. Aber wie oft sehe ich in müde Gesichter! „Noch ne Kirche? noch ein Fresko? wie sollen wir das behalten?“ Wir sitzen im Korsett der Lehrpläne, sogar ich, die ich noch relative Freiheit habe – und wie geht es erst in der Schule zu.

Es dürften gar keine Lehrer das Diplom kriegen, die nicht selbst gern lernen und das Gefühl kennen, wenn das Lämpchen langsam angeht.

Und alle 7 Jahren Sabbatical für die Lehrer – auf Kosten des Staats ein jahr Weiterbildung, egal, ob das mit dem gelehrten Fach zu tun hat oder nicht. In Israel ist das so, ich bilde solche Lehrer weiter. Da hören dann Mathelehrer von Bramante und haben mehr oder weniger Spaß. Und sie sehen noch mal, wie sich das anfühlt, wenn man sich hilflos fühlt angesichts unvertrauter Territorien. Und einer lernt vom anderen, und geht nach einem Jahr zurück in die Schule.

Das alles ist wichtiger als Lehrmethoden und Lehrpläne. Lehrmethoden – da gibt es sowieso keinen heiligen Gral. Ein langweiliger Lehrer wird auch mit Jigsaw-Methode seine Schüler nicht begeistern. Und einige der besten Stunden meines Lebens hab ich als Zuhörerin bei ganz altmodischen Frontal-Lehrern verbracht.

Lehrpläne: schwierig, schwierg. Was muß man wissen, und wo reicht es, Techniken der Selbst-Aneignung zu lehren? Wer entscheidet sowas? Ich würde Lehrern ja viel mehr Freiheit geben, das zu lehren, was sie selbst wichtig finden und gern unterrichten. Das Insel-und-Brücke-Prinzip: jeder Lehrer baut seinen eigenen Weg durch den Stoff (den er allerdings souverän beherrschen muß, und den er dauernd durch eigene Weiterbildung und Forschung lebendig halten muß), und er entscheidet selbst, wo er verweilt, und wo er weitergeht.

Ich würde Lehrern viel mehr Kompetenzen einräumen, und auch Zusammenarbeit zwischen Lehrern positiv belohnen.

Motivation, Motivation, Motivation. Bei Lehrern und Schülern. Eltern auch. Ohne Motivation, sich die Welt denkend zu erschließen und die ganze Persönlichkeit dabei einzusetzen, sind wir verloren, manipulierbar, unselbständig, armselig. Jedes Kind hat das Recht darauf, das zu erleben. Auch an der Hauptschule.

Meine Mutter und ihre Kollegen haben es auch fertiggebracht, an der Hauptschule, solche Erlebnisse möglich zu machen. Tja, die Frage ist, was dann? Wenn man Kinder von vornherein in eine Zukunft ohne Hoffnung entläßt… da kann der beste Lehrer ihm keine Motivation vermitteln.

12. arabrabenna - Dezember 2, 2009, 20:07

Willst du nicht Bildungsministerin in Deutschland werden? Was du vorschlägst klingt so gut! Mich ärgert hier so vieles und ich bin heilfroh, daß alle meine Kinder mit der Schule fertig sind. Ich arbeite in einem Schülerclub eines Gymnasiums und muß erleben, wie einige interessante, intelligente Schüler das Gymnasium verlassen weil sie der Meinung sind, sie schaffen es nicht. Oder Lehrer, die ihren Schülern ins Gesicht sagen sie seien zu dumm fürs Gymnasium wenn sie nicht gleich beim ersten mal etwas verstehen, was der Lehrer noch nicht mal gut rüberbringt.

13. Schoschana - Dezember 8, 2009, 15:42

in deutschland gibt es auf jeden fall kein shabatical auf kosten des staates… selbst die „kleinen“ fortbildungen sind rar gesäht, so mancher lehrer geht sein leben lang nicht mehr auf eine fortbildung (die ihm neue impulse geben könnte). einmal im trott, immer im trott.
pisa hat hierzulande nur ein aufgeregtes flügelschlagen verursacht und ein paar schönheitspfästerchen – viel mehr hat es leider nicht gebracht. und es wird wohl so bleiben. weil sich nicht einmal die eltern dafür interessieren…


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