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Alles Quatsch, oder: eine musikalische Ehrenrettung März 2, 2007, 19:41

Posted by Lila in Muzika israelit.
trackback

Das idiotische Lied von „Teapacks“ hat mir von Anfang an nicht gefallen. Was ist in die Jungens gefahren, daß sie ihren wohlbekannten Stil so verleugnen? Versteh ich nicht. (Wobei das Wort „Polit-Pop“ mal wieder total unpassend ist: das ist nämlich keine Politik, sondern Alltagsprobleme, wovon sie singen. Für Israelis zumindest. Für Hardcore-Hörer hier das ganze Machwerk. Klick the button.)

Früher hießen sie Tippex, was man auf Ivrit genauso schreibt wie Teapacks: טיפקס . Irgendjemand regte sich dann auf, der Name könnte ja Kinder dazu verführen, Tippex oder andere Lösungsmittel zu schnüffeln, sehr naheliegende Sorge!, und seitdem schreibt die Band sich auf Englisch eben Teapacks – aber alle sagen weiterhin Tippex dazu.

Der kleine Sänger Koby Oz und seine Leute machen eine etwas sentimentale, orientalisch angehauchte Musik für den Mainstream, zu dem ja auch ich gehöre. Ein schönes Beispiel ist das Lied über die alte Bushaltestelle in Tel Aviv, die irgendwann stillgelegt wurde. Statt dessen steigt man heute in einem ekelhaften, höhlenartigen Neubau um, der so riesig ist, daß sich ganze Legionen von Obdachlosen, unglücklichen Jugendlichen und seltsamen Vögeln dort eingenistet hat. Die alte Haltestelle, an der auch ich vor vielen Jahren als verwirrte Touristin rumlief, war wirklich, wie Koby Oz singt, wie das Land selbst – im Wartezustand.

]

Haiti jored

ba-tachana ha-yeshana

ve-hi haita li medina acheret

medina shel meziut

be hamtana

she-ha-geshem jored ve ha-shemesh bo´eret

Ich bin immer an der alten Haltestelle ausgestiegen

und sie war mir wie ein anderes Land

ein Land der Realität

im Wartezustand

während der Regen fiel

und die Sonne brannte

Das klingt doch gleich ganz anders, nicht wahr.

Ach ja, auch in Israel war die Krönung der Teapacks zur neuen nationalen Hoffnung (ach, noch einmal diesen wunderbaren Song Contest gewinnen!) umstritten. Irgendwann ist eigentlich mal ein Eintrag zur nationalen Besessenheit mit Schönheitsköniginnen und diesem Spektakel schlechten Geschmacks in Schlageform fällig. Aber nicht heute, ich geh heute noch Purim feiern und will mir nicht Griesgrams Grimm an den Hals schreiben.

Ich verfolge diese Themen normalerweise nicht, aber selbst an mein apathisches Ohr drang der Skandal um irgendeine russisch-eingewanderte Fernsehtante, die wohl meinte, so orientalische Leute wie Koby könnte man den Europäern nicht zumuten. Also sie fühlte sich wohl nicht von seinem Singsang („silsul“) kulturell vertreten. Ein riesiger Sturm erhob sich, Rassismus! Rassismus!, denn orientalische Künstler haben sich erst in den letzten Jahrzehnten so richtig durchgesetzt gegen die ashkenasische „Elite“. (Heute ist es durchaus möglich, sowohl Chava Alberstein als auch Boaz Sharabi zu hören – ist kein weltanschaulich aufgeladenes Herakles-Dilemma mehr).

Koby Oz wird es also fertigbringen, nach den besorgten Eltern und empörten Elite-Snobs nun auch noch die europäischen Neutralitäts-Wächter gegen sich aufzubringen. Es wäre aber auch zu abscheulich, wenn ein Tröpfchen Realität in dieses Spektakel dränge. Daß wir so leben, mit Raketen und Bombendrohungen, ist ja schon unästhetisch genug, aber das dann auch noch so zu betonen – pfui.

Aber es kann auch einfach sein, daß das Lied nicht gut genug ist. Da würde ich sogar sagen, ist was dran. Es wäremir geradezu peinlich , dieses seltsame, abgehackte, witzlose Dings als Repräsentant der reichen, schönen, expressiven israelischen Musikszene zu sehen…

Auch nett zynisch zum Thema: Die Achse des Guten.

Kommentare»

1. militarygirlfriend - März 2, 2007, 21:17

Ich würde behaupten dass das Lied eine sehr starke Botschaft hat. Beide Songs sagen etwas aus und befassen sich mit der Realität, das ist doch mal besser als alles was unsere (deutsche) Elite zu bieten hat.

2. Lila - März 2, 2007, 21:43

In Haaretz steht, daß anno Knippchen eine finnische Gruppe mal ein Lied gegen den Atomkrieg gesungen hat, bei dem unsäglichen Wettbewerb.

Der israelische Text, der verboten werden soll:

The world is full of terror
If someone makes an error
He?s gonna blow us up to biddy biddy kingdom come
There are some crazy rulers they hide and try to fool us
With demonic, technologic willingness to harm
They’re gonna push the button
push the button push the bu push the bu push the button
And I don’t want to die
I want to see the flowers bloom
Don’t want a go capoot ka boom
And I don’t want to cry
I wanna have a lot of fun
Just sitting in the sun

Der finnische Text (aus einem HaaretzTalback_

Kojo singing Nuku pommiin in 1982 (the last 3 minutes in the video film):

Oversleep

If someone soon throws some nuclear poo
here on our Europe
What will you say when
we get all the filth on our faces
If someone slings a bomb to your neck
you probably won`t even notice

(Lullaby, aa… aa… aa… lullaby)

Sleep, sleep, oversleep, it`s easier that way
Over-, over-, oversleep, it calms you down

etc

Wer mir jetzt mal erklären kann, wieso der finnische Text unpolitisch und damit koscher ist, der israelische aber unerträglich politisch, der kriegt von mir ein Glas Tomaten-Chutney, wenn er das nächste Mal zu Besuch kommt. Oder Kumquat-Marmelade. Oder eine Tafel Shokolad para.

3. militarygirlfriend - März 3, 2007, 0:20

Also das frag ich mich auch gerade… vom Inhalt her unterscheiden sich die beiden Texte doch überhaupt nicht…

4. Eurovision Appeasement Contest « Telegehirn - März 3, 2007, 4:16

[…] Gesinnungspolizei.” Die übliche Paranoia eben. Sehr viel differenzierte geht es bei Lila zu, der “das idiotische Lied von “Teapacks” […] von Anfang an nicht […]

5. Gudrun - März 3, 2007, 13:36

Aber das ist doch klar, warum der eine Text politisch ist und der andere nicht: der eine wird von Israelis gesungen und der andere von Finnen.

6. FreeSpeech - März 3, 2007, 15:00

Mir gefällt das Lied. Wenn es eine Beleidigung des Islams ist, wo es doch einfach gegen Bomben, Blödheit und Terror geht, dann ist damit bloss geklärt, dass laut Kritikern
Bomben+Blödheit+Terror = Islam

7. militarygirlfriend - März 3, 2007, 15:48

Das find ich schon wieder irgendwie witzig… war ja klar das sich irgendwelche Leute wieder auf den Schlips getreten fühlen. Vor allem wenn die Musik aus Israel kommt, huh?

8. grenzgaenger - März 3, 2007, 18:37

kobi oz schreibt uebrigens auch buecher … keine hochtrabende literatur, zugegeben, aber ich lese ihn trotzdem immer wieder gerne. ich glaube der klappentext des buches „mosche chawuto und der rabe“ bringt es gut auf den punkt:

„ein unterhaltsamer flickenteppich von erzaehlungen aus einer grossen familie. kein politisch korrekter literaturexportartikel, aber eine sammlung von kleinen tragoedien und abenteuern, ueberraschend gut erzaehlt mit kleinen poetischen kostbarkeiten, umgeben von drastischer direktheit. leben statt thesen“.

ausnahmsweise bin ich mal mit dem klappentext eines buches einig, das lesen war hier wirklich ein vergnuegen, gerade wegen der drastischen direktheit.

vielleicht werden jetzt auch die buecher von kobi oz verboten ? oder soll man sie direkt verbrennen ? die uebung kennt man doch in deutschland schon ….

es koennte natuerlich auch sein das die ganze verbotsdebatte das gegenteil bewirkt, naemlich das die tea packs cd´s jetzt erst recht gekauft werden ?? manchmal bewirken boykotte und verbote ja das gegenteil dessen was sie bewirken sollen, vielleicht sollte man gelegentlich doch noch zu hoffen wagen ….

meinst du mit der „stillgelegten bushaltestelle in tel aviv“ die zentrale busstation im sueden der stadt ?? ich muss dir gestehen das ich noch nie dort war weil ich immer die alozorov busstation benutze, die ist schoen in der innenstadt und der bahnhof t.a. merkaz ist gleich nebenan. ich habe jetzt schon so viele schreckliche sachen ueber den neuen zentralen busbahnhof gehoert das ich echt mal hinfahren sollte ….

9. Lila - März 3, 2007, 20:23

Der neue Busbahnhof ist wirklich unbeschreiblich scheußlich, geradezu apokalyptisch.

Spaßeshalber mal nach Bildern gegoogelt – das sieht dann so aus.

Israelische Realität.

10. schoschana - März 4, 2007, 14:18

Also ich mag das Busbahnhofslied und ich mochte auch den alten Bahnhof. Da war ich noch ganz jung, als ich dort ein paar mal war… seit vielen Jahren war ich aber nicht mehr da. Jetzt gibt es ja Autos ;-).
Die Empörung und das Anlegen der verschiedenen Maßstäbe beim Contest für Israelis und alle anderen … es scheint wirklich ganz, ganz üblich zu werden. Vorher war es nur üblich.


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