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Auf der anderen Seite Januar 23, 2009, 19:38

Posted by Lila in Kibbutz, Kinder, Katzen, Land und Leute.
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Ich weiß nicht mehr, wann ich das letzte Mal in den „Gebieten“ war. Es muß vor der Intifada gewesen sein. Während der Intifada wollte ich mal eine Kollegin in Elkana besuchen, aber Y. meinte, das kommt nicht in Frage. Das war zu der Zeit, als täglich Autos und Busse explodierten. Er meinte, man muß das Schicksal nicht herausfordern, und so habe ich die Kollegin in ihrem Büro in Netanya besucht. Nur ein paar Minuten von Elkana entfernt, aber eben auf „unserer“ Seite des Zauns. (Den Blick hätte ich gern photographiert, den mein Mann dem Zaun zuwarf: „ah, die Apartheidsmauer“…)

Nordsamaria, Shomron, ist nicht weit von hier entfernt. Wir sind zwischen Tivon und Zichron Yaakov, und wir haben Primus in aller Ruhe nach Ariel gebracht. Da haben wir dann zusammen an einer der typischen Buden für Soldaten gewartet, die man die „dodot“ nennt, die Tanten. Weil dort nette Frauen umsonst den Soldaten leckere Brötchen, Salate, Toasts, Kuchen und Getränke schenken. Primus kennt diese Stationen schon, wenn auch noch nicht die in Ariel, und meint, neulich in Beer Sheva kam ihm das leckere Brötchen so wunderbar zurecht, nach Tagen elenden Fraßes beim Training, daß er eine der Tanten in den Arm nahm. Sie machen das freiwillig, und das Essen wird von Spenden finanziert.

Na, an so einer Tanten-Bude standen wir eine Weile. Der Ostwind blies scharf und kalt über die Shomron-Berge, und wir blieben im Auto sitzen. Y. holte uns Kaffee und wir holten ein kleines Frühstück nach. Irgendwann tauchte ein weiterer frierender Junge in beiger Uniform auf, einer von Primus´ Freunden, und kletterte zu uns ins Auto. Im Gegensatz zu Primus, der eigentlich ganz gut zurechtkommt und auch halbwegs zufrieden ist, klagte dieser arme Junge uns über eine Stunde vor, wie unglücklich er bei der Armee ist, und wie anders alles ist, als er es sich vorgestellt hat.  Er tat mir sehr leid. Er versucht, vom Nun-Mem irgendwie wegzukommen.

Beide Jungen erzählten uns von einem aus der Gruppe, der strikter Vegetarier ist, dem das vegetarische Essen bei der Armee nicht bekam, der sich geweigert hat, Lederschuhe zu tragen, und der nun einfach entlassen worden ist. Die Jungen wissen nicht mal, ob der nun Zivildienst machen wir. Y. meinte, die Armee läßt sich wohl nicht mehr auf solche Geschichten ein und verzichtet lieber. Ich weiß nicht, was da noch vorlag. Primus´ Freund jedenfalls wird bestimmt in eine leichtere Einheit versetzt, meinte er. Na, mal gucken. Ich war jedenfalls froh, daß Primus nicht so unglücklich ist. Es müßte doch schrecklich sein, einen Jungen morgens wegzuschicken, der am liebsten zuhause bleiben würde.

Primus kletterte ganz vergnügt in den Jeep mit seinem liebsten Commander, den er bewundert, und schickte uns später eine SMS: er wird nun in Kedumim an einer Kreuzung Wache schieben.  Eine Woche lang, das ist noch Teil der Ausbildung, danach geht es zurück in die Schule für Luftabwehr bei Beer Sheva.

qedumim1

Von den Bergen aus sieht man die Hochhäuser von Ramat Gan (den häßlichen runden Turm erkennt man ganz deutlich), und mir wurde wieder klar, wie nahe das alles aneinander liegt. Und wie gespalten, wie vielgesichtig und vielschichtig meine Gedanken und Gefühle zum Thema Siedlungen, Gebiete und allem anderen sind.

Wer Kedumim hat, hat Ramat Gan und den Flughafen auf dem Handteller. Ich denke an die letzten Räumungen und ich kann mir lebhaft vorstellen, was passiert, wenn wir…

Und dann denke ich daran, wie die Araber in Israel leben, ganz normale Nachbarn, und ich frage mich, wieso eigentlich Juden in einem Staat Palästina nicht geduldet werden sollen. Und ich frage mich wieder, warum es so schwer ist, zu einem Kompromiß zu gelangen. Warum die Palästinenser einen Bevölkerungstransfer fordern, bevor sich überhaupt zu Verhandlungen bereit sind.

Und dann denke ich daran, daß jahrelang die Siedlungen finanziell unterstützt wurden bis dorthinaus, daß der Lebensstandard dort sehr hoch ist, die Gefahren sind natürlich auch sehr groß, aber jahrelang sind Leute dorthin gezogen, weil es sich finanziell gelohnt hat. Bombastische Infrastruktur für wenig Bevölkerung. Und ich habe keine Lust mehr auf eine Regierung, die Millionen in Umgehungsstraßen in den Gebieten investiert, während in Daliyat el Carmel und Hadera die Bürgersteige bröckeln.

Dann denke ich an die vielen hochmotivierten Soldaten aus den Gebieten, die in den Eliteeinheiten zum Gram alter Kibbuzniks unsere Jugend ablösen – na ja, die meisten Kibbuzim sind auch keine Kibbuzim mehr, und noch immer kommen aus Kibbuz- und Moshavschulen viele Soldaten in kämpfende Einheiten. Aber die „gehäkelten Kippot“ sind eindeutig, wie man auch im letzten Krieg gesehen hat, bei den gefährlichsten Einsätzen dabei. Ich erinnere mich an die Männer mit den gehäkelten Kippot, die in Jerusalem Terroristen aufgehalten haben, und dabei großen Mut bewiesen haben.

Und dann denke ich an die keifenden Siedler, auch die Frauen. Eine hat vor laufenden Kameras eine Araberin als „Sharmuta“ beschimpft, womit sie sich selbst einen Bärendienst erwiesen hat, denn solche Ausdrücke fallen auf den zurück, der sie benutzt. Es gibt welche, die palästinensischen Bauern die Olivenbäume kaputtmachen und ihnen die Stände am Markt umstürzen. Manchmal randalieren extremistische Siedler gegen die Armee und lassen ihrem Haß freien Lauf.  Auch Y. ist schon von Siedlern beschimpft worden. Kein angenehmes Gefühl, wenn man seine Zeit opfert, um sie zu schützen.

Und ich denke wieder an die Terrorwelle, und daß es eine Zeitlang ein Gefühl gab, als wären wir alle in einem Boot, als man Netanya ebenso oft hörte wie Tapuach-Kreuzung. Und doch – ich erinnere mich auch, daß das Gefühl schnell umschlagen konnte, und dann war es wieder: das ist „bei denen“, jenseits, es ist nicht bei uns.  Hier leben Juden und Araber anders zusammen. Nach Ramallah oder Kalkiliya traue ich mich nicht, mit gutem Grund, aber mit Shfaram und Faradis habe ich keine Probleme.

Es ist kompliziert. In den besetzten Gebieten laufen Siedler aller Arten herum, normale, verrückte und normalverrückte. Außerdem Soldaten, internationale Beobachter, Vertreter von Menschenrechtsorganisationen aus Israel, Palästinenser, ebenfalls  normale, verrückte und normalverrückte, ja, und mein Primus mittendrin. Er rief gerade an, meinte, er ist in einem Caravan über Kedumim und die Landschaft ist schön und die Leute sind nett. Und ich soll mir keine Sorgen machen. Ich und mir Sorgen machen? Ach was.

Kommentare»

1. c.sydow - Januar 27, 2009, 2:11

A propos andere Seite. Mich würde deine Meinung zu dieser Reportage über die Wst Bank von CBS interessieren: http://tinyurl.com/bptz5x


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