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Sprachlähmung Juli 19, 2008, 12:42

Posted by Lila in Kibbutz, Kinder, Katzen.
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Es ist wie verhext. Normalerweise habe ich mit dem Hebräischen keine Probleme. Im Laufe der Jahre habe ich mir einen ganz ordentlichen Wortschatz zurechtgelegt, was gar nicht so einfach ist, denn das Hebräische ist sehr sparsam mit Adjektiven, und wo andere Sprachen ein ganzes Arsenal auffahren, um Schönheit zu beschreiben, beschränkt sich das Hebräische auf ein knappes „yafe“.

Außerdem schnitze ich ja bekanntlich dauernd an meiner Sprache, höre besonders gut zu, wenn jemand redet, und beschließe, mir besonders elegante Redewendungen, Zitate und Überleitungen anzueignen. Dazu noch mein aussichtsloser Kampf gegen den bleifüßigen germanischen Akzent, der die falschen Silben betont, die falschen Vokale dehnt oder öffnet und die Konsonanten vorn im Mund plattmacht, statt sie hübsch in den Rachen fallen zu lassen. Ich sehe es schon als eindeutiges Kompliment an, wenn man mich nach dem Vortrag fragt, „woher kommst du eigentlich, bestimmt aus Europa?“, statt sofort Deutsch mit mir zu sprechen.

Doch nie fühle ich mich der Härte dieser Sprache hilfloser ausgeliefert als beim Spiel „eretz ir“, mir als „Stadt Land Fluß“ bekannt. Da ich das Glück hatte, in einer spielverrückten Familie aufzuwachsen, habe ich mir immer was auf meine Fähigkeiten bei Stadt Land Fluß und Wortzerlegen zugutegetan – wir haben nächtelang Wörter zerlegt, daß es nur so eine Art hatte, und die kreativen Berufe, die besonders mein Stiefvater beim Stadt Land Fluß zu Papier brachte, waren legendär. Ich bewahre ein paar der alten Blätter auf, die seine Brillanz beweisen, und wir waren seine würdigen Mitstreiter.

Aber was nützt vergangener Ruhm?

Hier und heute wird das Blatt eingeteilt in „eretz, ir, chai, zomeach, domem, yeled, yalda, mikzoa“ – also Land, Stadt, Tier, Pflanze, Gegenstand, Junge, Mädchen, Beruf. Gut. Ich nehme mir jedesmal eisern vor, nur hebräische Begriffe aufzuführen, doch sobald die Kinder den Buchstaben rufen, um den es in dieser Runde geht, tritt bei mir akute Sprachlähmung auf.

He???? Ich zermartere mir das Hirn, bis ich Hungaria hinschreibe. Eine Stadt mit he? Mir fällt nur Hamburg ein. Tier? Hobbit. Pflanze? Hibiskus. Junge? Hugo. Mädchen? Hildegard. Ja verflixt noch mal, gibt es sowas nicht auf Hebräisch? Die Kinder lassen es durchgehen, lachen über Hugo und gehen in die nächste Runde. „Mama, jetzt aber auf Hebräisch!“ Ja ja schon gut.

Lamed! Ein einfacher Buchstabe. Latvia, Los Angeles. („Mama, in Stadt und Land bist du gut“) Pflanze? Louisa, eine Art Zitronenmelisse. Tier? Löwin, oh, levia, das klingt so ähnlich. Und schon ist es aus. Ein Mädchenname mit lamed? Louisa. Geht Louisa auch als Beruf?

Chet? Keine Chance. Wer bitte ist schon so entartet, ein Land mit chet anfangen zu lassen? Mir fällt gar nichts mehr ein.

Mem! Das sollte doch einfach sein. Mem, mem… Mexiko. Marburg. Murmeltier. Mimi. Michael, oh gut, das gibts auch auf Ivrit. („Mama, in allem anderen bist du aber gar nicht so gut!“) Murmeltier geht nicht? Maus vielleicht? Beruf Meckerfritze? Maurermeister? Me-me-mechaniker, oh – mechonai! Mechonai geht.

Shin! Kinder, das ist die letzte Runde, Mama kann nicht mehr. Shin, shin, oh Gott. Shvedia, gut. Shtrasburg, okay. Und nun? Gilt Shishlik als Pflanze? „Mama! Das ist doch was zu essen!“ Gut, dann als Tier? Bitte? Auch ein Shishlik hat mal gelebt? Nichts da, zwei Punkte für Mama, nicht viel.

Die Kinder ziehen im Triumph ab, sie haben mich haushoch besiegt. Ich bleibe zurück und zermartere mein Gedächtnis nachträglich auf der Suche nach einem Gegenstand mit Vav. Oh, der vav selbst, das heißt nämlich Haken. Mensch, bin ich blöd, aber ich kann das Spiel einfach nicht auf Hebräisch spielen.

Mein einziger Trost: der EinzigWahre neben mir. Er hat sich in sein Sprachwerk von Berlitz vertieft, „Germanit für ewige Anfänger“. Er nimmt die Kopfhörer ab und sieht mich verzweifelt an. Warum die Deutschen immer nur an S*x denken, denn ohne den kann man kein Deutsch lernen, alles muß männlich, weiblich, sächlich sein, und warum? Warum der Auto, aber das Wagen? Er zerbricht sich die Zähne daran, „hier steht: klassisches Musik, klassisches Katze, sag du das doch mal, wie kann man sowas aussprechen?“ Ich sage ganz lässig, „spätklassizistisches Kunsthandwerk“, er vergräbt wimmernd den Kopf im Sofakissen.

Das Shishlik ist gerächt!

Kommentare»

1. Marlin - Juli 19, 2008, 21:52

Muha! Muhahahaha!

Ich hab ja irgendwie Mitleid mit Dir, aber bist ja selber schuld. 😀

Aber die Pointe war mal wieder köstlich.

Du solltest auch mal einen Band rausbringen. Kishons Niveau haste ja schon. 😉

Aber warum „das Wagen?“ Wagnis?

2. Marlin - Juli 19, 2008, 21:52

Ach ja, Respekt für Deinen Gatten, dass er es versucht. 🙂

3. Lila - Juli 19, 2008, 21:59

Das Kraftwagen, dasselbe wie der Auto, nur mit anderem Genus.

4. Marlin - Juli 19, 2008, 22:39

Hm.. versteh ich zwar nicht, vielleicht hat man mich als Kind zu heiß geröncht, aber okeee…

(Jetzt muss ich wieder meinen Kopf anstrengen, es gibt nicht das Wagen! Graaarg, das tut weeeh)

5. Lila - Juli 19, 2008, 22:41

Die Kraftfahrzeug….???

6. heplev - Juli 19, 2008, 22:53

Mal ehrlich, sammelst du diese herrlichen Geschichten auch irgendwo vernünftig (das mit dem Veröffentlichen ist gar keine schlechte Idee) oder müssen wir sie uns hier im Blog zusammensuchen?

7. Lila - Juli 19, 2008, 23:08

Zusammensuchen, leider. Ich hab dafür diese komischen, viel zu vagen Kategorien. Kinder, Katzen, Kibbuz oder so. Ich hätte natürlich zwischen ideologisch-drögen Kibbuzgeschichten und sentimental-verklärten Kindergeschichten unterscheiden müssen.

Hab keine Zeit zur Generalüberholung, leider..

8. Heimo - Juli 20, 2008, 4:03

naja, daß hobbit ja gar kein Tier ist, wollen wir noch mal durchgehen lassen –
die dicken Sprachstränge die man im Gehirn in der Kindheit & frühen Jugend spinnt, lassen keinen fairen Wettbewerb zu den ’späten‘ Spracherwerbern zu –
ab einem gewissen Alter hat man kaum noch Chance, jemals originär, akzentfrei die Sprache zu gebrauchen – es reicht dann ja schon , wenn man sich so einigermaßen verständigen kann – (ich lerne seit 1 1/2 Jahren (sporadisch kontinuierlich ivrit – aber ich bin Jahrgang 53 – da dauert es schon etwas, bis die Wörter haften bleiben

. mein franrösicher Freund Tantin damals hatte auch immer die deutschen Artikel durcheinandergebracht – er sagte ‚der Tisch‘, die ‚Stuhl‘ etc. – wenn man ihn korrigieren wollte, war er sauer – es war ihm völlig egal, ob richtiger Artikel oder nicht – Hauptsache, man hat sich verstanden & wir haben das alle akzeptiert & ihn dann auch mit der Zeit beileibe nicht mehr korrigiert – ganz sicher ist, dein Mann wird eh nie jemals all die deutschen (völlig unlogischen) Artikel lernen – also einfach nur die Substantive, Verben & Adjektive lernen – der Rest ergibt sich dann schon irgendwie – aber in ivrit ist es ja mit f. plus m. fast das selbe (zum Glück fehlt wie in espanol das unnütze sächliche Element) – man muß nicht nur zu jedem Subst., sondern auch zu jedem Verb + Adj. , Adv. die männliche oder weibliche Form kennen, die sich am Subst. orientiert – – da ist das English doch weitaus leichter, das kaum Bezug auf den f./m.-Status eines Substantivs nimmt – weder in Verben noch Adjektiven, außer in rückbezüglichen (Pronomen?) –
& ach ja da ist ja auch noch die lästige Groß- & Klein-Schreibung im Deutschen, die, wenn man andere europäische Sprachen betrachtet, eigentlich unnötig wäre – mit etwas Gewöhnung könnte man alles genausogut lesen, wenn alles klein geschrieben ist – meine französische Freundin tut sich immer sehr schwer mit der Großschreibung, aber sie hat irgendwie noch nie ganz verstanden, was ein Substantiv ist

9. Peter - Juli 21, 2008, 15:26

Hi Lila,

ich lese jetzt schon seit einiger Zeit hier mit und freue mich über jeden Artikel, den du hier schreibst 😉

Besonders gefallen mir immer die, wo es um Ivrit geht 🙂 die Sprache ist wirklich sehr schön, ich würde sie gern lernen. Jedoch glaube ich kaum, dass das so einfach aus Büchern geht. Die Schrift alleine bringt mich schon um. Schade, dass man im Hebräischen Vokale oft nicht schreibt 😉

Gibt es eigentlich sehr große Unterschiede bei der Aussprache der Konsonanten? Ich weiß z.B. dass die dt. Konsonanten sehr hart, bzw. aspiriert gesprochen werden, also die K(h)atze zum Beispiel. Ich bin in Polen geboren, kann also noch gut polnisch und wunder mich immer über mich selbst, dass ich im Polnischen die Konsonaten viel sanfter, also ohne dieses (h) danach aussprech.
Scheinbar kann man da so hin- und herschalten 🙂

Liebe Grüße aus Franken

Peter

10. heplev - Juli 22, 2008, 13:04

Ich erinnere mich gerade daran, wie ich mit einer Amerikanerin englisches Scrabble gespielt habe. Da war nichts zu wollen, gute Wörter fielen mir nun meist überhaupt nicht ein. Dafür konnte ich sie damit überraschen, dass „ganev“ auch im Scrabble-Lexikon stand.

Lustig ist auch, wenn Deutsche „Tabu“ auf Englisch spielen. Beschreibe mal „Akne“ – das kann zu Lachsalven führen, weil weniger Bedarfte den deutschen Pickel wie ins Englische bringen? Klar, „pickle“!


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