Ah, Winter! oder Herbst? November 18, 2006, 21:17
Posted by Lila in Land und Leute.trackback
Die klassischen vier Jahreszeiten, die in der westlichen Kultur allgemein als existierend vorausgesetzt werden (ob in der Landschaftsmalerei, Symbolik oder einfach nur in der Aufteilung des Kalenders) stimmen hier einfach nicht. Ich muß immer lachen, wenn die Schulkinder wieder wie in Deutschland „fallende Blätter“ malen müssen, denn die Blätter hier wollen partout nicht fallen. Vor meinem Fenster ist es noch grün. Weder im September noch im Oktober gibt es hier goldenen Farbrausch, Mörike wäre sehr enttäuscht. Im Januar fallen die Blätter hastig und verstohlen, um schon im Februar wieder nachzuwachsen. Der Herbst, das bedeutet hier nicht Nebel und Regen und Blätterfall, sondern einfach nur Trockenheit, Hitze in Form von Chamsin, und das Warten auf Regen. Gewissermaßen ein Spätsommer, der dann in den Frühwinter übergeht. Ich stöhne jedes Jahr, wenn zwischen der ekelhaften Hitze des spätsommerlichen Chamsins und den schubbigen Frühwinter-Morgentemperaturen nur ein paar Wochen liegen, in denen man weder Klimaanlage noch Heizung braucht.
Geregnet hat es schon vor ein paar Wochen, und sofort wurde die braune Erde hellgrün. Noch sind die Winterblumen nicht raus, aber ich weiß, daß wir im Dezember sehen werden, wie sie sich regen und vorbereiten. Es ist angenehm kühl nachts, sonnig und klar tagsüber, und alle paar Tage fällt Regen. Jetzt bricht die beste Zeit an, die mich für den grellen, hellen Sommer entschädigt. Keine Wolke haben wir den ganzen Sommer über gesehen, nur Sandwolken, die sich wie häßliche, gelbe Streifen am Horizont entlangzogen. Doch jetzt bringt jeder Tag neue, wunderbare Wolkenbilder, an denen ich mich freue. Jeder Sonnenuntergang in unserem Wohnzimmerfenster bietet ein neues Spektakel, das wir uns zusammen angucken (um fünf Uhr nachmittags, na gut, und kurz ist es auch, aber mußte ich denn SO nah an den Äquator?).
Im Kindergarten, das weiß ich aus alter Erfahrung, auch wenn meine Kinder aus dem Alter raus sind, fängt jetzt die Zeit der Winterthemen in der Naturecke an. Die Schnecken- und Regenwurmwoche ist der Schrecken aller zimperlichen Mütter, die sich ungern diese Tierchen von ihren begeisterten Kindern auf die Hände setzen lassen. Ich habe mich natürlich nie lumpen lassen, ich weiß ja noch, wie ich im Wäldchen hinter unserem Haus mit Klaus und Lothar und Evi Schnecken gesucht habe, und eigentlich sind sie ja wirklich nicht eklig.
Doch das schönste, liebste und feinste Winterthema ist natürlich eßbar: pri etz hadar, die Früchte vom schönen Baum, auch als Zitrusfrüchte bekannt (der Wortgebrauch leitet sich von der Frucht Etrog ab, die zu Sukkot gehört). Israel hat mir Zitrusfrüchte in einer Auswahl beschert, die mich um diese Jahreszeit geradezu in einen Rausch versetzt.
Um unser Haus herum wachsen Zitrusbäume aller Arten, wir pflücken und kommen mit dem Essen nicht hinterher. Auch die Kinder lieben Zitrusfrüchte, und da Secundus und ich auch gern schälen und verteilen, verbringen wir die Abende schmausend, und meine Finger riechen den ganzen Winter über wunderbar. Ich bin eine pingelige Schälerein und lasse kein weißes Fiddelchen übrig, die Kinder müssen mir die Früchte geradezu aus den Händen reißen, sonst schäle ich sie immer nackiger.
(Übrigens tun uns die atzei hadar, die Bäume der Schönheit, auch im Frühjahr einen Gefallen: dann duften ihre Blüten einfach wunderbar, der Garten liegt geradezu unter einer Wolke.)
Manche dieser Früchte gibt es natürlich überall, so wie Apfelsinen, auf Hebräisch tapuz, was eine Abkürzung für tapuach zahav, also goldener Apfel, ist. Auch klementinot und mandarinot sind allgemein bekannt, obwohl ich in Deutschland nie so leckere, grüne Mandarinen gegessen habe, wie in unserem Garten wachsen. Sie haben eine dünne Schale, aber dicke Kerne, und wir machen aus sauren Saft draus. Zitronen, limonim, presse ich ebenfalls aus, aber die Mädchen lutschen sie auch so.
Kumquat heißen hier tapuzonim und Limquat, hm, keine Ahnung. Aus denen mache ich Marmelade, und zwar nicht mit Gelierzucker (den gibt es hier gar nicht), sondern mit normalem Zucker. Hinterher schwimmen in einer unbeschreiblich leckeren, orangen Flüssigkeit die halbierten tapuzonim und schmecken so gut in Joghurt oder auf einem Quarkbrot.
Außerdem gibt es Pomelo, eine Art dicke Kusine der Grapefruit, weniger bitter als diese und trockener. Das heißt, man pellt erst die enorm dicke Schale ab, dann die Häutchen, und legt dann die Fasern frei, die sich auch ohne Saft zu ziehen transportieren lassen. Pomelos kann ich eine nach der anderen schälen und vorbereiten, und sie gehen schneller weg, als ich gucken kann. Pomelit ist die kleine Schwester der Pomelo, saftiger und süßer als diese, aber man ißt sie ähnlich wie die Pomelo, also in Stücken. Macht eine wunderbare Schweinerei (soll auch angeblich sehr gesund sein, schmeckt aber trotzdem). Anders als die eshkolit, Grapefruit, die man ja aufschneidet und auslöffelt, hm, besonders gut die rote eshkolit aduma. (Übrigens kenne ich die Grapefruit als Pampelmuse in Deutschland, auch wenn ich zu meinem Erstaunen sehe, daß die Pomelo auf deutsch eine Pampelmuse sein soll. Sehr rätselhaft!) (Hm, Wikipedia weiß alles, oder tut wenigstens so.)
Außerdem gibt es natürlich noch jede Menge Neuzüchtungen, die mit den seltsamsten Namen bedacht werden, und die man kaum auseinanderhalten kann. Kein Wunder, daß die KindergärtnerInnen und GrundschullehrerInnen das extra zum Thema machen. (Zwar keine Zitrusfrucht, doch der absurdeste Name, den ich je für so eine Kreuzung gehört habe, ist der hebräische Name für die Nektarine, also die Kreuzung von Pflaume und Pfirsich. Pfirsch heißt afarssek, Pflaume shezif, demzufolge heißen die nichtsahnenden Nektarinen doch tatsächlich: afarshezifim…weswegen die meisten dann doch lieber nektarina sagen.)
Ja, das ist der israelische Winter. Regen, relativ milde Kühle (ich lache ja jedes Jahr über meine Israelis, die bei 5 Grad über Null einander bibbernd zurufen: Ssibir! was Sibirien heißt), Blumen und tapuzonim. Ma ra?
Hallo Lila,
wie ich Euch um diese vielen frischen Zitrusfrüchte beneide! Meine Zitronen stehen schon seid einigen Tagen im Gewächshaus, obwohl es ja hier in Norddeutschland noch ungewöhnlich warm ist. Eine von beiden hat diesen Sommer Früchte angesetzt, aber sie sind grün, grün, grün, oder, vielleicht doch schon ein bischen gelb???? Freu, freu!
Aber im Ernst, ich rechne nicht mit verwertbaren Früchten. Dafür konnten wir dieses Jahr wieder jede Menge Äpfel sammeln und leckeren Kuchen backen. Wer ist nur auf die gute Idee gekommen Obst, besonders Apfelbäume an die Feldränder zu pflanzen? Vielen Dank.
Aber zurück zu den Zitronen. Wir werden dieses Jahr zum ersten mal versuchen die Kübelpflanzen im Gewächshaus zu überwintern, statt im Keller oder in der Garage, sie sind einfach zu groß und schwer geworden. Bitte drückt die Daumen für Oleander, Fuchsie, Zitronen und Co, denn regulär heizen können wir das Gewächshaus nicht. Zu teuer. Mein Schatz hat den Plan, warme Abluft aus dem Heizungskeller umzuleiten. Oh oh, hoffentlich klappt das. Aber die Winter werden hier ja auch immer wärmer.
Seid einiger Zeit schon bin ich regelmäßige Gastleserin in Deinem Blog und möchte mich herzlich bedanken. Bitte mach weiter so, auch wenn es bestimmt wahnsinnig viel Zeit und Kraft kostet. Du öffnest mir neue Blickwinkel und bestimmt das ein oder andere Herz.
Liebe Grüße,
Owl
Liebe Lila,
jetzt lese ich sogar in Deinem Blog aus dem entfernten Israel über die viel bestaunten Pomelos. Ich habe sie neulich bei Aldi entdeckt und viel gerätselt über diese dicken Riesen. Ich finde Pampelmusen allein schon herrlich und Orangen und Co. natürlich auch (mir geht es da ähnlich wie Dir!)… und nun gibt es sowas. Na jedenfalls stand eine hilfreiche Beschreibung, wie sie zu essen sind, auf einem Zettelchen. Du hast es genauso beschrieben und jetzt muss ich mir doch mal diese riesige Frucht besoren, die bei uns bis zu 2 Euro kostet 😦
Ich schicke Dir liebe Grüße aus Köln (würde sie aber auch lieber aus dem hohen Norden schicken, in den ich mich so sehr verliebt hab)… und wenn ich Deiner Erzählung über das Wetter „lausche“, dann bleib ich lieber hier (Hize geht gar nicht).
Schließe mich besonders dem letzten Teil von Owl’s Beitrag an!
Lehitraot
Jenny
Ha, ich weiss wirklcih nicht, wie ich mir so nette Leser verdient habe, wo ich doch oft so verkuerzt oder knapp oder durcheinander schreibe… aber ich freue mich, wenn Ihr gern mitlest, und futtert Citrusfruechte!!! ist doch so gesund. 2 Euro finde ich allerdings happig. Die Schale ist zwar leicht, aber dass du damit ca. 40 Cent in den Muell wirfst, ist Dir hoffentlich klar. 2 Euro, das sind 10 Schekel! Die muss man auch erst mal verdienen. Aber lecker ist so eine Pomelo…
Ein wirklich leckerer Artikel, Lila. Ich bin nämlich ganz großer Zitrus-Fan … Außerdem versöhnt mich die Beschreibung des Klimas in Israel mit dem in Norddeutschland; in meiner manchmal grau-himmel-frustrierten Phantasie neige ich dazu, Israel mediterranisches „Idealklima“ zuzuschreiben: es bißchen heiß und trocken im Sommer, ansonsten durchweg „schönes Wetter“.
Vor einiger Zeit bin ich in einem Gedicht, ich glaube von Klopstock (als zartfühlende Dichter ist man mit so einem Namen gestraft), über den Ausdruck „goldene Äpfel des Sinais“ gestolpert. Damit meinte er die damals im Norden noch exotischen Apfelsinen und hielt das für eine poetische Umdeutung. Im Lichte des hebräischen Namens dieser Frucht, tapuach zahav goldener Apfel, vermute ich dass die Orange im Deutschen wirklich einmal „Goldener Apfel vom Sinai“ genannt wurde, was sich zu „Apfelsine“ verschliff. Dafür, wie der Sprung vom Hebräischen ins Deutsche zustandekam, gäbe mehrere Möglichlichkeiten, von der Bibelübersetzung über jüdische Gelehrte bis zu den viel bemühten jüdischen Fernhändlern des Mittelalters (letzteres bezweifle ich, denn die sprachen normalerweise kein Hebräisch).
Lieber Martin, da schnappe ich sofort zu, auch wenn ich mitten im Brassel bin! Die meisten frommen Juden (und gab es im Mittelalter UNfromme Juden?) können Ivrit, weil sie es für die Gebete und Bibellektüre brauchen. Außerdem, so steht es zumindest in Büchern, wurde Ivrit als lingua franca zwischen Juden aller Länder benutzt. Die können also gut den Namen übernommen und weiterverbreitet haben, auch wenn ich nicht weiß, seit wann das Wort „tapuach zahav“ im Hebräischen gebräuchlich ist. Aber die „…sine“ kann tatsächlich vom Sinai kommen, das würde mir sehr gefallen!
Konnte Klopstock Hebräisch? Ich kenne zwar seine Biographie ganz gut (bin ein großer Fan seiner Frau Meta), aber ich weiß nicht, ob er, wie Hölderlin, Hebräisch gelernt hat. Muß ich sofort nachgucken.
Hm, das prüfe ich nach. Danke, Martin.
Hermann Paul, Deutsches Wörterbuch: „Apfelsine … zuerst n[ieder]d. Apel de Sina (Amaranthes 1715)
Übertragungsfehler, spitze Klammer wohl als Endsignal gedeutet, also öffnende spitze Klammer, dann weiter: „frz. pomme de Sine (‚Apfel von China‘), daneben im 18. Jh. Chinaapfel. …“
Auf Hebräisch heißt China übrigens: Sin…
Wie heißt eigentlich Israel auf chinesisch?
DU bist doch hier der Etymologe!
Beim Lesen lief mir gleich das Wasser im Mund zusammen! Die leckersten Grapefruit meines Lebens habe ich am Kinnereth gegessen. Die fielen da vor dem Hostel runter und keiner hob sie auf, nur wir. Seitdem kaufe ich nur noch selten diese Früchte hier, weil sie einfach nicht schmecken!
LOL. Aber richtig: Ich bin, der ich bin.
Habe heute die ersten Apfelsinen dieser Saison gegessen, animiert von deiner Beschreibung. Mein Mann liebt es, mit einer bewundernswerten Hingabe Apfelsinen, Grapefruits und
Pomelos, ja sogar Mandarinen etc. zu schälen, es dauert lange, bis er mit seinem Ergebnis zufrieden ist – derweil die Vorfreude bei den anderen Familienmitgliedern, einschließlich des Hundes wächst.
Um so enttäuschender war das Ergebnis heute – nicht seines Schälergebnisses. Die Apfelsinen hatten eine dermaßen feste Innenschale, die ziemlich mickriges Fruchtfleisch umhüllte, dass ich mich frage, ob der ganze Aufwand im Hinblick auf das Ergebnis nicht zum Abgewöhnen ist.
Gleichzeitig kam die Erinnerung an einen Aufenthalt in Griechenland ans Tageslicht: Eine alte greichische Frau sah, wie ich die Zitronen ihres Gartens bewundert habe. Sie schenkte mir spontan einige Früchte, die ich ausgepresst genossen habe. Nie wieder habe ich derart reife aromatische Zitronen gegessen.
Vielleicht sollte man tatsächlich die Früchte essen, die in der eigenen Umgebung wachsen und reif gepflückt werden und nicht schon unreif auf die Reise, in welche Länder auch immer geschickt werden – wenn da nicht die Erinnerung an die eigene Kindheit wäre, in der die Apfelsinen und Mandarinen soviel besser geschmeckt haben, warum auch immer. Kann man sich auf die Erinnerung verlassen oder täuscht einen diese?
Wie auch immer – ich werde mich auf die Suche nach aromatischen, nicht holzigen Früchten begeben, die dann den Eindruck vermitteln, Sonne, Sommer gespeichert zu haben. Notwendig in diesen trüben Zeiten.
Hallo Lila,
auch ich habe diesen jahreszeitlichen Eintrag (und die darin eingefügte Beschreibung der Familie der Zitrusfrüchte) mit großem Vergnügen gelesen! Die Beschreibungen waren quasi handgreiflich nachzuvollziehen. 😉
(Ich bin auch so pingelig mit den weißen Fusselchen.)
Im Augenblick lebe ich ja leider in einem Land, in dem man außer dem Hochsommer die anderen Jahreszeiten kaum merkt und im Winter die Erdbeer-Hochsaison herrscht.
@ MonaLisa: Hast Du schon mal eine Annanas oder Papaya – mein Mann rief letzteres gerade rein – in Südamerika gegessen? Wenn ja, wirst Du diese in … (ja wo wohnst Du… in Deutschland?) auch nicht mehr kaufen – das ist vielleicht ein geschmacklicher Unterschied!!!
Viele Grüße, Jolie