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Routine des Irrsinns Juli 20, 2006, 9:20

Posted by Lila in Land und Leute.
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Die Kämpfe im Norden gehen weiter, die Diskussionen über eine Bodenoffensive gehen weiter (ich hoffe, es wird nicht dazu kommen), das Sterben geht weiter und wir bereiten uns darauf vor, daß ab ca. 9 Uhr die Raketen wieder fallen. Y. sagt nicht viel außer „es wird nur ein Bruchteil von dem berichtet, was wirklich vorgeht“, und ich frage nicht nach, ich weiß, daß es Gründe dafür gibt, daß nicht alles berichtet wird, nicht alles gezeigt wird.

Wie das enden soll? Ich hoffe, daß es hinter den Kulissen internationale Bemühungen gibt, denn daß die Hisbollah und wir alllein zu nichts kommen, ist klar. Ich frage mich, wieso Nasrallah nicht mehr redet, sonst haben wir ihn so oft gehört. Gibt es überhaupt irgendjemand, der auf Hisbollah Druck ausüben kann? (Es ist klar, daß auf uns sehr wohl Druck ausgeübt werden kann, und ich tippe, in den nächsten Tagen werden wir das erleben. Da der Armee bis dahin sowieso beschießbare Ziele ausgehen, und da die Hisbollah-Führung in einem jahrelang angelegten, tiefen, gesicherten Bunkersystem hockt und selbst durch die bisher eingesetzten schweren Bomben nicht bedroht ist, dürfte das auch eine sinnvolle Entwicklung sein. Ich bete, daß bis dahin die Opferzahlen nicht mehr steigen. Aber wie diesen Konflikt beenden? Egal wie oft ich mich das frage, ich komme zu keinem anderen Ergebnis als den Forderungen der G8. Sonst geht es hier in 5 Jahren noch viel schlimmer zur Sache. Syrien, Syrien, ich sehe da das schwächste Glied in der Kette und hoffe, daß die Russen oder Franzosen da ansetzen können. Aber was versteh ich schon?)

Ein kleiner Lacher. Deר bärenhafte Reporter in Avivim interviewt einen jungen Artilleristen, der an der Grenze mitkämpft. Der junge Soldat erklärt, welche Ziele sie beschießen, daß seine Eltern in Haifa im Bunker sitzen und er den Zusammenhang zwischen seiner Arbeit und dem Bunker sieht… und mittendrin donnern die Kanonen. Der dicke Reporter zuckt furchtbar, obwohl er seit Jahren aus dem Norden berichtet. Der junge Mann legt ihm beruhigend die Hand auf den Arm. Aus dem Studio hört man das leise Lachen der Anchors, und der Reporter dreht sich ärgerlich zur Kamera. „Da habt ihr Spaß, hä“, brummt er. (Dabei tragen beide keinen Helm, das ist doch Leichtsinn). (Und es ist derselbe übereifrige Reporter, über den mal gewitzelt wurde, „nicht genug, daß die armen Menschen in Kiriat Schmone den Katyushabeschuß ertragen müssen, nun bricht auch noch Menachem Horovitz über sie herein“…)

Tja, ein weiterer Tag, an dem ich nicht weiß, ob ich die Kinder im Haus halten soll oder sie zu ihren gewöhnlichen Aktivitäten schicken soll, ob ih mich sicher oder unsicher fühlen soll, ob ich das Radio an- oder ausstellen soll, also welchen Raum ich diesem ganzen Irrsinn in menem Leben einräumen soll. Nach wie vor brummt es am Himmel, ich weiß nicht mehr, wann ich das letzte Mal richtige Stille gehört habe.

Übrigens hieß es gestern, daß die Uni in Haifa den Betrieb wieder aufnimmt, zumindest teilweise (alle Prüfungen sind verschoben, und eine Studentin aus unserem Kibbuz nutzt die zusätzlich gegebene Zeit, um mich raffiniert am Telefon zur Hilfe bei ihren Hausarbeiten heranzuziehen. „Wie siehst du eigentlich den flämischen Einfluß auf Giambologna? wie haben sich eigentlich Kolossalstatuen entwickelt?“, und ich merke erst am Ende des Gesprächs, daß sie das nicht aus purem Interesse an der Sache fragt, sondern eine kleine Arbeit drüber schreibt! Ich Doof. Na ja, auch sie hat keinen Zugang mehr zur UB, die ihr Antworten auf ihre Fragen geben könnte….) Ich könnte also mal checken, ob ich in den nächsten Tagen eine Chance habe, einen UB-Tag einzuschieben. Ich erinnere mich mit großer Sehnsucht an das Fleckchen Teppichboden zwischen den Regalen, wo ich sitze und mich durch Nummer um Nummer vom Simiolus lese. Das wär mal wieder schön! Oder meine Geheimwaffe, wenn ich Heimweh nach Deutschland habe: die Abteilungen mit deutschen Büchern, unten Literatur, oben Geschichte, wo ich immer was zu lesen finde. Die Bücherei ist sehr gut, ich müßte da eigentlich mal photographieren. Meine einzige Sorge: daß hier was passiert, während ich nicht da bin.

Kurz, ich bin auch heute wieder zuhause, übersetze, schreibe, putze und bügle. Alles nacheinander, immer wenn ich der einen Arbeit müde werde, gehe ich zur nächsten über.

Kommentare»

1. fono - Juli 20, 2006, 10:28

>Ich frage mich, wieso Nasrallah nicht mehr redet

Na bestenfalls hat ihn eine eurer Bomben erwischt aber ich befürchte, solche Typen haben ein erstaunliches Talent zum Überleben.

>Es ist klar, daß auf uns sehr wohl Druck ausgeübt werden kann

Google mal nach „israel war crimes“, da findet sich einiges. Über das was der derzeitigen Krise vorausging und die Angriffe auf Israel leider relativ wenig. Auch in meiner näheren Umgebung ist es schwer die Leute darauf hinzuweisen, daß dieser Konflikt sehr wohl zwei Seiten hat.

Hoffen und beten wir daß es alles irgendwie ein gutes Ende nimmt. Zay gezunt!

2. Piet - Juli 20, 2006, 11:13

Übrigens hat Intel, so las ich kürzlich, in Haifa weiterarbeiten lassen, nämlich im Bunker. Auch das gibt es also, und ich finde es gut (solange es den Menschen unter der Belastung möglich ist), denn warum sollte Israel auch noch wirtschaftlich geschwächt werden?

Tja, und eine Lösung… Ich glaube, der Artikel -> http://www.zeit.de/2006/30/01-Leiter-1 fasst es in etwa zusammen: Der spöttische Blick auf Europa lässt hoffen, dass die USA aufgreifen, was die Europäer denken (so wie Bush es ja, spät, aber immerhin, schon angedeutet hatte) – letztlich hilft aus meiner Sicht nur, mit internationaler Hilfe so schnell wie möglich zu einer Waffenruhe zu kommen. Auch wenn die Aussichten darauf im Augenblick nahe null sind, weiß ich natürlich. Denn im Augenblick lassen auch die USA stellvertreterkämpfen, dazu braucht es keine Absprachen.
-> http://www.zeit.de/2006/30/Interview-Fischer

3. Lila - Juli 20, 2006, 16:30

Fono, das „Problem“ ist, daß wir ein Staat sind, die Hisbollah aber nicht. Da greifen, soweit ich das verstanden habe, viele Gesetze gar nicht. Das Völkerrecht ist (aber ehrlich, da versteh ich nichts von und wiederhole nur, was mir andere erklärt haben) wohl gar nicht auf Terrorganisationen eingerichtet. So kommt es, daß wir und die Hisbollah nach zweierlei Maß gemessen werden (was mir immer noch lieber ist, als zu einer Terrorbande zu zählen 🙂

Es ist auch unsere Schuld, daß wir die ständige Verletzung unserer Grenzen und Bürger zu still hingenommen haben. Ja nicht mal ich wollte ewig jammerklagbloggen, „schon wieder zwei verletzte Kinder in Sderot“ oder „schon wieder der Versuch, an der Nordgrenze zu zündeln“, wie viel will die Welt, ja will Tel Aviv davon wissen? Da weist jeder anklagende Finger erst mal auf uns selbst.

Lieber Piet, auch meine Gastbloggerin Frau Patish aus Haifa hat erzählt, wie ihr Mann zwischen Bunker und Büro hin und her gependelt ist. Das gesamte Krankenhaus in Nahariya findet unterirdisch statt.

Übrigens sagte mein Mann mir gerade, nach Berichten seiner Kollegen, die aus Kibbuzim, Städten, arabischen Orten etc kommen, richten die Raketen mehr Schaden an, als berichtet. Sie haben diskutiert, wie sinnvoll es ist, nach außen hin business as usual zu demonstrieren – damit zeigen wir vielleicht Nasrallah, daß wir auch ganz schön dicke Eier haben, aber die Welt sieht nur libanesische Opfer. Da kreist er wieder, der Dilemmageier. Übrigens kann es durchaus sein, daß diese Einschätzung im Kollegenkreis rein subjektiv war, schwer zu sagen. Aber da ist wohl der ganze Norden vertreten. Immerhin nachdenkenswert.

4. Piet - Juli 20, 2006, 20:50

Tja, was will/wollte die Welt davon wissen… Ich denke (aber das ist nicht „theoriefest“, sondern nur meine Vermutung), dass die Kassams der letzten Jahre pressetechnisch gesehen Alltag bedeuteten, business as usual. Ein schwelender Konflikt, besetzte Gebiete und Siedlungspolitik auf der einen, Kassams auf der anderen Seite (ja, ich weiß, dass es eine verkürzte Sicht ist). So ähnlich wie das Thema Hunger in der Welt, von dem jeder weiß, aber nicht täglich in der Zeitung ließt.

Wer will davon hören? Heute, denke ich, eine Menge Leute, die Mühe haben, sich ein halbwegs realistisches Bild (naja, oder was man dafür hält…) zu machen. Hat ja mit Klagen nichts zu tun, sondern mit einer subjektiven (und deswegen so wertvollen) Zeichnung einer Momentaufnahme, die jede/r LeserIn sicher unterschiedlich interpretiert.

Dass die Schäden höher sind (wie Y. erzählt) als allgemein veröffentlicht, dass denke ich mir. Aber mit „Wahrheit“ und „Objektivität“ ist das im Krieg ja immer so’ne Sache, schon weil Informationen natürlich Teil der Kriegsführung sind. Genauso wie das Thema Arbeit darin natürlich seinen Stellenwert hat auf diversen Ebenen, in Innen- wie Außenwirkung. Es zeigt nur einmal mehr, wie grausam Krieg ist, wie sehr er das Leben der Menschen durchdringt und manipuliert, selbst, wenn sie nicht unmittelbar in Kampfhandlungen involviert sind.

Möge Gott euch behüten, liebe Lila,
Grüße, Piet

5. anmerker - Juli 21, 2006, 12:13

Liebe Lila, hast Du übrigens die Erklärung selbst? Diesen Link habe ich neulich im Bericht von http://www.lefigaro.fr gefunden:
http://en.g8russia.ru/docs/21.html
Die meisten Onlinezeitungen, fällt mir dabei auf, haben nicht das Format, solche Dokumente zu verlinken.

6. Lila - Juli 21, 2006, 12:35

Danke, das sind gute Links, vielen Dank. (Wird bei uns gemeldet: http://www.jpost.com/servlet/Satellite?cid=1153291964807&pagename=JPost%2FJPArticle%2FShowFull)
Übrigens versorgt Israel auch Gaza humanitär, und ich glaube, wer spenden möchte, der sollte sich nach einer guten, verläßlichen Organisation umgucken, die Sachspenden direkt an die Betroffenen weitergibt. (Ich habe das früher manchmal durch private Kanäle gemacht, Spielzeug und Kindersachen vor allem, viele arme Kinder haben nicht mal einen Teddybären oder einen Anorak). Während alles auf den Libanon starrt, wird Gaza ganz vergessen.

7. anmerker - Juli 21, 2006, 14:33

Hatte ich noch auf Halde, zum Denken ist es schon wieder zu heiß. Liebe Grüße. Ach, das mit dem Lied wußte ich noch nicht, aber ich denke mir etwas.


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